Kirchen

Aufrufe aus Kirche und Politik gegen Rassismus und Gewalt


Christina-Maria Bammel
epd-bild/Rolf Zöllner
Eine Gedenkkerze auf dem Altar und Trauerworte für die Opfer von Hanau: Der Anschlag mit mehreren Toten hat auch die Amtseinführung der neuen evangelischen Pröpstin in Berlin geprägt. Die Theologin fand klare Worte gegen Rechtspopulismus und Gewalt.

Die Pröpstin der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Christina-Maria Bammel, ist von Bischof Christian Stäblein in ihr theologisches Leitungsamt eingeführt worden. Bei dem Gottesdienst am 21. Februar in Berlin riefen Pröpstin und Bischof als Antwort auf den Anschlag von Hanau zum Engagement gegen Rassismus und Gewalt auf. "Wir stehen auf gegen Menschenverachtung überall", sagte Stäblein: "In Gottes Namen stehen wir bei den Opfern und ihren Angehörigen."

Bammel betonte, auch Kirchengemeinden müssten bei Gewalt, Rassismus und Rechtspopulismus dagegenhalten. Die promovierte Theologin rief dazu auf, auch schwierige Situationen mit Mut und Zuversicht zu bewältigen und Zeichen für eine bessere Welt zu setzen. Auch Zeichen wie "der im richtigen Moment geworfene Blumenstrauß im Landtag" könnten eine Wirksamkeit entfalten, sagte die Pröpstin: "Gott gab uns Zeichen, damit wir handeln." Kerzen und Menschenketten seien in Zeiten wie nach dem Anschlag von Hanau auch Ausdruck des Zusammenhalts.

Wichtig sei, auch auf "tödlich-toxische" Worte mit Güte zu antworten und zugleich zu widersprechen, sagte Bammel. Wo Angstmache vor der Zukunft herrsche, müsse mit Widerspruch reagiert werden. Was derzeit als "Alternative" für das Land präsentiert werde, dürfe keine Zustimmung finden.

Auch die brandenburgische Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke (SPD), der katholische Weihbischof Matthias Heinrich und der frühere Präsident der Berliner Humboldt-Universität, Christoph Markschies, richteten in ihren Grußworten deutliche Worte gegen Rechtsterrorismus, Rassismus und eine Radikalisierung der Gesellschaft.

Die Pröpstin sei "eine Meisterin des richtigen Wortes an der richtigen Stelle am richtigen Ort", sagte Liedtke. Der gemeinsame Einsatz für Menschenrechte, Demokratie und Freiheit sowie gegen Gewalt und Rassismus müssten intensiviert werden. Liedtke betonte, Kirche und Politik verbinde in Brandenburg eine langjährige gute Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Dies müsse weiter gestärkt werden.

Die Pröpstin sehe Theologie auch als Brücke in Gemeinden und Gesellschaft, betonte Stäblein: "In Theologie macht ihr keiner ein X für ein U vor." Die Amtszeiten von Pröpstin und Bischof laufen zehn Jahre. Bammel hat ihr neues Amt bereits im Dezember 2019 angetreten.

Christina-Maria Bammel war am 25. Oktober vergangenen Jahres von der Landessynode zur neuen Pröpstin und Stellvertreterin des Bischofs gewählt worden. Ihr Vorgänger im Propstamt, Christian Stäblein, war zuvor als Nachfolger von Markus Dröge zum Bischof gewählt worden. Als Pröpstin verantwortet Bammel die geistliche Leitung im Konsistorium, der Verwaltung der Landeskirche.

Die Landeskirche hat gut 900.000 Mitglieder in rund 1.250 Kirchengemeinden in Berlin, Brandenburg und der Region Görlitz in Ostsachsen. Rund 15 Prozent der Menschen, die im Gebiet der Landeskirche leben, sind evangelische Christen. Die meisten Gemeindemitglieder leben im Sprengel Berlin, jeweils knapp 170.000 Mitglieder gehören den Sprengeln Potsdam und Görlitz an. In der Landeskirche arbeiten rund 900 Theologen im aktiven Dienst, mehr als 40.000 Gemeindemitglieder engagieren sich ehrenamtlich in der Kirche.



Pröpstin Bammel für mehr kirchliche Präsenz an säkularen Orten

Die evangelische Kirche muss ihre gesellschaftliche Bedeutung nach Einschätzung der Theologin Christina-Maria Bammel mit neuen Konzepten stärken. Die Kirche müsse mehr Präsenz an Orten entwickeln, die nicht zum klassischen Kirchenumfeld gehören, sagte die Pröpstin der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz der Berliner Wochenzeitung "Die Kirche" (Ausgabe vom 23. Februar). Bammel ist seit Dezember Pröpstin und wird am Freitag in einem Gottesdienst in Berlin offiziell in ihr Amt eingeführt.

Zu diesen sogenannten "Dritten Orten", die "neue Keimzellen des Glaubens" werden könnten, gehörten auch Cafés, neue Läden in Dörfern ohne Geschäfte und Orte neuer Alltags-Spiritualität etwa in Neubauvierteln und Mehrgenerationenhäusern, sagte Bammel. Dabei müsse stets gefragt werden, "was braucht dieses Dorf, Quartier, dieser Ort jetzt". Die Kirche müsse sich stärker auf ihren Auftrag als "zum und im Leben helfende Kirche konzentrieren".

Überall zu jeder Zeit mit jedem Angebot präsent sein zu wollen, sei eine Überforderung, betonte die Pröpstin, die theologische Leiterin der Kirchenverwaltung und Stellvertreterin des Bischofs ist. Gemeinden und Pfarrer müssten zudem von Verwaltungsaufgaben entlastet werden, damit sie ihre eigentlichen Aufgaben erfüllen können.

Dafür müssten auch neue Strukturen geschaffen werden, sagte Bammel. Hilfreich könnten möglicherweise "zentrale kirchliche Kasualagenturen" sein, um Menschen einen einfacheren Zugang zu Trauung, Taufe, Konfirmation und Bestattung zu bieten. Die Kirche müsse "lebensbegleitend stärker präsent" werden.



Spitzenbesetzung gefragt


Bischofskandidaten Tobias Bilz, Ulrike Weyer und Andreas Beuchel (v.l.n.r.)
epd-bild/Matthias Rietschel
Bischofswahl in Dresden: Drei Personen bewerben sich um das höchste geistliche Amt in der sächsischen Landeskirche. Gewählt wird Ende Februar auf einer Sondertagung der Landessynode.

Eine Landeskirche bemüht sich um Normalität: Nach den Schlagzeilen zum Rücktritt von Landesbischof Carsten Rentzing (52) will die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens positive Signale aussenden. Am Wochenende tritt die Landessynode zusammen, um eine neue Bischöfin oder einen neuen Bischof zu wählen. Vom 28. Februar bis 1. März ist dafür eine Sondertagung terminiert.

Drei Personen bewerben sich um das höchste geistliche Amt in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, das auf jeweils zwölf Jahre beschränkt ist. Die Plauener Superintendentin Ulrike Weyer (46) und Oberlandeskirchenrat Tobias Bilz (55) wurden von der sächsischen Kirchenleitung vorgeschlagen, der Meißener Superintendent Andreas Beuchel (56) von Synodalen. Laut Geschäftsordnung müssen für eine Nominierung mindestens zehn der insgesamt 80 sächsischen Synodalen einem Vorschlag zustimmen.

Beuchel könnte aber durchaus mehr Unterstützer in den Reihen des Kirchenparlaments haben. Stets war er Gast auf den Tagungen der Synode, hielt immer Kontakt. Wichtig ist ihm, dass sich Kirche auch nach außen öffnet, nicht nur zum Selbstzweck agiert. Als ehemaliger Senderbeauftragter der evangelischen Landeskirchen beim Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) ist er mit Medien und säkularer Öffentlichkeit gut vertraut.

Aber auch Weyer und Bilz dringen auf Kommunikation - innerhalb und außerhalb der Kirche. "Wir haben eine Stimme", sagt Weyer. Da sollte Kirche auch "nicht leise sein". Bilz findet es "erstaunlich, wie viele Menschen in der säkularen Gesellschaft sich wünschen, dass sich die Kirche zu Wort meldet." Spannungen zwischen verschiedenen Positionen gebe es in der Gesellschaft wie in der Kirche.

Wenn aber Christen "positiv in die Gänge kommen", dann seien sie in der Lage der Gesellschaft zu sagen, wie diese mit den Spannungen umgehen kann. Das unterstreichen auch Weyer und Beuchel.

Zudem betonen alle drei, dass Rechtsextremismus, Antisemitismus und Gewaltbereitschaft nicht mit dem christlichen Glauben vereinbar seien. Parteipolitisch wollten sie sich nicht einmischen, kündigen sie an. Das sei nicht Aufgabe von Kirche. Allerdings wollten sie sich auf jeden Fall zu gesellschaftspolitischen Themen äußern.

Bilz, der bereits 2015 für das Bischofsamt kandidierte und nur knapp Rentzing unterlag, war Landesjugendpfarrer und hatte als solcher für neuen Schwung gesorgt. Das wünscht er sich jetzt für die gesamte Landeskirche.

Weyer war 2019 bei der Bischofswahl in der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) angetreten und verlor gegen Amtsinhaber Friedrich Kramer. Sie wünscht sich vor allem auch, dass Familien in sozialer Not mehr unterstützt werden - auch da habe Kirche einen wichtigen Auftrag.

Weyer und Beuchel begleiten seit Monaten als Leitende jeweils eines Kirchenbezirks die landeskirchliche Strukturreform in ihren Regionen. Bilz leitet im sächsischen Landeskirchenamt das Dezernat für Seelsorge, Gemeindeaufbau, Medien und Kirchliche Werke. Derzeit kümmert er sich um dem Umzug der Evangelischen Akademie Meißen nach Dresden.

Das sächsische Bischofsamt ist seit dem 1. November vakant. Am Tag zuvor war Rentzing aus dem Amt geschieden, nachdem antidemokratische Texte aus seiner Studienzeit öffentlich bekanntgeworden waren. Rentzing befindet sich derzeit im sogenannten Wartestand. Welche Aufgabe er in der Landeskirche künftig übernehmen wird, ist offen.

Alle drei Bewerber für das Bischofsamt betonen immer wieder, wie wichtig das Gespräch sei - gerade nach dem umstrittenen Rücktritt des Landesbischofs. Ein "Lagerdenken" wollen sie grundsätzlich überwinden. Das bringe die Kirche nicht weiter.

Dass es sehr verschiedene Glaubens- und Bibelverständnisse innerhalb der sächsischen Landeskirche gibt, das hatte nicht erst der Rentzing-Rücktritt gezeigt. Bereits das Thema Homosexualität einschließlich einer möglichen öffentlichen Segnung gleichgeschlechtlicher Paare sorgte für heftige Spannungen und teils verletzende Diskussionen. Konservative Christen unter anderem aus dem Erzgebirge votierten gegen eine Öffnung der Kirche in dieser Frage.

Von Katharina Rögner (epd)


Dem Ruf folgen

Kurz nach ihrer Kandidatur in der mitteldeutschen Landeskirche stellt sich Ulrike Weyer erneut zur Wahl für ein Bischofsamt - diesmal in ihrer Heimat Sachsen. Die Entscheidung sei ihr nicht leicht gefallen, sagt Weyer - doch sie höre einen Ruf.

Eigentlich sei sie gerade erst wieder in Plauen gelandet, sagt Ulrike Weyer, und die Anstrengung ist ihr durchaus anzuhören. Dennoch: "Ich stehe im Dienst der Landeskirche und möchte mich bereitfinden für das, wofür sie mich geeignet hält und braucht", betont die 46 Jahre alte Superintendentin des Kirchenbezirks Vogtland. Und sie höre da "durchaus deutlich den Ruf".

Und so stellte sich die Ehefrau eines Theologen und Mutter eines erwachsenen Sohnes kurz nach ihrer Kandidatur für das Bischofsamt der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) erneut einem aufwendigen Bewerbungsverfahren. Wie ihre männlichen Mitbewerber Tobias Bilz und Andreas Beuchel könnte sie nun am nächsten Wochenende an die Spitze der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens gewählt werden.

Ulrike Weyer wurde am 30. April 1973 in Dresden geboren und wuchs auch dort auf. Im Wendejahr 1989 schloss sie die Polytechnische Oberschule ab, ließ sich zur Wirtschaftskauffrau ausbilden. Ihr Elternhaus ist wissenschaftlich-atheistisch geprägt. "Das war mir nicht genug", sagt Weyer. Zur Kirche kommt sie über die Musik, besucht in Dresden häufig Kreuzchor und -kirche.

Taufen lässt sich Weyer erst mit 18 - und nimmt nur zwei Jahre später ihr Theologie-Studium in Halle und Leipzig auf. Ab 2001 absolviert sie ihr Vikariat bei Pfarrer Christian Führer an der Leipziger Nikolaikirche.

Ihre folgenden Stationen im Pfarrdienst klingen dann ein wenig wie das Anforderungsprofil für das sächsische Bischofsamt: Auf ihrer ersten Stelle im nordsächsischen Kirchspiel Sornzig (Kirchenbezirk Leisnig-Oschatz) ist Weyer zuständig für sechs Kirchgemeinden und 37 Dörfer. Wo, wenn nicht hier, lässt sich lernen, was gerade Landpfarrer im stark entchristlichten Osten bewegt - noch dazu in Zeiten sinkender Mitgliederzahlen, von Gemeindefusionen und Strukturanpassungen.

2015 wird Weyer Superintendentin - und muss die Fusion der Kirchenbezirke Plauen und Auerbach zum neuen Bezirk Vogtland stemmen. Dazu kommen politische Herausforderungen: Aus Plauen stammt die Neonazi-Kleinstpartei "Der III. Weg", 2016 entsteht dort zudem eine "Pegida"-ähnliche Bewegung namens "Wir sind Deutschland". Weyer entwickelt gemeinsam mit der Landeszentrale für politische Bildung die "Plauener Gespräche" - kurze Zeit später ist die Gruppierung wieder verschwunden.

Zur Debatte um Konservatismus und Rechtsextremismus, die sich in der Landeskirche nach dem Rücktritt von Bischof Carsten Rentzing entsponnen hat, hat Weyer wohl auch wegen dieser Erfahrungen eine klare Haltung. "Für mich ist da eine Grenzlinie, wo es antidemokratisch, rassistisch, völkisch, ethnopluralistisch wird", sagt sie: Man müsse aufpassen, dass klassisch konservative Werte nicht von der Neuen Rechten übernommen und umgedeutet würden.

Wertkonservativ, das bedeute für sie Gerechtigkeit, Frieden, Glaube, Hoffnung, erklärt Weyer weiter. Zu parteipolitischen Fragen wolle sie sich indes - ähnlich wie ihre Mitbewerber - eher nicht äußern. Nur so viel: Man dürfe die Wähler der AfD "nicht alle in einen Topf werfen".

Beim Thema öffentliche Segnung gleichgeschlechtlicher Paare - bei der Bischofswahl 2015 die große Kontroverse - hält Weyer die in Sachsen bestehende Linie, wonach jeder Pfarrer selbst entscheidet, für gelungen. Die Diskussion über die gleichberechtigte Trauung Homosexueller stehe Sachsen indes noch bevor, fügt sie hinzu.

Als größte Aufgaben für den neuen Bischof oder die Bischöfin sieht Weyer die enge, geistliche Begleitung der Strukturreformen - und die Versöhnung der verschiedenen "Milieus", wie sie es nennt, innerhalb der Landeskirche. Doch auch in die Gesellschaft will Weyer wirken: Mit Werten wie Nächstenliebe und Gerechtigkeit "müssen wir irgendwie nach draußen", betont sie.

Die Kirche habe hier durchaus Potenzial, sagt Weyer und verweist auf den "Runden Tisch für Demokratie, Toleranz und Zivilcourage" in Plauen: Dort sei die Kirche "Träger und Moderator - und da merken wir, dass Kirche als neutrale Instanz gefragt und akzeptiert ist. Dieser Aufgabe stellen wir uns."

Von Johannes Süßmann (epd)


Starke Kirche gefragt

Bei der Bischofswahl Ende Februar in Sachsen gehen drei Kandidaten ins Rennen. Andreas Beuchel ist einer von ihnen. Der Meißener Superintendent will, das Kirche viel mehr in der Gesellschaft wahrgenommen wird.

"Mein großes Ziel ist eine offene Kommunikation", sagt Andreas Beuchel. Der 56-jährige evangelisch-lutherische Superintendent im Kirchenbezirk Meißen-Großenhain bewirbt sich um das Bischofsamt in Sachsen. Nach dem Rücktritt von Carsten Rentzing ist es seit dem 1. November vakant. Ende Februar stellen sich nun eine Frau und zwei Männer zur Wahl - außer Beuchel die Plauener Superintendentin Ulrike Weyer (46) und der sächsische Oberlandeskirchenrat Tobias Bilz (55). Alle drei sind gebürtige Sachsen.

Der Meißener Superintendent wünscht sich, dass sich die Kirchgemeinden mehr öffnen. "Gemeinde darf nicht zum Selbstzweck werden, sondern sie muss lernen, dass sie Kirche für andere ist", sagt Beuchel. Und fügt hinzu: "Da ist noch viel Fantasie vonnöten und da darf man auch nicht ängstlich sein." Er wolle die Kommunikation innerhalb der Kirche, aber auch nach außen wieder neu in Gang setzen.

Der 56-jährige Theologe hat damit bereits Erfahrungen gemacht. Acht Jahre lang war er Senderbeauftragter der evangelischen Landeskirchen beim Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) und Rundfunkbeauftragter der sächsischen Landeskirche, hat zahlreiche Gottesdienste für das öffentlich-rechtliche Fernsehen und den Hörfunk mitgestaltet und begleitet.

Er ist auch für Überraschungen gut: Als Superintendent besucht er die Gottesdienste in den Gemeinden auch gern mal ohne Voranmeldung, erzählt er. Die Reaktionen seien für ihn immer ein Indikator dafür, wie offen eine Gemeinde ist. Kirche sei kein Verein, sie müsse sich öffnen, sagt Beuchel, der im sächsischen Pirna geboren wurde.

Eine Bischöfin oder ein Bischof sollte sich seiner Ansicht nach nicht nur um die Einheit der Kirche kümmern, sondern er hat auch die "Funktion des Mahnens in die Gesellschaft hinein". Dies sei eine wichtige Aufgabe - und zwar überall dort, wo Grenzen überschritten und Menschen angefeindet würden. "Wir mischen uns ein, nicht parteipolitisch, aber gesellschaftspolitisch", sagt er.

Nach dem Rücktritt des Landesbischofs sieht er - wie auch seine Mitbewerber - einen notwendigen Aufarbeitungsweg. Rentzing hatte sein Amt im Oktober 2019 überraschend zur Verfügung gestellt, nachdem seine Mitgliedschaft in einer schlagenden Verbindung bekanntgeworden war. Zudem wurde öffentlich, dass er als Student demokratiefeindliche Texte für die rechtskonservative Zeitung "Fragmente" geschrieben hatte.

Die Gemeinden und ihre Mitglieder reagierten sehr unterschiedlich auf den Rücktritt. Leipziger Pfarrern, die zuvor in einer Petition eine klare Distanzierung Rentzings "von allen nationalen, antidemokratischen und menschenfeindlichen Ideologien" gefordert hatten, wurde Verrat vorgeworfen.

"An das Thema Polarisierung müssen wir ran, und zwar indem wir Gesprächsforen schaffen", fordert Beuchel. Eine in der Kirche erfolgreich praktizierte Diskussionskultur könnte ihm zufolge vielleicht sogar beispielhaft in die Gesellschaft wirken. Es müsse wieder gelernt werden, aufeinander zu hören. Das Bedürfnis nach Kommunikation sei da. Das spiegelten ihm die Menschen in seinem Kirchenbezirk.

"Ich will keine Kirche, die nur eine Richtung oder nur eine Meinung vertritt. Ich will diese Kirche als eine der Vielfalt, auch der vielfältigen Lebens- und Glaubensentwürfe", sagt Beuchel. Wichtig sei ihm, in einem säkularisierten Umfeld als eine starke Kirche aufzutreten.

Die Frage, ob er ein homosexuelles Paare im Gottesdienst segnen würde, ist dagegen für Beuchel nicht so einfach zu beantworten. Das sei für jeden Pfarrer eine Gewissensentscheidung, die im Einzelfall zu prüfen sei, sagt der verheiratete Theologe. Es könne aber nicht sein, dass ethische Fragen die Kirche grundsätzlich entzweien - trotz unterschiedlicher Bewertung etwa bei den Themen Homosexualität, Wehrdienst oder Organspende. Ihm ist wichtig: "Aus dem Glauben heraus müssen wir diskutieren."

Von Katharina Rögner (epd)


Positiv in die Gänge kommen

Seit fast vier Monaten ist das Amt des sächsischen evangelischen Landesbischofs vakant. Eine Kandidatin und zwei Kandidaten stellen sich Ende Februar zur Wahl. Der Dresdner Oberlandeskirchenrat Tobias Bilz ist einer von ihnen.

Von sinkenden Gemeindemitgliederzahlen will sich Tobias Bilz nicht entmutigen lassen. Klar weiß der sächsische Oberlandeskirchenrat: "Man kann nicht mal eben Menschen zu Christen machen." Doch für die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens wünscht er sich neuen Schwung. Denn, davon ist Bilz überzeugt, "die Bedeutung einer Kirche misst sich nicht an der Anzahl ihrer Mitglieder, sondern an ihrer Wirksamkeit."

Der 55-jährige Theologe ist einer von drei Kandidierenden für das Amt des sächsischen Landesbischofs. Mit ihm treten bei der Wahl Ende Februar die Plauener Superintendentin Ulrike Weyer (46) und der Meißener Superintendent Andreas Beuchel (56) an. Seit dem Ausscheiden von Landesbischof Carsten Rentzing am 31. Oktober ist das Amt vakant.

2015 kandidierte Bilz bereits für das höchste geistliche Amt in der Landeskirche. "Beim ersten Mal bin ich ein bisschen leichtfüßiger reingegangen", sagt er. Er habe "schon sehr gründlich überlegt", ob er noch einmal antreten soll. Bei der Wahl vor knapp fünf Jahren unterlag er Rentzing nur knapp.

Dieser hatte das Amt im Herbst 2019 überraschend zur Verfügung gestellt, nachdem seine Mitgliedschaft in einer schlagenden Verbindung bekanntgeworden war. Einen Tag nach seinem Rücktritt wurde öffentlich, dass er als Student für die rechtskonservative Zeitung "Fragmente" geschrieben hatte. Von ihm verfasste Texte stufte das Dresdner Landeskirchenamt als "elitär, in Teilen nationalistisch und demokratiefeindlich" ein.

Nach dem Bischofsrücktritt sei entscheidend, dass die Menschen miteinander reden, sagt Bilz. Eine Einordnung in Gruppen oder "Lager", in konservativ oder liberal, sollte seiner Ansicht nach grundsätzlich überwunden werden. Es brauche so etwas wie eine Aufarbeitungszeit.

"Ich stelle mir vor, dass man zu den Menschen hingeht, die in diesem Prozess in eine Frontstellung geraten sind und dass man sich gegenseitig erzählt, wie man den Herbst 2019 erlebt hat", sagt Bilz." Da brauche es die direkte Begegnung.

Im sächsischen Landeskirchenamt ist der Theologe seit 2019 für Seelsorge, Gemeindeaufbau und Medien sowie die Kirchlichen Werke zuständig. Zuvor war der gebürtige Sachse, der gern wandert und liest, Landesjugendpfarrer. Er ist bekannt dafür, dass ihm die Sache stets wichtig ist, er als Person auch mal zurücktreten kann.

Bilz wurde 1964 in Dornreichenbach bei Wurzen geboren. Nach der Schulzeit entschied er sich für eine Ausbildung zum Instandhaltungsmechaniker in einer Werkzeugfabrik in Altenburg. 1983 nahm er ein Theologiestudium in Leipzig auf.

Die Segnung homosexueller Paare in einem Gottesdienst lehnt er nicht grundsätzlich ab. "Jede Sichtweise hat Schutz und Raum - wir müssen es akzeptieren, dass wir hier eine verschiedene Sichtweise auf die Dinge haben", sagt er. In der sächsischen Landeskirche wird die Praxis einer öffentlichen Segnung homosexueller Paare den Pfarrerinnen und Pfarrern selbst überlassen. Sie sollen nach ihrem Gewissen - in Abstimmung mit der Kirchgemeinde - entscheiden.

Bilz gehört seit seiner Studienzeit zur Bruderschaft Liemehna. Das ist ihm zufolge eine geistliche Gemeinschaft von Frauen und Männern, die aus einer Wohngemeinschaft von Theologiestudenten in den 1970er Jahren im Pfarrhaus Liemehna hervorgegangen sei.

Dass sich Kirche zu gesellschaftspolitischen Dingen äußern muss, davon ist er überzeugt. "Es ist erstaunlich, wie viele Menschen in der säkularen Gesellschaft sich wünschen, dass sich die Kirche zu Wort meldet", sagt er. Spannungen zwischen verschiedenen Positionen gebe es in der Gesellschaft wie in der Kirche.

Wenn Christen "positiv in die Gänge kommen", dann seien sie in der Lage der Gesellschaft zu sagen, wie diese mit den Spannungen umgehen kann. Bischofskandidat Bilz findet: "Wir reden von einer individualisierten Gesellschaft, dann passt der lutherische Glaube, wo die Verantwortung des Einzelnen im Mittelpunkt steht, perfekt in unsere Zeit."

Von Katharina Rögner (epd)


Sächsische Synode wählt neue Bischöfin oder neuen Bischof

Die Synode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens tritt vom 28. Februar bis 1. März zu einer Sondertagung zusammen. Vier Monate nach dem Rücktritt von Landesbischof Carsten Rentzing (52) wählt das Kirchenparlament eine neue Bischöfin oder einen neuen Bischof, wie die Landeskirche am 21. Februar in Dresden mitteilte. Um das höchste geistliche Amt bewerben sich die Plauener Superintendentin Ulrike Weyer (46), Oberlandeskirchenrat Tobias Bilz (55) und der Meißener Superintendent Andreas Beuchel (56).

Gewählt wird in geheimer Abstimmung. In den ersten beiden Wahlgängen ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich. Danach reichen für einen Wahlsieg mehr als die Hälfte der abgegebenen gültigen Stimmen. Zwischen den einzelnen Wahlgängen ist laut Kirchengesetz eine Pause von mindestens drei Stunden erforderlich. Das Bischofsamt ist jeweils auf zwölf Jahre beschränkt.

Rentzing war zum 31. Oktober aus dem Amt geschieden, nachdem antidemokratische Texte aus seiner Studienzeit öffentlich bekanntgeworden waren. Bischofskandidat Beuchel wurde von Synodalen vorgeschlagen, die beiden anderen Bewerber von der Kirchenleitung.

Am 28. Februar werden sich die drei Kandidierenden zunächst den insgesamt 80 Synodalen vorstellen. Die Wahl ist für den 29. Februar vorgesehen und wird - wenn weitere Wahlgänge nötig sind - am 1. März fortgesetzt. Bilz kandidierte bereits 2015 bei der Bischofswahl in Sachsen und unterlag Rentzing nur knapp. Weyer war 2019 bei der Bischofswahl in der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) angetreten und verlor gegen Amtsinhaber Friedrich Kramer.



Bischof Stäblein ruft zu Eintreten gegen rassistische Gewalt auf


Christian Stäblein
epd-bild/Christian Ditsch
Der evangelische Bischof Christian Stäblein hat nach dem Anschlag in Hanau zu einem entschlossenen Eintreten gegen Hass und gegen rassistische Gewalt aufgerufen.

Der evangelische Bischof Christian Stäblein hat nach dem Anschlag in Hanau zu einem entschlossenen Eintreten gegen Hass und gegen rassistische Gewalt aufgerufen. "Die offenkundig rassistische, fremdenfeindliche, menschenverachtende Gedankenwelt des Täters macht deutlich, worum es für uns gehen muss: aufzustehen gegen Menschenverachtung in diesem Land, aufzustehen gegen rechtsextremistischen Hass und Hetze, wie sie sich auf den Straßen und im Netz immer mehr breit machen", betonte der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz am 22. Februar in seine Bischofskolumne im Sender rbb 88,8.

"Wir dürfen vor den Zusammenhängen nicht die Augen verschließen", forderte Stäblein weiter. Ebenso könne nicht länger darauf vertraut werden, "dass sich die Dinge schon irgendwie von selbst regeln werden". Der Bischof erklärte: "Was wenn nicht? Nein, es braucht ein entschlossenes Eintreten gegen den Hass, gegen rassistische Gewalt."

Bei dem Anschlag in Hanau am Mittwochabend waren neun Menschen mit Migrationshintergrund ermordet worden. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte die Gewalttat als rassistisch motivierten Terroranschlag eingestuft. Die Polizei fand den mutmaßlichen Täter und dessen Mutter später tot in deren Wohnung.



Bedford-Strohm: "Fassungslos angesichts der Gewalttat von Hanau"


Mahnwache mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf dem Marktplatz in Hanau
epd-bild/Tim Wegner

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, hat sich fassungslos angesichts des Gewaltverbrechens von Hanau gezeigt. Wenn sich bewahrheite, was sich jetzt abzeichne, sei diese "Gewalttat ein trauriger Beleg für die brutalen Konsequenzen des Gifts, das rechtspopulistische und rechtsextreme Kreise zu streuen versuchen", schrieb Bedford-Strohm am 20. Februar bei Facebook. "Wer Rassismus und Ausländerfeindlichkeit sät, muss auch damit rechnen, dass daraus brutale Gewalt erwächst."

Auch der Weltkirchenrat verurteilte den Anschlag von Hanau scharf. Extremismus und Hass dürften keinen Platz in unserer Welt haben, erklärte der Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen, Olav Fykse Tveit, am 20. Februar in Genf. Die Welt müsse zusammenstehen, um derartige Gewalttaten zu verhindern, unterstrich Tveit.

Die Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Beate Hofmann, sprach den muslimischen und jüdischen Gemeinden in Hessen angesichts der rassistisch motivierten Morde in Hanau ihre Solidarität. Sie betonte in einem am 21. Februar veröffentlichten Schreiben, evangelische Christen verurteilten Rassismus und träten für ein friedliches Zusammenleben ein. Der christliche Glaube widerspreche rassistischem Denken und fördere die Würde aller Menschen. Das Schreiben schließt mit den Worten: "Unsere Gedanken und Gebete sind bei den betroffenen Familien, Freundeskreisen und Gemeinschaften. Wir stehen an Ihrer Seite. Friede sei mit Ihnen - Salam aleikum - Schalom".

Rund 2.000 Menschen gedachten am Abend des 20. Februar bei einer Mahnwache auf dem Hanauer Marktplatz der Opfer des Terroranschlags. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier drückte den Angehörigen sein Mitgefühl und seine Solidarität aus. Der "brutale Terroranschlag" in der hessischen Stadt mache "fassungslos, traurig und zornig". Er erinnere in fataler Weise an den Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke sowie an den Anschlag auf die Synagoge in Halle.



Landesbischof Kramer plädiert für "Ethik des Genug"


Friedrich Kramer
epd-bild/Matthias Rietschel

Die diesjährige evangelische Fastenaktion von Aschermittwoch, 26. Februar, bis Karsamstag, 11. April, steht unter dem Motto "Zuversicht! Sieben Wochen ohne Pessimismus". Die Fastenzeit biete die Möglichkeit, auszuprobieren und zu spüren, "dass weniger mehr ist", sagte der Bischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), Friedrich Kramer, am 19. Februar in Magdeburg. "Wir brauchen eine Ethik des Genug. Es lohnt sich, Dinge wegzulassen, die lebenszerstörerisch und zu viel sind", so der Landesbischof.

Mit dem Aschermittwoch beginnt nach christlicher Tradition die 40-tägige Vorbereitungszeit auf das Osterfest. In einer Internet-Umfrage will die EKM unter ekmd.de wissen, auf was die Menschen in Mitteldeutschland in diesem Jahr zur Fastenzeit verzichten wollen. Zur Auswahl stehen Süßigkeiten, Alkohol, Fleisch, Tabak, Sex, Autofahren, Pessimismus, Müll und Kaffee. Mehrfachnennungen sind möglich.

Am Aschermittwoch lädt die Gemeinde Dieskau im Kirchenkreis Halle-Saalkreis zu einem Regionalgottesdienst (18 Uhr) mit der Möglichkeit zur Beichte ein. Einen Ökumenischen Gottesdienst (19 Uhr) mit Asche-Ritus feiert die Johannesgemeinde Halle am Aschermittwoch in der Kirche Heiligste Dreieinigkeit. Im Naumburger Dom gibt es an jedem Samstag (18 Uhr) in der Passionszeit Andachten mit Musik.

Die Jugendlichen des Kirchenkreises Naumburg-Zeitz veranstalten am 14. März (10 Uhr) einen Jugendkreuzweg rund um Roßbach. Die Teilnehmer machen an mehreren Stationen Halt, schweigen, singen Lieder und hören kurze Andachten.



Kirche unterstützt Flüchtlinge auf dem Balkan

Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens stellt 10.000 Euro Winter-Soforthilfe für Flüchtlinge auf dem Balkan bereit. Das Geld gehe an den christlichen Verein Hilfe Konkret e.V., teilte die Landeskirche am 19. Februar in Dresden mit. Unterstützung vor Ort, etwa in Bosnien und Kroatien, ist demnach dringend notwendig.

Laut dem Verein ist die Situation etwa in der bosnischen Region Bihać weiterhin katastrophal, wie die Landeskirche erklärte. Wegen fehlender Nachfolgeeinrichtungen etwa für das Ende vergangenen Jahres geräumte Camp Vucjak hielten sich noch mehr als 8.000 Flüchtlinge in Bosnien auf und seien weitgehend auf sich selbst gestellt. Viele seien im Freien unterwegs, lebten im Wald oder in leerstehenden Gebäuden.

Die offiziellen Strukturen seien derweil nicht in der Lage, Verbesserungen einzuleiten oder auf einzelne Leute einzugehen, hieß es weiter. Benötigt werden demnach unter anderem Lebensmittel, Hygieneartikel und Soforthilfe für soziale Härtefälle.

Der Verein Hilfe Konkret ist laut Landeskirche seit mehr als 25 Jahren auf dem Westbalkan aktiv. Mit Hilfe lokaler Nichtregierungsorganisationen unterstütze er unter anderem Flüchtlinge und Asylsuchende, soziale Härtefälle und Randgruppen wie Roma.



Amtsübergabe an Spitze der Leopoldina


Nationale Akademie der Wissenschaften in Halle
epd-bild/Steffen Schellhorn
Die Nationalakademie Leopoldina mit Hauptsitz in Halle berät Politik und Gesellschaft zu wichtigen Zukunftsfragen. Bei einem Festakt wurde nun die Amtskette an den neuen Präsidenten übergeben.

Der Klimaforscher Gerald Haug steht künftig an der Spitze der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Bei einem Festakt zur Amtsübergabe am 20. Februar in Halle wurde ihm offiziell die Amtskette von seinem Vorgänger, dem Mikrobiologen Jörg Hacker, übergeben, wie die Leopoldina in Halle mitteilte. Haug ist für fünf Jahre gewählt und tritt das Amt am 1. März an.

Hacker leitete die Akademie zehn Jahre lang und scheidet nach zwei Amtszeiten turnusgemäß aus. In Vertretung von Bundeskanzlerin Angela Merkel hielt Staatsminister Hendrik Hoppenstedt (beide CDU) eine Ansprache und hob die Bedeutung der Leopoldina hervor. Ein persönliches Gespräch mit Merkel soll in Berlin nachgeholt werden. Merkel hatte ihre Teilnahme nach der Gewalttat in Hanau kurzfristig abgesagt. Für die Opfer in Hanau wurde auf dem Festakt in Halle eine Schweigeminute eingelegt.

Gerald Haug, Jahrgang 1968, ist Klimaforscher, Geologe und Paläo-Ozeanograph. Er wurde 2012 als Mitglied in die Leopoldina in der Sektion Geowissenschaften aufgenommen und arbeitete unter anderem als Direktor am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz und als Professor an der Eidgenössisch-Technischen Hochschule (ETH) Zürich.

Als Themenbereiche mit hoher Priorität nannte Haug in seiner Rede den Klimawandel, die Digitalisierung und die globale Gesundheit. Mit Blick auf die wissenschaftsbasierte Politikberatung der Leopoldina sagte er, "wir müssen in der Lage sein, auf nationaler wie internationaler Ebene gesellschaftlich brennende Themen innerhalb weniger Wochen zu bearbeiten, selbstverständlich unabhängig und verlässlich."

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) gratulierte dem neuen Präsidenten, auch unter seiner Führung werde die Leopoldina "das offizielle Sprachrohr und die deutsche Stimme der Wissenschaft auf internationaler Ebene" sein. Zugleich hob Haseloff die Bedeutung der Leopoldina für die wissenschaftsbasierte Politikberatung hervor. "Wichtige Impulse in diese Richtung werden auch künftig von der Leopoldina ausgehen", sagte Haseloff. Als Nationalakademie nehme sie eine Brückenfunktion zwischen Wissenschaft und Gesellschaft wahr.

Mit ihren rund 1.600 Mitgliedern aus mehr als 30 Ländern vereinigt die Leopoldina Expertise aus nahezu allen Wissenschaftsbereichen. Die Leopoldina wurde 1652 gegründet und 2008 zur Nationalen Akademie der Wissenschaften Deutschlands ernannt. Seit der Ernennung zur Nationalakademie wird das Präsidentenamt hauptamtlich wahrgenommen. Während der deutschen Teilung war die Leopoldina die einzige weiter bestehende gesamtdeutsche naturwissenschaftliche Akademie. Ihren Hauptsitz behielt sie in Halle, der Sitz in der Bundesrepublik war in Schweinfurt.



Franckesche Stiftungen wollen "Berge versetzen"

Mit ihrem neuen Jahresprogramm will sich die Bildungseinrichtung in Halle weiter als ein Ort des regen Meinungsaustausches und der Diskussionskultur zeigen. Bürgerschaftliches Engagement bildet den thematischen Rahmen der Veranstaltungen.

Die Franckeschen Stiftungen in Halle stellen das bürgerschaftliche Engagement in den Mittelpunkt ihres diesjährigen Jahresprogramms. "Unter dem Titel 'Berge versetzen' wollen wir uns mit der Tatkraft in Geschichte und Gegenwart auseinandersetzen", sagte Stiftungs-Direktor Thomas Müller-Bahlke am 19. Februar in Halle. Die Gesellschaft sei auf bürgerschaftliches Engagement als Lebenselixier angewiesen. Aus einem solchen Engagement heraus sei Ende des 17. Jahrhunderts die Schulstadt entstanden und dann vor 30 Jahren auf Initiative des Freundeskreises wiederbelebt worden.

Dem 30. Gründungsjubiläum des Freundeskreises ist auch die Francke-Feier vom 19. bis 22. März gewidmet, die erstmals auf vier Tage ausgedehnt wird. Die Festrede soll am 21. März der Philosoph Julian Nida-Rümelin halten. Die Jahresausstellung würdigt vom 28. Juni bis 28. Februar 2021 unter dem Titel "Am Abgrund der Zeit. Erdgeschichten und die Anfänge der Geologie" den Wissenschaftler Johann Christian Keferstein (1784-1866) aus Halle. Keferstein gab 1821 die erste geologische Karte Deutschlands heraus und etablierte damit den Angaben zufolge ein teilweise bis heute gültiges Farbsystem für die unterschiedlichen Gesteinsarten. Entwickelt hatte es Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832).

Zu den neuen Angeboten gehören unter anderem die Paul-Raabe-Vorlesung, die bisher in der Klassik-Stiftung Weimar beheimatet war, sowie eine Sommerschule für Nachwuchswissenschaftler aus verschiedenen Ländern. Müller-Bahlke kündigte an, gemeinsam mit der Kunstkamera in Sankt Petersburg und seiner völkerkundlichen Sammlung ein "europäisches Netzwerk für Wunderkammerforschung" etablieren zu wollen. Im Historischen Waisenhaus der Stiftungen befindet sich den Angaben zufolge die europaweit einzige, am originalen Standort vollständig erhaltene barocke Wunderkammer bürgerlichen Ursprungs. Er strebe ein "Netzwerk mit Leuchtturmeinrichtungen" aus Österreich, Bologna und St. Petersburg an, sagte Müller-Bahlke. Ziel sei auch ein Kataster von Wunderkammern: "Wir betreten damit Neuland."

Die Franckeschen Stiftungen zu Halle wurden 1698 als pietistisches Sozial- und Bildungswerk von dem evangelischen Theologen und Pädagogen August Hermann Francke (1663-1727) gegründet. Die öffentlich-rechtliche Stiftung versteht sich als eine vom christlichen Geist geprägte Einrichtung, die Menschen aller Schichten aus dem In- und Ausland eine umfassende Bildung und die Fähigkeit zum sozialen Handeln vermitteln will. Das barocke Gebäudeensemble beherbergt heute mehr als 40 kulturelle, soziale, wissenschaftliche, pädagogische und christliche Einrichtungen.

Mit rund 100 Veranstaltungen im Jahr und touristischen Angeboten werden den Angaben zufolge etwa 120.000 Besucher angezogen. Müller-Bahlke sprach von einem "pulsierenden Bildungskosmos". Der Wiederaufbau des historischen Gebäudeensembles soll im kommenden Jahr abgeschlossen werden. In diesem Jahr sollen noch drei Gebäude aus dem 18. Jahrhundert saniert werden, die ehemalige Druckerei und zwei Feldscheunen. Darin sollen dann zusätzliche Büro- und Veranstaltungsräume entstehen.



Gustav-Adolf-Werk sammelt für Pflege in Rumänien

Die Frauenarbeit des Gustav-Adolf-Werks (GAW) will Spenden zur Unterstützung der Pflege von Senioren und Menschen mit Behinderung in Rumänien sammeln. Das habe die Arbeitsgemeinschaft der Frauenarbeit des evangelischen Hilfswerks beschlossen, teilte das GAW am 17. Februar in Leipzig mit. Das diesjährige sogenannte Jahresprojekt der Frauenarbeit steht demnach unter dem Motto "Wer ist denn meine Nächste?". Zur Unterstützung von Diensten, Gemeinden und Heimen in dem südosteuropäischen Land sollen insgesamt 95.000 Euro gesammelt werden.

"Die schwierige Situation der Pflegebranche in Rumänien ist unter anderem eine Folge der deutschen Pflegepolitik, die eigene Probleme durch Anwerben der Pflegekräfte aus anderen Ländern löst", erklärte das Hilfswerk. Die Pflegedienste der Diakonie in Rumänien benötigten dringend Unterstützung, um weiter für kranke Menschen auf den Dörfern sorgen zu können.

Das GAW wurde 1832 in Leipzig gegründet und unterstützt im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) protestantische Kirchen in der Diaspora. Jährlich fließen nach Angaben des Werks rund zwei Millionen Euro an Spendengeldern an die Partnerkirchen. Das Hilfswerk erinnert mit seinem Namen an den lutherischen schwedischen König Gustav II. Adolf (1594-1632), der als Verteidiger des Protestantismus gilt.



Andacht erinnert an Opfer der Erfurter Bombennacht

Das Erfurter Evangelische Augustinerkloster lädt am 25. Februar zu einer Gedenkandacht für die Opfer des Luftangriffs vor 75 Jahren ein. Mit einer Andacht im "Haus der Versöhnung" soll an die Opfer erinnert werden, teilte die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) am 18. Februar in Erfurt mit. Am 25. Februar 1945 kamen im Keller der ehemaligen Klosterbibliothek 267 Menschen ums Leben. An dem Gedenktag soll für Frieden und Versöhnung gebetet werden, kündigte Augustinerpfarrer Bernd Prigge an. Etwa 30 Schüler würden die Namen der Opfer vorlesen und jeweils eine Kerze anzünden.

"Der 25. Februar 1945 gilt als der schwärzeste Tag des Augustinerklosters", sagte der Pfarrer. Wenn Schüler erstmals die Namen aller Opfer verlesen, werde es sicher besonders bedrückend sein, dass viele denselben Nachnamen tragen. "Man spürt, dass zahlreiche Familien ausgelöscht wurden", so Prigge.

Kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges begannen couragierte Erfurter mit den Aufräumarbeiten. Bereits 1946 starteten die ersten Arbeiten zum Wiederaufbau der Kirche, des stark zerstörten Westflügels, des Laubenganghauses sowie des Gästehauses. 2002 wurden laut Prigge die Grundmauern der Bibliothek restauriert und teilweise rekonstruiert. Im Sommer 2008 begann der Wiederaufbau für rund 5,1 Millionen Euro. Am 27. August 2010 wurde die Wiedereinweihung der ehemaligen Bibliothek gefeiert. 2008 wurde das Augustinerkloster erstes Mitglied der internationalen Nagelkreuz-Gemeinschaft in Thüringen und damit Teil dieser weltweiten Bewegung für Frieden und Versöhnung.



