Kirchen

Fastenaktion der Kirchen eröffnet




ZDF-Fernsehgottesdienst mit Landesbischof Meister (r.) und Pfarrer Nico Szameitat in der Oldenburger Kirche St. Ansgar.
epd-bild/Hannes von der Fecht
Die Fastenzeit als Innehalten und Umkehr: Die evangelische Kirche will ein Zeichen für Mut und gegen Verzagtheit setzen. Das katholische Hilfswerk Misereor stellt in diesem Jahr Frauen in den Mittelpunkt, die den gesellschaftlichen Wandel prägen.

Oldenburg/Augsburg (epd). Zu mehr Mut und gegen Verzagtheit ruft die evangelische Kirche in der Fastenzeit auf, die Aktion bei den Katholiken legt in diesem Jahr einen Fokus auf Frauen, die weltweit am gesellschaftlichen Wandel mitwirken: Mit Fernsehgottesdiensten haben am 26. Februar die beiden großen Kirchen ihre Fastenaktionen gestartet. Das evangelische Motto „Leuchten! 7 Wochen ohne Verzagtheit“ soll dabei ein Zeichen gegen Mutlosigkeit setzen, während das katholische Hilfswerk Misereor unter dem Titel „Frau. Macht. Veränderung“ einen Fokus auf Frauen in Madagaskar legt.

Bei der evangelischen Feier in der Oldenburger Kirche St. Ansgar rief der hannoversche Landesbischof Ralf Meister die Christen dazu auf, beherzt und engagiert für andere Menschen einzutreten: „Machen wir uns nicht klein. Gehen wir mutig in die Welt, denn das Evangelium ist mutig“, sagte er in seiner Predigt, die in einem Fernsehgottesdienst im ZDF übertragen wurde.

Auch er kenne Zeiten der Mutlosigkeit, sagte der Bischof. Der Krieg in der Ukraine, die katastrophale Lage in den Erdbeben-Gebieten oder der Klimawandel raubten ihm oft genug den Schlaf. Doch Gott vertraue den Menschen: „Er schafft in uns, was wir von uns aus nicht können: Licht sein. Leuchten. Für uns und für andere“, betonte Meister.

„Gott befähigt uns zu leuchten“

Meister berichtete vom Besuch bei einer christlichen Gemeinde in der schwer zerstörten syrischen Stadt Homs vor einigen Jahren. Dort habe er eine Frau gefragt, warum sie sich gemeinsam mit anderen für traumatisierte Kinder einsetze. Sie habe geantwortet: „Ich bin Christin. Wir alle hier sind Christen. Diese Welt braucht Hoffnung. Wenn nicht durch uns, durch wen denn sonst?“ Diese Worte seien für ihn unvergesslich geblieben, sagte Meister: „Gott befähigt uns zu leuchten.“ Die Sängerin Sarina Lal sowie Jann Poppen am E-Piano und Jonas Mosebach an der Kistentrommel begleiteten die Feier mit Pop- und Gospel-Klängen.

Bei der Eröffnung der Fastenaktion des katholischen Hilfswerks Misereor im Augsburger Dom sagte der Augsburger Bischof Bertram Meier in seiner Predigt, dass es gerade Frauen seien, „die als Heldinnen alles geben, um dem Leben zu dienen.“

Meier erinnerte an den Einsatz von Müttern für ihre Kinder und den Schutz der Familie. Auch kenne er „Frauen, die in Diktaturen mutig ihre Stimme erheben für Freiheit, gegen Unterdrückung und Gewalt.“ „Liebe Frauen: Ihr seid stark! Ich prophezeie: Die Zukunft der Kirche ist weiblich“, sagte der Bischof.

Die Aktion hat in diesem Jahr einen Fokus auf Frauen in Madagaskar. Meier nannte als positives Beispiel die Arbeit von Schwester Modestine Rasolofoarivola, die mit Ihrer Organisation Vahatra Frauen dabei unterstütze, unabhängig und selbstbestimmt zu leben. Auch Taratra Rakotomamonyi, ebenfalls zurzeit Gast Misereors, setze sich dafür ein, die Rechte von Frauen und Kindern zu verteidigen sowie die Stellung der Frauen in der weitgehend patriarchalen Gesellschaft Madagaskars zu verbessern, hieß es.

In der Fasten- oder Passionszeit erinnern Christen an das Leiden und Sterben Jesu Christi und bereiten sich auf Ostern vor, das Fest der Auferstehung.

Zwei Millionen Menschen machen mit

Bis Ostern wird Misereor über seine Projektarbeit informieren und um Spenden bitten. Am 26. März werden dann in allen katholischen Kirchengemeinden Deutschlands für die Misereor Spenden gesammelt. Seit seiner Gründung 1958 hat Misereor mit Sitz in Aachen nach eigenen Angaben mehr als 113.000 Projekte unterstützt.

An der evangelischen Fastenaktion „7 Wochen ohne“ beteiligen sich nach Angaben der Organisatoren jährlich rund zwei Millionen Menschen, um ihre gewohnten Konsum- und Verhaltensweisen zu überdenken und neue Lebensziele zu finden. Viele verzichten in dieser Zeit etwa auf Fleisch oder Wein, Schokolade oder Nikotin oder auf digitalen Konsum.



Aktion Autofasten lädt zum Umstieg auf Nahverkehr ein



Erfurt (epd). Am diesjährigen Aschermittwoch startet zum zwölften Mal die Aktion Autofasten in Thüringen. Sie solle dazu anregen, über das eigene Mobilitätsverhalten nachzudenken und in der Fastenzeit bis Karsamstag öfter das Auto stehenzulassen, sagte Landesverkehrsministerin Susanna Karawanskij (Linke) am 21. Februar in Erfurt. Auch abseits des religiösen Hintergrunds gelte für alle, dass durch freiwillig geübten Verzicht niemandem etwas weggenommen werde.

Der Landesbischof der Evangelische Kirche in Mitteldeutschland, Friedrich Kramer, ermutigte alle Verkehrsteilnehmer, in diesen sieben Wochen mögliche Alternativen zum Auto zu nutzen. Darin lasse sich möglicherweise sogar ein Gewinn an Lebensqualität entdecken. Viele Menschen, die auf dem Land wohnen oder zu ihrer Arbeit pendeln, seien jedoch weiterhin auf das Auto angewiesen. „Hier muss das Auto selbst grüner und der Nahverkehr ausgebaut werden.“, mahnte Kramer.

Christoph Heuing, Geschäftsführer des Verkehrsverbundes Mittelthüringen, sagte, die Teilnehmenden an der Aktion könnten die Pflanzung eines Autofasten-Waldes im Schwarzatal unterstützen. Erstmals werde für jeden ausgefüllten und eingesendeten Mitmach-Kalender der Aktion ein Baum gepflanzt.

Die Aktion Autofasten Thüringen ist eine Initiative von Bus & Bahn Thüringen, der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, dem Bistum Erfurt und dem Verkehrsverbund Mittelthüringen. Rund 70 Partner aus den Bereichen Mobilität, Umwelt, Tourismus, Wirtschaft und Politik unterstützen die Aktion.



Kreuzweg entlang der Selke



Dessau-Roßlau (epd). Mit einem Kreuzweg in Alexisbad im Landkreis Harz erinnert die Kirchengemeinde St. Marien Harzgerode in der Passionszeit wieder an das Leiden und Sterben Jesu Christi. Der Kreuzweg führt bis 8. April auf der von großen Bäumen gesäumten Kügelgen-Promenade entlang der Selke, teilte die Evangelische Landeskirche Anhalts am 24. Februar in Dessau-Roßlau mit.

Startpunkt ist an der Petrus-Kapelle Alexisbad. Der Weg endet an der zweiten Selkebrücke. Der Initiator des Kreuzwegs, Diakon Thomas Nürnberg, hat auch in diesem Jahr 14 Bilder entlang der Promenade am Ufer der Selke an den Bäumen befestigt. Um gedanklich die letzten Schritte Jesu mitzugehen, sei bereits im frühen Christentum die Idee eines Kreuzweges entstanden, sagte Nürnberg. Ursprünglich in Jerusalem, später überall in der christlichen Welt, würden die Menschen die Leiden Jesu begleiten.

Der Alexisbader Kreuzweg werde in dieser Osterzeit bereits zum dritten Mal angeboten. In den vergangenen Jahren habe er sich großer Beliebtheit erfreut. Er soll dazu anregen, über Tod und Leben nachzudenken, die Lasten und Leiden wahrzunehmen und die Freude am Ostermorgen zu spüren.

In der Osternacht am 8. April werde die Petrus-Kapelle wieder Höhepunkt und Endpunkt des Kreuzwegs werden. Dann werde das Licht des Osterfeuers vom Kurplatz Alexisbad über die Brücke zur Kapelle in den noch dunklen Raum getragen. Hier beginne dann die Osternachtfeier mit dem Verteilen des Lichtes.



Sachsen: Spendenaktion "Hoffnung für Osteuropa" gestartet



Dresden (epd). Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens hat am 26. Februar mit einem Gottesdienst in der Dresdner Luther-Kirche ihre 28. Spendenaktion „Hoffnung für Osteuropa“ gestartet. Die gesammelten Gelder sollen nach Angaben von Landeskirche und Diakonie einem Projekt im litauischen Musninkai zugutekommen, etwa 50 Kilometer von der Hauptstadt Vilnius entfernt. Im dortigen Kindertreff „Drachenflieger“ des Vereins Musi werden Jugendliche aus benachteiligten Familien beim Übergang ins Berufsleben unterstützt.

Gespendet werden kann das ganze Jahr über. Die Kirchengemeinden werden mit Flyern auf die Aktion aufmerksam gemacht. „Hoffnung für Osteuropa“ entstand 1994 als bundesweite Spendensammlung der evangelischen Kirchen. Die Aktion wird jetzt noch in 15 der 20 Landeskirchen in unterschiedlicher Weise fortgeführt. Im vergangenen Jahr waren bei „Hoffnung für Osteuropa“ in Sachsen 11.000 Euro für ein Medienbildungsprojekt in Rumänien gesammelt worden.



Erzbischof: Beim Fasten geht es nicht um Selbstoptimierung



Berlin (epd). Beim Fasten in den kommenden sechs Wochen geht es nach Worten des Berliner katholischen Erzbischofs Heiner Koch nicht um Selbstoptimierung. „Selbstbeschränkung - aus freien Stücken und aus besserer Einsicht - das ist das Anliegen der Fastenzeit, die am Aschermittwoch begonnen hat“, sagte Koch am 25. Februar im RBB-Radio 88.8. Es gehe darum, Begrenztheit zu akzeptieren und uns selbst Grenzen zu setzen und die eigene Verwundbarkeit anzuerkennen. „Es ist zu spät, wenn wir erst über Nachhaltigkeit und Energiesparen nachdenken, wenn aus Russland kein Gas mehr kommt“, sagte der Erzbischof.

Die sechswöchige Fastenzeit sei auch eine Zeit, um sich der Folgen unseres Handelns - noch mehr unseres Unterlassens bewusst zu werden. Hitze und Dürre führten in vielen Gegenden der Welt zu Missernten. Selbst in Zentral-Europa litten wir unter regenarmen Sommern, Wasserfluten zerstörten Stadt und Land, die Massentierhaltung füge den Tieren unsägliches Leid zu. Die Vielfalt der Natur werde zerstört, Pflanzen- und Tierarten würden verschwinden. „Alle Reichtümer dieser Welt helfen uns nicht, wenn wir nicht daran mitarbeiten, dass die uns anvertraute Erde bewohnbar bleibt für alle Menschen“, sagte Koch.

Die kirchliche Fastenzeit beginnt mit dem Aschermittwoch und geht bis Karsamstag. Die 40 Tage sollen als Zeit der Buße und Umkehr genutzt werden und erinnern an das vierzigtägige Fasten Jesu in der Wüste. In diesem Jahr geht sie vom 22. Februar bis 8. April.



Kirche verurteilt heimliches Filmen eines queeren Gottesdienstes



Berlin (epd). Die evangelische Kirche in Berlin hat das heimliche Filmen eines queeren Universitätsgottesdienstes in der Berliner Sophienkirche durch einen neurechten Youtuber scharf verurteilt. „Wir sind bestürzt über die Verächtlichmachung und Hetze gegen den ersten queeren Universitätsgottesdienst, die in den sozialen Medien verbreitet wird“, erklärten Bischof Christian Stäblein, Synoden-Präses Harald Geywitz und die Berliner Pröpstin Christina-Maria Bammel am 24. Februar in Berlin. Solches, unangemeldetes, verdecktes Filmen verletze nicht nur die Regeln öffentlicher Kommunikation. Es stelle auch einen Angriff auf die Integrität der Gottesdienstteilnehmenden dar.

„Gottesdienste sind safe spaces für alle, insbesondere für queere Christ:innen in unseren Gotteshäusern“, betonten Stäblein, Geywitz und Bammel. Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesiche Oberlausitz (EKBO) stehe für die Rechte queerer Menschen in Gesellschaft und Kirche: „Wer sie angreift, greift uns alle an.“

Der Berliner Youtuber Leonard Jäger hat auf seinem Kanal „Ketzer der Neuzeit“ einen heimlichen Mitschnitt des Gottesdienstes veröffentlicht und darin über die Beteiligten gespottet. In dem Video kommt auch die Influencerin Jasmin Neubauer, Betreiberin des reichweitenstarken Instagram-Kanals „liebezurbibel“, zu Wort. Die nach eigenen Worten bekennende Christin versucht, mit Bibelstellen zu belegen, dass Homosexualität in der Kirche nichts zu suchen hat.

Auch Jäger hat mit allein 224.000 Abonnenten allein auf Youtube eine große Reichweite. Bekannt wurde er unter anderem als „Querdenker“-Unterstützer.



Theologin Bahr kritisiert Käßmann wegen Ukraine-Manifest




Petra Bahr
epd-bild/Jens Schulze
Gegen die Forderung der Theologin Margot Käßmann, keine Waffen mehr in die Ukraine zu liefern, regt sich Widerspruch. So furchtbar es sei, es brauche Waffen, damit Putin merke, dass er mehr zu verlieren habe, wenn er sich nicht aus der Ukraine zurückziehe, sagt Theologin Petra Bahr.

Hamburg (epd). Gegen die Forderung der Theologin Margot Käßmann, keine Waffen mehr in die Ukraine zu liefern, regt sich Widerspruch aus der evangelischen Kirche. In einem Streitgespräch zwischen der ehemaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Regionalbischöfin Hannovers, Petra Bahr, in der Wochenzeitung „Die Zeit“ kritisierte Bahr Käßmanns Position. So furchtbar es sei, es brauche Waffen, damit Putin merke, dass er mehr zu verlieren habe, wenn er sich nicht aus der Ukraine zurückziehe, sagte Bahr.

Das „Manifest für den Frieden“, das die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und die Publizistin Alice Schwarzer initiiert hatten und zu deren Erstunterzeichnerinnen Käßmann gehört, nannte Bahr ein „Manifest der Unterwerfung“. Es gehe darin nur um deutsche Befindlichkeiten: „Der Aggressor wird gar nicht adressiert, Kriegsverbrechen und der Überlebenskampf der Ukrainer werden hintangestellt.“ Pazifismus finde sie zwar beeindruckend, sagte Bahr - als Haltung gegenüber selbst erlebter Gewalt. Man könne das aber nicht anderen auferlegen.

„Die andere Wange hinhalten“

Käßmann entgegnete, es verstöre den Angreifer, wenn der Angegriffene die andere Wange hinhalte, weil er das nicht erwarte. So zwinge man den Aggressor, aus der Logik des Kriegs herauszutreten, nur so werde die Gewaltspirale unterbrochen. Gerade wegen der Brutalität des Kriegs in der Ukraine trete sie für Verhandlungen ein.

Bahr, die auch Mitglied des Deutschen Ethikrats ist, wies darauf hin, dass bislang alle Verhandlungsansätze „an den neoimperialen Machtgelüsten Putins gescheitert“ seien. Anerkennend äußerte sich die Regionalbischöfin zu Käßmanns Distanzierung von der Demonstration am 25. Februar, zu der unter anderen Wagenknecht aufgerufen hatte. Käßmann begründete ihre Entscheidung dazu nochmals im Streitgespräch: „Wer sich für Frieden einsetzt, muss sich klar von nationalistischen und menschenfeindlichen Personen und Gruppierungen abgrenzen.“



Kirchen ringen um mögliche Wege zum Frieden




Irmgard Schwaetzer im Gespräch mit Katrin Göring-Eckardt (r., beim Johannisempfang 2017)
epd-bild/Rolf Zöllner
Zum Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine streiten Spitzenvertreter der Kirchen in Deutschland, was ethisch geboten ist. Gegen Margot Käßmanns Aufruf zu Verhandlungen gibt es teils scharfen Widerspruch.

Berlin (epd). Die Kirchen in Deutschland ringen um eine Position, wie ein Ende des Krieges in der Ukraine zu erreichen ist. Die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, sprach sich für Verhandlungen aus. Die ehemaligen EKD-Präsides Katrin Göring-Eckardt (Grüne) und Irmgard Schwaetzer (FDP) sowie die hannoversche Regionalbischöfin Petra Bahr hingegen kritisierten, wer für Verhandlungen argumentiere, befördere die Unterwerfung der Ukraine unter einen brutalen Aggressor. Keinen Widerspruch zwischen Waffenlieferungen und Gesprächen sehen die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus und der Vorsitzende der Deutschen Kommission „Justitia et Pax“, der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer.

Käßmann sagte in einem Streitgespräch mit Bahr in der Wochenzeitung „Die Zeit“, es verstöre den Angreifer, wenn der Angegriffene die andere Wange hinhalte, weil er das nicht erwarte. So zwinge man den Aggressor, aus der Logik des Krieges herauszutreten. Nur so werde die Gewaltspirale unterbrochen.

Bahr, die Mitglied des Deutschen Ethikrats ist, entgegnete, sie fände zwar Pazifismus beeindruckend - als Haltung gegenüber selbst erlebter Gewalt. Man könne sie aber nicht anderen auferlegen. Das „Manifest für den Frieden“, das die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und die Publizistin Alice Schwarzer mit Blick auf den Jahrestag des russischen Angriffs am 24. Februar initiiert hatten und zu deren Erstunterzeichnerinnen Käßmann gehört, nannte Bahr ein „Manifest der Unterwerfung“. Es gehe darin nur um deutsche Befindlichkeiten: „Der Aggressor wird gar nicht adressiert, Kriegsverbrechen und der Überlebenskampf der Ukrainer werden hintangestellt.“

Die Politikerinnen Göring-Eckardt und Schwaetzer warnten, Pazifismus funktioniere bei Putin nicht. In einem Gastbeitrag in der „Welt“ (22. Februar) schrieben die beiden Frauen, die in der Vergangenheit jeweils an der Spitze der EKD-Synode standen: „Wer Putin nicht Einhalt gebietet, ermuntert ihn, seine völkerrechtswidrigen imperialistischen Fantasien weiterzutreiben.“ Waffenunterstützung schaffe in diesem Fall Freiheit und begrenze das furchtbare Leiden: „Das christliche Gebot der Sorge und Mitverantwortung für die Nächsten, für den unter die Räuber Gefallenen, erlaubt, ja, verpflichtet uns, der Ukraine zu helfen, wenn Menschen von Russland ermordet, gefoltert, erniedrigt, vertrieben werden.“

Auch die EKD-Ratsvorsitzende Kurschus kritisierte einen bedingungslosen Pazifismus. Rechtserhaltende Gewalt sei gemäß der Friedensethik unter bestimmten Bedingungen legitim, sagte die westfälische Präses der „Berliner Zeitung“ (22. Februar): „Wir können die Angegriffenen ja nicht schutzlos lassen, wenn sie mit Raketen beschossen, ihres Landes beraubt, vergewaltigt und verschleppt werden.“ Kurschus betonte, Waffen und Verhandlungen schlössen einander nicht aus. Waffeneinsatz müsse aber „zum Ziel haben, die Waffen zum Schweigen zu bringen“.

Der Mainzer Bischof und Präsident der Deutschen Sektion der katholischen Friedensbewegung „Pax Christi“, Peter Kohlgraf, nannte es einen wichtigen Aspekt für die Friedensethik, inwiefern man sich schuldig mache, wenn man nichts unternehme. „Das macht den Krieg auch so schrecklich“, sagte Kohlgraf dem epd: „Egal, wo wir Waffen einsetzen, machen wir uns schuldig, weil Waffen töten. Wenn nichts getan wird, macht man sich auch schuldig.“

Bischof Wilmer rief dazu auf, in den diplomatischen Bemühungen nicht nachzulassen: „Wann immer sinnvolle Gespräche mit der Russischen Föderation möglich sind, sollten diese geführt werden.“ Zugleich forderte er, Verantwortliche für diesen Angriffskrieg vor einem internationalen Gericht zur Rechenschaft zu ziehen. Die Solidarität mit der Ukraine erstrecke sich auch auf weitreichende militärische Unterstützung, sagte Wilmer weiter: „Aber wir machen uns diese Zustimmung nicht leicht. Wir sehen das moralische Dilemma zwischen dem legitimen Recht auf Selbstverteidigung und einer möglichen Spirale von Gewalt.“



Friedensgebet für Ukraine in Berliner Marienkirche



Berlin (epd). Bei einem ökumenischen Friedensgebet für die Ukraine in der Berliner Marienkirche hat der evangelische Bischof Christian Stäblein am 23. Februar einen gerechten Frieden für das osteuropäische Land gefordert. „Darum geht es. Dass am Ende nicht der Frieden der Friedhofsruhe, nicht der Frieden des Diktats, nicht der Frieden gegen die Freiheit und das Recht der Ukraine ausgespielt wird“, sagte Stäblein am Vorabend des Jahrestages des Kriegsbeginns.

„Frieden rufen ist leicht. Frieden schaffen, ist schwer. Denn er verlangt Recht“, sagte der Berliner Bischof. Frieden lebe, wo Freiheit sei und Menschlichkeit und Ehrlichkeit wachse. Auch Gerechtigkeit gebe es nur, wenn sie für alle gelte: „Die Oppositionellen in Russland, an die wir heute denken, wissen das genau, reden dafür, riskieren ihr Leben dafür.“

Der Berliner Bischof sagte weiter, niemand werde die Toten an den Fronten, in den Häusern, in den Krankenhäusern und auf den Straßen der Ukraine vergessen - die Hingerichteten von Butscha, in Mariupol, im Donbass: „Wir wollen und werden das nicht vergessen über allen Debatten, Taktiken, Plänen, Strategien. Wir stehen vor den Toten und trauern.“

An dem Friedensgebet nahmen unter anderen der katholische Erzbischof Heiner Koch, Abgeordnetenhaus-Präsident Dennis Buchner (SPD), die ukrainische Botschaftsrätin Oksana Dubovenko, der griechisch-orthodoxe Bischof Emmanuel von Christoupolis und Pfarrer Oleh Polianko von der Ukrainisch Orthodoxen Kirchengemeinde teil. Im Anschluss fand eine Gebetswache des Ökumenisches Rats Berlin-Brandenburg statt, die von der Gemeinschaft Sant‘Egidio und Pax Christi gestaltet wurde.



Dresdner Bischof: Wir teilen Trauer der Ukrainer



Dresden (epd). Der katholische Bischof von Dresden-Meißen, Heinrich Timmerevers, hat anlässlich des ersten Jahrestags des russischen Überfalls auf die Ukraine seine Anteilnahme an der Trauer um die Opfer bekundet. „Angesichts dieses Leides fühlen wir mit unseren ukrainischen Schwestern und Brüdern tief mit“, sagte er am 23. Februar in Dresden: „Wir teilen ihre Trauer. Als Bischof kann ich mich nur vor ihnen verneigen und für sie betend niederknien“, sagte Timmerevers am Vortag des Jahrestags.

Der verheerende Krieg in der Ukraine werfe nur wenige Hunderte Kilometer entfernt „mehr als einen dunklen Schatten auf ganz Europa und darüber hinaus“. Zehntausende Tote, unzählige an Leib und Seele schwer verwundete Menschen, zerstörte Städte, Wohnungen, Infrastrukturen und Lebensgrundlagen seien zu beklagen. „Wir dürfen uns nicht zufriedengeben mit einer Spirale der Gewalt, die sich immer weiterdreht“, mahnte der Bischof.

Die Aggressionen des Krieges machten auch vor Frauen und Kindern nicht Halt, beklagte Timmerevers: „Dieses Leid ist für uns kaum vorstellbar, aber es begegnet uns in den Flüchtlingen, die zu uns kommen, wie auch in den Bildern, Berichten und verzweifelten Hilferufen, die um die Welt gehen.“ Der Dresdner Bischof würdigte die Solidarität der Bevölkerung mit den Menschen aus der Ukraine und forderte dazu auf, weiter Hilfe zu leisten.



Militärbischof Felmberg wirbt für mehr Realitätssinn in Friedensethik




Bernhard Felmberg
epd-bild/Christian Ditsch

Berlin (epd). Der evangelische Militärbischof Bernhard Felmberg hat für mehr Realitätssinn in der Friedensethik geworben. „Wenn wir am Ziel eines gerechten Friedens festhalten, müssen wir Antworten auf eine Situation finden, in der die Konfliktprävention gescheitert ist und gewaltfreie Mittel der Konfliktbearbeitung wenig erfolgversprechend sind“, erklärte der Bischof für die Evangelische Seelsorge in der Bundeswehr am 21. Februar in Berlin: „Die Spannung zwischen der Zielperspektive des Friedens und der gegenwärtigen Lebenswirklichkeit ist auszuhalten.“

Als Christ und Verantwortlicher der Kirche müsse er sich eingestehen, „dass die Gemeinschaft der Kirche es nicht geschafft hat, ein Vorbild für Verständigung und Friedensbereitschaft zu sein“, räumte Felmberg ein. „Die Russisch-Orthodoxe Kirche nimmt in diesem Krieg eine besonders unheilvolle Rolle ein. Das beschämt mich“, erklärte der Militärbischof anlässlich eines neuen Debattenbeitrags zur Friedensethik der Evangelischen Kirche. Dieser Text ist jetzt in der Reihe der Schriften der Evangelischen Seelsorge in der Bundeswehr erschienen.

„Traum vom positiven Ende der Geschichte geplatzt“

Mit Blick auf den Ukraine-Konflikt sagte Felmberg: „Eine Aggression, die vielen unvorstellbar war, hat den Traum vom positiven Ende der Geschichte platzen lassen. Es gibt ihn nicht, den Himmel auf Erden - auch nicht in Europa.“ Die westliche Staatengemeinschaft habe auf die russische Aggression reagieren müssen. Dazu habe auch die Hartnäckigkeit beigetragen, mit der die Ukraine um Unterstützung geworben hat. Jetzt seien Solidarität und die Bereitschaft gefragt, denen, die das Recht auf Selbstverteidigung und Nothilfe in Anspruch nehmen, beizustehen.

Frieden müsse gewahrt werden, „wo er durch Gewalt, Not und Unfreiheit bedroht ist“, fügte Felmberg hinzu: „Er muss gefördert werden, weil er sich nicht von selbst einstellt. Frieden muss erneuert werden, wo er verloren gegangen ist.“ Das „Friedenswort Gottes“ treffe auf eine Welt voller Gewalt. Es bedürfe politischer Institutionen, die diese Gewalt begrenzen. Dazu gehört Felmberg zufolge die Bundeswehr: „Sie leistet ihren Beitrag, ein Leben in Frieden zu ermöglichen, der mehr ist als die Abwesenheit von Krieg, in dem Menschen - vor Gewalt geschützt - in Freiheit und Rechtssicherheit leben können.“



Kohlgraf teilt Sorgen vor weiterer Eskalation des Ukraine-Kriegs




Peter Kohlgraf
epd-bild/Andrea Enderlein

Mainz (epd). Der katholische Mainzer Bischof Peter Kohlgraf hält Ängste vor einer weiteren Eskalation des Ukraine-Kriegs und einer direkten Kriegsbeteiligung Deutschlands für berechtigt. „Ehrlich gesagt treibt mich die Sorge auch um“, sagte der Präsident der deutschen Sektion der katholischen Friedensbewegung Pax Christi in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Auch Papst Franziskus habe bereits von einem Dritten Weltkrieg gesprochen - „und zwar nicht von einem drohenden, sondern davon, dass wir uns eigentlich schon mitten drin befinden“.

Seine eigenen friedensethischen Grundsätze habe er durch den Ukraine-Krieg nicht revidiert, versicherte der Bischof. Niemand könne aus einem Krieg „schuldlos herauskommen“. Dies gelte auch jetzt: „Egal, wo wir Waffen einsetzen, machen wir uns schuldig, weil Waffen töten. Wenn nichts getan wird, macht man sich auch schuldig.“

Gegen Diskreditierung pazifistischer Positionen

Einen „gerechten Frieden“ für die Ukraine zu erreichen, ist nach Überzeugung Kohlgrafs derzeit extrem schwierig. Auf russischer Seite sehe er dazu keine wirkliche Bereitschaft, stattdessen eine „großrussische Ideologie, die vonseiten der russisch-orthodoxen Kirche religiös verbrämt wird“. In Waffenstillstandsverhandlungen würde sich Russland sicherlich weigern, die derzeit kontrollierten Gebiete wieder zu räumen. „Diese Situation macht alle friedensethischen Überlegungen so schwierig“, sagte der Bischof. Für eine echte Versöhnung sei es zudem nötig, dass Täter auch Verantwortung übernehmen.

Der Pax-Christi-Präsident sprach sich zugleich deutlich gegen eine Diskreditierung von pazifistischen Einstellungen aus. Diese seien als Gegengewicht zur verbreiteten militärischen Rhetorik wichtig. „Wir müssen bei allen realpolitischen Debatten aufpassen, dass Menschen mit pazifistischen Positionen am Ende nicht als die Deppen dastehen“, sagte er. In Zeiten, in denen sich Christen gegenseitig töteten, sei es wichtig, an das Evangelium zu erinnern: „Die biblischen Friedensvisionen sind pazifistisch, sie sind in kriegerischen Zeiten entstanden und geben die Hoffnung, dass Krieg, Hass und Gewalt nicht das letzte Wort haben.“

epd-Gespräch: Karsten Packeiser


Weltkirchenrat: Mindestens 494 religiöse Stätten in Ukraine zerstört



Genf (epd). In der Ukraine sind laut dem Weltkirchenrat mindestens 494 Sakralbauten und religiöse Stätten infolge der russischen Invasion vor einem Jahr geplündert, beschädigt oder zerstört worden. Die Beschlagnahmung religiös genutzter Gebäude als russische Militärbasen vergrößere die Zerstörung, erklärte der Ökumenische Rat der Kirchen am 21. Februar in Genf.

Der ÖRK bezog sich auf Daten und Recherchen des Instituts für Religionsfreiheit, eine 2001 in Kiew gegründete Menschenrechtsorganisation. Zerstörte religiöse Stätten gebe es überall in der Ukraine, von Cherson im Süden bis hin zu Tschernihiw im Norden. Alle Religionen und Glaubensgemeinschaften seien betroffen.

Gezielte Angriffe auf Gläubige

Die meisten Kirchen, Moscheen und Synagogen seien in den russisch besetzten Verwaltungsbezirken Donezk (mindestens 120) und Luhansk (mehr als 70) zerstört worden. Das Ausmaß der Zerstörungen sei auch im Bezirk Kiew hoch, dort seien 70 Gebäude betroffen. In den Regionen Cherson und Charkiw seien jeweils mehr als 50 zerstörte Sakralbauten zu verzeichnen.

Gezielte Angriffe auf prominente religiöse Persönlichkeiten und Gläubige durch das russische Militär und Geheimdienste, besonders in den besetzten Gebieten, seien ebenfalls dokumentiert.

Russland hatte am 24. Februar 2022 den Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen. Der ÖRK umfasst 352 Mitgliedskirchen, die zusammen über 580 Millionen Christen aus protestantischen, orthodoxen, anglikanischen und anderen Traditionen repräsentieren.



Kirchliche Investoren verschärfen Ausschlusskriterium Rüstung



Darmstadt (epd). Der Arbeitskreis Kirchlicher Investoren (AKI) hat seine Kriterien zu Rüstung und fossilen Rohstoffen für Finanzanlagen verschärft. Unternehmen, die mehr als fünf Prozent ihres Umsatzes mit Rüstungsgütern machten, würden von Finanzanlagen ausgeschlossen, sagte der scheidende Vorsitzende und Leiter der Kirchenverwaltung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), Heinz Thomas Striegler, am 21. Februar in Darmstadt.

Bisher lag die Grenze bei zehn Prozent des Umsatzes. Außerdem seien Unternehmen, die geächtete Waffen oder Atomwaffen herstellten, gänzlich ausgeschlossen. Im AKI haben sich 47 vor allem evangelische Investoren zusammengeschlossen, die Summe der angelegten und vornehmlich der Altersversorgung dienenden Finanzmittel beläuft sich auf rund 40 Milliarden Euro.

Außerdem verschärft der AKI mit der fünften Auflage des „Leitfadens für ethisch-nachhaltige Geldanlage in der evangelischen Kirche“ die Kriterien für die Förderung klimaschädlicher Rohstoffe: Unternehmen, die einen Anteil von mehr als einem Prozent an der weltweiten Kohle-Förderung haben sowie Unternehmen, die Öl oder Gas durch chemische Mittel (Fracking) gewinnen, sind von der kirchlichen Geldanlage ausgeschlossen. Bisher schon waren Unternehmen ausgeschlossen, die gentechnisch verändertes Saatgut oder Tabakwaren herstellen und Glücksspiele anbieten.

Anlagen in Getränkeunternehmen dürfen künftig nur getätigt werden, wenn der Umsatz mit hochprozentigen Alkoholika unter fünf Prozent liegt statt bisher zehn Prozent. Die Definition von hochprozentig wurde aber gelockert: Sie bezieht sich auf Getränke mit mehr als 20 Prozent Alkohol. Bisher lag die Grenze bei 15 Prozent, diese sei aber schwer zu überprüfen gewesen, begründete Striegler. Die 20-Prozent-Grenze werde auch von anderen ethischen Anlegern gewählt.

Fossile Energie Negativkriterium

Neben den Ausschlusskriterien definiert der Leitfaden auch Negativkriterien, die eine Anlage von kirchlichen Finanzen erschweren. Dazu gehören eine Energiegewinnung durch fossile Brennstoffe, ein überdurchschnittlich hoher Ausstoß von Kohlendioxid und Treibhausgasen, fehlende Pläne für die Klimaneutralität oder zum Schutz der Artenvielfalt. Die Ausschluss- und Negativkriterien führten zu einer Einschränkung des Anlagespektrums der kirchlichen Anleger um rund 20 Prozent gegenüber den großen Indizes, sagte Striegler.

Inzwischen hätten auch Positivkriterien einen höheren Stellenwert bekommen, unterstrich der Vorsitzende. Die Anleger achteten mehr darauf, was sie mit ihren Anlagen fördern wollten. Beispiele seien die Investments in den Aufbau des größten Windparks Afrikas in Kenia oder von Solaranlagen in Mittelamerika. Auch führten Vertreter des AKI regelmäßig Gespräche mit Banken und Unternehmen, etwa über Lieferketten, die Herkunft der Rohstoffe oder existenzsichernde Löhne.

Ab 1. März übernimmt der Leiter der Finanzabteilung des braunschweigischen Landeskirchenamts, Jörg Mayer, den Vorsitz des AKI. Mayer kündigte an, die Gespräche mit großen Banken und Aktiengesellschaften fortzusetzen. Der AKI wolle über die Definition der EU von Nachhaltigkeit bezüglich Umweltkriterien (Taxonomie) hinaus soziale Kriterien in die Diskussion einbringen. Außerdem wolle der AKI sich enger mit den katholischen Bistümern und Versorgungswerken verzahnen.



"Haus der alten Schätze"




Dom "Sankt Peter und Paul" in Brandenburg/Havel
epd-bild/Gordon Welters
Im Domstiftsarchiv in Brandenburg an der Havel werden jahrhundertealte Dokumente aufbewahrt. Nun will das Domstift ein Sanierungsvorhaben starten, um einen neuen Ort für das "Gedächtnis" des Bundeslandes und die Kunstschätze des Doms zu schaffen.

Brandenburg/Havel (epd). Ein Bleisiegel von Papst Leo X. von 1518, die Urkunde der Ersterwähnung Berlins von 1244, ein Edikt zur „Ausrottung der Sperlinge und Krähen“ von 1744: Am Dom zu Brandenburg an der Havel werden Kunstschätze und Dokumente aus mehr als 1.000 Jahren aufbewahrt. Nun sollen Archiv und Museum der ältesten Institution des Bundeslandes einen neuen Ort bekommen. Dafür will das evangelische Domstift den Ostflügel der Domklausur mit der Spiegelburg sanieren und zum „Haus der alten Schätze“ machen.

Die Planungen dafür seien bereits abgeschlossen, erzählt Domkurator Cord-Georg Hasselmann. Für die Arbeiten an der Spiegelburg, dem zweitältesten Bauwerk auf der Dominsel, würden zwei bis drei Jahre und rund acht Millionen Euro benötigt. Für die Ostklausur würden weitere zehn bis zwölf Millionen Euro gebraucht. „Wir haben feste Förderzusagen vom Land Brandenburg sowie der Landeskirche und wir hoffen auf eine Zusage auch vom Bund“, sagt der Jurist: „Wir werden den Bauantrag einreichen, wenn die Förderzusagen vorliegen. Und dann geht es los.“

Wenn alles gut laufe, könne in diesem Jahr mit der Sanierung begonnen werden, sagt Hasselmann: „Das ist das letzte große Bauvorhaben auf dem Burghof.“ Der im Mittelalter errichtete Dom und alle anderen denkmalgeschützten Bauwerke des Domstifts in seiner unmittelbaren Umgebung sind inzwischen saniert. Reparaturen hier und da seien zwar immer wieder nötig, erzählt der Kurator: „Aber im Vergleich dazu, wie es vor 30 Jahren war oder vor 60 Jahren oder vor 190 Jahren, als Schinkel hier war, kann man das alles im normalen Betrieb gut hinkriegen.“

Das Domstiftsarchiv besteht seit der Gründung des Bistums Brandenburg im Jahr 948 und ist damit nach eigenen Angaben das mit Abstand älteste Archiv östlich der Elbe. Es gilt als bedeutendes kulturgeschichtliches Gedächtnis des Bundeslandes. Zu seinen Beständen gehören rund 1.000 laufende Regalmeter Archivalien und eine Bibliothek mit weiteren rund 1.800 laufenden Regalmetern.

Das Buchgut von insgesamt rund 43.000 Bänden umfasse Drucke aus mehr als fünf Jahrhunderten zu allen Teilgebieten der Geisteswissenschaften, heißt es dort. Zahlreiche mittelalterliche Urkunden werden dort ebenso aufbewahrt wie historische Kirchenbibliotheken, Pfarrarchive und Kirchenbücher. Zwölf mittelalterliche Handschriften gehören zum Domstiftsarchiv, 700 Bibeln, rund 570 historische Notendrucke und 253 sogenannte Inkunabeln, Wiegendrucke mit beweglichen Lettern aus der Frühzeit des Buchdrucks.

Der Förderverein für den Brandenburger Dom hat vor einiger Zeit eine Kampagne gestartet, mit der 100.000 Euro für das „Haus der alten Schätze“ eingeworben werden sollen. Symbolische Schatzpatenschaften zu je 1.000 Euro werden dort für 100 ausgewählte historische Kunstwerke, Gewänder, andere Gegenstände und Dokumente angeboten. Das Majestätssiegel von Kaiser Karl IV. von 1376 ist darunter, ein Brief von Theodor Fontane von 1861, eine Bischofsmütze aus dem 15. Jahrhundert.

Auch eine kleine mehr als 300 Jahre alte Münze mit kurioser Geschichte gehört zu den Patenschaftsschätzen. Die Münze sei 2013 in einem alten Opferstock entdeckt worden, heißt es in den Erläuterungen. Sie sei Teil eines „Finanzbetrugs im großen Stil“ durch den preußischen König Friedrich den Großen gewesen, der mit dem Prägen minderwertiger Münzen seine Kriegsausgaben habe bestreiten wollen. Der Obolus des frommen Spenders im Opferstock gleiche damit einem „Hosenknopf im Klingelbeutel“.

Im „Haus der alten Schätze“ will das Domstift dann auch erstmals eine Dauerausstellung zeigen, der Arbeitstitel lautet „Kirche und Staat“. Das Spektrum der Exponate soll von der Gründungsurkunde des Bistums Brandenburg von 948 bis in die jüngere Geschichte reichen. So gebe es aus der NS-Zeit auch Bauskizzen zum Ersetzen eines Davidsterns am Dom durch ein Hakenkreuz, erzählt Kurator Hasselmann: „Glücklicherweise wurden diese Pläne nie realisiert.“ Um Details für die Ausstellung festzulegen, sei es noch zu früh. Dass die richtige Auswahl der Exponate eine Herausforderung werde, stehe jedoch jetzt schon fest.

Von Yvonne Jennerjahn (epd)


Kurator: Domstift Brandenburg hofft auf Bauförderung vom Bund




Cord-Georg Hasselmann
epd-bild/Gordon Welters
Vor 1.075 Jahren wurde in Brandenburg/Havel das Bistum Brandenburg gegründet, 200 Jahre später begann der Bau des Doms. Das denkmalgeschützte Ensemble wurde in den vergangenen Jahrzehnten saniert. In diesem Jahr soll das letzte große Bauprojekt beginnen.

