Gütersloh/Berlin (epd). Eine Zusammenführung von gesetzlicher und privater Krankenversicherung könnte laut einer Studie zu Beitragssenkungen für Kassenpatienten führen. Wenn alle Bundesbürger gesetzlich versichert wären, würde die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) jährlich ein finanzielles Plus in Höhe von rund neun Milliarden Euro erzielen, heißt in der am 17. Januar vorgestellten Prognose des Berliner Iges-Instituts im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. SPD, Grüne und Linkspartei bekräftigten ihre Forderung nach einer Versicherung für alle. Ärzte und Wirtschaftsvertreter warnen hingegen vor wesentlich höheren Kosten für Beitragszahler als in der Studie veranschlagt.
Nach Prognosen könnte der Beitragssatz 0,2 bis 0,6 Prozentpunkte sinken. Jedes derzeit in einer gesetzlichen Kasse versicherte Mitglied und sein Arbeitgeber könnten demnach pro Jahr zusammen durchschnittlich 145 Euro an Beiträgen sparen, wenn auch Gutverdiener, Beamte und einkommensstarke Selbstständige mit in die GKV einzahlten. Würden die Honorarverluste der Ärzte, die bislang gegenüber der Privaten Krankenversicherung (PKV) mehr abrechnen können, ausgeglichen, wären es noch 48 Euro jährlich, hieß es.
IW warnt vor Systemumstellung
Es handele sich "ausdrücklich nicht um ein realistisches, 'umsetzungsnahes' Szenario", unterstreichen die Autoren der Studie. Ziel sei es, die finanziellen Auswirkungen der gegenwärtigen Trennung der Versicherungsarten zu verdeutlichen. Die Studie gehe von dem hypothetischen Fall aus, dass alle gegenwärtig privat versicherten Menschen in die gesetzliche Versicherung wechselten. Sie stützt sich auf Daten des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP), das auf einer Langzeitbefragung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) beruht.
Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) warnte vor einer Belastungen der jungen Generation durch einen Systemwechsel. Denn ob durch eine Zusammenlegung von gesetzlicher und privater Krankenversicherung die Solidargemeinschaft dauerhaft entlastet würde, hänge auch von deren künftiger Inanspruchnahme infolge des demografischen Wandels ab, sagte der IW-Sozialexperte Jochen Pimpertz in Köln dem Evangelischen Pressedienst (epd). Wenn bislang Privatversicherte zeitnah ausgabenintensivere Altersstufen erreichten, drohe den Beitragszahlern "womöglich ein böses Erwachen".
Forderung nach Ende der PKV
Die Bundesärztekammer kritisierte "mehr als zweifelhafte Zahlenspielereien" der Studie. So würden die über viele Jahre aufgebauten Altersrückstellungen der Privatversicherten nicht thematisiert, erklärte Ärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt. Ähnlich argumtentierte der Verband der Privaten Krankenversicherung. Wenn der Mehrumsatz der Privatversicherung wegfiele, gingen den Arztpraxen im Durchschnitt mehr als 54.000 Euro pro Jahr verloren, erklärte der Direktor des Verbandes, Florian Reuther. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) sprach sich dafür aus "das Beste aus zwei Welten" zusammenzuführen, um den Versicherten mehr Wahlmöglichkeiten zu bieten.
SPD, Grüne und Linkspartei fordern die Abschaffung der privaten Krankenversicherung und mahnten eine solidarisch finanzierte Bürgerversicherung an. Die private Versicherung komme der gesetzlichen Versicherung teuer zu stehen, erklärte die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Bärbel Bas. Die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Maria Klein-Schmeink, bezeichnete ein integriertes Krankenversicherungssystem als überfällig. Auch die Linkspartei erklärte, die Studie weise in die richtige Richtung. Nötig sei jedoch auch, weitere Einkunftsarten wie Kapitaleinkünfte mit einzubeziehen und die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Versicherung aufzuheben.
Das Nebeneinander von privater und gesetzlicher Versicherung werde durch Steuermittel in Milliardenhöhe finanziert, kritisierte die Deutsche Stiftung Patientenschutz. Erst die Beihilfe der öffentlichen Arbeitgeber führe dazu, dass die meisten Beamten in die privaten Kassen wollten, erklärte der Vorsitzende Eugen Brysch. Zudem sei der Zugang zu den gesetzlichen Versicherungen für die knapp zwei Millionen Staatsdiener praktisch verschlossen.