Verein startet Vorbereitungen für "Christival" 2022 in Erfurt

Gut zwei Jahre vor dem nächsten "Christival" in Erfurt ist der Trägerverein mit einem verjüngten Vorstand und 15 inhaltlichen Arbeitsgruppen in die Vorbereitung des Jugendkongresses gestartet. Schon jetzt seien über 150 Mitarbeitende an der Planung des christlichen Events beteiligt, sagte Projektleiter Chris Pahl nach der zweitägigen Mitgliederversammlung am 19. Februar in Erfurt. In der Landeshauptstadt werden vom 25. bis 29. Mai 2022 etwa 12.000 junge Christen zu dem alle sechs Jahre stattfindenden Treffen erwartet.

Neu zum Vorstand gehören nach Pahls Angaben die Redaktionsleiterin des christlichen Magazins für junge Leute "dran", Julia Kallauch, die Jugendreferentinnen Esther Nett (Neumünster) und Johannina Wenk (Berlin) sowie der Hausvater der Wuppertaler Evangelistenschule "Johanneum", Christoph Höcht. Der Vorstand bekomme damit neue Kompetenz, Frauenpower und Verjüngung. "Das wird uns gut tun", sagte der Vereinsvorsitzende Karsten Hüttmann vom CVJM in Kassel. Er dankte Julia Garschagen vom Zacharias-Institut in Köln und Martin Werth, dem Direktor des "Johanneums", für ihren langjährigen Einsatz im Vorstand. Beide hätten sich nicht wieder zur Wahl gestellt.

Ziel des alle sechs Jahre stattfinden "Christival" ist es nach eigenen Angaben junge Christen zwischen 14 und 24 Jahren in ihrem Glauben zu stärken und sie zu ermutigen, diesen in Kirche und Gesellschaft zu leben. Zum Veranstaltungskonzept gehören Gottesdienste, Gesprächsgruppen, Konzerte, Workshops und kreative Angebote verteilt über das Stadtgebiet. Erfurt wird der siebente Veranstaltungsort seit der Premiere 1976 in Essen sein.



Trauung für alle?


Nur wenige homosexuelle Paare heiraten kirchlich
epd-bild/Stephan Wallocha
Fast überall in Deutschland können schwule oder lesbische Paare jetzt in einer evangelischen Kirche heiraten. Doch viele Paare machen von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch. Was sind die Gründe für die Ablehnung?

Der Bonner Pfarrer Oliver Ploch hat in den vergangenen zwölf Jahren seiner Dienstzeit zwei schwule Paare in einem Gottesdienst gesegnet - und das als offen schwul lebender Pfarrer in einer deutschen Großstadt, noch dazu im Rheinland, wie er selbst sagt. Seine Landeskirche, die Evangelische Kirche im Rheinland, hat die gottesdienstliche Begleitung von Paaren gleichen Geschlechts bereits im Jahr 2000 eingeführt, also noch vor der Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaft.

Obwohl gleichgeschlechtliche Paare nicht nur standesamtlich heiraten können, sondern sich in den meisten evangelischen Gemeinden in Deutschland auch trauen lassen können, treten nur sehr wenige tatsächlich vor den Altar. Die Zivilehe für Schwule und Lesben hat auch den Umgang vieler evangelischer Landeskirchen in Deutschland mit gleichgeschlechtlichen Paaren verändert. Im vergangenen Jahr wurde gleich in sechs Landeskirchen auch die Trauung für alle eingeführt, unter anderem in der mitgliederstärksten Landeskirche Hannover.

2017 wurde die Ehe für alle im Bundestag beschlossen. Etwa 33.000 Paare gaben sich zwischen dem 1. Oktober 2017 und Ende 2018 nach Angaben des Statistischen Bundesamts das Ja-Wort oder ließen ihre eingetragene Lebenspartnerschaft in eine Ehe umwandeln. Ein vergleichbarer Anstieg bei kirchlichen Trauungen blieb aber aus. Das ergab eine Umfrage des Evangelischen Pressedienst (epd) unter den 20 Landeskirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Nur sieben Landeskirchen haben überhaupt Zahlen über gleichgeschlechtliche Trauungen und Segnungen erhoben. Aber diese lassen einen Trend erkennen: In der badischen Landeskirche, wo es die Trauung für gleichgeschlechtliche Paare seit 2016 gibt, ließen sich demnach jährlich zwischen 20 und 30 Paaren trauen. Damit liegt ihr Anteil bei unter einem Prozent.

In der Evangelischen Kirche von Westfalen, wo die Trauung für alle seit Januar gilt, ließen sich 27 Paare im Jahr 2018 segnen, 2017 waren es 25. In Hessen-Nassau können Paare gleichen Geschlechts seit 2013 kirchlich heiraten. Davon machten 218 Paare bis Ende 2017 Gebrauch. Im gleichen Zeitraum gab es dort rund 19.000 Trauungen heterosexueller Paare. Damit lag der Anteil gleichgeschlechtlicher Trauungen bei knapp über einem Prozent.

Die 20 evangelischen Landeskirchen regeln die Trauung und Segnung gleichgeschlechtlicher Paare unterschiedlich. In 14 Landeskirchen ist die Segnung der Trauung mittlerweile gleichgestellt. In der Landeskirche Schaumburg-Lippe ist eine Segnung bislang nur in privatem Rahmen, aber nicht in einem Gottesdienst möglich. Im Herbst soll dort das Kirchenparlament über eine mögliche Änderung beraten. Die meisten Landeskirchen erheben die Zahl der Trauungen und Segnungen nicht gesondert in ihrer kirchlichen Statistik. Entweder weil sie Segnungen nicht als Amtshandlungen zählen oder weil sie nicht zwischen den Trauungen unterscheiden.

Dass nur wenige Paare den Schritt vor den Traualter machen, hat laut Pfarrer Ploch drei Gründe: Als erstes nennt er die zunehmende Säkularisierung, von der auch Schwule und Lesben betroffen seien. Die Zahl kirchlicher Trauungen habe in den vergangenen Jahren abgenommen. Zum zweiten hätten viele Schwule und Lesben schlechte Erfahrungen mit der Kirche gemacht. Sie seien in der Vergangenheit ausgegrenzt und diskriminiert worden. Und drittens gebe es unter der älteren Generation von Schwulen und Lesben auch eine Ablehnung "heteronormativer Ideale" wie der Ehe.

Die Studierendenpfarrerin Kerstin Söderblom aus Mainz kennt noch zwei weitere Gründe: Dass nur so wenige Schwule und Lesben sich trauen lassen, sei auch auf ein Problem der Kirchen mit dem Selbst-Marketing zurückzuführen. "Es sind oft die Negativbeispiele in den Medien", sagt sie. So sei über die Schwierigkeiten der württembergischen Landeskirche, eine Regelung zu finden, lang und breit berichtet worden. Positive Beispiele wie die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau würden kaum erwähnt.

Ein weiteres Problem kennt sie aus der Seelsorge. Sie trifft in ihrer Arbeit immer wieder Lesben und Schwule aus frommen und evangelikal geprägten Milieus, die Homosexualität ablehnen und als sündig oder pervers diskriminieren. Gerade die jüngeren Frommen und kirchlich Hochverbundenen suchten nach Segen und Zuspruch, würden aber in ihren Gemeinen oft enttäuscht. "Wer einmal so eine Erfahrung gemacht hat, geht nicht einfach in die nächste evangelische Gemeinde", sagt sie.

Das größte Hemmnis besteht für Oliver Ploch aber darin: "Heutzutage ist es leichter zu sagen, schwul zu sein als evangelisch oder Christ", sagt er. Kirchlich zu heiraten sei bis heute ein Bekenntnis, zu dem offenbar nur eine Minderheit in der schwul-lesbischen Community bereit sei - ebenso wie in der übrigen Gesellschaft.

Von Franziska Hein (epd)


Wenige gleichgeschlechtliche Trauungen in einzelnen Landeskirchen

In fast allen evangelischen Gemeinden in Deutschland können sich schwule und lesbische Paare segnen oder trauen lassen. Doch diese Möglichkeit nehmen nur wenige Paare in Anspruch: Wenige hundert Paare traten bisher vor den Traualtar.

Nur wenige gleichgeschlechtliche Ehepaare lassen sich nach ihrer Eheschließung auch kirchlich segnen. Das ergab eine Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) unter den 20 evangelischen Landeskirchen in Deutschland. Zwar haben nur sieben Landeskirchen Daten zur Zahl der gleichgeschlechtlichen Ehepaare erhoben. Doch daran lässt sich ein deutlicher Trend ablesen.

In der badischen Landeskirche ließen sich seit der Gleichstellung von heterosexuellen und gleichgeschlechtlichen Paaren jährlich zwischen 20 und 30 Paare trauen. Der Anteil solcher Paare beträgt deutlich unter einem Prozent. In der Evangelischen Kirche von Westfalen, wo seit Januar die Trauung für alle gilt, ließen sich 27 gleichgeschlechtliche Paare im Jahr 2018 segnen. In der lippischen Landeskirche, der drittkleinsten, gab es 2018 lediglich eine Segnung. In der sächsischen Landeskirche gab es 2018 zehn Segnungen.

In der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, wo es die Trauung für homosexuelle Paare bereits seit 2013 gibt, ließen sich 218 Paare zwischen 2013 und 2017 trauen. Im selben Zeitraum gab es rund 19.000 Trauungen heterosexueller Paare. Zwischen 2002 und 2012 ließen sich nach Schätzungen der Landeskirche insgesamt etwa 150 gleichgeschlechtliche Paare segnen. Im selben Zeitraum fanden 46.000 Trauungen heterosexueller Paare statt.

In der Landeskirche Anhalts kam es seit 2015, seit dort Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare in einem Gottesdienst erlaubt sind, lediglich zu einer Segnung anlässlich einer Eheschließung zweier Frauen. Dass die Mehrheit der Landeskirchen keine Zahlen über Trauung oder Segnung gleichgeschlechtlicher Paare mitteilen konnte, hat zwei Gründe: Dort, wo Trauung und Segnung gleichstellt wurden, werden die Trauungen von Paaren gleichen Geschlechts nicht gesondert gezählt - im Sinne des Gleichheitsgrundsatzes. Dort, wo nur Segnungsgottesdienste möglich sind, wurden diese in der Regel gar nicht gezählt.

2017 beschloss der Bundestag die Ehe für alle und stellte damit Lebenspartnerschaft und Ehe gleich. Vom 1. Oktober 2017 bis Ende 2018 schlossen nach Angaben des Statistischen Bundesamts knapp 33.000 schwule und lesbische Paare die Ehe. Höher als die Zahl der neuen Eheschließungen war die Zahl der Umwandlungen von Lebenspartnerschaften: Davon gab es knapp 21.500.

Die 20 evangelischen Landeskirchen regeln die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare unterschiedlich. In 14 Landeskirchen sind Segnung und Trauung grundsätzlich gleichgestellt, in fünf Landeskirchen können sich Paare in einem Gottesdienst segnen lassen. In der Landeskirche Schaumburg-Lippe ist eine Segnung bislang nur in einem privaten Rahmen, nicht aber in einem Gottesdienst möglich. Im Herbst soll das Kirchenparlament dort nach Angaben der Landeskirche aber über die Einführung einer Segnung abstimmen. Die Union Evangelischer Kirchen (UEK), ein Zusammenschluss aus 15 Landeskirchen, will noch in diesem Jahr eine eigene Trauordnung für Paare gleichen Geschlechts einführen. Die katholische Kirche lehnt eine Segnung oder gar Trauung gleichgeschlechtlicher Paare ab.



Landeskirchen regeln Trauungen homosexueller Paare unterschiedlich

Jede der 20 evangelischen Landeskirchen hat die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare für sich geregelt. In den meisten Landeskirchen sind gleichgeschlechtliche und heterosexuelle Paare jetzt komplett gleichgestellt. Um dem Rechnung zu tragen, hat die Union Evangelischer Kirchen (UEK), ein Zusammenschluss aus 15 Landeskirchen, im November 2019 beschlossen, im Jahr 2020 eine eigene Trauordnung für gleichgeschlechtliche Paare zu veröffentlichen.

Die Segnung ist mittlerweile fast überall möglich. Lediglich in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Schaumburg-Lippe darf eine Segnung bislang nur im persönlichen Rahmen, nicht aber in einem Gottesdienst geschehen. Fast jede Landeskirche sieht aber vor, dass Gemeinden und Pfarrer nicht dazu gezwungen werden können, gleichgeschlechtlichen Paaren ihren Segen zu geben.

Bislang entspricht in 14 Landeskirchen (Stand: Februar 2020) die Segnung nun einer kirchlichen Trauung und ist damit auch eine Amtshandlung, die in einem Gottesdienst passiert. Dazu zählen: Die Evangelische Kirche im Rheinland, die Lippische Landeskirche, die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers, die Evangelische Kirche der Pfalz, die Evangelische Landeskirche Baden, die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, die Bremische Evangelische Kirche, die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau, die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck, die Evangelisch-Lutherische Kirche in Oldenburg, die Evangelisch-reformierte Kirche, die Nordkirche, die westfälische Landeskirche und die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland, wo allerdings die Gemeinden entscheiden dürfen, wie sie mit gleichgeschlechtlichen Paaren umgehen.

In vier Landeskirchen sind Segnungen in Gottesdiensten möglich. Sie sind keine Trauungen und damit auch keine Amtshandlung. Segnungen sind in der Evangelischen Landeskirche Anhalts, in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, in der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig und in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens möglich.

Einen Sonderfall stellt die Evangelische Landeskirche in Württemberg dar. Dort war die Diskussion über die Möglichkeit einer Segnung gleichgeschlechtlicher Paare in einem Gottesdienst kompliziert, da es in der Landeskirche zwei komplett konträre Auffassungen gibt. Die Synode hat dort im März 2019 aber beschlossen, dass ab 2020 in bis zu einem Viertel der Gemeinden Segnungsgottesdienste nach einer zivilen Eheschließung angeboten werden können. Es gibt also keine gemeinsame Regel.

In der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Schaumburg-Lippe sind nur nichtöffentliche Segnungen möglich. Allerdings strebt das Kirchenparlament dort auch eine öffentliche Segnung an. Voraussichtlich im Herbst soll der Synode ein Beschlussvorschlag vorliegen.



Christliche Sinnfluencer bilden Netzwerk "yeet"

"Jana glaubt", "Theresa liebt", und ein Pfarrerinnen-Ehepaar sagt "Anders. Amen": Das von der evangelischen Kirche gestartete Netzwerk "yeet" will die Vielfalt des christlichen Glaubens darstellen und hofft, damit junge Menschen zu erreichen.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat unter dem Namen "yeet" ein Netzwerk von Influencern gestartet, um bei jungen Menschen Interesse an Themen rund um den christlichen Glauben zu wecken. Wie das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) in Frankfurt am Main mitteilte, sind die Videos, Podcasts und sonstigen Beiträge der sogenannten Sinnfluencer bei Youtube, Instagram, Spotify und weiteren Anbietern zu sehen. Zum Start am 18. Februar wurde außerdem die Internetseite "www.yeet.de" freigeschaltet.

"yeet" ist ein Ausdruck aus der Jugendsprache. Er stehe dafür, etwas mit Nachdruck und Freude zu tun, sagte GEP-Direktor Jörg Bollmann.

Das Evangelische Content Netzwerk zielt auf junge Menschen zwischen 14 und 29 Jahren und versteht sich als mehrstimmiges Angebot, das vom individuellen Glaubensverständnis der Sinnfluencerinnen und Sinnfluencer geprägt sein soll. Die EKD hatte 2018 bereits den Youtube-Kanal "Jana glaubt" für junge Frauen und Männer gestartet. Das Gesicht des Kanals ist die 21-jährige Studentin Jana Highholder, deren Videos derzeit fast 19.000 Menschen abonniert haben. Im vergangenen Jahr beauftragte der Rat der EKD das GEP mit dem Ausbau des Angebots.

Zum Start gibt es sieben weitere Kanäle neben "Jana glaubt", darunter das Youtube-Format "Anders. Amen" der miteinander verheirateten Pfarrerinnen Ellen und Steffi Radtke aus dem niedersächsischen Eime sowie "Theresa liebt" der Berliner Pfarrerin Theresa Brückner. Christian Engels und Kira Brück gestalten die "Filmshow". Der hessische Pfarrer Jörg Niesner fragt auf Instagram "@wasistdermensch", seine Kollegin Josephine Teske aus Schleswig-Holstein erzählt unter anderem über ihr Familienmodell als getrennt lebende Mutter, die sich die Erziehung der Kinder mit ihrem Ex-Mann aufteilt. Die "Netztheologen" Roman und Chris treffen sich vor dem Mikrofon als Theologe und Technikexperte, während "chrismon"-Redakteur Nils Husmann mit Klimaschutzexperten über Strategien und Alltagstipps zum Umweltschutz spricht.

"yeet" soll weiter wachsen und steht Landeskirchen, christlichen Initiativen und einzelnen Kreativen offen. Sie können sich mit ihren Ideen und Formaten bewerben. Das "yeet"-Team im GEP unterstützt die Sinnfluencerinnen und Sinnfluencer je nach Bedarf und Möglichkeiten durch Vernetzung, Formatentwicklung, redaktionelle Begleitung und Beratung, Technik, Community-Management und Marketing. Die Projektleitung liegt bei Lilith Becker und Thomas Dörken-Kucharz.

Das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) ist die zentrale Medieneinrichtung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), ihrer Landeskirchen und Werke sowie der evangelischen Freikirchen. Zum GEP gehören unter anderem die Zentralredaktion des Evangelischen Pressedienstes (epd), das Monatsmagazin "chrismon" und "evangelisch.de".



Kirchliches Flüchtlingsschiff "Sea-Watch 4" getauft


Die "Poseidon" heißt nun "Sea-Watch 4"
epd-bild/Frank Molter
Nur gut zwei Monate nach der Vorstellung des Plans für ein Flüchtlingsschiff konnte die EKD jetzt die Taufe feiern. Die "Sea-Watch 4" soll Flüchtlinge im Mittelmeer retten.

In Kiel ist am 20. Februar das kirchliche Flüchtlingsschiff auf den Namen "Sea-Watch 4" getauft worden. Es soll vor der Küste Libyens Flüchtlinge vor dem Ertrinken retten. Es sei ein "krasses Zeichen", dass hier Menschen in Gefahr konkret geholfen werden könne, sagte Taufpatin Aminata Touré (Grüne), Vizepräsidentin des schleswig-holsteinischen Landtags, deren Eltern aus Mali geflüchtet waren. Der neue Name des Schiffes, das bislang "Poseidon" hieß, war lange geheim gehalten worden. Es wird künftig von der Rettungsorganisation Sea-Watch betrieben.

Platz für 900 Menschen

Finanziert wurde das Schiff vom Bündnis "United4Rescue", das maßgeblich von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) initiiert wurde. Die "Poseidon" war zuletzt vom Kieler Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung als Forschungsschiff genutzt worden. Für 1,5 Millionen Euro hatte "United4Rescue" das Schiff ersteigert. Etwa 500.000 Euro kosten die Umbauten und der Transport ins Mittelmeer. Mit der Taufe wurde das Schiff offiziell an "Sea-Watch" übergeben.

Die "Sea-Watch 4" ist wesentlich größer als die "Sea-Watch 3", die derzeit im Mittelmeer kreuzt. Etwa 300 Flüchtlinge könne das Schiff im Normalfall unterbringen, sagte Johannes Bayer, Vorstandsvorsitzender von Sea-Watch. Bei akuten Notfällen könnten es für kurze Zeit aber auch bis zu 900 sein. 26 feste und ehrenamtliche Mitarbeiter aus mehreren europäischen Ländern sind auf den jeweils vierwöchigen Einsätzen dabei.

Etwa drei Tage lang wird das neue Schiff noch am Kieler Geomar Zentrum umgebaut, dann wird es für weitere Arbeiten in den spanischen Hafen Burriana überführt. Es wird unter anderem ein Schutzbereich mit 24 Betten speziell für Frauen und Kinder eingebaut.

Segen von Bedford-Strohm

Die Krankenstation umfasst zwei Behandlungsplätze. Für typische Behandlungen sei man vorbereitet, sagte der Berliner Arzt Jan Schill. Die Flüchtlinge seien häufig dehydriert, hätten Wunden von der Bootstour oder Verätzungen durch Kraftstoffe. Eine ärztliche Versorgung wie etwa auf Kreuzfahrtschiffen sei hier aber nicht möglich.

Den kirchlichen Segen erhielt das neue Schiff bei kaltem Nieselregen vom EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm. Mit dem Flüchtlingsschiff werde die Flüchtlingspolitik der EU nicht gelöst, sagte der bayerische Landesbischof. Es sei eine akute Nothilfe. "Man kann Menschen nicht ertrinken lassen. Punkt!" Bleibende Aufgabe von Kirche und Diakonie sei es, Menschen in ihren afrikanischen Heimatländern eine Perspektive zu erarbeiten.

Für viele Menschen sei die "Sea-Watch 4" ein "Schiff ihres Herzens", sagte Bedford-Strohm. Die Unterstützung für das Projekt komme aus der Mitte der Gesellschaft. Er habe bei der Vorstellung des Projekts mit harter Kritik und einem Shit-Storm in den sozialen Medien gerechnet. Er sei völlig überrascht, denn stattdessen habe er einen "Love-Storm" erlebt.

Von Thomas Morell (epd)


Aktiv werden gegen Zukunftsangst


Evangelische Fastenaktion "7 Wochen Ohne"
epd-bild/Heike Lyding
Wie kann man in schwierigen Zeiten zuversichtlich bleiben? Ein Soziologe sagt: Eine "Katastrophenlobby", die alles schwarz sieht, habe es seit jeher gegeben. Tatsächlich gehe es den Menschen immer besser. Aber sie müssen die Probleme auch anpacken.

Der Mann steht auf der Klippe. Er hat die Arme ausgebreitet, als wolle er fliegen, vor ihm das endlose Meer. Das Foto ist eines der Motive im Fastenkalender der evangelischen Aktion "7 Wochen Ohne" zwischen Aschermittwoch (24. Februar) und Ostern. Sie steht dieses Jahr unter dem Motto "Zuversicht - 7 Wochen ohne Pessimismus". Man wolle dazu ermuntern, Zukunftsangst und Misstrauen zu überwinden, schreibt der Geschäftsführer der Aktion, Arnd Brummer: "Mit Zuversicht kann es gelingen, aus Krisen zu lernen und gemeinsam neue Wege zu entdecken."

Tatsächlich könne man aktuell jede Menge Gründe finden, um pessimistisch zu sein, sagt der Marburger Soziologe Martin Schröder: Klimawandel, in manchen Regionen liegt die rechtspopulistische AfD bei 20 Prozent, US-Präsident Donald Trump sorgt mit seiner unberechenbaren Politik für Unruhe. Trotzdem glaubt Schröder, dass wir heute nicht in einer besonders pessimistischen Zeit leben.

"Nichts davon passierte"

Untergangspropheten und eine "Katastrophenlobby" habe es schon immer gegeben, sagt der Wissenschaftler. Karl Marx predigte die komplette Verarmung der Arbeiterklasse, das Gift DDT sollte vermeintlich Tausende Menschen töten, saurer Regen den Wald sterben lassen - "nichts davon passierte", schreibt Schröder in seinem Buch "Warum es uns noch nie so gutging und wir trotzdem ständig von Krisen reden".

Der Soziologe hält sich an Daten und Fakten, um Untergangsszenarien zu widerlegen. Seine Untersuchungen zeigen: Die Welt wird immer besser, und zwar in fast allen Bereichen. Steigende Lebenserwartung, sinkende Kindersterblichkeit. Weltweit weniger Armut, die Zahl der Kriegstoten auf einem historischen Tiefpunkt. Für all das gebe es aber eine Ursache: "Ein Grund, warum die Welt immer besser wird, ist die Tatsache, dass Leute tätig geworden sind", erklärt der Forscher. Die richtige Einstellung laute daher: "Man muss schon was machen und die Herausforderungen angehen."

Eine besondere Verantwortung sieht Schröder bei den Medien. "Sie müssten auch über Erfolge und Dinge, die geklappt haben, reden." Allerdings steckten sie in einem Dilemma. Denn Schlagzeilen machten die Katastrophe, das Verbrechen, der Unfall. Eine sich an den Fakten orientierende und damit auch positive, konstruktive Berichterstattung zahle sich aber aus, sagt der Wissenschaftler.

"Gottvertrauen"

Mit dem Klimawandel kommt eine globale Bedrohung auf die Menschen zu, die sich möglicherweise nicht so einfach bewältigen lässt. Doch auch die Münchner Theologin Susanne Breit-Keßler rät, "voller Gottvertrauen" die Sachen anzupacken und aktiv zu werden. Sie ist die Vorsitzende des Kuratoriums von "7 Wochen Ohne". "Angst und Furcht sind vernünftig, weil man die Gefahr erkennt. Aber dann tut man was", erklärt sie. Es gebe einen Lebensstil, der die Umwelt weniger belastet; es bringe große Freude, sich da "hineinzuknien". Und, betont Breit-Keßler: "Wir können auch zu Wahlen gehen."

Zuversicht und eine positive Lebenseinstellung sind nicht immer leicht zu erreichen, auch nicht in persönlichen Krisen. Aber man könne lernen, bei beängstigenden, schlimmen Nachrichten eine "Haltung der Selbstfürsorge" zu entwickeln, schreibt die Autorin und Dozentin Beate Hofmann im Begleitbuch zur Fastenaktion. Einer ihrer Tipps "für Licht in finsteren Stunden" lautet: "Verzweiflung aussprechen und aufschreiben", zum Beispiel mitten im tiefsten Leid ein Trauerbuch beginnen. Und: "Raus unter den weiten Himmel! Machen Sie ein tägliches, kurzes Ritual daraus."

Von Stefanie Walter (epd)


Jüdische Aufschrift wieder an Berliner Parochialkirche angebracht

Eine in der NS-Zeit entfernte hebräische Aufschrift ist mehr als 80 Jahre danach wieder am Portal der evangelischen Berliner Parochialkirche angebracht worden. Das sogenannte Tetragramm gibt in vier Buchstaben den hebräischen Gottesnamen (JHWH) wieder. Im Schatten des Mordanschlags von Hanau habe das jüdisch-christliche Friedensgebet zur Anbringung der Aufschrift am 21. Februar "einen verstörend aktuellen Bezug erhalten", erklärte die Stiftung House of One im Anschluss.

Ziel der Rückkehr des Tetragramms sei auch, "die Wunden der Vergangenheit zu heilen", erklärte Rabbiner Andreas Nachama, Stiftungsratsvorsitzender des House of One. 1939, als das Tetragramm vom Portal abgeschlagen wurde, "waren schwere Zeiten", betonte Nachama. Auch heute gebe es gefährliche Entwicklungen. "Alle wissen, was in Hanau geschehen ist", betonte der Rabbiner: "Alle wissen, dass wir in schweren Zeiten leben."

Die deutsche Geschichte habe gezeigt, dass Hass nicht auf eine Gruppe begrenzt bleibe, sondern am Ende keinen verschone, sagte Nachama: "Wir alle müssen unsere Stimme erheben."

Das Tetragramm über dem Portal der Parochialkirche war 1939 nach einem Beschluss des damaligen Gemeindekirchenrats beseitigt worden. "Menschen- und gottesverachtendes Gedankengut breitete sich damals schleichend auch in unserer Gemeinde aus", betonte Pfarrerin Corinna Zisselsberger. Mit der Wiederanbringung wolle die Kirchengemeinde in Zeiten des wachsenden Antisemitismus ein Zeichen der Mahnung und Versöhnung setzen, hieß es weiter. Zudem mache das Tetragramm die Verwurzelung des christlichen Glaubens im Judentum sichtbar.



Ökumenische Aids-Initiative beendet Arbeit

Die ökumenische Aids-Initiative "Kirche positHIV" beendet am 1. März mit einem Gottesdienst in Berlin nach gut 26 Jahren ihre Arbeit. "Der Bedarf an Seelsorge ist deutlich zurückgegangen", erklärte eine der Initiatoren, die evangelische Pfarrerin Dorothea Strauß, am 18. Februar in Berlin. Zusammen mit dem katholischen Franziskanerpater Norbert Plogmann hatte sie die kirchliche Aids-Initiative aufgebaut.

Mittlerweile sei die Immunschwächekrankheit gut therapierbar. Die Zahl der Menschen, die an ihren Folgen sterben, sinke, teilte der Evangelische Kirchenkreis Charlottenburg-Wilmersdorf mit. Auch die psychosoziale Situation HIV-Infizierter habe sich verbessert. Aus einer todbringenden Infektion sei eine chronische Erkrankung geworden, die zwar der ständigen medikamentösen Therapie bedarf, aber trotz Schwierigkeiten in den Alltag integriert werden könne.

Die Arbeit mit Aids-Kranken und deren Angehörigen begann den Angaben zufolge 1993 in der Charlottenburger Kirche Am Lietzensee mit einem Aids-Gedenkbuch zur Erinnerung an die Gestorbenen. Strauß und Plogmann begleiteten in der Folge kranke und sterbende Menschen, führten Seelsorgegespräche, feierten regelmäßig Gottesdienste, organisierten spirituelle Reisen, Ausflüge und andere Aktivitäten. Dabei wurden Kirchen und Gemeinden immer wieder aufgerufen, HIV-Infizierte nicht auszugrenzen. Die Initiative wurde mehrfach ausgezeichnet.

Beim Abschiedsgottesdienst für "Kirche positHIV" predigt Pröpstin Christina-Maria Bammel. Musikalisch gestalten den Gottesdienst die schwulen Männerchöre RosaCavaliere und Männer-Minne.



Schulstiftung kürt Gewinner von Instagram-Wettbewerb

Die Evangelische Schulstiftung der Landeskirche hat die Gewinner ihres ersten Instagram-Fotowettbewerbs unter dem Titel "Gott-ist-überall" gekürt. Der mit 1.000 Euro dotierte erste Platz ging an den Thüringer Fotografen Perry Wunderlich aus Saalfeld, wie die Stiftung am 17. Februar in Berlin mitteilte. Sein Foto zeige aus einer überraschenden Perspektive eine Straßenkreuzung in Nizza aus der Fußgängersicht nach oben.

Der Blick in den sommerlichen Himmel und die heiteren Farben der umstehenden Häuserfassaden, die ein klar erkennbares Kreuz zeigen, "ermutigen uns im Alltag die gewohnten Perspektiven zu verlassen und Neues zu wagen", begründete die Jury ihre Entscheidung. Damit unterstreiche das Foto die Grundaussage in doppelter Bedeutung. "Gott ist eben überall - im Himmel und auf der Erde", hieß es weiter.

Die Fotografin Anna Bestia landete mit ihrem Beitrag auf den zweiten und die Einreichung von Antje Rosenthal auf den dritten Platz. Das zweitplatzierte mit 750 Euro dotierte Bild zeigt einen gedeckten Tisch, deren Tischläufer ein Kreuz bilden. Das dritte Foto zeigt eine Straßenflucht mit einem Baukran, der ein Kreuz bildet. Es ist mit 500 Euro dotiert.

Der Fotowettbewerb fand im Rahmen der aktuellen Kampagne "Gott-ist-Überall" statt. Ziel ist es den Angaben zufolge, die Evangelische Schulstiftung in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz als größten freien Träger öffentlicher Schulen in der Region bekannter zu machen. Zudem sollen neue pädagogische Mitarbeiter für die 32 Schulen der Schulstiftung in Berlin und Brandenburg gewonnen werden.



Früherer Propst Karl-Heinrich Lütcke 80 Jahre alt

Der frühere Propst der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Karl-Heinrich Lütcke, ist am 20. Februar 80 Jahre alt geworden. Der promovierte Theologe, der als leidenschaftlicher Konfliktvermittler und wichtiger Chronist der landeskirchlichen Geschichte gilt, war bis zu seinem Ruhestand 2005 zehn Jahre lang Propst der Landeskirche.

Karl-Heinrich Lütcke wurde am 20. Februar 1940 in Schleswig geboren. Nach dem Studium der klassischen Philologie und der evangelischen Theologie in Tübingen, Zürich und München und einer Promotion über den Kirchenvater Augustinus wurde er 1970 in Württemberg zum Pfarrer ordiniert. Anschließend war er am Predigerseminar in Stuttgart als Studienleiter tätig.

1977 berief ihn die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg zum Leiter der Bildungsabteilung ins West-Berliner Konsistorium. 1990 und 1991 übernahm er die Vakanzverwaltung des Propstamtes in der West-Berliner Kirche. 1995 wählte ihn die Synode zum Propst, das Amt hatte er von 1996 bis zum Ruhestand 2005 inne. Als Propst war Lütcke zugleich theologischer Leiter des Konsistoriums in Berlin und Stellvertreter des Bischofs.




Soziales

Die Grundrente: Wer bekommt sie und wie?



epd-bild/Jürgen Blume
Nach monatelangen Verhandlungen zwischen Union und SPD hat das Bundeskabinett die Einführung einer Grundrente für Geringverdiener auf den Weg gebracht. Die wichtigsten Fakten.

Die Grundrente soll zum 1. Januar 2021 eingeführt werden. Wer schon in Rente ist, kann sie ebenso bekommen wie Neurentner. Sie ist eines der wichtigsten Anliegen der SPD und soll Menschen besserstellen, die viel gearbeitet, aber wenig verdient haben. Die Union hat Einkommensprüfungen und -grenzen durchgesetzt.

Nach Angaben von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) werden rund 1,3 Millionen Menschen Grundrente bekommen, 70 Prozent von ihnen Frauen. Wer nur Minijobs hatte, erhält den Rentenzuschlag aber nicht. Die Grundrente wird automatisch berechnet und ausgezahlt, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind. Ein Antrag ist nicht nötig.

Festlegung der allgemeinen Rahmenbedingungen

Erste Voraussetzung sind mindestens 33 Beitragsjahre in der Rentenversicherung, also Arbeitsjahre, Kindererziehungs- und Pflegezeiten. Den vollen Grundrenten-Zuschlag gibt es aber erst mit 35 Beitragsjahren und auch höchstens für diese 35 Jahre.

Zweitens muss das Einkommen, das für die Grundrentenzeiten zählt, zwischen 30 und 80 Prozent des Durchschnittseinkommens für diese Jahre liegen, also umgerechnet 0,3 bis 0,8 Entgeltpunkte für die Rentenberechnung ergeben. Das Arbeitsministerium hat errechnet, dass der durchschnittliche Zuschlag bei rund 75 Euro im Monat liegen dürfte. Im Höchstfall kann die Grundrente knapp 405 Euro betragen. Dabei handelt es sich um sehr geringe Renten, die heute durch die Grundsicherung aufgestockt werden.

Schließlich gibt es Einkommensgrenzen, bis zu denen die volle Grundrente gezahlt wird. Der Freibetrag für Alleinstehende beträgt 1.250 Euro, für Eheleute und Lebenspartner 1.950 Euro im Monat. Sind die eigenen Einkünfte höher, wird der über der Grenze liegende Betrag zu 60 Prozent auf die Grundrente angerechnet. Ab einem Einkommen von 1.600 Euro (Alleinstehende) und 2.300 Euro (Paare) gibt es in aller Regel keine Grundrente mehr. Zu den Einkünften zählen die eigene Rente und private Altersvorsorge, Kapitalerträge sowie weitere Einnahmen, etwa aus Vermietung. Finanzämter und Rentenversicherung sollen die Daten über die Einkünfte automatisch und jährlich abgleichen.

Anrechenbarkeit auf andere Leistungen

Auf Sozialleistungen wie das Wohngeld soll der Grundrenten-Zuschlag nicht vollständig angerechnet werden, damit die Betroffenen keine Nachteile haben. Denn das Wohngeld sinkt, wenn das Einkommen steigt.

Wer 33 Beitragsjahre nachweisen kann und eine Rente wegen gesundheitlicher Probleme (Erwerbsminderungsrente) oder Grundsicherung im Alter bezieht, soll für die Grundrente einen individuell zu berechnenden Freibetrag von 100 bis 216 Euro im Monat geltend machen können. Damit soll für diese langjährigen Beitragszahler mit geringen Renten sichergestellt werden, dass ihr Alterseinkommen oberhalb der Grundsicherung liegt.

Die Grundrente soll aus Steuereinnahmen finanziert werden, nicht aus den Beiträgen an die Rentenversicherung. Es ist aber offen, ob Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) dafür, wie geplant, auf Einnahmen aus einer Finanztransaktionssteuer zurückgreifen kann, weil deren Einführung umstritten ist. Die Kosten für die Grundrente werden im Gesetzentwurf mit rund 1,4 Milliarden Euro im Einführungsjahr 2021 angegeben. Sie sollen dauerhaft durch einen jährlichen Bundeszuschuss an die Rentenversicherung gedeckt werden.

Von Bettina Markmeyer (epd)


Eigenanteil für Heimpflege weiter gestiegen


Pflege
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Die Heimunterbringung wird für viele Senioren immer teurer. Das belegen neue Daten der Krankenkassen. Opposition und Verbände fordern schon lange ein Finanzreform für die Pflege. Pläne dazu hat Gesundheitsminister Spahn für den Sommer angekündigt.

Für Pflegebedürftige wird nach neuen Erhebungen die Versorgung im Heim immer teurer. Ihre Eigenanteile stiegen im bundesdeutschen Schnitt auf 1.940 Euro pro Monat, wie der Verband der Ersatzkassen am 19. Februar in Berlin mitteilte. Damit waren zum Jahresbeginn 110 Euro mehr zu bezahlen als noch im Januar 2019. Auffällig ist die große regionale Bandbreite der selbst zu zahlenden Betreuungskosten. Sie liegen in Sachsen-Anhalt mit 1.359 Euro am niedrigsten, den Spitzenwert zahlen Pflegebedürftige mit 2.357 Euro in Nordrhein-Westfalen. Die Grünen und die Deutsche Stiftung Patientenschutz forderten Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf, schnell gegenzusteuern.

Die vom Verband aufgelisteten Beträge setzen sich aus drei Bestandteilen zusammen: den Kosten für die reine Pflege und Betreuung, den Investitionskosten des Heimbetreibers, der auf die Bewohner umgelegt wird, und den Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung. Nicht enthalten ist jedoch die Ausbildungsumlage, die einzelnen Bundesländern ebenfalls in Teilen von den Pflegebedürftigen mitgetragen werden muss und so die Kosten noch leicht erhöht.

Grundlegende Reform

Verbandschefin Ulrike Elsner sagte zu den neuen Daten: "Die steigenden Eigenanteile in der stationären Pflege machen Handlungsbedarf für eine Finanzreform in der Pflege deutlich." Es sei gut, dass die Gesundheitspolitik das Thema auf die Agenda genommen habe: "Eine gute und bezahlbare Pflege geht uns alle an."

Führende Sozialverbände fordern vor dem Hintergrund der steigenden Kosten für pflegebedürftige Heimbewohner schon lange eine grundlegende Reform der Pflegefinanzierung. Sie werben dafür, für die Betroffenen je nach Pflegegrad einen fixen Eigenanteil festzulegen und alle anderen Kosten, die etwa durch steigende Löhne verursacht werden, von der Pflegekasse tragen zu lassen.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will bis Mitte des Jahres einen Vorschlag zur künftigen Finanzierung machen. Offen ist aber, wie seine Pläne aussehen. Es gebe auch noch gute andere Ansätze, als den Eigenanteil für die Pflege festzuschreiben, sagte Spahn jüngst dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland". Gerade langfristig pflegebedürftige Menschen müssten entlastet werden.

Kordula Schulz-Asche, Sprecherin der Grünen für Alten- und Pflegepolitik, sagte, die Zahlen des Krankenkassen-Verbands zeigten, "wie groß der Reformbedarf in der Pflegeversicherung mittlerweile ist". Minister Spahn müsse nun zügig Vorschläge machen, wie er den weiteren Anstieg der Eigenanteile verhindern will.

Konkretes Konzept

"Wir haben mit der doppelten Pflegegarantie bereits im vergangenen Jahr ein konkretes Konzept vorgestellt, wie wir die Eigenanteile sofort senken und dauerhaft deckeln können", so Schulz-Asche weiter. Zudem basiere das Konzept darauf, dass "die Pflegeversicherung in Zukunft alle darüber hinausgehenden pflegerischen Kosten für eine bedarfsgerechte Versorgung übernimmt".

Eugen Brysch, Vorstand der Stiftung Patientenschutz in Dortmund, warf Minister Spahn vor, das Problem weiter vor sich herzuschieben. "Für eine zukunftssichere und bezahlbare Pflege muss die Finanzierung jetzt grundlegend reformiert werden." Ähnlich wie die gesetzliche Krankenversicherung die Kosten für Behandlungen trage, müsse die Pflegeversicherung sämtliche Pflegekosten übernehmen. Brysch: "Den zusätzlichen Aufwand für Unterbringung, Verpflegung und Investitionen zahlt weiter jeder selbst. Das sind im Schnitt immerhin über 1.200 Euro monatlich."



Keine Hürden für Hartz-IV-Bezieher für Widerspruch gegen Jobcenter

Hartz-IV-Beziehern darf in einem Widerspruchsverfahren gegen einen Bescheid des Jobcenters der Zugang zu einem Rechtsanwalt nicht erschwert werden. So ist es Jobcentern nicht erlaubt, die angefallenen Anwaltskosten für ein Widerspruchsverfahren mit anderen Erstattungsforderungen gegen den Arbeitslosen aufzurechnen, urteilte am 20. Februar das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel. (AZ: B 14 AS 17/19 R und weitere)

Nach den gesetzlichen Bestimmungen können Hartz-IV-Bezieher für ein Widerspruchsverfahren gegen das Jobcenter die Hilfe eines Anwalts beanspruchen. Voraussetzung für die Erstattung der Auslagen und Gebühren ist, dass die Hinzuziehung eines Anwalts "notwendig" war.

So hatte sich im ersten Verfahren das Jobcenter Berlin Friedrichshain-Kreuzberg bereiterklärt, einer Mutter und ihren Kindern die Anwaltskosten für ein erfolgreiches Widerspruchsverfahren zu erstatten. Allerdings bestanden noch Forderungen des Jobcenters gegenüber der Mutter und ihren Kindern. Die Behörde rechnete diese mit den Anwaltskosten auf. Statt 595 Euro wurden der Anwältin damit nur noch 82,78 Euro bezahlt. Den Rest habe sich die Anwältin ja von der Hartz-IV-Bezieherin holen können.

Die Klage der Anwältin hatte am Donnerstag vor dem BSG ebenso Erfolg wie die zwei anderen vergleichbaren Verfahren. Das Sozialgesetzbuch X schreibe ein Aufrechnungsverbot vor, entschied das BSG.

Könnten sich Anwälte nicht sicher sein, ob sie ihre Vergütung erhalten, bestehe die Gefahr, dass sie Mandate von Hartz-IV-Beziehern gar nicht mehr annehmen. Den Klägern stehe daher die volle Auszahlung ihrer Anwaltsvergütung zu.



Immer weniger Erwerbstätige in Thüringen

Die Zahl der Erwerbstätigen wird in Thüringen in den kommenden 20 Jahren voraussichtlich um ein Viertel sinken. Man erwarte einen Rückgang um 266.000 Personen, teilte das Landesamt für Statistik am 20. Februar in Erfurt mit. Diese Prognose basiere auf der zweiten regionalisierten Bevölkerungsvorausberechnung. Nach dem herangezogenen Status-Quo-Szenario sinke wegen des generellen Bevölkerungsrückgangs die Zahl der Erwerbspersonen von 1.085.000 im Jahr 2018 auf nur noch 819.000 bis 2040, hieß es.

Männer und Frauen würden von dieser Entwicklung voraussichtlich ähnlich stark betroffen sein. Die Zahl der weiblichen Erwerbstätigen sinkt laut Prognose um etwa 25 Prozent beziehungsweise 128.000. Bei den Männern seien es 24 Prozent beziehungsweise 138.000 Personen.

Ursache für den Rückgang sei die erwartete Bevölkerungsentwicklung. Einerseits sinke die Zahl der Thüringer insgesamt, andererseits gebe es Verschiebungen in der Alters- und Geschlechtsstruktur. Diese strukturellen Veränderungen hätten zur Folge, dass trotz angenommener konstanter alters- und geschlechtsspezifischer Erwerbsbeteiligung die Zahl der jungen Erwerbspersonen (bis unter 25 Jahren) um 4,6 Prozent zunehme, ermittelten die Statistiker. Dagegen sinke die Zahl der älteren Erwerbspersonen deutlich. So erwartet das Landesamt zum Beispiel bei den 55- bis 65-jährigen einen Rückgang von rund 30 Prozent der Erwerbstätigen.



