Die Franckeschen Stiftungen in Halle stellen das bürgerschaftliche Engagement in den Mittelpunkt ihres diesjährigen Jahresprogramms. "Unter dem Titel 'Berge versetzen' wollen wir uns mit der Tatkraft in Geschichte und Gegenwart auseinandersetzen", sagte Stiftungs-Direktor Thomas Müller-Bahlke am 19. Februar in Halle. Die Gesellschaft sei auf bürgerschaftliches Engagement als Lebenselixier angewiesen. Aus einem solchen Engagement heraus sei Ende des 17. Jahrhunderts die Schulstadt entstanden und dann vor 30 Jahren auf Initiative des Freundeskreises wiederbelebt worden.

Dem 30. Gründungsjubiläum des Freundeskreises ist auch die Francke-Feier vom 19. bis 22. März gewidmet, die erstmals auf vier Tage ausgedehnt wird. Die Festrede soll am 21. März der Philosoph Julian Nida-Rümelin halten. Die Jahresausstellung würdigt vom 28. Juni bis 28. Februar 2021 unter dem Titel "Am Abgrund der Zeit. Erdgeschichten und die Anfänge der Geologie" den Wissenschaftler Johann Christian Keferstein (1784-1866) aus Halle. Keferstein gab 1821 die erste geologische Karte Deutschlands heraus und etablierte damit den Angaben zufolge ein teilweise bis heute gültiges Farbsystem für die unterschiedlichen Gesteinsarten. Entwickelt hatte es Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832).

Zu den neuen Angeboten gehören unter anderem die Paul-Raabe-Vorlesung, die bisher in der Klassik-Stiftung Weimar beheimatet war, sowie eine Sommerschule für Nachwuchswissenschaftler aus verschiedenen Ländern. Müller-Bahlke kündigte an, gemeinsam mit der Kunstkamera in Sankt Petersburg und seiner völkerkundlichen Sammlung ein "europäisches Netzwerk für Wunderkammerforschung" etablieren zu wollen. Im Historischen Waisenhaus der Stiftungen befindet sich den Angaben zufolge die europaweit einzige, am originalen Standort vollständig erhaltene barocke Wunderkammer bürgerlichen Ursprungs. Er strebe ein "Netzwerk mit Leuchtturmeinrichtungen" aus Österreich, Bologna und St. Petersburg an, sagte Müller-Bahlke. Ziel sei auch ein Kataster von Wunderkammern: "Wir betreten damit Neuland."

Die Franckeschen Stiftungen zu Halle wurden 1698 als pietistisches Sozial- und Bildungswerk von dem evangelischen Theologen und Pädagogen August Hermann Francke (1663-1727) gegründet. Die öffentlich-rechtliche Stiftung versteht sich als eine vom christlichen Geist geprägte Einrichtung, die Menschen aller Schichten aus dem In- und Ausland eine umfassende Bildung und die Fähigkeit zum sozialen Handeln vermitteln will. Das barocke Gebäudeensemble beherbergt heute mehr als 40 kulturelle, soziale, wissenschaftliche, pädagogische und christliche Einrichtungen.

Mit rund 100 Veranstaltungen im Jahr und touristischen Angeboten werden den Angaben zufolge etwa 120.000 Besucher angezogen. Müller-Bahlke sprach von einem "pulsierenden Bildungskosmos". Der Wiederaufbau des historischen Gebäudeensembles soll im kommenden Jahr abgeschlossen werden. In diesem Jahr sollen noch drei Gebäude aus dem 18. Jahrhundert saniert werden, die ehemalige Druckerei und zwei Feldscheunen. Darin sollen dann zusätzliche Büro- und Veranstaltungsräume entstehen.