Kirchen

"Stillstand im Umgang mit dem Weltproblem Flucht"


Präses Manfred Rekowski besuchte vor einem Jahr die Crew der "Sea-Watch 3", um sich ein Bild von der Arbeit der Seenotretter im Mittelmeer zu machen. Die EKD ist an der Finanzierung der Hilfsorganisation beteiligt.
epd-bild/Heiko Kantar
Am Konflikt um das Seenotrettungsschiff "Sea-Watch 3" zeigt sich nach Einschätzung des evangelischen Migrationsexperten Manfred Rekowski das Scheitern der europäischen Flüchtlingspolitik. Nach wie vor fehle ein funktionierender Verteilmechanismus für Bootsflüchtlinge in Europa, sagt Rekowski im epd-Gespräch.

Scheitern, Stillstand, politisches Versagen: Mit deutlichen Worten kritisiert der Migrationsbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Manfred Rekowski, die europäische Flüchtlingspolitik. "Wenigstens eine Koalition der Willigen" müsse sich endlich bilden, sagt der Präses der rheinischen Landeskirche. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) spricht er auch über europäische Werte, die Haltung von Christen und ein mögliches eigenes Rettungsschiff der Kirche.

epd: Wie beurteilen Sie die Entscheidung einer italienischen Richterin zur Freilassung von Carola Rackete?

Rekowski: Ich begrüße es außerordentlich, dass die Kapitänin des Seenotrettungsschiffes "Sea-Watch 3", die im Mittelmeer gerettete Flüchtlinge in Lampedusa an Land gebracht hat, freigelassen wird. Zivile Seenotrettung ist kein Verbrechen, sondern die Reaktion auf ein politisches Versagen im Blick auf den Umgang mit Flüchtlingen an den europäischen Außengrenzen.

epd: Offenbar wird der Kapitänin weiterhin Beihilfe zu illegaler Migration vorgeworfen. Ändert sich durch diesen Fall überhaupt etwas am grundsätzlichen Umgang mit staatlicher oder privater Seenotrettung in der EU?

Rekowski: An diesem Vorgang zeigt sich das Scheitern europäischer Flüchtlingspolitik. Die europäischen Mittelmeerstaaten mit EU-Außengrenzen wurden und werden mit der Aufnahme von Geflüchteten weitgehend allein gelassen. Es ist leider noch immer nicht gelungen, humanitäre Korridore zu schaffen, die insbesondere sehr gefährdeten und verletzlichen asylberechtigten Personen den Zugang nach Europa gefahrlos ermöglichen könnten. Es fehlt auch nach wie vor an einem funktionierenden Verteilmechanismus für Bootsflüchtlinge in Europa. Hier ist Europa gefordert - und nicht bei der Behinderung oder gar Bekämpfung von ziviler Seenotrettung.

epd: Sehen Sie eine Chance, dass es innerhalb der EU zu einer solidarischen Verteilung der Flüchtlinge kommt?

Rekowski: Nein, zurzeit nicht. Ich hoffe allerdings nach wie vor, dass sich endlich wenigstens eine Koalition der Willigen in Europa bildet, die Italien und andere Mittelmeeranrainerstaaten bei der Aufnahme Geflüchteter entlastet und so dazu beiträgt, dass sich die humanitäre Situation geflüchteter Menschen in Europa deutlich verbessert.

epd: Der Fall der "Sea-Watch 3" und von Kapitänin Rackete hat viel Solidarität, aber auch feindselige Reaktionen ausgelöst. Gibt es in Europa noch einen Konsens über grundlegende Werte?