Studie: Krankenversicherung für alle würde Beiträge senken


Abschaffung privater Kassen könnte einer Studie zufolge Geld sparen
epd-bild/Norbert Neetz
Eine Studie, die für das Ende des dualen Systems der Krankenversicherung wirbt, sorgt für Wirbel. SPD und Grüne sehen Forderungen nach einer Versicherung für alle bestätigt. Ärzte und Wirtschaftsexperten kritisieren hingegen Zahlenspiele.

Eine Zusammenführung von gesetzlicher und privater Krankenversicherung könnte laut einer Studie zu Beitragssenkungen für Kassenpatienten führen. Wenn alle Bundesbürger gesetzlich versichert wären, würde die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) jährlich ein finanzielles Plus in Höhe von rund neun Milliarden Euro erzielen, heißt in der am 17. Januar vorgestellten Prognose des Berliner Iges-Instituts im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. SPD, Grüne und Linkspartei bekräftigten ihre Forderung nach einer Versicherung für alle. Ärzte und Wirtschaftsvertreter warnen hingegen vor wesentlich höheren Kosten für Beitragszahler als in der Studie veranschlagt.

Nach Prognosen könnte der Beitragssatz 0,2 bis 0,6 Prozentpunkte sinken. Jedes derzeit in einer gesetzlichen Kasse versicherte Mitglied und sein Arbeitgeber könnten demnach pro Jahr zusammen durchschnittlich 145 Euro an Beiträgen sparen, wenn auch Gutverdiener, Beamte und einkommensstarke Selbstständige mit in die GKV einzahlten. Würden die Honorarverluste der Ärzte, die bislang gegenüber der Privaten Krankenversicherung (PKV) mehr abrechnen können, ausgeglichen, wären es noch 48 Euro jährlich, hieß es.

IW warnt vor Systemumstellung

Es handele sich "ausdrücklich nicht um ein realistisches, 'umsetzungsnahes' Szenario", unterstreichen die Autoren der Studie. Ziel sei es, die finanziellen Auswirkungen der gegenwärtigen Trennung der Versicherungsarten zu verdeutlichen. Die Studie gehe von dem hypothetischen Fall aus, dass alle gegenwärtig privat versicherten Menschen in die gesetzliche Versicherung wechselten. Sie stützt sich auf Daten des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP), das auf einer Langzeitbefragung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) beruht.

Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) warnte vor einer Belastungen der jungen Generation durch einen Systemwechsel. Denn ob durch eine Zusammenlegung von gesetzlicher und privater Krankenversicherung die Solidargemeinschaft dauerhaft entlastet würde, hänge auch von deren künftiger Inanspruchnahme infolge des demografischen Wandels ab, sagte der IW-Sozialexperte Jochen Pimpertz in Köln dem Evangelischen Pressedienst (epd). Wenn bislang Privatversicherte zeitnah ausgabenintensivere Altersstufen erreichten, drohe den Beitragszahlern "womöglich ein böses Erwachen".

Forderung nach Ende der PKV

Die Bundesärztekammer kritisierte "mehr als zweifelhafte Zahlenspielereien" der Studie. So würden die über viele Jahre aufgebauten Altersrückstellungen der Privatversicherten nicht thematisiert, erklärte Ärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt. Ähnlich argumtentierte der Verband der Privaten Krankenversicherung. Wenn der Mehrumsatz der Privatversicherung wegfiele, gingen den Arztpraxen im Durchschnitt mehr als 54.000 Euro pro Jahr verloren, erklärte der Direktor des Verbandes, Florian Reuther. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) sprach sich dafür aus "das Beste aus zwei Welten" zusammenzuführen, um den Versicherten mehr Wahlmöglichkeiten zu bieten.

SPD, Grüne und Linkspartei fordern die Abschaffung der privaten Krankenversicherung und mahnten eine solidarisch finanzierte Bürgerversicherung an. Die private Versicherung komme der gesetzlichen Versicherung teuer zu stehen, erklärte die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Bärbel Bas. Die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Maria Klein-Schmeink, bezeichnete ein integriertes Krankenversicherungssystem als überfällig. Auch die Linkspartei erklärte, die Studie weise in die richtige Richtung. Nötig sei jedoch auch, weitere Einkunftsarten wie Kapitaleinkünfte mit einzubeziehen und die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Versicherung aufzuheben.

Das Nebeneinander von privater und gesetzlicher Versicherung werde durch Steuermittel in Milliardenhöhe finanziert, kritisierte die Deutsche Stiftung Patientenschutz. Erst die Beihilfe der öffentlichen Arbeitgeber führe dazu, dass die meisten Beamten in die privaten Kassen wollten, erklärte der Vorsitzende Eugen Brysch. Zudem sei der Zugang zu den gesetzlichen Versicherungen für die knapp zwei Millionen Staatsdiener praktisch verschlossen.



Forscher: "Obdachlosenzählung war wichtig und richtig"


Obdachloser in Berlin-Lichtenberg
epd-bild/Rolf Zöllner
Nach der umstrittenen Zählung von Obdachlosen in Berlin liegen erste Daten auf dem Tisch. Experten mahnen, diese Zahlen nicht überzubewerten. Weitere Erhebungen müssten folgen. Obdachlosenvertreter fordern die Sozialpolitiker zum Handeln auf.

Politiker, Forscher und Betroffene diskutieren über die Ergebnisse der ersten Zählung von Menschen, die in Berlin ohne Unterkunft auf der Straße leben. Hatten Obdachlosenvertreter die Aktion Ende Januar schon vorab als "würdelosen Vorgang" ohne Effekte abgelehnt, so ist jetzt strittig, wie aussagefähig die erhobenen Zahlen sind. Im Vergleich zu vorherigen Schätzungen wurden deutlich weniger Betroffene als erwartet angetroffen. Eigentlich ist das eine gute Nachricht - wenn sie wahr ist.

Trotz einigem medialen Gegenwind hält Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) die Aktion für einen Erfolg: "807 obdachlose Menschen wurden angetroffen. Etwa ein Drittel dieser Menschen hat den Zählteams über ihre Lebenssituation berichtet." Jetzt wisse man mehr über das Alter obdachloser Menschen, ihr Geschlecht, woher sie kommen und erstmals auch, wie lange sie schon wohnungslos sind. "Wir werden die Daten der Zählräume auswerten und in Zusammenarbeit mit den Bezirken sowie der Wohnungslosenhilfe überprüfen, welche Hilfsangebote vor Ort verbessert werden müssen" - auch wenn die Dunkelziffer vermutlich hoch bleibt.

Aber wie belastbar das Datenmaterial ist, das 2.600 Ehrenamtler in der "Nacht der Solidarität" gesammelt haben, bleibt umstritten. Bislang waren Schätzungen von bis zu 10.000 obdachlosen Menschen in Berlin ausgegangen. Die Freiwilligen trafen jedoch "nur" 807 auf der Straße und 942 in Einrichtungen der Kältehilfe an. Aus Sicherheitsgründen hatte die Helferschar einen Bogen um Parks und Grünlagen gemacht.

Fragen gibt es auch zur ermittelten Herkunft der gezählten Personen. Fachleute betonen, Obdachlose, die in der Beratungsarbeit und in den Tageseinrichtungen registriert würden, stammten in bis zu 80 Prozent der Fälle aus EU-Ländern. Bei der Zählung waren es "nur" 49 Prozent. "Viele Betroffene hatten wohl Angst oder wollten nicht gezählt werden. Das ist zu verstehen und zu respektieren", sagte dazu die Berliner Caritas-Direktorin Ulrike Kostka auf Anfrage. Von den 1.976 gezählten Menschen seien nur 250 bereit gewesen, über ihre Herkunft zu berichten.

Dennoch sei die Zählung "ein wichtiger Schritt für Berlin", betont Kostka. Sie sollte ein erster Baustein für die dringend benötigte Wohnungsnotfallstatistik sein. Dann hätte man "valide Erkenntnisse über das tatsächliche Ausmaß der Wohnungslosigkeit und könnte Angebote systematisch anpassen und verbessern."

Für die Selbstvertretung wohnungsloser Menschen ist dagegen ein Nutzen der Zählung "nicht erkennbar". Die Aktion habe nur eine Alibi-Funktion, lautet die Kritik. Und: "Wir können nicht erkennen, dass der Senat auf Grundlage der Zählung bezahlbare und menschenwürdige Wohnungen schaffen, bauen oder erwerben wird."

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe verteidigte die Aktion. Sprecherin Werena Rosenke sagte, man brauche nun mal verlässliche Datengrundlagen. Aber: "Aus den Erkenntnissen müssen unbedingt Maßnahmen erfolgen, mit denen wohnungslose Menschen bedarfsgerecht versorgt werden."

Auch Sozialforscher halten die Zählung für wichtig und richtig. "Die Zahlen belegen den Forschungsbedarf. Mehr nicht", sagt Nikolaus Meyer, seit 2017 Professor für Soziale Arbeit an der IUBH Internationalen Hochschule. Doch müsse man sich auch mit der Kritik an der Aktion und dem von Betroffenen geäußerten Paternalismus-Vorwurf auseinandersetzen: "Bisher hat man die Wohnungsnotfallhilfe deutschlandweit mit Hilfe von Vermutungen finanziert. So kann es nicht weitergehen."

Ein Effekt sei trotz vielerlei Bedenken an der Aktion nicht zu unterschätzen: "Die Zählung hat die Gesellschaft für das Thema Obdachlosigkeit sensibilisiert und gezeigt, dass da Menschen am Rand unserer Gesellschaft sind und wir uns fragen müssen, ob wir das so wollen. Das ist ein Riesenerfolg."

Susanne Gerull, Armutsforscherin an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin und Mit-Initiatorin der Nacht der Solidarität, sagte bei der Vorstellung der ersten Resultate, es habe bei der Zählung keine "systematischen Verzerrungen" gegeben. Subjektive Einschätzungen, wie viele Menschen sich womöglich versteckt haben, um nicht gezählt zu werden, seien sozialwissenschaftlich nicht haltbar.

Von Dirk Baas (epd)


Experte: Erwartungen an Obdachlosenzählung runterschrauben

Nach der umstrittenen ersten Obdachlosenzählung in Berlin hat der Frankfurter Professor Nikolaus Meyer die erhobenen Daten als Momentaufnahme "vom Stand einer Nacht im Januar" bezeichnet. "Das ist aus sozialwissenschaftlicher Perspektive nicht mehr und auch nicht weniger", sagte der Armutsexperte dem Evangelischen Pressedienst (epd). Man müsse die Erwartungen an die Zählaktion herunterschrauben. Wer eine ganz "sichere" Zahl erwartet habe, begreife das Phänomen der Obdachlosigkeit nicht: "Es ist durch Mobilität und dem Wunsch nach einem sicheren Rückzugsort geprägt."

Meyer sprach sich für weitere Datensammlungen aus. "Wir kennen die konstante Zahl von obdachlosen Menschen in Berlin über das gesamte Jahr nicht." Ähnlich schlecht sei der Wissensstand in den allermeisten deutschen Großstädten.

Zu der großen Diskrepanz zwischen den vermuteten und den ermittelten Zahlen obdachloser Menschen, sagte der Fachmann, mehrere Tausend Betroffene könnten sich zur Zählung nicht versteckt haben. "Sicher sind einzelne Obdachlose in angrenzende Kommunen gewechselt, auch waren Personen in den Parks, wo ja nicht gezählt wurde. Ebenso wurde nicht in Abrisshäusern oder auf Privatgrundstücken gezählt." Es gebe also gute Gründe davon auszugehen, dass die Zahl der Obdachlosen etwas höher als ermittelt ist.

Die vorliegenden Zahlen seien trotz aller Kritik eine wichtige Momentaufnahme. "Insgesamt bräuchten wir in der gesamten Bundesrepublik eine dauerhafte Beobachtung der Wohnungs- und Obdachlosigkeit." Dazu sollte die Bundesregierung prüfen, ob nicht zusätzlich zur Stichtagsregelung auch eine Jahresgesamtzahl erhoben werden könne. Zur Frage, ob es gut war, die Zählung öffentlich breit anzukündigen, sagte Meyer: "Eine heimliche Zählung wäre völlig falsch gewesen und rechtlich sicher mehr als fragwürdig."

Die jetzt angewendete Methode sei deutschlandweit nutzbar. "Das Thema Obdachlosigkeit ist auf einmal im Diskurs der Gesellschaft präsent. Hier liegt aus meiner Sicht der Mehrwert der Befragung: Sie konfrontiert die Gesellschaft mit einem Phänomen, dass die Menschen sonst gerne ignorieren möchten."

epd-Gespräch: Dirk Baas


Geplante Klage gegen Berliner Mietendeckel hat erste Hürde genommen

Die Unionsfraktion will den Berliner Mietendeckel vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe überprüfen lassen. Die dafür notwendige Unterstützung von einem Viertel der Bundestagsabgeordneten sei bereits zusammengekommen, teilte der Mietrechtsexperte und Berliner Bundestagsabgeordnete Jan-Marco Luczak (CDU) am 18. Februar in Berlin mit. 190 Unions-Abgeordnete unterstützen Luczak zufolge den Vorstoß. 178 Bundestagsabgeordnete müssten es mindestens sein.

Auch die FDP will sich Luczak zufolge an der Klage beteiligen und sammele derzeit Unterschriften. Union und FDP sehen im Berliner Mietendeckel einen unzulässigen Eingriff in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes und halten ihn daher für verfassungswidrig. Die Klage soll Luczak zufolge in sechs bis acht Wochen beim Verfassungsgericht eingereicht werden.

Mit dem sogenannten Mietendeckel des rot-rot-grünen Senats in Berlin sollen die Mietpreise für fünf Jahre eingefroren werden. Damit würden Mieterschutz-Regelungen des Bundes wie etwa die Mietpreisbremse oder die Kappung der Modernisierungskosten vom Land Berlin außer Kraft gesetzt, argumentieren die Befürworter der Normenkontrollklage. Dies werde vor dem Verfassungsgericht keinen Bestand haben, erklärte Luczak.



Mietendeckel in Berlin in Kraft getreten

In Berlin ist am 23. Februar der Mietendeckel in Kraft getreten. "Politik hat die Verantwortung dafür zu sorgen, dass sich Menschen ein Dach über dem Kopf leisten können", betonte Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) am 23. Februar in der Hauptstadt. Deshalb habe das Abgeordnetenhaus ein Gesetz verabschiedet, dass das Einfrieren, das Deckeln und das Absenken von Mieten in den nächsten fünf Jahren regelt.

"Das Berliner Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen soll viele Mieterinnen und Mieter von einer existenziellen Sorge vor der nächsten Mieterhöhung entlasten und das aus den Fugen geratene Mietniveau in unserer Stadt wieder in eine Balance bringen", erklärte Lompscher weiter. Das Gesetz für den Mietendeckel war Ende Januar vom Abgeordnetenhaus beschlossen worden. Am Samstag wurde es im Gesetz- und Verordnungsblatt des Landes Berlin verkündet, es trat damit am Sonntag in Kraft.

Bei Wiedervermietung gelten in Berlin nun die Mieten vom 18. Juni 2019 oder gegebenenfalls die festgelegten Mietobergrenzen. Die Mietobergrenzen richten sich nach Baujahr und Ausstattung der Wohnung und liegen zwischen 6,45 Euro und 9,80 Euro pro Quadratmeter. In bestehenden Mietverhältnissen können Mieter neun Monate nach Verkündung des Gesetzes die Kappung einer überhöhten Miete fordern. Als eine überhöhte Miete gilt, wenn diese mehr als 20 Prozent über der zulässigen Mietobergrenze liegt.



Studie: Spendensumme in Deutschland deutlich gestiegen

Die Spendenfreude in Deutschland hat einer Studie zufolge deutlich zugenommen. Fast zehn Milliarden Euro spendeten die Bürger im Jahr 2017, teilte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) am 19. Februar in Berlin mit. Damit habe sich die Gesamtsumme der Spenden seit dem Jahr 2009 nominal um mehr als rund 70 Prozent erhöht.

Am meisten Geld geben demnach Personen, die über ein hohes Einkommen verfügen. Mehr als ein Drittel des gesamten Spendengeldes stammte den Angaben nach von den am besten verdienenden zehn Prozent der Bürger. 2017 war der Anteil der Spender in Westdeutschland (47 Prozent) größer als der in Ostdeutschland (37 Prozent). Außerdem waren mehr Frauen als Männer unter den Geldgebern, wobei die Männer im Durchschnitt 357 Euro und damit rund 100 Euro mehr gaben als die Frauen.

2015 und 2016 unterstützte den Angaben nach rund ein Drittel der Erwachsenen Geflüchtete mit Geld- und Sachspenden. Zuletzt gab es jedoch einen Abwärtstrend: In den Jahren 2017 und 2018 waren es 20 Prozent aller geldgebenden Erwachsenen.

Der Untersuchung, die auf Basis der Daten der Langzeitstudie Sozio-oekonomisches Panel erstellt wurde, ist weiter zu entnehmen, dass hierzulande fast jeder zweite Erwachsene Geld gespendet hat. Der Anteil der Spenderinnen und Spender stieg zwischen 2009 und 2017 um rund sieben Prozentpunkte. Im gleichen Zeitraum erhöhte sich auch die durchschnittlich gespendete Geldsumme von 206 auf 301 Euro. Auch zeigten die Daten, dass es im Jahr 2014 unter Menschen, die einer Religion angehörten, mehr Spender (51 Prozent) gab als unter den Bürgern ohne religiöse Bindung.



Vom Recht der Sterbenden am Lebensende


Über Fragen zum Ende des Lebens urteilt das Bundesverfassungsgericht
epd-bild/Jürgen Blume
Gibt es ein vom Grundgesetz geschütztes "Recht auf selbstbestimmtes Sterben"? Und welche Bedingungen gelten dann? Am 26. Februar verkündet das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zum Verbot der organisierten Hilfe beim Suizid.

Emotional und kontrovers wurde im vergangenen April vor dem Bundesverfassungsgericht das gesetzliche Verbot der organisierten Sterbehilfe diskutiert. Vor dem höchsten deutschen Gericht in Karlsruhe klagen schwer erkrankte Menschen, Sterbehilfe-Vereine und Ärzte. Sie sehen durch das Verbot der Suizidhilfe ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht oder ihre Berufsfreiheit verletzt. Am 26. Februar verkündet das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zu sechs Verfassungsbeschwerden (AZ: 2 BvR 2347/15 und weitere). Zwei der vier Kläger sind laut Medienberichten inzwischen gestorben.

Aktuelle Strafrechtsnorm

Dabei wird es aber nicht um eine moralische oder politische Beurteilung der Selbsttötung am Lebensende gehen. Das Gericht entscheide ausschließlich über die Verfassungsmäßigkeit einer konkreten Strafrechtsnorm, hatte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle bereits in der mündlichen Verhandlung am Bundesverfassungsgericht am 16. und 17. April 2019 betont. Das hochbrisante Thema sei mit existenziellen ethischen, moralischen und religiösen Überzeugungen verknüpft.

Konkret geht es um den Paragrafen 217 des Strafgesetzbuches, der seit Dezember 2015 die "geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung" unter Strafe stellt. Verstöße werden mit einer Geldstrafe oder einer bis zu dreijährigen Haftstrafe geahndet. Nur wer bei einer Suizidassistenz nicht "geschäftsmäßig" handelt, bleibt straffrei. Dazu gehören etwa Angehörige oder andere Nahestehende.

"Recht auf Leben begründet keine Pflicht zum Leben"

Die Beschwerdeführer rügten in der mündlichen Verhandlung, dass ihnen durch die Regelung etwa die Überlassung eines tödlich wirkenden Mittels verwehrt werde. Denn sowohl Ärzte als auch Sterbehilfe-Vereine handelten bei einer Suizidassistenz "geschäftsmäßig". Das im Grundgesetz geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasse aber auch das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben.

Die Sterbehilfe-Vereine kritisierten, dass sie nach den gesetzlichen Vorschriften nicht mehr für ihre Mitglieder tätig werden könnten. Auch die beschwerdeführenden Ärzte beanstandeten, dass ihre Gewissens- und Berufsfreiheit mit dem Verbot der geschäftsmäßigen Sterbeassistenz verletzt werde. "Das Recht auf Leben begründet keine Pflicht zum Leben", hieß es. Die Hilfe zum Suizid sei sicher nicht eine ärztliche Aufgabe, ergänzte der Ehrenpräsident der Landesärztekammer Baden-Württemberg, Ulrich Clever: "Aber es ist sicher auch nicht Aufgabe des Arztes, sich im Einzelfall wegzuducken."

Dagegen hatten Psychiater, Ärzte und Hospizmitarbeiter darauf hingewiesen, dass Schwerstkranke, die palliativmedizinisch betreut werden, selten den Wunsch nach einem unterstütztem Suizid äußern. Vielmehr sei die Suizidalität Ausdruck einer erheblichen Notlage und gekennzeichnet durch Ambivalenz sowie Hoffnungs- und Hilflosigkeit.

Im vergangenen Jahr wurden beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte insgesamt 133 Anträge für eine Erlaubnis zum Erwerb eines Betäubungsmittels zur Selbsttötung gestellt. Das Bundesgesundheitsministerium hatte die Behörde angewiesen, keine Anträge positiv zu bescheiden, nachdem das Bundesverwaltungsgericht 2017 eigentlich geurteilt hatte, dass das Institut die Anliegen prüfen muss. Wie diese rechtliche Zwickmühle gelöst wird, hängt auch vom Karlsruher Urteil in der kommenden Woche ab.

Von Christine Süß-Demuth (epd)


Wenn "Silver Surfer" im Heim nicht ins Netz kommen


WLAN in Pflegeheimen ist noch kein Standard
epd-bild/Lothar Stein
Immer mehr Senioren nutzen aktiv das Internet - wenn sie denn Zugang haben. Auf die allermeisten Pflegeheimbewohner trifft das jedoch nicht zu. Für sie ist das Internet als Tor zur Welt oft noch fest verschlossen. Experten fordern Abhilfe.

Das Internet gilt als Tor in die Welt. Doch viele Senioren, die ihren Lebensabend in deutschen Pflegeheimen verbringen, können nicht chatten, E-Mails schreiben oder sich für Onlinespiele begeistern. Denn die meisten Einrichtungen sind gar nicht online. WLAN, im Idealfall kostenlos bereitgestellt, gibt es erst in 37 Prozent der Heime. Experten sehen dringenden Handlungsbedarf.

"Weil ältere Menschen oft immobiler werden und viel alleine sind, ist es ein großer Gewinn, im Internet surfen und digitale Medien nutzen zu können", sagt Nicola Röhricht, Referentin für Digitalisierung und Bildung bei der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen. Die Seniorinnen und Senioren könnten via Internet Kontakt halten zu entfernt wohnenden Familienangehörigen und Freunden.

Zudem sei es für Pflegekräfte und Angehörige sehr entlastend, gemeinsam Spiele zu machen oder Podcasts und Filme zu streamen. Auch lasse sich spezielle Software für demenziell Erkrankte nutzen: "Menschen aktivieren sich und andere und lassen sich aktivieren", erläutert die Expertin.

Extrakosten

Die wachsende Bedeutung der Internetnutzung von Senioren ist den Heimträgern durchaus bekannt. Aber der technische Ausbau brauche seine Zeit, ist zu hören. Der Bundesverband der Anbieter sozialer Dienste (bpa) hält den Nutzungsgrad noch für überschaubar. Aber, so Geschäftsführer Herbert Maul gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd): "Die Pflegeheime stellen sich auf die Erwartungen künftiger Bewohnerinnen und Bewohner ein." Konkrete Zahlen über die Quote der bereits ans Internet angebundenen Heime lägen seinem Verband nicht vor.

Die aber hat das Portal "Pflegemarkt.com" parat, das im Jahr 2018 eine Umfrage zum Thema WLAN in den Heimen gemacht hat. Telefonisch wurden 575 Heimleitungen und Pflegedienstleitungen befragt. Ergebnis: "Das Thema WLAN ist in der deutschen Pflegelandschaft noch eher unterrepräsentiert. Nur 37 Prozent der Pflegeheime bieten ihren Bewohnern die Möglichkeit einer WLAN Nutzung an."

Über 80 Prozent der Einrichtungen, in denen eine WLAN-Nutzung grundsätzlich verfügbar ist, berechnen diese Leistung extra. Der Anteil der Häuser, die ein kostenfreies Netz zur Verfügung stellen, ist mit sechs Prozent momentan noch sehr gering. Immerhin: 28 Prozent der Senioreneinrichtungen, in denen es noch keine Internetnutzung gibt, wollen in absehbarer Zukunft nachrüsten.

Die Untersuchung "Digital mobil im Alter. So nutzen Senioren das Internet" von Telefonica Deutschland und der Berliner Stiftung Digitale Chancen (2017) erhellt, wie das Internet genutzt wird. E-Mail-Schreiben ist der Spitzenreiter bei den Anwendungen. Dann folgen Spiele und Lesen sowie Chatten, Videoschauen und Einkaufen.

"Teilhabe verbessern"

"Digitale Technologien können die geistige und physische Mobilität von Senioren und ihre Teilhabe am öffentlichen Leben verbessern", erklärt Professor Herbert Kubicek, wissenschaftlicher Direktor der Stiftung Digitale Chancen und Leiter der Studie. Die Erhebungen beruhen auf den Angaben von insgesamt 300 älteren Menschen, die zwischen Mai 2016 und Mai 2017 in Senioreneinrichtungen in Berlin, Düsseldorf, Hamburg und München acht Wochen lang Tablet-PCs mit Internetzugang ausprobiert haben. Etwa die Hälfte war zwischen 70 und 79 Jahre alt.

Dabei zeigte sich: Das Alter ist nicht die einzige Hürde für den Zugang zum Internet. Um die hohen Barrieren der Anwendung zu überwinden, braucht es spezifische Angebote, um Medienkompetenz altersgerecht zu vermitteln. Zudem müsse das Selbstbewusstsein der Senioren im Umgang mit dem Internet gefördert werden, befanden die Forscher.

Deren digitale Weiterbildung müsse unbedingt an dem erwarteten Nutzen ansetzen. "Für ältere Menschen bedeutet es oft eine große Anstrengung, sich mit den Geräten zu befassen. Das nehmen viele nur auf sich, wenn sie eine 'Belohnung' erwarten können, zum Beispiel besser mit der Familie in Kontakt bleiben zu können", so die Fachleute.

Expertin Röhricht verweist darauf, dass oft schlicht die technischen Voraussetzungen fehlten, mehr Heime an das Internet anzuschließen. Die Politik müsse den Breitbandausbau intensivieren: "Zudem wäre eine Unterstützung zumindest der staatlichen und kirchlichen Heime durch öffentliche Fördermittel wünschenswert."

Von Dirk Baas (epd)


Sorben wollen eigene Sprache stärken

Zum Internationalen Tag der Muttersprache am Freitag fordert die Minderheit der Sorben in der Lausitz mehr öffentliches Engagement für ihre slawische Sprache. Dass der Staat heute das Sprechen des Sorbischen in der Öffentlichkeit fördere, sei ein großer historischer Fortschritt, sagte der Vorsitzende des Dachverbands Domowina, Dawid Statnik, am 20. Februar in Bautzen. Jedoch hapere es an den Sprachkenntnissen in der Verwaltung.

Man erwarte daher eine Änderung der Personalpolitik, "damit es nicht länger dem Zufall überlassen bleibt, ob auf dem Amt jemand die sorbische Sprache beherrscht", betonte Statnik und forderte: "In jedem Bereich der öffentlichen Verwaltung im sorbischen Siedlungsgebiet sollte künftig ein Partner sein, der zumindest Sorbisch versteht."

80 Prozent aller Muttersprachen auf der Welt seien langfristig bedroht, erklärte Statnik. Auch den Sorben sei - etwa im Dritten Reich - die Verwendung ihrer Muttersprache immer wieder verboten worden. "Wer jetzt die Vielfalt der Sprachen seiner Region rettet, wird künftig über mehr Attraktivität verfügen", betonte der Verbandsvorsitzende. Das Sorbische verleihe der Lausitz ein Alleinstellungsmerkmal.

Die Sorben und Wenden sind seit rund 1.500 Jahren in der Lausitz ansässig. Die Minderheit hat sich trotz Assimilierungsdrucks in der Vergangenheit ihre Sprache und ihre von zahlreichen Festen und vielfältigem Brauchtum geprägte Kultur bewahrt. Schätzungen zufolge leben in Brandenburg rund 20.000 überwiegend evangelische Wenden und in Sachsen rund 40.000 meist katholische Sorben.



Neuerscheinung arbeitet Verlust von Kindern in der DDR auf

In einem neuen Buch unter dem Titel "Wo ist mein Kind?" wird der Verlust von Kindern in DDR aufgearbeitet. Die Beauftragte des Landes Sachsen-Anhalt zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Birgit Neumann-Becker, sagte am 18. Februar in Magdeburg, mehrere hundert Mütter zweifelten derzeit den Tod ihrer in den 1970 oder 1980er Jahren geborenen Babys an. Es sei ihr ein wichtiges Anliegen, die Aufarbeitung zu unterstützen und den betroffenen Müttern Klarheit zu geben.

Im Mittelpunkt des Bandes stehen den Angaben zufolge Interviews mit Frauen aus der DDR, die heute an der damals offiziellen Version von Krankenhäusern und DDR-Behörden zweifeln, dass ihre Neugeborene vor, während oder nach der Geburt gestorben sind. Viele halten es für möglich, dass ihnen die Kinder weggenommen wurden, um sie beispielsweise in regimetreue Familien zu geben. Die Mütter haben zumeist in den 1970er oder 1980er Jahren ihr Kind entbunden.

Das Buch von Florian Steger und Maximilian Schochow erscheint im Mitteldeutschen Verlag zur Leipziger Buchmesse als Sonderband in der Studienreihe der Landesbeauftragten. "Die Suche nach den verstorbenen Kindern zeigt die tiefen Verletzungen von Müttern, die sich um den Abschied von ihren Kindern betrogen sehen und daher zum Teil bis heute die Glaubwürdigkeit staatlicher Instanzen infrage stellen", sagte die Landesbeauftragte. Steger ist Direktor des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin an der Universität Ulm.



Aktionsbündnis fordert von der Politik Maßnahmen gegen das Rauchen

Deutschland tut nach Erkenntnissen des Aktionsbündnisses Nichtrauchen zu wenig, um den Tabakkonsum einzudämmen. Auf der "Europäischen Tabakkontrollskala 2019" belege die Bundesrepublik unter 36 untersuchten Ländern den letzten Platz, teilte die Stiftung Deutsche Krebshilfe am 20. Februar in Bonn im Namen des Aktionsbündnisses mit. "Der letzte Platz ist ein Armutszeugnis für uns", sagte die Vorsitzende des Aktionsbündnisses, Martina Pötschke-Langer, bei der Vorstellung der "Tabakkontrollskala" anlässlich der European Conference on Tobacco or Health. Die Konferenz findet in diesem Jahr parallel zum Deutschen Krebskongress in Berlin statt.

Die schlechte Platzierung sei das "Resultat jahrelanger politischer Untätigkeit", kritisierte Pötschke-Langer. Das Bündnis fordert unter anderem einen einheitlichen Nichtraucherschutz in öffentlichen Räumen und Arbeitsstätten sowie Steuererhöhungen auf herkömmliche Tabakprodukte, Tabakerhitzer und E-Zigaretten. Überdies dringt das Bündnis auf ein Werbeverbot für Tabakprodukte und E-Zigaretten. So sei Deutschland das einzige Land in der EU, das immer noch uneingeschränkt Außenwerbung für Tabakprodukte erlaube.

Laut der Deutschen Krebshilfe konsumieren derzeit immer noch fast ein Viertel der Erwachsenen und sieben Prozent der Minderjährigen Tabakprodukte. Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist zudem der E-Zigarettenkonsum in den letzten Jahren stark gestiegen.



Immer mehr Professorinnen in Berlin

In Berlin gibt es immer mehr Professorinnen. Der Frauenanteil bei den Berufungen auf Professuren an staatlichen Hochschulen ist in der Hauptstadt im vergangenen Jahr auf 46 Prozent gestiegen, wie Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) am 18. Februar mitteilte. Im Jahr 2016 habe die Quote noch bei 26 Prozent gelegen.

An den drei großen Universitäten - Freie Universität Berlin, Humboldt-Universität und Technische Universität Berlin - sowie an der Charité seien 2019 insgesamt 44 Prozent der neu erteilten Rufe an Wissenschaftlerinnen ergangen. An den künstlerischen Hochschulen seien es 53 Prozent gewesen. Einen Frauenanteil von 50 Prozent habe es an den vier staatlichen Fachhochschulen gegeben. Dazu zählen die Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, die Beuth Hochschule für Technik Berlin, die Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin und die Alice Salomon Hochschule Berlin.

"Berlin ist bereits die Hauptstadt der Wissenschaftlerinnen, aber wir wollen noch mehr Professorinnen, Dekaninnen und Rektorinnen in der Brain City sehen", sagte Müller. Davon würden Lehre und Forschung sowie der gesamte Innovationsstandort profitieren.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes lag im Jahr 2018 der Frauenanteil an allen Professuren bundesweit bei 24,7 Prozent, wie es weiter hieß. Unter den Bundesländern erreichte Berlin mit 32,3 Prozent dabei den höchsten Wert. Die Angaben des Statistischen Bundesamtes für 2019 liegen den Angaben zufolge noch nicht vor.




Gesellschaft

"Wir sind alle Opfer geworden"


Demonstration am 22. Februar in Hanau
epd-bild/Tim Wegner
Vier Tage nach dem Anschlag von Hanau herrscht immer noch Fassungslosigkeit über die Tat. Tausende Menschen kamen dort am Wochenende zu Kundgebungen zusammen - allein am 23. Februar waren es rund 10.000. Viele zeigen sich solidarisch mit den Opfern.

Nach dem Mordanschlag von Hanau haben am Wochenende bundesweit Tausende Menschen gegen Rassismus und Rechtsextremismus demonstriert. Im südhessischen Hanau beteiligten sich laut Polizei am 23. Februar rund 10.000 Menschen an einer Kundgebung und einem Trauerzug von einem der beiden Tatorte zum Marktplatz. Aufgerufen hatte die Initiative Hanauer Vereine. Bereits am 22. Februar hatte es in Hanau eine Kundgebung mit nach Polizeiangaben mehr als 6.000 Menschen gegeben, zu dem ein breites Bündnis verschiedener Gruppen aufgerufen hatte.

Die Stadt Hanau plant eine zentrale Trauerfeier für die Opfer, die mit den Angehörigen des Anschlags sowie den Bundes- und Landesbehörden vorbereitet werden soll. Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) berief für den 24. Februar eine Sondersitzung des Runden Tischs der Religionen ein. Das Gremium, dem 36 Hanauer Kirchen- und Religionsgemeinschaften angehören, wolle "klären, wie den verschiedenen Bedürfnissen rund um die Trauer Sorge getragen" werden könne, sagte Kaminsky. Bei Gottesdiensten in Hanau und in anderen hessischen Kirchengemeinden gedachten evangelische und katholische Christen der Opfer in Gebeten und Fürbitten.

"Wir sind alle Opfer geworden"

Am Abend des 19. Februar hatte der 43-jährige Tobias R. im südhessischen Hanau neun Menschen erschossen. Er und seine 72 Jahre alte Mutter wurden anschließend tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Der Generalbundesanwalt sprach von einer "zutiefst rassistischen Gesinnung" des mutmaßlichen Täters.

In Hanau äußerten sich am 22. Februar auch Familienmitglieder der Opfer zu den Morden. Die Tat sei ein barbarischer Akt und ein Angriff auf die ganze Gesellschaft, sagte ein Angehöriger. Die Gesellschaft müsse nun zusammenstehen. "Wir sind alle Opfer geworden", sagte ein Angehöriger. Auf der Bühne, auf der sich zahlreiche Angehörige versammelt hatten, wurden die Bilder der Ermordeten gezeigt und ihre Namen verlesen.

Am Wochenende legten Hanauer Bürgerinnen und Bürger an den beiden Tatorten Blumen und Kränze nieder und entzündeten Kerzen. Vertreter der Kurdischen Gemeinde in Deutschland und der Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir (Grüne) hatten zuvor Kränze niedergelegt.

Mahnwachen und Schweigeminuten

Auch in Nordrhein-Westfalen gingen am Wochenende mehrere tausend Menschen zu Mahnwachen und Kundgebungen gegen Rechts auf die Straße, darunter in Köln, Düsseldorf, Dortmund, Bielefeld und Bonn. In Hannover gedachten am Abend des 21. Februar rund 3.000 Menschen mit einer Schweigeminute und einer Mahnwache vor der zentralen Marktkirche der Opfer.

Das hessische Landeskriminalamt warnte mit Blick auf vermehrte Spekulationen über den Hergang des Anschlags vor Falschinformationen in den sozialen Medien im Internet. Aus Sicht der Polizei gebe es keinen Grund, momentan von einer akuten weiteren Gefahr auszugehen, heißt es.



Seehofer kündigt mehr Polizeipräsenz nach Hanau an


Mahnwache auf dem Hanauer Marktplatz am 20. Februar
epd-bild/Tim Wegner
Nach dem Anschlag in Hanau, bei dem neun Menschen mit Migrationshintergrund ermordet wurden, wollen die Innenminister mit mehr Polizeipräsenz für mehr Sicherheit sorgen - auch vor Moscheen. Gesetze sollen nicht erneut verschärft werden.

Bund und Länder wollen mit mehr Polizeipräsenz in Deutschland auf den Anschlag in Hanau reagieren. Man müsse nach solchen Taten immer mit Nachahmungstätern rechnen und auch mit Gefahren durch Wut und Emotionalisierung, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) am 21. Februar in Berlin. Mit seinen Ministerkollegen in den Ländern hat er nach eigenen Angaben besprochen, sensible Einrichtungen stärker zu überwachen, insbesondere auch Moscheen. Seehofer stuft die Gewalttat von Hanau als Terror ein: "Die Tat in Hanau ist eindeutig ein rassistisch motivierter Terroranschlag", sagte er.

Nach der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und dem Anschlag auf die Synagoge in Halle im vergangenen Jahr sei es der dritte rechtsterroristische Anschlag in wenigen Monaten. Es ziehe sich "eine Blutspur des Rechtsextremismus durch unser Land", sagte er. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) sagte, Rechtsextremismus sei derzeit die größte Gefahr für die Demokratie in Deutschland. Wie der stärkere Polizeischutz konkret aussehen soll, blieb offen. Die genaue Analyse liege in der Hand der Bundesländer, sagte Seehofer. Er wollte sich am 21. Februar zu dieser Frage aber auch mit Vertretern der Muslime und der Türkischen Gemeinde in Deutschland treffen.

Islamverbände fordern besseren Schutz

Islamverbände erneuerten ihre Forderung nach mehr Schutz. Es müssten zumindest die Moscheen geschützt werden, die schon in der Vergangenheit angegriffen worden sind, sagte der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek. Von den rund 2.000 Moscheegemeinden in Deutschland beträfe dies einige hundert. Der Sprecher des Koordinationsrats der Muslime, Zekeriya Altug, sagte, es müsse nicht vor jeder Moschee ein Polizist stehen. "Aber wir brauchen eine Sensibilisierung der Behörden, damit man bei Gefahr schneller reagieren kann", ergänzte er.

Seehofer und Lambrecht sprachen sich zugleich gegen weitere Gesetzesverschärfungen aus. Beide verwiesen unter anderem auf die erfolgte Verschärfung des Waffenrechts und das Maßnahmenpaket gegen Hass im Netz, das am 19. Februar im Kabinett beschlossen wurde. Beides sind Konsequenzen aus dem antisemitischen Anschlag in Halle im vergangenen Oktober. Es gehe nun zunächst darum, genau hinzuschauen, ob Gesetze auch entsprechend ausgeführt werden, sagte die Lambrecht.

Im hessischen Hanau hatte ein Mann am Abend des 19. Februar neun Menschen erschossen. Alle hatten einen Migrationshintergrund. Die Polizei fand den mutmaßlichen Täter und dessen Mutter später tot in deren Wohnung. Der Generalbundesanwalt sprach von einer "zutiefst rassistischen Gesinnung" des mutmaßlichen Täters.

"Muss Chefinnensache werden"

Lambrecht appellierte an die Verletzten und Angehörigen der Opfer, sich an den Opferbeauftragten der Bundesregierung, Edgar Franke (SPD), zu wenden. "Es ist eine Zeit, in der man Unterstützung braucht und sie auch bekommt", sagte sie. Die Stadt Hanau hat nach dem Anschlag selbst zwei Opferbeauftragte für die Angehörigen eingesetzt, wie Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) mitteilte.

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz (CDU), kündigte an, sich mit allen betroffenen Ministerkollegen besprechen zu wollen, "ob wir genug gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität tun." "Wir müssen Rechtsextremismus den Nährboden entziehen", sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe . Die Grünen-Innenpolitikerin Filiz Polat nahm Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) persönlich in die Pflicht, für gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sorgen. "Der Kampf gegen Rassismus muss Chefinnensache werden", sagte sie.



Berlin: Politik und Kirchen entsetzt über Gewalttat von Hanau

Politik und Gesellschaft in Berlin haben erschüttert auf die mutmaßlich rechtsterroristische Gewalttat in Hanau reagiert. Der Regierende Bürgermeister sprach von einem direkten Angriff auf die Demokratie.

In Berlin ist mit Entsetzen und Fassungslosigkeit auf die mutmaßlich rechtsterroristische Gewalttat in Hanau reagiert worden. Für 20. Februar riefen Politiker und Vertreter der Zivilgesellschaft zu einem Gedenken und einer Mahnwache am Brandenburger Tor auf, darunter Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne), die Grünen-Bundesvorsitzende Annalena Baerbock, der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner und die Berliner Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales, Sawsan Chebli (SPD).

Mehrere Initiativen wie der Berliner Flüchtlingsrat riefen zu einer weiteren Gedenkkundgebung und -demonstration am Berliner Hermannplatz in Neukölln auf. In Kirchen wie dem Berliner Dom und der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche wurde der Getöteten und ihrer Angehörigen gedacht. Im hessischen Hanau nahe Frankfurt am Main hatte ein Mann am Mittwochabend nach Polizeiangaben in zwei Shisha-Bars neun Menschen erschossen. Die Polizei fand den mutmaßlichen Täter und dessen Mutter danach tot in deren Wohnung. Der Generalbundesanwalt hat die Ermittlungen übernommen. Nach seinen Angaben haben neun der elf Getöteten einen Migrationshintergrund.

Das Berliner Abgeordnetenhaus begann seine Plenarsitzung mit einer Schweigeminute für die Opfer und ihre Angehörigen. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) erklärte auf Twitter, das entsetzliche Gewaltverbrechen in Hanau stehe in einer Reihe mit dem rechtsextremen Anschlag in Halle, dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübke (CDU), der Mordserie des NSU und vielen anderen rechtsterroristischen Anschlägen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten.

"Das sind direkte Angriffe auf die Demokratie und unsere Werte", sagte Müller. Sein Beileid gelte den Familienangehörigen der Todesopfer und den Verletzten. Zudem forderte er eine vollständige Aufklärung der Hintergründe für diese Tat.

Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) kündigte an, sich kurzfristig mit Vertretern der Berliner Migrantenverbände zu treffen. Im Augenblick gebe es keine Bezüge nach Berlin, erklärte der Innensenator: "Ich weiß aber, dass die Menschen in unserer Stadt beunruhigt sind." Geisel sagte weiter, in Hanau sei keine Shisha-Bar angegriffen worden, sondern "in Hanau wurden Menschen getötet, die zu uns gehören". Seine Gedanken seien bei den Hinterbliebenen der Opfer und den Verletzen.

Der evangelische Berliner Landesbischof Christian Stäblein verurteilte die "schockierende Gewalttat" scharf. Er sei fassungslos über so viel Hass und Menschenverachtung, sagte Stäblein: "Niemand darf in diesem Land aufgrund seiner Herkunft oder Religion in Gefahr sein." In Gedanken und im Gebet sei er bei den Opfern und ihren Angehörigen.



Bundesratspräsident Woidke: Morde von Hanau sind "Angriff auf alle"

Bundesratspräsident Dietmar Woidke (SPD) hat die mutmaßlich rechtsextreme Gewalttat in Hanau mit mehreren Toten scharf verurteilt. "Diese Tat ist abscheulich und feige", erklärte der brandenburgische Ministerpräsident am 20. Februar in Potsdam. Brandenburg hat derzeit den Vorsitz im Bundesrat inne. Der Anschlag sei "ein Angriff auf uns alle", betonte Woidke: "Wir werden nicht dulden, dass Hass, Rassismus und Gewalt unser Leben bestimmen."