Brandenburg/Havel (epd). Vor 1.075 Jahren wurde auf der heutigen Dominsel von Brandenburg an der Havel das Bistum Brandenburg gegründet. Gut 200 Jahre später begann dort der Bau des Doms, der „Mutterkirche der Mark“. Das denkmalgeschützte Ensemble auf der Dominsel wurde in den vergangenen Jahrzehnten weitgehend saniert. In diesem Jahr soll dort das letzte große Bauprojekt beginnen. Sobald die Förderzusagen dafür vorliegen, „geht es los“, sagte Domkurator Cord-Georg Hasselmann dem Evangelischen Pressedienst (epd).

epd: Wie geht es dem Brandenburger Dom?

Hasselmann: Dem Dom als Bauwerk geht es wirklich gut. Wir haben durch die Sanierung in den 90er Jahren ein starkes Fundament bekommen. Man sieht zwar hier und da immer mal wieder Risse. Das Fundament und der Boden arbeiten. Es gibt also immer etwas zu tun. Aber im Vergleich dazu, wie es vor 30 Jahren war oder vor 60 Jahren oder vor 190 Jahren, als Schinkel hier war, kann man das alles im normalen Betrieb gut hinkriegen.

epd: Was sind aktuell für Arbeiten nötig?

Hasselmann: Die Erneuerung der Fenster beispielsweise, Reparaturen von Rissen, neue Lampen, neue Stühle und dergleichen. Das, was man immer so hat. Wir haben aber noch ein anderes riesengroßes Bauvorhaben vor uns, die Sanierung der Spiegelburg und der Ostklausur, die im Mittelalter erbaut wurden und noch nicht saniert sind. Das ist das letzte große Bauvorhaben auf dem Burghof.

epd: Was sind das für Bauwerke?

Hasselmann: Die Spiegelburg ist auf der Dominsel das zweitälteste Bauwerk nach dem Dom und war im Mittelalter wahrscheinlich der Sitz des Bischofs. Die Ostklausur war Teil des Klosters der Prämonstratenser.

epd: Was kommt mit dem Vorhaben auf Sie zu?

Hasselmann: Wir haben feste Förderzusagen vom Land Brandenburg sowie der Landeskirche und wir hoffen auf eine Zusage auch vom Bund. Die Planungen für Spiegelburg und Ostklausur sind abgeschlossen. Wir werden den Bauantrag einreichen, wenn die Förderzusagen vorliegen. Und dann geht es los. Für die Spiegelburg werden wir zwei, drei Jahre brauchen. Dafür brauchen wir etwa acht Millionen Euro, für die Ostklausur zehn bis zwölf Millionen Euro, je nachdem, wann wir anfangen können. Je später, desto teurer wird es.

epd: Wann soll es losgehen?

Hasselmann: Wenn alles gut läuft, mit der Spiegelburg noch in diesem Jahr.

epd: Wofür wollen Sie die Bauwerke nutzen, wenn die Sanierung abgeschlossen ist?

Hasselmann: Die Spiegelburg soll das Haus des Domstiftsarchivs werden. Die Ostklausur wird das Museum beherbergen. Dort wird es einen Raum für die Museumspädagogik geben und wir werden zum ersten Mal überhaupt eine Dauerausstellung haben.

epd: Was wollen Sie dort vermitteln?

Hasselmann: Wir wollen den Ort und seine Geschichte vorstellen. Unter dem Hauptthema „Kirche und Staat“ sollen etwa Fragen zu Kirche und Macht, Frömmigkeit und Alltag behandelt werden. Das lässt sich an diesem Ort wunderbar zeigen, weil hier die Auseinandersetzung zwischen weltlicher und geistlicher Macht über die gesamte Domgeschichte hinweg eine wesentliche Rolle gespielt hat. Zwischen Bischof und Kurfürst etwa bis hinein in die DDR-Zeit und Bischof Albrecht Schönherr. Wir haben hier wirklich etwas zu zeigen.

epd: Was wollen Sie in der Dauerausstellung präsentieren?

Hasselmann: Es ist jetzt noch viel zu früh, das im Einzelnen festzulegen. Aber die Bestände im Archiv, in der Bibliothek und in unserem Paramentenschatz enthalten so viele einzigartige und für das Domstift sowie die Stadt und das Land aufschlussreiche Exponate, dass die Herausforderung eher in der richtigen Auswahl liegen wird. Das Spektrum der Exponate reicht, um einige Beispiele zu nennen, von der Gründungsurkunde des Bistums im Jahr 948, unterzeichnet von König Otto I., über Flugblätter von Mitgliedern der vom preußischen König zeitweilig in den Brandenburger Dom ausgelagerten Nationalversammlung bis hin zu Bauskizzen über eine Ersetzung des Hexagramms an der Westfront des Doms durch ein Hakenkreuz. Glücklicherweise wurden diese Pläne nie realisiert.

epd: Und wie geht es dem Domstift, das die Arbeit am Dom verantwortet?

Hasselmann: Die inhaltliche Arbeit läuft sehr gut, ist vielseitig und stößt auf positive Resonanz. Wirtschaftlich stehen wir jedoch weiterhin vor großen Herausforderungen. Obwohl wir eine Einrichtung der evangelischen Kirche sind, erhalten wir keinen Anteil am Kirchensteueraufkommen, sondern nur punktuelle Unterstützung seitens der Landeskirche für einzelne Vorhaben. Es fehlt an einer institutionellen Förderung seitens der Kirche. Und das, obwohl die Bedeutung des Doms wie des Domstifts für die Kirche unbestritten ist. Die Gründe hierfür liegen zum Teil in der Finanzverfassung der Kirche. Demgegenüber fördert uns das Land Brandenburg mit Mitteln aus dem Staatskirchenvertrag wegen der Rolle, die der Dom, die „Wiege der Mark“, über Jahrhunderte für das Land Brandenburg gespielt hat und weiterhin spielt. Im Ergebnis sind wir vor allem darauf angewiesen, dass wir unseren gemeinnützigen Betrieb, also etwa Konzerte, Ausstellungen, den Erhalt des Doms und der anderen Gebäude, das Archiv und die Textilrestaurierungswerkstatt, mit Überschüssen aus anderen Bereichen und mit Drittmitteln finanzieren.

epd: Wie machen Sie das?

Hasselmann: Im Wesentlichen durch Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung, dazu gehört etwa die Landwirtschaft. Haupteinkommensquelle ist daneben unser rund 3.000 Hektar großer Forst Seelensdorf. Aber die Holzpreise sind mal gut, mal schlecht. Und wir spüren den Klimawandel massiv. Das Grundwasser ist erheblich gesunken, die Bäume stehen im Trockenen und werden anfällig für Schädlinge. Es gibt mehr Waldbrände und mehr Stürme. Das sind alles Faktoren, die die Forstwirtschaft erheblich erschweren. Wir machen gerade eine Bestandsaufnahme des Waldes und werden auf der Grundlage eine Forststrategie entwickeln. Das ist eine große Verantwortung. Ohne den Wald und die Mittel aus dem Staatskirchenvertrag müssten wir den Betrieb hier am Dom schließen.

epd: Ist schon abzusehen, wie Sie den Wald entwickeln wollen?

Hasselmann: Wir warten die Ergebnisse der Inventur ab. Klar ist aber, dass wir weg von einer weitgehenden Monokultur in Richtung eines Mischwaldes kommen müssen. Das ist ein jahrzehntelanger Prozess. Natürlich befassen wir uns auch mit der Frage, ob es möglich ist, erneuerbare Energien zu erzeugen.

epd: Was haben Sie mit Blick auf erneuerbare Energien vor?

Hasselmann: Wir verfolgen unterschiedliche Ansätze auf den forstwirtschaftlichen und den landwirtschaftlichen Flächen. Im Forstbereich kommen in erster Linie Windkraftanlagen in Betracht. Das setzt aber voraus, dass die planungsrechtlichen Rahmenbedingungen so sind, dass man überhaupt einen Windpark bauen darf. Das ist allen Ansagen der Bundespolitik zum Trotz bei der Kommunal- und Landespolitik noch nicht so umgesetzt worden, dass man in dem erforderlichen Tempo loslegen kann.

epd: Was fehlt Ihnen da?

Hasselmann: Konsequenz. Wenn man erneuerbare Energien fördern will, muss man das eben auch bis zum letzten Umsetzungsschritt zulassen. Die zuständigen Stellen müssen dringend für Windkraftanlagen geeignete Räume ausweisen. Solange das nicht geschieht, passiert nichts. Und es gibt einen strukturellen Konflikt zwischen Klimaschutz und Artenschutz, der nur politisch aufgelöst werden kann und muss.

epd: Was ist für Sie Hauptaufgabe des Domstifts, dessen Arbeit Sie so finanzieren?

Hasselmann: Wir versuchen, einen kleinen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten. Wir sind ein geistlicher, ein kultureller Ort, ein Ort der Bildung. Und wir sind neben dem Landeshauptarchiv das Gedächtnis des Bundeslandes Brandenburg. Es geht um Bewahrung, Erforschung, Präsentation und Vermittlung des großen und großartigen Erbes, das wir übergeben bekommen haben.

epd-Gespräch: Yvonne Jennerjahn


Porträts ukrainischer Frauen am Garnisonkirchturm



Potsdam (epd). Am Rohbau des neuen Potsdamer Garnisonkirchturms wird in den kommenden Wochen ein Zeichen der Solidarität mit der Ukraine gesetzt. Bis zum 9. April umhüllen zwei 19 Meter hohe Bilder ukrainischer Frauen das Gerüst des Kirchturms, teilte die Stiftung zum Start des Projekts am 22. Februar in Potsdam mit. Am Bauzaun sei zudem eine Porträt-Serie nach Italien geflüchteter ukrainischer Frauen zu sehen. Die Geschichten der Frauen, die die Künstlerin Julia Krahn in Szene gesetzt und porträtiert habe, könnten im Internet unter www.stjavelin.art nachgelesen werden.

Die Porträt-Reihe führe die Verletzlichkeit und Ohnmacht konkreter Menschen vor Augen, hieß es: „Wir schauen auf ihr Leben und ihre Würde.“ Für die Ausstellung, die bereits an verschiedenen anderen Orten gezeigt wurde, habe Krahn den Titel „St. Javelin“ gewählt, weil im Schrecken des Krieges die Javelin-Panzerabwehrrakete als todbringende Waffe ein Symbol des ukrainischen Widerstands geworden sei. Die einzigen „Waffen“, die die Künstlerin einsetze, seien die Kunst und in ihr die Empathie.

Krahn lenke mit ihrem Projekt den Blick auf zwölf Frauen, vom sechsjährigen Kind bis zur Großmutter, hieß es: „So lässt sich die Kraft der Schwachen spüren, die zur Friedensenergie werden kann.“ Der theologische Vorstand der Garnisonkirchenstiftung, Martin Vogel, betonte, Ziel des Projekts sei, über Menschen zu reden und sich ihnen und ihrer Leidensgeschichte gerade in der Passionszeit zuzuwenden.



Garnisonkirche: Neuer Pfarrer Kingreen sieht großes Potenzial



Potsdam (epd). Seit 2017 wird in Potsdam der neue Garnisonkirchturm gebaut. Die Pfarrstelle am Ort war nach dem Ruhestand von Cornelia Radeke-Engst Ende Oktober 2021 lange nicht besetzt. Nun übernimmt der bisherige Geschäftsführer des Berliner Doms, Jan Kingreen, die Aufgabe zum 1. März. Er wolle dort auch außen- und sicherheitspolitische Themen in den Blick nehmen, sagte der Theologe dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Potsdam.

epd: Die Pfarrstelle für den neuen Garnisonkirchturm war lange ausgeschrieben. Was hat Sie bewogen, die Stelle zu übernehmen?

Jan Kingreen: Mich reizt an der Stelle das große Potenzial, das sie bietet: Hier wird nicht nur ein Lernort, sondern auch eine Citykirche ganz neu aufgebaut. Es gibt nur wenige feste, unverrückbare Strukturen. Man kann hier kirchliche Arbeit angepasst an die Bedürfnisse und Themen der Gegenwart denken und gestalten.

epd: Was haben Sie dort vor, welche Schwerpunkte wollen Sie setzen?

Kingreen: Der Kirchturm als Teil der Garnisonkirche zählt wohl zu den Gebäuden in Deutschland, die sich eindrücklich in die Erinnerungskultur eingeprägt haben. Daraus erwächst für mich der Auftrag, einen Ort des Friedens zu etablieren. Hier sollen kritisch Geschichte erinnert und Gegenwart reflektiert werden. Aktuell sehe ich neben der Friedens- und Versöhnungsarbeit vor allem außen- und sicherheitspolitische Themen an diesem Ort. Zu diesem Profil werden Schwerpunkt-Gottesdienste gehören. Ebenso wichtig werden Debatten und Gespräche sein, die die Meinungsvielfalt der Gesellschaft abbilden. Am 1. März geht es los mit einem Vortrag zu Theodor Heuss und seinem Blick auf das Jahr 1933. Am 20. März sprechen Bischof Stäblein und Stephan Harbarth, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, über eine wehrhafte Demokratie, am 29. April werden Ellen Ueberschär und ich darüber diskutieren, ob die evangelische Friedensethik angesichts des Krieges in Europa am Ende ist.

epd: Werden Sie versuchen, mit den Kritikern des Wiederaufbaus ins Gespräch zu kommen? Was für Chancen sehen Sie da?

Kingreen: Ich bin fest davon überzeugt, dass es gelingen kann, diejenigen aller Seiten, die sich differenziert und gesprächsbereit zeigen, an einen Tisch zu bringen. Letztlich soll hier ja ein gehaltvoller Konsens gefunden werden. Dieser muss mit Ruhe und Empathie ausgehandelt werden, wie das in liberal-aufgeklärten Demokratien üblich ist. Es kann nicht sein, dass die lautesten Schreihälse auf allen Seiten sich mit Maximalforderungen durchsetzen. Ich denke, dass gerade dem Pfarramt hier eine ausgewogene, brückenbauende Funktion zukommt.

epd: Sie übernehmen auch die Berufsschularbeit der Jugendbildungsstätte Haus Kreisau in Berlin. Werden Sie beide Aufgaben miteinander verbinden?

Kingreen: Beide Aufgaben sind eng aufeinander bezogen. Das Haus Kreisau ist eine renommierte Einrichtung im Feld der Berufsschulbildung. Gerade jüngere Erwachsene an die historischen und gegenwärtigen Themen heranzuführen, ist für mich essenziell wichtig. Insofern freue ich mich auf den Brückenschlag zwischen zwei Lernorten. Und Lernen heißt ja gerade auch über sich selbst mehr zu erfahren, was eine der Kernaufgaben der Theologie ist.

epd-Gespräch: Yvonne Jennerjahn


Stiftung fördert Kirchenprojekt für Naturschutz



Kyritz/Potsdam (epd). Die evangelische Kirche in der Prignitz hat ein umfangreiches Naturschutzprojekt umgesetzt. Um Ackerböden vor Austrocknung und Erosion zu schützen, seien dort auf Kirchenland mehr als 9.000 junge Bäume und Sträucher gepflanzt worden, teilte die Stiftung NaturSchutzFonds Brandenburg am 24. Februar in Potsdam mit. Die Stiftung habe dies durch Fördermittel in Höhe von rund 161.000 Euro möglich gemacht.

Ziel des Projekts der evangelischen Kirchengemeinde Barenthin sei auch, Biotope in der Agrarlandschaft zwischen Kyritz und Pritzwalk zu vernetzen, hieß es. Im Laufe der Zeit würden dort die neuen Trauben- und Stieleichen, Wildbirnen, Weidenarten, Weißdorn und Wildrosen in der Hauptwindrichtung eine geschlossene, mehr als einen Kilometer lange Hecke bilden.

Die wertvollen Ackerböden, die von der ortsansässigen Agrargenossenschaft gepachtet seien, würden damit künftig besser geschützt, hieß es. Kaum ein Strauch habe in der Vergangenheit den Wind gebremst, der dort den Oberboden von den riesigen Ackerschlägen blase. Nun entstünden auch für Vogelarten wie Neuntöter, Raubwürger und Sperbergrasmücke sowie andere Tiere neue Lebensräume.

Die Vorsitzende des Gemeindekirchenrates, Bärbel Abraham, betonte, die Ideen seien gemeinsam mit der Agrargenossenschaft beraten worden. Sie freue sich sehr, die Hecken „bald blühen und wachsen zu sehen“. Stiftungsgeschäftsführer Holger Rößling betonte, das Engagement der Kirchengemeinde zeige, „dass Naturschutz von allen aktiv gestaltet werden kann“. Die Fördergelder stammen aus Ersatzzahlungen für den Verlust von Naturflächen durch Baumaßnahmen.



Evangelischer Publizist Jörg Bollmann 65 Jahre alt



Frankfurt a.M. (epd). Der Direktor des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik (GEP), Jörg Bollmann, hat am 26. Februar seinen 65. Geburtstag begangen. Seit 2002 steht er als Geschäftsführer, seit 2005 als Direktor an der Spitze des Medienwerks der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), ihrer Landeskirchen und Werke sowie der evangelischen Freikirchen. Unter der Leitung Bollmanns wurde das GEP als zentrale evangelische Medieneinrichtung weiter ausgebaut und versteht sich heute als multimediales Kompetenzzentrum.

Zum GEP mit rund 140 Beschäftigten gehören unter anderem die Zentralredaktion des Evangelischen Pressedienstes (epd), das evangelische Monatsmagazin „chrismon“ und zahlreiche digitale Aktivitäten wie das Internetportal „evangelisch.de“ und das Content-Netzwerk „yeet“. Auch die EKD-Rundfunkarbeit wird im GEP organisiert.

Bollmann wurde am 26. Februar 1958 in Herford geboren. Nach dem Studium der Soziologe absolvierte er ein Volontariat bei der „Rotenburger Kreiszeitung“. Im Anschluss an Stationen beim privaten Hörfunksender ffn und Sat.1 Nord wechselte Bollmann 1992 zum NDR Hörfunk. Dort stieg er 1996 zum Nachrichtenchef auf und wurde ein Jahr später Wellenchef von NDR2. Bollmann ist verheiratet, Vater zweier Kinder und zweifacher Großvater. Ehrenamtlich engagiert er sich als Lektor in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. In einem Jahr will der GEP-Direktor nach 22 Jahren an der Spitze des Gemeinschaftswerks in den Ruhestand gehen.



Früherer Direktor der Katholischen Akademie Dresden gestorben



Dresden (epd). Der frühere Direktor der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen, Clemens Maaß, ist tot. Der Jesuitenpater starb bereits am 20. Februar, kurz vor seinem 60. Geburtstag, wie die Akademie in Dresden mitteilte. Im Gedenken an Maaß finde am 8. März ein Gottesdienst in der Kathedrale Sanctissimae Trinitatis in Dresden statt. Der Eucharistiefeier wird demnach der Dresdner katholische Bischof Heinrich Timmerevers vorstehen.

In einem Nachruf betonte die Katholische Akademie die Verdienste ihres ehemaligen Direktors für die Vielfalt und Intellektualität ihres Bildungsprogramms. Aus seiner Prägung heraus habe er die Forderung von Papst Franziskus, „an die Ränder zu gehen und sich einzumischen, ernst genommen und gelebt“, hieß es. Maaß habe ferner Synodalität vorgelebt, bevor sie weltkirchlich an Bedeutung gewonnen habe.

Clemens Maaß wurde 1963 in Hessen geboren. Er studierte in Mainz und Tübingen katholische Theologie und trat 1991 dem Jesuitenorden bei. Die Priesterweihe erhielt Maaß 1997 in Frankfurt am Main. 2016 übernahm er die Leitung der „Kontaktstelle Orientierung“ mit ihren Angeboten für Lebens- und Glaubensfragen in Leipzig. Nach der Auflösung der Jesuiten-Kommunität 2019 in Leipzig zog er zuerst nach Göttingen und lebte später in der Kommunität in München.



Verfahren gegen Bremer Pastor wegen Volksverhetzung geht weiter




Olaf Latzel (Archivbild)
epd-bild/Alasdair Jardine
2019 hatte sich der evangelische Pastor Olaf Latzel abfällig über Gender und Homosexuelle geäußert. Seit Jahren muss er sich deshalb vor Gericht wegen des Vorwurfs der Volksverhetzung verantworten, ein zwischenzeitlicher Freispruch ist aufgehoben.

Bremen (epd). Das Verfahren gegen den Bremer Pastor Olaf Latzel wegen des Vorwurfs der Volksverhetzung muss neu aufgerollt werden. Das Oberlandesgericht (OLG) der Hansestadt gab der Revision der Staatsanwaltschaft gegen den Freispruch Latzels am 23. Februar statt. Das Urteil sei lückenhaft, kritisierte der Vorsitzende Richter Klaus-Dieter Schromeck. Mit der Entscheidung geht das Verfahren zurück an das Landgericht und muss dort von einer anderen Berufungskammer neu aufgenommen werden. (Az.: 1Ss48/22)

Der heute 55 Jahre alte Seelsorger der evangelikalen Bremer St.-Martini-Gemeinde hatte sich in einer „biblischen Fahrschule zur Ehe“ im Oktober 2019 abfällig über Gender und Homosexuelle geäußert. Das Bremer Amtsgericht wertete das als Volksverhetzung und verurteilte ihn im November 2020 zu einer Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen zu je 90 Euro. Das Landgericht hingegen sprach den evangelischen Theologen am 20. Mai des vergangenen Jahres in einem Berufungsverfahren frei. Es sah seine Worte von der Religions- und Meinungsfreiheit gedeckt.

Mangelnder Kontext

In der Verhandlung vor dem OLG kritisierte der Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft, Florian Maaß, der Freispruch sei nicht ausreichend begründet, weil das Eheseminar im Urteil nicht vollständig wiedergegeben sei. Zum Verständnis dessen, was Latzel gesagt habe, müssten Gedankengänge und Überleitungen nachvollziehbar sein. Das sei nur lückenhaft möglich.

Die Richter des OLG schlossen sich dieser Einschätzung an. Die Feststellungen des Landgerichtes trügen den Freispruch nicht, kritisierte Schromeck. Der Kontext der Äußerungen Latzels sei in der Begründung der Kammer manchmal nur zusammenfassend, manchmal gar nicht mitgeteilt. Richter Schromeck ergänzte mit Blick auf die Grundrechte, dass die Menschenwürde die Religionsfreiheit beschränke. Natürlich könne man sich kritisch zur Homosexualität äußern, dann aber komme es auf Form und Wortwahl an.

Vor etwa 30 Ehepaaren hatte Latzel gesagt, Homosexualität sei eine „Degenerationsform von Gesellschaft“. Er warnte vor einer „Homolobby“. Und auch: „Überall laufen diese Verbrecher rum von diesem Christopher Street Day. Der ganze Genderdreck ist ein Angriff auf Gottes Schöpfungsordnung, ist zutiefst teuflisch und satanisch.“ Eine Tonaufnahme davon war Mitte März 2020 mit Zustimmung des Pastors auf dem reichweitenstarken Youtube-Kanal des Theologen veröffentlicht worden, der damals knapp 15.000 Abonnenten hatte.

Landeskirche wartet auf rechtskräftiges Urteil

Latzels Verteidiger Sascha Böttner zeigte sich enttäuscht vom Urteil des OLG. Das Landgericht habe mit dem Freispruch die entscheidenden Passagen aus der Anklageschrift gewürdigt. Die Urteilsbegründung könne kein Wortlautprotokoll der Hauptverhandlung sein.

Das Revisionsverfahren ist gesetzlich beschränkt auf die Prüfung von Rechtsverletzungen, eine Beweisaufnahme gab es deshalb in der knapp 90-minütigen Sitzung des OLG am Donnerstag nicht. Den Vorschlag von Schromeck, das Verfahren gegen Latzel auch aufgrund der langen Laufzeit von knapp drei Jahren und mit Blick auf den Rechtsfrieden gegen Auflage einzustellen, lehnte der Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft ab.

Latzel ist seit Dezember 2007 Pastor der Bremischen Evangelischen Kirche, die aufgrund seiner Äußerungen im Oktober 2019 ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet hat, das allerdings momentan ruht. Sobald ein rechtskräftiges Urteil feststehe, werde das Disziplinarverfahren wieder aufgenommen, sagte Kirchensprecherin Sabine Hatscher. Der dann mögliche Strafrahmen hänge direkt vom finalen Urteil ab, das die Kirchenleitung auf der Basis der schriftlichen Urteilsbegründung prüfen und bewerten werde.




Soziales

"Der Wald ist die beste Ergotherapie"




Das Tiny-House der evangelischen Kita Eppenrod
epd-bild /Aaron Kniese
Die Kindertagesstätte Eppenrod hatte mehr Anmeldungen als Platz. Ein Ausbau wäre zu aufwendig und teuer gewesen. Die Lösung ist ein Tiny-House im Wald.

Eppenrod (epd). 9,40 Meter lang und 3 Meter breit ist das neue Haus der Kindertagesstätte im rheinland-pfälzischen Eppenrod. Ausgestattet ist es mit einer Küchenzeile, Toilette, Holztischen und Bänken, dazu eine Spielecke und die Treppe rauf in eine „leise Ecke“, wo die Kinder schlafen können. Zwischen Sportplatz und Grillhütte in Diez-Eppenrod im Rhein-Lahn-Kreis)bietet seit Jahresbeginn ein Tiny-House Platz für die zwölf Kinder der Waldgruppe der im Ort ansässigen evangelischen Kita.

„Wir sind sehr froh, dass wir diese Lösung gefunden haben“, sagt der Eppenroder Ortsbürgermeister Oliver Lankes. Für 40 Kinder ist die Evangelische Kindertagesstätte Eppenrod/Isselbach ausgelegt, die Zahl der Anmeldungen für das Jahr 2022/2023 lag bei 56, auch ein Neubaugebiet der beiden Orte führte mit dazu. Eine schnelle Lösung musste gefunden werden.

„Der zweigruppige Kindergarten im Ort war einfach zu klein“, sagt Lankes. Ursprünglich war vorgesehen, das Kita-Gebäude im Ortskern zu erweitern. Doch nach einem Ortstermin wurde schnell klar, dass ein Umbau mit einem immensen Aufwand und hohen Kosten verbunden gewesen wäre. So entstand die Idee zu der Waldgruppe mit Tiny-House, das nun Platz für bis zu 20 Kinder bietet.

Wasserleitungen am Wochenende verlegt

Von der Idee bis zur Umsetzung dauerte es rund ein Jahr. Viel ehrenamtliches Engagement von Gemeinderat, Eltern und weiteren Helfern trug dazu bei. „Die Wasserleitungen haben wir im Dezember an den Wochenenden verlegt“, erzählt Lankes. Auch an Genehmigungen und Formalitäten gab es einiges zu erledigen, Lankes hat viele Gespräche geführt.

Wirtschaftlich hat sich der Bau ebenfalls gelohnt. Anstatt der geschätzten Umbaukosten von ungefähr einer halben Million Euro liegen die Kosten für das Tiny-House bei rund 210.000 Euro. „Das liegt daran, dass wir auch sehr viel in Eigenleistung gemacht haben“, sagt Lankes.

„Uns allen ist ein Stein vom Herzen gefallen, als das Haus fertig war“, sagt Anja Czarnetzky. Sie ist eine von vier Erzieherinnen, die die Waldgruppe betreuen. Drei von ihnen hat die Kita eigens für die Gruppe neu eingestellt. Das Konzept der Waldpädagogik hat sie motiviert, sich für die Stelle zu bewerben.

„Der Wald tut den Kindern unglaublich gut, sie sind viel ruhiger und ausgeglichener“, beobachtet Czarnetzky. Hinsichtlich Motorik und Bewegungen biete der Wald ein Erfahrungsfeld, in dem der ganze Körper beansprucht werde. „Der Wald ist die beste Ergotherapie“, sagt sie. Auch Erfahrungen wie etwa das Wahrnehmen verschiedener Witterungen oder das Unterscheiden von Vogelstimmen seien für die Kinder wertvoll.

Kinder im „Zwiebellook“

„Die Kinder halten sich gern draußen auf“, bestätigt auch die Kita-Leiterin Hannelore Backhaus. Im Haus essen sie zu Mittag, das Essen wird aus dem Ort gebracht. Der Rest spielt sich draußen ab. Anfängliche Bedenken, etwa ob die Betreuung der Kinder so ganz ohne Zaun und Abgrenzungen funktionieren kann, hätten sich zerstreut. „Wir erarbeiten ganz viel mit den Kindern zusammen“, sagt Backhaus. Die Kinder entscheiden mit, was sie den Tag über machen. Das Einbeziehen führt Backhaus zufolge dazu, dass Kinder Regeln besser einhalten. „Dieses Miteinander funktioniert gut“, sagt sie.

In Abstimmung mit den Eltern wurden die Kinder für die Waldgruppe einzeln ausgewählt. Bevor sie morgens in den Wald kommen, ziehen die Eltern sie wetterfest an. „Dazu gehören Thermounterwäsche und Zwiebellook“, sagt Backhaus. Die Eltern hätten mittlerweile auch Outdoor-Kleidung für die Kinder angeschafft, Wind und Wetter machen ihnen so auch im Winter nichts aus.

„Es hat bisher kaum Tage gegeben, an denen wir wirklich drinnen geblieben sind“, sagt Backhaus. „Die Kinder wollen gar nicht rein.“

Von Detlef Schneider (epd)


Debatte über Beitragserhöhungen zur Pflegeversicherung



Frankfurt a.M. (epd). Nach Bekanntwerden der Pflegeversicherungspläne von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kritisieren Verbände und Politiker den Entwurf. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sagte dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (25. Februar): „Defizite einfach und ausschließlich an die Beitragszahler abzuwälzen, werde ich nicht unterstützen.“ Arbeitnehmer und Arbeitgeber seien nicht unendlich belastbar. Indessen forderten Sozialverbände höhere Entlastungen der Pflege.

Um die Finanzlücke im deutschen Pflegesystem zu stopfen, plant Bundesgesundheitsminister Lauterbach, den Beitragssatz in der Pflegeversicherung zum 1. Juli um 0,35 Prozentpunkte zu erhöhen. Das geht aus einem Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums für ein Gesetz zur Unterstützung und Entlastung in der Pflege hervor, der dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt. Außerdem ist geplant, das Pflegegeld, das pflegende Angehörige erhalten, zum 1. Januar 2024 um 5 Prozent zu erhöhen. Für Pflegedienste sollen die ambulanten Sachleistungsbeiträge zum selben Zeitpunkt ebenfalls um 5 Prozent steigen.

Holetschek forderte stattdessen Steuerzuschüsse zur Refinanzierung. „Gesamtgesellschaftliche Aufgaben müssen auch von der gesamten Gesellschaft finanziert werden - also auch vom Steuerzahler.“

Sozialverband: Lage in vielen Pflegehaushalten bereits dramatisch

Der Sozialverband VdK forderte hingegen höhere Entlastungen für Pflegehaushalte. „Vier von fünf Millionen Pflegebedürftige leben zu Hause. Sie brauchen dringend mehr Unterstützung“, sagte VdK-Präsidentin Verena Bentele dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“. „Die Anpassung des Pflegegeldes um fünf Prozent reicht bei den gegenwärtigen Preissteigerungen vorne und hinten nicht.“

Bentele warnte, dass die Lage in vielen Pflegehaushalten schon jetzt dramatisch sei. Viele verzichten auf dringend notwendige Leistungen, weil sie es sich schlicht nicht leisten können. Da sehen wir noch großen Handlungsbedarf."

Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) warnte gar vor einem Kollaps der Pflegefinanzierung in Deutschland. Die Situation sei so dramatisch wie nie zuvor, erklärte der Verband. „Die Ampelkoalition muss jetzt dringend handeln und die Pflegeversicherung von Grund auf reformieren. Tut sie es nicht, wird das Pflegesystem in Deutschland kollabieren“, erklärte AWO-Präsidentin Kathrin Sonnenholzner. „Immer weniger Menschen können sich ihre Pflege leisten oder finden überhaupt noch professionelle Unterstützung. Die Stimmung bei den Pflegekräften ist auf einem Tiefpunkt angelangt, das Vertrauen in die Politik tendiert inzwischen gegen Null, die Pflegekassen stehen vor der Zahlungsunfähigkeit.“

Der Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste e.V. (bpa) kritisierte den Reformentwurf als ungenügend. Die jetzt vorgeschlagenen Leistungserhöhungen reichten nicht aus, um echte Entlastungen zu schaffen. „Auf die existenziellen wirtschaftlichen Bedrohungen der Pflegeeinrichtungen hat Minister Lauterbach keine Antwort gefunden. Er dreht mit weiteren bürokratischen Anforderungen sogar noch an der Belastungsschraube“, sagte bpa-Präsident Bernd Meurer am Freitagabend in Berlin. Die Pflegeeinrichtungen bräuchten ein Sofortpaket zur Unterstützung.



Paus will freien Zugang zu Schwangerenberatungen sichern




Lisa Paus (Archivbild)
epd-bild/Christian Ditsch

Berlin (epd). Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) plant ein Gesetz, um abtreibungswilligen schwangeren Frauen einen ungehinderten Zugang zu Beratungsstellen und Arztpraxen zu ermöglichen. Sie reagierte damit auf die Ankündigung von Abtreibungsgegnern, unter dem Motto „40 days for life“ bis Ostern 40 Tage lang vor Einrichtungen zur Schwangerschaftskonfliktberatung zu protestieren. „Frauen müssen ungehinderten Zugang zu Beratungseinrichtungen und Einrichtungen haben, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen“, sagte Paus dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (23. Februar).

Mahnwachen vor diesen Einrichtungen seien „Grenzüberschreitungen und nicht hinnehmbare Eingriffe in höchstpersönliche Entscheidungen von Frauen“. „Dem wird die Bundesregierung gesetzliche Maßnahmen entgegensetzen“, kündigte Paus an. Ihr Haus arbeite an einem entsprechenden Referentenentwurf. Dazu gebe es einen engen Austausch mit den anderen betroffenen Ressorts. „Wir schlagen eine Erweiterung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes vor, um einen ungehinderten Zugang zu den Beratungsstellen ausdrücklich gesetzlich vorzuschreiben“, sagte die Grünen-Politikerin.

Paragraf 218 soll überprüft werden

Das Motto „40 days for life“ ist an eine internationale christliche Bewegung aus den USA angelehnt. Es nimmt Bezug auf die Passionszeit zwischen Aschermittwoch und Ostern.

Die Koalition von SPD, Grünen und FDP will den Paragrafen 218 überprüfen lassen, nach dem Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland verboten sind, aber unter bestimmten Voraussetzungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche straffrei bleiben. Das ist der Fall, wenn das Leben der Mutter durch die Schwangerschaft gefährdet ist, das Kind durch eine Vergewaltigung entstanden ist oder die Frau eine Beratung durchläuft. Die Ampel-Koalition hatte bereits im vergangenen Jahr das Werbeverbot für Abtreibungen abgeschafft, das Informationen über Schwangerschaftsabbrüche erschwerte.



Sachsen-Anhalt stellt Finanzierung für Sprach-Kitas sicher



Magdeburg (epd). Die Landesregierung in Sachsen-Anhalt hat die Zukunft der Sprach-Kitas im Land finanziell langfristig abgesichert. Damit könnten die Einrichtungen ihre Arbeit auch nach dem 1. Juli 2023 fortsetzen, teilte das Sozialministerium am 21. Februar in Magdeburg mit. Das Land werde ab diesem Zeitpunkt die Finanzierung des bisherigen Bundesprogramms übernehmen.

Die Sprachförderung in den Kitas lege den Grundstein für einen erfolgreichen Bildungsweg vieler Kinder. Sie bleibe auch mit Blick auf die mit der Corona-Pandemie aufgetretenen Defizite und auf den Zuzug von Kindern aus der Ukraine unerlässlich. Träger und Beschäftigte würden nun die versprochene Perspektive erhalten, damit diese wichtige Arbeit fortgesetzt werden könne, erklärte das Ministerium.

Die Förderung betreffe 209 Sprach-Kitas in Sachsen-Anhalt mit 236 halben Fachkraftstellen sowie 20 halben Fachberatungsstellen. In den Sprach-Kitas bleibe damit die Weiterbeschäftigung zunächst bis Ende 2024 gesichert. Die Höhe der Pauschalförderung werde sich am bisherigen Bundesprogramm orientieren.

Das Bundesprogramm „Sprach-Kitas“ war 2016 mit dem Ziel aufgelegt worden, die Bildungschancen von Kindern mit sprachlichen Entwicklungsdefiziten oder Nichtmuttersprachlern zu verbessern. Bundesseitig wurde jedoch Ende Januar entschieden, die Angebote der sprachlichen Bildung künftig als ein Handlungsfeld in das Kita-Qualitätsgesetz aufzunehmen und damit die Entscheidung zur Weiterführung den Ländern zu überlassen. In der Folge werden die Sprach-Kitas nur noch bis Ende Juni aus Bundesmitteln gefördert.



Sachsen klagt über Lehrermangel



Dresden (epd). Nach den Winterferien starten die rund 1.400 öffentlichen Schulen in Sachsen mit insgesamt 817 neu eingestellten Lehrerinnen und Lehrern. Geplant sei die Einstellung von bis zu 1.100 Lehrkräften, teilte das sächsische Bildungsministerium am 23. Februar in Dresden mit. Die Einstellungsverfahren zu den offenen Stellen liefen weiter. Auch wenn im Vergleich zum vergangenen Schulhalbjahr knapp 100 Lehrkräfte mehr eingestellt worden seien, hätte er sich zur Entlastung der Schulen mehr neue Lehrerinnen und Lehrer gewünscht, sagte Kultusminister Christian Piwarz (CDU): „Es fehlt hier nicht an Geld und Stellen, sondern an Köpfen.“

Neben dem Mangel an Bewerbungen sei es nach wie vor schwierig, genügend junge Lehrerinnen und Lehrer für einen Einsatz in ländlichen Regionen zu gewinnen, hieß es. Um die Lücken weiter zu schließen, sollen die Hürden für Seiteneinsteiger gesenkt werden. So könnten zum neuen Schuljahr 2023/2024 auch Absolventinnen und Absolventen von Fachhochschulen ohne Fachzuordnung als Lehrkräfte tätig werden.

Zudem ist den Angaben zufolge geplant, Seiteneinsteiger an Gymnasien in allen Fächern einstellen zu können. Bisher war das nur im Bereich Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik vorgesehen. Auch das Anerkennungsverfahren für Lehrkräfte aus dem Ausland soll beschleunigt werden.



Kinderhilfswerk dringt auf Kindergrundsicherung



Essen/Berlin (epd). Das Deutsche Kinderhilfswerk dringt auf eine zügige Umsetzung der von der Bundesregierung geplanten Kindergrundsicherung. „Die Kindergrundsicherung muss aus den internen Streitereien der Ampel-Koalition unbedingt herausgehalten werden“, sagte der Bundesgeschäftsführer des Kinderhilfswerkes, Holger Hofmann, den Zeitungen der Essener Funke Mediengruppe (23. Februar). Die Kritik von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), es gebe noch kein Konzept dafür, wies er zurück: „Es liegen seit vielen Jahren Konzepte über die Ausgestaltung einer Kindergrundsicherung auf dem Tisch.“

Man sehe anhand der niedrigen Quoten der Inanspruchnahme beim Kinderzuschlag und beim Bildungs- und Teilhabepaket, dass der bisherige „Förder- und Antragsdschungel“ bei den Sozialleistungen für Kinder und Jugendliche beseitigt werden müsse, sagte der Bundesgeschäftsführer des in Berlin ansässigen Hilfswerks weiter. „Es ist wichtig, dass wir über die Kindergrundsicherung möglichst alle Kinder erreichen und ihren Familien einen diskriminierungsfreien Zugang zu dieser staatlichen Unterstützung anbieten.“

In der Ampel-Koalition gibt es Streit um die Haushaltsplanung. Dabei geht es auch um Ausgestaltung und Etat der von Familienministerin Lisa Paus (Grünen) geplanten Kindergrundsicherung. Laut Finanzminister Lindner sind die Haushaltsmittel begrenzt, Steuererhöhungen lehnt die FDP ab. Die Kindergrundsicherung soll ab 2025 ausgezahlt werden und bisherige Familienleistungen bündeln. Zugleich sollen Zugangshürden für Familien abgebaut werden.



Linke in Sachsen-Anhalt kritisiert Seniorenpolitik



Magdeburg (epd). Die Linksfraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt wirft der Landesregierung eine fehlende Strategie zur gesellschaftlichen Teilhabe von Senioren im Land vor. „Altersarmut ist eine tickende Zeitbombe“, sagte die Linken-Abgeordnete Monika Hohmann am 24. Februar bei einer Debatte im Landtag in Magdeburg. Gerade Menschen im ländlichen Raum würden oft vergessen.

