Berlin (epd). Zur wichtigsten vergessenen Nachricht hat die Initiative Nachrichtenaufklärung (INA) in diesem Jahr das Thema "Fehlende Facharztausbildung in der Infektiologie" gekürt. Obwohl das Thema Infektionskrankheiten wegen des Corona-Virus gerade in aller Munde sei, sei der Öffentlichkeit nicht bekannt, dass es in Deutschland keine entsprechende Facharztausbildung gibt, sagte INA-Geschäftsführer Hektor Haarkötter am 19. Februar in Berlin.
In vielen anderen Ländern sei eine solche Ausbildung längst Standard. So hätten in Schweden Infektiologen eine sechsjährige Facharztausbildung hinter sich, hierzulande gebe es lediglich eine einjährige Zusatzausbildung. Auch Experten meinten, dass Deutschland hier hinterherhinke, sagte der Medien- und Kommunikationswissenschaftler von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg.
Insgesamt wählte die Initiative in diesem Jahr sieben Themen auf die seit 22 Jahren erscheinende Liste vergessener Nachrichten. Den zweiten Platz im Ranking belegt das gescheiterte EU-Programm "Europa 2020" zur Bekämpfung von Armut in der Union. Trotz wirtschaftlicher Boomjahre seien in der EU mehr als 20 Prozent der Bevölkerung immer noch von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. "Gerade beim Thema Armut ist es wichtig, dass die Medien viel genauer hinsehen und berichten, da die Betroffenen auf gesellschaftliche Unterstützung angewiesen sind", sagte Haarkötter.
Auf den dritten Platz gelangte das Thema "Fehlende Ethik in der Lebensmittelindustrie - Pferdeblut fürs Schweinefleisch". Ein aus Pferdeblut gewonnenes Hormon werde in der Schweinemast eingesetzt, um den Zyklus der Sauen und die Größe ihrer Würfe zu optimieren. Sowohl für die Pferde als auch für die Schweine sei das eine Quälerei. Für die Jury der INA sei das ein Beispiel der in weiten Teilen fehlenden Ethik in der Lebensmittelindustrie, insbesondere bei der Tierhaltung, hieß es.
Zu weiteren vergessenen Themen kürte die Jury Sexismus als Brauchtum beispielsweise in der Eifel mit den sogenannten Mädchenversteigerungen, private Sicherheitsdienste als Polizeiersatz, die Nutzung von Algorithmen zur Verbrechens- und Terrorbekämpfung bei den Sicherheitsbehörden (Predictive Policing) und die unsichtbare internationale Ausbeutung von Hauspersonal. "Der Nachrichtenumschlag ist so groß und schnell wie nie", sagte Haarkötter: "Dennoch erreichen wichtige Themen die Öffentlichkeit nicht oder nur unzureichend." Daran wolle die INA mit ihrer Liste der vergessenen Nachrichten erinnern.
Die Top Sieben hat die Jury laut Haarkötter aus etwa 100 Hinweisen ausgewählt. Der Jury gehört unter anderen der Investigativ-Journalist Günter Wallraff an. Zu den jeweiligen Themen bietet die Initiative Recherchematerial auf ihrer Internetseite an. Interessierte können zudem Themenvorschläge einreichen, die von studentischen Teams an mehreren Hochschulen recherchiert werden. Angesiedelt ist die Initiative an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Kooperationspartner ist der Deutschlandfunk.