Den Angehörigen gelte sein Mitgefühl, betonte der Bundesratspräsident: "Wir trauern um Nachbarn, Freunde, Kollegen und Mitmenschen." Im hessischen Hanau nahe Frankfurt am Main hatte ein Mann am Mittwochabend nach Polizeiangaben in zwei Shisha-Bars neun Menschen erschossen. Die Polizei fand den mutmaßlichen Täter und dessen Mutter danach tot in deren Wohnung. Der Generalbundesanwalt hat die Ermittlungen übernommen.

Am Donnerstagabend sollte bundesweit in verschiedenen Orten der Opfer des Anschlags von Hanau gedacht werden. In Potsdam wurde zu einer Gedenkveranstaltung am Denkmal für die Opfer des Faschismus am Platz der Einheit aufgerufen. "In Gedenken an die Opfer von Hanau wollen wir heute Abend gegen den Faschismus und rechten Terror mahnen und unsere Wut auf die Straße tragen", hieß es in dem Aufruf vom Donnerstagnachmittag.



Entsetzen und Trauer über Hanauer Anschläge in Thüringen

Die mutmaßlich rechtsterroristischen Morde in Hanau haben auch in Thüringen Bestürzung und Anteilnahme hervorgerufen. Die schrecklichen Nachrichten aus Hessen machten sie fassungslos, erklärte Landtagspräsidentin Birgit Keller (Linke) am 20. Februar in Erfurt. Die Gedanken seien bei den Opfern und ihren Angehörigen, denen furchtbares Leid zugefügt worden sei. Keller wies auch auf die politische Dimension der Anschläge hin. Sie zeigten einmal mehr, "wie groß die Gefahr ist, die von Rechtsextremisten in unserem Land ausgeht", erklärte Keller.

Für die Erfurter Christen erinnerte der Senior des Evangelischen Kirchenkreises, Matthias Rein, an die elf erschossenen Menschen, von denen einige türkische, polnische und bosnische Wurzeln hätten. Er lud für den Abend zum ökumenischen Friedensgebet in der Lorenzkirche am Anger ein. "Wir wollen für die Opfer und die Angehörigen beten. Wir wollen unsere Betroffenheit zum Ausdruck bringen und miteinander teilen. Wir wollen deutlich machen, dass wir Gewalt, Mord und Hass verurteilen", sagte Rein.

Der Vorsitzende des DGB Hessen-Thüringen, Michael Rudolph, rief zur Beteiligung an den geplanten Mahnwachen auf. Angesichts der offenbar rassistisch motivierten Morde in Hanau sei jeder und jede gefragt, Gesicht und Haltung zu zeigen. Nach dem NSU und dem Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke seien erneut Menschen durch eine rechtsextreme Gewalttat in Hessen ums Leben gekommen. "Jetzt muss ein Zeichen der Trauer und des Mitgefühls mit den Hinterbliebenen sowie entschlossener Solidarität von der Gesellschaft ausgehen", forderte Rudolph.



Hanau: Erschütterung und Mitgefühl in Sachsen

Nach den tödlichen Schüssen von Hessen haben Vertreter der Landesregierung und der Kirchen ihrer Erschütterung Ausdruck verliehen. Ministerpräsident Kretschmer sprach von einer abscheulichen Tat.

Vertreter aus Politik und Kirche in Sachsen haben mit Entsetzen auf den rassistischen Mordanschlag im hessischen Hanau reagiert. Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) schrieb am 20. Februar auf Twitter, er sei zutiefst erschüttert über die Morde. "Unser aufrichtiges Mitgefühl gehört den Opfern, Hinterbliebenen & Verletzten", twitterte er. Hinter dieser abscheulichen Tat stecke eine rassistische und menschenverachtende Ideologie, "der wir entschieden entgegentreten müssen".

Auch Innenminister Roland Wöller (CDU) hatte zuvor seine Erschütterung über die Tat und sein Mitgefühl mit den Angehörigen der Toten zum Ausdruck gebracht. Auch wenn die Hintergründe des Verbrechens noch aufgeklärt werden müssten, "zeigen uns solche Taten, dass wir es zunehmend mit Einzeltätern zu tun haben, die über einen langen Zeitraum unauffällig bleiben und sich im Verborgenen radikalisieren", teilte Wöller mit. Auf diese neue Herausforderung müssten sich die Sicherheitsbehörden einstellen.

Der innenpolitische Fraktionssprecher des Koalitionspartners SPD, Albrecht Pallas, sprach von "furchtbaren Nachrichten" aus Hanau: "Meine Gedanken und mein Mitgefühl sind bei den Opfern dieser Morde und ihren Angehörigen", erklärte er: "Aus Worten werden Taten. Das müssen wir nach NSU, dem Anschlag von Halle, dem Mord an Walter Lübcke auch hier wieder schmerzhaft erfahren". Zugleich warnte Pallas vor dem offenbar bundesweiten Phänomen, dass sich Menschen radikalisierten, "ohne im Fokus der Sicherheitsbehörden zu sein".

Auch die beiden großen sächsischen Kirchen verurteilten die Tat. "Angesichts dieser Gewalt, die sich offensichtlich gegen andere Religionen und Kulturen richtete, sind wir fassungslos", erklärte der Stellvertreter des Bischofs der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, Oberlandeskirchenrat Thilo Daniel: "Als Christen stehen wir uns an der Seite derer, die unter Hass und Gewalt leiden."

Sachsens katholischer Bischof Heinrich Timmerevers erklärte auf Twitter, die Tat richte Fragen an die Gesellschaft. "Sind wir sensibel genug, wenn Hass auf andere Religionen und Kulturen unser Miteinander zu durchdringen droht? Fühlen wir uns noch angewidert, wenn subtiler Rassismus den Debattenraum erobert? Schaffen wir es, deutlich anzuprangern, wenn Ansichten dem christlichen Menschenbild zuwiderlaufen?", erklärte Timmerevers.

Im hessischen Hanau nahe Frankfurt am Main hatte ein Mann am Mittwochabend nach Polizeiangaben in zwei Shisha-Bars neun Menschen erschossen. Die Polizei fand den mutmaßlichen Täter und dessen Mutter danach tot in deren Wohnung. Der Generalbundesanwalt hat die Ermittlungen übernommen.

An vielen Orten in Sachsen und bundesweit wurde in sozialen Netzwerken für Donnerstagabend zu Kundgebungen aufgerufen. In Leipzig war eine Gedenkveranstaltung für die Opfer von Hanau unter dem Motto "Gegen rechten Terror und Rassismus" geplant. In Dresden rief die Opferberatung RAA Sachsen zu einer Kundgebung und Demonstration am Jorge-Gomondai- Platz auf.



Haseloff zu Hanau: "Diese entsetzliche Tat schmerzt uns alle"

Auch in Sachsen-Anhalt sind das Entsetzen und die Anteilnahme nach dem mutmaßlich rassistischen Mordanschlag im hessischen Hanau groß. Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) zeigte sich am 20. Februar tief betroffen. "Diese entsetzliche Tat schmerzt uns alle", sagte er vor seinem Grußwort zur Amtsübergabe der Präsidentschaft der Leopoldina in Halle. Angesichts des Terroranschlags in Halle am 9. Oktober 2019 könne er sehr gut nachvollziehen, was sein hessischer Amtskollege Volker Bouffier (CDU) und die Menschen vor Ort in diesen Stunden empfinden. "Meine Gedanken sind bei den Opfern und ihren Angehörigen", sagte Haseloff: "Ihnen gilt meine herzliche Anteilnahme."

Bei dem Festakt in der Leopoldina wurde mit einer Schweigeminute der Opfer von Halle gedacht. Das Innenministerium in Magdeburg ordnete am Donnerstag Trauerbeflaggung an. Bis einschließlich Freitag sollten an allen Dienstgebäuden des Landes die Fahnen auf halbmast wehen, teilte das Innenministerium am Donnerstag mit.

Im hessischen Hanau nahe Frankfurt am Main hatte ein Mann am Mittwochabend in zwei Shisha-Bars neun Menschen erschossen. Die Polizei fand den mutmaßlichen Täter und dessen Mutter danach tot in deren Wohnung. Der Generalbundesanwalt hat die Ermittlungen übernommen. Es lägen "gravierende Indizien für einen rassistischen Hintergrund der Tat" vor, hieß es am Donnerstag.

Zahlreiche weitere Vertreter aus Politik und Kirche in Sachsen-Anhalt äußerten ihre Anteilnahme. Das Landesnetzwerk Migrantenorganisationen Sachsen-Anhalt plant am Freitag eine Solidaritätsfahrt nach Hanau. Geschäftsführer Mamad Mohamad sagte, nach den Ereignissen in Hanau und anderen Orten könne man nicht mehr einfach zum Alltag zurückkehren. "Die Angst sitzt bei uns so tief wie nie zuvor", betonte er. Leib und Leben von Migranten, jüdischen Menschen, Muslimen und anderen Menschen seien bedroht.

Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende und innenpolitische Sprecherin der Links-Fraktion im Magdeburger Landtag, Henriette Quade, verwies auf den Anschlag in Halle und sagte: "Der Täter mag allein gehandelt haben, ein Einzeltäter ist er nicht." Quade betonte: "Wer jetzt nicht entschlossenes Handeln gegen die extreme Rechte als erste politische Priorität setzt, der muss sich auch für deren Handeln in Verantwortung nehmen lassen."

Bei dem antisemitischen Anschlag am 9. Oktober 2019 in Halle waren eine 40-jährige Frau und ein 20-jähriger Mann erschossen worden, zwei weitere Menschen wurden schwer verletzt. Zuvor hatte der Täter vergeblich versucht, in die Synagoge der Stadt einzudringen.



Demonstrationen nach Anschlag in Hanau

Nach dem Anschlag im hessischen Hanau haben am 20. Februar in Sachsen-Anhalt Hunderte Menschen der Opfer gedacht und gegen Rassismus demonstriert. In Magdeburg versammelten sich am Donnerstagabend rund 400 Menschen bei einer Kundgebung auf dem Willy-Brandt-Platz vor dem Hauptbahnhof und zogen anschließend in einer Demonstration durch die Stadt, wie die Polizei in Magdeburg mitteilte. Zu der Demonstration unter dem Motto "Rassismus tötet. Den rechten Terror stoppen." hatte das Bündnis Solidarisches Magdeburg aufgerufen.

Im Verlauf des Aufzugs in Magdeburg kam es nach Polizeiangaben vereinzelt zum Abbrennen von Pyrotechnik. Auch in Halle hatten sich am Donnerstagabend mehrere hundert Menschen auf dem Marktplatz der Stadt versammelt, um der Opfer in Hanau zu gedenken. In Halle waren bei einem antisemitischen Anschlag im Oktober zwei Menschen erschossen worden.

In Hanau hatte ein 43-Jähriger am Mittwochabend in zwei Shisha-Bars neun Menschen erschossen und anschließend seine Mutter und sich selbst getötet. Die Bundesanwaltschaft sieht "gravierende Indizien für einen rassistischen Hintergrund der Tat". Alle in den beiden Bars getöteten Menschen hatten eine Zuwanderungsgeschichte.



Meron Mendel: "Auch Einzeltäter handeln im politischen Diskursraum"


Meron Mendel
epd-bild/Peter Jülich

Nach dem rechtsterroristischen Anschlag in Hanau betont der Direktor der Beratungs- und Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main, Meron Mendel, dass auch Einzeltäter in einem politischen Diskursraum handeln. Menschenfeindliche Einstellungen von AfD-Politikern, die in Parlamente und Talkshows getragen werden, könnten dazu ermutigen, Hass in Gewalt umzusetzen, sagte Mendel in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Freitag in Frankfurt. "Das bestärkt Gewalttäter, auch wenn sie alleine handeln, in ihrem Tun", sagte Mendel.

epd: Wo sehen Sie die Wurzeln des Terroranschlags in Hanau?

Mendel: Nach allem, was wir heute wissen, hat der Täter von Hanau aus rassistischen Motiven Menschen ermordet, die nicht in das menschenverachtende Weltbild weißer Überlegenheitsfantasien passen. Rassistische, antisemitische und andere menschenfeindliche Einstellungen sind in allen Teilen der Gesellschaft verankert. Dass extrem rechte und faschistische Politiker der AfD sie in die Parlamente und Talkshows tragen, das trägt dazu bei, dass Menschen sich ermutigt fühlen, ihren Hass in Gewalt umzusetzen.

epd: Ist die Vermutung, es handele sich um einen Einzeltäter, glaubhaft?

Mendel: Inwiefern der Täter von Hanau in rechte Netzwerke verstrickt war, werden die Ermittlungen zeigen. Mir ist es aber wichtig zu betonen, dass auch sogenannte Einzeltäter immer in einem politischen Diskursraum handeln – und der hat sich in den letzten Jahren weit nach rechts verschoben. Das bestärkt Gewalttäter, auch wenn sie alleine handeln, in ihrem Tun. Dazu kommt: Wer das Manifest des Täters liest, sieht in seinem rassistischen, antisemitischen und auch frauenverachtenden Hass klare Parallelen zur Ideologie anderer rechter Terroristen, etwa jener, die in Halle oder Christchurch mordeten.

epd: Hat es Versäumnisse bei Politik und Verfassungsschutz gegeben?

Mendel: Wir können noch nicht beurteilen, inwiefern es im konkreten Fall Versäumnisse gegeben hat, etwa beim Erteilen des Waffenscheins. Ganz klar hat es aber strukturelle Versäumnisse gegeben bei der Bekämpfung rechten Terrors. Bei der Aufklärung der NSU-Morde etwa wurde die Chance versäumt, konsequent die Netzwerke aufzudecken, auf die die Mörder sich stützen konnten. Die Morde von Hanau können uns, so sehr sie uns bestürzen, nicht überraschen, weil sie in einer Kontinuität zahlreicher extrem rechter Gewalttaten alleine im vergangenen Jahr stehen.

epd-Gespräch: Christian Prüfer


Fehlende Infektiologen sind "vergessene Nachricht" des Jahres

Fehlende Infektiologie-Fachärzte, sexistische Bräuche bei Volksfesten, ausgebeutete Hausangestellte: Die Liste wichtiger Themen, die in den Medien zu kurz kommen, ist lang. Die Initiative Nachrichtenaufklärung hat die Top Sieben vorgestellt.

Zur wichtigsten vergessenen Nachricht hat die Initiative Nachrichtenaufklärung (INA) in diesem Jahr das Thema "Fehlende Facharztausbildung in der Infektiologie" gekürt. Obwohl das Thema Infektionskrankheiten wegen des Corona-Virus gerade in aller Munde sei, sei der Öffentlichkeit nicht bekannt, dass es in Deutschland keine entsprechende Facharztausbildung gibt, sagte INA-Geschäftsführer Hektor Haarkötter am 19. Februar in Berlin.

In vielen anderen Ländern sei eine solche Ausbildung längst Standard. So hätten in Schweden Infektiologen eine sechsjährige Facharztausbildung hinter sich, hierzulande gebe es lediglich eine einjährige Zusatzausbildung. Auch Experten meinten, dass Deutschland hier hinterherhinke, sagte der Medien- und Kommunikationswissenschaftler von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg.

Insgesamt wählte die Initiative in diesem Jahr sieben Themen auf die seit 22 Jahren erscheinende Liste vergessener Nachrichten. Den zweiten Platz im Ranking belegt das gescheiterte EU-Programm "Europa 2020" zur Bekämpfung von Armut in der Union. Trotz wirtschaftlicher Boomjahre seien in der EU mehr als 20 Prozent der Bevölkerung immer noch von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. "Gerade beim Thema Armut ist es wichtig, dass die Medien viel genauer hinsehen und berichten, da die Betroffenen auf gesellschaftliche Unterstützung angewiesen sind", sagte Haarkötter.

Auf den dritten Platz gelangte das Thema "Fehlende Ethik in der Lebensmittelindustrie - Pferdeblut fürs Schweinefleisch". Ein aus Pferdeblut gewonnenes Hormon werde in der Schweinemast eingesetzt, um den Zyklus der Sauen und die Größe ihrer Würfe zu optimieren. Sowohl für die Pferde als auch für die Schweine sei das eine Quälerei. Für die Jury der INA sei das ein Beispiel der in weiten Teilen fehlenden Ethik in der Lebensmittelindustrie, insbesondere bei der Tierhaltung, hieß es.

Zu weiteren vergessenen Themen kürte die Jury Sexismus als Brauchtum beispielsweise in der Eifel mit den sogenannten Mädchenversteigerungen, private Sicherheitsdienste als Polizeiersatz, die Nutzung von Algorithmen zur Verbrechens- und Terrorbekämpfung bei den Sicherheitsbehörden (Predictive Policing) und die unsichtbare internationale Ausbeutung von Hauspersonal. "Der Nachrichtenumschlag ist so groß und schnell wie nie", sagte Haarkötter: "Dennoch erreichen wichtige Themen die Öffentlichkeit nicht oder nur unzureichend." Daran wolle die INA mit ihrer Liste der vergessenen Nachrichten erinnern.

Die Top Sieben hat die Jury laut Haarkötter aus etwa 100 Hinweisen ausgewählt. Der Jury gehört unter anderen der Investigativ-Journalist Günter Wallraff an. Zu den jeweiligen Themen bietet die Initiative Recherchematerial auf ihrer Internetseite an. Interessierte können zudem Themenvorschläge einreichen, die von studentischen Teams an mehreren Hochschulen recherchiert werden. Angesiedelt ist die Initiative an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Kooperationspartner ist der Deutschlandfunk.



Länder planen keinen stärkeren Schutz von Moscheen

Nach Bombendrohungen und der Aufdeckung einer mutmaßlichen rechten Terrorzelle haben Muslime einen besseren Schutz ihrer Einrichtungen gefordert. Das ist derzeit aber eher nicht geplant. Viele Bundesländer halten den aktuellen Schutz für ausreichend.

Die Bundesländer reagieren zurückhaltend auf die Forderung muslimischer Verbände nach verstärkter Sicherheit für Moscheen. Niedersachsen, Hessen, Sachsen, Brandenburg, Bremen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern planen keine Erhöhung der Sicherheitsmaßnahmen, wie eine Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) unter den Innenministerien der Länder ergab. Andere verweisen auf bereits erfolgte Schutzmaßnahmen nach dem Attentat an der Synagoge in Halle.

Eine besondere Gefährdungslage sei derzeit nicht erkennbar, hieß es aus Bremen und Schwerin. Die derzeitigen Schutzmaßnahmen würden für ausreichend erachtet, teilte der Sprecher des Brandenburger Innenressorts mit. Auch aus Hannover hieß es, eine Erhöhung der Sicherheit sei nicht vorgesehen.

Die Berliner Polizei teilte mit, dass infolge der Razzia bei mutmaßlichen Mitgliedern und Unterstützern einer rechtsterroristischen Vereinigung die Schutzmaßnahmen überprüft worden seien. Über konkrete Maßnahmen wollte sie aus taktischen Gründen aber keine Antwort geben. Auch Bayern, Nordrhein-Westfalen und Hamburg beriefen sich bei der Frage nach Schutzmaßnahmen auf Geheimhaltung. Das nordrhein-westfälische Innenministerium teilte darüber hinaus mit, dass die Kreispolizeibehörden spezielle Kontaktbeamte als Ansprechpartner für muslimische Einrichtungen haben.

Aus Baden-Württemberg hieß es, dass polizeilich bekannte Moscheen schon vor jüngsten Drohungen im Fokus der Sicherheitsarbeit gestanden hätten. Das Innenministerium von Rheinland-Pfalz teilte mit, dass nach dem antisemitischen Anschlag in Halle im vergangenen Oktober die Schutzmaßnahmen auch für muslimische Einrichtungen intensiviert worden seien. Das Innenministerium in Sachsen-Anhalt verwies auf die im Januar erfolgte Erweiterung der mobilen Wachen für jüdische und muslimische Einrichtungen.

Alle Bundesländer, von denen Antworten vorlagen, betonten, dass die Sicherheitssituation jeweils aktuell und lageorientiert geprüft und gegebenenfalls angepasst werde. Die Innenministerien von Thüringen und im Saarland ließen die Anfrage zum Schutz muslimischer Einrichtungen bis zum späten Dienstagnachmittag unbeantwortet.

Bei Razzien in sechs Bundesländern am Freitag sind zwölf mutmaßliche Mitglieder und Unterstützer einer rechtsterroristischen Vereinigung verhaftet worden. Sie sollen Anschläge auf Politiker, Asylsuchende und Muslime geplant haben, um die Gesellschaft in Deutschland zu erschüttern.

Die Ermittlungen und jüngste Drohungen gegen Moscheen vor allem in Nordrhein-Westfalen ließen Forderungen nach höheren Schutzmaßnahmen für muslimische Einrichtungen lauter werden. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, erklärte am Montag, die Angst sei real und greifbar.

Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums erklärte am Montag, nach der derzeitigen Sicherheitslage könnten Anschläge auf Gotteshäuser "abstrakt" nicht ausgeschlossen werden. Das Ministerium gab seinerseits aber keine Empfehlung für die Sicherheit ab, sondern verwies auf die Zuständigkeit der Bundesländer. Die Grünen-Innenpolitikerin Filiz Polat hat nach Angaben ihres Büros beantragt, das Thema bei der nächsten Sitzung des Innenausschusses des Bundestags auf die Tagesordnung zu nehmen.



Migrationsforscher: Mehr Unterstützung für reformorientierte Muslime

Der Berliner Migrationsforscher Ruud Koopmans hat mehr Unterstützung für reformorientierte Muslime gefordert. "Es gibt in islamischen Ländern und in Deutschland reformorientierte Muslime. Sie haben es nicht leicht", sagte der Professor für Soziologie und Migrationsforschung an der Humboldt-Universität Berlin dem Berliner "Tagesspiegel" (17. Februar). Diese würden auch in Deutschland "von den großen etablierten islamischen Verbänden bekämpft". Diese liberalen Kräfte hätten "viel mehr Unterstützung der deutschen Öffentlichkeit verdient", sagte Koopmans.

Zugleich warnte der Sozialwissenschaftler vor islamischem Fundamentalismus. Dieser habe in vielen islamischen Ländern die Demokratie "schon unterminiert oder abgeschafft", sagte der 59-Jährige. In westlichen Einwanderungsgesellschaften sind nach Ansicht des Wissenschaftlers islamischer Fundamentalismus und Rechtsextremismus "durchaus vergleichbar, wenn man auf sozialstrukturelle Bedingungen und die Funktion der Ideologie schaut". Weiter betonte er: "In einer muslimischen Minderheit von rund vier Prozent der Bevölkerung in Deutschland neigen rund 30 Prozent dem Fundamentalismus zu. Das sind in absoluten Zahlen natürlich weniger als die Anhänger des Rechtsextremismus."

Koopmans will sich zugleich abgrenzen zu islamkritischen Thesen etwa von Thilo Sarrazin. Dieser behaupte, die fundamentalistische Interpretation des Islam sei die einzig mögliche. "Ich dagegen glaube an die Reformfähigkeit des Islam", sagte der Migrationsforscher.



Mehr als ein Drittel der Abgeordneten für Polen-Denkmal

75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges wird in Berlin weiter über die richtige Erinnerung an die Opfer der deutschen Besatzungspolitik gerungen.

Mehr als ein Drittel der Bundestagsabgeordneten hat bislang einen Aufruf für einen Ort der Erinnerung an den deutschen Vernichtungskrieg gegen Polen unterzeichnet. Darunter seien Vertreter aller Fraktionen mit Ausnahme der AfD, wie der Grünen-Abgeordnete Manuel Sarrazin als einer der Initiatoren dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagte. Bislang haben sich dem Aufruf 264 von 709 Bundestagsabgeordneten angeschlossen.

Die zum 80. Jahrestag des Überfalls auf Polen im vergangenen September gestartete Initiative wirbt für "einen Ort der Begegnung und Auseinandersetzung", um an Krieg und Besatzung zu erinnern und um Deutsche und Polen zusammenzubringen. Vorschläge für eine konkrete Ausgestaltung enthält der Aufruf nicht. Initiatoren sind neben Sarrazin die Abgeordneten Paul Ziemiak (CDU), Dietmar Nietan (SPD), Thomas Nord (Linke) und Alexander Müller (FDP).

Der Aufruf stehe nicht im Gegensatz zu der bereits im November 2017 bekanntgewordenen zivilgesellschaftlichen Initiative für ein Polen-Denkmal am früheren Anhalter-Bahnhof in Berlin, sagte Sarrazin weiter. Vielmehr sei er als Ergänzung zu sehen.

Zu den Initiatoren für ein "Polen-Denkmal in der Mitte Berlins" gehören die Ex-Bundestagspräsidenten Rita Süssmuth (CDU) und Wolfgang Thierse (SPD), der ehemalige Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, Andreas Nachama, und der ehemalige Direktor des Deutschen Polen-Instituts, Dieter Bingen.

Ende Januar fanden sich 137 Unterzeichner auf der Unterstützerliste, darunter auch Abgeordnete, die den Aufruf im Bundestag unterschrieben haben. Mit dem Denkmal soll an die polnischen Opfer der deutschen Besatzung zwischen 1939 und 1945 erinnert werden.

Der Berliner Historiker Wolfgang Benz warnt dagegen vor einer Nationalisierung des Gedenkens. "Eine Nation mit einem Denkmal hervorzuheben, das zieht weitere Forderungen anderer nach sich", sagte Benz dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Benz betonte, eine Würdigung der Opfer des deutschen Vernichtungskrieges im Osten, insbesondere in Polen und der Sowjetunion, sei dringend geboten. Allerdings bestehe mit der Initiative für ein Polen-Denkmal "die Gefahr einer Nationalisierung des Gedenkens". So gebe es auch bereits die Forderung nach einem Ukraine-Denkmal.

Benz plädiert dafür, das "Gedenken durch Denkmale" durch den Bau eines Dokumentationszentrums über die deutsche Besatzungsherrschaft in Europa zwischen 1939 und 1945 zu ergänzen. Dies könne ein "Ort der historischen Aufklärung und der Bildung für Menschen aus allen europäischen Staaten werden".

Benz, der auch Sprecher des Beirates der Stiftung Denkmal der ermordeten Juden Europas ist, hofft auf einen entsprechenden Beschluss des Bundestages mit Blick auf den 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges am 8. Mai. Erste positive Signale habe er aus mehreren Fraktionen erhalten.

Die Bundeszentrale für politische Bildung lädt für Dienstag (18. Februar) zu einer Podiumsdiskussion über das Thema nach Berlin ein. Sie steht unter der Fragestellung "Wie weiter mit dem Gedenken an die Opfer der deutschen Besatzung in Polen?".



Historiker warnt vor weiteren Denkmälern für NS-Opfer

Der Berliner Historiker Wolfgang Benz hat vor einer Nationalisierung des Gedenkens an NS-Opfer gewarnt. Hintergrund sind Initiativen für ein Polen-Denkmal am Berliner Anhalter Bahnhof. "Eine Nation mit einem Denkmal hervorzuheben, das zieht weitere Forderungen anderer nach sich", sagte Benz dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Benz betonte, eine Würdigung der Opfer des deutschen Vernichtungskrieges im Osten, insbesondere in Polen und der Sowjetunion, sei dringend geboten. Allerdings bestehe mit der Initiative für ein Polen-Denkmal "die Gefahr einer Nationalisierung des Gedenkens". So gebe es auch bereits die Forderung nach einem Ukraine-Denkmal.

Benz plädiert dafür, das "Gedenken durch Denkmale" durch den Bau eines Dokumentationszentrums über die deutsche Besatzungsherrschaft in Europa zwischen 1939 und 1945 zu ergänzen. Dies könne ein "Ort der historischen Aufklärung und der Bildung für Menschen aus allen europäischen Staaten werden".

Das in Kooperation mit den Opfernationen umzusetzende Projekt würde der Zersplitterung der Erinnerungskultur in Europa entgegenwirken, sagte Benz. Hingegen würden Denkmäler für einzelne Opfergruppen "die Leerstellen historischen Wissens nicht beheben, dafür aber für Emotionen sorgen". Die notwendige Aufklärung über die deutschen Verbrechen und ihre Opfer bliebe auf der Strecke.

Benz, der auch Sprecher des Beirates der Stiftung Denkmal der ermordeten Juden Europas ist, hofft auf einen entsprechenden Beschluss des Bundestages mit Blick auf den 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges am 8. Mai. Erste positive Signale habe er aus mehreren Fraktionen erhalten.

"Eine vergleichende Perspektive würde die Gemeinsamkeiten deutscher Okkupation zwischen Pyrenäen und Ural herausstellen", sagte der langjährige Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin. Zugleich könne auf die rassistisch motivierten Unterschiede bei der Behandlung der Zivilbevölkerung, der Kriegsgefangenen und der Zwangsarbeiter durch die Nazis aufmerksam gemacht werden.

In einem Schreiben an den Bundestag erinnerte Benz daran, dass "neben bekannten Kriegsverbrechen viele andere in unserer Erinnerungskultur bisher namenlos geblieben sind". Als Beispiel führte er das französische Dorf Oradour-sur-Glane an, dass im Rahmen von "Vergeltungsmaßnahmen" von Deutschen 1944 vernichtet wurde. Während in dem französischen Ort immer wieder daran öffentlich erinnert werde, sei weniger bekannt, dass in Weißrussland deutsche Einheiten 1943/44 mehr als 600 Dörfer samt ihrer Bevölkerung auslöschten.

epd-Gespräch: Lukas Philippi


Brandenburg will Gedenkstätten stärken

Brandenburgs Kulturministerin Manja Schüle (SPD) hat eine Stärkung der Gedenkstätten im Bundesland angekündigt. Im Nachtragshaushalt werde es zusätzliche Mittel für den Schutz jüdischen Lebens und die Stärkung der Gedenkstätten geben, erklärte Schüle. "Juden werden wieder auf unseren Straßen angegriffen, rechtsextremistische Hassverbrechen wie aktuell in Hanau nehmen zu und in aller Öffentlichkeit wird unverhohlen Geschichtsrevisionismus betrieben", sagte sie am 20. Februar in Potsdam. Die Erinnerung an die NS-Verbrechen sei deshalb heute wichtiger denn je.

Die zusätzlichen Mittel im Nachtragshaushalt seien zwar erfreulich, reichten aber nicht, betonte Schüle: "Wir brauchen eine stärkere Vernetzung aller Akteure, klare Handlungslinien, verlässliche Informationsketten und konkrete Ansprechpartner zum Schutz der Gedenkstätten vor rechtsrevisionistischen Provokationen und Geschichtsklitterung." Auch der Bund müsse dabei zur Seite stehen.

Brandenburg fördert die Arbeit der Gedenkstätten den Angaben zufolge in diesem Jahr mit rund 3,5 Millionen Euro. Schüle hatte sich am Donnerstag mit Verfassungschef Jörg Müller, dem Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Axel Drecoll, den Leiterinnen und Leitern aller Gedenkstätten des Landes sowie Vertreterinnen und Vertretern weiterer Einrichtungen und Historikern getroffen. Thema des Austauschs waren unter anderem Formen des Gedenkens und der historisch-politischen Bildung angesichts erstarkender rechtsrevisionistischer Strömungen.



Sprengstoff in KZ-Gedenkstätte gefunden

An einem Wochenende im Januar ist, wie erst jetzt bekannt wurde, im Eingangsbereich der Nordthüringer KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora ein Päckchen mit Sprengstoff abgelegt worden. Abgeordnete des Landtags reagieren schockiert.

Am Wochenende des 18. und 19. Januar 2020 wurde im Eingangsbereich zum Gelände der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora in der Nähe von Nordhausen ein verdächtiges Päckchen gefunden. Nach kriminaltechnischen Untersuchungen stehe nun fest, dass es sich bei dem Fund "um einen zündfähigen Sprengkörper mit ernstzunehmender Wirkung" handelte, teilte die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora am 20. Februar in Weimar mit. Sie bestätigte damit Informationen der Landtagsabgeordneten Katja Mitteldorf (Linke).

Laut Stiftung grenzt an die Gedenkstätte ein stillgelegter Tagebau zur Gewinnung von Anhydrit. Erste Untersuchungen hätten den Verdacht nahegelegt, es könne sich um zündunfähigen alten Industriesprengstoff handeln, sagte Stiftungssprecher Rikola-Gunnar Lüttgenau. Weitere Untersuchungen und Ermittlungen liefen.

Die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora habe umgehend alle ihr von der Polizei gegebenen Informationen an den Wachschutz sowie alle Beschäftigten weitergeben und die Wachsamkeit verstärkt. "Die Mitarbeiter sind angesichts der Bedeutung der Gedenkstätten und vor dem Hintergrund potenzieller rechtsextremer Übergriffe ohnehin für auffällige Gegebenheiten und Gegenstände sensibilisiert und werden regelmäßig entsprechend fortgebildet", erklärte Lüttgenau. Für eine abschließende Beurteilung sei die Stiftung auf die Ermittlungsergebnisse der Polizei angewiesen.

Noch bleibe abzuwarten, ob es den Behörden möglich sein werde, Ermittlungsergebnisse zu Personen, dem Zeitpunkt des Ablegens und den genauen Hintergründen zu ermitteln, sagte Mitteldorf: "Dennoch müssen wir feststellen, dass dies der erste Fund solch massiver Art auf einem Gedenkstättengelände ist." Das sei schockierend.

Bereits die wiederholten Schändungen in Mittelbau-Dora, aber auch anderer Gedenkstätten, seien ein deutliches Fanal an die Gesellschaft, dass Wachsamkeit und Wehrhaftigkeit gegenüber Antisemitismus und Rassismus als demokratischer Konsens verteidigt werden müssten, erklärte die Linken-Abgeordnete. Ein Sprengstoff-Fund an einem für Deutschland so wichtigen Erinnerungsort sei eine weitere beängstigende Steigerung.

Die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Landtag, Madeleine Henfling, stellte einen Zusammenhang mit den Morden von Hanau her. Ausgerechnet an dem Tag, der von den schrecklichen Anschlägen geprägt sei, "wird auch noch bekannt, dass auf dem Gelände der Gedenkstätte Mittelbau-Dora zündfähiger Sprengstoff gefunden wurde", sagte sie.

Bisher sei nicht klar, wann genau der Sprengstoff abgelegt wurde, betonte Henfling. Der Vorfall zeige jedoch, "dass radikalisierte Menschen inzwischen auch nicht mehr davor zurückschrecken, Gedenkorte anzugreifen und in Kauf nehmen, dass dabei Menschen verletzt und getötet werden".

Das Konzentrationslager Dora war am 28. August 1943 bei Nordhausen als Außenlager des KZ Buchenwald eingerichtet und im Herbst 1944 als KZ Mittelbau reorganisiert worden. In dem KZ waren etwa 60.000 Häftlinge aus 48 Nationen inhaftiert. Ein Drittel starb wegen der inhumanen Arbeits- und Lebensbedingungen etwa bei der Produktion von V2-Raketen in unterirdischen Stollen.



Beckstein für weitere Bürgerräte


Günther Beckstein
epd-bild/Norbert Neetz
Sie sollen Wege aus der Demokratiekrise weisen und die Bürger mit ihren gewählten Vertretern in den Parlamenten besser vernetzen. Den Aufschlag dazu machte im vergangenen Jahr der "Bürgerrat Demokratie". Jetzt sollen weitere folgen.

Der Vorsitzende des "Bürgerrates Demokratie", der frühere bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU), hat sich für weitere Bürgerversammlungen zu Themen wie der Klimafrage ausgesprochen. Zudem sollte der Bundestag bis Ende des Jahres darüber entscheiden, ob das Instrument der Bürgerräte als Ergänzung der parlamentarischen Demokratie gesetzlich verankert wird, sagte Beckstein am 18. Februar auf einer Videopressekonferenz des Berliner Vereins Mehr Demokratie.

Mitte November vergangenen Jahres hatte der "Bürgerrat Demokratie" Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) einen Katalog mit 22 konkreten Vorschlägen zur Stärkung der Demokratie überreicht. Kernforderungen des Gremiums sind weitere Bürgerräte zu bundespolitischen Themen, die Einführung bundesweiter Volksabstimmungen sowie die Einrichtung einer eigenen Stabsstelle für Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie. Zudem sollte ein Lobbyregister geschaffen werden.

Beckstein nannte den Bürgerrat Demokratie "ein fantastisch gelungenes Experiment". Es sei auf hohem Niveau diskutiert worden. Viele hätten ihre Meinung geändert, "manche sogar mehrfach". Es führe nun kein Weg daran vorbei, dass sich auch die Abgeordneten damit beschäftigen.

Der Bürgerrat war das erste bundesweite repräsentativ zusammengesetzte Gremium seiner Art und bestand aus 160 aus den Einwohnermelderegistern gelosten Menschen zwischen 16 und 82 Jahren. Die Empfehlungen an den Bundestag wurden auf sechs Regionalkonferenzen und auf einer Gesamtkonferenz in Leipzig erarbeitet. Vorbild ist den Angaben nach unter anderem die Citizen' Assembly in Irland.

Derzeit würden Gespräche mit Bundespolitikern und auf Länderebene geführt, sagte Claudine Nierth, Bundesvorstandssprecherin des Vereins Mehr Demokratie. Bürgerräte seien ein Mehrwert für die Demokratie. In schwierigen Fragen zeigten sie der Politik, was konsensfähig in der Gesellschaft ist. Dadurch könne die Entscheidungsfreudigkeit der Parlamente unterstützt werden. Deshalb sei es nötig, dass jetzt aus dem Bundestag heraus der Vorstoß komme, Bürgerräte fest als Instrument der Willensbildung zu implementieren, sagte Nierth.

Sie sei positiv überrascht gewesen, dass viele der ausgelosten Teilnehmerinnen und Teilnehmer aktiv bleiben wollen: "Der Bürgerrat zeigt, wie aus Menschen, die sich gefragt und gehört fühlen, Bürgerinnen und Bürger werden, die für die Gesellschaft bürgen", sagte Nierth. Mehr Demokratie hatte zusammen mit der Schöpflin Stiftung den Demokratie-Bürgerrat organisiert. Bürgerräte seien ein neues Element der demokratischen Beteiligung, zeigte sich Nierth überzeugt und verwies auf ähnliche Entwicklungen in Spanien, Frankreich und Großbritannien.



Schärfere Strafen für Hass


Hass und Mobbing im Internet (Symbolfoto)
epd-bild/Jens Schulze
Nach dem antisemitischen Anschlag von Halle hat die Bundesregierung beschlossen, entschlossener gegen Hasskriminalität im Internet vorzugehen. Hetze im Netz gilt als ein Wegbereiter für konkrete Gewalttaten.

Nach dem antisemitischen Anschlag von Halle hat die Bundesregierung beschlossen, entschlossener gegen Hasskriminalität im Internet vorzugehen. Hetze im Netz gilt als ein Wegbereiter für konkrete Gewalttaten. Bereits am 19. Februar brachte das Bundeskabinett den Gesetzentwurf von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) auf den Weg, der vor allem eine stärkere Strafverfolgung und schärfere Ahndung von Hassverbrechen zum Ziel hat. Fragen und Antworten zu ihrem Paket:

Wie will die Bundesregierung Hass im Netz begegnen?

Sie plant vor allem zwei Dinge: Betreiber sozialer Netzwerke sollen selbst mit dafür sorgen, dass Hasstaten verfolgt werden. Zudem ist eine Verschärfung mehrerer Straftatbestände geplant. Beleidigungen im Netz sollen künftig beispielsweise mit zwei statt einem Jahr Freiheitsstrafe geahndet werden können, weil ihre Reichweite und Wirkung viel größer ist als etwa in der Kneipe oder auf der Straße. Zudem soll der Bedrohungstatbestand weiter gefasst werden, um auch angedrohte Körperverletzungen oder sexuelle Gewalt gegen Frauen ahnden zu können. Betroffene sollen sich künftig besser schützen können, indem sie beim Amt leichter eine Auskunftssperre erwirken können. Dies verhindert, dass die Adresse an Dritte weitergegeben wird.

Was sollen Plattformen gegen Hass-Straftaten machen?

Betreiber sozialer Netzwerke sollen dazu verpflichtet werden, strafrechtlich relevante Inhalte inklusive IP-Adresse und Port-Nummer dem Bundeskriminalamt zu melden. Bislang müssen sie nur dafür sorgen, dass diese Inhalte gelöscht oder gesperrt werden. Kommen die Plattformen dieser künftigen Meldepflicht nicht nach, drohen Bußgelder bis zu 50 Millionen Euro.

Was müssen die Plattformen melden und was nicht?

Gemeldet werden müssen schwere Straftaten wie etwa Drohungen mit Mord oder Vergewaltigung, Volksverhetzung, Gewaltdarstellungen, Verbreitung von Propaganda oder Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und die Vorbereitung schwerer staatsgefährdender Gewalttaten. Auch die Verbreitung von Kinderpornografie wird im Zuge der Gesetzesänderung in den Katalog aufgenommen. Bei Beleidigungen, übler Nachrede und Verleumdungen sollen weiter die Betroffenen selbst entscheiden, ob sie Strafanzeige stellen.

Dürfen die Plattformen Passwörter herausgeben?

Ja, unter strengen Bedingungen. Im Telemediengesetz soll festgehalten werden, dass eine Herausgabe von Passwörtern nur zur Verfolgung besonders schwerer Straftaten - etwa Mord oder Terrorismus - möglich ist und von einem Gericht angeordnet werden muss. Zudem dürfen die Daten nach der Herausgabe nicht an weitere Behörden übermittelt werden.

Was wird für den Schutz von bedrohten Kommunalpolitikern getan?

Im Strafrechtsparagrafen zum Schutz von im politischen Leben stehenden Personen soll künftig klargestellt werden, dass alle politischen Ebenen gemeint sind. Bislang werden Verleumdungen in der Regel nur dann verfolgt, wenn prominente Bundes- oder Landespolitiker betroffen sind. Üble Nachrede und Verleumdung können nach dieser Bestimmung mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden.

Von Corinna Buschow (epd)


Gericht: Schmähung "frecher Jude" ist Volksverhetzung

Die Verwendung des nationalsozialistischen Schmähbegriffs "frecher Jude" ist Volksverhetzung. Mit dem Begriff würden bewusst Gefühle des Bezeichneten verletzt, und es werde zum Hass aufgestachelt, erklärte das Oberlandesgericht Hamm in einer am 19. Februar veröffentlichten Entscheidung. Laut Grundgesetz und Strafgesetz gebe es bei der freien Meinungsäußerung Grenzen, wenn gegen Menschen aufgrund ihrer nationalen, religiösen oder ethnischen Herkunft zu Hass aufgestachelt oder zur Gewalt aufgerufen werde. (AZ: III-3 RVs 1/20, OLG Hamm)

Mit der Gerichtsentscheidung bleibt es bei einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe für einen 32-jährigen Dortmunder, der laut Gericht bereits wegen Volksverhetzung vorbestraft ist. Das Gericht lehnte den Revisionsantrag des Mannes ab. Der Mann hatte auf seiner Internetseite den Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde als "der freche Juden-Funktionär" bezeichnet. Bei der Revision hatte sich der Mann auf das Recht auf freie Meinungsäußerung berufen.

Sprache des Nationalsozialismus

Der Begriff des "frechen Juden" gehöre zum charakteristischen Vokabular der Sprache des Nationalsozialismus, erläuterte das Oberlandesgericht. Dass der Angeklagte den Begriff in einem Zusammenhang mit nationalsozialistischer Rassenideologie gebraucht habe, mache deutlich, dass es ihm auf den herabwürdigenden und an den Nationalsozialismus anknüpfenden Sprachgebrauch angekommen sei.

Die Verwendung des Begriffs gehe über eine bloße Äußerung der Ablehnung hinaus, erklärte das Gericht. Sie motiviere zu einer feindseligen Haltung gegenüber Menschen jüdischen Glaubens. Damit seien die Bedingungen des Paragrafen 130, Absatz 1 des Strafgesetzes erfüllt, die für Aufstachelung zum Hass sowie für Aufrufe zu Gewalt Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren vorsehen.



AfD zieht Kinder-Malbuch mit rassistischen Motiven zurück

Klischees, Feindbilder, rassistische Vorurteile: Ein Malbuch für Kinder mit fremdenfeindlichen Motiven löst einen Sturm der Entrüstung aus. Erst beklagt die Partei eine angebliche Kampagne gegen "Kunstfreiheit", jetzt zieht sie das Buch doch zurück.

Nach Kritik an rassistischen Inhalten in einem AfD-Malbuch für Kinder rudert die Partei zurück und will das "Projekt" beenden. Das Buch sei "leider verfrüht veröffentlicht worden", erklärte die AfD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag, die das Buch in Auftrag gegeben hatte, am 19. Februar. Der AfD-Landesvorstand erklärte, Stil und Inhalt der Publikation mit "fragwürdigen Motiven" seien nicht vertretbar und "für ein Kinderbuch völlig ungeeignet".