Die Linke setzt sich dafür ein, das im Jahr 2020 ausgelaufene seniorenpolitische Programm „Aktiv und selbstbestimmt“ bis Ende dieses Jahres in Zusammenarbeit mit der Landesseniorenvertretung fortzuschreiben. Ein entsprechender Entschließungsantrag wurde allerdings mit großer Mehrheit abgelehnt. Stattdessen wurde ein Alternativantrag der Regierungsfraktionen CDU, SPD und FDP beschlossen, der dem Land mehr Zeit für die Fortschreibung einräumt.

Hohmann kritisierte, dass von den 25 Maßnahmen und Projekten im mittlerweile beendeten Programm nur rund ein Viertel umgesetzt worden sei. Dabei handle es sich vor allem um bundesfinanzierte Programme, die nach ihrem Auslaufen nicht vom Land fortgeführt worden seien. Das gelte insbesondere für sogenannte „Mehrgenerationenhäuser“.

Sozialministerin Petra Grimm-Benne (SPD) entgegnete, die Altenhilfe bleibe vorrangig eine Aufgabe der Kommunen. „Wir sind nicht zentralistisch unterwegs“, so die Ministerin. Sie wolle „in einem dialogorientierten Entstehungsprozess“ mit der Landesseniorenvertretung Leitlinien beispielsweise gegen Vereinsamung oder zum barrierefreien Wohnen erarbeiten. Sachsen-Anhalt ist laut Statistik das Bundesland mit der ältesten Bevölkerung in Deutschland.



Bundesarbeitsgericht billigt unterschiedlich hohe Nachtzuschläge



Erfurt (epd). Tarifliche Nachtarbeitszuschläge dürfen bei regelmäßiger und unregelmäßiger Nachtarbeit unterschiedlich hoch sein. Das hat das Bundesarbeitsgericht geurteilt und verschieden hohe Nachtschichtzuschläge bei Coca-Cola, frischli Milchwerke, Nestle und der FrieslandCampina Kievit GmbH für zulässig erklärt. Eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung liege nicht vor, urteilten die Erfurter Richter am 22. Februar. (AZ: 10 AZR 332/20 und weitere)

Im ersten Fall hatte eine Mitarbeiterin von Coca-Cola in Berlin geklagt. Nach dem einschlägigen Tarifvertrag der Erfrischungsgetränke-Industrie Berlin und Region Ost betrug der Zuschlag für regelmäßige Nachtarbeit in Schichten 20 Prozent, für unregelmäßige Nachtarbeit 50 Prozent.

Die Arbeitnehmerin sah in der Unterscheidung zwischen unregelmäßiger und regelmäßiger Nachtarbeit einen Verstoß gegen den im Grundgesetz und der EU-Grundrechtecharta enthaltenen Gleichbehandlungsgrundsatz. Regelmäßige Nachtarbeit sei deutlich belastender als die seltene, außerhalb von Schichtsystemen geleistete unregelmäßige Nachtarbeit.

Coca-Cola argumentierte, dass die Tarifparteien mit der unterschiedlichen Bezahlung den ihr zustehenden Gestaltungsspielraum eingehalten haben. Höhere Zuschläge bei ungeplanter Nachtarbeit seien begründet, da so die Beschäftigten auch einen Ausgleich für den Eingriff in ihre Freizeit erhielten. Bei regelmäßiger Nachtarbeit könnten Arbeitnehmer dagegen ihr Freizeitverhalten danach ausrichten. Das sei weniger belastend.

Nachdem der Europäische Gerichtshof in dem Fall geurteilt hatte, dass EU-Recht nicht die Vergütung von Nachtarbeitszuschlägen regele (AZ: C-257/21), war das Bundesarbeitsgericht wieder am Zug.

Sachlicher Grund müsse vorliegen

Die obersten deutschen Richter urteilten nun, dass unterschiedliche Nachtarbeitszuschläge im Tarifvertrag erlaubt sind, wenn hierfür ein sachlicher Grund besteht. Die Nachtarbeitszuschläge seien ein angemessener Ausgleich für die gesundheitlichen Belastungen. Der höhere Zuschlag für die unregelmäßige Nachtarbeit solle aber zusätzlich weitere Belastungen der Beschäftigten wegen der schlechteren Planbarkeit dieser Art der Arbeitseinsätze ausgleichen. Wie dieser Ausgleich erfolgt, liege im Ermessen der Tarifparteien, befand das Bundesarbeitsgericht.

Bei nicht tarifgebundenen Unternehmen hatte das Gericht bereits am 9. Dezember 2015 im Fall eines Paketauslieferers entschieden, dass bei ständigen Nachtschichten grundsätzlich ein „angemessener“ Nachtarbeitszuschlag von 30 Prozent zu zahlen ist, bei nicht immer anfallender Nachtarbeit dagegen „regelmäßig“ 25 Prozent (AZ: 10 AZR 423/14). Tarifverträge können davon aber abweichen.



Verletzung auf dem Weg zum Kaffeeautomaten ist Arbeitsunfall



Darmstadt (epd). Wenn Beschäftigte sich am Arbeitsplatz beim Gang zum Getränkeautomaten verletzen, ist das ein Arbeitsunfall. Das „Zurücklegen eines Weges, um sich Nahrungsmittel zu besorgen“ sei grundsätzlich versichert, entschied das Hessische Landessozialgericht in Darmstadt in einem am 21. Februar veröffentlichten Urteil (AZ: L 3 U 202/21).

Geklagt hatte eine bei einem Finanzamt tätige Verwaltungsangestellte. Die 57-Jährige war auf einem nassen Fußboden ausgerutscht, als sie sich im Sozialraum der Behörde einen Kaffee holen wollte, und hatte dabei einen Lendenwirbelbruch erlitten.

Die zuständige Unfallkasse wollte die Verletzung nicht als Arbeitsunfall anerkennen. Zur Begründung hieß es, der Versicherungsschutz ende regelmäßig mit dem Durchschreiten der Kantinentür. Der 3. Senat des Landessozialgerichts folgte jedoch der Klägerin. Der Sozialraum gehöre eindeutig in den Verantwortungsbereich des Arbeitgebers.



Thüringen bereitet Einmalzahlung an Studierende vor



Erfurt (epd). Die Thüringer Landesregierung hat die nötigen Vorkehrungen für die Auszahlung der Energiepauschale an Studierende getroffen. Zur Umsetzung des Bundesprogramms habe das Kabinett die erforderliche Durchführungsverordnung erlassen, teilte die Landesregierung am 21. Februar nach der Sitzung des Kabinetts in Erfurt mit. In Thüringen seien rund 150.000 Studierende und rund 15.650 Fachschülerinnen und Fachschüler anspruchsberechtigt. Diese müssten sich zur Antragstellung in einem Onlineportal anmelden, das am 15. März freigeschaltet werde. Die notwendigen Anmeldedaten erhielten sie von ihrer jeweiligen Bildungseinrichtung.

Nach positiver Prüfung der Anträge durch die Online-Plattform werde zeitnah die Auszahlung der 200 Euro an die Antragstellerinnen und Antragsteller über die Bundeskasse veranlasst, teilte die Staatskanzlei mit. Die Einmalzahlung von 200 Euro für Studierende, Fachschülerinnen und Fachschüler nach dem Studierenden-Energiepreispauschalengesetz wurde von der Bundesregierung auf den Weg gebracht. Die Einmalzahlung soll junge Menschen angesichts der höheren Belastungen durch gestiegene Kosten für Heizung, Strom und Lebensmittel unterstützen.



Mehr Krankschreibungen 2022 als im Pandemie-Jahr 2021



Berlin (epd). Die Menschen in Deutschland waren 2022 deutlich mehr krankgeschrieben als im Pandemie-Jahr davor. Das geht aus einer Analyse des Barmer Instituts für Gesundheitssystemforschung (bifg) hervor, die am 21. Februar in Berlin veröffentlicht wurde. Demnach gab es im vergangenen Dezember im Bundesdurchschnitt 231 Krankschreibungen je 1.000 Versicherte mit Krankengeldanspruch. Das waren mehr als doppelt so viele wie im Dezember 2021 mit 102 Krankschreibungen je 1.000 Arbeitnehmer. Den höchsten Wert im Jahr 2021 gab es im November mit 155 Arbeitsunfähigkeitsfällen je 1.000 Versicherte mit Anspruch auf Krankengeld.

Laut der Auswertung war im vergangenen Jahr auch der Anteil der Krankschreibungen mit einer Corona-Diagnose unter allen Arbeitsunfähigkeiten zu jedem Zeitpunkt höher als im Pandemie-Jahr 2021. Während im Juli 2021 nur 0,9 Prozent aller Krankschreibungen einen Corona-Bezug hatten, lag der Anteil im Juli 2022 bei 20,2 Prozent und damit um mehr als das 22-Fache höher. Den geringsten Unterschied gab es im November 2021 und 2022, als bei 5,5 beziehungsweise 7,2 Prozent aller Krankschreibungen eine Corona-Diagnose gemeldet wurde.

Sowohl 2021 als auch 2022 gab es zudem deutliche regionale Unterschiede bei den Krankschreibungen. Die meisten Krankschreibungen gab es im Dezember 2022 in Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Bremen mit jeweils 268 je 1.000 Versicherte, die wenigsten in Bayern mit 202. Im Jahr 2021 führten Thüringen (133), Sachsen-Anhalt (130) und Brandenburg (122) die Liste an. Die wenigsten Krankschreibungen gab es in Hamburg (85), Baden-Württemberg (92) und Bayern (93).




Gesellschaft

10.000 Menschen demonstrieren in Berlin für Solidarität mit Ukraine




Kundgebung zum Jahrestag des Kriegsbeginns in der Ukraine am 24. Februar in Berlin
epd-bild/Christian Ditsch
Zum Jahrestag des russischen Angriffskrieges haben am 24. Februar Tausende Menschen in Berlin für Solidarität mit der Ukraine demonstriert. Vor der Botschaft Russlands steht ein ausgebrannter russischer Panzer als "Symbol des Untergangs".

Berlin (epd). Tausende Menschen haben am 24. Februar in Berlin für einen sofortigen Rückzug Russlands aus der Ukraine und einen gerechten Frieden für das Land demonstriert. Unter dem Titel „Wir werden nie vergessen“ zogen die Demonstranten am Nachmittag von der Karl-Marx-Allee zur russischen Botschaft an der Straße Unter den Linden und dann weiter zum Brandenburger Tor. Die Polizei sprach von rund 10.000 Teilnehmenden.

Am Brandenburger Tor fand Abend eine weitere Kundgebung unter dem Motto „Den Frieden gewinnen, nicht den Krieg“ statt. Unter den Teilnehmern waren auch Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD), der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev, zahlreiche Bundes- und Europapolitiker und viele Botschafter europäischer Länder.

In einer Videobotschaft dankte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj für die deutsche Unterstützung und Solidarität. „Der 24. Februar 2022 war der schwierigste Tag in der Geschichte unseres Landes“, sagte Selenskyi: „Aber heute halten wir genau ein Jahr der russischen Aggression stand.“

Die Ukraine habe die Welt überrascht und die Ukraine habe die Welt geeint, sagte er weiter. Die Verantwortlichen in Russland würden ihre gerechte Strafe vor einem internationalen Tribunal bekommen.

Auch der ukrainische Botschafter Makeiev dankte für „diese fantastische Solidarität vom ersten Tag an“. Deutschland habe das Land sehr unterstützt. Deutsche Waffen retteten Leben und retteten die Ukraine.

Berlin Regierende Bürgermeisterin sagte „wir werden die Ukraine im Freiheitskampf weiter unterstützen. Lassen Sie uns darin nicht nachlassen“. Sie dankte den Berlinerinnen und Berlinern für ihre Hilfe für die Zehntausenden ukrainischen Flüchtlinge: „Berlin hat gezeigt, dass es eine Stadt der offenen Arme und offenen Herzen ist.“

Zu der Ukraine-Solidaritätsdemonstration zum ersten Jahrestag des russischen Angriffskrieges hatten unter anderem der deutsch-ukrainische Verein Vitsche Berlin und das Zentrum Liberale Moderne aufgerufen. Im Laufe des Freitags hatte es zahlreiche weitere Demonstrationen, Mahnwachen und Aktionen gegeben. Bei einer Schülerdemonstration in Berlin-Mitte zählte die Polizei etwa 500 Teilnehmende.

Vor der russischen Botschaft in der Straße Unter den Linden war am Freitagmorgen ein ausgebrannter russischer T-72 Panzer aufgestellt worden. Das Kriegsgerät soll nach Angaben der Initiatoren ein Wochenende lang neben der interaktiven Kunstinstallation „Russkij Mir“ („Russische Welt“ oder „Russischer Friede“) stehen bleiben.

Einige der russischen Panzer, die vor einem Jahr Richtung Kiew vorstießen, hätten die Aufschrift „Nach Berlin“ gehabt, erklärten die Initiatoren vom Museum „Berlin Story Bunker“, Wieland Giebel und Enno Lenze: „Mit der Ausstellung wird der Wunsch der russischen Terroristen erfüllt: Ihre Panzer stehen in Berlin. Nur anders, als sie sich das dachten.“ Der durch eine Mine nahe Butscha zerstörte Panzer sei ein „Symbol des Untergangs“von Putin und Co.

Um die Aufstellung hatte es monatelangen Streit gegeben. Das Bezirksamt Mitte hatte die Aufstellung abgelehnt. Im Oktober 2022 hatte das Verwaltungsgericht Berlin den Bezirk verpflichtet, die Aufstellung zu genehmigen.



Rund 13.000 Menschen bei "Aufstand für den Frieden" in Berlin




Demonstration "Aufstand für den Frieden" am 25. Februar in Berlin
epd-bild/Christian Ditsch
Zum ersten Jahrestag des Angriffs Russlands auf die Ukraine gab es in Berlin zwei Großdemonstrationen. Am 24. Februar forderten 10.000 Menschen Solidarität mit der Ukraine. Deutlich mehr beteiligten sich am 25. Februar an einem "Aufstand für den Frieden".

Berlin (epd). Tausende Menschen haben am 25. Februar bei einer Kundgebung am Brandenburger Tor in Berlin einen sofortigen Stopp von Waffenlieferungen an die Ukraine und die Aufnahme von Waffenstillstandsverhandlungen gefordert. Zu der Kundgebung „Aufstand für den Frieden“ hatten die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und die Publizistin Alice Schwarzer aufgerufen, die vor zwei Wochen auch das umstrittene „Manifest für Frieden“ initiiert haben. Die Veranstalter sprachen von 50.000 Teilnehmenden, die sich zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule versammelt hatten. Die Polizei zählte etwa 13.000 Menschen. Am Freitag hatten in der Berliner Innenstadt etwa 10.000 Menschen für Solidarität mit der Ukraine demonstriert.

In einer Rede nannte Wagenknecht die Kundgebung und das von mehr als 600.000 Menschen unterzeichnete Manifest einen „Startschuss für eine neue, starke Friedensbewegung“. Sie warf der Ampel-Koalition vor, „kriegsbesoffen“ zu sein.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) trampele wie ein Elefant durch einen Porzellanladen. „Von all den grünen Panzernarren fühlen wir uns nicht vertreten“, sagte Wagenknecht unter dem Applaus der Menge und „Baerbock raus“-Rufen. Der FDP Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann warf sie vor, eine Rüstungslobbyistin zu sein. Wagenknecht betonte aber auch, die Ukraine dürfe kein russisches Protektorat werden.

Für die Beendigung des Krieges brauche es keine Panzer, sondern Diplomatie und Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten: „Mit jeder Waffe, die wir in das Pulverfass liefern, wächst die Gefahr eines Weltkriegs. Das muss enden und das ist keine Putin-Propaganda.“ Wer die Gefahr eines nuklearen Infernos in Kauf nehme, stehe nicht auf der richtigen Seite der Geschichte.

„Emma“-Herausgeberin Alice Schwarzer warnte, man könne die große Atommacht Russland nicht besiegen. „Wer das ernsthaft versucht, riskiert das Ende der Welt“, sagte die Publizistin und Frauenrechtlerin. Es sei verbrecherisch, der Ukraine weiszumachen, sie habe eine Chance gegen Russland. Die Politiker pokerten „mit unserer Existenz.“ Die Menschen wüssten es aber besser.

Mit Blick auf die Kritiker des umstrittenen „Manifestes für Frieden“ sagte Schwarzer, das Schüren eines Gut-und-böse-Denkens dämonisiere die Gegner und entmenschliche sie. Der erste Schritt des Krieges sei das Vergiften des gesellschaftlichen Klimas gewesen.

Die Kundgebungsteilnehmer bestanden aus einem Sammelsurium aus alter Friedensbewegung, Linken, Querdenkern, Russland-Freunden und Vertretern des rechten Randes. Neben Friedensfahnen waren auch zahlreiche Fahnen der Querdenker-Partei „Die Basis“ sowie vereinzelt Russland-Fahnen zu sehen. Die blau-gelben Flaggen der Ukraine fehlten dagegen. Für die Versammlung hatte die Polizei das Tragen von militärischen Uniformen, Abzeichen und kriegsverherrlichenden Symbolen untersagt.

Vereinzelt gab es Proteste gegen die Veranstaltung, unter anderem vor der russischen Botschaft, wo zahlreiche Menschen ukrainische Fahnen schwenkten und nach der Kundgebung von abziehenden Kundgebungsteilnehmern beschimpft wurden. Nach Angaben der Polizei blieb aber alles weitgehend friedlich. Sie war mit rund 1.400 Kräften im Einsatz.



Diskussion über Wagenknecht-Schwarzer-Kundgebung in Berlin




Alice Schwarzer (links) und Sahra Wagenknecht am 25. Februar in Berlin
epd-bild/Christian Ditsch
Die für den 25. Februar angekündigte Kundgebung "Aufstand für den Frieden" trifft auf Kritik von Politik und Gesellschaft, jedoch auch auf Unterstützer.

Berlin (epd). Kurz vor Beginn der Kundgebung zum umstrittenen „Manifest für Frieden“ am 25. Februar in Berlin gibt es erneut Diskussionen über die politischen Ziele der Initiative. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte im ARD-„Brennpunkt“ am 24. Februar, dass es nachvollziehbar sei, dass man sich Frieden wünsche. Wagenknecht und ihre Unterstützer wollten jedoch etwas als Frieden verkaufen, was „ein Diktator, ein imperialistischer Diktator, Europa aufzwingt“. Wagenknecht und ihre Unterstützer betrieben eine „Irreführung der Bevölkerung“. Die evangelische Theologin Margot Käßmann verteidigte erneut ihre Unterstützung des Manifests, räumte aber zugleich ein, sie verstehe die Kritiker.

Das „Manifest für Frieden“ wurde von der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und der Publizistin Alice Schwarzer initiiert. Es war in die Kritik geraten, weil es zu Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien im russischen Angriffskrieg auf die Ukraine aufruft und von beiden Seiten Zugeständnisse fordert. Am 25. Februar werden in Berlin rund 10 000 Teilnehmende zu einer Kundgebung „Aufstand für den Frieden“ erwartet, zu der Wagenknecht und Schwarzer aufgerufen hatten.

Linken-Chefin Janine Wissler forderte mit Blick auf die Kundgebung eine klare Abgrenzung zu Rechtsradikalen. Entscheidend sei, „dass AfD-Politiker und andere bekannte Rechtsradikale auf der Kundgebung nicht toleriert werden und es eine deutliche Abgrenzung gibt“, sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe (25. Februar): „Dazu gehört die klare Aussage, dass organisierte Rechte auf der Demonstration nichts zu suchen haben.“

Auch die SPD-Parlamentsgeschäftsführerin Katja Mast forderte in den Funke-Zeitungen von Wagenknecht und Schwarzer eine klare Abgrenzung nach rechts. „Halbherzige Distanzierungen reichen nicht“, sagte sie.

Die evangelische Theologin Margot Käßmann verteidigte im Deutschlandfunk am 25. Februar erneut ihre Unterstützung des Manifests: „Aber ich verstehe die Kritiker“. Sie begreife an der Kritik inzwischen, dass es wichtig gewesen wäre, in der Petition den russischen Präsidenten Wladimir Putin als „alleinigen Kriegstreiber“ zu verurteilen. Sie wünsche sich jedoch von denjenigen, die „so dezidiert entschieden für Waffenlieferungen“ plädierten, auch diesen „leisen Zweifel einmal zulassen würden, dass auch sie Unrecht haben könnten.“ Käßmann wird an der Kundgebung wegen der fehlenden Abgrenzung nach rechts nicht teilnehmen.

Auch die traditionsreiche Friedensorganisation „Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs“ (IPPNW) unterstützt das Manifest.„Wir haben diesen Appell unterschrieben, weil wir denken, dass Waffenstillstand der Weg ist zum Frieden“, sagte die Co-Vorsitzende Angelika Claußen am Samstag im RBB-Inforadio.

Clausen räumte ein, dass der Krieg gegen die Ukraine die IPPNW in ein Dilemma gestürzt habe: „Was müssen wir denn höher bewerten: Das unveräußerliche Recht auf Leben und Gesundheit, für das wir Ärztinnen und Ärzte jeden Tag in unserem Berufsalltag einstehen, oder das Recht der ukrainischen Bevölkerung und des ukrainischen Staats auf Selbstverteidigung gegen diesen russischen Angriffskrieg?“



"Save the Children": Ukraine-Krieg tötet täglich Kinder



Kinder leiden laut "Save the Children" am stärksten unter den Folgen des Ukraine-Krieges. Viele von ihnen lebten in ständiger Angst, wenn sie nicht selbst umkommen oder verletzt werden. Im Kampf ums Überleben komme auch Bildung zu kurz.

Berlin (epd). In der Ukraine sind laut „Save the Children“ seit dem russischen Überfall täglich mindestens vier Kinder verletzt oder getötet worden. Die Hilfsorganisation beklagte darüber hinaus am 20. Februar bei der Vorstellung der Studie „A Heavy Toll“ („Ein hoher Tribut“) sexuelle Gewalt und Folter an Minderjährigen. Mindestens 17,7 Millionen Menschen seien dort auf humanitäre Hilfe angewiesen, darunter 4,1 Millionen Mädchen und Jungen.

Von dem Krieg seien mit den Kindern diejenigen am stärkten betroffen, die am wenigsten Verantwortung trügen, heißt es in dem Bericht über die Auswirkungen des russischen Angriffskrieges. Seit dem Beginn der landesweiten Angriffe am 24. Februar 2022 hätten sie sich durchschnittlich 920 Stunden, rund einen Monat, im Untergrund verstecken müssen. Im vergangenen Jahr hätten 16.207 Mal Sirenen vor Raketenangriff oder Beschuss gewarnt. Allein in der Region Charkiw hätten rund 1.700 Sirenen insgesamt rund 1.500 Stunden geheult.

Entlang der Frontlinie im Südosten der Ukraine höre der Beschuss fast nie auf. Wegen der ständigen Angriffe hätten Familien bis zu acht Stunden am Stück unter der Erde Schutz suchen müssen, heißt es unter Hinweis auf offizielle Quellen.

Zudem stellten Minen und nicht explodierte Kampfmittel ein lebensgefährliches Risiko für rund zwei Millionen Kinder in der Ukraine dar. Rund 250.000 explosive Kampfmittelrückstände seien bereits geräumt worden. „Save the Children“ warnte davor, dass in den vom Krieg betroffenen Regionen Millionen weitere Sprengkörper zurückgeblieben seien.

Der Bericht beschreibt Gefahren, denen Jungen und Mädchen in der Ukraine täglich ausgesetzt sind, fehlenden Zugang zu Bildung und seelische Belastungen durch das Erleben von Gewalt und Vertreibung. Viele Kinder lebten dort in ständiger Angst, sagte die Geschäftsführerin von „Save the Children“, Inger Ashing.

Auch der Zugang zur nötigen Bildung für Kinder und Jugendliche sei stark eingeschränkt, beklagte die zuständige Länderdirektorin der Hilfsorganisation, Sonia Khush: „Viele Kinder mussten mit ansehen, wie ihre Häuser und Schulen zerstört wurden und ihre Angehörigen im Granaten- und Raketenbeschuss starben.“

Zahlreiche Kinder seien auf Online-Unterricht angewiesen, da Schulen wegen der Kämpfe geschlossen seien, heißt es in dem Bericht. Knapp ein Drittel der Minderjährigen (30 Prozent) habe einen eigenen Computer. Stromausfälle erschwerten die Teilnahme am Unterricht. Zahlreiche Kinder hätten darüber hinaus seit mehreren Jahren aufgrund des Konflikts im Osten des Landes, der Corona-Maßnahmen und der derzeitigen Kämpfe Schuljahre verloren.

Vor diesem Hintergrund forderte „Save the Children“ die Einhaltung des humanitären Völkerrechts. Zivilisten sowie zivile Infrastruktur wie Schulen, Wohnhäuser und Krankenhäuser müssten vor Angriffen geschützt werden.

„Save the Children“ ist nach eigenen Angaben seit 2014 in der Ostukraine tätig. Seit Kriegsbeginn weitete die Hilfsorganisation ihre Einsätze auch in anderen Landesteilen aus. Seither versorgte sie demnach rund 800.000 Menschen, darunter 436.500 Kinder, unter anderem mit Lebensmitteln und Wasser.



Haseloff wirbt für anhaltende Solidarität mit der Ukraine



Magdeburg (epd). Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) hat vor dem Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine am Freitag zu anhaltender Solidarität aufgerufen. „Dieser Krieg hat zu einem unsäglichen Leid der Zivilbevölkerung geführt, und das Leid und die Zerstörungen nehmen jeden Tag weiter zu“, sagte er am 22. Februar in Magdeburg. Die Bevölkerung in Sachsen-Anhalt zeige auch weiterhin große Hilfsbereitschaft für die geflüchteten Menschen aus der Ukraine. Das beeindrucke ihn sehr.

„Wir dürfen die Hoffnung auf Frieden nicht aufgeben“, betonte der Ministerpräsident. Es brauche Solidarität mit der Ukraine, da sich Putin aktuell nicht an einer Verhandlungslösung interessiert zeige. „Dieser Krieg ist auch ein Angriff auf unsere Freiheit und unsere Werte“, erklärte Haseloff.

Wie das Innenministerium mitteilte, kann vor den Dienstgebäuden des Landes am Freitag anlässlich des Jahrestages des russischen Angriffs die Nationalflagge der Ukraine gehisst werden. Am 24. Februar jährt sich der erste Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine.



Umfrage: Hilfsbereitschaft gegenüber Ukrainern bleibt stabil



Berlin (epd). Ein Jahr nach Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine ist die Hilfsbereitschaft der deutschen Bevölkerung gegenüber Flüchtlingen aus dem Land stabil. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) hervor, die am 24. Februar in Berlin veröffentlicht wurde. Der Wille zur Unterstützung habe sich seit der vorherigen Umfrage des DeZIM im Juli 2022 nicht verändert und das Engagement der Bevölkerung für die Geflüchteten sei nicht zurückgegangen. Nur kurz nach Ausbruch des Krieges sei es etwas höher gewesen.

Demnach steht auch die Mehrheit der Deutschen hinter den Sanktionen gegen Russland, die etwa zu höheren Energiekosten führt. Fast zwei Drittel (62 Prozent) sprechen sich für schärfere wirtschaftliche Sanktionen aus und sind bereit, dafür Mehrkosten in Kauf zu nehmen.

Forscher Jannes Jacobsen sagte, dass mehr als jeder zweite Deutsche sich auch weiter vorstellen könne, für Geflüchtete aus der Ukraine Geld zu spenden: „Fast jeder Zweite erwägt zudem, sich ehrenamtlich zu engagieren. Und beinahe jeder Fünfte zeigt sich bereit, geflüchtete Menschen aus der Ukraine vorübergehend privat aufzunehmen.“

Institutsdirektor Frank Kalter sagte, dass die vorliegenden Daten zudem nicht darauf hindeuteten, dass ein baldiges Kippen der Stimmung gegenüber ukrainischen Flüchtlingen droht: „Die Bereitschaft zu helfen ist weiterhin sehr groß.“



Kipping: 60.000 Ukraine-Flüchtlinge in Berlin



Berlin (epd). Ein Jahr nach dem Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine halten sich in Berlin rund 60.000 Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten auf. Darunter verfügten 50.000 mittlerweile über Aufenthaltstitel, sagte Berlins Sozialministerin Katja Kipping (Linke) am 21. Februar im Anschluss an die Senatssitzung. An Berliner Bahnhöfen seien seit dem Beginn des Überfalls am 24. Februar vergangenen Jahres 360.000 Flüchtlinge aus der Ukraine angekommen, sagte Kipping. Zwischenzeitlich sei die Zahl derjenigen, die in Berlin geblieben seien, auf 100.000 geschätzt worden.

Rund 25.000 der Menschen beziehen nach Angaben von Kipping heute Leistungen der Jobcenter. Etwa 90 Prozent von ihnen spreche ausschließlich Ukrainisch oder Russisch. 7.500 ukrainische Kinder lernten mittlerweile an Berliner Schulen.

Laut Kipping sind unter den Flüchtlingen aus der Ukraine besonders viele Menschen mit besonderen Bedarfen. Deshalb habe das Land Berlin im vergangenen Jahr 14 Millionen Euro und für das laufende Jahr 18,8 Millionen Euro für Integrationsmaßnahmen zur Verfügung gestellt. Das Landesamt für Flüchtlinge (LAF) stelle mittlerweile 32.350 Plätze in qualitätsgesicherten Unterkünften zur Verfügung. Weitere 4.200 Flüchtlinge seien in anderen Unterkünften untergebracht. Ein Großteil der Menschen aus der Ukraine lebe aber weiterhin bei Freunden oder Verwandten. Die Hilfe gelte den Menschen aus der Ukraine, sagte Kipping. Sie sei aber auch ein Zeichen an Russland.



Argumente gegen Russland-Sanktionen sind "Dummheit des Jahres"



Halberstadt (epd). Die Argumentation gegen die Russland-Sanktionen und gegen die Unterstützung der Ukraine ist zur „Dummheit des Jahres“ gekürt worden. Für die zum zweiten Mal vergebene Schmähauszeichnung seien knapp 100 Vorschläge eingereicht worden, teilte das Gleimhaus Halberstadt als Initiator am 21. Februar mit. In „Reinform“ liege diese Dummheit in dem offenen Brief der Kreishandwerkerschaft Halle-Saalekreis an Bundeskanzler Olaf Scholz vom 17. August 2022 vor. In dem Schreiben werde diese Position zudem als die Mehrheitsmeinung des Volkes dargestellt

Die Annahme, die Unterstützung verlängere das Leiden der ukrainischen Bevölkerung, bedenke nicht die Konsequenzen einer russischen Herrschaft für die ukrainische Bevölkerung, erklärte Jurorin Heidi Kastner, Expertin für forensische Psychiatrie und Verfasserin eines Buches über die Dummheit. Wenn gefordert werde, die Sanktionen gegen Russland aufzugeben, um den westlichen Lebensstandard nicht zu gefährden, dann liege dem ein einfältiges Verständnis von Lebensstandard zugrunde.

Laut dem Gleimhaus haben mehrere Einsendungen den russischen Angriff an sich als „Dummheit des Jahres“ nominiert, andere die westlichen Sanktionen oder die Forderungen nach einem Ende der Sanktionen.

Das Gleimhaus Halberstadt versteht sich als Museum der deutschen Aufklärung. Die Aufklärung, die die Vernunft zum leitenden Prinzip erklärt hat, war nichts anderes als ein Kampf gegen die Dummheit. Diese ist demnach ebenfalls ein zentrales Thema des Hauses. Im Januar war die Öffentlichkeit aufgerufen worden, ihre Favoriten für die „Dummheit des Jahres“ einzureichen.



Ein Jahr Krieg in der Ukraine: Verunsicherung und Durchhaltewillen




Mario Göb
Christoph Püschner/Diakonie Katastrophenhilfe
Fast 68 Millionen Euro hat die Diakonie Katastrophenhilfe an Spenden für die Ukraine-Hilfe eingenommen. Programmkoordinator Mario Göb berichtet ein Jahr nach Kriegsbeginn über die Stimmungslage bei den Menschen vor Ort.

Berlin (epd). Fast 68 Millionen Euro hat die Diakonie Katastrophenhilfe an Spenden für die Ukraine-Hilfe eingenommen. Im Interview mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) spricht Programmkoordinator Mario Göb ein Jahr nach Kriegsbeginn über die Stimmungslage bei den Menschen vor Ort, die Lieferung von Generatoren und einen späteren Wiederaufbau des Landes.

epd: Wie geht es den Menschen in der Ukraine ein Jahr nach Kriegsausbruch?

Mario Göb: Die Menschen sind nach wie vor sehr angespannt. Beeindruckend sind der Durchhaltewillen, der Zusammenhalt und das Aufbäumen gegen die Situation. Unter dieser Oberfläche ist aber zunehmend Verunsicherung und Sorge zu spüren. Ich muss oft an eine ältere Dame denken, die ich kürzlich im Norden des Landes traf. Ihr Haus ist zerstört, sie wohnt seit nahezu einem Jahr in ihrer ungeheizten Garage und weiß nicht, wie es weitergehen soll. Die Menschen wollen ihren Alltag zurück. Das ist in weiten Landesteilen nicht gegeben, ein Ende des Krieges derzeit nicht absehbar. Natürlich ist die Lage regional sehr unterschiedlich. Der Konflikt im Osten mit Kampfhandlungen in unmittelbarer Nähe bringt eine ganz andere Situation mit sich als etwa in Kiew. Dennoch: Landesweit sind die Menschen noch immer im Ausnahmezustand. Bisher war auch keine Zeit, die traumatischen Geschehnisse aufzuarbeiten. Die Kraft der Menschen lässt nach meinem Eindruck ein wenig nach. Sie realisieren immer mehr, dass ein Kriegsende nicht greifbar ist.

epd: Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den ukrainischen Partnern vor Ort?

Göb: Wir arbeiten vor allem mit Vostok SOS zusammen. Das ist eine zivilgesellschaftliche Organisation, die im Zuge der ersten Invasion 2014 im Osten der Ukraine entstanden ist, in der Donezk-Region. Ein kleiner Kreis von Personen hat sich damals wegen der Situation ihres Umfeldes, ihrer Familien, zusammengefunden. Wir arbeiten seit 2015 mit Vostok SOS zusammen, gefördert auch durch Mittel vom Auswärtigen Amt. Seitdem setzen wir gemeinsam humanitäre Projekte in der Ukraine um. Seit dem Angriff Russlands im vergangenen Jahr hat sich die Zusammenarbeit noch mal deutlich intensiviert. Die Organisation mit einem Kernteam von 20 Leuten und einem dichten, landesweiten Netzwerk von Freiwilligen hat ihren Sitz zwischenzeitlich aus dem Osten der Ukraine in den Westen verlegt. Der Fokus der Hilfe liegt aber weiter auf dem Osten des Landes. Der Austausch ist eng, das erfordert auch die dynamische Situation. Vostok SOS arbeitet seinerseits mit lokalen Partnern zusammen, die unmittelbar vor Ort Zugang zu den Hilfebedürftigen haben.

epd: Was sind die häufigsten Problemlagen, mit denen Vostok SOS konfrontiert wird?

Göb: Wir setzen zusammen drei große Projekte um: Hilfspakete, Winterhilfe und Wärmestuben. Hilfspakete mit Nahrungsmitteln und Hygieneartikeln werden an verschiedenen Stellen des Landes an Bedürftige verteilt. Die Winterhilfe umfasst die Lieferung von Generatoren, Akkus, Kleidung, Bettzeug, Elektroheizungen und Öfen. Es gibt in der Ukraine rund 5,4 Millionen Menschen, die intern im Land aufgenommen werden müssen, etwa in Geflüchtetenunterkünften. Auch die müssen versorgt werden. Bei den Wärmestuben geht es wie bei ähnlichen Projekten hierzulande um Zelte zum Aufwärmen, in denen dann auch soziale Kontakte stattfinden und weitere Hilfe angeboten werden kann, etwa psychosoziale Unterstützung. Ebenso unterstützen wir inzwischen Evakuierungen von Menschen aus den kürzlich befreiten Gebieten, in denen die Infrastruktur zusammengebrochen ist.

epd: Wie hat sich das Spendenaufkommen entwickelt?

Göb: Wir sind sehr dankbar, dass wir fast 68 Millionen Euro Spenden für die Ukraine eingenommen haben und dadurch innerhalb des ersten Halbjahres 2022 das größte Hilfsprogramm unserer Geschichte auf die Beine stellen konnten. Wir haben 643.000 Menschen mit 30 Hilfsprojekten unterschiedlicher Größe erreicht. Dafür arbeiten wir mit 21 Partnerorganisationen und Netzwerken in zwölf Ländern zusammen, insbesondere in den Nachbarstaaten der Ukraine, aber auch hier in Deutschland. Alles in allem ist das ein riesiges Programm. Natürlich hängt die Spendenbereitschaft der Menschen immer an medialer Aufmerksamkeit, an der Konkurrenz mit anderen humanitären Katastrophen. In diesem Jahr werden voraussichtlich weltweit mehr Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen sein als jemals zuvor, aktuell kommen die vielen Erdbebenopfer in der Türkei und in Syrien dazu. Dennoch haben wir nach wie vor vergleichsweise starke Spendeneinnahmen, vermutlich auch wegen der geografischen Nähe zur Ukraine. Dies ist auch wichtig, denn die humanitären Bedarfe im Land sind mit knapp 18 Millionen vulnerablen Menschen nach wie vor extrem hoch.

epd: Was sind die drängendsten Probleme bei der Hilfe für die ukrainischen Flüchtlinge hier in Deutschland?

Göb: Es gibt inzwischen ein Gefühl der Überforderung an verschiedenen Stellen, etwa bei den Kommunen. Natürlich ist die Unterbringung von mehr als einer Million Menschen in Deutschland eine enorme Herausforderung. Wenn man von der anderen Seite schaut, stellt sich die Lage vielfach noch dramatischer dar: In der Ukraine sind Helferinnen und Helfer an der Grenze zur Überforderung. Dennoch ist die Hilfsbereitschaft nach wie vor beeindruckend groß, auch ein Jahr nach Beginn des russischen Angriffskrieges. Es gibt ein riesengroßes Engagement von vielen Freiwilligen. Darauf kann unser Land stolz sein. Aber natürlich ist die Aufrechterhaltung dieser Unterstützung nach nunmehr zwölf Monaten eine Herausforderung. Je schneller Integration gelingt, desto mehr werden Kommunen und auch Sozialsysteme entlastet. Wir brauchen eine kluge Integrationspolitik.

epd: Wird in Deutschland ein Jahr nach Kriegsbeginn zu viel über Waffengattungen und zu wenig über die humanitäre Katastrophe in der Ukraine gesprochen?

Göb: Dass diese Debatte über Waffenlieferungen geführt wird, ist verständlich. Wir sind allerdings ein humanitärer Akteur. Wir kümmern uns um die Menschen, die am bedürftigsten sind. Was den Umfang der Debatte über Waffenlieferungen angeht, ist das zuweilen ein wenig unheimlich. Es ist schwer zu verstehen, wie stark der mediale Fokus auf dieser Frage liegt. Das führt zwangsläufig dazu, dass andere Themen hinten runterfallen. Das ist sehr schade für die Menschen, die dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen sind. Humanitäre Themen sind nach wie vor drängend, nicht nur die Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine.

epd: Diplomatie, Waffenlieferungen, humanitäre Hilfe - was ist jetzt am wichtigsten?

Göb: Für uns als humanitärer Akteur steht natürlich diese Hilfe an erster Stelle. Wenn Sie die ältere Dame fragen, die kürzlich aus einem zurückeroberten Gebiet evakuiert wurde und jetzt in einem Heim lebt, wird sie auf die humanitäre Hilfe verweisen, die ihr das Weiterleben überhaupt erst ermöglicht hat. Unsere Hilfe konzentriert sich auf die Menschen in Not. Das ist für uns das entscheidende Thema. Die anderen Bereiche sind wichtig, keine Frage. Da ringen wir insgesamt als Gesellschaft um Antworten.

epd: Dieser Tage fand eine Wiederaufbaumesse in Warschau statt. Was kann und was muss Deutschland hier perspektivisch leisten?

Göb: Eine erste Einschätzung der ukrainischen Regierung geht von 750 oder 800 Milliarden Euro für den Wiederaufbau aus. Ob das überhaupt reicht, wird intensiv diskutiert. Angesichts der jetzigen Lage ist unklar, wann der Wiederaufbau beginnen könnte. Andererseits dürfen die Planungen nicht erst anfangen, wenn der Krieg vorbei ist. Wir müssen jetzt planen, um in einer guten Ausgangslage zu sein, wenn es so weit ist. Leider gibt es bisher vor allem regionale Initiativen, auch hier in Deutschland. Was wir bräuchten, wäre eine europäische Plattform für den Wiederaufbau.

epd-Gespräch: Jens Büttner


Ausgebranntes Panzerwrack vor russischer Botschaft




Panzerwrack vor russischer Botschaft in Berlin
epd-bild/Gordon Welters
Zum Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine ist vor der russischen Botschaft in Berlin ein ausgebrannter russischer T-72 Panzer aufgestellt worden. Die Kunstaktion sollte deutlich machen, welcher Bedrohung die besetzten Gebiete ausgesetzt sind.

Berlin (epd). Zum Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine ist am 24. Februar vor der russischen Botschaft in Berlin ein ausgebrannter russischer T-72 Panzer aufgestellt worden. Der Panzer soll nach Angaben der Initiatoren ein Wochenende lang neben der interaktiven Kunstinstallation „Russkij Mir“ („Russische Welt“ oder „Russischer Friede“) stehen bleiben. Die Kunstaktion solle deutlich machen, welcher Bedrohung die besetzten Gebiete ausgesetzt sind.