Rekowski: Der Fall der "Sea-Watch 3" zeigt erneut, dass im Umgang mit dem Weltproblem Flucht nach wie vor ein absoluter Stillstand festzustellen ist. Bedauerlicherweise ist auch nicht erkennbar, für welche Werte Europa tatsächlich gemeinsam einsteht. Christenmenschen achten das Leben eines jeden Menschen und tun, was irgend möglich ist. Das gehört nach meinem Verständnis auch zu den europäischen Wurzeln.

epd: Kirchentagsteilnehmer haben die EKD in einer Resolution aufgefordert, ein eigenes Rettungsschiff ins Mittelmeer zu schicken. Halten Sie das für sinnvoll oder was ist sonst die Aufgabe der Kirche?

Rekowski: Natürlich ist die EKD keine Reederei. Aber schon in den Anfängen der jüngeren Geschichte der Diakonie sprach zum Beispiel Johann Hinrich Wichern von "Werken rettender Liebe", die nötig seien. Ein Rettungsschiff wäre in diesen Tagen in der Tat ein notwendiges Werk rettender Liebe. Mit Wichern kann man die Haltung der Kirche so beschreiben: "Die Liebe gehört mir wie der Glaube." Das heißt: Christinnen und Christen loben im Gottesdienst Gott und tun das, was um der Menschen willen nötig ist.

epd-Gespräch: Ingo Lehnick


Kirchliche Friedensbewegung fordert Ächtung von Atomwaffen

Gottesdienst, Konzert und politische Reden: Zum zweiten Mal trifft sich die christliche Friedensbewegung am Fliegerhorst Büchel zu einem friedlichen Protest gegen die Atomrüstung. Aus den Beiträgen spricht Sorge über die jüngsten Entwicklungen.

Die christliche Friedensbewegung hat am 7. Juli bei einem Aktionstag vor dem Fliegerhorst Büchel in der Eifel ein Atomwaffenverbot und mehr zivile Konfliktlösungen gefordert. "Im Zeitalter von Massenvernichtungswaffen kann niemand mehr Krieg als ein Werkzeug Gottes sehen", sagte die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, vor den rund 1.000 Teilnehmern. Auch der amtierende EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm machte sich für eine Ächtung der Atomwaffen stark. In Büchel sollen sich die letzten US-Atomwaffen auf deutschem Boden befinden.

Käßmann kritisierte in einem ökumenischen Gottesdienst, dass Deutschland zu einer Rüstungsexportnation aufgestiegen sei, die auch in Krisengebiete Waffen liefere. Mehr Rüstung bringe aber nicht mehr Frieden, sondern mache Krieg wahrscheinlicher. "Wenn heute von mehr internationaler Verantwortung die Rede ist, kann es doch nicht um mehr militärische Verantwortung Deutschlands gehen, sondern allein um mehr Friedensverantwortung", betonte die ehemalige hannoversche Landesbischöfin.

"Wir können nicht die Kriege dieser Welt beklagen, die Menschen, die aus diesen Kriegen zu uns flüchten, abweisen - und gleichzeitig verdient unsere Wirtschaft an genau diesen Kriegen", fügte Käßmann hinzu. Stattdessen müssten zivile Methoden der Konfliktbearbeitung gestärkt werden. Christen hätten den biblischen Auftrag, sich für die Überwindung von Hass und Krieg einzusetzen. Die Kirchen hätten aus dem Grauen der beiden Weltkriege gelernt, dass Krieg nach Gottes Willen nicht sein solle.

Grußwort des Ratsvorsitzenden

Besorgt zeigte sich Käßmann über die Aufkündigung des INF-Abrüstungsvertrags für atomare Mittelstreckenraketen durch die USA. Das habe die Welt unsicherer gemacht. Der EKD-Ratsvorsitzende Bedford-Strohm kritisierte, die weltweiten Atomwaffenbestände würden gegenwärtig mit hohem Milliardenaufwand modernisiert. "Angesichts ihrer ungeheuren Zerstörungsgewalt ist das absurd", schrieb der Theologe in einem Grußwort, das bei dem Aktionstag verlesen wurde.