Die Bücher mit dem Titel "Nordrhein Westfalen zum Ausmalen" waren bei einem sogenannten Bürgerdialog in Krefeld verteilt worden. Die Bilder zeigen etwa einen Autokorso mit türkischen Flaggen, dessen Teilnehmer durchweg bewaffnet sind. Ein anderes Bild steht unter dem Titel "Wir baden das aus" und zeigt kleine Mädchen mit langen Zöpfen, die vor gefährlich und fremdartig aussehenden Männern davonlaufen. Parteien und Organisationen kritisieren derlei Abbildungen als rassistisch, nach der Verteilung der Bücher wurden zudem Strafanzeigen wegen Volksverhetzung gestellt.

Sofortige Beendigung des Projekts

Die mit der Realisierung beauftragte Projektgruppe sei "über das Ziel hinaus gegangen" und der Druckauftrag sei voreilig erteilt worden, erklärte die AfD-Landtagsfraktion. Fraktionschef Markus Wagner sagte: "Meine gestern getroffene Einschätzung war ein Fehler. Das Buch hätte in dieser Form nicht erscheinen dürfen." Das Projekt werde "sofort und ersatzlos beendet".

Am 18. Februar hatte Wagner noch angekündigt, angesichts massiver Kritik die Auflage des Malbuchs zu erhöhen. "Da haben wir wieder einen Treffer gelandet", hatte er erklärt und sich auf die Kunst- und Satirefreiheit berufen. "Antifa-Extremisten" wollten "die Kunstfreiheit angreifen".

Strafanzeigen wegen Volksverhetzung

Nach Angaben der Polizei Krefeld wurden mehrere Strafanzeigen wegen Volksverhetzung gegen die AfD-Fraktion erstattet. Medienberichten zufolge ermittelt zudem der Staatsschutz, die Staatsanwaltschaft Krefeld prüfe den Fall.

Der nordrhein-westfälische Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) hatte die Verteilung des AfD-Buches am Abend des 18. Februar auf Twitter verurteilt und erklärt: "Jetzt geht es mit rassistischer Hetze sogar an die Kinder. Das werden wir nicht hinnehmen." Der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Thomas Kutschaty, sprach von einem "rassistischen Ausmalbuch" und warf der AfD vor, "Kinder mit ihrer menschenverachtenden Ideologie aufstacheln" zu wollen.

Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion, Matthias Kerkhoff, bezeichnete das Malbuch als menschenfeindlich und als weiteren Teil einer langen Reihe von Entgleisungen der AfD. "Rassismus ist immer Rassismus und keine Satire. Ganz egal in welcher Form oder von wem sie kommt", twitterte die Amadeu Antonio Stiftung, die sich gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus engagiert.



Thierse warnt vor parlamentarischer Zusammenarbeit mit AfD

Der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) warnt vor einer parlamentarischen Zusammenarbeit mit der AfD. "Eine Partei, die demokratisch gewählt ist, muss noch lange nicht demokratisch sein", sagte der SPD-Politiker am 23. Februar im Deutschlandfunk. Das sei eines der verbreitetsten Missverständnisse von Demokratie. Er verwies darauf, dass die Nazipartei in der Weimarer Republik auch gewählt wurde.

Mit einer solchen Partei "muss man noch lange nicht koalieren, muss man nicht gemeinsame Politik betreiben", betonte Thierse. Stattdessen müsse man streiten, gerade wenn man nicht derselben Meinung sei. Gewählt sein heiße lediglich: "Man darf am demokratischen und man soll am demokratischen Streit teilnehmen. Das ja, aber nicht mehr", sagte Thierse.

Der SPD-Politiker, der auch Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) ist, bezeichnete es als eine Lehre aus dem Ende der Weimarer Republik, "dass wir den Feinden der Demokratie, den Rechtsextremisten, den Nationalsozialisten keinen Zipfel der Macht überlassen dürfen". Er wolle zwar die aktuelle Situation nicht gleichsetzen mit der von 1932, denn es gebe mehr Demokraten als damals. Aber dass in Thüringen CDU und FDP "ausgerechnet der Höcke-AfD, der rechtesten AfD in Deutschland", einen Zipfel der Macht übergeben hätten, sei ein Sündenfall. "Das hätte nicht sein dürfen", sagte Thierse.

Demonstrationen gegen Rechtsextremismus bezeichnete Thierse als ein wichtiges Zeichen der Bürger, "dass wir unsere Straßen und Plätze und unsere Öffentlichkeit nicht denen überlassen, die Hass und Gewalt säen".



Umfrage: EU-Bürger einig über Integrationsvoraussetzungen

Zuwanderer in die Europäische Union (EU) sollen einer Umfrage zufolge vor allem die Landessprache sprechen, über ihre Steuern zum Wohlfahrtsstaat beitragen und sich den Werten und Normen im Land verpflichtet fühlen. Das ist das Ergebnis einer Sonderumfrage des sogenannten Eurobarometers unter EU-Bürgern zur Frage, was für eine erfolgreiche Integration wichtig ist, wie die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) am 19. Februar in Berlin mitteilte. Für die 2017 durchgeführte Umfrage wurden EU-weit rund 28.000 Menschen befragt.

In der Befragung habe sich gezeigt, dass Menschen mit viel Kontakt zu Zuwanderern eher eine positive Meinung vom Integrationserfolg im eigenen Land haben, Zuwanderung aber dennoch häufig skeptisch gegenüberstehen. Wer besser über Migration informiert sei, habe auch eher eine positive Meinung dazu, jedoch nicht zum Integrationserfolg im eigenen Land.

Für Deutschland falle auf, dass Umfrageteilnehmer die Sprachkenntnisse als Integrationsvoraussetzung noch stärker gewichten als Teilnehmer der meisten anderen EU-Länder. Auch würden Sprachkenntnisse für wesentlich wichtiger gehalten als formale Qualifikationen.

In Deutschland ist den Angaben zufolge die Zahl derer, die Migration als überwiegend problematisch ansehen (36 Prozent), erheblich höher als die Zahl derer, die sie überwiegend als Chance begreifen (24 Prozent). In Österreich sind die Unterschiede noch größer (38 gegenüber 13 Prozent). In beiden Ländern überwiege jedoch der Anteil derer, die Migration sowohl als Chance als auch als Problem sehen.



Studie: Schnelles Internet hilft populistischen Parteien

Die Verbreitung schneller Internetverbindungen und die Wahlerfolge von populistischen Parteien hängen einer neuen Studie zufolge eng zusammen. Die AfD in Deutschland und die Fünf-Sterne-Bewegung in Italien hätten vom Ausbau der Breitbandkommunikation profitiert, heißt es in einer am 19. Februar in Berlin vorgestellten Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB).

Neben anderen Faktoren würden schnelles Internet, ein leichterer Zugang zu sozialen Medien und die damit verbundenen geschlossenen "Echokammern" den populistischen Parteien maßgeblich helfen, vor allem unter jungen Leuten neue Wähler zu erreichen und zu mobilisieren. Der Effekt habe sowohl für eher links- wie für rechtsgerichtete Populisten nachgewiesen werden können.

Die beiden Forscher Max Schaub und Davide Morisi zeigten in ihrer Studie, dass in Gegenden in Deutschland und Italien, die vor 2017 eingeschränkten Zugang zum schnellen Internet hatten, auch weniger Menschen bei landesweiten und regionalen Wahlen die AfD oder die Fünf-Sterne-Bewegung unterstützten. Die Nutzung von Online-Medien komme den populistischen Parteien entgegen, da sie dort ihren Kommunikationsstil der direkten Ansprache mit einfachen Botschaften pflegen könnten.

Die etablierten Parteien konnten dagegen vom Ausbau des schnellen Internets nicht profitieren, weil ihre Positionen meist hinreichend von den klassischen Medien abgedeckt würden. Zudem berichten die klassischen Medien häufig kritisch über beide populistischen Parteien.



Connewitz-Prozesse: Nach 18 Monaten 78 Urteile gesprochen

Eineinhalb Jahre nach Beginn der Prozessserie zu den Neonazi-Krawallen Anfang 2016 in Leipzig-Connewitz sind bislang 78 von 203 Angeklagten verurteilt worden. Gegen den Großteil von ihnen wurden Bewährungshaftstrafen in Höhe von 12 bis 20 Monaten verhängt, wie die Leipziger Staatsanwaltschaft dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 17. Februar auf Anfrage mitteilte.

In rund einem Dutzend der Fälle wurde demnach Jugendstrafrecht angewandt. Die Angeklagten bekamen Arbeitsstunden und Jugendstrafen zwischen 8 und 17 Monaten. Insgesamt sind den Angaben nach bislang 58 Verurteilungen rechtskräftig. Alle Schuldsprüche lauteten auf besonders schweren Landfriedensbruch.

Der Großteil der am 16. August 2018 begonnenen Prozessreihe wird vor dem Amtsgericht Leipzig verhandelt: Hier stehen 92 Verfahren mit in der Regel zwei Angeklagten an. Auch in Torgau, Eilenburg und weiteren Städten wird verhandelt. Insgesamt hat die Staatsanwaltschaft Leipzig 103 Anklagen gegen 203 Personen erhoben. Für mehr als die Hälfte von ihnen (107 Angeklagte) hätten die zuständigen Gerichte noch keinen Verhandlungstermin bestimmt, erklärte die Staatsanwaltschaft.

Laut Anklage waren am Abend des 11. Januar 2016 rund 250 schwarz gekleidete, vermummte Randalierer durch den linksgeprägten Leipziger Stadtteil Connewitz gezogen. Bewaffnet mit Eisenstangen, Schlagstöcken und Holzlatten, demolierten sie insgesamt 25 Geschäfte, Bars und andere Einrichtungen, Böller und Leuchtraketen wurden gezündet. Laut Staatsanwaltschaft entstand ein Sachschaden von rund 113.000 Euro. Die Polizei nahm 215 Tatverdächtige fest.



Helfer: Katastrophale Lage in Idlib

Hunderttausende Menschen sind vor den Kämpfen in der syrischen Region Idlib auf der Flucht - bei eisiger Kälte. Einen sicheren Ort zu finden, ist kaum noch möglich.

Nach fast neun Jahren Krieg in Syrien zeichnet sich Helfern zufolge eine neue humanitäre Katastrophe unermesslichen Ausmaßes ab. "Eine so große Fluchtbewegung innerhalb kürzester Zeit ist selbst in neun Jahren Syrien-Krieg beispiellos", erklärte der Leiter der Diakonie Katastrophenhilfe, Martin Keßler, am 19. Februar mit Blick auf die anhaltenden Kämpfe in der Region Idlib im Norden des Landes. Nach UN-Schätzungen sind allein seit Anfang Dezember 900.000 Menschen vor der Gewalt in der Provinz Idlib und den angrenzenden Gebieten geflohen.

"Verzweifelte Situation"

Luftangriffe und eine Bodenoffensive der syrischen Regierungstruppen und ihrer russischen Verbündeten hätten eine riesige Vertreibungswelle ausgelöst, bekräftigte "Ärzte ohne Grenzen". "Die Situation der Menschen ist verzweifelt", sagte Landeskoordinator Julien Delozanne. "Die Angriffe treffen jetzt Gebiete, die bislang als sicher galten. Die Menschen, die in den Norden fliehen, werden in ständig schrumpfendes Gebiet zwischen der Frontlinie im Osten und der geschlossenen türkischen Grenze im Westen gedrängt." Mitte Februar seien auch Vertriebenenlager bei Sarmada beschossen worden, in denen erst kurz zuvor Zehntausende Menschen auf der Flucht vor den Kämpfen im Süden Idlibs eingetroffen seien.

In der nahe gelegenen Stadt Takad seien nur die Menschen geblieben, die sich keinen Transport leisten könnten oder nicht wüssten, wohin sie gehen sollten, zitierte die Hilfsorganisation Mustafa Ajaj, bis zu seiner eigenen Flucht Direktor des von "Ärzte ohne Grenzen" unterstützten Gesundheitszentrums in Takad. Krankenhäuser in der Region mussten aufgrund der Kämpfe und Angriffe geschlossen werden.

"Riesige humanitäre Katastrophe"

"Jetzt tritt ein, wovor humanitäre Helfer seit Monaten warnen: Das humanitäre Völkerrecht wird völlig missachtet, Hunderttausende Menschen müssen aus Todesangst fliehen", sagte Keßler von der Diakonie Katastrophenhilfe. Wegen der anhaltenden Kämpfe könnten sie sich kaum in Sicherheit bringen oder Unterstützung bekommen. "Es droht eine riesige humanitäre Katastrophe."

Selbst in Bauruinen fänden die Menschen kaum mehr Platz. "So haben die Flüchtlinge keine andere Chance, als im Freien zu übernachten und das bei klirrender Kälte", sagte der Leiter der evangelischen Hilfsorganisation. Viele Geflohene sind schutzlos den eisigen Temperaturen ausgesetzt, Kinder und Babys sterben laut UN infolge der Kälte.

Tödliche Rückeroberungsoffensive

Die Armee des syrischen Machthabers Baschar al-Assad, das russische Militär und verbündete Milizen gehen seit April 2019 in Idlib gegen islamistische Kämpfer vor, die sich dort verschanzt halten. In diesem Monat startete die Regierung mit Unterstützung ihrer Verbündeten eine militärische Offensive zur Rückeroberung entscheidender Gebiete um die Städte Idlib und Aleppo. Nach UN-Angaben wurden allein in der ersten Februarhälfte mindestens 100 Zivilisten, darunter 18 Frauen und 35 Kinder, von Regierungstruppen und ihren Verbündeten getötet. Zudem seien zahlreiche Menschen verletzt worden.

Der Syrien-Krieg begann 2011 mit einem Volksaufstand gegen Assad. Rebellen und Terrorgruppen eroberten weite Teile des Landes. Mit Hilfe Russlands und des Irans gewann Assad die meisten Gebiete zurück.



Caritas: Lesbos-Flüchtlinge auch im Alleingang aufnehmen

Im Streit über die Aufnahme von Flüchtlingen aus überfüllten Lagern auf den griechischen Inseln fordert die Caritas zur Not einen deutschen Alleingang. Zwar brauche es dringend solidarisches Handeln der EU, sagte Präsident Peter Neher am 19. Februar in Berlin. Doch wenn eine gesamteuropäische Lösung nicht gelinge, "muss Deutschland in Vorleistung treten und im Alleingang handeln". Ziel sei es, unverzüglich ein Kontingent unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge aufzunehmen.

"Europa darf die menschenunwürdigen Bedingungen in Griechenland nicht länger hinnehmen", sagte Neher. Er forderte die EU-Staaten auf, besonders Schutzbedürftige, wie unbegleitete Minderjährige, aber auch begleitete Kinder und deren Eltern, aufzunehmen und angemessen zu versorgen.

Lager überfüllt

Auf den griechischen Inseln Lesbos, Chios, Samos, Leros und Kos leben laut Caritas derzeit etwa 41.000 Flüchtlinge, unter ihnen etwa 14.000 Kinder. Die Unterbringung in den völlig überfüllten Lagern sei verheerend. Besonders betroffen seien Schwangere sowie Frauen mit Neugeborenen und kleinen Kindern. "Zumindest diesen Menschen muss schnellstmöglich geholfen werden", forderte der Präsident.

Um so katastrophale Verhältnisse an den Außengrenzen der EU künftig zu verhindern, sei ein funktionierendes gemeinsames europäisches Asylsystem nötig. Das müsse der Leitgedanke für die Überlegungen zu dem von der EU-Kommission angekündigten Europäischen Asyl- und Migrationspakt sein, bekräftigte Neher.



Italien: Oberstes Gericht bestätigt Vorgehen von Kapitänin Rackete

Die ehemalige Seenotretterin Carola Rackete hat nach Auffassung des obersten italienischen Kassationshofs ihre Pflicht erfüllt, als sie die im vergangenen Juni von der "Sea Watch 3" geretteten Flüchtlinge ohne Genehmigung nach Lampedusa brachte. "Die Pflicht zur Hilfe erschöpft sich nicht im Akt, Schiffbrüchige der Gefahr zu entziehen ", betonten die Richter am 20. Februar in Rom. Vielmehr müssten die Geretteten überdies in einen sicheren Hafen gebracht werden, hieß es in ihrer Urteilsbegründung im Fall der deutschen Kapitänin.

Hintergrund ist das Berufungsverfahren der Staatsanwaltschaft Agrigent gegen die Freilassung Racketes im vergangenen Sommer. Nachdem der römische Kassationshof – die letzte Berufungsinstanz in Italien – das Vorgehen der ehemaligen Seenotretterin und damit ihre Entlassung aus dem Hausarrest bereits im Januar für rechtens erklärt hatte, veröffentlichte er nun die Urteilsbegründung.

Schiff der Finanzpolizei gerammt

Ende Juni vergangenen Jahres hatte sich Rackete nach tagelangem Tauziehen mit den italienischen Behörden über das Verbot hinweggesetzt, mit der "Sea-Watch 3" Lampedusa anzulaufen. Beim Anlegen im Hafen der italienischen Insel rammte sie ein Schiff der Finanzpolizei und wurde daraufhin im Hafen festgenommen und unter Hausarrest gestellt.

Die Untersuchungsrichterin in Racketes Fall hob den Hausarrest auf und schloss sich der Argumentation der Kapitänin an, nach der es oberste Priorität gehabt habe, die vor Libyen geretteten Flüchtlinge in einen sicheren Hafen zu bringen. Überdies sei das Boot der Finanzpolizei kein Kriegsschiff. Die Richter des Kassationshofes schlossen sich dieser Einschätzung an: Bei dem gerammten Boot der Finanzpolizei habe es sich nicht um ein Kriegsschiff gehandelt, da dieses nicht von einem Marineoffizier gesteuert wurde.



Konkursverwalter der DDR


Lothar de Maizière
epd-bild/Rolf Zöllner
Die Volkskammerwahlen 1990 in der DDR hatten Lothar de Maizière in das Amt des Ministerpräsidenten gespült. Der Rechtsanwalt und Neu-Politiker musste dann das Land zügig abwickeln. Am 2. März wird der passionierte Musiker 80 Jahre alt.

"Mann des Übergangs", "Konkursverwalter für 17 Millionen Mandanten" oder "Kohls Musterschüler" - Lothar de Maizière hat als letzter DDR-Ministerpräsident vor 30 Jahren viele mehr oder weniger schmeichelnde Zuschreibungen erhalten. Er gehört zu der seltenen Spezies von Politikern, die in einem bestimmten historischen Moment wie aus dem Nichts an die Spitze gespült wurden, um dann wenig später wieder aus der Politik zu verschwinden. Am 2. März wird der langjährige Rechtsanwalt, CDU-Politiker, Zeitzeuge und Mitgestalter der deutschen Einheit 80 Jahre alt.

Musik ist vielleicht die große Konstante in seinem Leben. Noch heute greift der studierte Bratschist im Ensemble gelegentlich zum Bogen. Seine aktive Zeit als Politiker dauerte dagegen gerade einmal gut ein Jahr. Dabei wäre er gerne noch früher wieder ausgestiegen, bereits am 3. Oktober 1990, dem Tag der Wiedervereinigung: "Im Prinzip war das, wozu ich Ende 1989 in die Politik gegangen bin, getan", sagt er im Abstand von 30 Jahren dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Berlin.

Selten hatte ein Wahlgewinner so unglücklich ausgesehen wie Lothar de Maizière am Abend des 18. März 1990. Entgegen allen Wahlumfragen hatte die von ihm angeführte "Allianz für Deutschland" die erste freie Volkskammerwahl in der DDR mit mehr als 48 Prozent deutlich gewonnen. Das Parteienbündnis aus Ost-CDU, Deutscher Sozialer Union (DSU) und Demokratischem Aufbruch (DA) war nur wenige Wochen zuvor von de Maizière und Altbundeskanzler Helmut Kohl (CDU) geschmiedet worden.

De Maizière war erst im November 1989 Vorsitzender der Ost-CDU geworden. Auf einen Wahlsieg der bisherigen Blockpartei, die noch wenige Wochen zuvor das marode SED-Regime gestützt hatte, schien er nicht vorbereitet. So wirkte er fast abwesend, als er sich im Blitzlichtgewitter, umzingelt von TV-Kameras, durch das Gewühl im damaligen Ost-Berliner Palast der Republik schob.

Ihm sei in diesem Moment deutlich geworden, was da auf ihn zukomme, sagt de Maizière später. Als Anwalt für Wirtschafts- und Steuerrecht habe er die ökonomische Lage der DDR gut einschätzen können und gewusst, dass das Land wirtschaftlich kurz vor dem Kollaps stand.

Viel Gestaltungsspielraum blieb dem 1940 im thüringischen Nordhausen geborenen Rechtsanwaltssohn in seiner nur achtmonatigen Regierungszeit nicht. Zu massiv war das Bestreben des Machtpolitikers Kohl, die Gelegenheit nach einer schnellen deutschen Vereinigung nicht verstreichen zu lassen.

De Maizière, Cousin des ehemaligen Bundesinnenministers Thomas de Maizière (CDU), verstand sich als Vertreter eines Bildungsbürgertums, das es in der DDR eigentlich nicht mehr geben sollte. Nach dem Abitur am Ost-Berliner Gymnasium zum Grauen Kloster 1958 studierte er zunächst Bratsche. Wegen einer Erkrankung musste er den Bratschisten-Beruf aber aufgeben, studierte in einem Fernstudium Jura an der Humboldt-Universität und wurde mit 35 Jahren Rechtsanwalt. 1987 wählte das Kollegium der Berliner Rechtsanwälte de Maizière zum Stellvertreter des damaligen Vorsitzenden Gregor Gysi, mit dem er bis heute befreundet ist.

Zu seinen anwaltlichen Tätigkeiten gehörte nach eigenem Bekunden auch die Verteidigung von Menschen in der DDR, die mit dem SED-Regime in Konflikt geraten waren, wie beispielsweise Regine und Wolfgang Templin. Dadurch habe er auch Kontakt zur Stasi gehabt, das sei als Anwalt in der DDR normal gewesen, sagt er. Zudem hatte die Stasi einen Zweitschlüssel zu seiner Kanzlei, wie de Maizière aber erst nach der Wiedervereinigung aus Akten erfuhr. Als Mitte Dezember 1990 Vorwürfe gegen ihn erhoben wurden, er habe als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) "Czerni" für die Stasi gearbeitet, trat er als Bundesminister für besondere Aufgaben zurück, im Herbst 1991 dann auch von seinen Parteiämtern.

Obwohl die Anschuldigungen weitgehend entkräftet wurden, zog der Vater von drei Töchtern sich in den Folgejahren vom politischen Parkett zunehmend zurück und arbeitete wieder als Rechtsanwalt. Männer des Übergangs seien immer Männer mit Verfallsdatum, sagte er einmal rückblickend.

De Maizière gehörte zu den relativ wenigen DDR-Christen, für die sich Kirchenmitgliedschaft und aktive politische Mitarbeit nicht ausschlossen. Gysi nannte ihn einmal "ein bourgeoises Fossil". Bereits 1956 trat der überzeugte Protestant der Ost-CDU bei, eine der vier DDR-Blockparteien. Von 1985 bis 1990 gehörte er auch der Synode des Bundes der Evangelischen Kirche der DDR an.

In den turbulenten Monaten zwischen dem 18. März und dem 3. Oktober 1990 hatte de Maizière dem Kohl'schen Fahrplan zur deutschen Einheit wenig entgegenzusetzen. "Mein Ziel war es, dass die Ostdeutschen nicht unter die Räder kommen", sagt er wenige Tage vor seinem 80. Geburtstag. Dies sei ihm weitgehend gelungen, findet er im Rückblick, um dann aber doch zu bemängeln, dass sich heute immer noch zu wenig Ostdeutsche in Führungspositionen wiederfänden. Die Debatte über Benachteiligung und fehlende Wertschätzung "wäre viel früher notwendig gewesen", kritisiert er. Früher seien die Unzufriedenen bei der PDS gelandet, heute bei der AfD.

Von Lukas Philippi und Markus Geiler (epd)


"Mein Ziel war, dass die Ostdeutschen nicht unter die Räder kommen"

Lothar de Maizière war der erste demokratisch gewählte und zugleich letzte Ministerpräsident der DDR. Am 2. März wird der Rechtsanwalt und ehemalige CDU-Politiker 80 Jahre alt. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) schaut er zurück auf 30 Jahre Wiedervereinigung und wagt einen Blick in die Zukunft.

epd: Herr de Maizière, Sie werden am 2. März 80 Jahre alt, die Wiedervereinigung jährt sich in diesem Jahr zum 30. Mal - wie wollen Sie, dass man sich an Sie als ersten demokratisch gewählten und zugleich letzten Ministerpräsidenten der DDR in der Geschichtsschreibung erinnert?

de Maizière: Helmut Kohl hat bei jeder Handlung daran gedacht, wie sie sich im Geschichtsbuch niederschlägt. Das war für uns nicht möglich. Wir mussten am Ende der DDR sehen, wie wir den täglichen Verlauf noch halbwegs vernünftig strukturieren und dass das Land nicht gleich zusammenbricht. Wir bekamen jeden Tag neue Hiobsmeldungen: ...da geht der Betrieb nicht mehr, das funktioniert nicht mehr, die brauchen wieder Geld … und, und, und. Ich habe versucht, diesem Prozess der Vereinigung Struktur zu geben. Mein Ziel war es, dass die Ostdeutschen nicht unter die Räder kommen.

epd: Und ist Ihnen das gelungen?

de Maizière: Ich denke weitgehend schon. Da wo ich erkennen konnte, dass es problematisch wird, habe ich versucht hart zu bleiben. Etwa bei der Anerkennung von Berufsabschlüssen, Ausbildungsabschlüssen, akademischen Graden. Der Westen war zunächst nicht bereit diese anzuerkennen. Die alten Länder fürchteten um ihre Hoheit in Bildungsfragen und wollten nicht, dass wir diese Fragen in den Einigungsvertrag mit aufnehmen. Mein Gegenargument war: Ich habe keine Länder in der DDR. Und ich komme nicht mit einem Volk von Analphabeten, sondern mit ausgebildeten Menschen und unzähligen Erwerbsbiografien. Das war schwierig durchzusetzen. Dies ist mir gelungen im Einigungsprozess, anderes weniger. Der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte als Verhandlungsführer mehr als andere Westpolitiker begriffen, dass der Einigungsvertrag weder ein Kaufvertrag, noch ein Pachtvertrag ist, sondern ein "Contrat social", also ein Vertrag, der die Bedingungen regelt, nach denen wir danach ein gemeinsames Volk sein wollen.

epd: Ihre aktive Zeit als Politiker dauerte gut ein Jahr. Sie haben einmal geschrieben, dass Sie es bereuen, erst im September 1991 und nicht schon am 3. Oktober 1990, dem Tag der Wiedervereinigung, aus der Politik ausgeschieden zu sein. Warum?

de Maizière: Im Prinzip war das, wozu ich Ende 1989 in die Politik gegangen bin, getan. Ich habe versucht, als oberster Repräsentant der DDR Einfluss auf die Entwicklung zu nehmen. Es wäre mir schwergefallen, ein gesamtdeutscher Politiker zu werden. Man hat auf uns Ostdeutsche im westdeutschen Politikbetrieb auch nicht unbedingt gewartet. Sie müssen bedenken, ich war 50 als ich mit der Politik begann; im Gegensatz zu Angela Merkel, die war 1990 eine junge Frau. Der größte Teil meines bewussten Lebens hatte sich also bereits in der DDR abgespielt. Ich hätte auch nicht gewusst, welcher Posten für mich angemessen gewesen wäre. Wir hatten damals überlegt, ob es einen ostdeutschen Wiedervereinigungsminister oder Aufbauminister Ost geben sollte. Der hätte aber bei jedem Kabinettskollegen erst einmal betteln müssen, um etwas von dessen Etat und Kompetenzen abzubekommen. Es gab ja kein Vorbild, nach dem man sich richten konnte.

epd: Wären Sie in der Politik geblieben, wenn Ihnen ein Posten angeboten worden wäre?

de Maizière: Wenn es ein Posten gewesen wäre, von dem ich gesagt hätte, das kann kein anderer. Dann hätte ich gesagt: Dann musst Du wohl! Ich habe mein In-der-Politik-sein immer als Pflicht angesehen. Wir haben in der Kirche und in der Bundessynode der evangelischen Kirchen der DDR immer wieder betont, dass wir einen Anspruch auf gesellschaftliche Teilhabe hätten. Als es 1989 dann soweit war, waren aber nur wenige bereit, sich auch in die Pflicht nehmen zu lassen. Noch am Abend des 18. März 1990 - dem Wahlsieg der "Allianz für Deutschland" bei den ersten freien Volkskammerwahlen - hatte ich mir überlegt, ob ich mich wirklich zum Ministerpräsidenten wählen lassen soll. Ich wusste, dass ich vor allem Konkursverwalter sein werde.

epd: Zum 30. Jahrestag des Mauerfalls im vergangenen Herbst ist viel über Unzufriedenheit, Benachteiligung und fehlende Wertschätzung der Ostdeutschen diskutiert worden. Wie lautet Ihre Analyse?

de Maizière: Die Debatte wäre viel früher notwendig gewesen. Tatsächlich fehlen aber Ostdeutsche in Führungspositionen, sei es bei Gerichten, in Hochschulen oder großen Unternehmen. Bislang gibt es nur wenige Bundesbehörden in ostdeutschen Ländern, etwa das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig oder das Umweltbundesamt in Dessau-Roßlau.

epd: Was sagen Sie zu dem gesamtdeutschen Phänomen AfD, die aber bedeutend höhere Wahlergebnisse in ostdeutschen Landtagen eingefahren hat als im Westen?

de Maizière: Die Stichwortgeber kommen alle aus dem Westen - Alexander Gauland, Björn Höcke, Alice Weidel, Jörg Meuthen, alles Wessis! Sie holen mit ihren Reden die Ostdeutschen ab, wo sie stehen. Mit ihrer Unzufriedenheit haben sie sich nach der Wiedervereinigung zunächst an die PDS gewandt. Die ist aber jetzt im System angekommen, besetzt Ministerposten und regiert in manchen Ländern mit. Jetzt tummeln sich die Unzufriedenen bei der AfD.

epd: Die Unzufriedenheit erscheint aber sehr diffus - wie würde unsere Gesellschaft denn aussehen, wenn mehr Ostdeutsche an den Schalthebeln sitzen würden?

de Maizière: Schwierig zu sagen; Geschichte denkt in Generationen. Sicherlich sind es die biografischen Brüche, die den Leuten bis heute zu schaffen machen. Viele mussten in den 1990er Jahren die Betriebe, in denen sie vielleicht Jahrzehnte lang gearbeitet haben, selbst abwickeln oder gar buchstäblich abreißen. Oder denken Sie an den Mittelbau in den Hochschulen. Diejenigen, die zu DDR-Zeiten aus politischen Gründen immer nur in der zweiten Reihe standen, kamen auch nach der Wiedervereinigung nicht zum Zuge. Da wurden ihnen Leute aus dem Westen vor die Nase gesetzt. Auch beim Aufbau kommunaler Infrastrukturen, denken Sie an die Abwasserverbände, sind in den 1990er Jahren im Osten Fehler gemacht worden. So sind etwa in Brandenburg einfach die Konzepte aus Nordrhein-Westfalen kopiert worden.

epd: Haben Sie eine Empfehlung für den Umgang mit den Rechtspopulisten?

de Maizière: Wenn ich das hätte, würde ich jeden Tag auf der Straße stehen und Reklame machen. Dass die AfD so stark ist, macht mich traurig.

epd: Befürchten Sie, dass sie noch stärker wird?

de Maizière: Ich habe eher die Hoffnung, dass die Leute merken, dass da viel Schwindel dabei ist. Noch wird die AfD gewählt, weil die Menschen es "denen da oben" mal zeigen wollen, aus Trotz; so wie sie früher die PDS gewählt haben.

epd: ...von wegen ostdeutsche Führungspersonen: Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist in der DDR aufgewachsen...

de Maizière: Frau Merkel ist ein Phänomen für sich. Im Bewusstsein der Menschen ist sie keine CDU-Politikerin, sondern die Leute denken, "die ist da oben und macht das schon". Sie ist in ihrem Denken so formallogisch und naturwissenschaftlich.

epd: Wer wird ihr nachfolgen?

de Maizière: Sie werden sehen, wenn Frau Merkel nicht mehr Kanzlerin ist, werden die Leute ihr sehr bald nachjammern und sagen: "Ach hätten wir die doch behalten." Ich sehe niemanden in der Union, der eine Vorstellung entwickelt, wie unsere Gesellschaft in zehn Jahren aussehen soll. Wir haben heute noch keine Vorstellung davon, welche Werte unser Land tragen sollen, wie beispielsweise künftig Solidarität definiert wird.

epd: Sie selbst haben einmal in einem Buch über die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts und die Energiewende eine "konsequente Transformation zu einer ökosozialen Marktwirtschaft" und zu einer "Kultur der Mäßigung" angemahnt. Wie weit sind wir damit?

de Maizière: ...noch nicht weit. Schuld daran ist auch eine bestimmte Fortschrittsfeindlichkeit in der Gesellschaft. Die nächsten Regierungen werden ohne grüne Beteiligung nicht auskommen. Das finde ich problematisch. Denn ich erlebe gerade die Grünen überwiegend als Verhinderer technischer Innovationen. Jüngstes Beispiel: die Proteste gegen die Waldrodungen im Zusammenhang mit der geplanten Ansiedelung eines Tesla-Werkes in Brandenburg.

epd: Zugleich haben Sie aber auch einmal sinngemäß geschrieben, dass sich das volle Innovationspotenzial einer Gesellschaft nur in einer freiheitlichen Demokratie entwickeln kann. Wie kommen Sie zu so einer Schlussfolgerung?

de Maizière: Das Potenzial ist letztendlich da. Wenn ich an den 4. November 1989 und die Demonstration auf dem Alexanderplatz denke, an die ganzen Reden und Transparente. Da wehte ein Witz und Geist über den Platz. Die friedliche Revolution von 1989 ist der beste Beweis, dass Freiheits- und Verantwortungsstreben der Menschen die wirksamste Verdrängungsmacht einer Gesellschaft ist.

epd-Gespräch: Lukas Philippi


Thüringer Hochschulen dringen auf schnelle Regierungsbildung

Thüringens Hochschulen fordern die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit des Landes. In einem am 17. Februar in Erfurt verbreiteten Brief appellieren zehn Präsidenten und Rektoren von Universitäten, Fachhochschulen und der Dualen Hochschule an die Mitglieder des Landtages, schnellstmöglich einen neuen Ministerpräsidenten zu wählen. Damit soll eine zügige Regierungsbildung ermöglicht werden. Nach dem Wahldebakel um den inzwischen zurückgetretenen Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich (FDP), der auch mit den Stimmen der AfD ins Amt gekommen war, gibt es im Moment keine Minister im Land.

Thüringen brauche eine handlungsfähige Regierung, schreiben die Präsidenten und Rektoren. Entscheidungen müssten getroffen, neue Entwicklungen angeschoben und langfristige Vorhaben verlässlich vorangetrieben werden. In den zurückliegenden Jahren habe sich der Freistaat Thüringen bundesweit und international einen sehr guten Ruf als Wissenschafts- und Innovationsstandort erarbeitet. Die Hochschulen seien dabei sowohl maßgebliche Motoren der Landesentwicklung als auch Anziehungspunkte für hochqualifizierte Fachkräfte aus aller Welt, heißt es in dem Papier.

Im Laufe des Montags wollte das rot-rot-grüne Bündnis, das zusammen nur noch auf 42 der 90 Stimmen im Thüringer Landtag kommt, mit der CDU über einen Ausweg aus der politischen Krise beraten. Der amtierende Regierungschef Kemmerich hatte zudem vorgeschlagen, bereits in der kommenden Woche einen neuen Anlauf zur Wahl eines Ministerpräsidenten zu starten. Darüber will der Ältestenrat des Landtags am Dienstag beraten.



Esoteriker, Wunderheiler und Coaches dominieren Berliner Sektenmarkt

Bei der Berliner Sektenberatung sind im vergangenen Jahr fast 600 Anfragen zu Sekten, Religionsgemeinschaften und Lebenshilfe-Angeboten eingegangen. Damit bewegte sich die Zahl der Anfragen auf dem Vorjahresniveau, teilte die Einrichtung am 21. Februar in der Bundeshauptstadt mit. Im Vergleich zu 2017 seien es aber 120 mehr gewesen. Die 2008 gegründete Leitstelle für Sektenfragen heißt seit Jahresbeginn SektenInfo Berlin. Angesiedelt ist sie bei der Senatsbildungsverwaltung.

Den größten Informations- und Beratungsbedarf habe es 2019 im Kontext mit evangelikalen Freikirchen gegeben, hieß es weiter. Ebenfalls im Fokus hätten sogenannte Neuoffenbarer wie die koreanische Neureligion Shinchonji, die bundesweit stark missioniere, sowie dubiose und teils sehr teure Coaching-Angebote gestanden.

Problematisch seien zudem Angebote auf dem "alternativen Gesundheitsmarkt" wie Fernheilungen oder Lichtübertragungen. Bei Scientology zeige dagegen offenbar die umfangreiche Aufklärungsarbeit in der Vergangenheit Wirkung.

Wichtigste Aufgabe der SektenInfo Berlin bleibe, Privatpersonen und Institutionen im Zusammenhang mit konfliktträchtigen Gruppierungen zu beraten, erklärte Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD). Der Markt der Lebenshilfeangebote habe sich in Berlin in den vergangenen Jahren stark verändert - weg von den großen Gruppierungen. Heute dominierten viele kleine, oftmals unbekannte Gemeinschaften wie bibeltreue Evangelikale, esoterische Gruppierungen, selbsternannte Heilsbringer oder Coaches den Markt.



Chemnitzer Friedenstag erinnert an Weltkriegs-Zerstörung

Mit einem Friedenstag erinnert Chemnitz auch in diesem Jahr am 5. März an die Bombardierung der Stadt im Zweiten Weltkrieg. "Wir gedenken an diesem wohl tragischsten Tag in der Geschichte unserer Stadt der über 4.200 Frauen, Männer und Kinder, die Opfer der Bombardierungen von Chemnitz wurden", sagte Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD) am 20. Februar. Der 5. März sei für die Bürger ein Tag des Nachdenkens gegen das Vergessen und gegen Instrumentalisierung.

Die Hauptveranstaltung auf dem Neumarkt wird in diesem Jahr von der jüdischen Gemeinde Chemnitz gestaltet. Chemnitz ist den Angaben nach die einzige Stadt in Deutschland, in der der Jahrestag ihrer Bombardierung während des Weltkriegs (1939-1945) "aus der Zivilgesellschaft heraus zu einem eigenen Friedenstag" geworden ist. Der Tag wird seit 2002 begangen.

Die Organisatoren von der Arbeitsgruppe Chemnitzer Friedenstag erklärten, es sei "überlebenswichtig, den Generationen, die den Krieg nicht erlebt haben, ins Gedächtnis zu rufen, wie es zu den Weltkriegen kam". Der Umgang der Menschen miteinander - ob international oder in der Chemnitzer Stadtgesellschaft - werde immer aggressiver. Dem begegne man mit einer "Kultur des Friedens", betonten die Organisatoren.

Die Vorsitzende Ruth Röcher sagte, in Chemnitz lebten Menschen aus 170 Nationen, "eine fast unglaubliche Vielfalt". Sie alle "sollen im Mittelpunkt unserer zentralen Veranstaltung stehen", erklärte sie. Ludwig dankte der Arbeitsgruppe für ihr "außergewöhnliches Engagement". Die Gruppe stehe "für Grundwerte wie Toleranz, Demokratie, Friedfertigkeit und Vielfalt", erklärte sie.



Beratung über Potsdamer Demokratie-Denkmal am 10. März

Potsdam bekommt ein Denkmal für die friedliche Demokratiebewegung der DDR im Herbst 1989. Über den Siegerentwurf soll am 10. März beraten werden, teilte die Stadtverwaltung am 21. Februar in Potsdam mit. An der Entscheidung über die bei einem Wettbewerb eingereichten neun Entwürfe würden auch Bürger der Stadt beteiligt. Fünf Frauen und fünf Männer sollen dafür per Losverfahren ausgewählt werden.

Verwaltung und Jury hätten die künstlerischen Entwürfe für das Denkmal auf dem Luisenplatz bereits begutachtet, hieß es weiter. Die Vorschläge reichen von einem "Band der Losungen" und einem "Band der Revolution" im Boden bis hin zu Grundgesetzziffern und Nachbildungen von Originaltransparenten. An einer Beteiligung interessierte Bürger können sich den Angaben zufolge bis zum 2. März unter Angabe ihrer Kontaktdaten per Mail unter Kultur@Rathaus.Potsdam.de melden.

Das Denkmal für die Potsdamer Demokratiebewegung geht den Angaben zufolge auf eine Initiative des Forums zur kritischen Auseinandersetzung mit DDR-Geschichte im Land Brandenburg zurück. Es soll an die größte Demonstration im Revolutionsherbst 1989 in Potsdam erinnern. Zehntausende Einwohner hatten damals für freie Wahlen, Presse- und Versammlungsfreiheit und gegen die Einstufung der Oppositionsgruppe Neues Forum als verfassungsfeindlich protestiert.



Gedenken an "Fabrik-Aktion" in Berliner Rosenstraße

In Berlin wird am 27. Februar erneut an den Frauen-Protest gegen die Verhaftung jüdischer Zwangsarbeiter durch die Nationalsozialisten erinnert. Wie die Ständige Konferenz der NS-Gedenkorte im Berliner Raum am 17. Februar mitteilte, wird unter anderem zu einem stillen Gedenken und danach zu einer Gedenkfeier aufgerufen. Anschließend sind ein Schweigemarsch und ein Zeitzeugengespräch geplant. Damit wird der Opfer der "Fabrik-Aktion" von 1943 und an den Frauen-Protest in der Rosenstraße gedacht.

Zur Ständigen Konferenz der NS-Gedenkorte zählen den Angaben zufolge das Haus der Wannsee-Konferenz, Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen, das Denkmal für die ermordeten Juden Europas, die Gedenkstätte Deutscher Widerstand und die Topographie des Terrors.

Am 27. Februar 1943 hatten Verhaftungen Tausender jüdischer Zwangsarbeiter begonnen. Sie sollten in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert werden. Darauf reagierten nicht-jüdische Ehefrauen der Verhafteten mit einem einwöchigen Protest. Dieser hatte schließlich Erfolg, die Männer entgingen zunächst der Deportation. Der Protest der Frauen in der Rosenstraße gilt als einer der wenigen bekannten öffentlichen Proteste gegen das NS-Regime.



Friedlicher Protest gegen Höcke in Dresden

Lautstark, aber friedlich haben am 17. Februar in Dresden nach Teilnehmerangaben Tausende Menschen gegen einen Auftritt von AfD-Politiker Björn Höcke bei der fremdenfeindlichen "Pegida"-Bewegung demonstriert. Alle Versammlungen verliefen friedlich, wie die Dresdner Polizei am späten Abend mitteilte. Bei "Pegida" seien zwei Plakate festgestellt worden, deren strafrechtliche Relevanz geprüft werde.

Wegen der Lautstärke des Gegenprotestes stand die "Pegida"-Versammlung auf dem Neumarkt kurz vor dem Abbruch. Wie Videosequenzen zeigen, wurden die Gegendemonstranten von der "Pegida"-Bühne dazu aufgerufen, ihre Musik leiser zu stellen, da diese "die Hauptversammlung" störe. "Pegida"-Chef Lutz Bachmann drohte mit dem Abbruch.

Zu den insgesamt drei Protestveranstaltungen hatten unter anderen die Dresdner Kreisverbände von CDU und FDP, die Sächsische Bibliotheksgesellschaft, evangelische und katholische Kirche, jüdische Gemeinden und das Bündnis "Dresden Nazifrei" aufgerufen. Einem Aufruf unter dem Motto "Demokratie braucht Rückgrat" hatten sich bereits am Wochenende zahlreiche Politiker angeschlossen, darunter der frühere Bundesinnenminister Gehart Baum (FDP), Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer sowie die sächsischen Landesminister Barbara Klepsch, Sebastian Gemkow und Christian Piwarz (alle CDU).

Begonnen hatte der Protest gegen den Auftritt des Thüringer AfD-Politikers bereits am frühen Abend mit Friedensgebeten in Frauen- und Kreuzkirche. Laut Stiftung Frauenkirche waren in das evangelische Gotteshaus auf dem Neumarkt 600 bis 700 Menschen gekommen.



Vier Sachsen-Anhalter mit Bundesverdienstorden ausgezeichnet

Vier Sachsen-Anhalter sind am 17. Februar in Magdeburg mit einem Bundesverdienstorden ausgezeichnet worden. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) würdigte in seiner Laudatio in der Staatskanzlei ihr ehrenamtliches und vorbildliches Engagement. Die Geehrten hätten sich in besonderer Weise um das Gemeinwohl verdient gemacht, sagte Haseloff.