Wieland Giebel vom Museum „Berlin Story Bunker“ sagte als einer der Initiatoren bei der Vorstellung der Protestaktion: „Das Abschlachten an der Front, Raketen gegen Schulen und Krankenhäuser, gegen so viele Wohngebiete sind Kriegsverbrechen.“ Der Panzer sei ein Symbol des Untergangs. „Wer solche Kriegsverbrechen begeht, wird scheitern“, sagte er mit Blick auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Enno Lenze vom Museum „Berlin Story Bunker“ ergänzte, der durch eine Mine zerstörte Panzer zeige die „Vergänglichkeit von Mensch und Maschine“. Anwalt Patrick Heinemann sagte, in der Ukraine entscheide sich, wie die Menschen in Europa leben wollten. Heinemann hatte die Initiatoren der Protestaktion im Streit um die Aufstellung des Panzers mit den Berliner Behörden vertreten.

Um die Aufstellung hatte es monatelangen Streit gegeben. Das Bezirksamt Mitte hatte die Aktion mit der Begründung abgelehnt, dass in dem Wrack „wahrscheinlich Menschen gestorben“ seien. Daher sei die Ausstellung nicht angemessen. Im Oktober 2022 hatte das Verwaltungsgericht Berlin das Bezirksamt verpflichtet, die Aufstellung zu genehmigen.



Ukraine-Krieg: Friedensbewegung ringt um Antworten



Dass Russlands Angriffskrieg gegen das Völkerrecht verstößt, darüber ist sich die Friedensbewegung einig. Auf die Frage aber, wie die Logik des Krieges durchbrochen werden könnte, gibt es unter Friedensaktivisten keine einfachen Antworten.

Bonn (epd). Solidarität mit den Menschen in der Ukraine und das Recht auf Selbstverteidigung - dazu bekennen sich ein Jahr nach dem russischen Angriff auf das Nachbarland zahlreiche Organisationen unter dem Dach des Netzwerks Friedenskooperative. Das Bündnis bekräftigt: „Wir stehen an der Seite derer, die die Logik des Krieges durchbrechen wollen.“ Was das konkret bedeutet, darüber gibt es offenbar unterschiedliche Vorstellungen.

Die Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF) kritisiert, dass die politische Debatte in Deutschland vor allem um Waffenlieferungen kreise. „Ein solcher verengter politischer Diskurs wird der sehr komplexen politischen Situation nicht gerecht“, sagt Geschäftsführer Jan Gildemeister. Militärische Gewalt schaffe keinen Frieden. „Wir vertreten den Vorrang gewaltloser Konfliktlösungen und stellen uns auf die Seite der Opfer von Gewalt“, erläutert er.

Die Aktionsgemeinschaft distanziert sich von dem „Manifest für Frieden“ der Politikerin Sahra Wagenknecht (Linkspartei) und der Feministin und Publizistin Alice Schwarzer. In mehreren deutschen Städten gab es am Wochenende Aktionen unter dem Motto: „Stoppt das Töten in der Ukraine - für Waffenstillstand und Verhandlungen!“

„Ein Fass ohne Boden“

Das Bündnis aus dem Umfeld der evangelischen Kirche verurteilt den Überfall Russlands auf die Ukraine als völkerrechtswidrig. Zugleich werden Anteile westlicher Politik am Unfrieden, eine oft konfrontative Politik der Nato sowie eine unfaire Wirtschafts-, Energie- und Handelspolitik kritisiert. Unterstützung für Kriegsdienstverweigerer aus Russland, der Ukraine oder Belarus sei ein wichtiges Anliegen, erklärt das Bündnis.

Eine Reihe von Online-Veranstaltungen beleuchtet verschiedene Seiten des Krieges und politische und ethische Positionen und Möglichkeiten. Dafür zeichnet die Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) verantwortlich, beteiligt ist auch Attac. Innerhalb der globalisierungskritischen Organisation finden sich sowohl Gegner als auch Befürworter von Waffenlieferungen an die Ukraine.

Für eine differenzierte Betrachtung wirbt auch der Journalist Andreas Zumach, langjähriger Genfer UN-Korrespondent der Berliner „tageszeitung“. Nicht alle, die jetzt für die Lieferung deutscher Waffen seien, würden auch das von Kanzler Olaf Scholz (SPD) verfolgte Rüstungsprogramm von 100 Milliarden Euro unterstützen. Dieser Krieg Russlands sei nicht zu rechtfertigen. „Alle Staaten der Welt hätten das Recht, der Ukraine zu helfen.“

Das Thema Waffenlieferungen für die Ukraine sieht Zumach hingegen skeptisch: „Waffenlieferungen sind ein Fass ohne Boden“, erklärt er. „Wir können uns nur zwischen einem Übel und einem noch größeren Übel entscheiden“, beschreibt er das Dilemma. Dennoch hält er Verhandlungen nicht nur für nötig, sondern auch für möglich.

Von Andreas Duderstedt (epd)


Zentralrat der Juden: Ukraine-Krieg verstärkt Antisemitismus



Berlin (epd). Der Krieg in der Ukraine verstärkt nach Einschätzung des Zentralrats der Juden in Deutschland den Antisemitismus. „Wir haben gesehen, dass, wie so häufig bei Krisen, Radikale und Verschwörungsideologien Zulauf erhalten“, erklärte Zentralratspräsident Josef Schuster am 23. Februar vor dem ersten Jahrestag des russischen Überfalls am 24. Februar in Berlin. Jüdinnen und Juden stünden bei der Suche nach Sündenböcken für Probleme im Land ganz oben auf der Liste. Dieser Trend bestätige sich auch in den jüngsten Statistiken zu antisemitischen Straftaten.

Die jüdischen Gemeinden seien in dieser Situation solidarisch mit der Ukraine. „Unsere Gedanken sind bei den Familien der Opfer dieses Krieges“, sagte der Zentralratspräsident weiter. Die Gemeinden hätten die Geflüchteten aus der Ukraine unterstützt und vor allem in den ersten Monaten Vermittlungsarbeit mit den Behörden geleistet.

Viele Mitglieder der jüdischen Gemeinden hätten Familien und Freunde in der Ukraine und kämen häufig selbst aus dem Land, fügte Schuster hinzu. Andere hätten Verbindungen nach Russland. Sie seien sprachlos über das Vorgehen des Kremls und bestürzt darüber, was das für das Land bedeute.



Ukraine: Städtepartnerschaft über Ländergrenzen



Stuttgart/Dresden (epd). Die Städte Stuttgart, Dresden und Straßburg streben eine gemeinsame Partnerschaft mit der ukrainischen Stadt Chmelnyzkyi an. Bisher stehen bereits die beiden deutschen Städte mit Straßburg, dem Sitz des Europäischen Parlaments, in einer Partnerschaft. Diese Verbindung soll um das westukrainische Chmelnyzkyi erweitert werden, dem der Europapreis 2021 verliehen wurde, wie die Städte am 24. Februar in einer gemeinsamen Pressemitteilung erklärten.

Die vier Städte seien eine „Quadriga für Frieden und Freiheit“, sagte der Stuttgarter Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU). Von der neuen Städtepartnerschaft solle ein „Zeichen der Freundschaft, der Ermutigung und der Solidität ausgehen“. Wie der Dresdner Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) ergänzte, gebe das „innovative Format der vierseitigen Partnerschaft“ die Möglichkeit, den Menschen in der Ukraine eine zielgerichtete Hilfe zu geben, die sich an den lokalen Bedürfnissen orientiere. „Wir sind fest entschlossen, Mitglieder einer großen europäischen Familie zu werden“, bekräftigte der Oberbürgermeister von Chmelnyzkyi, Oleksandr Symchyshyn.

Die vier Oberbürgermeister wollen den Angaben zufolge bis zum Sommer ein Partnerschaftsabkommen unterzeichnen. Davor müsse die Begründung dieser Solidaritätspartnerschaft von den jeweiligen Stadtparlamenten bestätigt werden.



Sachsen will Integration von Ukraine-Flüchtlingen vorantreiben



Dresden (epd). Sachsens Sozialministerin Petra Köpping (SPD) hat am ersten Jahrestag des russischen Überfalls die Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung betont. Es sei kaum vorstellbar, was die Menschen in der Ukraine durchleben müssten, sagte sie am 24. Februar in Dresden: „Deshalb stehen wir denjenigen bei, die hier in Sachsen Zuflucht gefunden haben.“ Rund 50.000 Ukrainerinnen und Ukrainer seien dort mittlerweile untergekommen. Integration sei dabei die Aufgabe, die „wir mit all unserer Kraft angehen“.

Das bedeute konkret, Wohnungen und Arbeit zu finden, Kinder in Kitas und Schulen ankommen zu lassen und eine Perspektive für ein möglicherweise nur vorübergehendes Leben in Sachsen zu geben. Köpping sagte weiter, bei einigen Unterstützern sei die erste Euphorie verflogen. Es handele sich nach wie vor um einen Marathon: „Für viele Probleme brauchen wir einen langen Atem und die Kommunen auch die dafür notwendige finanzielle Unterstützung.“ Die Aufgabe von Politik bestehe darin, weiter für Unterstützung zu werben und gleichzeitig Integrationsangebote zu schaffen.

Frieden und Demokratie seien die Grundlage für Freiheit, Sicherheit und Wohlstand, fügte Köpping hinzu: „Dieser Krieg darf niemals Normalität werden!“ Man fühle sich hilflos angesichts des Schreckens eines Kriegs mitten in Europa, gepaart mit dem Leiden so vieler Menschen.



Brandenburgs Landtag erinnert an Leid in der Ukraine



Potsdam (epd). Am ersten Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine hat Brandenburgs Landtag an das Leid der Menschen im Land erinnert. Die ukrainische Gesandte in Deutschland, Iryna Samchenko, rief bei der Gedenkveranstaltung am 24. Februar in Potsdam zu weiterer Unterstützung für ihr Land auf und dankte für die bisherige Hilfe. Durch die Unterstützung anderer Staaten sei der russische „Blitzkrieg“ gescheitert, sagte sie. Die Menschen in der Ukraine seien jedoch weiter russischem Terror und Gräueltaten ausgesetzt und benötigten weiter Hilfe.

Samchenko betonte, trotz des Krieges blicke ihr Land „zuversichtlich in die Zukunft“. Für die Ukraine sei es wichtig, einen „umfassenden, gerechten und dauerhaften Frieden“ wiederherzustellen, sagte sie. Auch deutsche Unternehmen seien eingeladen, sich am Wiederaufbau zu beteiligen. Die Gesandte betonte zugleich, Brandenburg sei für mehr als 30.000 Menschen aus der Ukraine „ein temporäres Haus geworden“. Auch humanitäre Hilfe sei wichtig für ihr Land.

Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke und Ministerpräsident Dietmar Woidke (beide SPD) riefen Russland zur Beendigung des Krieges auf. Liedtke sagte, zwar sei jede Friedensinitiative gut. Brückenbau und Beschwichtigungen gegenüber Russland seien in diesem Fall jedoch keine Hilfe. Woidke sagte, Brandenburg stehe fest an der Seite der Menschen in der Ukraine. „Russland führt einen Vernichtungskrieg“, sagte der Ministerpräsident: „Der Krieg ist auch ein Krieg gegen unsere europäische Demokratie und Freiheit.“ Dieser „sinnlose Krieg für eine sinnlose Sache“ müsse von Russland beendet werden.



Als einziger Ukrainer an einer deutschen Schule




Ukrainische Kinder im Schulunterricht (Archivfoto)
epd-bild/Matthias Papst
Der zwölfjährige Zhenja kam vor einem Jahr aus der Ukraine nach Deutschland. Fast ohne Deutschkenntnisse muss er an einer Magdeburger Schule klarkommen - und das klappt nicht ohne Schwierigkeiten.

Magdeburg (epd). Der zwölfjährige Zhenja umarmt seine Gesprächspartner bei der Begrüßung. „Er ist eigentlich ein sehr sozialer Mensch“, sagt seine Klassenlehrerein Elke Mähnz. Trotzdem kann sich der Jugendliche nur schwer mit seinen Mitschülern und Lehrern verständigen. Im Mai vergangenen Jahres floh er mit seinen Eltern und Geschwistern aus dem ukrainischen Dnipro, die Familie landete schließlich in Magdeburg. Die dortige Evangelische Sekundarschule nahm den Jungen kurzfristig auf - bis heute ist er hier der einzige Schüler aus der Ukraine.

„Am Anfang gab es fast gar nichts, an das wir anknüpfen konnten“, erinnert sich Elke Mähnz. Zhenja sprach kaum ein Wort Deutsch, musste erst einmal das lateinische Alphabet üben. Immerhin hatte er in der Ukraine schon etwas Englisch gelernt, konnte auf diese Weise mit Schülern und Lehrern kommunizieren. Doch auch jetzt, ein Jahr später, braucht er eine Übersetzerin, mit der er sich auf Russisch verständigt. Im Unterricht nutzt der Sechstklässler ein Tablet, auf dem eine Übersetzungs-App installiert ist.

„Ein bisschen Deutsch hatte ich schon zuhause gelernt“, erzählt der Junge im Gespräch: „Ich konnte auf Deutsch bis zehn zählen.“ Doch nach wie vor komme er im Unterricht nur schwer zurecht, meint seine Klassenlehrerin. In Mathematik, wo die Sprache nicht so entscheidend ist, klappe es einigermaßen. Aber dort, wo Kommunikation auf Deutsch notwendig ist, habe er weiter große Probleme. „In der letzten Zeit gebe ich mir mehr Mühe als vorher“, entgegnet Zhenja. Der Anstoß dazu sei von seinen Eltern gekommen. Sie würden wohl nicht in die Ukraine zurückkehren und richteten sich auf ein dauerhaftes Leben in Deutschland ein, meint Elke Mähnz.

„Es handelt sich nach wie vor um eine sehr herausfordernde Situation im Land“, sagt auch das Bildungsministerium in Sachsen-Anhalt auf Anfrage im Hinblick auf die Integration ukrainischer Schüler. Über 5.700 Ukrainer gehen derzeit in Sachsen-Anhalt zur Schule, darunter fast 2.200 Grundschüler. Knapp über 1.000 Schüler besuchen den Angaben zufolge eine Sekundarschule, die mit der 10. Klasse endet. Zum Vergleich: Fast 1.300 Schüler gehen auf ein Gymnasium.

Nicht alle von ihnen haben eine „Ankunftsklasse“ besucht - laut Bildungsministerium liege dies im Ermessen der Eltern, oder es gebe in der jeweiligen Schule schlicht kein solches Angebot. So war es auch bei Zhenja an der Evangelischen Sekundarschule in Magdeburg. Neben der Übersetzerin hat ihm die Schule eine Förderlehrerin zur Seite gestellt, um dem Jungen beim Erlernen der deutschen Sprache zu helfen. Mittlerweile kümmert sich ein Jugendlicher um ihn, der an der Schule ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) absolviert.

Landesweit wurden laut Bildungsministerium knapp 200 ukrainische Lehrkräfte sowie über 60 Lehrer für Deutsch als Zweitsprache (DaZ) eingestellt, heißt es aus dem Bildungsministerium. Sie würden bedarfsorientiert an den Schulen eingesetzt. Auch die Volkshochschulen und andere Bildungsträger unterstützten die Schulen durch zusätzliche DaZ-Angebote, ebenso die Migrantenorganisationen.

Zhenja hat jedenfalls sehr positive Erfahrungen mit seinem FSJler gemacht, sagt Elke Mähnz. Seitdem sei vieles besser geworden. Am Anfang habe der Junge häufiger den Unterricht gestört, das habe sich mittlerweile gelegt. Auch Zhenja ist zufrieden, wie er erzählt: „Ich habe schon ein paar Freunde gefunden, und überwiegend fühle ich mich hier wohl.“ Schön wäre es aber, wenn noch ein paar Mitschüler aus der Ukraine dazu kämen, meint der Jugendliche. Schulleiter Ferdinand Kiderlen schließt das nicht aus: „Es spricht nichts gegen eine weitere Aufnahme“, sagt er. Zu viele sollten es allerdings nicht werden - das sei auch wieder nicht gut für die Integrationsleistung.

Von Oliver Gierens (epd)


Hunderte bei Gedenkveranstaltung für Erdbebenopfer




Gedenkveranstaltung in Berlin
epd-bild/Christian Ditsch
Vor zwei Wochen bebte die Erde in der Türkei und Syrien. Die Zahl der Opfer liegt inzwischen bei weit über 40.000. Vor dem Brandenburger Tor in Berlin wurde am Montag der Opfer gedacht und Ausdauer bei der Hilfe angemahnt.

Berlin (epd). Zwei Wochen nach dem verheerenden Erdbeben in der Türkei und Syrien hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Menschen in Deutschland zu „ausdauernder Solidarität“ aufgerufen. Bei einer Gedenkveranstaltung für die mehr als 40.000 Opfer sagte das Staatsoberhaupt am 20. Februar vor dem Brandenburger Tor in Berlin, Mitmenschlichkeit bleibe gefragt. Dies gelte „auch dann, wenn die Bilder aus dem Erdbebengebiet längst von anderen Nachrichten verdrängt worden sind“. Jeder könne helfen - praktisch oder durch Spenden.

Zu der Gedenkveranstaltung aufgerufen hatten die Türkische Gemeinde in Deutschland und der Verband Deutsch-Syrischer Hilfsvereine. Die mehreren Hundert Teilnehmer hielten zum Auftakt für eine Schweigeminute inne. Vor zwei Wochen hatten zwei schwere Erdbeben die Grenzregion Syriens und der Türkei erschüttert. Zehntausende Menschen kamen ums Leben, Hunderttausende wurden verletzt.

Die Türkische Gemeinde in Deutschland mahnte anlässlich der Gedenkveranstaltung stärkere Anstrengungen der Bundesregierung bei der Aufnahme von Menschen aus der Erdbebenregion an. Der Bundesvorsitzende Gökay Sofuoglu sagte, nötig seien erleichterte Visabestimmungen. Es sei absurd, wenn Betroffene Pässe, Nachweise der Krankenversicherung oder ein biometrisches Foto vorlegen sollen. Bürokratie müsse jetzt „auf ein echtes Minimum“ reduziert werden. Menschen in der Region hungerten und suchten Schutz vor Kälte. Sofuoglus Co-Vorsitzende Aslihan Yesilkaya-Yurtbay forderte zudem Programme für Wiederaufbauhilfen.

In den Gebieten im Nordwesten Syriens hatte bereits vor den Beben eine humanitäre Krise geherrscht. Bundespräsident Steinmeier appellierte an das Regime des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, Helferinnen und Helfer ihre lebensrettende Arbeit tun zu lassen. Niemand habe das Recht, humanitäre Hilfe zu blockieren.

Die Vorstandsvorsitzende des Verbandes Deutsch-Syrischer Hilfsvereine e.V., Nahla Osman, sagte, durch das Erdbeben werde das andauernde Leid in Syrien wieder von der Weltöffentlichkeit wahrgenommen. Rund 8,8 Millionen Syrer bräuchten dringend Hilfe, die Lage sei dramatisch. Umso unverständlicher sei, dass nur vier Grenzübergänge geöffnet seien.

Bundespräsident Steinmeier dankte in seiner Rede für die Welle der Hilfsbereitschaft in den zurückliegenden zwei Wochen: „Eure Mitmenschlichkeit ist ein Licht in dieser dunklen Zeit! Euer Mitgefühl spendet Mut, Hoffnung und Zuversicht!“ Steinmeier nannte die Erdbeben „eine Jahrhundertkatastrophe“. An die Überlebenden fügte er hinzu: „Wir sehen Euer Leid und Eure Not. Wir hören Eure Hilferufe. Wir lassen Euch nicht allein!“

Am Dienstag reisen Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) gemeinsam in die Türkei. Die Ministerinnen wollen sich vor Ort ein Bild von den deutschen Hilfsgüterlieferungen machen. Geplant sind auch Gespräche mit Betroffenen sowie Vertretern und Vertreterinnen deutscher Hilfsorganisationen. Zudem soll es bei der eintägigen Reise Gespräche zum vereinfachten Visumverfahren für Menschen aus der Katastrophenregion mit Angehörigen in Deutschland geben.



Thüringen kritisiert Visa-Einschränkungen für Erdbebenopfer



Erfurt (epd). Die vom Bund erlassenen Einreiseerleichterungen für türkische Staatsangehörige aus der Erdbebenregion mit Verwandten in Deutschland sind aus Sicht des Thüringer Migrationsministeriums nicht ausreichend. Die nun öffentlich vorgestellten Hürden für eine Einreise seien zu hoch, kritisierte das Büro der Thüringer Migrationsbeauftragten am 21. Februar in Erfurt.

So müssten hier lebenden Angehörige nachweisen, für den gesamten Lebensunterhalt der Einreisenden aufzukommen. Gerade große Familien könnten diese finanzielle Sicherheit kaum aufbringen. In der Konsequenz schließe die Bundesregierung mit ihrer Regelung gerade jene aus, die am meisten auf Hilfe von außen angewiesen seien.

Auch gelte das vom Bund als Nothilfemaßnahme präsentierte Verfahren ausschließlich für türkische Staatsangehörige. Die vielen syrischen Staatsangehörigen, sowohl jene, die sich als Bürgerkriegsflüchtlinge in der Türkei befinden, als auch diejenigen, die auf syrischer Seite vom Erbeben betroffen sind, würden damit von der Hilfe ausgeschlossen, so die Kritik.

Dabei habe die Zusage des Bundes vielen türkischen und syrischen Menschen auch in Thüringen Hoffnung gemacht. Sie hätten erwartet, mit der angekündigten Regelung zumindest für die nächsten Wochen ihren vom Erdbeben betroffenen Verwandten Obdach und Unterstützung in Deutschland bieten zu können.

Nach dem Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet vom 6. Februar 2023 wurden bislang über 46.900 Tote geborgen und mehr als 111.000 Verletzte registriert. Hunderttausende Menschen wurden bei winterlichen Temperaturen obdachlos.



Italien: 43 Tote bei Bootsunglück im Mittelmeer



43 Menschen sind bei einem Bootsunglück vor der italienischen Küste ums Leben gekommen, die Rettungsmaßnahmen dauern laut Küstenwache an. Private Seenot-Retter mahnen erneut sichere und legale Fluchtwege an.

Rom/Berlin (epd). Bei einem Bootsunglück auf dem Mittelmeer sind bisher 43 Flüchtlinge ums Leben gekommen. 80 Menschen konnten gerettet werden, wie die italienische Küstenwache am 26. Februar auf Twitter mitteilte. Seit gestern Abend sei sie mit der Suche und Rettung der Überlebenden beschäftigt, hieß es weiter. Derweil beklagten private Rettungsorganisationen das „Vakuum an Rettungskapazitäten“, das unaufhörlich zu Tragödien führe.

Laut der italienischen Küstenwache ist das Boot an der Küste bei Crotone im Süden Italiens auseinandergebrochen. Die Suche wird mit unter anderem Flugzeugen und dem Einsatz von U-Booten fortgesetzt, hieß es weiter.

Sergio Di Dato, Projektkoordinator Flucht und Migration von „Ärzte ohne Grenzen“ Italien, beklagte am Sonntag, dass im Mittelmeer „weiterhin unaufhörlich Menschen durch ein Vakuum an Rettungskapazitäten“ zu Tode kämen. Nur wenige Kilometer vor der italienischen Küste seien Dutzende Menschen ertrunken, die ein sicheres Leben in Europa gesucht hätten. „Es ist inhuman, inakzeptabel und unverständlich, dass wir immer wieder Zeugen von diesen vermeidbaren Tragödien werden.“ „Ärzte ohne Grenzen“ habe den italienischen Behörden angeboten, psychologische Ersthilfe für die Überlebenden zu leisten.

Rettungsschiff beschlagnahmt

Eine staatlich organisierte Seenotrettung gibt es auf dem Mittelmeer nicht, lediglich die Schiffe privater Hilfsorganisationen halten Ausschau nach in Not geratenen Flüchtlingen und Migranten. Allerdings geht die rechtsextreme italienische Regierung entschieden gegen private Rettungsorganisationen im Mittelmeer vor. Italienischen Behörden das Rettungsschiff von „Ärzte ohne Grenzen“ im Mittelmeer beschlagnahmt, teilte die Organisation in der Nacht zum 24. Februar auf Twitter mit.

Die Rettungsorganisation Sea-Watch sprach am 26. Februar auf Twitter von einer weiteren „Katastrophe an den Grenzen eines Europas, das Menschen nur die Flucht übers Meer als letzten Ausweg lässt.“ Man sei in Trauer um die Toten und in Gedanken bei Überlebenden und Angehörigen.

Bei der Flucht über das Mittelmeer kamen laut der Internationalen Organisation für Migration im vergangenen Jahr mindestens 2.367 Flüchtlinge und Migranten ums Leben oder werden vermisst.



Kirchenpräsident Jung: Europa muss legale Migrationswege schaffen



Darmstadt (epd). Der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung hat an die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) appelliert, legale Migrationswege zu schaffen und den Zugang zum Recht auf Asyl sicherzustellen. „Das ist der einzige Weg, um den Schleppern das Handwerk zu legen“, sagte Jung nach der Rückkehr von einer Griechenland-Reise dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Als Wertegemeinschaft sind wir dazu verpflichtet.“ Das gehe nur im europäischen Verbund, „die Aufgabe darf nicht an Ländern mit Außengrenzen wie Griechenland oder Italien hängenbleiben“.

Ihn belasteten die menschenrechtswidrigen Handlungen an den EU-Außengrenzen sehr, sagte Jung. Geflüchtete würden geschlagen, inhaftiert oder zurückgeschickt. Neben diesen „Pushbacks“ ereigneten sich auch immer wieder sogenannte „Driftbacks“, bei denen Schutzsuchende etwa auf schwimmenden Inseln wieder auf dem Meer ausgesetzt würden.

„Wir werden als europäische Gemeinschaft schuldig“

„Hier muss dringend hingeschaut werden“, forderte der Kirchenpräsident. „Wir werden an Menschen, die mit Gewalt zurückgewiesen werden, als europäische Gemeinschaft schuldig. Wir sind nicht in der Lage, für Menschenrechte und Menschenwürde einzustehen, die wir uns auf die Fahne geschrieben haben.“

Jung hatte mit einer Delegation aus der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau das Flüchtlingscamp Diavata naheThessaloniki besucht und sich einen Überblick über die Situation der Menschen dort verschafft. Ein Besuch in einem Camp auf der Insel Lesbos kam nicht zustande. Eingeladen zu der Reise hatten die Organisationen „Naomi“ und „Lesvos Solidarity“, mit denen die Landeskirche schon seit 2016 zusammenarbeitet

epd-Gespräch: Dieter Schneberger


Sachsen-Anhalt fordert mehr Mitsprache bei Flüchtlingsaufnahme



Magdeburg (epd). Das Land Sachsen-Anhalt will mit einem Antrag im Bundesrat erreichen, dass die Mitspracherechte der Länder bei humanitären Aufnahmeprogrammen des Bundes gestärkt werden. Das Kabinett beschloss nach Angaben der Staatskanzlei in Magdeburg vom 21. Februar einen entsprechenden Entschließungsantrag.

Mit der sachsen-anhaltischen Initiative soll demnach einer Überlastung der Aufnahmesysteme von Ländern und Kommunen entgegengewirkt werden. Ziel des Vorgehens sei frühzeitige Information des Bundes über geplante Aufnahmeprogramme an die Länder. Überdies sollten die Bundesländer bei der Entscheidung über die Zahl der aufzunehmenden Personen und der zugrunde gelegten Aufnahmekriterien maßgeblich beteiligt werden, hieß es.

Länder und Kommunen trügen die Hauptlast für die Unterbringung und Integration, sagte Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang (CDU). Weil dies mit enormen Kraftanstrengungen und Herausforderungen verbunden sei, müssten sie auch ein Mitspracherecht bei der Frage bekommen, wie viele Menschen in Deutschland über zusätzliche Programme aufgenommen werden können. Damit die Aufnahme, Unterbringung und Integration vor Ort gelingen könne, müsse der Bund künftig stärker berücksichtigen, welche Ressourcen für die Aufnahme von Schutzsuchenden tatsächlich zur Verfügung stehen.



Brandenburgs Innenminister fordert "Migrationsbremse"



Flucht und Migration gehören zu den großen Themen, die Politik und Menschen bewegen. Brandenburgs Innenminister warnt vor einer Überlastung der Kommunen bei der Aufnahme. Eine "Migrationsbremse" müsse her, sagte er bei einer Debatte im Landtag.

Potsdam (epd). Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) hat eine Begrenzung der Zuwanderung nach Deutschland gefordert. Das Land werde „an einer Migrationsbremse nicht vorbeikommen“, sagte Stübgen am 22. Februar im brandenburgischen Landtag in Potsdam. Das Aufnahmesystem sei am Limit. Es drohe ein „massives Integrationsversagen durch Überlastung“. Die Bundesregierung müsse sich stärker um Rückführungen von Zuwanderern kümmern, die keine Aussicht auf ein legales Bleiberecht haben.

Von den Kapazitätsproblemen bei der Aufnahme von Flüchtlingen sei nicht nur Brandenburg betroffen, sagte der Innenminister. Die Lage sei bundesweit schwierig. Vom Bund seien mehr Sofortmaßnahmen zur Unterstützung nötig. Für Brandenburg kündigte Stübgen eine Konferenz mit den Landräten am 10. März an, bei der zu Fragen der Unterbringung beraten werden solle. Das Bundesland stehe kurz davor, wieder Turnhallen dafür nutzen zu müssen.

Erstaufnahmeeinrichtungen dürften nach geltender Rechtslage nur temporär zur Unterbringung genutzt werden, betonte Stübgen. Danach seien die Kommunen zuständig. Ein wahlloses Festhalten von Flüchtlingen in Erstaufnahmeeinrichtungen wäre zudem integrationsfeindlich, sagte der Innenminister: „Das ist mit mir nicht zu machen.“

Das Verteilsystem sollte jedoch geändert werden, damit Flüchtlinge ohne Bleibeperspektive bis zur abschließenden Bearbeitung ihres Antrags nicht in die Kommunen weiterverteilt werden, sagte Stübgen. Dazu müsse das von Ursula Nonnemacher (Grüne) geführte brandenburgische Integrationsministerium eine Anpassung der gesetzlichen Regelungen vorlegen.

In den Kommunen fehle zudem Personal zur Integration, darunter an Schulen, Kitas und in Ausländerämtern, sagte Stübgen. Planstellen könnten nicht besetzt werden, weil keine Bewerbungen eingingen. „Es meldet sich niemand bei Ausschreibungen“, sagte der Innenminister.

Stübgen betonte zugleich, die Achtung der Menschenwürde müsse beim Umgang mit Flüchtlingen und Migranten an erster Stelle stehen. Dazu gehörten eine menschenwürdige Unterbringung und Versorgung ebenso wie rechtsstaatliche Verfahren. Jeder habe das Recht, die Ablehnung seines Asylantrags rechtlich überprüfen zu lassen. Zudem müsse auf freiwillige Ausreisen statt Abschiebungen gesetzt werden. Dies sei humaner und weniger kostenträchtig als Zwangsrückführungen. In Brandenburg gebe es rund 2.500 vollziehbar ausreisepflichtige Menschen, die in ihre Herkunftsländer zurückkehren könnten.

Der SPD-Abgeordnete Björn Lüttmann sagte, die Vielzahl der Krisen und Kriege in der Welt mache wenig Hoffnung auf einen Rückgang der Flüchtlingszahlen. Die Herausforderungen müssten bewältigt werden, jeder Flüchtling sei auch eine potenzielle Arbeitskraft: „Migration sei eine “Win-Win-Situation, wenn wir sie richtig gestalten". Den Helfenden gebühre Dank.

Auch Vertreter von Linken, Grünen und Freien Wählern riefen dazu auf, zukunftsfähige Lösungen zu finden. Die AfD sprach von „Masseneinwanderung“, „Schönfärberei“ und hohen Kosten durch die Aufnahme Asylsuchender und forderte die Schaffung eines Landesbeauftragten für Remigration.



Mehr Angriffe auf Einsatzkräfte in Sachsen-Anhalt



Magdeburg (epd). Die Zahl der Angriffe auf Polizisten, Feuerwehrleute und Angehörige des Rettungsdienstes hat in den vergangenen drei Jahre zugenommen. Das geht aus einer Antwort des sachsen-anhaltischen Innenministeriums auf eine Kleine Anfrage des AfD-Abgeordneten Florian Schröder hervor. 2022 wurden demnach 1.344 Einsatzkräfte verletzt, (sexuell) belästigt oder bedroht. Zum Vergleich: Im Vorjahr 2021 waren 1.169 und 2020 1.137 Einsatzkräfte betroffen.

Die meisten Angriffe in den vergangenen drei Jahren wurden den Angaben zufolge mit über 1.000 Fällen jährlich auf Polizeibeamte verübt. Attacken auf Feuerwehrleute und Rettungsdienst-Angehörige bewegten sich zwischen 2020 und 2022 im zweistelligen bis niedrigen dreistelligen Bereich. Vergangenes Jahr wurden mit 1.200 Angriffen auf Polizeibeamte, 27 Übergriffe auf Feuerwehrleute und 117 Attacken auf Angehörige des Rettungsdienstes die meisten Angriffe erfasst. Eine Attacke auf eine Person im Polizeidienst endete demnach 2022 tödlich.

Wie aus der Antwort des Innenministeriums weiter hervorgeht, werden Angriffe auf Einsatzkräfte auf Faktoren wie etwa Alkoholisierung und Drogenkonsum von Tätern, gruppendynamische Prozesse oder politische Einstellungen zurückgeführt. Die Erkenntnisse stammen demnach aus einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen aus dem Jahr 2012. Darüber hinaus lägen keine weiteren Erkenntnisse zu Ursachen von Gewalt gegenüber Einsatzkräften vor. Die Zahlen des Innenministeriums basieren auf der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) des Landes Sachsen-Anhalt.



Silvesterkrawalle: Berlin investiert Millionensumme in Jugendarbeit




Franziska Giffey (Archivbild)
epd-bild/Jürgen Blume
Nach Übergriffen auf Polizei und Feuerwehr in der Silvesternacht wird in Berlin fieberhaft nach Lösungen gesucht. Der Senat will Strafverfolgung sicherstellen und die Ursachen bekämpfen. Dafür sollen bis 2024 insgesamt 90 Millionen Euro fließen.

Berlin (epd). Das Land Berlin will unter dem Eindruck der Silvesterkrawalle die Jugendarbeit bis zum Jahresende mit 20 Millionen Euro stärken. Bis Ende 2024 seien darüber hinaus weitere 70 Millionen Euro nötig, sagte die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) am 22. Februar nach dem zweiten Berliner Gipfel gegen Jugendgewalt: „Die gestiegene Aggression und die brutalen Gewalttaten gegen Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr waren eine Zäsur, die entschlossenes Handeln erfordert.“

Die sieben Jugendabteilungen der Staatsanwaltschaft sollen demnach mit je einem weiteren Staatsanwalt samt zugehörigem Personal ausgestattet werden. Zudem müsse das sogenannte Neuköllner Modell für zeitnahe Strafen zu einem Berliner Modell ausgebaut werden, sagte Giffey. Im Hinblick auf steigende Jugendkriminalität sagte sie, 10.000 junge Menschen, die in Berlin auf die schiefe Bahn gerieten, seien zu viel. An Berliner Schulen werden demnach 300.000 Kinder und Jugendliche unterrichtet.

Die Regierende Bürgermeisterin kündigte für März einen Senatsbeschluss zu 29 geplanten Maßnahmen zur Eindämmung und Prävention von Jugendgewalt an. So sollen neben der Verfolgung von Straftaten Eltern- und Sozialarbeit, Stadtteile und Orte für Jugendliche gestärkt werden. Vorhandene Strukturen würden ausgebaut und zielgruppenspezifische Angebote gestärkt, hieß es.

Bis Ende 2024 seien für Eltern- und Schulsozialarbeit 24,6 Millionen Euro, für die Jugendsozialarbeit 22 Millionen Euro, für starke Stadtteile und Orte für Jugendliche 41 Millionen Euro und für die Stärkung der Justiz 2,2 Millionen erforderlich. Dabei werde nicht nach dem Gießkannenprinzip vorgegangen, sagte Giffey. Nötig seien vielmehr zielgruppenspezifische Maßnahmen. Darüber hinaus müssten Vorbereitungen auf ein Silvester getroffen werden, „an dem nicht alle Jugendeinrichtungen geschlossen sind“.

Allein beim Landesprogramm Jugendsozialarbeit an Schulen werden demnach 60 neue Stellen eingerichtet. Für die Beratung und Begleitung potenziell gewaltbereiter Jugendlicher sollen je 13 weitere Psychologen und Sozialarbeiter eingestellt werden. Zur Vermittlung von mehr Respekt gegenüber Einsatzkräften werden 350.000 Euro für Workshops an Schulen mit Feuerwehr und weiteren Trägern bereitgestellt. Für den Ausbau der Arbeit mit Vätern und Männern sind 600.000 Euro vorgesehen.

Gewalt habe es in der Silvesternacht nicht nur im Bezirk Neukölln, sondern auch in Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg, Tempelhof-Schöneberg und Marzahn gegeben, sagte Giffey. Für die kommende Silvesternacht sei eine Mischung aus Regulierung, Planung der Einsatzkräfte und Angeboten für Jugendarbeit erforderlich.

Für die Berliner Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) geht es darum, bestehende Strukturen zu stärken. Neue Projekte würden den Verwaltungsaufwand erhöhen, ohne die nötige Wirkung zu erzielen. Wichtig sei, Eltern direkt anzusprechen und Sozialarbeit bereits in Kitas anzubieten. Darüber hinaus forderte sie, Väter verstärkt in die Arbeit mit den Familien einzubeziehen.

Bei einem dritten Berliner Gipfel gegen Jugendgewalt soll im Oktober eine erste Zwischenbilanz gezogen werden.



Jugendstudie: NS-Geschichte über YouTube, Instagram und Dokus



Jugendliche und junge Erwachsene befassen sich intensiv mit der NS-Zeit. Allerdings hapert es beim Faktenwissen. Auch der Frage, inwiefern die eigene Familie involviert war, gehen sie oft nicht nach.

Berlin (epd). Junge Menschen in Deutschland beschäftigen sich einer Untersuchung zufolge intensiver mit der Geschichte des Nationalsozialismus als die Allgemeinbevölkerung. Der MEMO-Jugendstudie zufolge, die die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) am 21. Februar in Berlin vorstellte, gaben fast 63 Prozent der befragten 16- bis 25-Jährigen an, sich bisher „eher“ oder „sehr intensiv“ mit der NS-Zeit befasst zu haben. In der Allgemeinbevölkerung sei dieser Anteil mit knapp 53 Prozent kleiner gewesen, hieß es.

Als wichtigste Zugänge zur NS-Geschichte nennt die junge Generation den Angaben zufolge neben dem Internet auch Dokumentarfilme und Spielfilme. Viele nutzen YouTube und Instagram und nannten bekannte Kanäle wie „MrWissen2go“ (YouTube) und „ichbinsophiescholl“ (Instagram). Eine KZ-Gedenkstätte hat mehr als ein Viertel der Befragten nach eigener Aussage noch nie besucht.

Das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IGK) der Universität Bielefeld befragte für die Studie knapp 3.500 Jugendliche und junge Erwachsene online. Sozialpsychologe Jonas Rees sprach von einer interessierten, engagierten jungen Generation. Entscheidend für die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit seien der eigene Bildungsstand und jener der Eltern. Alter, Geschlecht oder Herkunftsgeschichte der Familie spielten eine geringere Rolle.

Ein schwindendes Interesse junger Menschen an der Geschichte des Nationalsozialismus konnte in der Studie nicht festgestellt werden. Lediglich knapp 9 Prozent äußern ein fehlendes Verständnis dafür, warum sie sich heute noch mit dem Thema befassen sollten. In der Allgemeinbevölkerung hätten wiederum mehr als ein Viertel der Befragten (26 Prozent) angegeben, dass sie nicht verstünden, warum eine solche Auseinandersetzung heute noch nötig sei.

Bei der jungen Generationen schwindet laut Studie allerdings das Faktenwissen. So antwortete auf die Frage, welcher Zeitraum als „Zeit des Nationalsozialismus“ bezeichnet werde, nur etwa die Hälfte der Befragten korrekt mit „1933 bis 1945“. Mehr als 40 Prozent konnten keinen oder lediglich einen Ort nennen, an dem Menschen in der NS-Zeit systematisch ermordet wurden. Am häufigsten wurde das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau (rund 75 Prozent) genannt, gefolgt von Dachau und Buchenwald.

Die eigene Familiengeschichte im Kontext des Nationalsozialismus ist vielen nicht bekannt. So gab knapp die Hälfte der Befragten an, sich wenig oder gar nicht damit auseinandergesetzt zu haben. Während in der Allgemeinbevölkerung knapp ein Viertel von NS-Tätern in der eigenen Familie berichteten, waren es bei der jungen Generation nur etwa neun Prozent.