Er unterstütze ausdrücklich die UN-Initiative zur weltweiten Ächtung der Atomwaffen, erklärte Bedford-Strohm. Zwar führe ein solches gesetzliches Verbot nicht automatisch zum Abbau der Arsenale. "Aber das Chemiewaffenverbot hat gezeigt, dass von einer solchen völkerrechtlichen Ächtung ein Delegitimationseffekt ausgeht, der den Druck zum Abbau dieser schrecklichen Waffen erhöht."

Zu den Protesten mit Reden, Kulturprogramm und Gottesdienst hatte ein christliches Aktionsbündnis aus mehreren evangelischen Landeskirchen und der katholischen Friedensorganisation Pax Christi aufgerufen. Erklärtes Ziel war, ein deutliches Signal für Frieden und nukleare Abrüstung an Politik, Kirche und Gesellschaft auszusenden. Die Bewegung fordert unter anderem, dass Deutschland den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnet und im Grundgesetz ein Verbot von Atomwaffen verankert wird.

Vorab hatten die internationale Kampagne für das Verbot von Atomwaffen (ICAN) und die Organisation "Ärzte gegen Atomwaffen" (IPPNW) ein dreitägiges Festival mit Konzerten, Workshops und Protesten organisiert. An einem ersten christlichen Aktionstag vor dem Fliegerhost Büchel vor einem Jahr hatten rund 500 Menschen teilgenommen.



EKD und Muslime warnen vor populistischen Tendenzen

Spitzenvertreter des Islams und des Protestantismus in Deutschland haben populistischen Tendenzen eine Absage erteilt. Weltweit verbreitete Religionen wie das Christentum oder der Islam ließen sich weder auf eine bestimmte Nationalität noch auf eine bestimmte Herkunft oder Kultur begrenzen, hieß es am 3. Juli nach einem Treffen zwischen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und des Koordinationsrates der Muslime (KRM) in München. Im Mittelpunkt stand dabei das Thema "Religiöse Heimat und Identität".

Gemeinsam begrüßten KRM und EKD die von einem italienischen Gericht angeordnete Freilassung der Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete. Zivile Seenotretter dürften nicht kriminalisiert werden. "Menschen aus Lebensgefahr zu retten, ist über alle Religionen hinweg ein Gebot der Menschlichkeit," lautete die Reaktion auf die Gerichtsentscheidung vom Vorabend.

Bedford-Strohm: "Glaube schafft Beheimatung"

Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm erklärte: "Der Glaube schafft Beheimatung, aber nicht im engen Sinne eines Rückzugs auf die eigene Scholle, sondern im Sinne einer Vergewisserung, die auch mit Vielfalt und Veränderung offen und konstruktiv umgeht." Die Form von Identität und Heimat, die sich aus der christlich-jüdischen Tradition speise, "taugt nicht als Mittel der Ausgrenzung, sondern sie ist Ausstrahlungsquelle einer Liebe, die Grenzen nicht aufrichtet, sondern überwindet."

KRM-Sprecherin Nurhan Soykan warb dafür, Menschen, die mehr als ein Mutter- oder Vaterland haben, als Bereicherung einer Gesellschaft zu erkennen. "Durch die fortlaufende Infragestellung gerade von Muslimen in Deutschland, die hier schon seit vielen Generationen leben, wird es ihnen erschwert, Deutschland als ihre Heimat zu begreifen", erklärte sie. "Gerade im öffentlichen Diskurs finden sich hartnäckige Narrative von Ausgrenzung und Ausschluss." Aufgabe der Religionsgemeinschaften sei es, Raum für eine gemeinsame Heimat und eine gemeinsame Zukunft zu schaffen.

Der Dialog in Deutschland müsse in Übereinstimmung mit den Werten des Grundgesetzes geführt werden, erklärten EKD und KRM. Darauf hätten sich die evangelische Kirche und der Koordinationsrat der Muslime bereits 2015 in einem gemeinsamen Dialogratgeber verständigt: "Hass und Hetze dürfen hier keinen Platz haben", hieß es. Das Spitzengespräch zwischen EKD und muslimischen Verbänden findet seit 2005 mit je wechselnder Gastgeberschaft statt. Der Koordinierungsrat der Muslime wurde 2007 in Köln gegründet.