Der 63-jährige Sozialarbeiter Uwe-Friedrich Albrecht aus Wernigerode wurde mit der Verdienstmedaille für sein soziales und kommunalpolitisches Engagement geehrt. Er sei seit Jahren in der Beratungsstelle für Hörbehinderte in Halberstadt tätig, habe sich aber auch im Stadtrat von Wernigerode und im Kreistag des Landkreises Harz verdient gemacht, hieß es.

Mit zwei weiteren Verdienstmedaillen wurden die Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft der Gebärdensprachdolmetscher, Heike Leps, und die Schatzmeisterin der Landesarbeitsgemeinschaft, die 67-jährige Sozialarbeiterin Bärbel Traut, geehrt. Beide leben in Halle. Die 49-jährige Leps ist Gebärdendolmetscherin und Mitgründerin des Gehörlosenmagazins beim Sender "TV-Halle".

Mit dem Verdienstkreuz am Bande wurde zudem der 60-jährige Oberbürgermeister von Aschersleben, Andreas Michelmann, ausgezeichnet. Der parteilose Kommunalpolitiker habe in seiner seit 1994 dauernden Amtszeit das Gesicht seiner Heimatstadt geprägt, hieß es. Michelmann sei außerdem Präsident des Deutschen Handballbundes (DHB) und habe sich große Verdienste um den deutschen Handball als Spitzen- und Breitensport erworben.




Entwicklung & Umwelt

Sonnenuntergänge gegen das Grauen


Mexikanische Aktivistinnen demonstrieren gegen Frauenmorde
epd-bild/Kristin Gebhardt
Nach der Ermordung einer 25-Jährigen gehen in Mexiko Tausende auf die Straße. Auch eine digitale Protestaktion erregt Aufsehen. Doch die Gewalt gegen Frauen nimmt weiter zu.

Stimmungsvolle Sonnenuntergänge, weiße Blüten, einladende Strände, niedliche Tierfotos: Tausende Bilder kursieren derzeit im Netz unter dem Hashtag #IngridEscamilla. Der Name der 25-jährigen Mexikanerin, die von ihrem Freund getötet wurde, ist zum Symbol geworden. Nicht nur für die massive Gewalt gegen Frauen in Mexiko, sondern für ihre Entwürdigung auch noch nach dem Tod. Die Aufnahme ihrer verstümmelten Leiche am Straßenrand wurde vermutlich von der Polizei an die Redaktionen mehrerer Zeitungen weitergeleitet, sie landete auf zahlreichen Titelseiten.

Die Fotos sorgten für landesweite Empörung und führten zu der ungewöhnlichen Aktion im Internet. "Wir füllen den Hashtag ihres Namens mit schönen Bildern", erklärt eine Nutzerin. Eine andere ergänzt, die Tote ansprechend: "Um denen den Spaß zu verderben, die dich aus Sensationslust suchen."

Kritik an den Behörden

Zwischen Regenbogen und Blumenbildern schieben sich immer wieder Fotos von wütend demonstrierenden Frauen. Denn in vielen Städten Mexikos gehen Feministinnen und Angehörige von Gewaltopfern auf die Straße, noch vermehrt, seit die Leiche Escamillas am 9. Februar in einem Viertel von Mexiko-Stadt gefunden wurde und die Fotos in den Zeitungen landeten.

In der Hauptstadt zogen Demonstrantinnen am Wochenende zum Verlagshaus der Zeitung "La Prensa", demolierten Auslieferungsfahrzeuge und forderten eine Entschuldigung für den Abdruck der Bilder. Vor dem Haus der Ermordeten legten Demonstrantinnen Blumen nieder. Escamillas Tante Victoria Barrios kritisierte dort die Behörden: "Sie sind unfähig zu handeln, obwohl täglich Frauen auf den Straßen von Mexiko-Stadt, in Siedlungen oder Dörfern unterwegs sind und nicht zurückkehren."

Zahl der Femizide nimmt weiter zu

Die Stimmung ist angespannt, Frauen greifen bei Demonstrationen immer wieder selbst zu Gewalt. Die nicht endenden Femizide, also Morde aus geschlechtsspezifischen Gründen, erzeugen nicht nur Angst, sondern auch Wut. Auch in den vergangenen Tagen zerstörten vermummte Feministinnen Scheiben und Autos, die Polizei setzte Tränengas ein. Jeden Tag werden in Mexiko zehn Frauen ermordet. Und obwohl Präsident Andrés Manuel López Obrador ein konsequentes Vorgehen angekündigt hat, nimmt die Zahl weiter zu.

3.825 Frauen wurden laut offiziellen Angaben im vergangenen Jahr umgebracht, 976 der Fälle gelten als Femizide. Das sind doppelt so viele wie 2015. Auffällig sei zudem die Brutalität, mit der die Täter gegen die Frauen vorgehen, betont Maria de la Luz Estrada, die Sprecherin der Nationalen Beobachtungsstelle für Femizide. "Sie werden stranguliert, verbrannt, geknebelt und erstickt", beschreibt De la Luz.

Gleichgültigkeit, Korruption und Machismus

Bereits in den 90er-Jahren sorgte Mexiko wegen Femiziden für Schlagzeilen. Hunderte junge Frauen wurden damals in der nördlichen Grenzstadt Ciudad Juárez verschleppt und später ermordet in der Wüste aufgefunden. Wer für die Verbrechen verantwortlich war, ist unklar. Gleichgültigkeit, Korruption und Machismus führen dazu, dass höchstens drei von hundert Fällen aufgeklärt werden. Das Grauen hat deshalb weiter zugenommen.

Heute werden auch in zahlreichen anderen Regionen viele Frauen ermordet, aber Ciudad Juárez führt die traurige Liste mit 180 Fällen im Jahr 2019 an. Mitte Januar traf es die Künstlerin und Aktivistin Isabel Cabanillas. Unbekannte erschossen die 25-Jährige, die sich unter anderem für ein Ende der Femizide eingesetzt hatte. Trotz der Gefahren klagen Frauen die Morde und sexuellen Übergriffe zunehmend öffentlich an. Vergangenes Jahr gingen in Mexiko-Stadt Tausende auf die Straße, um gegen Vergewaltigungen zu demonstrieren, die von Polizisten begangen wurden.

"Viele warten auf Gerechtigkeit"

An der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko (UNAM) besetzen derzeit Studentinnen zahlreiche Fakultäten und andere Einrichtungen, um sich gegen sexuelle Angriffe zu wehren. Präsident López Obrador werfen sie vor, das Thema nicht ernst zu nehmen. Nach dem Mord an Ingrid Escamilla kritisierte der Präsident Journalistinnen wegen ihrer Fragen zu den Femiziden. "Es ist doch sehr klar, dass Medien diese Angelegenheit manipulieren", sagte er. Und weil die UNAM-Studentinnen teilweise vermummt auftreten, vermutet er hinter deren Aktionen dunkle Mächte.

Zwar nahm sich der Staatschef wieder etwas zurück, dennoch zogen Feministinnen und Angehörige von Gewaltopfern vergangene Woche empört vor den Nationalpalast, um Druck auszuüben. Unter ihnen auch Lidia Florencio Guerrero, deren Tochter Diana im Juli 2017 ermordet wurde. "Wir werden ihn auch weiterhin daran erinnern, dass es uns gibt", sagte sie. "Diana und viele andere warten auf Gerechtigkeit".

Von Wolf-Dieter Vogel (epd)


Der unbeugsame Mönch

Der vietnamesische Mönch und Dissident Thich Quang Do ist mit 92 Jahren gestorben. Sein ganzes Leben widmete er dem friedlichen Kampf für religiöse Freiheit und Demokratie.

Thich Quang Do galt als einer der unbeugsamsten Dissidenten Vietnams. 1999 hatte der buddhistische Mönch an die in Hanoi ansässigen EU-Diplomaten geschrieben: Eine zivilisierte Gesellschaft sollte einer Regierung nie erlauben, die allgemeinen Menschenrechte zu missachten. Diesem Motto widmete Thich Quang Do sein ganzes Leben. Wie der britische Rundfunksender BBC World berichtete, starb der Gelehrte am 22. Februar im Alter von 92 Jahren.

Dem Motto Menschenrechte widmete Thich Quang Do sein ganzes Leben. Wegen seines friedlichen Kampfes für religiöse Freiheit und demokratische Reformen hatte der 2008 zum Oberhaupt der verbotenen "Vereinigten Buddhistischen Kirche von Vietnam" (UBCV) ernannte Mönch immer wieder etliche Jahre in Haft oder unter Hausarrest verbracht. Insgesamt neun Mal war der Gelehrte, der Schriften über den Buddhismus verfasste, Erzählungen und Gedichte schrieb, für den Friedensnobelpreis nominiert.  

Geboren wurde er 1928 in der nordvietnamesischen Provinz Thai Binh. Die Mönchsrobe legte er bereits mit vierzehn Jahren an. Zwei Erlebnisse hätten ihn besonders geprägt, sagte er einmal: Die kaltblütigen Hinrichtung seines religiösen Lehrers und Mentors Thich Duc Hai sowie die eines Glaubensbruders, der einer nicht-kommunistischen Partei angehört hatte.  

Brutale Verfolgung

Zwischen 1951 und 1957 widmete er sich der Forschung über buddhistische und indische Philosophie unter anderem an Universitäten in Sri Lanka und Indien. Nach Rückkehr in sein Heimatland wurde er im August 1963 in Südvietnam wegen seines öffentlichen Widerstandes gegen die anti-buddhistische Politik der damaligen Regierung unter Ngo Dinh Diem festgenommen. Tausende Buddhisten, darunter auch Thich Quang Do, wurden brutal gefoltert.  

Die systematischen Verhaftungen setzten sich nach Ende des Vietnamkrieges unter den kommunistischen Machthabern fort. Im April 1977 kam der Regimekritiker für zwanzig Monate in Einzelhaft. Erst auf internationalen Druck hin ließ ihn die Regierung wieder frei. 1982 wurde er erneut festgenommen: Die Behörden hatten die "Vereinigte Buddhistische Kirche von Vietnam" verboten und stattdessen eine "Buddhistische Staatskirche" unter politischer Kontrolle ins Leben gerufen.  

Letztlich wurde der Dissident zum Exilanten im eigenen Land: Die Machthaber verbannten ihn in seine Heimatprovinz, wo er mehr als zehn Jahre ausharrte. Dann aber kehrte er nach Ho-Chi-Minh-Stadt (früher Saigon) zurück.

Nach Überschwemmungen im Mekong-Delta 1994 organisierte er Hilfsaktionen für Flutopfer und prangerte in einem Aufsatz den Führungsstil der Kommunistischen Partei sowie die brutale Unterdrückung von Buddhisten an. Im Jahr darauf wurde Thich Quang Do zu fünf Jahren in einem staatlichen "Umerziehungslager" verurteilt und dann in eines der berüchtigsten Gefängnisse Vietnams gebracht.  

Stete Kontrolle

Auf weltweiten Druck hin kam er im Zuge einer Amnestie 1998 frei. Aber Staat und Polizei kontrollierten ihn weiterhin, was der Dissident mit den Worten kommentierte: "Ich habe ein kleines Gefängnis verlassen, nur um in ein größeres zu kommen."  

Einschüchterungen, Haft und Folter konnten den Unerschrockenen nicht dazu bewegen, seinen Kampf aufzugeben. Im Juli 2007 brach er aus seinem Hausarrest aus, um einen Bauernprotest gegen die kommunistischen Kader zu unterstützen, in dem sich die Landwirte gegen Korruption und Zwangsenteignungen wehrten.  Thich Quang Do wurde wiederholt international ausgezeichnet, unter anderem 2006 mit dem "Gedenkpreis für Menschenrechte" der norwegischen "Rafto-Stiftung". Doch er durfte die Ehrung nicht persönlich entgegennehmen.  

Von Nicola Glass (epd)


Regierung und Opposition im Südsudan bilden gemeinsame Regierung

Im Südsudan haben Regierung und Opposition eine gemeinsame Regierung gebildet und damit begonnen, ein Friedensabkommen umzusetzen. Die Bildung der Übergangsregierung schafft neue Hoffnung auf ein Ende des Bürgerkriegs.

Die Bildung einer Übergangsregierung im Südsudan am Wochenende hat Hoffnungen auf ein Ende des Bürgerkriegs geweckt, wurde jedoch auch von Mahnungen begleitet. Die Vereinten Nationen riefen die Konfliktparteien dazu auf, sich an die getroffenen Vereinbarungen zu halten. Am 22. Februar hatten Regierung und Opposition damit begonnen, einen Teil eines Friedensabkommens aus dem Jahr 2018 umzusetzen.

Oppositions- und Rebellenführer Riek Machar wurde als Vizepräsident vereidigt. Bei der Feier in der Hauptstadt Juba reichten sich Medienberichten zufolge Präsident Salva Kiir und Machar die Hand und umarmten einander. Präsident Kiir hatte zuvor das bisherige Kabinett aufgelöst, um eine inklusive Übergangsregierung bilden zu können, der auch Mitglieder der Opposition angehören. Präsident Kiir sagte in einer Rede, Friede sei erreicht und werde nicht mehr weichen. Machar versprach, mit Kiir zusammenzuarbeiten, um das lange Leiden zu beenden.

UN: Absprachen einhalten

Der Sprecher von UN-Generalsekretär António Guterres begrüßte die Bildung der Übergangsregierung, mahnte die Parteien aber zur vollständigen Einhaltung der Absprachen. Die Europäische Union sieht in der neuen Regierung einen entscheidenden Schritt zum Frieden. Eine Sprecherin erklärte jedoch, es gäbe noch große Herausforderungen. Auch das Auswärtige Amt in Berlin teilte mit, beispielsweise bei der Reform der Sicherheitsbehörden und dem Aufbau von Rechtsstaatlichkeit müsse die neue Regierung noch viele Herausforderungen meistern.

Die Regierung unter Präsident Kiir und Rebellen unter Führung von Machar sowie weitere Rebellengruppen kämpfen seit Ende 2013 in einem blutigen Bürgerkrieg um die Macht. Auslöser des Konflikts war ein Machtkampf zwischen Kiir und Machar, der damals als Vizepräsident entlassen wurde. 2015 kehrte Machar als Vizepräsident zurück, floh jedoch ein Jahr später ins Exil. Seine dritte Rückkehr in das Amt kam durch Druck und Vermittlung aus dem Ausland zustande.

Amnesty erinnert an Menschenrechtsverletzungen

Im September 2018 hatten die Bürgerkriegsparteien ein Abkommen zur Teilung der Macht und zur Wiederbelebung eines gescheiterten Friedensschlusses von 2015 unterzeichnet. Regierung und Opposition hatten sich darauf geeinigt, vor dem 22. Februar eine gemeinsame Regierung für die kommenden drei Jahre zu bilden. Zuvor war der Termin wegen offener Streitpunkte zwei Mal um fast ein Jahr verschoben worden.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International forderte die neue Regierung dazu auf, nicht noch einmal dieselben Fehler zu machen. "In den mehr als sechs Jahren des Konflikts wurden Zivilisten vertrieben, vergewaltigt, gefoltert und getötet", sagte der Direktor für das östliche und südliche Afrika, Deprose Muchena. Für die Verbrechen, die Rebellen und Regierungstruppen begangen hätten, müssten die Täter belangt werden. Dazu seien Gesetzesänderungen, Sicherheitsreformen und die Einrichtung eines Tribunals nötig, wie es in früheren Friedensabkommen vereinbart worden sei.



Libyen: EU will wieder mit Schiffen im Mittelmeer patrouillieren

Die EU will zur Überwachung des Waffenembargos gegen Libyen wieder mit Schiffen auf dem Mittelmeer patrouillieren, nachdem diese im Streit um die Rettung von Flüchtlingen abgezogen worden waren. Sie sollten im östlichen Mittelmeer eingesetzt werden, sagte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) nach einem EU-Ministerrat am 17. Februar in Brüssel. Die bisherige EU-Mission "Sophia" wird nach den Worten des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell eingestellt. Sie wird durch die neue Mission ersetzt.

Bei dem Treffen ging es darum, den Zustrom von Waffen in das Bürgerkriegsland zu verringern. Dem dient bereits seit Jahren die EU-Mission "Sophia". Allerdings setzt sie aktuell nur Fluggeräte und keine Schiffe ein. Hintergrund ist der Streit um Flüchtlinge. "Sophia"-Schiffe hatten immer wieder Menschen aus Seenot gerettet. Eine Reihe von Mitgliedsländern unterstellten "Sophia", einen Anreiz für Schlepper beziehungsweise Flüchtlinge für die Überfahrt über das Mittelmeer zu bilden.

Sorge vor Sogwirkung

Diese Möglichkeit wollen die EU-Außenminister künftig offenbar ausschließen. Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg betonte in Brüssel: Wenn die neue Mission eine Sogwirkung auf Migranten ausübe, würden die maritimen Einheiten aus dem betreffenden Gebiet abgezogen. Ähnlich äußerte sich Borrell. Maas zufolge waren sich die Minister einig, dass wenn "es falsche Entwicklungen nach sich zieht, die Mission in der Form nicht weitergeführt wird".

Die Schiffe der neuen Mission sollten laut Maas, Schallenberg und Borrell im Osten von Libyen beziehungsweise im östlichen Mittelmeer unterwegs sein und damit abseits der Hauptrouten der Flüchtlinge. Denn diese legen auf ihrem Weg nach Europa vor allem im Westen von Libyen rund um die Hauptstadt Tripolis ab. Maas sagte, man orientiere sich damit an den Routen derjenigen, die Waffen nach Libyen bringen.



Die Wüstenheuschrecke bedroht die Existenz von Millionen Menschen


Afrikanische Wüstenheuschrecke
epd-bild/Steffen Schellhorn
Sie wiegt nur etwa zwei Gramm, wird in der Gruppe aber zu einer enormen Gefahr für den Menschen: Die Wüstenheuschrecke frisst im Schwarm ganze Landstriche leer. In Ostafrika könnten jetzt Millionen Menschen ihre Existenzgrundlage verlieren.

Sie gelten als eine der ältesten Plagen der Welt: gefräßige Schwärme von Heuschrecken. Ihr Zerstörungspotenzial trieb schon die Beamten des chinesischen Kaiserreiches so sehr in Verzweiflung, dass sie durch präzise Dokumentation mehr als 1.000 Jahre lang versuchten, die Heuschreckenwanderungen vorherzusehen und so zu verhindern. Der Erfolg blieb aus.

Die verheerendste aller Heuschreckenarten ist die Wüstenheuschrecke. Ihr Lebensraum erstreckt sich zwischen Westafrika und Indien auf einer Fläche von rund 16 Millionen Quadratkilometern. Wächst sich der Bestand zu einer sogenannten Plage aus, können die Tiere nach Angaben der UN-Organisation für Landwirtschaft und Ernährung (FAO) bis zu 20 Prozent der weltweiten Landfläche und mehr als 65 der ärmsten Länder beeinflussen und so potenziell die Lebensgrundlage von einem Zehntel der Weltbevölkerung zerstören.

Millliarden Tiere

Aktuell sind Teile dieser Region, nämlich Ostafrika und Südasien, von einer der schlimmsten Heuschreckenplagen seit 25 Jahren betroffen. Nach Angaben der UN sind etwa 13 Millionen Menschen in Gefahr, ihre Existenzgrundlage zu verlieren.

Die Schwärme der Heuschrecken können riesige Ausmaße annehmen. Im schlimmsten Fall begeben sich mehrere Milliarden Tiere zusammen auf Wanderschaft und fressen ganze Landstriche leer. Ein Tier kann dabei jeden Tag sein eigenes Gewicht, also etwa zwei Gramm, fressen. Ein Schwarm, der sich über die Fläche von Paris erstrecken würde, bräuchte nach Berechnungen der FAO pro Tag so viel Nahrung wie die halbe Bevölkerung Frankreichs.

Je nach Wetterverhältnissen erstrecken sich die Schwärme nach Angaben der FAO wolkenartig bis zu anderthalb Kilometer in die Höhe. Die meiste Zeit verbringen sie aber in Bodennähe. Während ihrer Wanderung erreichen sie in der Luft eine durchschnittliche Geschwindigkeit von 13 bis 15 Kilometer pro Stunde und legen so pro Tag bis zu 150 Kilometern zurück. Unter den richtigen Voraussetzungen kann sich die Zahl der Heuschrecken in drei Monaten etwa verzwanzigfachen.

Das Leben einer Wüstenheuschrecke läuft in zwei Phasen ab. In der ersten Phase lebt sie als ortsgebundene Einzelgängerin. Wenn der Lebensraum für die gesamte Population zu eng wird, schließen sich die Insekten zu Gruppen zusammen und beginnen zu wandern. Ein Grund dafür ist neben der Nahrungsknappheit der unter den Tieren übliche Kannibalismus, wie ein internationales Forscherteam unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts herausfand: Ab einer bestimmten Populationsdichte ist das Risiko, von einem Artgenossen gefressen zu werden, in der wandernden Gruppe geringer.

In der Masse kräftig gefärbt

Zwischen den Phasen verändert sich nicht nur das Verhalten, sondern auch das Aussehen der Tiere, wie Forscher der Universität Cambridge entdeckten: Sind sie eigentlich beige gefärbt und gut getarnt, ist ihre Färbung in der Masse deutlich kräftiger und leuchtender. Zudem fressen sie sogar giftige Pflanzen, die sie normalerweise meiden würden.

Dass die Wüstenheuschrecken sich aktuell so schnell verbreiten können, könnte auch mit dem Klimawandel zusammenhängen. Die Insekten vermehren sich besonders schnell, wenn es viel geregnet hat und sie ausreichend Vegetation finden können. In den vergangenen Jahren gab es in Ostafrika ungewöhnlich starken Regen aufgrund der vielen Zyklone. Diese werden wiederum durch steigende Meerestemperaturen begünstigt. Gleichzeitig überleben die Insekten auch bei Dürren - ein weiteres durch den Klimawandel verstärktes Phänomen.

Von Jana-Sophie Brüntjen (epd)


Hamburger Klima-Demo mit Greta Thunberg


Greta Thunberg und andere Klimaaktivisten bei der "Fridays-for-Future"-Kundgebung in Hamburg
epd-bild/Stephan Wallocha
Es war eine friedliche, fröhliche Party für den Klimaschutz mit einer klaren Botschaft: Fangt endlich an! Und ebenso klar stellte sich die Hamburger Klima-Demo gegen jegliche Form von Rassismus und Rechtsterrorismus.

Mehrere zehntausend meist junge Menschen haben am 21. Februar in Hamburg für eine bessere Klimapolitik demonstriert. Die Polizei schätzte die Teilnehmerzahl auf 20.000, die Veranstalter auf 60.000. Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg forderte, die Regierungen müssten erkennen, dass die Klimakrise bereits da sei und nicht in einer fernen Zukunft erst kommen werde.

Zu Beginn der Kundgebung wurde mit einer Schweigeminute an die Opfer des rassistischen Anschlags in Hanau erinnert. Es war nicht nur ungewöhnlich still, auch auf Fotos und Videos verzichteten die Teilnehmer weitgehend. Es sei nicht nur eine Demonstration für den Klimaschutz, sondern auch gegen den Faschismus, bekräftigte der Moderator. Lautstark engagierte sich anschließend die Hip-Hop-Band "Fettes Brot" mit "Hoch die Hände - Klimawende" für den Klimaschutz.

"Moin!"

Die Demonstrationsteilnehmer zogen von St. Pauli durch die Innenstadt und zurück. Thunberg, die von zahlreichen jungen Ordnern vor dem Ansturm der Fotografen geschützt werden musste, begann ihre Rede begann sie auf Deutsch mit "Moin! Schön wieder hier zu sein." Die Regierungen würden wissenschaftliche Erkenntnisse zum Klimawandel ignorieren, kritisierte sie.

2020 werde das "Jahr des Handelns", sagte Jesko Henning von "Fridays for Future": "Und damit fangen wir heute an." Die Umweltökonomin Claudia Kemfert von "Scientists for Future" kritisierte, dass sich Deutschland nicht an die Verträge des Pariser Klimagipfels halte. Ohne die Bewegung "Fridays for Future" wäre die Klimadebatte in Deutschland nicht so weit. Den Veranstaltern von "Fridays for Future" hatten sich unter anderem "Scientists for Future", "Churches for Future" und "Pfadis for Future" angeschlossen.

Ökumenische Andacht

Vor der Demo wurde eine ökumenische Open-Air-Andacht vor der russisch-orthodoxen Kirche gefeiert. Die Welt brauche Signale, damit schnell gehandelt werden könne, um die Schöpfung zu bewahren, sagte der Hamburger Ökumene-Pastor Jörg Ostermann-Ohno. Die Demonstration unter dem Motto "Hamburg wählt Klima!" fand zwei Tage vor der Hamburger Bürgerschaftswahl statt und wollte ein deutliches Zeichen für den Klimaschutz setzen. Die Hamburger Klimaaktivistin Luisa Neubauer forderte die Teilnehmer auf, keinesfalls die AfD zu wählen. Unterstützt wurde die Demo von einem breiten Bündnis aus Umweltgruppen, Klimainitiativen, Gewerkschaften und kirchlichen Gruppen.

Für die Demo hatte die Polizei nach dem rechtsterroristischen Anschlag in Hanau die Sicherheitsmaßnahmen erhöht.

Von Julia Fischer (epd)


Umweltverbände rufen zum Plastikfasten auf

Die Umweltverbände BUND und Deutsche Umwelthilfe (DUH) rufen bis Ostern zum Plastik- und Verpackungsmüllfasten auf. Die am Aschermittwoch beginnende Fastenzeit (26.2. bis 11.4.) sei ein guter Zeitpunkt, um gemeinsam unnötige Verpackungsmüll-Kilos loszuwerden und ein Zeichen für mehr Klima- und Ressourcenschutz zu setzen, erklärte die Deutsche Umwelthilfe am 21. Februar in Berlin. Deutschland verursache von allen europäischen Ländern den meisten Verpackungsmüll. Auf jeden Deutschen entfielen 227 Kilogramm Verpackungen pro Jahr. Jede nicht erzeugte Verpackung spare CO2 ein.

Obst und Gemüse in Plastiktüten, Plastikflaschen, Trinkhalme, Einweg-Kaffeebecher, Plastikgeschirr - Plastikartikel seien allgegenwärtig und bescherten uns "im Alltag eine wahre Plastikflut", erklärte der Bund für Umwelt und Naturschutz: "Wenn Verbraucherinnen und Verbraucher ihren Einkauf bewusst planen, eine plastikfreie Einkaufliste schreiben und wiederverwendbare Beutel und Transportboxen einpacken, verursachen wir bei jedem Einkauf weniger Plastikmüll in Form von Einwegtüten". Kauften Konsumenten dann noch Produkte ohne Plastikverpackung und stattdessen in Mehrweggefäßen, aus Papier und Pappe oder gar unverpackt, reduzierten sich die Mengen an unnötigem Plastik deutlich.



Streit in Umweltbewegung nach Klage gegen Tesla-Fabrik

Der gerichtliche Rodungsstopp auf dem Gelände der geplanten Tesla-Fabrik in Brandenburg sorgt auch in der Umweltbewegung für Kritik. Die Umweltgruppe Cottbus forderte am 19. Februar den Rücktritt der Landesspitze der Grünen Liga Brandenburg. Die Entscheidung der Grünen Liga, das Gerichtsverfahren gegen die Rodung des Tesla-Grundstückes einzuleiten, sei "intransparent und völlig planlos zustande gekommen", hieß es. Die Umweltgruppe Cottbus ist Mitglied des Netzwerks Grüne Liga.

"Das Recht, in unserem Namen Klageverfahren zu führen, gehört in kompetente und verlässliche Hände", betonte die Umweltgruppe Cottbus. Gewählte Landessprecher seien bei der Entscheidung übergangen worden, kritisierte Martin Kühne, erster Sprecher der Umweltgruppe Cottbus: "Wir fordern deshalb den Rücktritt der Verantwortlichen und eine schnellstmögliche außerordentliche Mitgliederversammlung."

Bis auf wenige Personen hätten alle Mitglieder des Umweltnetzwerkes erst aus der Presse von der Einreichung der Rechtsmittel gegen die Rodung in Grünheide erfahren, hieß es weiter. Über ihre Beweggründe und eine etwaige Strategie habe die Grüne Liga nicht informiert.

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hatte am Mitte Februar einen vorläufigen Rodungsstopp auf dem Gelände südlich von Berlin verhängt. Gegen die Rodung hatten die Grüne Liga und ein Umweltverein aus Bayern geklagt. Zur Begründung hieß es bei der Grünen Liga, die geplante "Giga-Fabrik" könne die Trinkwasserversorgung der Region gefährden und die Verkehrsanbindungen überlasten.




Medien & Kultur

Rundfunkbeitrag soll steigen


Derzeit beträgt der Rundfunkbeitrag 17,50 Euro im Monat
epd-bild/Norbert Neetz
Nach mehr als zehn Jahren könnte es eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags geben. Die zuständige Finanzkommission schlägt eine Erhöhung um 86 Cent pro Monat vor, auf dann 18,36 Euro. Die Anstalten hatten mehr erhofft.

Der Rundfunkbeitrag könnte im nächsten Jahr um 86 Cent pro Monat steigen. Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) legte am 20. Februar in Berlin ihren Bericht vor, in dem sie eine Anhebung von derzeit 17,50 auf 18,36 Euro pro Haushalt empfiehlt. Der Vorsitzende der Kommission, Heinz Fischer-Heidlberger, sagte, dies sei notwendig, aber auch ausreichend, damit die Rundfunkanstalten - ARD, ZDF und Deutschlandradio - ihren Auftrag erfüllen können. In Zeiten politischer Verunsicherung sei ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk "wichtiger denn je", betonte Fischer-Heidlberger. Die Sender hatten einen höheren Bedarf bei der KEF angemeldet.

KEF-Bericht maßgeblich für Rundfunkbeitrag

Die KEF erkennt in ihrem Bericht für die Jahre 2021 bis 2024 einen Gesamtbedarf in Höhe von 38,7 Milliarden Euro an - 1,8 Milliarden Euro mehr als in der laufenden vierjährigen Periode. Nach ihrer Rechnung, in die auch Aufwandsreduzierungen und Schätzungen zusätzlicher Einnahmen einfließen, bleibt unter dem Strich für die kommenden vier Jahre ein ungedeckter Finanzbedarf in Höhe von 1,5 Milliarden Euro, der über den Rundfunkbeitrag eingenommen werden soll.

Die Sender hatten demgegenüber drei Milliarden Euro ungedeckte Kosten angemeldet. Wie aus dem KEF-Bericht hervorgeht, schätzt die Kommission unter anderem die Einnahmen aus dem Rundfunkbeitrag um rund eine halbe Milliarde höher ein als die Sender.

Der Rundfunkbeitrag hatte 2013 die Rundfunkgebühr abgelöst. Zu zahlen ist er von jedem Haushalt, bei Betriebsstätten gibt es Staffelregelungen. Über die Höhe entscheiden letztlich die Ministerpräsidenten und Parlamente der Bundesländer. Der Bericht der KEF, die alle vier Jahre eine Empfehlung für den Rundfunkbeitrag vorlegt, ist dafür maßgeblich.

Bei einer Beitragserhöhung von 86 Cent würden 47 Cent auf die ARD, 33 Cent auf das ZDF und vier Cent auf das Deutschlandradio entfallen. Die Finanzforderungen der Sender hätten dagegen eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags auf 19,24 Euro pro Monat bedeutet.

Erhöhung als zu niedrig kritisiert

Bei der vorgeschlagenen Erhöhung um 86 Cent "werden wir weiter äußerst diszipliniert wirtschaften müssen", erklärte der ARD-Vorsitzende Tom Buhrow. Die ARD müsse künftig auch mal Dinge lassen, ergänzte er: "Wir müssen Prioritäten setzen und werden so weiterhin das bestmögliche Programm für die Menschen, die uns Monat für Monat bezahlen, anbieten."

Die Vorsitzende der Rundfunkkommission der Länder, Malu Dreyer (SPD), sagte, mit der "moderaten Anpassung" des Rundfunkbeitrags sei zu rechnen gewesen, nachdem er seit zehn Jahren nicht erhöht worden war. Die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz lobte die zuletzt erfolgten Reformen und Einsparungen der Sender. Die Anstalten und Bundesländer seien weiter gefordert, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk effizient aufzustellen. Nach ihren Angaben werden die Regierungschefs der Länder bereits bei ihrem nächsten Treffen im März über die KEF-Empfehlung beraten.

Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) kritisierten dagegen die empfohlene Erhöhung als zu gering. Trotz Warnungen halte die KEF an ihrem Sparprogramm fest, erklärte ver.di-Vorstandsmitglied Christoph Schmitz. "Die ersten, die für diese fatale Weichenstellung zahlen müssen, sind die Beschäftigten der Rundfunkanstalten", sagte er. Der DJV teilte mit, die Empfehlung sei "unzureichend für eine qualitativ hochwertige Weiterentwicklung des Journalismus im öffentlich-rechtlichen Rundfunk".



Sächsische Politiker werben für Akzeptanz von höherem Rundfunkbeitrag

Mit Blick auf eine mögliche Anhebung des Rundfunkbeitrags wollen Politiker in Sachsen die Bürger von der Notwendigkeit des Schritts überzeugen. "Diese moderate Erhöhung muss jetzt politisch umgesetzt und um Verständnis in der Bevölkerung geworben werden", sagte die medienpolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion, Claudia Maicher, am 17. Februar in Dresden.

Die Grünen erwarteten, dass die Ministerpräsidenten den Vorschlag Anfang März aufgriffen, sagte Maicher. "Dies ist ein wichtiger Zwischenschritt, der den Anstalten Planungssicherheit und die Fortentwicklung ihrer Angebote ermöglicht", erklärte sie. Nachdem der Beitrag seit 2015 stabil geblieben sei, entlasse eine moderate Anhebung die Sender jedoch nicht aus der Verantwortung, weiter nach Einsparmöglichkeiten zu suchen, fügte sie hinzu.

Sachsens Staatskanzleichef Oliver Schenk (CDU) sagte der "Leipziger Volkszeitung" (Montag), er werde sich dafür einsetzen, dass der Landtag der Erhöhung zustimme, "weil wir den öffentlich-rechtlichen Rundfunk brauchen und ihn auch weiter entwickeln wollen". Eine informierte Öffentlichkeit sei "eine wichtige Grundlage einer funktionierenden Demokratie", erklärte Schenk.

Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) wird am Donnerstag ihren Bericht zur künftigen Finanzausstattung der öffentlich-rechtlichen Sender vorstellen. Dabei könnte sie eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags um 86 Cent auf 18,36 Euro pro Monat vorschlagen. Einer Erhöhung müssten die Landesparlamente aller 16 Bundesländer zustimmen.



"Tagesspiegel" schließt Fotoredaktion

Im Zuge einer Umstrukturierung löst die Berliner Tageszeitung "Der Tagesspiegel" seine Fotoredaktion auf. Eine Unternehmenssprecherin bestätigte am 21. Februar dem Evangelischen Pressedienst (epd) entsprechende Medienberichte. Davon seien insgesamt fünf Mitarbeiter betroffen. Zwei von diesen seien "woanders im Haus" Positionen als Festangestellte angeboten worden, erklärte die Sprecherin.

Die Gestaltung der Print- und Digital-Ausgabe des "Tagesspiegels" wird nach Angaben der Sprecherin künftig von einem zentralen "Visual Desk" gesteuert. Dort würden die Bereiche Bild, Grafik, Video und Art Direktion zusammengeführt. "Der Tagesspiegel wird sich in Zukunft noch mehr als bisher auf die digitalen Aufgaben konzentrieren", sagte die Sprecherin. Weiterhin werde die Zeitung intensiv mit freien Fotografen und Agenturen zusammenarbeiten.

Die Chefredaktion hatte die Belegschaft am Donnerstag in einer kurzfristig anberaumten Redaktionsversammlung über den Schritt informiert.

Ende Januar hatte das Bundeskartellamt den Weg frei gemacht, damit die Verlagshäuser der "Berliner Morgenpost" und des "Tagesspiegels" vor allem bei Zeitungsvertrieb und Anzeigenverwaltung ab 1. April kooperieren können. Außerdem sind laut Kartellamt ein Call-Center sowie Promotions-Aktivitäten und gegebenenfalls eine Zusammenarbeit bei der Beschaffung geplant.

Die "Berliner Morgenpost" ist eine hundertprozentige Tochter der Funke Mediengruppe, der "Tagesspiegel" gehört zum Medienunternehmen Holtzbrinck.



Sender unterzeichnen Erklärung für nachhaltige Filmproduktionen

24 Sender, Produktionsgesellschaften und Filmförderer haben am 19. Februar in Berlin mit Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) eine gemeinsame Erklärung zur Nachhaltigkeit in der Film- und Serienproduktion unterzeichnet. Damit solle national und international ein "starkes Signal für den umwelt- und klimabewussten Produktionsstandort Deutschland" gesetzt werden, erklärte Grütters bei der Unterzeichnung. "Denn die Frage nach Umwelt- und Klimaschutz macht natürlich nicht vor den Toren unserer Filmstudios Halt", sagte sie.

In der Erklärung bekennen sich die Unterzeichnenden dazu, negative ökologische Auswirkungen bei der Produktion von Filmen so weit wie möglich, effizient und dauerhaft zu minimieren. Vor allem Flüge zu und von Drehorten, Einweggeschirre und übermäßigen Müll an den Sets hatten in der Vergangenheit für Kritik in der Filmbranche gesorgt.

Außerdem will Grütters zunächst in einer Pilotphase ab 2020 ein Zertifikat auflegen, das besonders nachhaltige Produktionen auszeichnen soll. Außerdem sollen verbindliche Nachhaltigkeitskriterien in das geplante neue Filmförderungsgesetz (FFG) einfließen, das ab 2022 gelten soll.

Unterzeichnet haben die Erklärung unter anderem die ARD, die Deutsche Welle, die Mediengruppe RTL, ProSiebenSat.1 Media, Sky und das ZDF, außerdem das Medienboard Berlin-Brandenburg, der European Film Market, die Deutsche Filmakademie, die Internationalen Filmfestspiele von Berlin und die Motion Picture Association, der unter anderem die US-Produzenten Walt Disney, Netflix, Paramount Pictures, Sony und Warner Bros. Entertainment angehören.



RTL inszeniert Kreuzigung Jesu als Live-Event zu Ostern


Thomas Gottschalk
epd-bild/Friedrich Stark
Es soll eine einzigartige Live-Show werden: RTL will die Passionsgeschichte Jesu in die Gegenwart holen und live in Essen inszenieren. Thomas Gottschalk führt durch die Geschichte, die mit Musikhits untermalt wird.

Der Privatsender RTL bringt die Passionsgeschichte als Live-Inszenierung auf den Bildschirm. Am 8. April, kurz vor Ostern, wird die Darstellung der letzten Tage von Jesus Christus auf dem Essener Burgplatz direkt gegenüber dem Dom in Szene gesetzt, wie RTL-Unterhaltungschef Kai Sturm am 19. Februar in Essen erklärte. "Die Passion wird ein einzigartiges TV-Event, denn sie erzählt eine einzigartige, emotionale Geschichte, die über die religiöse Bedeutung hinausgeht", sagte Sturm bei Vorstellung des Projekts.

Die Geschichte sei fester Teil des abendländischen Kulturguts, sei aber bei vielen Menschen gar nicht mehr so bekannt, sagte der frühere "Wetten, dass..?"-Moderator Thomas Gottschalk, der als Erzähler durch den Abend führen wird. Die Geschichte drehe sich um "Glaube, Liebe, Verrat, Leiden und Sterben" und sei damit vielleicht so aktuell wie lange nicht mehr.

In Gegenwart geholt

Das Ereignis soll aus biblischer Zeit in die Gegenwart geholt werden. Sänger und Schauspieler erwecken die Passionsgeschichte an verschiedenen Schauplätzen in Essen zum Leben, untermalt mit deutschen Musikhits. "So schaffen wir ein Abbild unserer Gesellschaft und erleichtern die Identifikation", erklärte Sturm.

Die Hauptrolle als Jesus übernimmt demnach der Sänger, Musicaldarsteller und Schauspieler Alexander Klaws, Sieger der ersten Staffel von "Deutschland sucht den Superstar". "Eine solche Geschichte live und im Fernsehen zu erzählen, ist etwas Besonderes", sagte er. Als Judas ist Mark Keller ("Alarm für Cobra 11") zu sehen. Unter Anhängern Jesu, den "Jüngern", ist Samuel Koch, der 2010 bei einem Unfall während einer "Wetten, dass..?"-Ausgabe eine Querschnittlähmung vom Hals an abwärts davontrug.

Auf der Hauptbühne am Burgplatz, auf dem RTL mehr als 4.000 Menschen erwartet, kommen zusätzlich eine Band und ein Chor zum Einsatz. Außerdem gibt es eine Live-Schalte zu einer Passions-Prozession, bei der ein großes, leuchtendes Kreuz durch die Innenstadt zur Hauptbühne getragen wird. RTL-Moderatorin Nazan Eckes begleitet den Kreuzweg und spricht mit Teilnehmern über ihre Beweggründe.

Gefahr der Verkitschung

"Natürlich ist die Gefahr der Verkitschung bei so einem Vorhaben groß", räumte Gottschalk ein. Doch das ganze Team habe hart daran gearbeitet, die Geschichte so zu gestalten, dass sie in die heutige Zeit passe. Es sei "der statthafte Versuch, eine große Geschichte neu zu erzählen".

Das erzählerische Konzept der Passionsgeschichte hat RTL vom niederländischen Fernsehen übernommen. Dort ist das Event schon seit zehn Jahren zu Ostern fest im Programm und erzielt regelmäßig herausragende Quoten. Allein 2016 schalteten über 40 Prozent der Zuschauer ein. Entsprechend groß ist die Quotenerwartung auch bei RTL. "Mit dieser Geschichte zeigen wir, dass es sich lohnt, gemeinsam füreinander einzustehen", betonte Sturm. "Hier geht es um Respekt und Liebe für den Nächsten - unabhängig von Herkunft und Religion."



Bedford-Strohm: Beratungen über Journalistenschule ergebnisoffen


Heinrich Bedford-Strohm
epd-bild/Theo Klein
"Es ist beeindruckend, wie viele Menschen sich für die bisherige Fortführung der Schule einsetzen", schreibt der EKD-Ratsvorsitzende zur Evangelischen Journalistenschule. Diese Wertschätzung solle in die Beratungen zur Zukunft aufgenommen werden.

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, hat die Bemühungen zum Erhalt der Evangelischen Journalistenschule (EJS) gewürdigt und ergebnisoffene Beratungen angekündigt. "Es ist beeindruckend, wie viele Menschen sich für die bisherige Fortführung der Schule einsetzen, darunter auch viele bekannte Hochkaräter des Journalismus", schrieb der bayerische Landesbischof am 21. Februar bei Facebook: "Diese große Wertschätzung, über die ich mich erstmal einfach freue, werden wir natürlich mit in die Beratungen hineinnehmen."

Natürlich sei zu berücksichtigen, dass bestimmte Einsparziele erreicht werden müssen. "Wir stehen da vor großen finanziellen Herausforderungen und müssen schmerzlich einsehen, dass wir nicht in allem so weitermachen können, wie wir es gerne täten", schrieb Bedford-Strohm.

Das treffe mehrere Projekte im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP), das Träger der Schule ist, "alle Produkte und Arbeitsbereiche, in denen hervorragende Arbeit gemacht wird". Hintergrund für die ungewisse Zukunft der EJS sind Sparmaßnahmen beim GEP, der zentralen Medieneinrichtung der EKD sowie ihrer Landeskirchen und Werke, zu der unter anderem auch das Monatsmagazin "chrismon" und die Zentralredaktion des Evangelischen Pressedienstes (epd) gehören.

Angesichts kontinuierlich steigender Kosten bei gleichzeitig schwieriger werdenden Bedingungen auf den Medienmärkten müsse das GEP bis 2024 seine jährlichen Gesamtkosten in Höhe von rund 22,5 Millionen Euro um 1,9 Millionen Euro reduzieren, erklärte GEP-Direktor Jörg Bollmann. In der evangelischen Kirche wiederum erzeugen sinkende Mitgliederzahlen und damit einhergehende geringere Steuereinnahmen Spardruck.

Am 21. Februar erneuerte Bedford-Strohm sein Bekenntnis zum Qualitätsjournalismus, auf das sich Vertreter der Initiative "EJS retten!" berufen hatten. "Für mich steht fest, dass der Qualitätsjournalismus heute ganz besonders wichtig ist. Da nehme ich kein Jota zurück", schrieb der EKD-Ratsvorsitzende bei Facebook. Aber auch das könne "nie untrennbar an eine bestimmte Institution in einer bestimmten Form geknüpft sein", ergänzte er.

Das GEP wird nach Bedford-Strohms Angaben mit jährlich deutlich mehr als zwölf Millionen Euro von der EKD unterstützt. Gesellschafter des GEP sind zu 94 Prozent die EKD und zu 6 Prozent die Diakonie Deutschland.