Gefragt wurden die 16- bis 25-Jährigen auch nach dem eigenen Engagement in der Gegenwart: Etwa 40 Prozent gaben an, sich „eher wenig“ oder „überhaupt nicht“ für gesellschaftliche oder globale Themen zu engagieren. Knapp 22 Prozent schätzten sich als „eher stark“ oder „sehr stark“ engagiert ein. Die meisten setzten sich demnach für den Klima- und Umweltschutz ein.

Der Erinnerungsmonitor MEMO untersucht seit 2017 anhand jährlicher repräsentativer Umfragen den Zustand der Erinnerungskultur in Deutschland.



Kultusminister: Lehrkräfte müssen politisches Interesse fördern



Dresden (epd). Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs hat Sachsens Kultusminister Christian Piwarz (CDU) die Bedeutung politischer Bildung an Schulen betont. Der russische Angriffskrieg und andere gesellschaftliche Konflikte und Krisen machten vor der Schultür nicht halt, sagte er am 21. Februar anlässlich der Winterakademie für Lehrerinnen und Lehrer. Schülerinnen und Schüler wollten dazu diskutieren und Antworten auf ihre Fragen erhalten. „Darauf müssen unsere Lehrkräfte vorbereitet sein“, betonte Piwarz in Dresden.

Die Winterakademie sei eine gute Möglichkeit für Lehrkräfte, um sich auszutauschen, neue pädagogische Methoden zur politischen Bildung kennenzulernen und von Experten eigene Fragen beantwortet zu bekommen. „Unsere Lehrkräfte müssen das politische Interesse ihrer Schülerinnen und Schüler aufgreifen und fördern“, so Piwarz. Schule müsse einen Raum schaffen, in dem Meinungen mit Respekt und Toleranz auch auseinandergehen dürfen.

Sächsische Lehrkräfte bilden sich bei der diesjährigen Winterakademie zum Thema „Europa unter Druck - Wissen, Werte, Widerstände“ vom Mittwoch bis Freitag in Meißen fort. Ziel sei es, Lehrkräfte sowie Fachberater und Fachberaterinnen dabei zu unterstützen, die demokratische Schulkultur zu stärken, hieß es.

Bei der Winterakademie werden jährlich in den Winterferien aktuelle politische Themen diskutiert und bearbeitet. Lehrkräfte erhalten in diesem Rahmen Argumentationstraining und Beratungen zur Stärkung der Lehrkräfte unter anderem beim Umgang mit extremistischen Parolen und Handlungen von Schülerinnen und Schülern.



Bildungsministerin Feußner verteidigt zusätzliche Unterrichtsstunde



Berlin/Magdeburg (epd). Sachsen-Anhalts Bildungsministerin Eva Feußner (CDU) wirbt bei Lehrkräften um Verständnis für eine zusätzliche wöchentliche Unterrichtsstunde. Es bestehe eine Verpflichtung gegenüber Schülerinnen und Schülern, ihnen die bestmögliche schulische Ausbildung zu ermöglichen, betonte sie im Gespräch mit der in Berlin erscheinenden „tageszeitung“ (22. Februar). Im Vergleich mit anderen Bundesländern sei die Unterrichtsverpflichtung in Sachsen-Anhalt zudem „relativ gering“.

Sachsen-Anhalts Lehrerinnen und Lehrer sollen voraussichtlich ab März zu einer zusätzlichen Unterrichtsstunde pro Woche verpflichtet werden. Feußner unterstrich gegenüber der „taz“, dass es sich nicht um eine Erhöhung der Arbeitszeit für Lehrerinnen und Lehrer handele, sondern um eine „Vorverlegung“. „Die Lehrkräfte können sich die Mehrstunden ausbezahlen lassen oder später in Freizeit ausgleichen“, sagte sie. Aktuell fehlten in Sachsen-Anhalt rund 850 Lehrkräfte. Bis Mitte der 2000er Jahre seien zu wenige Personen eingestellt worden, was sich bis heute bemerkbar mache, erklärte Feußner.

Mit Blick auf die Ausbildung von Lehrkräften regte die Ministerin einen praxisnäheren Ansatz an. Ab dem Wintersemester 2023/2024 werde daher ein duales Studium getestet, bei dem Anwärter sofort beim Land angestellt würden und so früher mit Schülerinnen und Schülern in Kontakt kämen.

Teilzeitregelungen für bereits ausgebildete Lehrkräfte in Sachsen-Anhalt zu verschärfen, lehnte Feußner jedoch ab. Das Land habe bereits die geringste Teilzeitquote aller Bundesländer, sagte sie.



Fall Oury Jalloh: Bundesverfassungsgericht weist Beschwerde ab



Karlsruhe/Dessau-Roßlau (epd). Der Fall des 2005 in einer Dessauer Polizeizelle verbrannten Asylbewerbers Oury Jalloh muss nicht erneut von der Justiz aufgerollt werden. Eine entsprechende Verfassungsbeschwerde des Bruders von Jalloh hat das Bundesverfassungsgericht abgewiesen. Die Einstellung weiterer Ermittlungen in dem Fall verstoße nicht gegen das Grundgesetz, entschieden die Karlsruher Richter in einem am 23. Februar veröffentlichten Beschluss (2 BvR 378/20).

In der Begründung heißt es, die zuständigen Strafermittlungsbehörden hätten umfassend ermittelt. Insbesondere die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg habe sämtliche bisher geführten Ermittlungen eingehend auf etwaige Widersprüche oder Lücken untersucht und geprüft, ob sich über den bisherigen Ermittlungsstand hinaus weitere erfolgversprechende Ermittlungsansätze ergeben könnten.

Auch das Oberlandesgericht Naumburg (OLG) hat sich mit den Ermittlungsergebnissen sowie den vom Beschwerdeführer vorgebrachten Einwendungen detailliert auseinandergesetzt. Das OLG sei dabei zu dem Ergebnis gelangt, dass ein hinreichender Tatverdacht gegen eine dritte Person nicht begründet werden könne.

Der Tod des Asylbewerbers aus Sierra Leone sorgte damals bundesweit für Aufsehen und Empörung. In der Folge wurde 2012 nach wiederholten Ermittlungen ein Dienstgruppenleiter wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Mit seiner Verfassungsbeschwerde vom November 2019 wollte der Bruder erreichen, dass erneut in dem Fall ermittelt werden muss.

Nach offizieller Behördenversion soll sich der damals 36-Jährige im Keller des Polizeireviers, an Händen und Füßen gefesselt, auf einer feuerfesten Matratze selbst angezündet haben. Brandgutachter, Mediziner und Kriminologen erklärten dagegen wiederholt, dass dies nicht möglich sei.



Sachsen-Anhalts Grüne fordern neue Fehlerkultur bei Landespolizei



Ein Hitler-Bild, ein Foto einer Frauenleiche: Mitte Februar haben Chats von früheren Polizeischülern in Sachsen-Anhalt für Aufsehen gesorgt. Die Grünen im Landtag fordern Konsequenzen - doch die stoßen bei den anderen Fraktionen auf Kritik.

Magdeburg (epd). Nachdem bei Polizeianwärtern in Sachsen-Anhalt rassistische, antisemitische und gewaltverherrlichende Chats entdeckt worden sind, fordern die Grünen im Landtag Konsequenzen. Ein entsprechender Antrag der Fraktion wurde am 23. Februar in den zuständigen Innenausschuss überwiesen. Unter anderem soll ein Untersuchungsausschuss des Landtags die Vorfälle an der Fachhochschule der Polizei in Aschersleben (Salzlandkreis) klären. „Wir dürfen die Aufarbeitung nicht allein der Exekutive und der Judikative überlassen“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Sebastian Striegel, in der Landtagsdebatte. Ebenso setze sich die Fraktion in dem Antrag für die Schaffung eines unabhängigen Polizeibeauftragten nach dem Vorbild von Brandenburg ein, das eine solche Stelle jüngst eingerichtet hat.

Striegel sprach in der Debatte von einem „Chat der Schande“. Es habe keinen offenen Umgang mit Fehlern gegeben, sondern eine über Jahre gepflegte Unkultur. Zwar habe die Landesregierung angemessen reagiert. „Eine moderne Fehlerkultur ist aber viel mehr als das“, so der Grünen-Politiker.

Widerspruch zu den Forderungen der Grünen kam aus den Koalitionsfraktionen. „Wenn von 26 Chat-Beteiligten niemand Anstalten machte, etwas zu unternehmen, ist es auch sehr unwahrscheinlich, dass sich jemand an einen Polizeibeauftragten gewandt hätte“, sagte der SPD-Innenpolitiker Rüdiger Erben. Zudem könne ein solcher Beauftragter aufgrund der rechtlichen Situation nicht völlig unabhängig sein.

Die AfD-Fraktion hatte einen Alternativantrag eingereicht, der ebenfalls an den Innenausschuss verwiesen wurde. Darin heißt es, man vertraue auf die „Selbstreinigungskräfte in der Polizei“.

Scharfe Kritik an der Forderung der Grünen nach einem Untersuchungsausschuss kam von Guido Kosmehl, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion. „Was sie machen, ist einen Popanz aufzuführen, weil sie selber nicht an einer Aufklärung interessiert sind“, sagte er in Richtung der Grünen. Der CDU-Abgeordnete Chris Schulenburg, selbst Polizeibeamter, warnte vor einem Generalverdacht gegen die Polizei.

Zustimmung erhielt der Grünen-Antrag dagegen von der Linken. „Es ist ein weiterer Beleg dafür, dass wir es mit einem strukturellen Problem zu tun haben und nicht mit Einzelfällen“, hieß es. Die aktuellen Fälle zeigten, dass man Hinweisgeber schützen müsse.

Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) betonte, die Öffentlichkeit sei zum frühestmöglichen Zeitpunkt transparent informiert worden. Zudem habe die Landesregierung bereits das Eignungsauswahlverfahren ausgeweitet.

Mitte Februar war durch zufällige Ermittlungen eine Chatgruppe von früheren Polizeischülern entdeckt worden, die zwischen 2017 und 2021 bestanden haben soll. Laut Zieschang wurden rund 50 Chatnachrichten unter anderem als rassistisch, antisemitisch oder gewaltverherrlichend eingestuft. 18 Bedienstete sollen als Konsequenz aus dem Polizeidienst entlassen werden. Auch die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg ermittelt gegen mehrere Personen.



Homolka droht Niederlage in Rechtsstreit mit Zentralrat der Juden




Walter Homolka
epd-bild/Rolf Zöllner
Seit Monaten ist der langjährige Rektor des Abraham-Geiger-Rabbinerkollegs, Walter Homolka, mit öffentlichen Vorwürfen konfrontiert. Der Zentralrat der Juden hat dazu ein vorläufiges Gutachten publiziert. Darüber wurde nun vor Gericht verhandelt.

Berlin (epd). Dem Mitbegründer der Potsdamer Rabbinerschule Abraham Geiger Kolleg, Walter Homolka, droht im Rechtsstreit mit dem Zentralrat der Juden eine Niederlage. Das Gericht würde seinen „Verfügungsantrag nach derzeitigem Stand zurückweisen“, sagte der Vorsitzende Richter Holger Thiel am 21. Februar bei der mündlichen Verhandlung vor dem Berliner Landgericht. Rabbiner Homolka will dem Zentralrat Äußerungen in einem Zwischenbericht vom Dezember zu gegen ihn erhobenen Vorwürfen untersagen lassen. Das Gericht wollte seine Entscheidung nach Aussage des Vorsitzenden nach weiteren Beratungen fällen. (Az.: 27 O 16/23)

Homolka, der selbst an der mündlichen Verhandlung teilnahm, steht seit vergangenem Mai öffentlich in der Kritik. Ihm wird unter anderem Machtmissbrauch vorgeworfen. Er selbst weist die Vorwürfe zurück. Der Zentralrat der Juden hatte eine Anwaltskanzlei mit einem Gutachten zu den Vorwürfen beauftragt, das am 7. Dezember veröffentlicht wurde. Die Gutachter gehen darin davon aus, dass es Anhaltspunkte für eine Bestätigung verschiedener Vorwürfe gibt.

Die in dem Bericht benannten Verdachtsfälle seien auf einem „hinreichenden Mindestbestand von Beweistatsachen“ aufgebaut, sagte der Vorsitzende Richter in der mündlichen Verhandlung am Berliner Landgericht. In dem Bericht seien zudem auch Äußerungen zugunsten Homolkas berücksichtigt. Damit sei nach Auffassung des Gerichts eine „relativ ausgewogene Wertung“ vorgenommen worden. Es spreche viel dafür, „dass die Äußerungen rechtmäßig sind“.

Homolka habe zudem vom 19. Oktober bis zur Veröffentlichung des Zwischenberichts am 7. Dezember ausreichend Gelegenheit zu einer Stellungnahme gehabt, sagte der Vorsitzende Richter. Das Gericht sei der Auffassung, dass die Gutachter „mit dem Executive Summary ihren Sorgfaltspflichten entsprochen haben“. An dem Fall bestehe auch ein „grundsätzliches Interesse der Öffentlichkeit“, das auch die Namensnennung rechtfertige.

Der Vorsitzende Richter betonte, es bestehe sowohl ein Informationsinteresse bezüglich der vorgeworfenen Taten als auch an der Person, sofern die vorgeworfenen Taten schwerwiegend seien. Dies würde die Kammer in dem Fall bejahen. Die Berichterstattung dürfe zugleich nicht vorverurteilen. Es müsse deutlich gemacht werden, dass es sich hier nicht um feststehende Tatsachen, sondern um einen Anfangsverdacht handle. Dies werde in dem Fall hinreichend dargestellt. Zudem seien eine Vielzahl von Aussagen zugrunde gelegt.

Homolkas Anwälte betonten hingegen, die Verdachtsberichterstattung sei unzulässig. Sie beruhe auf Behauptungen von Personen, deren Identität nicht klar sei. Es handle sich um „reine Mutmaßungen“. Sein Anwalt David Geßner sagte, die zuletzt eingereichte Stellungnahme Homolkas hätte in dem Zwischenbericht des Zentralrats berücksichtigt werden müssen. Es habe „keinen Aktualitätsdruck“ für den Zeitpunkt der Veröffentlichung gegeben. Das Gutachten sei ein „absoluter Schnellschuss“.

Oliver Stegmann, Anwalt des Zentralrats der Juden, wollte den Verlauf der mündlichen Verhandlung nicht detailliert kommentieren. Er wolle der Entscheidung des Gerichts nicht vorgreifen, sagte er. Sein Gefühl sei jedoch positiv.



Teilerfolg für Homolka in Rechtsstreit mit Zentralrat der Juden



Berlin (epd). Im Rechtsstreit mit dem Zentralrat der Juden hat Rabbiner Walter Homolka einen Teilerfolg erzielt. Seinem Antrag auf Unterlassung verschiedener Äußerungen in einem im Dezember veröffentlichten Gutachten sei teilweise stattgegeben worden, teilte das Berliner Landgericht am 22. Februar mit. In mehreren Punkten sei der Antrag zugleich zurückgewiesen worden. Homolka hatte in Teilen der Veröffentlichung zu gegen ihn gerichteten Vorwürfen eine Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte gesehen. (Az.: 27 O 16/23)

Die Zivilkammer 27 habe in dem Fall Äußerungen untersagt, die auf einen „mutmaßlichen Verdacht der Begehung von Straftaten, nämlich der Nötigung, versuchten Nötigung, Verleumdung, Beleidigung und Vorteilsannahme durch den Antragsteller Bezug nehmen“, hieß es in der Erklärung des Landgerichts. Darüber hinaus habe Homolkas Antrag gegen den Zentralrat auf Unterlassung von Äußerungen, „die auf Fehlverhalten unterhalb der Schwelle des Strafrechts Bezug nehmen“, keinen Erfolg gehabt.

Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere der Begründung der Entscheidung vom Dienstag, müssten die schriftlichen Urteilsgründe abgewartet werden, betonte das Gericht. Diese lägen noch nicht vor. Der Zentralrat der Juden erklärte am Mittwoch, mit dem Urteil seien Verdachtsäußerungen zu Machtmissbrauch und Diskriminierungen weiter zulässig. 14 von 21 angegriffenen Äußerungen seien als zulässig bewertet worden.

Homolka, Mitbegründer und langjähriger Rektor der Potsdamer Abraham-Geiger-Rabbinerkollegs, ist seit vergangenem Mai öffentlich mit Vorwürfen des Machtmissbrauchs konfrontiert.



Chabad Berlin schickt fahrende Synagoge durch Deutschland



Berlin (epd). Das Jüdische Bildungszentrum Chabad Lubawitsch in Berlin schickt eine fahrende Synagoge auf Deutschland-Tour. Das Mizwa Mobil werde es ermöglichen, sich überall im Bundesgebiet über jüdisches Leben und Kultur zu informieren, kündigte Chabad Berlin am 22. Februar an. Gleichzeitig werde es auch als Synagoge dienen, in der Gottesdienste abgehalten oder jüdische Traditionen gefeiert werden können. Offizielle Einweihung der fahrenden Synagoge ist am 5. März.

Ziel sei, Toleranz und Bewusstsein zu schaffen, hieß es. Es gebe kein besseres Mittel zum Abbau von Vorurteilen als den interkulturellen Austausch, den Dialog und die Kommunikation miteinander. Angesichts des wachsenden Antisemitismus solle diese Initiative ein positives Zeichen für eine Zukunft des Vertrauens und der Toleranz setzen.

Der Chabad-Vorsitzende Rabbiner Yehuda Teichtal erklärte: „Wir freuen uns über diesen wichtigen Schritt, der den Dialog und die Völkerverständigung auf das nächste Level heben wird.“



Synagogen-Stiftung wird mit Buber-Rosenzweig-Medaille geehrt



Berlin/Erfurt (epd). Die „Stiftung Neue Synagoge Berlin - Centrum Judaicum“ erhält in diesem Jahr die Buber-Rosenzweig-Medaille. Die Institution wird für ihren Beitrag zur Berliner Stadtgeschichte und zu einer friedlichen und pluralen Gesellschaft geehrt, wie der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit erklärte. Die Übergabe der undotierten Auszeichnung findet am 5. März zum Eröffnungswochenende der „Woche der Brüderlichkeit“ in Erfurt statt, wie die Stiftung am 23. Februar in Berlin ankündigte.

Die Buber-Rosenzweig-Medaille ist nach den jüdischen Philosophen Martin Buber (1878-1965) und Franz Rosenzweig (1886-1929) benannt. Sie wird seit 1968 jährlich an Personen, Institutionen oder Initiativen vergeben, die sich in besonderer Weise für die Verständigung zwischen Christen und Juden einsetzen. Frühere Preisträger waren unter anderem die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), der Sänger Peter Maffay und der evangelische Theologe Nikolaus Schneider.

Laut dem Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit ist die in der NS-Zeit stark zerstörte Neue Synagoge in Berlin zu einem „Ort des Dialogs mit bundesweiter Ausstrahlung“ geworden. Die Stiftung „Neue Synagoge Berlin - Centrum Judaicum“ war 1988 zum 50. Jahrestag der Reichspogromnacht noch auf Initiative des Ministerrates der DDR gegründet worden. Sie verfolgte das Ziel, das bei den Novemberpogromen in Brand gesetzte und bei einem späteren Luftangriff zerstörte Gebäude in Teilen wieder aufzubauen und Dokumente zum jüdischen Leben in Berlin zu sammeln.



Studie: Jeder Zweite in Sachsen hat Diskriminierung erlebt



Ob in Bildungseinrichtungen, in der Justiz oder in den Medien: Viele Menschen fühlen sich in Sachsen diskriminiert. Besonders groß ist das Risiko Umfragen zufolge für queere Menschen.

Dresden (epd). Rund die Hälfte der sächsischen Bevölkerung hat Umfragen zufolge Diskriminierung am eigenen Leib erlebt. Bei mehreren Befragungen gaben 55 Prozent der rund 3.700 Interviewpartner an, bereits Erfahrungen mit Formen von Diskriminierung gemacht zu haben, wie aus einer Studie des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) hervorgeht, die am 20. Februar in Dresden vorgestellt wurde. Für die Jahre 2019 bis 2021 gaben demnach allein 16 Prozent an, mindestens einmal sexuelle Belästigungen erlebt zu haben.

Neun Prozent gaben an, körperliche Gewalt erfahren zu haben. Sieben Prozent berichteten von sexualisierter Gewalt. Fast ein Drittel aller Befragten (29 Prozent) habe schon mindestens einmal erlebt, dass ihm oder ihr Intelligenz oder eigene Fähigkeiten abgesprochen, Leistungen abgewertet (28 Prozent) oder dass sie in Behörden respektlos behandelt wurden (27 Prozent).

Die Studie fragte unterschiedliche Formen von Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, religiöser Zugehörigkeit, äußerer Erscheinung, Lebensalter, Behinderung, sexueller Orientierung, rassistischen Zuschreibungen, Herkunft und sozioökonomischem Status ab. Für die im Auftrag des Justizministeriums durchgeführte Studie „Diskriminierung erlebt?! Diskriminierungserfahrungen in Sachsen“ wurden 2021 insgesamt 3.745 Menschen befragt.

Diskriminierungserfahrungen hätten für Betroffene teils gravierende emotionale und gesundheitliche Folgen, hieß es. Knapp die Hälfte der Befragten (45 Prozent) nannte Depressionen oder andere Belastungsstörungen als Folge. Knapp ein Drittel (27 Prozent) gab körperliche Beschwerden an. Mehr als zwei Drittel gaben in der Betroffenenbefragung an, aufgrund der Diskriminierung gestresst zu sein.

Die Landesbeauftragte für Antidiskriminierung, Andrea Blumtritt, nannte es wichtig, Diskriminierungserfahrungen sichtbar zu machen. Diese könnten für die Betroffene neben materiellen auch gravierende emotionale und gesundheitlichen Folgen haben.

Besonders groß sei das Risiko, diskriminiert zu werden, für queere Menschen, für Personen mit Behinderungen sowie solche, die von rassistischen Zuschreibungen betroffen sind, sagte Sabrina Zajak vom DeZIM-Institut. Als queer werden homosexuelle, non-binäre, trans- und intersexuelle Personen bezeichnet. Während der Corona-Pandemie hätten zudem besonders Alleinerziehende und Menschen, die zu einer Risikogruppe gehören, verstärkt Diskriminierung erfahren. Viele Betroffene hätten überdies über einen Anstieg von antiasiatischem Rassismus berichtet.

Institutionalisierte Möglichkeiten wie spezialisierte Beratungsstellen werden den Angaben zufolge selten genutzt, um sich etwa gegen sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz zu wehren und sich zu beschweren. Die meisten Betroffenen suchten einen individuellen Umgang mit Diskriminierungserfahrungen, etwa durch Gespräche mit nahestehenden Personen.

Die Studie umfasst eine Bevölkerungsbefragung unter 2.169 Menschen zwischen Juni und September 2021 und eine Betroffenenbefragung zwischen März und Juni 2021. An letzterer nahmen wurden 1.576 Personen teil, die Diskriminierungserfahrungen hatten.



Haseloff: Beitrag zum "Zukunftszentrum Deutsche Einheit" leisten




Reiner Haseloff
epd-bild/Jens Schlüter
Großes Lob aus allen Fraktionen: Der Landtag von Sachsen-Anhalt begrüßt einhellig den Zuschlag für Halle als Standort des "Zukunftszentrums Deutsche Einheit". Besonders die Grünen erwarten sich Antworten auf aktuelle Herausforderungen.

Magdeburg (epd). Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) hat einen aktiven Beitrag der Landesregierung bei der Umsetzung des „Zukunftszentrums Deutsche Einheit“ angekündigt. „Sowohl die Stadt Halle wie das Land Sachsen-Anhalt wollen und werden ihren Beitrag dazu leisten, dass das Zukunftszentrum so schnell es geht, Gestalt annimmt“, sagte Haseloff am 24. Februar bei einer Debatte im Landtag in Magdeburg.

In Anwesenheit von Halles Bürgermeister Egbert Geier und der Vorsitzenden der Jury, der Bundestagsabgeordneten Katrin Budde (beide SPD) lobte Haseloff die Entscheidung als „einen großen Tag für Halle, aber auch für Sachsen-Anhalt“. Mitte Februar hatte die Saalestadt den Zuschlag für das „Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation“ erhalten. Das Zentrum soll als Forschungs- und Begegnungsstätte die Leistungen der Ostdeutschen nach der Wiedervereinigung würdigen und Bedingungen für künftige Transformationsprozesse in Wirtschaft und Gesellschaft erforschen.

Dabei sollten auch die „vielen guten Ideen der Mitbewerber“ berücksichtigt werden, sagte Haseloff weiter. Unter anderem hatten sich Leipzig und Plauen im Verbund sowie Frankfurt (Oder) als Standort beworben. Es handle sich um ein Zentrum für ganz Deutschland und für insbesondere auch für Osteuropa, so der Ministerpräsident. „Die Länder in Mittel- und Osteuropa teilten so manche Erfahrungen der Ostdeutschen“, sagte Haseloff.

Dass sich Halle am Ende durchgesetzt habe, liege auch an der Transformationserfahrung der Region sowohl beim Umbau der chemischen Industrie als auch beim Strukturwandel weg von der Braunkohle, so der Ministerpräsident. Halle sei darüber hinaus ein exzellenter Wissenschaftsstandort mit jahrhundertelanger Geschichte. Als Beispiele nannte er die Deutsche Akademie der Naturwissenschaften Leopoldina sowie die Martin-Luther-Universität.

Die Landtagsdebatte hatte die Grünen-Fraktion beantragt. Deren Redner Olaf Meister sagte, mit dem Zuschlag für Halle sei „ein großer Wurf gelungen“. Das Zukunftszentrum bringe neue Ressourcen, hoch qualifizierte Arbeitsplätze und könne ein Besuchermagnet werden. Das geplante repräsentative Gebäude am Hallenser Riebeckplatz könne ein modernes Identifikationssymbol ähnlich wie die Elbphilharmonie in Hamburg werden, so Meister.

Der Grünen-Abgeordnete betonte, man sei bereits mitten in den nächsten Umbrüchen. Als Beispiele nannte er die Digitalisierung, Künstliche Intelligenz sowie den Klimaschutz. „Sie stellen die Art bisherigen Wirtschaften auf den Kopf“, so Meister.

Die SPD-Fraktionsvorsitzende Katja Pähle betonte in der Debatte, die Demonstranten während der Wendezeit in Leipzig, Halle und in Osteuropa hätten das Tor für ein neues Europa aufgestoßen. Dennoch brauche man „kein Transformationsmuseum, keinen Pilgerort für Ostalgie, keinen Ort zum Wundenlecken, sondern zum besser Machen.“ Das Haus müsse eine Denkfabrik für die gesamteuropäische Entwicklung werden.



Neues Verkehrskonzept für Gedenkstätte Sachsenhausen



Oranienburg (epd). Die brandenburgische KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen soll ein neues Verkehrskonzept für Besucherinnen und Besucher bekommen. Mit dem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung sei nun eine Lösung des Konflikts über Verkehrsbelastungen in der Umgebung möglich, erklärte die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten nach dem Beschluss am 20. Februar in Oranienburg. Anwohnerinnen und Anwohner hatten zuvor unter anderem über Lärm durch den Reisebusverkehr auf der Kopfsteinpflasterstraße zur Gedenkstätte geklagt.

Stiftungsdirektor Axel Drecoll begrüßte den Beschluss. „Wir sind sehr erleichtert und froh, dass jetzt ein nachhaltiges Verkehrskonzept auf dem Tisch liegt, das Planungssicherheit für die anstehende Weiterentwicklung der Gedenkstätte bietet“, erklärte er. Neue Straßenbeläge und Bürgersteige sowie die Verlegung des Reisebusparkplatzes entlasteten die Anwohner, während gleichzeitig die Besucherführung auf dem historischen Weg der KZ-Häftlinge erhalten bleibe.

Der Beschluss der Stadtverordneten sieht den Angaben zufolge vor, dass die bisherigen Zufahrtswege zur Gedenkstätte beibehalten, die betroffenen Straßen aber nach modernen Standards ausgebaut werden. Der bisherige Busparkplatz in der Nähe des Zugangs zur Gedenkstätte soll demnach aufgehoben und begrünt werden. Dort solle ein Haltepunkt für Reisebusse entstehen. Von dort sollen die Reisebusse auf einen neu zu schaffenden Parkplatz im östlichen Bereich der ehemaligen Lagerstraße fahren, wo die Gäste nach dem Gedenkstättenbesuch ihre Rückreise antreten können.



Stiftung Zukunft Berlin fordert engere Zusammenarbeit mit Brandenburg



Berlin (epd). Die Stiftung Zukunft Berlin (SZB) fordert vom künftigen Berliner Senat eine deutlich bessere Zusammenarbeit mit Brandenburg. In der Bevölkerung Berlins und Brandenburgs sei längst die Erkenntnis gewachsen, dass beide Länder nur gemeinsam erfolgreich sein könnten, sagte Vorstandssprecher Markus Dröge am 23. Februar in Berlin. In der Politik fehle aber oft noch das nötige Engagement. Besonders die Zusammenarbeit entlang der großen Verkehrsachsen komme zu langsam voran. „Wir erarbeiten dazu gemeinsam mit Kommunen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft Zukunftskonzepte, die von den beiden Landesregierungen über das Pilotprojekt Berlin-Lausitz hinaus stärker unterstützt werden müssen“, sagte Dröge.

Als weitere zentrale Projekte, die vom neuen Senat umgehend angegangen werden müssten, nannte die Stiftung die Herabsetzung des Wahlrechtsalters auf 16 Jahre, mehr Bürgerbeteiligung, eine Entwicklungsstrategie für Berlins historische Mitte und die Umsetzung der dringend notwendigen Verwaltungsreform noch in diesem Frühjahr. „Zu all diesen Themen liegen gut abgestimmte fertige Konzepte auf dem Tisch“, sagte Dröge: „Es fehlt also nicht an Ideen, es fehlte bisher an der Umsetzung.“

Dröge warnte, wenn die Wiederholungswahl nicht zu einem Schub in Sachen Handlungsfähigkeit führe, werde die Frustration in der Stadt weiter wachsen. Die Stiftung dränge deshalb in diesen zentralen Fragen auf schnelle Entscheidungen statt langwieriger Koalitionsverhandlungen. „Wir brauchen aktives Handeln unabhängig davon, welche Koalition zustande kommt“, sagte Dröge.



Stiftung weist Kritik an Antifeminismus-Meldestelle zurück



Berlin (epd). Die Berliner Amadeu Antonio Stiftung hat Kritik an ihrer bundesweiten Meldestelle zu Antifeminismus zurückgewiesen. In den ersten Wochen seien bereits 500 Meldungen eingegangen, sagte deren Leiterin Judith Rahner dem Berliner „Tagesspiegel“ (24. Februar). Die Mailadressen der Betroffenen seien die einzigen Daten, die dabei erhoben würden, betonte sie mit Blick auf Kritik, das Internetportal stelle Menschen an den Pranger. „Wir hätten auf der Webseite besser präzisieren müssen, was wir möchten“, fügte Rahner hinzu.

Sie sei zutiefst von der Richtigkeit dieser Meldestelle überzeugt. Es gebe eine organisierte Bewegung gegen eine immer diversere Gesellschaft, so die Leiterin der Meldestelle: „Dieser Rechtsruck ist massiv antifeministisch geprägt.“ Antifeminismus sei zumeist organisierter Widerstand gegen Geschlechtergerechtigkeit.

Im Bereich Antisemitismus sei Deutschland viel weiter als beim Antifeminismus. Das Bundeskriminalamt habe erst kürzlich Frauenhass in die Statistik aufgenommen. Die Manifeste von Rechtsterroristen hielten den Feminismus für schuld an der Schwächung des Mannes, betonte Rahner. Derartige Verschwörungsideologien würden kaum erfasst. Das wolle die Meldestelle ändern.

Unter der Internetseite www.antifeminismus-melden.de können seit Monatsbeginn Erfahrungen mit antifeministischen Angriffen und Vorfällen gemeldet werden. Dazu gehören nach Angaben der Amadeu Antonio Stiftung sexistische Anfeindungen, körperliche Angriffe sowie organisierte Kampagnen gegen Gleichstellung und geschlechtliche Selbstbestimmung.



Vereinsförderung im ländlichen Raum gut genutzt



Erfurt (epd). Mit rund einer Million Euro hat die Thüringer Ehrenamtsstiftung im vergangenen Jahr Thüringer Vereine im ländlichen Raum gefördert. Insgesamt 484 gemeinnützige Organisationen hätten Unterstützung erhalten, teilte die Thüringer Ehrenamtsstiftung am 24. Februar in Erfurt mit. Die Mittel stammen aus dem 2021 für solche Zwecke aufgelegten Förderprogramm „Aktiv vor Ort“.

Insgesamt seien im vergangenen Jahr 744 Anträge für das Förderprogramm eingegangen. Die Mehrzahl der Anträge habe einen Mix aus Anerkennungsleistungen, Beteiligung an laufenden Kosten, Anschaffungen und Digitalisierungsmaßnahmen enthalten. Die Bandbreite der Hilfen reiche dabei von Aufwandsentschädigungen für Trainer oder Chorleiter über Honorare für Workshopleiter bis hin zur Finanzierung von Laptops, Sportgeräten, Wanderschutzhütten oder Ausstellungszubehör.

Durchschnittlich seien jeweils 2.169 Euro an Fördermitteln gewährt worden, die höchstmögliche Summe - 5.000 Euro - sei fünfmal ausgereicht worden. Der Geschäftsführer der Thüringer Ehrenamtsstiftung Niels Lange, sagte, es habe sich gezeigt, dass auch mit geringen Summen große Hebelwirkungen erzielt werden könnten. Die Hilfe stärke das Engagement in den Vereinen und sorge zudem dafür, dass Engagierte für ihre ehrenamtliche Arbeit nicht auch noch draufzahlen müssen.

Die gemeinnützige Thüringer Ehrenamtsstiftung mit Sitz in Erfurt wurde 2002 durch die damalige Thüringer Landesregierung ins Leben gerufen. Seitdem berät, fördert, vernetzt und würdigt sie bürgerschaftliches Engagement im Freistaat.



Erste Polizeibeauftragte für Brandenburgs gewählt



Potsdam (epd). Die SPD-Politikerin Inka Gossmann-Reetz ist Brandenburgs erste Polizeibeauftragte. Sie wurde am 22. Februar im Landtag in Potsdam in das neue Amt gewählt. 49 der Abgeordneten stimmten für Gossmann-Reetz, 27 dagegen, drei enthielten sich. Mit dem Amt soll nach Angaben der Koalitionsfraktionen von SPD, CDU und Grünen das Vertrauen in Polizei und Rechtsstaat gestärkt werden.

Gossmann-Reetz gehört dem Landtag seit Oktober 2014 an und ist aktuell Sprecherin der SPD-Fraktion für Innere Sicherheit. Seit 2018 ist sie Vorsitzende der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) zur Kontrolle des Verfassungsschutzes. Die neue Polizeibeauftragte hatte bereits zuvor betont, das Amt sei ein wichtiger Baustein, um vermeintliche oder tatsächliche Beschwerden über die Arbeit der Polizei „schnell, unbürokratisch und ohne große Zugangshürden zu klären“.



Karlsruhe sieht Chancengleichheit bei AfD-naher Stiftung verletzt



Für den Ausschluss der AfD-nahen politischen Stiftung von staatlichen Fördergeldern fehlt eine gesetzliche Grundlage. Das höchste deutsche Gericht entschied zugunsten der AfD, die in Karlsruhe gegen die bisherige Praxis geklagt hatte.

Karlsruhe (epd). Der Ausschluss der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung von staatlichen Fördermitteln ist nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verfassungswidrig. Die AfD sei 2019 in ihrem Recht auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb mit anderen Parteien verletzt worden, entschied das höchste deutsche Gericht am 22. Februar in Karlsruhe. Die AfD kann damit auf künftige Fördergelder für ihre Stiftung hoffen. (AZ: 2 BvE 3/19)

Werde eine parteinahe Stiftung nicht mit Zuschüssen im Bundeshaushalt berücksichtigt, brauche es hierfür eine gesetzliche Grundlage, an der es gefehlt habe. Über die konkrete Nachzahlung von Fördergeldern an die AfD-nahe Stiftung haben die Verfassungsrichter allerdings nicht entschieden.

Anders als die anderen sechs parteinahen Stiftungen, wie etwa die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung oder die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung, erhielt bislang die von der AfD 2018 anerkannte Desiderius-Erasmus-Stiftun keine Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt. Die Partei sah dadurch die Chancengleichheit im politischen Wettbewerb verletzt. Sie verlangte für ihre Stiftung für die Jahre 2018 bis 2022 zwischen 480.000 Euro und über 7,8 Millionen Euro an Zuschüssen.

Stiftungen müssen freiheitlich demokratische Grundordnung gewährleisten

Bundestag und Bundesregierung versagten die Gelder unter anderem mit dem Argument, dass Partei zumindest 2018 und 2019 noch nicht fest und dauerhaft im Bundestag vertreten war. Im Bundeshaushaltsplan wurde 2022 festgelegt, dass Fördergelder nur beansprucht werden können, wenn die politische Stiftung die freiheitlich demokratische Grundordnung des Grundgesetzes gewährleistet. Die AfD zog schließlich zum Bundesverfassungsgericht.

Die Verfassungsrichter wiesen die meisten Anträge der Partei mit Ausnahme von 2019 als unzulässig ab. Diese seien teils zu spät eingereicht worden. Auch seien die Anträge auf konkrete Nachzahlung von Fördermitteln in dem von der AfD angestrengten Verfahren formal gar nicht möglich. Der Antrag zum Jahr 2022 wurde vom Verfahren abgetrennt, um darüber später zu entscheiden.

Für 2019 sei die AfD aber in ihrem Recht auf Chancengleichheit im Wettbewerb zwischen den Parteien verletzt worden, urteilte das Bundesverfassungsgericht. Werde eine parteinahe Stiftung von staatlichen Zuschüssen ausgeschlossen, bedürfe es eines eigenen Gesetzes. Daran fehle es bis heute. Allein Regelungen im Haushaltsplan und im Haushaltsgesetz reichten nicht aus, Fördergelder zu versagen.

„Ball liegt jetzt im Feld des Gesetzgebers“

Fördere der Gesetzgeber parteinahe Stiftungen, könne er dies davon abhängig machen, dass die Stiftungen eine „dauerhafte, ins Gewicht fallende politische Grundströmung“ repräsentieren. Die Wahlbeteiligung und die Wahlergebnisse könnten dies aufzeigen. Im Jahr 2019 sei die AfD als drittgrößte Bundestagsfraktion dem gerecht geworden.

Werde in die Chancengleichheit von Parteien eingegriffen, bedürfe es besonderer gesetzlicher Regelungen „die zum Schutz gleichwertiger Verfassungsgüter geeignet und erforderlich sind“, so die Verfassungsrichter. So könne der Eingriff in die Chancengleichheit mit dem Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung begründet werden. Ob die AfD dem gerecht wird, hatte das Bundesverfassungsgericht nicht zu entscheiden. „Der Ball liegt jetzt im Feld des Gesetzgebers“, sagte Doris König, Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts.




Entwicklung & Umwelt

Lukratives Business und riesiges Müllproblem: Altkleider in Ghana




Müllhalde am Rande der Lagune von Jamestown in der ghanaischen Hauptstadt Accra
epd-bild/Birte Mensing
Altkleider aus dem Norden, auch aus Deutschland, werden in Ghana zur Belastung. Ministerin Schulze verspricht beim Besuch in Accra Unterstützung.

Accra (epd). Wenn die Verkäuferinnen von Kantamanto, dem größten Second-Hand-Markt in Ghana, morgens die großen Bündel mit Altkleidern öffnen und sortieren, dann herrscht oft Enttäuschung. Denn ein immer größerer Anteil der Kleidung, die zum Beispiel aus Deutschland, England oder Kanada kommt, ist schlicht und einfach Müll, wie die 46-jährige Vida Asare erzählt. Nur die guten Stücke kann sie noch verkaufen, aus den weniger guten näht sie Boxershorts, die absolut unbrauchbaren gibt sie Lumpensammlern mit.

Die ghanaische Wirtschaft ist im Keller, innerhalb eines Jahres hat sich der Wechselkurs zum Dollar fast verdoppelt. Alles, was aus dem Ausland kommt, so wie auch die Second-Hand-Kleidung, sei dadurch extrem im Preis gestiegen, sagt Asare. So bleibt ihr am Ende eines langen Arbeitstages gerade genug, um ihre drei Kinder zu versorgen und sie zur Schule zu schicken.

Täglich 100 Altkleider-Container

Rund 100 Container mit abgetragener Kleidung kommen nach Angaben des Bundesentwicklungsministeriums (BMZ) jede Woche in Ghana an, Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 40 Prozent davon Müll sind. Deutschland ist einer der größten Exporteure, Ghana einer der größten Importeure weltweit. Die Texilabfälle landen dann auf Müllhalden wie der am Rande der Lagune von Jamestown in der Hauptstadt Accra. Ein Ort von vielen, an dem der Abfall der Stadt einfach abgeladen wird.