Für das kommende halbe Jahr hat das Gemeinschaftswerk Beratungen über geplante Restrukturierungen angekündigt. Der Rat der EKD will darüber in seiner nächsten Sitzung Ende Februar beraten. Je nach Ausgang der Gespräche könnte nach Verabschiedung des 13. Jahrgangs Anfang Dezember die Ausbildung von Journalistinnen und Journalisten unter dem Dach der evangelischen Kirche nach 25 Jahren an der Schule in Berlin beendet werden.



Gespräche über ökumenische Kooperation in Journalistenausbildung

Derzeit ist offen, ob und wie der Betrieb der Evangelischen Journalistenschule in Berlin fortgesetzt werden kann. Die beiden großen Kirchen denken über eine ökumenische Zusammenarbeit nach. Erste Gespräche sollen diese Woche stattfinden.

Angesichts der ungewissen Zukunft für die Evangelische Journalistenschule (EJS) in Berlin kommt eine Kooperation der beiden großen Kirchen ins Gespräch. Zu einem entsprechenden Vorstoß der Gesellschaft Katholischer Publizisten Deutschlands (GKP) sagte der Direktor des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik (GEP), Jörg Bollmann, am 17. Februar dem Evangelischen Pressedienst (epd), er freue sich sehr über das Gesprächsangebot. "Wir haben darauf unmittelbar reagiert, die ersten Gespräche finden bereits in dieser Woche statt", sagte er.

Die GKP hatte eine Kooperation mit dem katholischen Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses (ifp) in München vorgeschlagen. GKP-Vorsitzender Joachim Frank regte an zu prüfen, ob sich über "ökumenische Kooperationen zwischen der EJS und dem ifp Synergien nutzen und zukunftsträchtige Formen der Journalistenausbildung im Raum der Kirchen entwickeln lassen".

Der journalistische Direktor des ifp, Bernhard Remmers, sagte dem epd: "Wir sind grundsätzlich für Gespräche offen." Er unterstütze alle Bemühungen, die EJS zu erhalten: "Wir sind an der Vielfalt in der Journalistenausbildung und am Erhalt der Meinungsfreiheit interessiert." Beide Schulen seien bereits seit vielen Jahren kollegial verbunden.

EJS-Leiter Oscar Tiefenthal hält eine ökumenische Zusammenarbeit in der Journalistenausbildung für einen "gangbaren und denkbaren Weg". Es gebe viele Gemeinsamkeiten zwischen ifp und EJS. "Es muss aber klar sein: Zum Nulltarif gibt es keine Qualitätsausbildung!", sagte er dem epd.

Das GEP als Träger der Evangelischen Journalistenschule hatte entschieden, wegen fehlender Finanzmittel zunächst keinen neuen Ausbildungsjahrgang auszuschreiben. Für das kommende halbe Jahr kündigte das Gemeinschaftswerk Beratungen über geplante Restrukturierungen an. Je nach Ausgang könnte nach Verabschiedung des 13. Jahrgangs Anfang Dezember die Journalisten-Ausbildung unter dem Dach der evangelischen Kirche nach 25 Jahren zu Ende gehen. In dieser Zeit wurden mehr als 200 Volontärinnen und Volontäre ausgebildet.

Hintergrund sind Sparmaßnahmen im GEP, der zentralen Medieneinrichtung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sowie ihrer Landeskirchen und Werke, zu der auch die Zentralredaktion des Evangelischen Pressedienstes (epd) gehört. Angesichts steigender Kosten bei schwieriger werdenden Bedingungen auf den Medienmärkten müsse das GEP bis 2024 seine jährlichen Gesamtkosten von rund 22,5 Millionen Euro um 1,9 Millionen Euro reduzieren, hieß es zur Begründung. Gesellschafter des GEP sind zu 94 Prozent die EKD und zu 6 Prozent die Diakonie Deutschland.

Der Betrieb der EJS kostet brutto rund 500.000 Euro jährlich. Bollmann will die Restrukturierung des Gemeinschaftswerk möglichst ohne betriebsbedingte Kündigungen erreichen. An der EJS werden in den nächsten Jahren zwei Stellen bedingt durch Ruhestände frei.

Die mögliche Schließung der EJS rief vielfach Kritik hervor. Der Deutsche Journalisten-Verband Berlin/Journalistenverband Berlin-Brandenburg erklärte, in der aktuellen Debatte über Journalismus, Medien und "Fake-News" werde die EJS mit ihrer qualitativ hochwertigen und ethisch grundierten Ausbildung dringend gebraucht. Absolventen und Freunde der Schule riefen die Kampagne "EJS retten!" ins Leben.



Mehr Angriffe auf Journalisten in Deutschland

Journalisten werden zunehmend angegriffen. Wie viele der angezeigten Fälle konsequent verfolgt und aufgeklärt werden, erfasst das Bundesinnenministerium nicht. Medienorganisationen fordern ein Umdenken.

Die Zahl der registrierten Angriffe auf Journalisten in Deutschland steigt. Wie aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Linken im Bundestag hervorgeht, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt, wurden im vergangenen Jahr 104 Fälle von Beleidigung, Erpressung oder gar gefährlicher Körperverletzung registriert, 11 mehr als 2018. Es gehe "bei weitem nicht um Einzelfälle", erklärte die medienpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Doris Achelwilm, am 20. Februar in Berlin. Die Entwicklung sei Ausdruck eines gesellschaftlichen Klimas, das die Pressefreiheit bedrohe.

Die häufigsten registrierten Delikte sind demnach Bedrohungen, Beleidigungen und Volksverhetzungen. Laut Ministeriumsantwort konnten 15 Fälle bei Versammlungen von Rechten nachgewiesen werden. Aus der Antwort geht auch hervor, dass das Bundesinnenministerium keine Statistik über den Ausgang der Verfahren und die Aufklärungsrate führt.

Gewerkschaft alarmiert

Achelwilm forderte, Journalisten und Redaktionen müssten systematisch geschützt, Gewalt- und Straftaten gegen Medienvertreter konsequent geahndet werden. Dass Straftaten gegen Medienvertreter nicht mit Nachdruck aufgeklärt und präventiv verstärkt in den Fokus genommen würden, sei unerklärlich, argumentierte sie.

Zugleich schlug sie einen Runden Tisch im Bundesinnenministerium mit Gewerkschaften und Berufsverbänden vor. Auch gehöre das Thema auf die Tagesordnung der Innenministerkonferenz. Polizeikräfte sollten verpflichtet werden, an Schulungen zur Pressefreiheit teilzunehmen. Die Strafverfolgungsbehörden müssten für das Thema sensibilisiert werden.

Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di zeigte sich von den Zahlen alarmiert. Dass es sich bei mehreren Straftaten um Körperverletzung oder gefährliche Körperverletzung bei rechten Versammlungen handelt, zeige, dass Journalisten bei der Ausübung ihrer Arbeit bedroht seien, erklärte dju-Bundesvorsitzende Tina Groll. "Das dürfen wir nicht hinnehmen."

Hohe Dunkelziffer

Der Anteil von Straftaten bei rechtsradikalen Veranstaltungen liege in beiden Jahren bei 14 Prozent. "Das ist hochgradig beunruhigend", sagte Groll. Rechte Angriffe und rechtsextremer Terror seien eine größer werdende Gefahr. "Das haben die Morde in Hanau uns auch heute wieder schmerzlich bewusstgemacht."

Der Bundesregierung hielt Groll vor, sie verkenne "offenbar die dramatischen Konsequenzen für die Pressefreiheit und die Demokratie, die dieser Anstieg von Gewalt gegen Medienschaffende offenbart". Die Länderinnenminister müssten Maßnahmen auf den Weg bringen, um Medienschaffende besser zu schützen.

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) schätzt, dass es eine hohe Dunkelziffer bei Angriffen auf Journalisten gibt. Viele Beleidigungen, Anpöbeleien oder Anrempeleien würden nicht angezeigt, sagte DJV-Sprecher Hendrik Zörner auf epd-Anfrage. Das höre der Verband immer wieder aus Redaktionen. Er gehe deshalb davon aus, dass die Zahl der Angriffe auf Medienvertreter wesentlich höher liege als in der Antwort des Bundesinnenministeriums ausgewiesen.



Gedenken an die Opfer des Anschlags in Hanau

Beim Filmempfang der Kirchen anlässlich der 70. Berlinale wurde mit einer Schweigeminute der Opfer des Anschlags in Hanau gedacht. Die Oscar-prämierte Regisseurin Caroline Link lenkte zudem den Blick auf das Thema sexueller Kindesmissbrauch.

Evangelische und katholische Kirche haben mit einer Schweigeminute bei der 70. Berlinale am 23. Februar der Opfer des Anschlags in Hanau gedacht. Beim traditionellen Ökumenischen Empfang anlässlich der Internationalen Filmfestspiele Berlin setzten sie damit ein Zeichen gegen Rassismus, Islamfeindlichkeit und Gewalt, wie die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die katholische Deutsche Bischofskonferenz (DBK) mitteilten.

"Der Anschlag bleibt ein Thema für uns alle", sagte der Leiter des Filmkulturellen Zentrums im Gemeinschaftswerk der evangelischen Publizistik (GEP), Christian Engels. Hass und Rassismus breiteten sich in der Gesellschaft immer weiter aus. Minderheiten sorgten sich immer stärker um ihre Sicherheit. "Das dürfen wir nicht hinnehmen."

Bei der Veranstaltung wurde auch die diesjährige Ökumenische Jury vorgestellt. Präsident ist der Berliner Pfarrer Roland Wicher. Ihm zur Seite stehen fünf weitere Juroren aus Deutschland, den Niederlanden, Togo, der Schweiz und den USA.

Ursprünglich sollte der Produzent und Medienmanager Paul de Silva aus dem kanadischen Toronto das Gremium leiten. Aus Krankheitsgründen musste er jedoch absagen. Die Juroren werden über die Internationale Kirchliche Filmorganisation "Interfilm" und die Internationale Katholische Vereinigung für Kommunikation "Signis" entsandt.

Die Ökumenische Jury ehrt seit 1992 "Filmschaffende, die in ihren Filmen ein menschliches Verhalten oder Zeugnis zum Ausdruck bringen, das mit dem Evangelium in Einklang steht, oder die es in ihren Filmen schaffen, das Publikum für spirituelle, menschliche und soziale Werte zu sensibilisieren". Der Filmpreis der Ökumenischen Jury im Rahmen der diesjährigen Berlinale wird am 29. Februar vergeben.

Der Vorsitzende der Publizistischen Kommission der DBK, Bischof Gebhard Fürst, würdigte am Sonntagabend die Ausrichtung der Jubiläums-Berlinale. Sie sei "weise und mutig zugleich" und stelle sich den Herausforderungen ihrer Tradition und ihrer Zukunft. Der EKD-Kulturbeauftragte, Johann Hinrich Claussen, begrüßte, dass die Berlinale "mit einer neuen Leitung einen frischen Aufbruch" wage. "Denn eine lebendige, aufregende und mutige Filmkultur brauchen wir in diesen Tagen mehr als sonst."

Die Oscar-prämierte Regisseurin Caroline Link stellte derweil ihren Spot "Anrufen hilft!" vor, den sie für den Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs drehte. "Dieser Spot hilft, die Mauern des Schweigens zu durchbrechen, die die sexualisierte Gewalt an Kindern viel zu oft umgibt. Er ist ein wertvoller filmischer Beitrag zu einer breiteren gesellschaftlichen Wahrnehmung dieses so wichtigen Themas", sagte Claussen.

Fürst lobte, der aktuelle Kinofilm Links, "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl", öffne den Zugang zur Nazizeit durch die Perspektive auf Flucht, Vertreibung und Exil. Im Mittelpunkt des Films stünden ein Kind und sein Erleben, seine Leidensgeschichte und sein Lebensmut. "Im unbefangenen Blick auf diesen Menschen und auf die Vergangenheit sehen wir mit Caroline Link auch genauer hin auf uns und auf die Gegenwart, auf Exil und Geflüchtete."



Im Kinodunkel sind alle gleich

Der Anschlag in Hanau warf seine Schatten auch auf die Eröffnung des 70. Filmfestivals Berlin, das mit einer Schweigeminute der Opfer gedachte. Der Auftaktfilm "My Salinger Year" dagegen kam launig daher, wo etwas Ernst Not getan hätte.

Wenn sich auch an der Kulisse des Berlinale Palasts am Potsdamer Platz kaum etwas verändert hat, der Kontrast zu den Vorjahren war deutlich zu spüren. Die feierliche Eröffnung der 70. Filmfestspiele sollte eigentlich ganz im Zeichen einer Erneuerung unter der frisch angetretenen Leitung von Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek stehen. Doch die Betroffenheit über das rassistische Attentat von Hanau ließ die unter Dieter Kosslick stets launig gehaltene Veranstaltung ungewöhnlich ernst geraten.

Das Festival wende sich gegen Rassismus und Gewalt, hieß es immer wieder. Mit einer Schweigeminute wurde der Opfer gedacht. Die Berlinale stehe für Toleranz, Respekt und Gastfreundschaft, betonte Rissenbeek bei ihrer Begrüßung. Und Carlo Chatrian ging in seiner Ansprache noch etwas weiter, indem er die Solidarität einer Kinogemeinschaft beschwor: "Wenn wir im Kino sitzen, sind wir ein Publikum, ohne Unterschiede was Klasse, Sprache, Religion angeht. Das Kino bringt uns zusammen".

Mit ernsten Tonfall hatte davor bereits die Pressekonferenz mit der Internationalen Jury begonnen, der in diesem Jahr der britische Schauspieler Jeremy Irons vorsteht. Seine Ernennung hatte wegen einiger unglücklicher Äußerungen im Bezug auf Abtreibung und gleichgeschlechtliche Ehe Polemiken ausgelöst.

Als Antwort stellte Irons der Befragung durch die Journalisten, unter Entschuldigung für die Zeitverschwendung, nun eine entschiedene Erklärung "seiner Ansichten" voran: Er unterstütze "von ganzem Herzen" den Kampf um die Gleichberechtigung der Frauen weltweit und sei gegen jede Art der sexuellen Belästigung privat wie am Arbeitsplatz. Er begrüße Gesetze, die die gleichgeschlechtliche Eheschließung ermöglichten, und hoffe, dass immer mehr Länder solche verabschieden. Und er trete für das Recht von Frauen auf Abtreibung ein. Vom Programm der Berlinale erwarte er nun genau das: Filme zu sehen, die Vorurteile und Haltungen in Frage stellen und schwierige Probleme aufgreifen.

Solchen Ansprüchen konnte der Eröffnungsfilm, "My Salinger Year" von Philippe Falardeau, dann leider nicht wirklich gerecht werden. Außerhalb des Rennens um den Goldenen Bären startend, erzählt die Verfilmung der 2014 erschienenen Memoiren von Joanna Rakoff von einer 20-Jährigen, die Mitte der 90er nach New York kommt. Im Film wird sie von Margaret Qualley gespielt, der Tochter von Andie MacDowell, die im vergangenen Jahr durch ihre Rolle als Hippie-Mädchen in Quentin Tarantinos "Once Upon a Time in Hollywood" aufgefallen war.

Qualley spielt Joanna als beherzte junge Naive, wie man sie aus vielerlei Filmen kennt. Schüchtern, aber doch nicht auf den Mund gefallen, kommt Joanna ohne jede Qualifizierung zu einem Job in einer gediegenen Literaturagentur, der Sigourney Weaver als elegant-manierierter Chefin vorsteht. Wichtigster Kunde der Agentur ist JD Salinger, oder "Jerry", wie in Weavers Figur Margaret nennt, und wichtigste Aufgabe für Joanna ist es, die Fan-Briefe, die Salinger auch 30 Jahre nach seinem kompletten Rückzug aus der Öffentlichkeit noch bekommt, von diesem fern zu halten.

Falardeau zeigt die 90er Jahre in seinem Film, als handle es sich um eine historische Epoche, die man heute kaum mehr versteht. Fast macht er sich lustig über Menschen, für die der "Personal Computer" ein so unbegriffenes Konzept war, dass sie ihn für eine vorübergehende Erscheinung hielten, die mehr Arbeit macht als erleichtert. Für die Handlung ist außerdem wichtig, dass Telefone noch reine "Landleitungen" waren mit Zentralnummern - nur so nämlich kommt die junge Heldin in Kontakt mit Salinger, der sich trotz Schwerhörigkeit brav für die Neue in der Agentur interessiert und ihr Mut zur eigenen Autorschaft macht: "Jeden Tag schreiben!".

"My Salinger Year" schwankt unbestimmt zwischen solchen Andeutungen auf die Putzigkeiten des vordigitalen Jahrhunderts, einer normalen Coming-of-Age-Geschichte - Joanna emanzipiert sich von gleich zwei Boyfriends – und einer Chefinnen-Satire a la "Der Teufel trägt Prada" hin und her. Zwischendurch zeigt er in Vignetten die Fans, die sich trotz unterschiedlicher Hintergründe von Vietnam-Veteranen bis zur biederen Hausfrau auf Innigste mit "Fänger im Roggen"-Helden Holden Caulfield identifizieren.

Das alles kommt launig daher, wo etwas Ernst Not getan hätte. Mit seiner betonten Harmlosigkeit funktionierte der Film zwar als Eröffnung eines Festivals, das viele Geschmäcker gleichzeitig befriedigen muss. Für die Kosslick-Ära wäre "My Salinger Year" noch gut durchgegangen. Als Auftakt für ein Festival, das unter der neuen Doppelspitze Chatrian-Rissenbeek sich und die Kunst des Kinos auf neue Weise ernst nehmen will, erwies er sich als erste echte Enttäuschung.

Von Barbara Schweizerhof (epd)


Aufgeräumt - Berlinale wird einer Renovierung unterzogen

Die 70. Berlinale startet unter neuer Leitung, aber mit einigen Widrigkeiten. Ihr Charakter als Publikumsfestival soll auch künftig erhalten bleiben.

Selten waren die Rahmenbedingungen für ein Festival so schlecht wie ausgerechnet bei dieser Jubiläumsausgabe der Internationalen Filmfestspiele Berlin. Damit ist nicht die finanzielle Ausstattung der 70. Berlinale gemeint - da hat Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) sogar noch etwas draufgelegt. Es sind eher organisatorische Knüppel zwischen die Beine: Ende vergangenen Jahres schloss das Cinestar-Multiplex im Sony-Center am Potsdamer Platz, zehn Kinos fielen der Berlinale dadurch weg. Die Berlinale musste ihre Präsenz in den Cubix-Kinos am Alexanderplatz erhöhen. Im Keller des Berlinale-Palastes gastiert das Musical "Magic Mike" - der Raum kann nicht, zum Beispiel für Empfänge, genutzt werden.

Der Potsdamer Platz selbst ist gastronomisch so gut wie tot. Die Potsdamer-Platz-Arkaden, die jahrelang als ultima ratio einer Shopping Mall galten und immer für einen Snack der Festivalbesucher gut waren, werden umgebaut und müssen sich durch eine nahegelegene Konkurrenz neu orientieren. Die meisten Kneipen auf der Alten Potsdamer Straße haben auch zu. Und über alldem schwebt natürlich der Corona-Virus, gegen den die Berlinale überall Spender mit Desinfektionslösung aufstellen lassen will. Dass die U-Bahn-Linie 2 (U2) Richtung Ruhleben vorübergehend nicht am Potsdamer Platz hält, scheint da nur eine Lappalie.

Aber das alles wird für das Berliner wie für das Fachpublikum wie weggewischt sein, wenn sich zum ersten Mal der Vorhang im Berlinale-Palast hebt - und sich zeigt, dass die Mischung und Qualität der Filme stimmen. Denn gerade der Wettbewerb erschien in den letzten Jahren des Festivalleiters Dieter Kosslick, der die Berlinale von 2001 bis 2019 verantwortete, ziemlich beliebig und eintönig und hat unter Journalisten vehemente Kritik hervorgerufen. Der Druck auf das neue Leitungs-Duo mit Carlo Chatrian als künstlerischem Leiter und Mariette Rissenbeek als Geschäftsführerin ist also hoch.

Eine Einschätzung wird man erst am Ende des Festivals ziehen können, aber die beiden scheinen die Renovierung der alten Dame Berlinale umsichtig angegangen zu sein. Den Charakter der Berlinale als Publikumsfestival jedenfalls wollen sie nicht antasten. Ihre größte Neuerung ist sicherlich die Einführung einer zweiten Wettbewerbsreihe namens "Encounters" (wie es sie auch bei den beiden anderen größeren europäischen Festivals Cannes und Venedig gibt), die stilistisch innovativen, vielleicht auch niedrig budgetierten Filmen Raum geben soll. Die genaue Abgrenzung zum "Internationalen Forum des jungen Films", der bisherigen Innovativsektion, die in diesem Jahr auch 50 wird, ist allerdings nicht klar definiert.

Der Wettbewerb besteht aus 18 Filmen. Eine Kategorie "außer Konkurrenz" gibt es nicht mehr, solche Filme werden in der Sektion "Berlinale Special" gezeigt, die es auch vorher schon gab, und die quasi für den Glamour-Faktor zuständig ist. Hier läuft auch der Film, mit dem das Festival eröffnen wird: "My Salinger Year" von Philippe Falardeau. Darin spielt Sigourney Weaver eine Literaturagentin, die den Autor des Kultromans "Der Fänger im Roggen" vertritt. Die drei Sektionen des "offiziellen Programms" sollen stärker als bisher eine Einheit bilden.

Der Wettbewerb, in dem sich kein klassischer Hollywood-Film findet, setzt auf bekannte Namen des Autoren- und Independentkinos wie Abel Ferrara, Hong Sang-soo, Tsai Ming-Liang oder Kelly Reichardt. Da kennt Carlo Chatrian sich aus, hat er doch jahrelang das Festival von Locarno geleitet. Prognostiziert hat er, dass sein Wettbewerb durchaus düster werden könnte. Da freut man sich doch auf das neue Werk von Sally Potter, "The Roads Not Taken": Die britische Regisseurin war vor drei Jahren mit ihrer turbulenten Komödie "The Party" vertreten.

Sozialen Humor, vielleicht eher der gröberen Sorte, versprechen die beiden Regisseure Benoit Delépine und Gustave Kervern ("Mammuth"), die im Wettbewerb ihre Social-Media-Komödie "Facer l'historique" zeigen. Zwei deutsche Filme gibt es im Wettbewerb: "Undine" von Christian Petzold (quasi Wettbewerbs-Urgestein) und die dreistündige Neuadaption des Romans "Berlin Alexanderplatz" durch Burhan Qurbani. Aus dem Kriegsheimkehrer Franz Biberkopf ist diesmal ein Flüchtling aus Westafrika geworden. Man darf gespannt sein.

Von Rudolf Worschech (epd)


"Goldene Lola" für Drehbuch "Meinen Hass bekommt ihr nicht"

Anlässlich der Berlinale sind die Autoren des Drehbuchs "Meinen Hass bekommt ihr nicht" mit dem mit 10.000 Euro dotierten Drehbuchpreis 2020 ausgezeichnet worden. Jan Braren, Marc Blöbaum und Kilian Riedhof erhielten die "Goldene Lola" am 21. Februar von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU). Der Preis für das beste unverfilmte Drehbuch wird alljährlich beim Empfang des Verbandes Deutscher Drehbuchautoren verliehen, der während der Internationalen Filmfestspiele Berlin stattfindet. Die "Goldene Lola" gilt als wichtigste nationale Auszeichnung in diesem Bereich.

"Meinen Hass bekommt ihr nicht" nach dem Roman "Vous n’aurez pas ma haine" von Antoine Leiris thematisiert den islamistisch motivierten Terroranschlag im November 2015 in Paris auf den Konzertsaal "Le Bataclan". "Mit außergewöhnlichem Feingespür schaffen es die drei Autoren, den Geist der Vorlage zu erhalten. Seine Würde. Seine Zartheit. Und damit auch seine unvergleichlich kostbare Botschaft", begründete die Jury die Auszeichnung.

Nominiert für den Drehbuchpreis 2020 waren außerdem die Drehbücher: "Fluchten" von Ariane und Frank Zeller sowie "Sie glauben an Engel, Herr Drowak?" von Bettina Gundermann und Pascal Nothdurft. Sie erhielten mit ihrer Nominierung jeweils 5.000 Euro.

Vor rund 600 Gästen aus Politik und Filmbranche betonte Grütters, dass es den Drehbuchautorinnen und Drehbuchautoren gelinge, mit Fantasie, erzählerischem Talent und fesselnder Sprache "das Fundament filmischen Erzählens" zu schaffen. Der Deutsche Drehbuchpreis wird seit 1988 verliehen.



Bund erhöht Filmförderung auf 210 Millionen Euro

Der Bund wird nach Angaben von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) seine Filmförderung auf rund 210 Millionen Euro erhöhen. "So viele öffentliche Mittel gab es noch nie für den deutschen Film", sagte Grütters am 20. Februar in Berlin auf dem Deutschen Produzententag der Produzentenallianz anlässlich der 70. Berliner Filmfestspiele. Der Filmstandort Deutschland sei damit international konkurrenzfähig. Das müsse Ansporn aber auch Verpflichtung für die Produzentinnen und Produzenten sein. Die Staatsministerin kündigte an, nach der Berlinale einen Diskussionsentwurf für das ab 2022 geltende Filmförderungsgesetz vorzulegen.

Zugleich erneuerte sie ihre Kritik am deutschen Film. Es gebe weiterhin zu wenige gute deutsche Filme, sagte Grütters. Bund und Länder hätten 2019 mehr als 450 Millionen Euro für die Filmförderung ausgegeben, davon rund 336 Millionen allein für Produktion und Entwicklung. "Am Geld fehlt es also nicht", so Grütters. Es müsse mehr für die Entwicklung getan und auf dem Weg vom guten Drehbuch zum fertigen Film nachjustiert werden. Auch würden zusätzliche Anstrengungen bei Vertrieb und Marketing gebraucht.

Laut Kinobranche lag der Anteil der deutschen Filme in den deutschen Kinos im vergangenen Jahr wieder bei über 20 Prozent. Es sollte jedoch möglich sein, wieder frühere Werte von 25 Prozent oder mehr zu erreichen, sagte Grütters. Die Politik leiste hier ihren Beitrag, indem sie für gute Rahmenbedingungen für die Filmbranche sorge. "Dafür, dass auf diesem Nährboden gute Filme gedeihen, muss aber auch die Filmbranche mehr tun", forderte die Kulturstaatsministerin.



Sex im Film: Keine rote Linie überschreiten


Julia Effertz ist Beraterin beim Dreh von intimen Szenen
epd-bild/Teresa Marenzi
"Es gibt Experten für Stunts, Zweikämpfe und Tänze, nur bei intimen Szenen werden Schauspieler allein gelassen", sagt Julia Effertz. Als "Intimitätskoordinatorin" will sie dafür sorgen, dass bei Dreharbeiten keine Grenzen überschritten werden.

Den meisten Menschen ist es unangenehm, sich vor Wildfremden auszuziehen. Bei Schauspielern wird das jedoch als selbstverständlich vorausgesetzt: Sie sollen auf der Bühne oder am Filmset ganz natürlich nackt agieren und womöglich auch noch leidenschaftlichen Sex simulieren. Gerade bei Dreharbeiten sind solche Momente besonders heikel, schließlich läuft eine Kamera; die Nacktszenen sind fortan für immer in der Welt.

Entscheidender ist allerdings ein anderer Aspekt: In der Vergangenheit ist es immer wieder zu Situationen gekommen, die gerade von jungen Darstellerinnen als unangemessen oder übergriffig empfunden worden sind. Mal war es der Regisseur, der eine rote Linie überschritten hat, mal der männliche Spielpartner.

Julia Effertz will helfen, solche Vorfälle zu vermeiden. Die Schauspielerin ist nach eigenen Angaben Deutschlands erste Intimitätskoordinatorin. Die Bezeichnung klingt bürokratisch, ist aber eine exakte Tätigkeitsbeschreibung: Sie hilft, den Ablauf intimer Szenen im Voraus genau zu planen, mit den Beteiligten abzusprechen und dafür zu sorgen, dass Grenzen nicht überschritten werden.

Genitalabdeckungen

Sie klärt außerdem mit dem Kostümbild ab, dass Genitalabdeckungen und Bademäntel bereitliegen und kümmert sich um die Einhaltung des "Closed Set": Außer Regie, Kamera, Ton, den beteiligten Schauspielern und natürlich ihr selbst ist niemand beim Dreh dabei.

Effertz hat ihre Ausbildung bei Ita O'Brien absolviert. Die Britin ist so etwas wie die Schutzpatronin für Schauspielerinnen, seit sie 2017 Richtlinien für das Drehen intimer Filmszenen veröffentlich hat. Seither wird sie bei Serien mit freizügigen Szenen - aktuell zum Beispiel "Sex Education" auf Netflix - regelmäßig als "Intimacy Coordinator" engagiert.

Ihr habe das sofort eingeleuchtet, sagt Effertz: "Es gibt Experten für Stunts, Zweikämpfe und Tänze; nur bei intimen Szenen werden Schauspieler alleingelassen. Dadurch ist eine Grauzone entstanden, in der auch sehr hässliche Dinge passieren können."

Intime Szenen, ergänzt sie, seien für fast alle Schauspielerinnen und Schauspieler unangenehm: "Es gibt ja die Vorstellung des entgrenzten Künstlers, der bereit ist, über eigene körperliche und emotionale Grenzen hinwegzugehen, aber das ist nicht mehr zeitgemäß. Schauspieler sind genauso verletzlich wie wir alle, und intime Szenen bergen ein erhöhtes Verletzungsrisiko."

Hierarchische Verhältnisse

An Bühnen und bei Dreharbeiten herrschen zudem traditionell hierarchische Verhältnisse: Der Regisseur hat das letzte Wort. Schauspielerinnen sind oft genötigt worden, mehr von ihrem Körper preiszugeben als vorher vereinbart war. Effertz möchte allerdings vermeiden, dass bei dem Thema nur auf Frauen geschaut wird: "Für Männer ist das genauso wichtig." Sie weiß von Kollegen, denen es sehr zu schaffen gemacht habe, eine Vergewaltigungsszene zu spielen.

Effertz' Argumente klingen derart einleuchtend, dass es fast verwundert, warum nicht schon längst jemand auf die Idee gekommen ist, diesen Beruf zu erfinden: "Man spart Zeit, die Szene sieht besser aus, und es kommt nicht zu Grenzüberschreitungen." In den USA und Großbritannien gehört die Anwesenheit von Intimacy Coordinators bei entsprechenden Szenen längst zum guten Ton.

Eva Hubert ist Vorstandsmitglied bei Themis, der 2018 gegründeten unabhängigen Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt in der Medienbranche. Sie würde die Anwesenheit von Intimitätskoordinatoren bei entsprechenden Szenen sehr begrüßen, wie sie sagt. In den vergangenen 13 Monaten seien insgesamt rund 200 Beschwerden bei Themis eingegangen, "von sexistischen Sprüchen bis zu massiven physischen Belästigungen der schlimmsten Art". Die meisten Beschwerden, rund 85 Prozent, stammten von Frauen. Beschwerden bei Dreharbeiten für intime Szenen werden von Themis nicht gesondert erfasst.

Kontrollverlust

Auch Regisseur Kilian Riedhof, für Filme wie "Homevideo", "Der Fall Barschel" und "Gladbeck" (alle ARD) mit sämtlichen wichtigen TV-Preisen ausgezeichnet, kann sich den Einsatz eines Intimitätskoordinators gut vorstellen: "Intime Szenen sind nicht so einfach zu filmen wie eine Unterhaltung in einem Café. Alle Beteiligten müssen sich mit Bereichen auseinandersetzen, die viel mit eigener Scham zu tun haben, und das ist immer potenziell heikel." Die Herausforderung bestehe darin, für die Gefühle zwischen einem Paar den richtigen körperlichen Ausdruck zu finden, "und das muss vorher im Detail besprochen werden; in der Hitze des Gefechts ist für so etwas keine Zeit mehr."

Und Filmregisseurin Sibylle Tafel ("Für eine Nacht … und immer?", ARD) wäre ebenfalls dankbar, wenn sie bei solchen Szenen Unterstützung bekäme, zumal viele Schauspielerinnen und Schauspieler bei Nacktszenen sehr nervös seien: "Lust zu zeigen bedeutet massiven Kontrollverlust." Als Regisseurin komme man unter Umständen in einen Interessenskonflikt: "Was gut für den Film ist, muss sich nicht zwangsläufig gut für den Schauspieler anfühlen."

Von Tilmann P. Gangloff (epd)


Seerosen, Paläste, Getreideschober


"Der Seerosenteich" (1918) von Claude Monet im Museum Barberini
epd-bild/Rolf Zöllner
Der Künstler Claude Monet gilt als Inbegriff des Impressionismus. Das Barberini-Museum in Potsdam widmet ihm nun eine große Ausstellung. Sie wird am Freitag eröffnet und bis zum 1. Juni gezeigt.

Seerosen im Wassergarten des Künstlers in Giverny, der träumerische Blick auf venezianische Paläste, Landschaften am Mittelmeer, Stadtansichten von Paris und London: Der Impressionist Claude Monet (1840-1926) war zeitlebens von Landschaften und Orten fasziniert, die er im wechselnden Licht der Tages- und Jahreszeiten auf die Leinwand bannte. Das Potsdamer Barberini-Museum widmet ihm nun eine Retrospektive mit mehr als 100 Werken. Am Freitagabend wird sie eröffnet.

Die Ansicht der Steilküste im Nordosten Frankreichs mit dem Felsentor bei Étretat gehört zu den Höhepunkten der Ausstellung "Monet. Orte". Viele Male hat der Impressionist dieses Motiv gemalt, die in Potsdam gezeigte Version stammt aus der Privatsammlung des Kunstmäzens und Museumsgründers Hasso Plattner.

Die Bilder aus seinem Besitz waren der Ausgangspunkt für die Ausstellung, die in Kooperation mit dem Denver Art Museum entstand. Auch eine Ikone des Impressionismus, der "Getreideschober" von 1890 aus einer Serie von 25 Bildern, wird dort gezeigt. 2019 wurde das Kunstwerk als teuerstes Monet-Gemälde versteigert. Nun enthüllte Plattner, er habe das Bild für seine Stiftung gekauft, damit es nicht nach China geht.

Neben Werken aus Plattners Sammlung werden auch Leihgaben gezeigt. "Es ist mit mehr als 110 Werken die bislang umfangreichste Retrospektive Monets in einem deutschen Museum", betont Barberini-Direktorin Ortrud Westheider. Die Ausstellung spürt auf allen drei Etagen des Hauses der Entwicklung des Malers bis zu seinen späten Seerosenbildern nach.

Für Claude Monet war das Malen unter freiem Himmel entscheidend für die Entwicklung seiner Bildkunst. Immer wieder widmete er sich einem Ort und einem Motiv, das ihn besonders faszinierte. Die Flusslandschaft entlang der Seine gehört dazu. Monet hielt sie zu unterschiedlichen Tages- und Jahreszeiten fest, um wechselnde Stimmungen und das Spiel von Farbe und Licht zu erfassen. Monet sei es nicht vorrangig um das Motiv, sondern um die Atmosphäre gegangen, erklärt Kurator Daniel Zamani.

Der Rundgang beginnt mit Monets künstlerischen Anfängen in der Landschaftsmalerei. Im Wald von Fontainebleau bei Paris und in der Normandie fand er seine ersten Motive. Es folgen Stadtansichten von Paris, in denen er den Stadtumbau mit breiten Boulevards und die Dynamik der Großstadt mit der Entwicklung der Eisenbahn ins Bild setzt.

Ab 1871 verlegt Monet seinen Wohnsitz aufs Land. An der Seine malt er skizzenhaft, mit frischen leuchtenden Farben Spaziergänger in der Landschaft. Ein eigenes Kapitel widmet die Ausstellung Monets Winterbildern an dem Fluss.

Die Wasseroberfläche mit ihren Spiegelungen ist in allen Bildern Monets ein zentrales Element. "Als er London oder Venedig um 1900 malt, malt er die Orte nicht wie moderne Großstädte, sondern letzten Endes wie von Licht umspielte Wasserlandschaften", so Kurator Daniel Zamani. In London liegt ein farbiger Nebelschleier über den Ansichten am Wasser, in Venedig nimmt er den Betrachter mit auf den Canale Grande, von dem er das Farbenspiel von Licht und Wasser vor den Fassaden der venezianischen Palazzi inszeniert.

Wie in einem Film reiht die Ausstellung mehrere Variationen aneinander, die Monet an der Atlantikküste in Étretat malte. Der Schlusspunkt wird mit Monets Wassergarten von Giverny gesetzt: Hier hatte der Künstler seit 1883 bis zu seinem Tod 1926 Arbeitsort und Heimat. Die berühmten Serien der Seerosenbilder, die er dort bis ins späte Alter in immer neuen Variationen malte, gehören zu den Ikonen des Impressionismus.

Zur Eröffnung der Ausstellung kündigte Museumsgründer Hasso Plattner zugleich eine neue Sensation an: im Herbst wird er seine 34 Monet-Bilder sowie die gesamte Sammlung impressionistischer und postimpressionistischer Kunst dem Barberini als Dauerleihgabe überlassen. Die Sammlung sei so großartig, dass sie öffentlich gezeigt werden müsse, so der Mäzen selbstbewusst. Das Potsdamer Museum wird damit über den größten Bestand französischer Kunst dieser Epoche außerhalb von Frankreich verfügen.

Von Sigrid Hoff (epd)


Barberini-Museum plant Dauerausstellung zum Impressionismus

Das Barberini-Museum in Potsdam bekommt eine Dauerausstellung mit Werken des Impressionismus. Ab dem 5. September sollen in dem Haus neben dem Landtag am Alten Markt mehr als 100 Meisterwerke von Monet, Renoir, Morisot, Sisley, Pissarro, Cross, Signac und weiteren Malern des Impressionismus und Postimpressionismus gezeigt werden, teilte das Museum am 20. Februar in Potsdam mit. Die Werke aus der Sammlung von Museumsgründer Hasso Plattner, darunter allein 34 Gemälde von Claude Monet (1840-1926), würden künftig dauerhaft präsentiert.

Mehr Monets seien außerhalb von Paris nirgends in Europa zu sehen, hieß es. Insgesamt seien mehr als zwanzig Künstler in der Dauerausstellung vertreten. Ihre Werke betonten die zentrale Rolle der Landschaftsmalerei zu jener Zeit.

Der französische Impressionismus sei in seiner Zeit aus nationalem Ressentiment in Deutschland kaum gesammelt worden, betonte Plattner: "Meine Sammlung soll deshalb, besonders hier im Osten Deutschlands, ein Ort der deutsch-französischen Freundschaft, des kulturellen Freigeistes und des internationalen Austausches sein."

In der Dauerausstellung sollen den Angaben zufolge auch Gemälde gezeigt werden, die die Hasso Plattner Foundation unlängst erworben hat. Darunter seien bedeutende Werke von Caillebotte, Pissarro und Renoir, aber auch Monets "Stillleben mit spanischen Melonen" von 1879 und "Bordighera, Italien" von 1884. Als bekanntestes Bild sei Monets "Getreideschober" aus dem Jahr 1890 für das Barberini-Museum angekauft worden.



Preußische Schlösserstiftung plant große Sanierungen

Schloss Charlottenburg, Neues Palais, Schloss Cecilienhof, Villa Liegnitz, Orangerieschloss im Park Sanssouci: Die preußische Schlösserstiftung plant weitere umfangreiche Sanierungen ihrer historischen Bauwerke.

Im 25. Jahr ihres Bestehens bereitet die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten neue Sanierungsprojekte mit einem Gesamtumfang von 170 Millionen Euro vor. Die Baumaßnahmen an den historischen Denkmälern sollen 2021 beginnen, sagte Generaldirektor Christoph Martin Vogtherr am 17. Februar in Potsdam: "Das ist ein riesiges Paket." Dann müssten an vielen der historischen Orte auch Baugerüste errichtet werden.

Geplant würden derzeit 24 Projekte, darunter am Neuen Palais, den Römischen Bädern und am Orangerieschloss im Park Sanssouci in Potsdam sowie am Schloss auf der Berliner Pfaueninsel und am Potsdamer Schloss Cecilienhof. Die Sanierungsvorhaben sind Teil des 400 Millionen Euro umfassenden Sonderinvestitionsprogramms des Bundes und der Länder Brandenburg und Berlin für die Stiftung. Das Programm läuft bis 2030.

Im laufenden Jahr sind auch mehrere neue Ausstellungen geplant, sagte Vogtherr. Herausragendes Projekt ist die Ausstellung "Die Neuordnung der Welt" im Schloss Cecilienhof zum 75. Jahrestag der Potsdamer Konferenz 1945. Dort soll auch den Stimmen der international von den Entscheidungen der Konferenz Betroffenen Gehör verschafft werden, betonte er. Die Konferenz werde dort "konsequent als globales Ereignis" behandelt.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa verhandelten die Siegermächte USA, Großbritannien und Sowjetunion in Schloss Cecilienhof über die Zukunft Deutschlands und eine Neuordnung Europas und der Welt. Am Rande der Konferenz vom 17. Juli bis zum 2. August 1945 wurde auch der Abwurf von Atombomben auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki von den USA entschieden.

Schloss Cecilienhof habe damals "wie ein Brennglas der Geschichte" im Blick der Öffentlichkeit gestanden, sagte Kurator Matthias Simmich. Die "grausame und brutale Geschichte" des 20. Jahrhunderts finde sich dort ebenso wieder wie die Hoffnung auf eine friedliche Nachkriegsordnung und der Beginn des Kalten Krieges. In der rund 1.000 Quadratmeter großen Ausstellung vom 1. Mai bis 1. November sollen auch Leihgaben des Hiroshima Peace Memorial Museums gezeigt werden.

Weitere Ausstellungen widmen sich unter anderem in Oranienburg und Caputh dem vor 400 Jahren geborenen Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1620-1688) und in Potsdam der mehr als 20.000 Objekte umfassenden Fotografie-Sammlung von Glasnegativen der Stiftung. Im Berliner Schloss Charlottenburg wird im September eine neue Dauerausstellung eröffnet, die Friedrich den Großen (1712-1786) in den Mittelpunkt stellt. Zur Ausstattung gehören auch bis zu 50 Objekte aus dem früheren Potsdamer Stadtschloss.

Die Stiftung plane zugleich, die kulturelle Bildung und die Vermittlung von Wissen zu verstärken, sagte Vogtherr. Dazu sollen unter anderem in den Schlössern Orte von wichtiger historischer Bedeutung besonders markiert werden und vertiefte Informationen bieten.

Die Besucherzahlen seien im vergangenen Jahr um ein Prozent auf insgesamt rund 1,56 Millionen Gäste leicht gestiegen, sagte Vogtherr. Die Einnahmen aus staatlichen Zuschüssen, Zuwendungen, Spenden und eigenen Erträgen sind von 69,2 Millionen Euro im Jahr 2018 auf knapp 69,9 Millionen Euro im vergangenen Jahr gestiegen. Die Stiftung wurde am 1. Januar 1995 gegründet.



Brandenburg fördert erneut Projekte kultureller Bildung

Brandenburg stellt in diesem Jahr rund 400.000 Euro für besondere Projekte der kulturellen Bildung zur Verfügung. Zunächst sollen im Rahmen der ersten Antragsrunde des Förderprogramms "Kulturelle Bildung und Partizipation" landesweit 30 Projekte mit insgesamt rund 240.000 Euro gefördert werden, teilte das Kulturministerium am 18. Februar in Potsdam mit. Dazu gehören unter anderem ein regionales Bildungskonzept des Fördervereins der Stadtpfarrkirche Müncheberg zum Thema Bilderbuch und Illustration sowie im Landkreis Ostprignitz-Ruppin geplante Jugendfreizeitzentren für interkulturelle Arbeit.

Die Teilhabe am kulturellen und sozialen Leben sei sehr wichtig, erklärte Kulturministerin Manja Schüle (SPD): "Kultur bringt Menschen zusammen." Theater, Tanz, Musik, Literatur und Bildende Kunst förderten nicht nur Kreativität. Sie ermöglichten auch Begegnungen zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft, Religion, Hautfarbe und unterschiedlichen Alters.

Brandenburg verfüge über ein reichhaltiges und facettenreiches kulturelles Leben, betonte Schüle: "Gerade in Zeiten von Populismus, Neo-Nationalismus, Abschottungstendenzen und 'Fake News' brauchen wir eine kreative und freie Kunstszene, landesweite Angebote kultureller Bildung und außergewöhnliche Orte für Begegnungen."

Das Förderprogramm richtet sich den Angaben zufolge an Kommunen, Kitas, Grundschulen, Kultureinrichtungen, Vereine und Verbände. Für die zweite Antragsrunde können bis zum 15. Mai Anträge für Projekte in der zweiten Jahreshälfte mit einer Laufzeit bis Ende Dezember 2020 gestellt werden.