Bernard Bekoe lebt mit seiner Familie in den improvisierten Häusern am Rand der Müllkippe. Von hier trieben die Altkleider Richtung Meer, belegten die Ufer, wo sonst Schildkröten ihre Eier legen und verdärben den Fischern in der Lagune den Fang, erklärt er. Am Horizont zeichnen sich die Silhouetten von Kühen ab, die auf den Müllbergen nach Futter suchen.

Als Bekoe am 21. Februar die deutsche Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) trifft, nutzt er seine Chance. Er wünscht sich, dass die Arbeit auf der Müllkippe formalisiert wird und so Arbeitsplätze geschaffen werden, mit ordentlicher Bezahlung. Außerdem bräuchten sie dringend kostenlos zugängliche öffentliche Toiletten. Es seien schon so viele gekommen, und nichts habe sich geändert, sagt Bekoe.

„Zu sehen, was hier mit unseren Abfällen passiert, zeigt nochmal mehr, dass wir dafür verantwortlich sind“, erklärt Schulze. Sie verspricht, sich dafür einzusetzen, dass es auf europäischer Ebene in Zukunft so etwas wie den Grünen Punkt auch für Textilien gibt, also dass Unternehmen sich finanziell am Recycling ihrer Produkte beteiligen müssen. Auch soll ab Mitte des Jahres die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) Ghana beim Aufbau von Recyclingkapazitäten unterstützen. Damit sollen vor Ort auch neue Jobs entstehen.

Laut Schulzes neuer Afrika-Strategie, die sie Ende Januar veröffentlicht hat, sollen gemeinsam mit Afrika globale Veränderungsprozesse und Strukturpolitik gestaltet werden. Schulze zufolge bedeutet das konkret, an einer wirtschaftlichen Entwicklung der afrikanischen Länder zu arbeiten, die gute Arbeit schafft und ökologisch wie sozial verträglich ist.

Importe brachten Aus für eigene Textilwirtschaft

Ghana hat auch eine eigene Textilwirtschaft, doch die hatte ihren Höhepunkt Mitte der 1970-er Jahre. Der Import von Second-Hand-Kleidung und günstigen Produkten aus China brachte sie fast zum Stillstand. Doch auch wenn der Sektor heute weniger als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht, hat die ghanaische Behörde für den Exportausbau ihn als einen von zehn Schwerpunkten für die Zukunft auserkoren. Die kürzeren Transportwege nach Europa sind zum Beispiel gegenüber asiatischen Ländern ein Standortvorteil.

Etwa 20.000 Arbeitsplätze gibt es bereits in Textilfabriken in Ghana, die meist familiengeführt sind. Eine dieser Fabriken betreibt Linda Ampah mit ihrer Firma KAD Manufacturing, für die rund 150 Näherinnen und Näher in der Hauptstadt Accra aus importierten Stoffen Schuluniformen, Dienstkleidung, T-Shirts und Hosen, aber auch Tischdecken, Servietten und Kissenbezüge nähen. Bereits jetzt exportiert KAD Manufacturing den Großteil seiner Produkte. Und Linda Ampah ist zuversichtlich, dass jetzt, wo in Europa mehr auf faire Lieferketten geachtet wird, das Interesse an ihren Produkten weiter steigen wird.

Von Birte Mensing (epd)


Elfenbeinküste: Ein weiter Weg bis zur guten Arbeit im Kakao-Sektor




Bundesentwicklungsministerin Schulze und Arbeitsminister Heil auf der Kakaoplantage der Rosso Kooperative im Südosten der Elfenbeinküste
epd-bild/Birte Mensing
Für die deutsche Schokoladen-Industrie ist die Elfenbeinküste ein wichtiger Lieferant. Beim Besuch der Minister Schulze und Heil auf einer Plantage wird klar: Bis zu guten Arbeitsbedingungen ist es noch ein weiter Weg.

Agboville (epd). Moussa Sougue ist stolz auf seine Kakaoplantage. Die drei Hektar hegt und pflegt er mit viel Liebe für die Bäume. „Dein Feld ist dein Kapital, du musst dich gut darum kümmern“, sagt der 50-Jährige. Schon als Kind hat er auf der Farm seines Vaters den Umgang mit den Kakaopflanzen gelernt, wie man die Früchte richtig vom Baum schneidet, sodass wieder neue nachwachsen. Seit 2001 hat er sein eigenes Feld, etwa 20 Kilometer entfernt von der Stadt Agboville.

Hier ist es verhältnismäßig schattig, hohe Obstbäume ragen weit über die etwas mehr als zwei Meter hohen Kakaopflanzen. Ihre Früchte - unter anderem Mangos und Bananen - tragen zur Ernährung von Sougues Familie bei. Die Bäume sorgen außerdem für bessere Erträge, weil sie die Nährstoffe im Boden regulieren und die Kakaoschoten vor direkter Sonneneinstrahlung schützen. Davon profitiert auch der Wald. Denn wenn die Ernten schlecht ausfallen, werden Wälder gerodet, um mehr Flächen für die Landwirtschaft zu erhalten. Von Mitte der 1980er Jahre bis 2015 ist die Waldfläche in der Elfenbeinküste um 50 Prozent geschrumpft.

Hälfte der Bohnen aus der Elfenbeinküste

Bei einem Besuch der Plantage informieren sich Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) über die Arbeitsbedingungen im Kakao-Sektor. Eine Woche waren die deutschen Regierungsvertreter in Westafrika unterwegs, zuerst in Ghana, dann in der Elfenbeinküste. Bei vielen Terminen und Gesprächen ging es um die Folgen des Konsums und Wirtschaftens hierzulande in den beiden Ländern. Die Elfenbeinküste ist der weltweit größte Exporteur von Kakao. Auch für die deutsche Schokoladenindustrie liefert das Land etwa die Hälfte der Bohnen.

Den beiden Regierungsvertretern aus Deutschland zeigt Sougue, wie die Kakaobohnen mit dem Messer geerntet werden. Schulze und Heil probieren es selbst und kosten gleich das Fruchtfleisch der frisch geöffneten Schote. „Schmeckt“, sagen beide nickend. Immer wieder betont Heil bei der Reise die Verantwortung von Unternehmen für die Menschenrechtslage auch im Ausland. „Wer global Profite macht, muss auch global Verantwortung für Menschenrechte übernehmen“, sagt er. Mit dem zu Beginn des Jahres in Kraft getretenen Lieferkettengesetz wolle Deutschland den Handel nicht einschränken, sondern fairer gestalten.

Der Arbeitsminister mahnt gute Arbeitsbedingungen, soziale Sicherung und mehr Engagement gegen Kinderarbeit im Kakao-Sektor an. Tatsächlich sind schwere und gefährliche Arbeiten für Kinder in der Elfenbeinküste seit 2017 verboten. Doch die Diskussion in dem westafrikanischen Land ist komplex. Es ist normal, dass Kinder ihren Eltern helfen und zum Einkommen beitragen. Gleichzeitig gibt es viele Heranwachsende im Grundschulalter, die aus den Nachbarländern Mali und Burkina Faso kommen, um auf den Feldern zu arbeiten.

Kakao-Anbau steht für 40 Prozent der Wirtschaftsleistung

Trotz aller Probleme ist die Produktion von Kakao ein wichtiger Wirtschaftszweig, etwa 40 Prozent der Wirtschaftsleistung verdankt die Elfenbeinküste dem Anbau. Ein Fünftel der Bevölkerung lebt laut der Weltbank davon, doch viele Bauern liegen mit ihrem Verdienst unterhalb der Armutsgrenze. Die größten Gewinne werden außerhalb des Landes gemacht. Das liegt auch daran, dass zum Beispiel in Deutschland auf fertige Produkte wie Schokolade Einfuhrzölle erhoben werden, auf Rohstoffe wie Kakao nicht.

Sougues vier Kinder gehen zur Schule, er kann dank seiner nachhaltigen Anbaumethode mit seinem Feld im Jahr rund drei Tonnen Kakao für den Export erwirtschaften. Ob seine Kinder auch Kakao anbauen werden, hängt davon ab, wie sich der Weltmarktpreis entwickelt. Aber solange er nicht weiter fällt, sichert der Kakao vorerst ihre Ausbildung und damit ihre Zukunft.

Bei ihrem Besuch auf seiner Plantage haben der deutsche Arbeitsminister und die Entwicklungsministerin viele Fragen. Zum Beispiel, ob Sougue eine Krankenversicherung habe. „Nein“, antwortet er. Und es ist klar: Bis es die von dem SPD-Politiker immer wieder beschworene „gute Arbeit“ und soziale Sicherung für alle Arbeitenden gibt, bleibt noch viel zu tun.

Von Birte Mensing (epd)


Amnesty: Verantwortliche für Kriegsverbrechen vor Gericht stellen



Berlin (epd). Amnesty International verlangt, die für Kriegsverbrechen in der Ukraine Verantwortlichen vor Gericht zu stellen. Seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges vor knapp einem Jahr hätten die russischen Streitkräfte Kriegsverbrechen und andere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht begangen, erklärte die Menschenrechtsorganisation am 22. Februar in Berlin. Dazu zählten außergerichtliche Hinrichtungen, sexualisierte Gewalt, Angriffe auf zivile Infrastruktur und Unterkünfte, Verschleppungen von Zivilisten sowie die Bombardierung von Städten.

„Die internationale Gemeinschaft sollte alles tun, damit die Verantwortlichen für Völkerrechtsverbrechen vor Gericht gestellt werden“, erklärte Markus N. Beeko, Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland. Die Menschen in der Ukraine hätten in den vergangenen zwölf Monaten unvorstellbares Grauen erlebt. „Sie verdienen Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für das physische, seelische und wirtschaftliche Leid, das Wladimir Putin und die russischen Truppen ihnen zufügen“, unterstrich Beeko.

Die Täter müssten zur Rechenschaft gezogen werden, forderte der Amnesty-Generalsekretär. Dabei müsse auch gegen hochrangige militärische Befehlshabende und zivile Führungskräfte ermittelt werden. Beeko verwies darauf, dass auch in Deutschland der Generalbundesanwalt nach dem Weltrechtsprinzip zu Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Ukraine ermittele. Er begrüßte zugleich den Beschluss des UN-Menschenrechtsrats vom März 2022, eine unabhängige Untersuchungskommission einzusetzen.



Gericht weist Klima-Klage gegen Volkswagen ab



Ein Bio-Bauer aus Detmold sieht sich durch den Volkswagen-Konzern in seiner Existenz bedroht. Die Klima-Klage des Landwirts wurde nun abgewiesen. Der Autokonzern begrüßte das Urteil. Greenpeace und der Landwirt kündigten an, weiterzumachen.

Detmold (epd). Das Landgericht Detmold hat am 24. Februar eine Klima-Klage gegen den Volkswagen-Konzern abgewiesen. Geklagt hatte ein lippischer Bio-Landwirt, der sich durch den Autobauer in seiner Existenz bedroht sieht. Es könne nicht festgestellt werden, dass die von dem Bauern vorgebrachten Beeinträchtigungen mit den von ihm geforderten Maßnahmen beseitigt werden könnten, erklärte das Gericht (AZ: 01 O 199/21). Der Landwirt und Greenpeace äußerten sich enttäuscht nach dem Urteil. VW verwies darauf, dass klimapolitische Entscheidungen nicht Sache der Justiz, sondern des Gesetzgebers seien.

In dem Klima-Prozess hatte der Landwirt Ulf Allhoff-Cramer mit Verweis auf seine persönlichen Eigentumsrechte VW zu einem Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor bis 2030 aufgefordert. Der Bio-Bauer wirft dem Autobauer vor, globale Treibhausgasemissionen zu verursachen und damit auch seinem Bio-Betrieb zu schaden. Das Gericht urteilte, dass der Kläger nicht von dem Autobauer verlangen könne, so konkrete Maßnahmen zu ergreifen.

Dem VW-Konzern könne nicht vorgeschrieben werden, nur auf eine ganz bestimmte Antriebstechnologie zu setzen, erklärte das Gericht. Es verwies auf „unstreitig noch weitere ernsthaft in Betracht kommende Alternativen zu diesel- und benzinbetriebenen Verbrennungsmotoren“ und nannte den wasserstoffbetriebenen Verbrennungsmotor oder Brennstoffzellen. Es stehe nicht fest, dass solche andere Möglichkeiten bis 2030 nicht in solchen Mengen zur Verfügung stehen, dass sie zusätzlich zu den batteriebetriebenen Elektromotoren dazu beitragen könnten, diesel- und benzinbetriebene Verbrennungsmotoren zu ersetzen.

„Klimakrise nicht in ihrer Tiefe verstanden“

Der Kläger habe nicht ausgeführt, welche wesentlichen Eigentums- und Gesundheitsbeeinträchtigungen gerade ihn in einer um mehr als 1,5 Grad erwärmten Welt treffen sollten, die über diejenigen hinausgingen, die seiner Darstellung nach bereits jetzt eingetreten seien, erklärte das Gericht.

Der Landwirt äußerte sich nach dem Urteil enttäuscht. Er habe den Eindruck, dass die Richter die Klimakrise in ihrer Tiefe nicht verstanden hätten, sagte er, und kündigte an, beim Oberlandesgericht Hamm in Berufung zu gehen.

Unterstützt wird der Landwirt von Greenpeace. Die Umweltorganisation erklärte in einer ersten Stellungnahme: „Angesichts einer galoppierenden Klimakrise halten wir es für unabdingbar, die globale Verantwortung eines Konzerns wie Volkswagen mit seinem ländergroßen CO2-Fußabdruck gerichtlich klären zu lassen.“

Der VW-Konzern sieht sich nach dem Detmolder Urteil darin bestätigt, dass Klimaklagen gegen einzelne herausgegriffene Unternehmen der falsche Weg seien. Es sei „nicht Aufgabe eines Landgerichts, über solche klimapolitischen Fragen zu entscheiden“, erklärte das Unternehmen. Dies obliege dem Gesetzgeber.

Aus fruchtbarem Land sei „Hochrisikostandort“ geworden

Ulf Allhoff-Cramer betreibt mit seiner Familie bei Detmold einen Bioland-Hof mit Mutterkuhhaltung, Getreideanbau und Wald. 60 Prozent seiner Nutzfläche sind Grünland, 40 Prozent Ackerland. Die Dürre der letzten Sommer habe dazu geführt, dass viel zu wenig Futter für seine Tiere wachse, erklärte er: „Aus unserem wasserreichen und fruchtbaren Land ist ein Hochrisikostandort geworden.“

Eine erste Klima-Klage von Greenpeace gegen den VW-Konzern war vor dem Braunschweiger Landgericht gescheitert. Das Gericht hatte sie am 14. Februar mit der Begründung abgewiesen, VW bewege sich mit seinen Emissionen im Rahmen des Klimaschutzgesetzes. Dabei müssten die Kläger ebenso wie die breite Bevölkerung Beeinträchtigungen hinnehmen.



Polizeieinsatz nach Räumung von "Heibo"-Protestcamp abgeschlossen



Dresden (epd). Der Polizeieinsatz im Zusammenhang mit der Räumung des „Heibo“-Protestcamps gegen einen geplanten Kiesabbau in Sachsen ist beendet. Im Zuge des Einsatzes im Waldstück Heidebogen („Heibo“) nördlich von Dresden seien 13 Strafanzeigen gestellt worden, teilte die Polizeidirektion Görlitz am 21. Februar mit. Darunter seien eine Anzeige wegen tätlichen Angriffs und acht Anzeigen wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Zudem hätten 51 Personen Platzverweise erhalten.

Die Räumung des „Heibo“-Camps sei im Wesentlichen friedlich und ohne größere Zwischenfälle verlaufen, hieß es. Bei der Räumung hätten Einsatzkräfte insgesamt 55 Personen aus dem Camp begleitet, darunter 31 Frauen, 23 Männer und einen zwölfjährigen Jungen. Mitarbeiter des Staatsbetriebs Sachsenforst hätten anschließend 31 Höhenstrukturen entfernt, davon 21 Baumhäuser, mehrere Plattformen und Seilkonstruktionen.

Klimaaktivisten hatten das Waldstück bei Ottendorf-Okrilla und Würschnitz seit September 2021 besetzt gehalten. Sie wollten damit die Zerstörung des Waldes und von Mooren durch einen geplanten Abbau von Sand- und Kiesvorkommen verhindern. Unterstützer der Waldbesetzer kritisierten den Einsatz von mehr als 1.000 Polizisten gegen die Klimaaktivisten als überzogen und teilweise gewalttätig.



Nabu Thüringen gegen großflächige Aufforstung



Jena (epd). Der Naturschutzbund Thüringen (Nabu) spricht sich gegen großflächige Aufforstungen im Freistaat aus. Die vergangenen Jahre hätten gezeigt, dass künstlichen Pflanzungen größtenteils wieder vertrocknet seien, erklärte der Umweltverband am 21. Februar in Jena. Besser sei es, auf natürliche Wiederbewaldung zu setzen und die sogenannte Naturverjüngung zuzulassen.

Baumarten wie Birken, Espen und Ebereschen wachsen demnach schnell nach, spenden Schatten und schützen große kahle Flächen vor Austrocknung. Unter diesen Bäumen sorge dann unter anderem der Eichelhäher dafür, dass sich Wirtschaftsbaumarten wie Eiche und Buche ansiedeln könnten, so der Nabu. Erst dann wäre es sinnvoll, bei Bedarf weitere Ergänzungspflanzungen vorzunehmen.

Selbständig gekeimte, einheimische Baumarten bildeten von Anfang an tief reichende Wurzeln und seien dadurch widerstandsfähiger gegen Trockenheit. Überdies seien sie genetisch vielfältiger als Baumschulpflanzen, hieß es.

Der Nabu kritisiert ferner die im Landesprogramm zur Bewältigung der Folgen von Extremwetterereignissen vorgesehene finanzielle Förderung von Schadholzberäumungen. In der Regel würden vom Borkenkäfer besiedelte Bäume viel zu spät entdeckt. Meist seien die Käfer dann längst ausgeflogen und die Bäume keine Brutstätten mehr.

Die Thüringer Landesregierung unterstützt in diesem Jahr Waldbesitzende bei der Beseitigung klimabedingter Waldschäden mit 25 Millionen Euro. Gefördert werden vor allem der Holzeinschlag in Borkenkäfer-Schadflächen und die Wiederaufforstung geschädigter Wälder.




Medien & Kultur

RBB kündigt umfangreiches Sparprogramm an




RBB
epd-bild/Christian Ditsch
Von Stellenkürzungen über Grundstücksverkäufe bis hin zu höheren Kantinen-Preisen: Der RBB will bis Ende 2024 fast 50 Millionen Euro einsparen, auch auf Führungsebene. Das Sparprogramm wurde am Mittwoch bekanntgegeben. Proteste sind angekündigt.

Berlin (epd). Der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) plant Sparmaßnahmen im Umfang von rund 49 Millionen Euro. Die Notwendigkeit dazu habe sich aus der „Misswirtschaft der vergangenen Jahre“ ergeben, teilte der Sender am 22. Februar in Berlin mit. Bis Ende 2024 müssten nun rund 41 Millionen Euro wieder aus der Planung herausgenommen werden. Hinzu kämen weitere gut acht Millionen Euro, die für 2023 und 2024 zwar durch die frühere Geschäftsleitung als Einsparziel vorgesehen, aber nicht mit Maßnahmen unterlegt gewesen seien. Bis 2025 sollen unter anderem 100 Stellen abgebaut werden.

Der RBB hat nach eigenen Angaben rund 2.000 festangestellte Beschäftigte. Hinzu kommen nach Angaben der Freienvertretung rund 1.500 freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die etwa 75 Prozent des Programms machen. Intendantin Katrin Vernau sagte dem Berliner „Tagesspiegel“ (Mittwoch, online), sie stehe auch nach Ende ihres Vertrags im September als Senderchefin zur Verfügung.

In der RBB-Ankündigung zu den Sparmaßnahmen hieß es, die Programmdirektion solle ihre Ausgaben gegenüber der bisherigen Planung 2023 und 2024 um insgesamt 21 Millionen Euro senken. Die Kosten für Personal und Organisation sollen bis Ende 2024 um knapp elf Millionen Euro sinken. Die Produktions- und Betriebsdirektion soll ihre Budgets um sieben Millionen Euro verringern. Auf Führungsebene soll die Zahl der Direktionen von derzeit vier auf zwei reduziert werden. Auch zwei Immobilien und zwei Grundstücke „abseits der Kernstandorte Berlin und Potsdam“ sollen verkauft werden.

Vernau betonte, die Kurskorrektur sei „ein Kraftakt, aber dringend erforderlich“. Ohne entschiedenes Handeln würde der RBB „spätestens Ende 2024 in einen finanziellen Abgrund blicken“. Die Zahlungsfähigkeit wäre dann nicht mehr ohne Weiteres sichergestellt. Angesichts der Ausgangslage sei die erweiterte Unternehmensleitung „überzeugt, den richtigen Weg in eine bessere Zukunft gefunden zu haben“.

Ab 2024 soll es den Angaben zufolge ein neues Programmschema geben. Fester Bestandteil würden Thementage und dialogorientierte Sendungen, aber auch Übernahmen aus den Angeboten der ARD, hieß es. In den zuschauerschwächeren Zeiten nach 22 Uhr werde der Programmaufwand minimiert. Erhebliche Einsparungen ergäben sich zudem bei fiktionalen Produktionen und dadurch, dass die Federführung für das ARD-Studio Warschau beim WDR verbleibe.

Beim Fernsehen werde sich der RBB auf das Programm zwischen 18 und 22 Uhr konzentrieren, hieß es weiter. Die Nachrichten-Flaggschiffe „rbb24 Abendschau“ und „rbb24 Brandenburg aktuell“ würden weiter gepflegt. Die weitere Finanzierung des ARD-Mittagsmagazins (MiMa) im Ersten sei nicht weiter aus eigener Kraft zu leisten. Über die Fortführung werde es Gespräche zwischen ARD und ZDF geben.

Die Sprecherin der RBB-Freienvertretung, Dagmar Bednarek, sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), ein vertrauensvolles Angebot an die Freien sei ausgeblieben. Eine Beschäftigungsgarantie für langjährige freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gebe es weiterhin nicht, sagte sie: „Uns fehlt ein Bekenntnis zu uns.“ Die Gewerkschaft ver.di kündigte Proteste gegen das Sparprogramm an.



Gniffke: ARD springt für fehlende RBB-Rücklagen ein



Frankfurt a.M./Stuttgart (epd). Die ARD springt für nicht zurückgelegte Beitragsmehreinnahmen des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) ein. In der anstehenden Bedarfsanmeldung bei der Finanzkommission KEF werde der Senderverbund „die Beitragsmehrerträge ausweisen in der geforderten Höhe“, sagte der ARD-Vorsitzende Kai Gniffke in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Auch die Mehrerträge des RBB sind in dieser Summe enthalten.“

Gniffke, der Intendant des Südwestrundfunks (SWR) ist, sprach von einem „gemeinsamen Unterhaken“, auf das sich die Intendantinnen und Intendanten der ARD im Februar geeinigt hätten. Im September war bekanntgeworden, dass der RBB unter der früheren Intendantin Patricia Schlesinger Mehreinnahmen in Höhe von 41 Millionen Euro im normalen Haushalt verplant hatte. Diese hätten nach Vorgabe der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) jedoch zurückgelegt werden müssen, um einen Anstieg des Rundfunkbeitrags in der Zukunft abzufedern.

„Natürlich hat so eine Situation, dass ein Sender die Beitragsmehrerträge nicht zurücklegt, das Potenzial, eine Gemeinschaft in Unruhe zu bringen“, sagte Gniffke in dem epd-Gespräch. Doch die anderen Anstalten hätten sich solidarisch gezeigt. Die Ausweisung der Mehrerträge werde nun auf der Berechnungsgrundlage der Einnahmen in den jeweiligen Verbreitungsgebieten erfolgen. „Der RBB ist kein Bittsteller, er ist ein vollwertiges Mitglied der ARD-Familie und ein Leistungsträger, den wir brauchen“, betonte der ARD-Vorsitzende.

Die ARD muss ihren Bedarf für die vierjährige Beitragsperiode ab 2025 bis Ende April dieses Jahres bei der KEF anmelden. Die neue RBB-Intendantin Katrin Vernau hatte im November angekündigt, der Sender wolle die fehlenden 41 Millionen Euro bis Ende 2024 einsparen.

Gniffke äußerte die Erwartung, dass durch unterschiedliche Maßnahmen „die Brandschutzmauern hoch und dick genug sind, dass so was nicht noch mal passiert“. So habe die ARD nach Bekanntwerden der Unregelmäßigkeiten im RBB die Transparenz gestärkt, die Compliance-Regeln geschärft und mehr Ressourcen für die Aufsichtsgremien zur Verfügung gestellt. Der SWR-Intendant verwies zudem auf die geplante weitere Novelle des Medienstaatsvertrags, die einheitliche Regeln zur Stärkung von Transparenz und Kontrolle bei den öffentlich-rechtlichen Sendern festschreiben soll.

epd-Gespräch: Diemut Roether und Michael Ridder


Kanzlei will RBB-Rundfunkrat keine Auskünfte erteilen



Berlin (epd). Um die zur Aufklärung der Affäre um die ehemalige RBB-Intendantin Patricia Schlesinger beauftragte Anwaltskanzlei Lutz/Abel gibt es neuen Streit. Nach einem Bericht von RBB24-Recherche vom 24. Februar wollen die Anwälte, anders als vom Rundfunkrat des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) gefordert, dem Aufsichtsgremium auf seiner Sitzung am 28. Februar keinen Zwischenbericht zur Compliance-Untersuchung vorlegen.

Die Kanzlei habe der Gremiengeschäftsstelle des RBB mitgeteilt, dass sie „in Abstimmung“ mit den Auftraggebern „in der Sitzung weder einen schriftlichen Bericht noch Auskunft zu weiteren inhaltlichen Prüfungsergebnissen erteilen können.“ Auftraggeber der Kanzlei sind die Compliance-Beauftragte des Senders und die Vorsitzende des RBB-Verwaltungsrats.

Die Stellungnahme der Kanzlei habe im Rundfunkrat Empörung ausgelöst, hieß es. Das Gremium hatte in seiner Sitzung Ende Januar beschlossen, dass die Anwälte in der Sitzung am 28. Februar einen Fortschrittsbericht über die bisherigen Compliance-Untersuchungen abgeben sollen. Mit der Einladung der Kanzlei wurde die RBB-Compliance-Beauftragte beauftragt. Diese sei aber nicht erfolgt, hieß es.

Der Rundfunkratsvorsitzende Ralf Roggenbuck erklärte demnach, das Gremium erwarte, dass entgegen der Ankündigung am Dienstag ein Fortschrittsbericht vorgelegt wird. Seit Mitte Juli 2022 soll die Kanzlei Lutz/Abel Missstände und fehlerhafte Strukturen im RBB prüfen. Im Januar war bekannt geworden, dass sie dem RBB dafür bis Ende November über 1,4 Millionen Euro in Rechnung gestellt hat. Das hatte im Sender vielfach heftige Kritik ausgelöst.



Schlesinger klagt auf Zahlung von Betriebsrente



Berlin/Köln (epd). Ex-RBB-Intendantin Patricia Schlesinger klagt nach Angaben ihres Anwalts nicht gegen ihre fristlose Kündigung durch den Sender. Schlesinger verlange ausschließlich die Zahlung ihrer Betriebsrente in Höhe von 18.384,55 Euro im Monat, sagte Anwalt Ralf Höcker dem Evangelischen Pressedienstes (epd) am 24. Februar in Köln: „Und zwar von Anfang an.“ Höcker bestätigte damit in Teilen einen Bericht des Portals „Business Insider“.

Der Jurist betonte, die von dem Portal „zunächst genannte angebliche Klagesumme von über 22.000 Euro“ sei falsch. „Dieser Betrag war einmal Gegenstand außergerichtlicher Erörterung, wurde aber nie eingeklagt“, sagte er. Der RBB wollte sich auf Anfrage nicht zu der Angelegenheit äußern. Zu laufenden arbeitsrechtlichen Verfahren könne keine Auskunft gegeben werden, sagte ein Sprecher dem epd.

Schlesinger war nach Vorwürfen der Verschwendung und Vetternwirtschaft im vergangenen August vom RBB fristlos entlassen worden. Seit September ist Interimsintendantin Katrin Vernau im Amt. Sie wurde zunächst für höchstens ein Jahr gewählt. Vernau hatte am Mittwoch ein umfangreiches Sparprogramm in Höhe von fast 50 Millionen Euro für den Sender angekündigt und dies mit „Misswirtschaft“ in den zurückliegenden Jahren begründet.

Am Dienstag will der jetzige RBB-Rundfunkrat zu seiner letzten Sitzung zusammenkommen. Das Aufsichtsgremium hatte dazu einen „Fortschrittsbericht“ der mit der Untersuchung möglicher Verfehlungen der früheren Senderspitze beauftragten Rechtsanwaltskanzlei angefordert. Der Bericht ist nicht im öffentlichen Teil der Tagesordnung enthalten.



Warnstreik beim MDR führt zu Programmausfällen



Leipzig (epd). Ein Warnstreik hat am 22. Februar beim Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) zu Programmausfällen geführt. Wegen des Ausstands konnte das Radio-Nachrichtenprogramm MDR Aktuell am Standort Leipzig nicht gesendet werden, wie der MDR mitteilte. Dort wurde das Programm von MDR Sachsen-Anhalt aufgeschaltet. Auch das MDR-Fernsehen sowie die Angebote von mdr.de und der MDR-Mediathek waren demnach betroffen. „Es kann zu kurzfristigen Umstellungen in den Programmangeboten kommen“, hieß es am Mittag. Hintergrund des Warnstreiks am Standort Leipzig waren laufende Tarifverhandlungen. Dazu hatten die Gewerkschaft ver.di und der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) aufgerufen.

Laut ver.di hat sich der MDR in den bisher zwei Verhandlungsrunden „inhaltlich nicht bewegt“. Die Gewerkschaft fordert unter anderem für die fest angestellten Beschäftigten acht Prozent mehr Gehalt und eine Inflationsausgleichsprämie von 3.000 Euro bei einer Tarif-Laufzeit von zwölf Monaten. Der MDR hat demnach zuletzt neben einer Prämie von 3.000 Euro für 2023 eine Gehaltserhöhung von lediglich 2,8 Prozent ab 1.1.2024 bei einer Laufzeit von 21 Monaten angeboten.



Gniffke: ARD entscheidet im Juni über Mantelprogramm für die Dritten




Kai Gniffke
epd-bild/Kai Loges + Andreas Langen
Über ein gemeinsames Mantelprogramm für die ARD soll laut ARD-Vorsitzendem Kai Gniffke im Juni entschieden werden. Zudem wolle die ARD einen öffentlich-rechtlichen Informationskanal im linearen Fernsehen beenden.

Stuttgart/Berlin (epd). Die ARD will im Juni darüber entscheiden, ob sie ein gemeinsames Mantelprogramm für einige oder alle Dritten Programme einführt. Das sagte der ARD-Vorsitzende Kai Gniffke in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Zuvor werde die Idee in der Video-Programmkonferenz der ARD beraten, erläuterte er. Der 62-Jährige hat den Vorsitz zum Jahreswechsel übernommen. Zudem kündigte Gniffke in einem Interview mit dem Nachrichtenportal „The Pioneer“ an, einen Informationskanal einzustellen.

Den Vorschlag eines gemeinsamen Mantelprogramms hatte der Intendant des Südwestrundfunks (SWR) bereits im vergangenen Jahr in die Diskussion gebracht. „Regional haben wir sehr unterschiedliche Priorisierungen“, sagte Gniffke: „Es gibt Medienhäuser, die stärker auf regional geprägte Strecken setzen, andere weniger.“ Möglich sei daher auch, dass es beispielsweise fünf ARD-Anstalten gebe, „die sagen, wir machen ein gemeinsames Drittes Programm und schalten uns von 18 bis 22 Uhr auseinander oder von 16 bis 20 Uhr“. Diese Fragen würden nun von Experten des Senderverbunds geprüft.

Die ARD hatte im Februar angekündigt, dass Kooperationen zum Regelfall werden sollen, um mehr Kräfte für „journalistische Exzellenz und hohe Recherchetiefe“ zu bekommen. Vorgesehen sind unter anderem auch „crossmediale journalistische Kompetenzzentren“, zunächst in den vier Bereichen Hörspiel, Gesundheit, Klima und Verbraucher. Eine Steuerungsgruppe aus elf ARD-internen Fachleuten soll sich um die Umsetzung der Reform kümmern.

In einem Podcast von „The Pioneer“ sagte Gniffke, einen öffentlich-rechtlichen Informationskanal im linearen Fernsehen noch in diesem Jahr beenden zu wollen. „Wir werden einen linearen Kanal einstellen. Wir werden darüber reden, ob wir ihn flexibilisieren - unser Fachwort dafür, dass wir diesen Kanal in ein rein digitales Internetangebot umwandeln“, sagte Gniffke „The Pioneer“ am Samstag. Die Entscheidung solle zeitnah fallen: „Welcher Kanal das sein wird, werden wir in den nächsten Monaten festlegen.“

Bereits im Dezember kündigte Gniffke im „Spiegel“ an, einen Fernsehkanal abzuschaffen. Die Intendanten hätten im Dezember beschlossen, dass „die ARD im Jahr 2023 beginnen wird, einen linearen Kanal einzustellen“, sagte Gniffke. In dem Doppelinterview ergänzte WDR-Intendant Tom Buhrow, dass die ARD gemeinsam mit den Gremien prüfen, „wie wir mit dem Sender One in Zukunft umgehen“.

Außerdem verteidigte Gniffke im Interview mit „The Pioneer“ sein Intendantengehalt, das mit 360.000 Euro höher ist als das des Bundeskanzlers. „Die Frage ist immer, woran man das bemisst“, sagte Gniffke. Der Verwaltungsrat orientiere sich an den Chefs und Chefinnen von kommunalen Versorgungsbetrieben. „Insofern kommt man zu dem Ergebnis, dass dieses Gehalt für einen Medienmanager angemessen ist.“



Bislang acht Medienschaffende in der Ukraine getötet



Berlin (epd). Seit dem Beginn des russischen Überfalls wurden in der Ukraine acht Journalistinnen und Journalisten getötet. Die meisten von ihnen starben bei Schusswechseln oder erlagen den dabei erlittenen Verletzungen, wie die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ (RSF) am 21. Februar in Berlin mitteilte. Zu ihnen gehöre etwa der französische Journalist Frédéric Leclerc-Imhoff, der in einem Lastwagen unterwegs war, als dieser von russischen Streitkräften beschossen wurde.

Andere, wie der ukrainische Fotojournalist Maxim Lewin oder die russische Journalistin Oksana Baulina, seien gezielt ermordet worden. Einige Fälle, darunter der des litauischen Dokumentarfilmers Mantas Kvedaravicius, der Anfang April in Mariupol tot aufgefunden wurde, seien nach wie vor nicht aufgeklärt.

Weitere 19 ukrainische und ausländische Journalistinnen und Journalisten seien verwundet worden, mindestens vier von ihnen schwer. Die meisten wurden demnach Opfer von russischem Artilleriebeschuss oder von Raketeneinschlägen, andere wurden gezielt beschossen wie die dänischen Journalisten Stefan Weichert und Emil Filtenborg Mikkelsen.

RSF und deren ukrainische Partnerorganisation Institute of Mass Information (IMI) registrierten insgesamt 50 Fälle, bei denen Medienschaffende unter Gewehr- oder Artilleriebeschuss gerieten. Mindestens 26 von ihnen seien gezielt beschossen worden. Laut „Reporter ohne Grenzen“ erhielten etwa 12.000 ukrainische und ausländische Journalistinnen und Journalisten seit dem 24. Februar 2022 eine Akkreditierung in dem Land.



Kirchenpräsident Jung will Publizistik in der Kirche erhalten




Volker Jung
epd-bild/Jens Schulze

Darmstadt (epd). Der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung hat sich für den Erhalt der Publizistik in der evangelischen Kirche ausgesprochen. „Wir müssen als Kirche so gut wie möglich weiter publizistisch präsent bleiben“, sagte Jung in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dazu gehörten eine Nachrichtenagentur ebenso wie gute publizistische Qualitätsprodukte, „die in einer redaktionellen Unabhängigkeit gestaltet sind“. Er halte nichts davon, sich als Kirche nur noch auf die Öffentlichkeitsarbeit zu beschränken. Das sei „zu kurz gegriffen“.

Jung ist auch Aufsichtsratsvorsitzender des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik (GEP) mit Sitz im Frankfurter Mertonviertel. Das GEP und das Medienhaus der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau hatten in der vergangenen Woche ihre Kooperation zum 1. Januar 2024 bekanntgegeben. Indem das GEP 51 Prozent Anteile übernimmt, wird das Medienhaus der EKHN zur Tochtergesellschaft. Die EKHN hält künftig noch einen Anteil von 49 Prozent. Beide Häuser bleiben selbstständig, werden aber von einer gemeinsamen Geschäftsführung geleitet.

Einstellung fiel „ausgesprochen schwer“

Infolge der Kooperation wird der Landesdienst Mitte-West des epd mit der Zentralredaktion des epd zusammengeführt. Außerdem wird die derzeit wöchentlich erscheinende „Evangelische Sonntags-Zeitung“ (ESZ) eingestellt. Den rund 4.200 Abonnentinnen und Abonnenten wird ab Januar 2024 „chrismon plus Hessen und Nassau“ angeboten, eine eigene regionale Variante des evangelischen Magazins „chrismon“.

Die Entscheidung zur Einstellung der ESZ sei ihm und der Kirchenleitung „ausgesprochen schwer“ gefallen, sagte Jung dem epd. Sie habe nichts mit der „hervorragenden Arbeit“ der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu tun, sondern sei auf den hohen Auflagenverlust und die Veränderungen, „in die wir alle mehr oder weniger hineingestellt sind,“ zurückzuführen, etwa auf den Rückgang der Zahl der Mitglieder und der zur Verfügung stehenden Finanzmittel.

„Wenn es einen Trost gibt, dann den, dass wir versuchen, damit personalpolitisch verantwortlich umzugehen, und dass wir mit 'chrismon plus Hessen und Nassau' die publizistische Arbeit an dieser Stelle in eine neue Form bringen“. Ihm selbst habe die ESZ immer viel bedeutet. „Sie hat den Zusammenhalt in der EKHN gefördert und dafür gesorgt, dass man übereinander informiert war.“

Regionale Perspektive bleibe erhalten

Jung sicherte zu, dass bei der Kooperation des epd-Basisdienstes und des epd-Landesdienstes Mitte-West die regionale Perspektive erhalten bleibe. Angesichts der sich stetig verändernden Medienlandschaft sei es wünschenswert, dass sich künftig auch Medienhäuser aus anderen Landeskirchen der Kooperation mit dem GEP anschlössen. „Das Prinzip muss immer sein, zentral zu bündeln und Dezentralität zu gewährleisten.“

Das vor 50 Jahren gegründete GEP versteht sich als bundesweites Mediendienstleistungsunternehmen für die Gemeinschaft der evangelischen Landeskirchen in Deutschland. Es trägt unter anderem „chrismon“, die Zentralredaktion des epd, die Rundfunkarbeit der EKD, das Internetportal „evangelisch.de“ und weitere reichweitenstarke Websites wie „religionen-entdecken.de“ und „ein-Jahr-freiwillig.de“. Die EKD ist 94-prozentiger Anteilseigner des GEP, das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung (EWDE) hält 6 Prozent.

epd-Gespräch: Dieter Schneberger


Ein Chefredakteur für "Volksstimme" und "Mitteldeutsche Zeitung"



Magdeburg (epd). Der Chefredakteur der „Mitteldeutschen Zeitung“, Marc Rath, wird künftig auch die Inhalte der Magdeburger „Volksstimme“ als Chefredakteur verantworten. Es werde jedoch weiterhin zwei unterschiedliche regionale Titel und keine Einheitszeitung geben, erklärte die „Volksstimme“ am 23. Februar in Magdeburg. Der bisherige-Chefredakteur Alois Kösters verlasse die Zeitung „im besten gegenseitigen Einvernehmen“, teilte der Bauer Verlag mit, in dem beide Zeitungen erscheinen. Kösters Weggang wurde mit strukturellen Veränderungen begründet.

Der 56-jährige Rath ist seit Februar vergangenen Jahres Chefredakteur der „Mitteldeutschen Zeitung“. Er kenne die Magdeburger „Volksstimme“ gut aus seiner langjährigen Tätigkeit als Koordinator der dortigen Lokalredaktionen, hieß es.

Die jeweilige regionale Ausrichtung solle weiterhin bestehen bleiben. Das Tagesgeschäft der unterschiedlichen Titel werden demnach Raths Stellvertreter Michael Bock für die „Volksstimme“ und Kai Gauselmann bei der „Mitteldeutschen Zeitung“ übernehmen.

Der 1963 im niedersächsischen Papenburg geborene Kösters war seit 2011 Chefredakteur der „Volksstimme“. Sie ist mit einer verkauften Auflage von rund 135.000 Exemplaren neben der nahezu ebenso auflagenstarken „Mitteldeutschen Zeitung“ die größte Tageszeitung in Sachsen-Anhalt. Beide Medienhäuser sind Teil der Bauer Media Group.



Goldener Bär der Berlinale geht nach Frankreich




Berlinale
epd-bild/Rolf Zöllner
19 Filme konkurrierten dieses Jahr um den Goldenen und die Silbernen Bären der Berlinale. Deutschland hatte fünf Produktionen im Wettbewerb - und kann sich am Ende über mehrere Silberne Bären freuen. Der Hauptpreis aber geht nach Frankreich.

Berlin (epd). Ein Goldener Bär für Frankreich, drei Silberne für Deutschland: Die Internationale Jury der 73. Filmfestspiele Berlin hat am 25. Februar die Hauptpreise verliehen. Den Goldenen Bären für den „Besten Film“ vergab das Gremium unter Leitung der US-Schauspielerin Kristen Stewart an den Wettbewerbsbeitrag „Sur l'Adamant (On the Adamant)“ des französischen Dokumentarfilmers Nicolas Philibert. Der Film erzählt die Geschichte einer schwimmenden Tagesklinik in Paris, wo Menschen mit psychischen Problemen betreut werden.

Der Silberne Bär „Großer Preis der Jury“ ging beim Abschlussabend im Berlinale-Palast am Potsdamer Platz an den Streifen „Roter Himmel“ des deutschen Regisseurs Christian Petzold. Mit dem Silbernen Bären „Preis der Jury“ zeichnete die siebenköpfige Jury den Film „Mal Viver (Bad Living)“ von Joao Canijo (Portugal/Frankreich) aus. Für die „Beste Regie“ wurde Philippe Garrel für den Wettbewerbsbeitrag „Le grand chariot (The Plough)“ (Schweiz) mit einem Silbernen Bären geehrt.

Den Silbernen Bären für die „Beste Schauspielerische Leistung in einer Hauptrolle“ erkannte die Internationale Jury der Kinderdarstellerin Sofia Otero in „20.000 especies de abejas“ („20.000 Species of Bees“) zu, verfilmt von der spanischen Regisseurin Estibaliz Urresola. Der Silberne Bär für die „Beste Schauspielerische Leistung in einer Nebenrolle“ ging an Thea Ehre im deutschen Wettbewerbsbeitrag „Bis ans Ende der Nacht“ von Christoph Hochhäusler.

Den Silbernen Bären für das „Beste Drehbuch“ vergab die Jury aus fünf Frauen und zwei Männern an „Music“ der deutschen Regisseurin Angela Schanelec. Für eine „Herausragende Künstlerische Leistung aus den Kategorien Kamera, Schnitt, Musik, Kostüm oder Set-Design“ wurde außerdem „Disco Boy“ des italienischen Regisseurs Giacomo Abbruzzese mit Franz Rogowski mit einem Silbernen Bären bedacht.

Bereits am Dienstagabend war der US-amerikanische Regisseur und Drehbuchautor Steven Spielberg für sein Lebenswerk mit dem Goldenen Ehrenbären der 73. Internationalen Filmfestspiele Berlin gewürdigt worden. Der mehrfache Oscar-Preisträger gilt als einer der weltweit renommiertesten Filmemacher.

Der Hauptpreis der Ökumenischen Jury ging an den Wettbewerbsbeitrag „Tótem“ von Lila Avilés. Mit dem Preis werden Filme ausgezeichnet, die wichtige soziale und interreligiöse Themen aufnehmen. Zwei weitere Preise vergab die Jury an „Jaii keh khoda nist (Where God Is Not)“ von Mehran Tamadon und „Sages-femmes (Midwives)“ von Léa Fehner. Der Gewinner des Goldenen Bären fand zudem eine „besondere Erwähnung“. Den mit 5.000 Euro dotierten Amnesty-Filmpreis bekam der Spielfilm „Al Murhaqoon“ (Jemen/Sudan/Saudi Arabien 2023) von Regisseur Amr Gamal aus der Sektion „Panorama“.

Die am 26. Februar zu Ende gegangenen 73. Internationalen Filmfestspiele Berlin präsentierten in verschiedenen Programmsektionen 287 Filme aus 67 Ländern. Insgesamt 19 Filme konkurrierten im Wettbewerb um die Goldenen und Silbernen Bären. Darunter waren fünf Produktionen aus Deutschland. Mit 270.000 Besuchern zur Wochenmitte war das Vorpandemie-Niveau wieder erreicht.



Berlinale: Ein Festival in der ganzen Stadt



Mit dem Goldenen Bären für "Sur L’Adamant" endeten am 25. Februar die Internationalen Filmfestspiele von Berlin - ein Film über eine Tagesklinik für Menschen mit psychischen Problemen. Ein großes Thema auf der Berlinale war ansonsten die Familie.

Berlin (epd). Man hätte der ersten „normalen“ Berlinale seit der Corona-Pandemie ein besseres Umfeld gewünscht. 2021 mussten die Verantwortlichen die Filmfestspiele ins Internet verlegen, im vergangenen Jahr gab es nur eine verkürzte Berlinale unter hohen Sicherheitsvorkehrungen. Und in diesem Jahr: Baustellen und Kinomangel. Der Friedrichstadt-Palast etwa mit seinen fast 1.900 Plätzen musste ausgerechnet während der Berlinale-Tage seine Lüftung erneuern. So war das Festival gezwungen, sich noch mehr über die ganze Stadt auszuweiten. Und der Potsdamer Platz, ohnehin Inbegriff moderner städtebaulicher Trostlosigkeit, war nicht mehr das Herz des Festivals.

Nun, die Stadt Berlin scheint ihre Berlinale nicht sonderlich ins Herz geschlossen zu haben. Aber die Berlinerinnen und Berliner lieben ihre Berlinale: mit 270.000 Besuchern zur Wochenmitte war das Vorpandemie-Niveau wieder erreicht. Am Wettbewerb des Jahrgangs 2023 ist schon vorab viel herumgekrittelt worden, nicht zu Unrecht. Dass ihm etwa die großen Namen fehlen - womit nicht nur US-amerikanische gemeint waren.

Auf den ersten Blick sahen die 19 Filme des Wettbewerbs des Jahres 2023 erstaunlich vielfältig aus, ein Dokumentarfilm und zwei Animationsfilme waren dabei, und im heimischen Aufgebot von insgesamt fünf Filmen präsentierte sich mit Christoph Hochäuslers „Bis ans Ende der Nacht“ ein düsterer, abgedrehter Polizeithriller voller Wendungen und Täuschungen. Und es gab auch zwei Komödien, ein Genre, das sonst nicht so recht in das Kunstfilm-Verständnis des künstlerischen Leiters Carlo Chatrian zu passen scheint. Zum einen „Blackberry“ des Kanadiers Matt Johnson, der von den Nerds erzählte, die das erste Smartphone der Welt bauten. Die zweite Komödie stammte von einem Regisseur, von dem man eine solche Leichtigkeit nicht erwartet hätte: Christian Petzold lässt in seinem „Roter Himmel“ einen misanthropen und egozentrischen Schriftsteller (großartig: Thomas Schubert!) vor allem an sich selbst scheitern, während im Wald an der Ostsee die Brände lodern.

Petzold hätte man auch den Goldenen Bären gewünscht, immerhin hat er den Silbernen Bären Großer Preis der Jury gewonnen. Den Goldenen Bären vergab die Jury unter ihrer Präsidentin Kirsten Stewart an den Dokumentarfilm „Sur L’Adamant“ des französischen Regisseurs Nicolas Philibert. Überraschend, aber auch eine durchaus vertretbare Entscheidung. Zuletzt hatte 2016 mit dem Flüchtlingsfilm „Seefeuer“ von Gianfranco Rosi eine Dokumentation das Bären-Rennen gemacht. Das Adamant ist eine Tagesklinik für Menschen mit psychischen Problemen, ein ehemaliges Frachtschiff, das auf der Seine mitten in Paris angedockt ist. Philibert hat im Sommer und Herbst 2021 das Boot besucht und die Therapeuten und Patienten porträtiert, ihre Rituale und Sitzungen beobachtet. Wie in allen seinen Filmen tritt Philibert vorurteilsfrei an die Menschen auf dem Schiff heran - gerade zu Beginn des Films ist es schwierig zu sagen, wer zu welcher Gruppe gehört.

Ein großes Thema war in diesem Jahr sicher die Familie. Man könnte Emily Atefs „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ dazurechnen (auch wenn er von sexueller Obsession handelt), Tótem von der Spanierin Lila Avilés, der die durchaus turbulenten Vorbereitungen für ein Geburtstagsfest erzählt, oder „20.000 especias des abejas“, dem Debüt der baskischen Regisseurin Estibaliz Urresola Solagren, in dem ein Junge nach seiner geschlechtlichen Identität sucht, wie im deutschen „Oskars Kleid“, nur vielschichtiger. Die achtjährige Sofia Otero wurde dafür für die beste schauspielerische Leistung in einer Hauptrolle ausgezeichnet (Thea Ehre aus „Bis ans Ende der Nacht“ für die beste schauspielerische Leistung in einer Nebenrolle). Auch Philippe Garrels „Le grand chariot“ über eine Marionettenspieler-Familie gehört zu diesem Themenkomplex. Dass der Altmeister für seinen fahrig inszenierten Film aber den Silbernen Bären für die beste Regie gewann, irritierte dann doch.

Von Rudolf Worschech (epd)


"Die Fabelmans": Steven Spielbergs filmisches Selbstporträt



Steven Spielbergs filmische Reise in die eigene Vergangenheit ist nicht nur das, sondern auch eine Liebeserklärung an seine Eltern. Er erzählt von seinen ersten Schritten als Filmemacher und einem Familiengeheimnis, das sein Leben prägte.

Berlin (epd). Als Steven Spielberg am 21. Februar der „Goldene Ehrenbär“ der Berlinale verliehen wurde, fiel die Wahl des Films, der die Feierlichkeiten abrunden sollte, nicht schwer: „Die Fabelmans“ hat eine ganz persönliche Bedeutung für den 76-jährigen Hollywood-Veteranen. Sein neuer Film ist ein Höhepunkt der Hommage, die das Festival ihm widmet. Darin kehrt Spielberg erstmals zu seinen familiären Wurzeln zurück.

„Die Fabelmans“ verändert zwar die Figurennamen und einige Details, lehnt sich aber ungeheuer eng an die Biografie des Filmemachers an. Er fängt genau an in dem Moment, als sich die Weichen des Lebens für sein filmisches Gegenstück, den achtjährigen Sammy, plötzlich neu stellen. Seine Eltern nehmen ihn zum ersten Mal mit ins Kino, wo der Zirkusfilm „Die größte Schau der Welt“ läuft. Mit großen Augen verfolgt der Junge das prächtige Spektakel auf der Leinwand. Besonders das Zugunglück im Film fasziniert ihn. Unverzüglich will er die Szene daheim auf der Modelleisenbahn nachstellen. Zu seinem großen Glück gibt es im Haus eine Kamera, mit der er den Zusammenstoß filmen kann. Eine Leidenschaft ist geboren.

Der junge Sammy wächst in einem jüdischen Mittelklasse-Haushalt auf, in dem Wärme und Optimismus herrschen. Vater Burt (Paul Dano) ist ein erfolgreicher Ingenieur, Mutter Mitzi (Michelle Williams) gab ihre Karriere als Pianistin auf, als das erste Kind kam. Aber eine gewisse Exzentrik hat sie sich bewahrt. Es kann schon mal passieren, dass sie ihre Kinder kurzerhand ins Auto packt, um mit ihnen einem Tornado entgegenzufahren. Sammys Schwestern wiederum sind eine lebhafte, eigensinnige Bande. Und Bennie (Seth Rogen), der beste Freund des Vaters, gehört mit zur Familie.

Das Drehbuch, das Spielberg zusammen mit dem Dramatiker Tony Kushner schrieb, nimmt sich viel Zeit für dieses behütete Heranwachsen. Es erzählt stets mehrere Geschichten gleichzeitig. Nebenbei veranschaulicht die berufliche Laufbahn des Vaters beispielsweise, wie sich die amerikanische Computerindustrie ab den 1950er Jahren entwickelt. Der Ehrgeiz des Vaters gibt dem Film seine Struktur: Bald zieht die Familie von der Ostküste nach Arizona und schließlich nach Kalifornien um. Derweil sammelt Sammy (als Teenager gespielt von Gabriel LaBelle) eifrig Erfahrungen hinter der Kamera und am Schneidetisch. Mit seinen Pfadfinderfreunden dreht er Western und Kriegsfilme, die auch die Eltern der Kameraden begeistern.

Die Ehe seiner eigenen Eltern gerät inzwischen in eine schwere Krise. Sammy kommt ihr auf die Spur, als er die Aufnahmen eines Familienausflugs zusammenschneiden will. Hinter den Bildern von Ausgelassenheit und Harmonie kommt eine andere Wahrheit zum Vorschein. Sprechen kann Sammy über seine Entdeckung nicht, aber er kann der Mutter seinen Film zeigen.

In Kalifornien spitzen sich die Konflikte zu. Sammy steht nun zwischen den Eltern, die sich trennen wollen. Außerdem wird er an der neuen Schule als Jude gemobbt und erlebt seine erste Liebesgeschichte. Es wird für ihn eine Zeit folgenreicher Entdeckungen und Erkenntnisse. Er lernt, dass ein Filmemacher nicht nur Verantwortung für die bewegten Bilder trägt, sondern auch für die Gefühle, die sie im Publikum auslösen. Zu guter Letzt erteilt der knurrige Altmeister John Ford (gespielt von Spielbergs Regie-Kollegen David Lynch) dem angehenden Hollywood-Regisseur eine Lektion, die er nie vergessen wird.

Von Gerhard Midding (epd)


Auschwitz-Komitee begrüßt Ehrenbären für Spielberg



Berlin (epd). Das Internationale Auschwitz Komitee hat den US-amerikanischen Filmregisseur Steven Spielberg für seinen künstlerischen Einsatz im Kampf gegen Antisemitismus gewürdigt. Überlebende der Schoah in aller Welt seien berührt von der Auszeichnung Spielbergs mit dem Goldenen Ehrenbären der diesjährigen Berlinale, erklärte der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner, am 21. Februar in Berlin. Spielberg sollte am Dienstagabend mit dem Ehrenbären ausgezeichnet werden.

Der Filmregisseur habe mit seinem künstlerischen Engagement immer wieder auf das Leid und die Gewalt hingewiesen, die der Antisemitismus noch heute hervorbringe, erklärte Heubner: „Durch seine Arbeit ist Spielberg zu einem der wichtigsten Botschafter der Erinnerung geworden, der die Stimmen der Überlebenden der Schoah und ihrer ermordeten Angehörigen bewahrt und in die Zukunft trägt.“ Spielberg präsentiert seinen neuen, autobiografisch geprägten Film „Die Fabelmans“ bei der Berlinale.



Ausstellung zeichnet Filmgeschichte von "Nackt unter Wölfen" nach



Berlin (epd). Eine Ausstellung von Studierenden der Universität Erfurt begibt sich 60 Jahre nach der Uraufführung des Defa-Films „Nackt unter Wölfen“ auf Spurensuche. Gezeigt werde das Projekt in der Thüringer Landesvertretung in Berlin begleitend zur diesjährigen Berlinale, teilte die Thüringer Staatskanzlei am 22. Februar mit. Die in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs im Konzentrationslager Buchenwald angesiedelte Geschichte berichtet von der Rettung eines Kindes durch Häftlinge. Sie basiert auf dem gleichnamigen Buch von Bruno Apitz (1900-1979).

In 15 Stationen, die zum Lesen und Verweilen einladen, zeichne die kleine Ausstellung eine bis in die Gegenwart reichende Geschichte zwischen Fakten und Fiktion, zwischen Filmgeschichte und regionaler Erinnerung nach. Diese richte sowohl den Blick auf die drei Verfilmungen des Stoffes in den Jahren 1960, 1963 und 2015, als auch auf die Fragen der Rezeptionsgeschichte und der hinter dem Roman- und Filmstoff liegenden „wahren“ Geschichte.

Für den Schirmherrn der Ausstellung, Thüringens Kulturminister Benjamin-Immanuel Hoff (Linke), bleibt mit der Ausstellung der Mythos des Buchenwald-Kindes verbunden und mit ihm die Frage nach der bedingungslos notwendigen Aufarbeitung der unsagbaren Verbrechen der Nationalsozialisten. Die Ausstellung sei ein wirkungsvoller Beitrag gegen das Vergessen und gegen jegliche Form der Verharmlosung.

Die Ausstellung wird unter anderem von der Staatskanzlei und der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen gefördert. Sie wird nach ihrer Premiere in Berlin in Weimar, Jena, Nordhausen, Gotha und Erfurt zu sehen sein.



Ein ausgeglichenes Feld, aber die pure Freude am Kino fehlte



Den Wettbewerb der 73. Berlinale dominierten bildungsbeflissene Filme, die sich durch Anspruch und Ernsthaftigkeit auszeichneten. Die pure Freude am Kino aber fehlte.

Berlin (epd). So wie es mal war, wird es nie wieder werden. Diese zentrale Zeitdiagnose der Postpandemie gilt nun auch für die Berlinale. Zwar waren die Kinos voll, sammelten sich allabendlich Fans am Roten Teppich, und mit Steven Spielberg beteuerte einer der ganz Großen aus Hollywood seine Dankbarkeit für einen Goldenen Hommage-Bären. Aber wo früher das Herz des Festivals pulsierte, rund um den „Berlinale-Palast“ am Potsdamer Platz, sind die Kino-Spielstätten inzwischen rar geworden. Wer Filme gucken will, muss durch die ganze Stadt fahren. Vor allem aber wird deutlich, wie sich im vierten Jahr der Direktion unter Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek die Programmauswahl verändert hat.

Unter ihrem Vorgänger Dieter Kosslick war die Berlinale ein entschieden bunter Laden, in dem nicht nur Filme aus aller Herren Länder, sondern auch unterschiedlichster Qualität und Ausrichtung ihr Plätzchen fanden. Man hat das oft als Mangel beschrieben: zu wenig zielgerichtete Auswahl, zu wenig echte vorausweisende Avantgarde. Carlo Chatrian als künstlerischer Leiter hat dem entschieden abgeholfen. In der Tat machten vor allem die Wettbewerbsfilme dieser 73. Berlinale den Eindruck, dass man jeweils genau wusste, weshalb und wofür sie ausgewählt worden waren. Es ist ein präzis kuratiertes Programm. Ein Film von Steven Spielberg übrigens wäre darin nicht vorstellbar.

Zwar war mit einem Dokumentar- und zwei Animationsfilmen unter den insgesamt 19 Beiträgen die Genrevielfalt groß, auch an der Diversität der Themen - Tech-Unternehmen, Literaturverfilmungen, Krieg- und Krimi-Szenarien - mangelte es nicht. Sämtliche Filme überzeugten mit Ernsthaftigkeit und künstlerischem Anspruch - allein die pure Freude am Kino machte sich darüber etwas rar.

Das gilt einmal mehr besonders für die deutschen Beiträge, die sämtlich betont bildungsbeflissen daher kamen. Emily Atef mit ihrer Adaption „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ geht an die Rekonstruktion des Sommers von 1990 in der DDR-Provinz so kleinteilig und detailversessen heran, dass sie den großen Umbruch aus dem Auge verliert. Auch in Margarethe von Trottas „Ingeborg Bachmann - Reise in die Wüste“ dominierte die sorgfältige Ausstattung mit den Kleidern und Accessoires der 50er und 60er Jahre das Geschehen dermaßen, dass die Figuren dahinter nie lebendig wurden. Und in Christian Petzolds „Roter Himmel“ zitieren junge Menschen in den Ferien an der Ostsee-Küste im vorgeblichen Hier und Heute Heinrich Heine-Gedichte mit einer Selbstverständlichkeit, die sie dann doch wieder aus der Zeit gefallen wirken lässt.

Die deutschen Filme bildeten mit der akademischen Haltung sowohl der Vergangenheit als auch der Gegenwart gegenüber aber keine Ausnahme im diesjährigen Wettbewerb. Weshalb es auch dieses Jahr so wenig klare Favoriten für die Bären-Vergabe gibt. Petzold als Regisseur könnte etwas gewinnen - sein „Roter Himmel“ funktioniert als perfekte Parabel für die Gegenwart: Ein narzisstischer Schriftsteller ist so mit sich selbst beschäftigt, dass er nicht nur die herannahende Gefahr eines Waldbrands, sondern auch die Gefühle der Freunde, die ihn umgeben, kaum wahrnehmen kann.

Marlene Burow, die die Hauptrolle in Atefs „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ spielt, wird als Kandidatin für einen Schauspielpreis gehandelt. Ihre stärksten Konkurrenten in dieser Hinsicht sind zwei Kinder: Naíma Sentíes, die im Film „Tótem“ der mexikanischen Regisseurin Lila Avilés ein kleines Mädchen spielt, das im Trubel einer Geburtstagsfeier für den sterbenskranken Vater auf berührende Weise neue Realitäten erkennen lernt. Und Sofía Otero, die im spanischen Film „20.000 Species of Bees“ ein Transmädchen verkörpert. Verdient hätte eine Auszeichnung jedoch auch die großartige Greta Lee, amerikanische Schauspielerin mit koreanischen Wurzeln mit ihrem Auftritt in Celine Songs „Past Lives“. Lee schlüpft in die Erwachsenenrolle einer jungen Koreanerin, die als Kind mit Familie auswanderte, Jahre später aber wieder mit einer Jugendliebe in Kontakt kommt, die sie über all die verpassten Lebens- und Liebesmöglichkeiten nachdenken lässt.

„Past Lives“ könnte aber auch ein heißer Kandidat für einen Regie-Bären oder gar den Goldenen Bären sein. Aber tatsächlich erschien das Feld der möglichen Favoriten selten so eben und ausgeglichen wie in diesem Jahr. Für das nächste Jahr wünscht man sich allein schon deshalb etwas mehr Ausschläge, vor allem natürlich was die pure Freude am Kino angeht.

Von Barbara Schweizerhof (epd)


Franckesche Stiftungen warten auf Aufnahme ins Unesco-Welterbe




Franckesche Stiftungen in Halle
epd-bild/Steffen Schellhorn
Auf der deutschen Vorschlagsliste für das Unesco-Weltkulturerbe stehen die Franckeschen Stiftungen in Halle schon. Doch jetzt könnte der Prozess ins Stocken geraten. Inhaltlich widmen sich die Stiftungen in diesem Jahr dem Thema Streit.

Halle (epd). Der geplanten Bewerbung der Franckeschen Stiftungen zur Aufnahme in das Unesco-Welterbe droht eine jahrelange Verzögerung. Deutschland habe sich um einen Sitz in der für die Vergabe zuständigen Kommission beworben, so Stiftungsdirektor Tobias Müller-Bahlke am 23. Februar in Halle (Saale). Sollte diese Bewerbung erfolgreich sein, würden alle deutschen Vorschläge für die Dauer der Kommissionsmitgliedshaft zurückgestellt werden.

Grundsätzlich sieht Müller-Bahlke die Bewerbung jedoch auf gutem Wege. Die Vorarbeiten seien gemacht und würden von den zuständigen Stellen im Auswärtigen Amt unterstützt. Die historischen Gebäude der Stiftung seien als weltweit einzigartiges Beispiel sozialer und pädagogischer Zweckarchitektur bereits auf die nationale Vorschlagsliste für das Unesco-Weltkulturerbe gesetzt worden.

Auch die Sanierung des Gebäudebestands sei inzwischen weitgehend abgeschlossen. 2023 werde mit dem Umbau des Südflügels der historischen Meierei zu einem Veranstaltungsgebäude begonnen, sagte Müller-Bahlke. Die benötigen 3,7 Millionen Euro für die Arbeiten stünden bereit. Überraschend sei das Ergebnis der vorangestellten Bauuntersuchung gewesen. „Wir dachten, der Südflügel sei nur ein einfacher Verbindungsbau zwischen den benachbarten Gebäuden gewesen. Es hat sich herausgestellt, dass es sich um den ehemaligen Schweinestall des Landwirtschaftsbetriebs und damit um eines der wirklich ältesten Gebäude auf dem Gelände handelt“, sagte der Direktor.

Fortgesetzt werde der nachhaltige Umbau des Gebäudebestands. Dazu gehöre nicht nur die Installation von Solaranlagen auf den Flachdächern aus DDR-Zeiten. Auch an eine große Zisterne sei gedacht, die Starkregen auffangen und für trockene Zeiten speichern soll. Laut Müller-Bahlke fehlt derzeit aber noch die zündende Idee zur Finanzierung des Vorhabens in geschätzter Höhe von neun Millionen Euro.

Inhaltlich widmen sich die Stiftungen 2023 dem Thema Streit. Mit prominenten Gästen und neuen Veranstaltungsformaten solle die aktuelle Debatte um die heutige Streitkultur aufgegriffen werden, kündigte Müller-Bahlke an. Die Stiftung leiste damit ihren Beitrag zum gleichnamigen stadtweiten Themenjahr. Im Mittelpunkt des Programms stehe von Mitte März an die Jahresausstellung „Streit. Menschen, Medien, Mechanismen im 18. Jahrhundert und heute“. Kontroverse Debatten erhofft sich die Stiftung auch um Vorträge des Schriftstellers Ingo Schulze oder des Journalisten und Fernsehmoderators Frank Plasberg, die im Jahresverlauf in Halle erwartet werden.

Zufrieden zeigte sich Müller-Balhke mit der Besucherentwicklung 2022: Trotz der anfänglich noch bestehenden Corona-Beschränkungen habe die Stiftung wieder mehr als 100.000 Gäste begrüßen können. Gerade die letztjährige Dauerausstellung „Macht der Emotionen“ sei auf großes Interesse beim schwer erreichbaren jungen Publikums gestoßen.

Die Franckeschen Stiftungen zu Halle beherbergen über 50 kulturelle, wissenschaftliche, pädagogische und soziale Einrichtungen. Sie wurden 1698 durch den Theologen und Pädagogen August Hermann Francke (1663 - 1727) gegründet.



Regierung will russischen Einfluss auf Berliner Museum beschränken



Berlin (epd). Die Bundesregierung will nach einem Bericht der Tageszeitung „Welt“ den Einfluss Moskaus auf das Kapitulationsmuseum Berlin-Karlshorst begrenzen. Entsprechende Überlegungen gebe es in den Häusern von Kulturstaatsministerin Claudia Roth und Außenministerin Annalena Baerbock (beide Grüne), schreibt das Blatt (21. Februar). Zwar werde die Einrichtung voll vom Bund finanziert. Im Trägerverein verfügten Vertreter des russischen Staates aber über großen Einfluss.

Dies sei im Lichte der jetzigen politischen Lage nicht mehr tragbar, erklärte die Kulturstaatsministerin der Zeitung. Viel zu oft seien die Vertreter Moskaus in der 17-köpfigen Mitgliederversammlung „Werkzeuge der russischen Propaganda“. In dem Gremium verfügt die russische Seite laut „Welt“ über eine Sperrminorität von 41 Prozent. Dagegen könnten weder die Satzung geändert, noch der Verein aufgelöst werden.

Seit Russlands Überfall auf die Ukraine seien die deutsch-russischen Kontakte im Verein bereits eingefroren. So sei vergangenes Jahr die obligatorische Mitgliederversammlung ausgefallen. Für den Weiterbetrieb des Museums mussten Beschlüsse zum Haushalt und zum Vorstand im Umlaufverfahren gefasst werden.

Die Einrichtung firmierte viele Jahre als Deutsch-Russisches Museum. Das Haus ist der historische Ort des Kriegsendes in Europa. In dem Gebäude unterzeichnete die Wehrmachtsführung vor Vertretern der Sowjetunion, der USA, Großbritanniens und Frankreichs am 8. Mai 1945 die bedingungslose Kapitulation. Vor rund einem Jahr war die Einrichtung zu ihrem ursprünglichen Namen „Museum Berlin-Karlshorst“ zurückgekehrt.



Museum Berlin-Karlshorst wirft Putin "Verdrehung der Geschichte" vor



Berlin (epd). Das Kapitulationsmuseum Berlin-Karlshorst hat zum ersten Jahrestag des russischen Überfalls am 24. Februar seine Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung bekräftigt. „Unser Mitgefühl gilt den Opfern von Krieg und russischen Verbrechen“, heißt es in einer am 23. Februar veröffentlichen Erklärung des Museums.

Die Zusammenarbeit des Museums habe sich „unumkehrbar verändert“. Der Dialog mit staatlichen russischen Institutionen sei seit Längerem schwierig gewesen, weil diese die Geschichte des Zweiten Weltkrieges zu ihren Zwecken instrumentalisierten. Seit 2014 missbrauche die russische Regierung Geschichte als Propaganda für einen verbrecherischen Krieg.

Die Ausführungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin, mit denen er vor einem Jahr das Bombardement militärischer wie ziviler Ziele in der gesamten Ukraine rechtfertigte, seien eine „Verdrehung der Geschichte“, heißt es in der Erklärung.

Expertenwissen werde künftig nötiger denn je sein, um Geschichte wissenschaftlich fundiert zu vermitteln. Das Kernthema des Museums, der deutsch-sowjetische Krieg zwischen 1941 und 1945, gehöre zu den einschneidenden Ereignissen in der Geschichte Europas im 20. Jahrhundert.

Die Einrichtung firmierte lange als Deutsch-Russisches Museum. Das Haus ist der historische Ort des Kriegsendes in Europa. In dem Gebäude unterzeichnete die Wehrmachtsführung vor Vertretern der Sowjetunion, der USA, Großbritanniens und Frankreichs am 8. Mai 1945 die bedingungslose Kapitulation. Im vergangenen Jahr war die Einrichtung zu ihrem ursprünglichen Namen „Museum Berlin-Karlshorst“ zurückgekehrt.



Medienprojekt erinnert an Opfer von NS-Kunstraub



Berlin (epd). Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) erinnert gemeinsam mit den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und den Rundfunkanstalten RBB und BR an die Opfer von nationalsozialistischem Kunstraub. Anhand von Restitutionsfällen würden vergessene Lebensgeschichten jüdischer Menschen erzählt, teilte die SPK am 23. Februar in Berlin mit. Geplant sei eine eigene Projektwebseite als multimediale „Mediathek der Erinnerung“.

Gefördert von der Kulturstaatsministerin werden den Angaben zufolge vom Bayerischen Rundfunk und dem Rundfunk Berlin-Brandenburg jeweils 15 kurze Filme gedreht, beispielsweise über das Schicksal jüdischer Kunstsammler im Nationalsozialismus und über die Ermittlungen von Provenienzforscherinnen und -forschern.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) betonte bei der Vorstellung des Projekts „Kunst, Raub und Rückgabe“, hinter jedem geraubten Kunstwerk stünden „die Lebensgeschichte und das erlittene Unrecht eines Menschen“. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sagte, das Projekt sei wichtig, „damit Erinnerung nicht verblasst“.

SPK-Präsident Hermann Parzinger erinnerte daran, dass in den vergangenen 25 Jahren viele Einrichtungen in Deutschland Kunstwerke und Bücher restituiert hätten: „Aber es bleibt noch sehr viel zu tun.“ RBB-Intendantin Katrin Vernau, sagte, im Rahmen des Projekts werde die Möglichkeit gegeben, jüdische Kunstsammlerinnen, Mäzene und Bürger kennenzulernen, die damals das kulturelle Leben geprägt hätten und deren Namen heute kaum bekannt seien.



Leipziger Buchmesse mit neuen Formaten



Leipzig (epd). Endlich wieder Buchmesse in Leipzig: Direktor Oliver Zille freut sich nach drei Jahren corona-bedingter Pause auf ein großes Literaturfest vom 27. bis 30. April. Bei der Vorstellung des Programms sprach der Buchmesse-Direktor am 23. Februar von riesiger Vorfreude der Messe-Macher und der Branche, aber auch einer großen Herausforderung nach der mehrjährigen Pause. Als neues Format kündigte Zille das Experiment „#buchbar“ an, das in einer Art Café-Atmosphäre Autoren und Leser zusammenbringen soll. Ein weiteres Element sei das Forum „Offene Gesellschaft“. Dieses sei auch ein Statement gegen Hass, Rassismus und Ausgrenzung. Auch die Ukraine werde eine große Rolle auf der Messe spielen, kündigte Zille an.

Das Stadtzentrum wird in die Messe einbezogen. So sollen laut Zille Veranstaltungen auf große Bildschirme auf dem Marktplatz übertragen werden, so die Verleihung des Preises der Leipziger Buchmesse am 27. April. Die russische Literatin Maria Stepanova erhält den mit 20.000 Euro dotierten Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung. Dieser wird seit 1994 vergeben und zählt zu den wichtigsten Literaturpreisen in Deutschland.

Beim Lesefest „Leipzig liest“ sind 2.400 Veranstaltungen an 300 Orten in der Stadt geplant. Erwartet würden zu Europas größtem Lesefest etwa Seyda Kurt, Christoph Hein, Sebastian Fitzek, Eckart von Hirschhausen, Angela Merkel und Carlo Masala.

Gastland ist Österreich. Es präsentiert sich unter anderem auf einer Österreich-Bühne unter dem Motto „meaoiswiamia“ („mehr als wir“), wie die Kuratorin des Gastlandauftritts und ORF-Journalistin Katja Gasser ankündigte.



Gothaer Stiftung Friedenstein investiert in Museen und Wissenschaft



Die Stiftung Schloss Friedenstein Gotha will aufschließen zu den großen Adressen in der deutschen Kulturlandschaft. Neue Gäste sollen angelockt und die Forschung intensiviert werden. Hierfür stehen mehr als 50 Millionen Euro zur Verfügung.

Gotha (epd). Die Stiftung Schloss Friedenstein und ihre Sammlungen im thüringischen Gotha unterziehen sich in den kommenden Jahren einem grundlegenden Wandel. So wolle die Stiftung einerseits in der Öffentlichkeit sichtbarer werden, sagte Stiftungsdirektor Tobias Pfeifer-Helke am 22. Februar in Gotha. Zum anderen treibe die Forschungseinrichtung ihre Vernetzung in der nationalen wie internationalen Wissenschaftsgemeinschaft deutlich voran.

So soll die Digitalisierung der Sammlungen für die Wissenschaft verstärkt werden. Für 2023 würden hier vor allem die umfangreiche Münz- sowie die Grafiksammlung ins Auge gefasst. Sie sollen nach international gültigen Forschungsstandards in Online-Plattformen eingebunden werden. In einem weiteren Schritt müssten zudem viele bereits in der Stiftung vorliegende Datensätze in die international einheitliche Form gebracht werden. Insgesamt stünden bis 2027 rund 28 Millionen Euro bereit.

Ein wichtiger Schritt für die tiefere Vernetzung der Stiftungsarbeit in der Region werde 2023 mit der „Wunderkammer Lokal“ gegangen. In der Gothaer Innenstadt öffne ein neues Ausstellungs- und Veranstaltungsgebäude seine Tore für Besuchende. Bundesweit werde eine „Mobile Wunderkammer“ in Form eines Busses mit Repliken ausgesuchter Exponate für den Friedenstein auf Werbetour gehen.

Für die bessere Sichtbarkeit der Sammlung in der Öffentlichkeit sowie umfangreiche museumspädagogische Angebote stelle die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien bis 2027 rund 25 Millionen Euro Fördergelder zur Verfügung. Aus diesen Mitteln könne zudem auch eine deutliche Aufstockung des Stiftungspersonals finanziert werden.

Wiederbelebt werde mit einer Expeditionsreise nach Kirgisistan nicht zuletzt auch die unter den Gothaer Herzögen gepflegte Tradition von wissenschaftlichen Forschungsreisen, sagte Pfeifer-Helke. Im Mai würden sich Mitarbeiter der Stiftung im Rahmen eines Projektes der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) in dem zentralasiatischen Staat auf die Suche nach Dinosaurier-Fundstellen machen. Sollte die Expedition Erfolg haben, sei ein langfristiges Engagement der Gothaer Forschenden in diesem Projekt denkbar.

Erfreulich aus Sicht der Stiftung hat sich auch die Besucherbilanz des vergangenen Jahres entwickelt. 2022 hätten mehr Gäste den Friedenstein besucht als vor Beginn der Corona-Pandemie. Ein Grund hierfür könne die erhöhte Ausstellungsdichte gewesen sein. Nach den Verschiebungen der Vorjahre habe die Stiftung zwei neue Dauerausstellungen an den Start gebracht sowie „mehr große Schauen als sonst gestemmt“, sagte Pfeifer-Helke. Ein weiterer Grund sei das Besucherinteresse an der Präsentation der 1979 aus der Sammlung gestohlenen und im vergangenen Jahr erstmals wieder präsentierten fünf Altmeister-Gemälde in einer „hervorragend besuchten“ Sonderausstellung.

Die Stiftung Schloss Friedenstein ist hervorgegangen aus den Kunst- und Preziosensammlung der Gothaer Herzöge. Diese werden heute im Schlossmuseum, im Historischem Museum und im Museum der Natur präsentiert. Insgesamt umfassen die Sammlungen etwa 1,1 Millionen Exponate von zum Teil internationaler Bedeutung.



Vom mythischen Sonnenwagen zum Satellitenbild-Feuerball




Ausstellung im Barberini-Museum
epd-bild/Christian Ditsch
Sonnenlicht am Morgen, am Mittag, am Abend, aus Nähe und Ferne: Das Potsdamer Barberini-Museum nimmt die Sonne als Lichtquelle in der Kunst in den Blick. Die Ausstellung mit Werken von der Antike bis zur Gegenwartskunst ist seit 25. Februar zu sehen.

Potsdam (epd). Ein roter Kreis am pastellfarbenen Himmel, darunter Hafenanlagen, die im Dunst verschwimmen, im Vordergrund Fischerboote im Morgenlicht: Claude Monets Gemälde „Impression, Sonnenaufgang“ von 1872 gab dem Impressionismus vor rund 150 Jahren seinen Namen. Nun ist es zum Ausgangspunkt der ersten Ausstellung des Jahres im Barberini-Museum in Potsdam geworden. Die Schau „Sonne. Die Quelle des Lichts in der Kunst“ mit rund 130 Werken von mehr als 50 Künstlerinnen und Künstlern ist vom 25. Februar bis zum 11. Juni zu sehen.

Das Gemälde von Monet, das den Hafen von Le Havre zeigt, sei als „Ikone der Moderne“ Dreh- und Angelpunkt der neuen Ausstellung, betont Museumsdirektorin Ortrud Westheider. Das Werk sei bei seiner ersten Präsentation in einer Ausstellung 1874 Sensation und Skandal zugleich gewesen. Es trage Modernität in sich und stehe mit dem Sujet des Sonnenaufgangs für den Anbruch einer neuen Zeit.

Die Ausstellung befasse sich mit Darstellungen aus rund 2.500 Jahren der europäischen und westlichen Kunstgeschichte, von der griechisch-römischen Antike bis zur Gegenwart, betont Westheider: „Wir widmen uns einem Menschheitsthema.“ Im Mittelpunkt stehe das Erhabene und Schöne. Doch auch die „Schrecken des Sonnenlichts“ würden in den Blick genommen.

Ein Marmor-Relief aus dem Berliner Bode-Museum, das im 16. Jahrhundert von Francesco di Simone Mosca geschaffen wurde, gehört zu diesen Schreckenswerken. Es zeigt den jugendlichen Phaëton, Sohn des Sonnengottes Helios aus der griechischen Mythologie, wie er mit Sonnenwagen und Pferden kopfüber auf die Erde stürzt. Ein Sinnbild für Hybris, Selbstüberschätzung. Auf einem anderen Relief stürzt Ikarus in die Tiefe, weil er der Sonne zu nahe kam.

Einer der acht Bereiche der Ausstellung ist der biblischen Deutung der Sonne gewidmet. Dort wird unter dem Titel „Entthronung“ die Abkehr vom antiken Verständnis der Sonne als Gott hin zu einem von Gott geschaffenen Element der Schöpfung im jüdischen und christlichen Monotheismus thematisiert. Die Sonne werde damit zum Objekt, dienstbar gemacht und des Göttlichen beraubt, sagt Barberini-Chefkurator Michael Philipp.

Weitere Bereiche befassen sich unter anderem mit Esoterik, Astronomie, Landschaften und Farbe. Das Modell eines Sonnenzirkels aus dem 16. Jahrhundert zur Berechnung des Osterdatums ist in der Ausstellung ebenso zu sehen wie frühe Fotografien von Sonnenfinsternissen und expressionistische Werke der „Befreiung der Farbe“. Eine Flusslandschaft von Max Pechstein gehört dazu. Auf dem Gemälde spiegelt sich in intensiven Farben die Sonne im Wasser. Krähen in einer fahlen und expressiven Winterlandschaft sind bei Otto Dix einer bedrohlich wirkenden Morgensonne ausgesetzt.

In der Ausstellung werden unter anderem Gemälde, Skulpturen, Grafiken und Fotografien präsentiert. Als Künstlerinnen und Künstler sind unter anderem Sonia Delaunay, Otto Dix, Albrecht Dürer, Max Ernst, Caspar David Friedrich, Joan Miró, Edvard Munch und Peter Paul Rubens vertreten. Zu den Werken der jüngeren Kunstgeschichte gehört eine Medieninstallation von Katharina Sieverding, die Eruptionen und Bewegungen des roten Feuerballs der Sonne zeigt. Die Künstlerin hat darin 200.000 Satellitenaufnahmen verarbeitet und zeigt die Oberfläche der Sonne, wie sie für Menschen sonst nicht zu erkennen ist.