Neuer Verein will Baukultur in Brandenburg voranbringen

Die Baukultur in Brandenburg soll mit Hilfe eines neuen Vereins gestärkt werden. An der Gründungsversammlung in Potsdam nahmen am 18. Februar auch Landeskonservator Thomas Drachenberg, Brandenburgs früherer Bauminister Reinhold Dellmann (SPD), die Bauexpertin und ehemalige märkische Umweltministerin Anita Tack (Linke) sowie der Direktor der Bundesstiftung Baukultur, Reiner Nagel, teil. Vereinszwecke sind laut Satzungsentwurf unter anderem die Förderung von Baukultur, bürgerschaftlichem Engagement und Kompetenz im Umgang mit der gebauten Umwelt.

Zu den rund 25 Gründungsmitgliedern des Fördervereins Baukultur Brandenburg gehören auch der Präsident der Brandenburgischen Architektenkammer, Christian Keller, und der Präsident der Brandenburgischen Ingenieurkammer, Matthias Krebs. Ziel des Vereins sei auch, öffentliche Debatten über Fragen des Bauens zu fördern, sagte Keller. Der Verein, der aus dem 2013 gegründeten Netzwerk Baukultur hervorgegangen ist, ermögliche, "die Belange der Baukultur voranzubringen".

Die Baukultur werde gesellschaftlich immer wichtiger und müsse stärker zu einem Standortthema für Brandenburg werden, sagte Nagel. Dazu gehörten Fragen des Wohnungsbaus und der Daseinsvorsorge in Klein- und Mittelstädten ebenso wie die Themen Ökologie, Klimawandel und Zuwanderung.

Ziel sei, mit einem höheren Qualitätsanspruch zu bauen, die Bauverwaltungen besser zu qualifizieren, mehr Architekturwettbewerbe auszuschreiben und stärker auf Nachhaltigkeit zu setzen, sagte Dellmann dem Evangelischen Pressedienst (epd): "Aufgaben sind genug da."



Brandenburgische Sommerkonzerte laden zu 30. Festival-Saison ein

Die Brandenburgischen Sommerkonzerte feiern in diesem Jahr Jubiläum. Die 30. Saison des Festivals läuft vom 13. Juni bis 5. September, teilten die Veranstalter am 21. Februar in Berlin mit. Das Programm soll Anfang März vorgestellt werden. Zum 250. Geburtstag von Ludwig van Beethoven (1770-1827) werde der Komponist eine besondere Rolle spielen, hieß es. Geplant seien unter anderem Konzerte mit dem Windsbacher Knabenchor, dem Filmorchester Babelsberg und der Deutschen Streicherphilharmonie sowie eine James-Bond-Gala im Schlosspark Stechau bei Herzberg. Partnerland ist in diesem Jahr Polen.



Viele neue Denkmäler und einige Verluste

Historische Kirchen, DDR-Bauten, Industriearchitektur: Die Zahl der Denkmäler in Brandenburg wächst. Doch es gibt auch unwiederbringliche Verluste. Die Bilanz für 2019 fällt deshalb gemischt aus.

Der 500 Jahre alte Hochaltar der evangelischen Marienkirche in Bernau wird restauriert, die Ruine der Dorfkirche von Dolgelin hat ein neues Dach, die alte Tuchfabrik von Pritzwalk wird ein Museum: Brandenburgs Denkmalpflege meldet zahlreiche Erfolge, aber auch einige Probleme. 2019 sei für die Denkmäler in Brandenburg ein "insgesamt durchwachsenes, aber hoffnungsvolles Jahr" gewesen, betonte Landeskonservator Thomas Drachenberg bei der Vorstellung der Bilanz am 19. Februar in Berlin.

Die Zahl der Denkmäler im Bundesland ist weiter gestiegen. Im vergangenen Jahr seien 75 historische Bauwerke und Anlagen neu in die Denkmalliste aufgenommen worden, darunter in Lobetal, Cottbus und Eisenhüttenstadt, sagte Drachenberg. 20 Denkmäler seien aus der Liste gelöscht worden. Ende 2019 gab es insgesamt 13.877 Denkmäler in Brandenburg.

Unter den Neuentdeckungen, die nun unter Denkmalschutz stehen, seien auch ungewöhnliche Bauwerke wie eine ehemalige Berliner Fachwerkkirche, die 1908 zerlegt und in Lobetal bei Bernau wiedererrichtet wurde, sagte Drachenberg. Das Bauwerk wurde damals unter anderem als Speise- und Andachtssaal der evangelischen Einrichtung für Obdachlose in Lobetal genutzt.

Neu in die Denkmalliste aufgenommen wurden auch ein Hörsaal der Universität Cottbus von 1981 und eine 1958 in Eisenhüttenstadt als Selbstbedienungsladen errichtete DDR-Kaufhalle, die als Pionierbau der Ostmoderne gilt. Ein besonders wichtiger Erfolg sei die Rettung der sogenannten Hyparschale in Templin, die zunächst abgerissen werden sollte, sagte Drachenberg. Für den 1972 in der DDR fertiggestellten Pavillon werde nun ein neues Nutzungskonzept erarbeitet.

Die Denkmäler erzählten auch Geschichten ihrer Zeit, sagte Drachenberg. So wie die kleine Kapelle in Nackel in der Prignitz, die an den tödlichen Autounfall des hannoverschen Erbprinzen 1912 erinnert. Das Bauwerk sei im Stil "hochmoderner englischer Reformarchitektur" errichtet worden und ähnele Schloss Cecilienhof in Potsdam, sagte Drachenberg. Der tragische Unfall habe seinerzeit die angespannten Beziehungen der Adelshäuser Hannover und Hohenzollern verändert und zu einer Annäherung geführt.

Zu den Verlusten zählten ein früheres Offizierskasino in Rathenow, das mangelnder Kommunikation zwischen Stadt und Landkreis zum Opfer gefallen sei, und ein Sommerhaus des NS-Propagandaministers Joseph Goebbels in Wandlitz, das abgebrannt sei, sagte Drachenberg. Die drei großen Feinde der Denkmalpflege seien jedoch "Biber, Trockenheit, Diebstahl".

Über die Eindämmung von Biberschäden in Parkanlagen würden Gespräche mit den Umweltbehörden geführt, betonte der Landeskonservator: "Wir wollen die Biber nicht ermorden." Die Trockenheit gefährde inzwischen auch Bauwerke, sagte Drachenberg. So würden Teile des durch Holzpfähle im Boden stabilisierten Baruther Schlosses inzwischen in der Erde versinken, weil die Trockenheit den Holzpfählen zusetzt.

Zu den Projekten, die die Denkmalpflege auch 2020 weiter beschäftigen, gehöre der Hochaltar der Marienkirche von Bernau, sagte Drachenberg. Der Altar sei "eigentlich Sondermüll", weil er mit Holzschutzmitteln kontaminiert sei. Die Restaurierungskosten hätten sich deshalb auch auf rund 200.000 Euro verdoppelt.



Leipziger Buchmesse will Literatur Südosteuropas fördern


Leipziger Buchmesse (Archivbild)
epd-bild/Jens Schulze
Leipzig rüstet sich für die diesjährige Buchmesse: Seit Dienstag ist das Programm online. Ein Gastland gibt es diesen März nicht - dafür will der Buchmessechef gleich zehn Länder in Südosteuropa beim Gang auf den deutschsprachigen Markt unterstützen.

Die diesjährige Leipziger Buchmesse will südosteuropäische Autorinnen und Autoren fördern und die Lesekompetenz junger Menschen stärken. Zu beiden Bereichen gebe es auf dem Frühjahrstreff der Buchbranche von 12. bis 15. März neue Schwerpunkte, kündigte Buchmesse-Direktor Oliver Zille am 18. Februar in Leipzig an. Auch das Politische wird demnach wieder viel Raum einnehmen. Ein Gastland hat die Messe in diesem Jahr nicht.

Die Zahl der Aussteller bleibe mit gut 2.500 in etwa gleich, erklärte Zille. Auch die Größenordnungen bei Europas größtem Lesefest "Leipzig liest" sind mit rund 3.600 Veranstaltungen und 3.700 Mitwirkenden auf dem Messegelände und in der gesamten Stadt ähnlich wie in den Vorjahren.

Bei den Ausstellerländern gebe es einen leichten Zuwachs auf 51, sagte Zille. Wie in den Vorjahren finden sich auch wieder Dauerbrenner wie das Blaue Sofa, die Verleihung des mit 60.000 Euro dotierten Preises der Leipziger Buchmesse und die Comicausstellung "Manga-Comic-Con" im Programm.

Man habe in den vergangenen Jahren viele ost- und südosteuropäische Staaten als Gastländer gehabt, sagte Zille. "Trotzdem stellen wir fest, dass es in vielen dieser Länder keine kontinuierliche Literaturförderung in Richtung deutschsprachiger Markt gibt, weil die Strukturen fehlen", erklärte er. Das Programm der Buchmesse 2020 wolle "genau das ausgleichen". Dazu sei der neue, dreijährige Schwerpunkt "Common Ground" geschaffen worden. Neben zehn südosteuropäischen beteiligen sich daran laut Zille auch die vier deutschsprachigen Länder Deutschland, Österreich, Luxemburg und die Schweiz.

Zur Förderung der Lese- und Medienkompetenz junger Menschen gibt es den neuen Schwerpunkt #Weltentdecker. Medienkompetenz zu fördern und zugleich politische Urteilsfähigkeit auszuprägen, "das ist die Aufgabe der Leipziger Buchmesse", betonte Zille: "Wenn wir von Chancengleichheit oder Bildungsgerechtigkeit sprechen, dann ist die Kulturtechnik des Lesens die wesentliche." Insgesamt stünden dazu rund 500 Veranstaltungen im Programm.

Im politischen Bereich wird auf der diesjährigen Messe der Programmschwerpunkt "The Years of Change 1989-1991. Mittel-, Ost- und Südosteuropa 30 Jahre danach" fortgesetzt. Die dreijährige Reihe zu den Wendejahren am Ende des Kalten Kriegs in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) läuft seit 2019.

In diesem Jahr stehen dort Estland, Lettland, Litauen, Bulgarien und Rumänien besonders im Fokus, wie bpb-Programmkuratorin Kateryna Stetsevych sagte. Insgesamt wolle man auch auf der Buchmesse das demokratische Bewusstsein fördern. Man beobachte den ambivalenten Prozess, dass sich viele jüngere Menschen re-politisierten, "und auf der anderen Seite eine Abneigung bis zu Abstoßung der Politik", sagte Stetsevych und erklärte: "Da setzen wir an."

Themen, die die Gesellschaft bewegen, spiegeln sich laut Zille bei Neuerscheinung in der Belletristik wie bei den Sachbüchern. Als Beispiele nannte er Nachhaltigkeit, Klimaschutz, Bildungs- und Chancengerechtigkeit. Eröffnet wird die Messe am Abend des 11. März mit der Verleihung des mit 20.000 Euro dotierten Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung. Dieser geht an den ungarischen Essayisten und Kritiker László Földényi.



Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister öffnet wieder

Nach siebenjähriger Sanierung steht die Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister vor der Wiedereröffnung. Dazu sei am 28. Februar ein Festakt geplant, teilten die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden am 19. Februar mit. Bereits am selben Abend sowie am darauffolgenden Samstag sei der Semperbau am Zwinger kostenfrei für Besucher geöffnet. Der Künstler Peter Baldinger werde anlässlich der Eröffnung unter dem Titel "Then is now" Raffaels Engel als Neonskulptur auf das Dach des sanierten Gebäudes setzen.

In der vollständig überarbeiteten Dauerausstellung im Semperbau werden künftig neben rund 750 Bildern alter Meister auch etwa 400 Skulpturen von der Antike bis zur Barockzeit zu sehen sein. Dadurch biete das Museum nun "eine einzigartige Reise durch die europäische Kunstgeschichte", hieß es. Die neue Ausstellung gliedert sich demnach in geografische Schulen und Epochen. Ein vollständig überarbeitetes Lichtkonzept mit detailreicher Akzentbeleuchtung und farbigen Wandbespannungen ließen die Werke strahlen.

Ein weiterer Schwerpunkt während der Umbauzeit sei die Konservierung von Gemälden auf Holz gewesen, erklärten die Kunstsammlungen. Darüber hinaus habe man neue Flächen für Sonderausstellungen geschaffen, multimediale Vermittlungsformate entwickelt und biete künftig kostenlose barrierefreie Multimedia-Guides an.

Die für den 7. Dezember geplante Wiedereröffnung war wegen ausstehender Arbeiten im Herbst auf Ende Februar verschoben worden. Ein Teil der Kunstwerke war auch während des durch verschiedene Förderungen finanzierten Umbaus zu sehen gewesen.



395 Veranstaltungen zum Bauhaus-Jubiläum in Sachsen-Anhalt

Zum 100. Gründungsjubiläum des Bauhauses fanden in Sachsen-Anhalt insgesamt 395 Kulturveranstaltungen statt. Kulturminister Rainer Robra (CDU) sagte am 18. Februar in Magdeburg, Sachsen-Anhalt habe sich der internationalen Öffentlichkeit als guter Gastgeber und als Land der Moderne präsentiert. Für die Organisation und Durchführung des Jubiläumsjahres 2019 wurden in den Jahren 2017 bis 2020 Landesmittel in Höhe von rund 18,5 Millionen Euro bereitgestellt. Das Geld wurde unter anderem in Bau- und Sanierungsmaßnahmen, Marketing und Projekte der kulturellen Bildung investiert.

Höhepunkt war die Eröffnung des Bauhaus Museums Dessau am 8. September 2019. Seitdem hätten rund 91.000 Besucher das neue Museum gesehen, sagte Robra. Insgesamt habe die Stiftung Bauhaus Dessau im vergangenen Jahr rund 300.000 Besucher gezählt, drei Mal so viele wie im Vorjahr. Die Kosten des neuen Museums beliefen sich auf rund 30,5 Millionen Euro, davon trug das Land die Hälfte. Die Kosten, ursprünglich mit 25 Millionen Euro kalkuliert, seien im Finanzrahmen geblieben, so Robra. Der nachträglich an die Fassade gebrachte Vogelschutz zeige Wirkung und verhindere, dass Vögel gegen die Scheiben fliegen.

Das 1919 in Weimar von Walter Gropius (1883-1969) gegründete Bauhaus revolutionierte als Hochschule für Gestaltung zwischen 1919 und 1933 die architektonischen und ästhetischen Auffassungen. In Dessau hatte das Bauhaus von 1925 bis 1932 seinen Sitz und erlebte dort seine Blütezeit. 1932 zog es nach Berlin um, wo es sich 1933 auf Druck der Nationalsozialisten auflöste.



Kurt Weill Fest bekommt neue Intendanz

Der Intendant des Kurt Weill Festes in Dessau-Roßlau, Jan Henric Bogen, gibt vorzeitig die Künstlerische Leitung des Festivals ab. Er habe um die Aufhebung seines Vertrages gebeten, erklärten die Festivalorganisatoren am 23. Februar in Dessau-Roßlau. Neuer Intendant soll Gerhard Kämpfe werden. Bogen werde seine Tätigkeit bereits nach dem Kurt Weill Fest 2020 beenden, das vom 28. Februar bis zum 15. März 2020 stattfindet. Sein Vertrag in Dessau war den Angaben zufolge eigentlich bis 2022 geschlossen.

Der Musikwissenschaftler war Ende letzten Jahres zum Operndirektor am Theater St. Gallen ab der Spielzeit 2021/2022 berufen worden. "Meinen ursprünglichen Plan, die Vorbereitungen für St. Gallen mit dem Kurt Weill Fest 2021 und 2022 zu kombinieren, lässt sich aus persönlichen Gründen leider nicht durchhalten, da ich mich nun zusätzlich um meinen schwer erkrankten Vater in Köln kümmern muss", erklärte Bogen.

Der Präsident der Kurt-Weill-Gesellschaft (KWG), Thomas Markworth, bedauerte den vorzeitigen Weggang von Bogen. Seine persönlichen Gründe seien aber sehr gut nachvollziehbar. Bogen habe die KWG bereits im November über seinen Wunsch informiert.

Beim am kommenden Freitag beginnenden Kurt Weill Fest 2020 stehen insgesamt 53 Veranstaltungen mit 650 Künstlern auf dem Programm. Thematisch geht es dabei um die Fragen "Was sind Grenzen?". Zu den 21 Spielstätten zählen Theater, Kirchen, historische Stätten, Museen und ungewöhnliche Orten in Dessau-Roßlau, Magdeburg, Halle und Wörlitz. Der deutsch-amerikanische Komponist Weill wurde am 2. März 1900 in Dessau geboren, er starb am 3. April 1950 in New York.



Erfurter Goldschatz: Judaistin forscht zu silbernem Schlüssel

Ein silberner Schlüssel aus dem Erfurter Goldschatz beschäftigt die israelische Forscherin Merav Schnitzer. Die erste "Judaistin In Residence" am Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt wolle erforschen, warum jüdische Frauen des Mittelalters am Schabbat derartige Schmuckstücke trugen, teilte eine Sprecherin der Stadt am 17. Februar mit. Schnitzer, Stipendiatin am Goldstein-Goren-Diaspora-Forschungszentrum der Universität Tel Aviv, erhoffe sich von ihrem Forschungsaufenthalt neue Erkenntnisse zur Funktion und Bedeutung silberner Schlüssel im jüdischen Kontext, hieß es.

Am 26. Februar stellt Schnitzer nach Angaben der Stadtsprecherin Details ihrer Forschungen in der Alten Synagoge vor. Dazu würden auch Claudia Bergmann, Theologin am Research Centre "Dynamik ritueller Praktiken im Judentum in pluralistischen Kontexten von der Antike bis zur Gegenwart" der Universität Erfurt, und Maria Stürzebecher, die Beauftragte der Stadt für das Unesco-Welterbe, erwartet.

Erfurts Jüdischer Goldschatz wurde 1998 bei Bauarbeiten in unmittelbarer Nähe zur Alten Synagoge in der Innenstadt entdeckt. Er hat ein Gesamtgewicht von 28 Kilogramm und enthält unter anderem 3.141 Silbermünzen sowie über 700 zum Teil mit Edelsteinen besetzte Einzelstücke gotischer Goldschmiedekunst. Prunkstück ist ein Hochzeitsring mit einem Abbild des Jerusalemer Tempels.

Besitzer des Schatzes soll der jüdische Bankier Kalman von Wiehe gewesen sei. Nach dem Stand der Forschung versteckte er seine Wertsachen vor dem Pest-Pogrom am 21. März 1349. Dabei wurde die gesamte Jüdische Gemeinde der Stadt Erfurt ausgelöscht.



Präsidentin will Klassik Stiftung Weimar umkrempeln

Das Bauhaus-Jubiläum 2019 hat Weimar ein neues Renommee verschafft. 2019 kamen dank der neuen und wiedereröffneten Museen über eine Million Besucher. Das hatte es seit dem Jahr als Kulturhauptstadt 1999 nicht mehr gegeben.

Das Bauhaus-Jubiläum hat der Klassik Stiftung Weimar im vergangenen Jahr fast eine Verdoppelung der Besucherzahlen beschert. Insgesamt zählten 2019 die 25 Einrichtungen der Stiftung 1.018.000 Besucher. Im Vorjahr waren es noch 573.000. Allein das im April eröffnete neue Bauhausmuseum habe bis zum Jahresende 268.000 Interessierte angezogen, sagte Präsidentin Ulrike Lorenz am 19. Februar auf der Jahrespressekonferenz der Stiftung in Weimar. Das wiedereröffnete Museum Neues Weimar zählte fast 83.000, das im Mai 2019 eröffnete Haus am Horn fast 49.000 Besucher.

Das habe sich auch positiv auf die Einnahmen ausgewirkt, sagte Lorenz. Die Eintrittsgelder hätten von 2,28 Millionen Euro im Jahr 2018 auf 4,95 Millionen Euro im vergangenen Jahr zugelegt. Das entspreche einem Plus von 117 Prozent. In ihrem Haushalt rechnet die Stiftung auch 2020 mit ähnlichen hohen Zahlen. Es wird mit Einnahmen aus Eintrittsgeldern in Höhe von 4,3 Millionen Euro geplant.

Hauptgeldgeber der Stiftung bleiben den Angaben zufolge das Land Thüringen und der Bund, die 2020 jeweils 12,6 Millionen Euro überweisen. Dazu kommen zwei Millionen Euro von der Stadt Weimar sowie 19,7 Millionen Euro für Baumaßnahmen und Investitionen. Sorge bereitet der Präsidentin die ungewisse Regierungsfindung in Erfurt. 50 Millionen Euro, die der Bund im vergangenen Herbst für die Sanierung des Weimarer Stadtschloss zusagte, könnten nur fließen, wenn der Landtag die Komplementärmittel dafür freigibt, erklärte Lorenz.

Die Präsidentin will bei der strategischen Neuausrichtung der Stiftung weiter aufs Tempo drücken. Profil und Arbeit der Stiftung soll künftig durch die beiden Themenkomplexe Weimarer Klassik um 1800 und die Moderne um und nach 1900 bestimmt werden. Es gehe um eine Öffnung hin zu den Fragen, "die uns heute umtreiben", sagte Lorenz, die im August 2019 das Amt übernommen hatte. Antworten seien "in unseren großen Erbschaften" zu finden.

Unter ihrer Leitung werde sich die Klassik Stiftung als "Einheit der Vielfalt" mehr als in ihrer bisherigen Geschichte auf Öffnung, Transparenz und Beweglichkeit hin orientieren, kündigte Lorenz an. Im Zentrum stehe nicht mehr allein die Kultur der Erinnerung an den "Mythos Weimar", sondern die Arbeit an der Demokratie- und Diskursfähigkeit der Gesellschaft. "Wir wollen Orientierung in schwierigen Zeiten bieten", versprach die Präsidentin. Weimar sei ein Ort für alle Fragen, sagte sie mit Verweis auf Worte des Buchenwald-Überlebenden, Lyrikers und politischen Aktivisten Stéphane Hessel (1917-2013).

Zu den geplanten Höhepunkten 2020 zählte Lorenz die Auseinandersetzung mit Friedrich Nietzsche (1844-1900), dessen 120. Todestag sich jährt. Unter dem Motto "Nietzsche Superstar. Ein Parcours der Moderne" bereite die Stiftung unter anderem für den 28. März die Eröffnung einer neuen Dauerausstellung im Nietzsche-Archiv vor. Von August an zeigt das Schiller-Museum die Ausstellung "Deutsche Romantik - Farbe und Linie von Caspar David Friedrich bis Moritz von Schwind". Das ganze Jahr über laden die Weimarer Kontroversen zu Vorträgen und Debatten unter dem Motto "Macht der Sprache" ein.



Rekordjahr für Thüringer Tourismus

Der Thüringer Fremdenverkehr kann sich über ein Rekordjahr 2019 freuen. Zum ersten Mal seit Beginn der Erhebungen seien in den Hotels, Pensionen und Campingplätzen mit mindestens zehn Betten über zehn Millionen Übernachtungen registriert worden, teilte das Landesamt für Statistik am 21. Februar in Erfurt mit. Der neue Rekordwert von 10,349 Millionen Übernachtungen bedeuteten im Vergleich zu 2018 einen Zuwachs um fünf Prozent (491.000 Übernachtungen). Im Jahr des Reformationsjubiläums 2017 war die Zehn-Millionen-Grenze noch knapp verfehlt worden.

Auch die Zahl der Gästeankünfte sei 2019 um 196.000 (plus 5,1 Prozent) auf über vier Millionen gestiegen. Die durchschnittliche Verweildauer blieb nach Angaben der Statistiker mit 2,6 Tagen konstant. Auch bei den ausländischen Gästen seien Zugewinne zu verzeichnen gewesen. Sie buchten laut Landesamt insgesamt 627.000 Übernachtungen (plus neun Prozent). Die größte Gruppe unter den ausländischen Besuchern waren die Niederländer (rund 13 Prozent) mit rund 35.000 Übernachtungen.

Das Besucherplus basiere vor allem auf dem gewachsenen Interesse an der der Städtekette Eisenach, Erfurt, Weimar und Jena. Dort seien im Vergleich zu 2018 im Vorjahr 250.000 Gäste mehr registriert worden, hieß es. Erst in dieser Woche hatte die Klassik Stiftung Weimar fast von einer Verdoppelung ihrer Besucherzahlen von 573.000 auf über eine Million Gäste berichtet. Das sei vor allem dem großen Interesse am Bauhaus-Jubiläum geschuldet gewesen, sagte Präsidentin Ulrike Lorenz. Allein das im April eröffnete neue Bauhaus Museum habe mehr als 268.000 Besucher angezogen.



Italien übergibt NS-Raubkunst an Deutschland

Der italienische Kulturminister Dario Franceschini hat am 21. Februar in Berlin ein Kunstwerk aus den Uffizien in Florenz an Deutschland übergeben, bei dem es sich um NS-Raubkunst handelt. Für die Statue "Heilige Maria Magdalena" von Andrea della Robbia (1435-1525) sei in Deutschland ein Restitutionsantrag gestellt worden, teilte Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) mit. Nach der Übergabe würden nun die letzten offenen Fragen zur Erbberechtigung geklärt. Anschließend werde das Werk an die rechtmäßigen Erben übergeben.

Die Statue hat sich den Angaben zufolge ursprünglich im Besitz des Münchner Kunsthauses A. S. Drey befunden. Deren jüdische Eigentümer mussten das Unternehmen auf Druck der Nationalsozialsten 1936 auflösen und die Kunstsammlung versteigern. Der damalige Käufer der Statue sei nicht bekannt. 1941 wurde sie dann von einem italienischen Grafen an NS-Minister Hermann Göring verkauft. Nach dem Zweiten Weltkrieg gelangte das Kunstwerk in den Central Collecting Point München und wurde von dort 1954 irrtümlich nach Italien gegeben.

Der italienische Kulturminister erklärte, der auf die NS-Rassengesetze folgende Raub des kulturellen Erbes sei "eine schwarze Seite in der Geschichte der Menschheit, die noch immer nicht überwunden ist". Kulturstaatsministerin Grütters betonte, das Ziel der Bundesregierung bleibe weiterhin, den NS-Kunstraub rückhaltlos aufzuarbeiten: "Dabei sind wir auch auf die Mithilfe anderer Länder angewiesen, denn die von den Nazis geraubte Kunst befindet sich heute vielfach auch außerhalb Deutschlands."



Stopp von Forschungen an Gebeinen aus Kolonialzeit gefordert

Deutschlands Museen und Universitäten sollen nach dem Willen von Aktivisten die Forschung an menschlichen Gebeinen aus der Kolonialzeit beenden. Die Bundesregierung müsse sich zudem für Kolonialverbrechen in "Deutsch-Ostafrika" entschuldigen, erklärte der Verein Berlin Postkolonial am 22. Februar. Der Verein begrüßte zugleich die von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) geplante Rückgabe von knapp 1.200 menschlichen Schädeln aus der ehemaligen Kolonie "Deutsch-Ostafrika".

"Nach der Rückgabe erster menschlicher Gebeine aus deutschen Sammlungen nach Namibia, Australien und Neuseeland kommt die Stiftung damit als erste Institution der Bundesrepublik auch den langjährigen Forderungen von Nachfahren Verschleppter aus Ostafrika nach", erklärte der Verein weiter. Nun seien auch alle anderen Universitäten und Museen in Deutschland aufgefordert, "die jeweiligen Botschaften und Gemeinschaften zu informieren, sollten sich in ihren Depots menschliche Gebeine aus den ehemals deutschen Kolonien befinden".

Am Freitag war bekanntgeworden, dass die SPK ein jahrelanges Forschungsprojekt zur Herkunft von rund 1.200 menschlichen Schädeln abgeschlossen hat. Von den untersuchten Stücken stammten etwa 900 aus Ruanda, rund 250 aus Tansania und gut 30 aus Kenia, hieß es in Medienberichten. Laut SPK-Präsident Hermann Parzinger sollen die Schädel an die Herkunftsländer zurückgegeben werden. Derzeit würden Gespräche über die Modalitäten der Rückgaben geführt. Die Schädel gehören zu den anthropologischen Sammlungen, die die Stiftung 2011 von der Charité übernommen hatte.



"Making van Gogh" zieht mehr als 500.000 Besucher an


Frankfurter Van-Gogh-Ausstellung
epd-bild/Thomas Rohnke
Die Ausstellung über die Entstehung des "Mythos van Gogh" bescherte dem Frankfurter Städel einen Besucherrekord.

Die Ausstellung "Making van Gogh. Geschichte einer deutschen Liebe" im Städel-Museum haben vom 23. Oktober 2019 bis zum 16. Februar dieses Jahres mehr als eine halbe Million Menschen gesehen. Damit sei sie die meistbesuchte Ausstellung in der rund 200-jährigen Geschichte des Städels gewesen, teilte der Direktor Philipp Demandt am 19. Februar in Frankfurt am Main mit. Im Zentrum der Schau stand die Entstehung des "Mythos van Gogh" um 1900 und die Bedeutung des niederländischen Malers (1853-1890) für die Kunst der Moderne in Deutschland.

Die zuvor besucherstärksten Ausstellungen waren nach Angaben des Städels "Monet und die Geburt des Impressionismus" (2015) mit 432.121 Besuchern und "Botticelli" (2009/2010) mit 367.033 Besuchern. Bereits von Beginn an hatte das Museum die regulären Öffnungszeiten um eine Stunde bis 19 Uhr verlängert. Ab dem 4. Februar war die Ausstellung aufgrund der hohen Publikumsnachfrage täglich bis 21 Uhr zugänglich und schloss am 14. und 15. Februar erst um 23 Uhr.



Akademie eröffnet Archiv des Ost-Berliner Henschelverlages

Die Berliner Akademie der Künste eröffnet am 26. Februar das Archiv des ehemaligen Ost-Berliner Henschelverlags Kunst und Gesellschaft. Der 1945 als Theatervertrieb gegründete Verlag war den Angaben nach der führende Verlag für die Künste in der DDR und firmiert heute unter der Bezeichnung Seemann Henschel GmbH & Co. KG in Leipzig. Zur Eröffnung werden unter anderem die Schriftstellerinnen Jenny Erpenbeck und Irina Liebmann, der Verleger Christoph Links und der Autor Konstantin Ulmer erwartet, wie die Akademie am 17. Februar in Berlin ankündigte. Verlagshistoriker und -historikerinnen sowie Zeitzeugen zeigten eindrucksvolle Dokumente aus den Beständen und diskutierten über die Bedingungen und Möglichkeiten des Verlagswesens in der DDR.

Das Archiv des Henschelverlages wurde von der Akademie 2015 übernommen und seitdem erschlossen. Es gebe Auskunft über ein Stück Kultur- und Zensurgeschichte des "Leselands" DDR, hieß es. Es umfasst den Angaben zufolge etwa 300 Aktenordner in mehr als 19 Regalmetern. Die vorwiegend aus den Buchlektoraten erhaltenen Akten dokumentierten nahezu vollständig den Entstehungsprozess jedes einzelnen Henschel-Buches von 1947 bis 1990.

Mit seinem Buchprogramm, das die Gebiete Musik, Film, Theater und bildende Künste gleichberechtigt neben unterhaltende Kunstformen wie Kabarett und Varieté stellte, sei der Henschelverlag ein Unikum gewesen. Wichtige Zeitschriften wie Theater der Zeit, von Fritz Erpenbeck begründet, seien bei Henschel erschienen, ebenso prominente Autoren aus Ost und West wie Ehm Welk, Günther Weisenborn und Peter Weiss, Volker Braun und Heiner Müller.



Berlin erwartet 1.300 Jugendliche zur Jewrovision

Zum diesjährigen bundesweiten Jewrovision-Contest werden Anfang März 1.300 Jugendliche in Berlin erwartet. Bei dem größten europäischen Tanz- und Gesangswettbewerb für jüdische Teenager nach dem Vorbild des Eurovision Song Contest werden Jugendliche aus ganz Deutschland auf der Bühne stehen, kündigte der Zentralrat der Juden als Veranstalter am 17. Februar in Berlin an.

Die Show unter dem Motto "Be yourself" findet am 7. März im Berliner Estrel Hotel statt. Mitglieder der Jury sind unter anderem die Popsängerin Jeanette Biedermann und Schauspielerin Rebecca Siemoneit-Barum ("Lindenstraße").

Die Jewrovision wurde 2002 auf einer jüdischen Jugendfreizeit im hessischen Bad Sobernheim ins Leben gerufen. Seit 2013 richtet der Zentralrat der Juden die Jewrovision aus. Sie findet in der Regel in der Stadt des Vorjahressiegers statt. Im vergangenen Jahr holte das Jugendzentrum Olam der Jüdischen Gemeinde Berlin in Frankfurt am Main den Siegerpokal. Den bislang letzten Jewrovision in der Bundeshauptstadt gab es 2012.



Christa Mayer wird "Kammersängerin des Freistaates Sachsen"

Die Dresdner Mezzosopranistin Christa Mayer bekommt den Ehrentitel "Kammersängerin des Freistaates Sachsen" verliehen. Eine entsprechende Urkunde wird ihr am 26. Februar von Sachsens Kulturministerin Barbara Klepsch (CDU) überreicht, wie das Kulturministerium am 18. Februar in Dresden mitteilte. Die Verleihung finde im Rahmen eines Liederabends der Sängerin in der Semperoper statt.

Mit dem Ehrentitel werden demnach Künstler ausgezeichnet, "die neben führenden künstlerischen Leistungen, kontinuierlich, regelmäßig und erfolgreich in den Inszenierungen der Sächsischen Staatsoper Dresden mitwirken". Über die Verleihung entscheidet das Kulturministerium auf Vorschlag des Staatsoper-Intendanten. Mayer stammt aus dem oberpfälzischen Sulzbach-Rosenberg und ist seit 2001 Ensemblemitglied der Staatsoper.

Mayers Können sei weltweit gefragt, erklärte Klepsch. Als Botschafterin der Staatsoper trage sie weltweit zum Ruf der künstlerischen Arbeit der Semperoper und der Dresdner Musikkultur bei. Mayer beherrsche den Umgang mit ihrer Stimme "als perfektes Handwerk und reflektiert zudem ihre Rollen inhaltlich und interpretiert sie auf eigene Weise", so die Ministerin. Damit gelinge es ihr, Zuschauer auf besonders berührende Art und Weise anzusprechen.

Staatsoper-Intendant Peter Theiler erklärte, die internationale Musikwelt schätze Mayer für exzellente künstlerische Leistungen und ihre außergewöhnliche Persönlichkeit. "Wir und das Publikum der Semperoper sind sehr froh und stolz, Sie als Künstlerin in unserem Haus zu wissen", dankte er der Sängerin.



Magdeburger Adelheid-Preis für Kunstvereinsvorsitzenden

Der Vorsitzende des Magdeburger Kunstvereins "Zinnober", Wolfram Stäps, ist mit dem Adelheid-Preis 2019 ausgezeichnet worden. Damit werde das jahrzehntelange Engagement des Schulleiters der Förderschule "Hugo Kükelhaus" bei der Förderung von Kunst und Kreativität von Menschen mit und ohne Behinderung gewürdigt, teilte die Stadtverwaltung mit.

Stäps gründete 1997 den Verein "Zinnober - Offener Kunstverein für Menschen mit geistiger Behinderung", der sich aus Erlösen von Verkäufen der Kunstwerke und aus Spenden selbst finanziert. Auch über die Stadtgrenzen hinaus seien die Künstler und ihre Werke unterwegs, initiierten Ausstellungen und beteiligten sich an Ausschreibungen. Bei Ausflügen zu Ausstellungen oder Veranstaltungen in ganz Deutschland suchten die Vereinsmitglieder nach neuen Ideen, aber auch nach Partnern und Plattformen. Die "Zinnober"-Künstler seien Mitglied im Dachverband Eucrea, dem Verband Kunst und Behinderung e.V., der europaweit Outsider-Kunst sammelt.

Mit dem Adelheid-Preis würdigt die Landeshauptstadt Magdeburg seit 2012 jährlich Menschen oder Gruppen, die sich durch hervorragendes ehrenamtliches Engagement im sozialen Bereich auszeichnen. Namensgeberin für den Adelheid-Preis ist Kaiserin Adelheid (931-999), die zweite Ehefrau Ottos des Großen, die wegen ihres karitativen Wirkens und ihrer Mildtätigkeit bereits zu Lebzeiten vom Volk verehrt wurde. Der Preis ist mit 1.000 Euro dotiert. Die Bekanntgabe der Preisträger erfolgt jährlich am 16. Dezember anlässlich des Todestages von Kaiserin Adelheid im Jahr 999.



Sachsen-Anhalt schreibt Landesmusikpreis 2020 aus

Sachsen-Anhalt schreibt zum vierten Mal einen Landesmusikpreis aus. Bewerbungen für den mit 10.000 Euro dotierten Preis sind ab sofort möglich, wie die Staatskanzlei am 19. Februar in Magdeburg mitteilte. Die Auszeichnung richtet sich an einzelne Künstler oder auch Musikensembles, "die in besonderer Weise mit dem Land Sachsen-Anhalt verbunden sind".

Die Preisverleihung soll im November in Magdeburg stattfinden. Der Musikpreis des Landes wird seit 2015 verliehen, seit 2016 im zweijährigen Rhythmus. Erster Preisträger war Friedrich Krell, Gründer des Rundfunk-Jugendchores von Wernigerode. 2016 wurde der Musikpreis der Anhaltischen Philharmonie Dessau und 2018 an den Geiger Zsolt-Tihamer Visontay verliehen.



Jahresausstellung im Händel-Haus würdigt Oskar Hagen

Die neue Jahresausstellung im Händel-Haus in Halle stellt den Kunsthistoriker Oskar Hagen (1888-1957) in den Mittelpunkt. Unter dem Titel "Meine Seele sieht im Hören - Händels Opern, Oskar Hagen und die Bildkraft der Musik" ist die Ausstellung ab Samstag zu sehen, wie die Stiftung Händel-Haus am 21. Februar in Halle mitteilte. Hagen gilt als Begründer der Händel-Opernrenaissance vor 100 Jahren in Göttingen.

Nachdem Händels Opernschaffen fast 180 Jahre lang in den Musiktheatern in Vergessenheit geraten war, wagte der Dirigent und Musikwissenschaftler Hagen 1920 gemeinsam mit einem Laienorchester das Experiment einer szenischen Aufführung der Händel-Oper "Rodelinda" in Göttingen. Dabei stieß er auf ein begeistertes Publikum. Hagen war von 1913 bis 1918 in Halle tätig und lernte dort laut der Stiftung Händels Musik kennen. Für die Göttinger Inszenierung konnte er Paul Thiersch (1879-1928) gewinnen, den Leiter der Kunstgewerbeschule Halle, der die expressionistische Ausstattung schuf.

Der zweite Teil der Ausstellung widmet sich den Angaben zufolge dem Vergleich und Austausch zwischen Musik und bildender Kunst. Händel selbst sei ein Kunstkenner und Sammler gewesen. Historische Bühnenbilder und Grafiken, eindrucksvolle Gemälde und Notendrucke, originale Musikinstrumente und Musik sollen Anregungen zu einem Thema geben, "das die Künste und die Sinne verschmelzen lässt", so die Stiftung. Gezeigt wird die Jahresausstellung bis zum 10. Januar 2021. Händel wurde am 23. Februar 1685 in Halle geboren.



Kinder-Jurys entscheiden über europäischen Filmpreis

Am 26. April wird in Erfurt zum neunten Mal der europäische Kinderfilmpreis "Young Audience Award" der Europäischen Filmakademie (EFA) verliehen. Ein Publikum von rund 3.000 Jungen und Mädchen schauen sich zuvor in 69 Städten in 40 Ländern des Kontinents die drei nominierten Filme an, teilte die Kindermedienstiftung "Goldener Spatz" am 18. Februar in Erfurt mit. Diese nationalen Jurys votieren am Ende für den Siegerfilm.

Nominiert sind die Kinderfilme "My Brother chases Dinosaurs" (Italien/Spanien), "Meine wunderbar seltsame Woche mit Tess" (Niederlande/Deutschland) und "Rocca verändert die Welt" (Deutschland). Für Deutschland sei von Anbeginn an der "Goldene Spatz" als Co-Veranstalter dabei, sagte eine Sprecherin der Stiftung.

Erfurt fungiere dabei nicht nur als einer der Schauplätze, an denen die Filme gezeigt werden, sondern auch als der Ort der Preisverleihung. Per Videoübertragung würden die Ergebnisse aller beteiligten Nationen nach Erfurt übermittelt. Am Abend komme es dann im MDR Landesfunkhaus zur feierlichen Übergabe des Preises an den Gewinner, erklärte die Sprecherin.

Für das Film-Event im Cinestar Erfurt sucht der "Goldene Spatz" rund 80 Jurykinder. Gefragt seien Mädchen und Jungen zwischen zwölf bis 14 Jahren aus Erfurt und Gera, die sich für Filme sowie für die Jury-Arbeit interessieren. Für die kostenfreie Betreuung und Verpflegung der jungen Jury sei gesorgt. Anmelden können sich bis zum 9. April 2020 sowohl Einzelpersonen als auch Gruppen.



Filme der Woche

The Gentlemen

Matthew McConaughey spielt Mickey, einen zum Londoner Drogenbaron aufgestiegenen amerikanischen Emporkömmling, der den Verkauf seines Marihuana-Imperiums plant. Das lockt natürlich die Geier an und beschwört einen Krieg in der Unterwelt herauf. In der verschachtelten Inszenierun wird nicht nur die Zeitachse durch Rückblenden zerhackt, sondern es werden auch immer neue Hinterhalte durch Perspektivenwechsel enthüllt. Die Gangsterkomödie unterhält mit diesem Überschwang an Pointen und Wendungen, es sind aber vor allem die Auftritte von Stars wie Hugh Grant und Colin Farrell, die am meisten amüsieren.

The Gentlemen (USA 2019). R u. B: Guy Ritchie. Da: Matthew McConaughey, Hugh Grant, Charlie Hunnam, Colin Farrell, Michelle Dockery, Eddie Marsan, Henry Golding, Jeremy Strong, Tom Wu. 113 Min.

Anders Essen – Das Experiment

Eines ist klar: Lange kann es so nicht weitergehen. Wenn der Fleischkonsum auf einem derart hohen Niveau bleibt, ist bald kein Regenwald mehr übrig und die CO2-Belastung steigt ins Unermessliche. Der Film von Kurt Langbein und Andrea Ernst ist Plädoyer und Experiment zugleich. Er zeigt, dass aktiver Umweltschutz beim Einzelnen beginnt. Das tut er aber ganz undogmatisch. Ohne Arroganz und Zwang erklärt etwa ein Agraringenieur Kindern, was wir da täglich tun. Und drei Familien aus Österreich, Frankreich und Südkorea wagen den Selbstversuch und beginnen saisonal und regional einzukaufen.

Anders Essen – Das Experiment (Österreich 2020). R u. B: Kurt Langbein, Andrea Ernst. Da: Familie Kovacs, Familie Richter, Familie Allain. 84 Min.

Just Mercy

Monroeville, Alabama, 1987: die Leiche einer jungen weißen Frau wird gefunden. Schnell wird der Schwarze Walter McMillian verhaftet und für schuldig befunden, auch wenn eigentlich alle Indizien dagegen sprechen. Kurz darauf kommt der junge Anwalt Bryan Stevenson in die Stadt. Stevenson, der selbst in sozialen Wohnprojekten aufgewachsen ist, es aber durch viel Ehrgeiz auf die Elite-Uni Harvard geschafft hat, beginnt zu recherchieren und entdeckt schnell Ungereimtheiten in dem Fall. Drama mit Michael B. Jordan, das mit Verve die Willkür der US-amerikanischen Polizei und Justiz anklagt.

Just Mercy (USA 2019). R: Destin Daniel Cretton. B: Destin Daniel Cretton, Andrew Lanham. Da: Michael B. Jordan, Jamie Foxx, Brie Larson, Rob Morgan, Tim Blake, Rafe Spall, O’Shea Jackson Jr., Karan Kendrick. 136 Min.

Russland von oben

Nach dem Kino- und TV-Erfolg von "Deutschland von oben" haben Petra Höfer und Freddie Röckenhaus nun das größte Land der Erde zum ersten Mal aus der Luft porträtiert. "Russland von oben" zeigt menschenleere Landschaften und Millionenmetropolen, wilde Tiere, Wüsten, Wälder und Wasserfälle und begleitet die legendäre Transsibirische Eisenbahn von den Sümpfen Sibiriens über Nowosibirsk bis nach Wladiwostok. Außerdem gewährt er einen einzigartigen Blick auf den Baikalsee und das Wolgadelta, das größte Flussdelta Europas, in dem 10 Millionen Vögel überwintern.

Russland von oben (Deutschland 2019). R: Petra Höfer und Freddie Röckenhaus. 120 Min.

www.epd-film.de