Die Leihgaben kommen aus mehr als 60 Museen und Privatsammlungen in 13 Ländern, darunter den Staatlichen Museen zu Berlin, dem Rijksmuseum Amsterdam, dem Thyssen-Bornemisza-Museum Madrid, dem Pariser Louvre und der National Gallery of Art in Washington D.C. in den USA. Das Monet-Gemälde „Impression“ aus der Sammlung des Musée Marmottan wird nach Barberini-Angaben nur selten außerhalb von Paris gezeigt und ist in Potsdam nur in den ersten acht Ausstellungswochen zu sehen.

Von Yvonne Jennerjahn (epd)


Neptungrotte im Park Sanssouci schwer beschädigt



Potsdam (epd). Die Neptungrotte im Potsdamer Park Sanssouci ist von unbekannten Tätern schwer beschädigt und mit NS-Symbolen beschmiert worden. Der Schaden werde einer ersten Begutachtung zufolge auf mehr als 30.000 Euro geschätzt. Diese müssten für die Restaurierung aufgebracht werden, erklärte die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten am 23. Februar in Potsdam. Die Sachbeschädigung sei vermutlich am 22. Februar verübt worden.

Der Marmorskulptur des Meeresgottes Neptun sei der kupfergetriebene Dreizack aus der rechten Hand gebrochen und entwendet worden, hieß es. Dabei sei unter anderem der halbe Handteller mit drei Fingern abgetrennt worden. Zudem sei einer der flankierenden Najaden-Skulpturen die Nase abgeschlagen, das linke Auge mit einem Kreis und die linke Schulter mit SS-Runen beschmiert worden. Ob, wie und wann die Schäden behoben werden können, werde derzeit geprüft.

Die Stiftung verurteilte die Tat. Generaldirektor Christoph Martin Vogtherr erklärte, bürgerschaftliches Engagement sei „mit Füßen getreten“ worden. Sanierung und Restaurierung der Neptungrotte von 2013 bis 2018 seien nur dank zweier Vermächtnisse, des Engagements von Fernsehmoderator Günther Jauch und der Gäste mehrerer Potsdamer Schlössernächte ermöglicht worden. Die Gesamtkosten dafür hätten 3,5 Millionen Euro betragen.

Die von 1751 bis 1757 errichtete Neptungrotte ist nach Stiftungsangaben die letzte Schöpfung des Baumeisters Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff (1699-1753) für den Park Sanssouci und wurde erst nach seinem Tod vollendet.



Brandenburg fördert Amateur-Musikensembles



Potsdam (epd). Das brandenburgische Kulturministerium will Amateurchöre und -ensembles in diesem Jahr mit 100.000 Euro unterstützen. Im Rahmen der Übungsleiterpauschale würden 60.000 Euro zur anteiligen Finanzierung von Honoraren zur Verfügung gestellt, teilte das Ministerium am 20. Februar in Potsdam mit. Anträge könnten bis zum 31. März gestellt werden. Weitere 40.000 Euro sollen für Qualifizierungsmaßnahmen von Amateurchor-Leiterinnen und -Leitern bereitgestellt werden. Dafür seien Anträge ab dem 1. April möglich.

Kulturministerin Manja Schüle (SPD) betonte, die rund 400 Amateurensembles in Brandenburg bereicherten das kulturelle und soziale Leben. Das Land helfe gern dabei, qualifiziertes Leitungspersonal zu finden. Bei der zweijährigen Qualifizierung von Chorleiterinnen und -leitern an der Musikakademie Rheinsberg würden wichtige Dirigiertechniken, Methoden fürs Einsingen und Stimmtraining sowie Musiktheorie vermittelt. Derzeit befänden sich zwölf Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Ausbildung, hieß es.

Das Land unterstützt den Angaben zufolge Übungsleiterinnen und -leiter von Amateurensembles zudem seit 2017 im Rahmen der Übungsleiterpauschale mit einem Zuschuss. Voraussetzungen für die Förderung seien unter anderem eine Mindestzahl von zwölf Chor- beziehungsweise neun Instrumental-Musikerinnen und -musikern sowie eine aktive Beteiligung der Ensembles am öffentlichen Musikleben, hieß es. 2022 hätten 97 Amateurchöre und 18 Amateurorchester eine solche Unterstützung erhalten.



Moritzburg zeigt den anderen Picasso



Halle (epd). Anlässlich seines 50. Todestages am 8. April zeigt das Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) weniger bekannte Seiten des spanischen Künstlers Pablo Picasso (1881-1973). „Der andere Picasso“ lautet der Titel der Ausstellung, die seit 26. Februar bis 21. Mai zu sehen ist. Die Schau zeige vor allem Keramiken des Künstlers, die er ab 1946 in der Madoura-Werkstatt im südfranzösischen Vallauris geschaffen hat, teilte das Museum mit.

Die keramischen Arbeiten seien über viele Jahrzehnte kaum zu erleben gewesen und würden erst in jüngster Zeit allmählich wiederentdeckt. Im aktuellen Picasso-Jubiläumsjahr gebe es in Deutschland dafür nur in Halle (Saale) Gelegenheit.

Neben den Keramiken zeige die Ausstellung Grafiken und Zeichnungen, die Picassos Affinität zu Poesie, modernem Tanz und seine Zusammenarbeit mit den Ballets Russes dokumentierten. Diese waren 1909 vom russischen Impresario Sergej Djaghilew (1872-1929) gegründet worden. Insgesamt präsentiert die Ausstellung 103 Arbeiten aus öffentlichen und privaten Sammlungen in Spanien.

Das Museum Moritzburg habe sich auch wegen der historisch engen Verbindung der Stadt für Picassos künstlerische Keramik entschieden. In den 1950-er Jahren sei es die hallesche Galerie Henning gewesen, die in Ostdeutschland die Kunst Picassos wiederholt in Ausstellungen gezeigt habe. Es sei die für die Künstler der Halleschen Schule eine wichtige Inspiration gewesen.

Das Kunstmuseum ging aus dem 1885 gegründeten Städtischen Museum für Kunst und Kunstgewerbe hervor. Heute ist es eines der bedeutenden Museen für bildende und angewandte Kunst der Moderne.



Kunstmuseum Moritzburg zeigt Keramiken von Picasso



Halle (epd). Das Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) zeigt seit 26. Februar in einer Ausstellung weniger bekannte Seiten des spanischen Künstlers Pablo Picasso (1881-1973). Unter dem Titel „Der andere Picasso“ sind nach Angaben des Museums vor allem Keramiken des Künstlers zu sehen, die er ab 1946 in der Madoura-Werkstatt im südfranzösischen Vallauris geschaffen hat. Geöffnet hat die Schau bis zum 21. Mai.

Die keramischen Arbeiten seien über viele Jahrzehnte kaum zu erleben gewesen und würden erst in jüngster Zeit allmählich wiederentdeckt. Im aktuellen Picasso-Jubiläumsjahr gebe es in Deutschland dafür nur in Halle (Saale) Gelegenheit. Picassos Todestag jährt sich am 8. April zum 50. Mal.

Neben den Keramiken zeige die Ausstellung Grafiken und Zeichnungen, die Picassos Affinität zu Poesie, modernem Tanz und seine Zusammenarbeit mit den Ballets Russes dokumentierten. Diese waren 1909 vom russischen Impresario Sergej Djaghilew (1872-1929) gegründet worden. Insgesamt präsentiert die Ausstellung 103 Arbeiten aus öffentlichen und privaten Sammlungen in Spanien.

Das Museum Moritzburg habe sich auch wegen der historisch engen Verbindung der Stadt für Picassos künstlerische Keramik entschieden. In den 1950-er Jahren sei es die hallesche Galerie Henning gewesen, die in Ostdeutschland die Kunst Picassos wiederholt in Ausstellungen gezeigt habe. Er sei für die Künstler der Halleschen Schule eine wichtige Inspiration gewesen

Das Kunstmuseum ging aus dem 1885 gegründeten Städtischen Museum für Kunst und Kunstgewerbe hervor. Heute ist es eines der bedeutenden Museen für bildende und angewandte Kunst der Moderne.



Plakat-Polemiker aus Leidenschaft




Klaus Staeck (Archivbild von 2018)
epd-bild/Stefan Arend
Grafiker und Satiriker Klaus Staeck kommentiert seit Jahrzehnten mit seiner Plakatkunst die Gegenwart, hat sich mit Politikern und der Rüstungsindustrie angelegt. Jetzt wird er 85 und sagt: Wenn wir beim Umweltthema versagen, wird es ernst.

Heidelberg (epd). Auch mit fast 85 Jahren ist er immer noch unterwegs in Sachen Kunst und Politik. „Nichts ist erledigt“, schreibt der Satiriker Klaus Staeck auf seiner Homepage. Seit Ende der 60er Jahre hat er sich mit Plakaten zu Themen wie Umwelt, Frieden und Atomenergie in das kollektive politische Bildgedächtnis der Bundesrepublik eingebrannt. Am 28. Februar wird der Rechtsanwalt und Grafiker 85 Jahre alt.

Das Dilemma seiner Arbeit sei, dass sie nicht veralte, sagte der Polit-Grafiker dem Evangelischen Pressedienst (epd) : „Manche meiner Plakate sind heute aktueller als zu ihrer Entstehungszeit.“ Das bestätigt auch die jüngste seiner mehr als 1.000 Ausstellungen mit dem Titel „Satire vor Gericht“, die derzeit im Justizzentrum Heidelberg zu sehen ist.

Gezeigt wird beispielsweise ein Bild der Erde vom Weltall betrachtet, mit den Worten: „Die Mietsache ist schonend zu behandeln und in gutem Zustand zurückzugeben.“ Bei der Vernissage ermahnte Staeck das Publikum: „Wenn wir beim Umweltthema versagen, wird es ernst.“

Angesichts des Ukraine-Kriegs stimmt auch ein Plakat von 1981 nachdenklich. Damals legte er sich mit dem Rüstungskonzern Rheinmetall an. Auf dem Plakat waren fünf Konzernvertreter abgebildet, mit dem Satz „Alle reden vom Frieden. Wir nicht.“ Dieses Motiv hatte gleich sechs Prozesse ausgelöst, die Staeck alle gewann.

Demokratie lebe von der Meinungsfreiheit, betont Staeck: „Ich bin ein Verfechter der wehrhaften Demokratie.“ Der Bürger habe die Verpflichtung, sich einzumischen. „Wenn es sonst niemand tut, mache ich es.“ Dabei wende sich Satire immer gegen die Starken und nie gegen Schwache, sagt er. Die Menschenwürde dürfe sie nicht verletzen.

Der Heidelberger Kunsthistoriker Henry Keazor würdigt Staecks Verdienste für die „Demokratisierung der Kunst“. Statt in Museen oder Galerien habe dieser seine Werke schon in den 70er Jahren an Litfaßsäulen und Plakatwänden gezeigt und die Straße zur Galerie gemacht.

Eines seiner ersten Werke plakatierte Staeck 1971 in Nürnberg. Die Wohnungsnot thematisierte er mit einer Zeichnung des Malers Albrecht Dürer (1471-1528). Darauf ist Dürers greise Mutter mit Kopftuch zu sehen, dazu die Textzeile „Würden Sie dieser Frau ein Zimmer vermieten?“

Der groß gewachsene Künstler mit den weißblonden Haaren versteht sich nicht als Karikaturist oder Designer, sondern als Satiriker. Regelmäßig schreibt er auch Kolumnen für die „Frankfurter Rundschau“.

Die Zeiten, in denen aufgebrachte Politiker von CSU und CDU seine Plakate von den Wänden rissen, sind allerdings längst vorbei. Zu seinen bekanntesten Motiven gehört ein vermeintliches Wahlkampf-Plakat von 1972: „Die Reichen müssen noch reicher werden. Deshalb CDU“. Dagegen reichte die Partei Klage ein, wegen Verletzung des Namensrechtes.

Nicht nur in diesem Fall konnte der Künstler, der 1968 beim Landgericht Heidelberg als Rechtsanwalt zugelassen wurde, seine juristischen Kenntnisse gut gebrauchen: Mehr als 40-mal sollte eines seiner kritisch-satirischen Plakate verboten werden - jedoch „immer ohne Erfolg“, wie Staeck erzählt.

Bei den Rechtsverfahren sei es um das Spannungsfeld der satirischen Äußerung zwischen Kunst- und Meinungsfreiheit sowie dem Persönlichkeitsrecht der Betroffenen gegangen, erläutert die Juristin Franziska Brinkmann in ihrer Dissertation über die Plakate aus juristischer und kunstwissenschaftlicher Sicht.

Wer Staecks kleinen Eckladen in der Heidelberger Altstadt besucht, sieht stapelweise Postkarten, Plakate und Aufkleber: „Demokratiebedarf“, wie er es nennt. In seiner „Edition Staeck“ verlegt er nicht nur die eigenen Arbeiten, sondern auch Werke anderer Künstler wie Joseph Beuys (1921-1986).

Zwischen 2006 und 2015 war er Präsident der Akademie der Künste in Berlin und ist seitdem ihr Ehrenpräsident. Der vielfach ausgezeichnete Staeck, der 1960 in die SPD eingetreten ist, kam 1938 im sächsischen Pulsnitz zur Welt. Er wuchs in einem böhmisch-protestantischen Haus in der Industriestadt Bitterfeld auf. Unmittelbar nach dem Abitur übersiedelte er 1956 aus der DDR in den Westen und studierte in Heidelberg Jura.

„Ich bin ein zorniger, fröhlicher Christenmensch - streitbar, aber solidarisch“, sagt Staeck über sich selbst. Deshalb werde er weder aus der SPD noch aus der Kirche austreten.

Von Christine Süß-Demuth (epd)


Ein rastloser Stern am Kinohimmel



Vom Prenzlauer Berg nach London, Paris und Hollywood. Der Schauspieler Horst Buchholz feierte Erfolge vor der Kamera und auf der Bühne. Er führte ein bewegtes und ein anstrengendes Leben.

Frankfurt a. M. (epd). Er war einer der raren, international erfolgreichen deutschen Filmschauspieler. Horst Buchholz spielte Hochstapler, Rebellen, liebenswerte Verführer, glänzte in Filmen wie „Eins, Zwei, Drei“, „Die Halbstarken“ und „Die glorreichen Sieben“ und wurde als „deutscher James Dean“ vergöttert. Scheu und charmant zugleich galt der Schauspieler als Schweiger, der nichts von sich preisgab, immer ein wenig rätselhaft wirkte. „Ich hole das, was ich drinnen habe, nur raus, wenn ich drehe.“ Vor 20 Jahren starb er in Berlin, am 3. März 2003.

Am 4. Dezember 1933 in Berlin geboren, wuchs Buchholz im Arbeiterviertel Prenzlauer Berg auf. Erst als Teenager erfuhr er, dass der Mann, den er seit 1938 als seinen Vater kannte, der Schuhmacher Buchholz, gar nicht sein leiblicher Vater war. Wer das war, sollte für ihn ein Rätsel bleiben, trotz intensiver Nachforschung.

Die Kindheit von Buchholz im Krieg und in der schwierigen Nachkriegszeit war bestimmt von Lebenshunger und Lebensangst, Gefühle, die ihn nicht verlassen sollten. Bühnenerfahrungen, anfangs als Statist, machte „Hotte“, wie ihn seine jüngere Halbschwester Heidi nannte, als Kind und Jugendlicher, finanzierte sich damit Schauspielunterricht.

Aber erst das Kino machte ihn bekannt. Etwa Helmut Käutners „Himmel ohne Sterne“ (1955), ein Drama über die deutsche Ost-West-Teilung. Buchholz beeindruckte als sensibler, selbstloser Sowjetsoldat Mischa. Für diese Leistung bekam er den Bundesfilmpreis in Silber.

Das Image als „deutscher James Dean“ erwarb der 23-Jährige kurz darauf durch Georg Tresslers berühmtes Schwarzweißdrama „Die Halbstarken“ (1956). Buchholz ist Freddy, der Anführer einer Gang von rebellischen Jugendlichen, die im geteilten Nachkriegs-Berlin kleinere Straftaten begehen, weniger aus Not, denn aus Abenteuerlust. Drahtig, schmal, nervös, mit intensivem suchendem Blick traf der junge Schauspieler perfekt das Lebensgefühl einer unruhigen, „verlorenen“ Generation. Der Film kam gar in den USA ins Kino, unter dem Titel „Teenage Wolfpack“.

In Georg Tresslers „Das Totenschiff“ (1959) beeindruckte Buchholz als verzweifelter Matrose Philipp, ein Heimatloser, Illegaler, ohne Pass und Papiere. Ein tragisch endendes Liebesabenteuer mit der blutjungen Romy Schneider erlebte er in Helmut Käutners Drama „Monpti“ (1957).

Bald entdeckte der internationale Film den Schauspieler, der sich bald auf Englisch, Italienisch, Französisch, Spanisch und gar Russisch verständigen konnte. In Hollywood wurde John Sturges' Western „Die glorreichen Sieben“ 1960 einer seiner größten Erfolge. Buchholz behauptete sich als unerfahrener, tapferer Revolverheld Chico neben Großstars wie Steve McQueen, Yul Brynner und Charles Bronson.

Billy Wilders schräge Ost-West-Komödie „Eins, Zwei, Drei“, 1961 kurz vor dem Bau der Mauer gedreht, wurde anfangs als zu harmlos und seicht kritisiert und erst Jahrzehnte später ein Erfolg. Buchholz spielt charmant und witzig den linientreuen Jungkommunisten Otto Ludwig Piffl, der sich für ein Liebesabenteuer als Adeliger ausgibt. Ein zauberhafter Schwindler, wie ihn der Schauspieler schon in Kurt Hoffmanns Thomas-Mann-Verfilmung „Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ (1957) porträtierte.

Der vielbeschäftigte Star lehnte häufig Angebote ab, darunter so interessante wie Fellinis „Das süße Leben“ oder Viscontis „Der Leopard“, eine Rolle, die dann Alain Delon übernahm. Buchholz erprobte sich in den 1970er Jahren im Fernsehen, war in Krimiserien wie „Derrick“ oder „Drei Engel für Charlie“ zu sehen, moderierte ein paarmal die „Astro-Show“. Und er blieb dem Theater treu, stand auch weiter vor der Kamera. So 1997 in Wim Wenders' „In weiter Ferne so nah!“ und im Jahr darauf als KZ-Arzt Lessing in Roberto Benignis Oscar-prämierter Tragikomödie „Das Leben ist schön“.

1958 heiratete Buchholz seine französische Kollegin Myriam Bru, die er beim Dreh von Rolf Hansens Tolstoi-Verfilmung „Auferstehung“ vor der Kamera kennengelernt hatte. Ihre Kinder, Christopher und Beatrice, wurden in Los Angeles geboren. Buchholz galt immer als Schweiger. Umso erstaunlicher, wie Christopher Buchholz es im Jahr 2000 schaffte, in seinem Dokumentarfilm „Horst Buchholz … mein Papa“ den Vater zum Sprechen zu bringen. Über seine Geschichte - Kindheit, Krieg, Karriere. Und seine Bisexualität: „Ja, ich liebe auch Männer“.

Kein Wunder, dass der Star sich nie früher offenbarte, wurde Homosexualität bis in die 1990er Jahre noch strafrechtlich verfolgt. Fertig wurde der Film erst 2005. „Horst Buchholz. Sein Leben in Bildern“ heißt das Buch, das Myriam Bru mit Beatrice und Christopher 2000 herausbrachte, als „Hotte“ schon schwer krank war. Myriam Bru und Horst Buchholz waren Freunde geblieben, auch als sie, getrennt, in Berlin und Paris lebten.

Nach einem Oberschenkelhalsbruch, der ihn seelisch schwer belastete, starb Buchholz 2003 an einer Lungenentzündung in der Berliner Charité. „Liebe die Welt und die Welt wird dich lieben“ steht auf seinem Grabstein auf dem Waldfriedhof an der Heerstraße. Ein Zitat aus dem Film „Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“.

Von Bettina Thienhaus (epd)


Antisemitismus-Stelle veröffentlicht Bericht zur documenta



Marburg (epd). Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Hessen (RIAS Hessen) hat im Zusammenhang mit der documenta fifteen im vergangenen Jahr 38 antisemitische Vorfälle registriert. Das Dunkelfeld sei vermutlich wesentlich größer, berichteten Mitarbeiter der Meldestelle am 23. Februar bei einer Veranstaltung in der Jüdischen Gemeinde in Marburg. In den meisten Fällen habe es sich um einen Israel-bezogenen Antisemitismus gehandelt. Als Beispiel führten die Mitarbeiter eine Mail auf, in der es hieß, dass Juden „ihre Opferrolle“ instrumentalisierten, etwa um die documenta fifteen zu diskreditieren.

Bei der documenta fifteen hatten antisemitische Kunstwerke einen Eklat verursacht. Die Mehrheit habe einfach zugesehen, was in Kassel geschah, kritisierte die Projektleiterin von RIAS Hessen, Susanne Urban. Niemand habe „wirklich Verantwortung übernommen“. Urban sagte: „Es gibt ein Antisemitismus-Problem in Kunst und Kultur.“

„Aus dem Sommer der Kunst ist ein Sommer der Schande geworden“, sagte der Beauftragte der Hessischen Landesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus, Uwe Becker (CDU). Es müsse „schonungslos“ benannt werden, dass es in Deutschland möglich war, über Wochen antisemitische Kunstwerke zu zeigen und dass Warnungen im Vorfeld nicht ausreichend aufgenommen wurden.

„Andere Spielarten“ des Antisemitismus

Es sei bekannt, dass sich der Antisemitismus ständig verändere, erklärte der Direktor des Landesverbands der Jüdischen Gemeinden in Hessen, Daniel Neumann. Heute gebe es nicht mehr den Antijudaismus des Mittelalters, sondern wir erlebten „andere Spielarten“, die sich vor allem auf Israel fokussierten: „Das haben wir bei der documenta fifteen erlebt.“

Eine Veröffentlichung der RIAS zur documenta fifteen trägt den Titel „Es wurde eine dunkelrote Linie überschritten“. Das Dokument steht auf der Website von RIAS Hessen zum Download zur Verfügung. Dort wird in wenigen Wochen außerdem ein Monitoring-Bericht mit genauen Zahlen und Analysen veröffentlicht.

RIAS Hessen ging im März vergangenen Jahres an den Start und ist beim Demokratiezentrum Hessen an der Philipps-Universität Marburg angesiedelt. Die Stelle nimmt Meldungen über antisemitische Angriffe, Bedrohungen und Beleidigungen entgegen.



Ausstellung mit Werken von Müller-Jontschewa in Thüringen



Bad Frankenhausen (epd). Das Panorama Museum im thüringischen Bad Frankenhausen widmet der Malerin Alexandra Müller-Jontschewa als einer führenden Vertreterin der „Leipziger Schule“ eine Retrospektive. Die Ausstellung „Gefährdetes Paradies“ werde zum 75. Geburtstag der in Sofia geborenen Malerin vom 4. März an gezeigt, teilte das Museum am 23. Februar mit. Dabei werden 100 Werke vom Beginn ihres künstlerischen Weges von 1973 bis hin zu Bildern aus dem vergangenen Jahr gezeigt.

Müller-Jontschewa studierte den Angaben zufolge von 1967 bis 1972 an der Hochschule in Leipzig und war danach in Leipzig und seit 2010 im ostthüringischen Weida tätig. Als Quellen ihrer Werke nutze die Malerin Göttergeschichten, Fabeln, mittelalterliche Legenden, Elemente der Alchemie und Mystik, Mirakelbücher sowie Märchen. Die Malerin wird am 7. Juni 75 Jahre alt.

Die „Leipziger Schule“ entstand in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts im Umfeld der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst. Einer ihrer bekanntesten Vertreter war Werner Tübke (1929 - 2004). Dessen monumentales, dem deutschen Bauernkrieg gewidmetes Werk „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“ bildet das Zentrum des Museums in der nordthüringischen Stadt.



Landesbibliothek erhält Vorlass von Fotograf Matschie



Dresden (epd). Die Deutsche Fotothek der Sächsischen Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) erhält den Vorlass des Bautzner Fotografen Jürgen Matschie. Rund 600 Fotografien aus allen Schaffensphasen seien bereits übergeben worden und im Fototheks-Portal online zugänglich, teilte die SLUB am 23. Februar in Dresden mit. Die spätere Übernahme des gesamten Archivs ist demnach bereits vertraglich vereinbart. Mit Matschie sei ein weiterer wichtiger Protagonist ostdeutscher Fotografie in der Sammlung vertreten. Der Fotograf wird am 28. Februar 70 Jahre alt.

Er fühle sich mit seinem fotografischen Werk und Archiv im Kreis von sehr verehrten Kollegen gut aufgehoben, sagte Matschie. Mit der Aufnahme ins Archiv der Fotografen sei eine „wichtige Etappe meines Lebens abgeschlossen“.

Matschie widmet sich den Angaben zufolge seit rund vierzig Jahren der zweisprachigen Lausitz als Lebensumfeld, als Landschaft und als Wirtschaftsraum von Sorben und Deutschen. Sein Werk bewege sich zwischen sozialdokumentarischer Beobachtung und formal-ästhetischer Transformation der Wirklichkeit, hieß es. Darin würden Strukturwandel, generationelle Veränderungen, Modernisierungsprozesse, der politische Umbruch von 1989 und der Widerhall globaler Entwicklungen im Lokalen sichtbar.

Die Deutsche Fotothek verfügt nach eigenen Angaben als kulturgeschichtliches Universalarchiv über einen Gesamtbestand von rund sechs Millionen Bilddokumenten. Sammelschwerpunkte liegen in den Bereichen Fotografiegeschichte, Kunst, Architektur und Technikgeschichte.



Helau, Alaaf und politische Satire




Rosenmontagsumzug in Düsseldorf: Habeck muss Kröten schlucken.
epd-bild /Hans-Jürgen Bauer
Traditionell nehmen die Motivwagen bei Rosenmontagsumzügen das Weltgeschehen satirisch aufs Korn. In diesem Jahr bekamen der russische Präsident Putin, Bundeskanzler Scholz oder Wirtschaftsminister Habeck ihr Fett weg.

Köln, Mainz (epd). In Köln küsst der russische Präsident Wladimir Putin den Teufel und hat FIFA-Präsident Gianni Infantino den Mund voller Geldscheine. In Mainz entsteigt der frühere US-Präsident Donald Trump als Zombie seinem Grab. Am Rosenmontag haben die Närrinnen und Narren in den deutschen Karnevalshochburgen erstmals seit drei Jahren wieder mit Umzügen Karneval gefeiert. 2021 und 2022 waren die Züge wegen der Corona-Pandemie und des russischen Angriffs auf die Ukraine abgesagt worden.

In Düsseldorf ließ der Wagenbauer Jacques Tilly den russischen Präsidenten Wladimir Putin ein Blutbad nehmen. Knapp ein Jahr nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs saß Putin auf einem Persiflagewagen in einer in ukrainischen Landesfarben gestrichenen Wanne. Mit einer Bürste schrubbte er sich das Blut zigtausender Opfer vom nackten Körper. Der Zug mit mehr als 10.000 Teilnehmenden auf 122 Wagen und in 103 Fußgruppen begann im Stadtteil Bilk und zog in Richtung Altstadt.

„Krötenminister“ Habeck

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) musste als „Krötenminister“ einen Berg graugrüner Kröten schlucken. Die Amphibien trugen Namen wie „Gas aus Diktaturen“, „Atomkraft“ und „Aufrüstung“. Auch die Kirchen blieben nicht außen vor bei der Kritik. So wurde der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki mit seinem Verhalten im Missbrauchsskandal aufs Korn genommen. Während sich der Erzbischof an die Türme des Kölner Doms klammerte, versuchte der Teufel, ihn zu sich zu ziehen.

In Mainz rechnete der federführende Mainzer Carneval-Verein (MCV) für den neun Kilometer langen Zug mit 9.200 Teilnehmenden und bis zu 550.000 Zuschauern. In der vergangenen Woche hatte der MCV seine politischen Motivwagen für den Rosenmontag vorgestellt. Die Wagenbauer um Dieter Wenger thematisierten den Ukraine-Krieg, indem sie beispielsweise einen verbeulten russischen Panzer nachbauten, dem eine ukrainische Sonnenblume den Mittelfinger entgegenstreckte. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wurde als phrasenspuckender „Scholzomat“-Roboter gezeigt.

In Köln feierten die Jecken in diesem Jahr das Jubiläum 200 Jahre Kölner Karneval. An dem Zug aus mehr als 180 Wagen nahmen laut Veranstaltern etwa 12.000 Menschen teil. Die Kölner Persiflagewagen nahmen wie in Düsseldorf und Mainz das Weltgeschehen satirisch aufs Korn. Sie zeigten etwa neben Putin und FIFA-Präsident Infantino die getötete Iranerin Mahsa Amini, hinter der ein bärtiger Sittenwächter ein blutiges Messer hob.

„Ausgelassen, fröhlich und friedlich“

Einen weiteren Wagen zierte eine jüdische Menora, ein siebenarmiger Leuchter. Der Festwagen wurde laut dem Festkomitee Kölner Karneval bereits 2021 zum Festjahr „1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ gebaut. Festkomitee-Präsident Christoph Kuckelkorn erklärte, zum 200. Jubiläum des Kölner Karnevals sei dem Komitee bewusst geworden, wie sehr es sich in der NS-Zeit habe instrumentalisieren lassen. „Sogar im damaligen Rosenmontagszug wurde gegen jüdische Mitbürger gehetzt“, sagte Kuckelkorn. Heute werde jahrhundertealte gemeinsame Geschichte gefeiert.

In einer ersten Zwischenbilanz sprach die Polizei in Mainz von einem störungsfreien Ablauf und „bester Stimmung entlang der Zugestrecke“. Viele vor Ort eingesetzte Beamte teilten den Eindruck, dass noch mehr Menschen gekommen seien als in gewöhnlichen Jahren, sagte ein Polizeisprecher dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das vorläufige Fazit einiger Ordnungshüter am Rande des Zugs in Düsseldorf lautete: „Allgemein ausgelassen, fröhlich und friedlich.“

Die diesjährige Kampagne in Rheinland-Pfalz war von einem Streit um verschärfte Sicherheitsvorkehrungen überschattet. Neue Auflagen für Sicherheitskonzepte und Betriebsgenehmigungen für Fastnachtswagen haben dazu geführt, dass die Vereine in zahlreichen Kommunen vor allem im Süden des Bundeslands die Züge absagten.



Filmpublizist Wilhelm Roth gestorben



Frankfurt a.M. (epd). Der Filmpublizist Wilhelm Roth ist tot. Er starb wenige Tage nach seinem 86. Geburtstag am 23. Februar in einem Pflegeheim in Frankfurt am Main, wie seine Angehörigen dem Evangelischen Pressedienst (epd) mitteilten. Der gebürtige Regensburger leitete die Fachzeitschrift „epd Film“ von ihrer Gründung im Jahr 1984 bis zu seinem Ruhestand 2002. Für den Evangelischen Pressedienst (epd) war er seitdem weiterhin als Autor tätig.

Roth kam am 1. Januar 1984 in das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) in Frankfurt am Main, dem Verlag von „epd Film“. In der neuen Zeitschrift wurde die 1948 gegründete Publikation „epd Kirche und Film“ mit dem „Evangelischen Filmbeobachter“ zusammengeführt. Unter Roths Leitung entwickelte sich „epd Film“ zu einem unter Cineasten hoch angesehenen Monatsmagazin.

„Wir trauern um einen kenntnisreichen Journalisten und hochgeschätzten Kollegen, dessen Name untrennbar mit dem Erfolg von 'epd Film' verbunden ist“, sagte GEP-Direktor Jörg Bollmann und fügte hinzu: „Sein Wissen in allen kulturellen Sparten war bewundernswert, sein Engagement und seine menschliche Zugewandtheit werden uns immer Vorbild sein.“

Roth publizierte neben dem Thema Film auch in den Bereichen Bühne und Literatur. Im Ruhestand wurde das Musiktheater zu einem seiner Schwerpunkte.



Schriftstellerin Ines Geipel erhält Erich-Loest-Preis



Leipzig (epd). Die Schriftstellerin Ines Geipel, ist am 24. Februar mit dem Erich-Loest-Preis 2023 ausgezeichnet worden. Die 1960 in Dresden geborene Geipel sei eine „engagierte Autorin, die sich im Bergwerk der literarischen Aufarbeitung mit der Wirkungsgeschichte zweier diktatorischer Systeme beschäftigt“ habe, teilte die Medienstiftung der Sparkasse Leipzig anlässlich der Preisverleihung mit. Sie sei eine der wirkmächtigsten Stimmen zu Aufarbeitung des DDR-Regimes und der nationalsozialistischen Diktatur. Der Preis ist mit 10.000 Euro dotiert.

Der Dichter Durs Grünbein würdigte Geipel in seiner Laudatio als Autorin, die ihren historischen Erfahrungsraum konsequent ausmesse: „Die eigene, immer in Frage gestellte Lebenserfahrung, das Verdrängte und das Verleugnete daran, ist die Wurzel ihrer schriftstellerischen Unternehmungen.“ Die Preisträgerin sagte, die „Verzahnung von Nationalsozialismus und DDR-Diktatur bleibe das 'Basisbrot der deutschen Frage'“.

Geipel ist Professorin für Verskunst an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“. Die ehemalige DDR-Leistungssportlerin floh 1989 nach ihrem Germanistik-Studium in Jena nach Westdeutschland und studierte in Darmstadt Philosophie und Soziologie. 1996 kam ihr erstes Buch heraus.

Der von der Medienstiftung im Andenken an den 2013 verstorbenen Leipziger Schriftsteller und Ehrenbürger Erich Loest ins Leben gerufene Preis wird alle zwei Jahre vergeben. Er würdigt Autorinnen und Autoren, die die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in Deutschland beschreiben und den demokratischen Diskurs mitgestalten.



Abbas Khider erhält Evangelischen Buchpreis



Göttingen/Berlin (epd). Der in Berlin lebende Schriftsteller Abbas Khider wird für seinen Roman „Der Erinnerungsfälscher“ mit dem Evangelischen Buchpreis 2023 ausgezeichnet. Der mit 5.000 Euro dotierte Preis wird ihm am 24. Mai im Hospitalhof in Stuttgart verliehen, wie der hannoversche Landesbischof Ralf Meister am 21. Februar als Vorsitzender des Evangelischen Literaturportals in Göttingen bekannt gab. Das Buch ist 2022 bei Hanser erschienen.

„Mit klaren, schnörkellosen Sätzen, aber nicht ohne Humor, erzählt Abbas Khider von den Themen, die das Leben seines Protagonisten beherrschen“, begründete die Jury ihre Auswahl: „Die Gefangenschaft in der Diktatur, die lange, entbehrungsreiche Flucht nach Europa und die Vorurteile und Schikanen, denen er in der neuen Heimat immer wieder begegnet.“ Khider wende sich gegen religiösen Fanatismus, Nationalismus, Rassismus und andere Ideologien und fordere zu mehr menschlichem Miteinander auf.

Abbas Khider wurde 1973 in Bagdad geboren. Mit 19 Jahren wurde er den Angaben zufolge wegen seiner politischen Aktivitäten verhaftet. Nach der Entlassung floh er 1996 aus dem Irak und hielt sich in verschiedenen Ländern auf. Seit 2000 lebt er in Deutschland und studierte Literatur und Philosophie in München und Potsdam. 2008 erschien sein Debütroman „Der falsche Inder“.

Der Evangelische Buchpreis wird seit 1979 vom Dachverband evangelischer öffentlicher Büchereien, dem Evangelischen Literaturportal, verliehen. Die Jury wählte neben dem Preisbuch neun weitere Titel für die Empfehlungsliste aus.



Neues Werk von Olaf Nicolai im Grünen Gewölbe



Dresden (epd). Im Dresdener Grünen Gewölbe ist seit 22. Februar ein neues Werk von Olaf Nicolai zu sehen. Der Künstler habe für das ihm seit seiner Kindheit vertraute Grüne Gewölbe eine Arbeit geschaffen, die sich mit Fragen der Zeit befasst, teilten die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) mit. Das Werk besteht aus einer Uhr, deren einziger Zeiger die Sekunden anzeigt.

Sie hängt gegenüber der anderen Uhr, mit der Besucherinnen und Besucher an der Eingangsschleuse die aktuelle mit der gebuchten Eintrittszeit abgleichen können. Auf deren Zifferblatt werden die Sekunden nicht angezeigt. Das Werk „Radiate from beyond the measured borders of time“ entstand als Auftragsarbeit des Stifterkreises Freunde der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.

Dabei gehe es um Zeit für Betrachtung, Aufenthalt und Muße, aber auch um Zeit als historische Dimension und relatives Phänomen, hieß es. Der Künstler reflektiere das Grüne Gewölbe mit seinen Automaten und Uhren ebenso wie seine Konzeption als barockes Gesamtkunstwerk, in das Besucher eintauchten wie in eine Zeitkapsel und Zeitmaschine. Dort werde Zeit bemessen oder angehalten, laufe aber gleichzeitig unsichtbar weiter.

Es sei das erste Kunstwerk seit der Zeit von August dem Starken (1670-1733), das ausdrücklich für das Grüne Gewölbe geschaffen wurde, sagte dessen Direktor Marius Winzeler. Es bildet demnach den Auftakt der 300-Jahr-Feiern des Schatzkammermuseums.

Im Juni 1723 befahl der Kurfürst von Sachsen den Ausbau der als Depot dienenden „Geheimen Verwahrung“ im Dresdner Residenzschloss. In zwei Etappen entstand bis September 1729 das Schatzkammermuseum.



Filme der Woche



Tár

Lydia Tár (Cate Blanchett) ist die erste Chefdirigentin eines großen deutschen Orchesters. Damit ist sie in der von Männern dominierten Welt ganz oben angekommen. Und doch umweht sie eine seltsame Unruhe. Beziehungsprobleme mit ihrer Ehefrau (Nina Hoss) und Vorwürfe des Machtmissbrauchs suchen sie heim. Vielschichtig entwirft Todd Field das Porträt einer Frau, die nie so ganz zu entschlüsseln ist. Blanchetts Darstellung der Karrierefrau mit Abgründen ist Oscar-verdächtig.

Tár (USA 2022). R u. B: Todd Field. Mit: Cate Blanchett, Noémie Merlant, Nina Hoss, Sophie Kauer, Julian Glover. 158 Min. FBW: besonders wertvoll.

Creed III: Rocky’s Legacy

Seit er die Welt des Boxsports dominiert, entwickeln sich sowohl Adonis Creeds Karriere als auch sein Familienleben glänzend. Dann taucht Damian (Jonathan Majors) auf, ein ehemaliges Box-Wunderkind, dessen Karriere durch eine lange Haftstrafe unterbrochen wurde und der ein Jugendfreund von Adonis (Michael B. Jordan) ist. Doch nun muss die alte Freundschaft ruhen, denn Damian möchte ein für alle Mal klären, wer der bessere ist. Dritter Teil der Boxfilmreihe, die sich hier endgültig aus dem Schatten der Rocky-Filme mit Sylvester Stallone herausarbeitet.

Creed III: Rocky’s Legacy (USA 2023). R: Michael B. Jordan. B: Keenan Coogler, Zach Baylin. Mit: Michael B. Jordan, Tessa Thompson, Jonathan Majors, Wood Harris, Florian Munteanu. 116 Min.

Return to Dust

Der chinesische Bauer Ma (Renlin Wu) ist das jüngste von vier Kindern und damit der überzählige Sohn; Guiying (Hai-Qing) ist körperlich beeinträchtigt. Beide sind ihren Familien eher eine Last, weswegen ihre Zwangsheirat die logische Folge ist. Fortan leben die beiden Fremden gemeinsam in der kargen chinesischen Provinz. Doch ihre anfängliche Schüchternheit löst sich allmählich, und es entwickeln sich Zuneigung und Zärtlichkeit. Die romantische Erzählung wird kombiniert mit einem schonungslosen Blick auf die gesellschaftlichen Kontraste in China, was der dortigen Zensur ein Dorn im Auge war.

Return to Dust (China 2022). R u. B: Ruijun Li. Mit: Renlin Wu, Hai-Qing, Guangrui Yang, Dengping Zhao. 131 Min.

Lucy ist jetzt Gangster

Die zehnjährige Lucy (Valerie Arnemann) ist grundehrlich und möchte die Welt stets besser machen. Ihren Eltern führen nach diesem Prinzip ihr Leben - indem sie Eis nach altem Familienrezept verkaufen. Doch als die Eismaschine kaputtgeht, stehen sie vor dem Ruin. Als Lösung kommt Lucy in den Sinn, eine Bank auszurauben. Das steht ihrer Ehrlichkeit eigentlich entgegen, doch Onkel Carlo rät ihr, dass man die Regeln selbst bestimmen muss. Nun soll Gangster Tristan (Brooklyn Liebig) ihr beibringen, wie man böse wird. Sympathisch überdrehte Familienkomödie mit liebevollen Anleihen beim klassischen Gaunerfilm.

Lucy ist jetzt Gangster (Deutschland 2022). R: Till Endemann. B: Till Endemann, Andreas Cordes. Mit: Valerie Arnemann, Violetta Arnemann, Brooklyn Liebig, Lisa Marie Trense, Kostja Ullmann. 91 Min. FBW: besonders wertvoll.

www.epd-film.de