Bischof Hein fordert Antisemitismusbeauftragten bei EKD


Martin Hein
epd-bild/Daniel Peter

Der Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Martin Hein, hat von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) die Einsetzung eines Beauftragten gegen Antisemitismus gefordert. Dies müsse möglichst bald geschehen, weil es aktuell geboten sei, sagte Hein in einem am 3. Juli in Kassel veröffentlichten Interview der landeskirchlichen Medienagentur "medio". Das Thema Antisemitismus sei viel zu lange beiläufig behandelt worden, oft auch angesichts der komplexen politischen Beziehungen zu Israel. Die antisemitischen Übergriffe gingen dabei nicht nur von arabischen Menschen, sondern in großer Anzahl auch von rechtsradikaler Seite aus.

In dem Interview beklagte Hein zudem eine immer aggressivere Wortwahl der Menschen im Umgang miteinander. "Es muss sich nicht nur im Netz etwas ändern, es muss sich in unserem Umgang miteinander sehr viel ändern", sagte er. Auf alles werde mit einer völlig übersteigerten Empörung reagiert, nicht nur von rechtsradikaler Seite aus. "Wir müssen zurückfinden zu einer Sprache, die Humanität wahrt und die Menschenwürde nicht verletzt", forderte Hein, der Ende September in den Ruhestand tritt. Die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW) mit Sitz in Kassel ist eine von 20 EKD-Landeskirchen. Sie zählt rund 830.000 evangelische Christen.



Katholischer Flüchtlingsgipfel befasst sich mit Fremdenfeindlichkeit

Mitarbeiter in der kirchlichen Flüchtlingsarbeit erleben immer wieder Anfeindungen und Fremdenfeindlichkeit. Wie sie damit umgehen können, darum ging es beim Flüchtlingsgipfel der katholischen Kirche.

Beim vierten Katholischen Flüchtlingsgipfel haben am 4. Juli in Essen rund 100 Fachleute, Haupt- und Ehrenamtliche aus der katholischen Flüchtlingsarbeit über Herausforderungen im Umgang mit Fremdenfeindlichkeit diskutiert. Der Hamburger Erzbischof Stefan Heße rief zu einer entschiedenen Haltung gegen Rechtspopulismus und Fremdenhass auf. "Rassismus und Fremdenfeindlichkeit widersprechen der Botschaft Jesu", sagte der Sonderbeauftragte der katholischen Deutschen Bischofskonferenz für Flüchtlingsfragen. "Hass und Hetze treten wir entschieden entgegen."

Während des starken Anstieges der Flüchtlingszahlen 2015 habe es in Deutschland eine Welle von Solidarität, Hilfsbereitschaft und Mitgefühl gegeben, sagte Heße weiter. Aktuell erlebten Flüchtlinge und Helfer neben Zustimmung jedoch auch Anfeindung: "Fremdenfeindliches Gedankengut droht sich in der Mitte der Gesellschaft auszubreiten." Auch in Kirchengemeinden gebe es mancherorts Angst vor Überfremdung, räumte der Erzbischof ein.

Aufruf zu ehrlicher Debatte

Heße rief dazu auf, eine offene und ehrliche Debatte zu führen, die auch Raum lasse für das Unbehagen und die oft diffuse Angst. "Aber wir glauben, gute Argumente zu haben, wenn wir auf Hoffnung und Vertrauen setzen, statt uns der Angst zu ergeben." Zugleich betonte er: "Als Christen steht für uns außer Frage: Wir sind aufgerufen, Geflüchtete aufzunehmen, zu schützen, zu fördern und zu integrieren." Ausdrücklich dankte der Sonderbeauftragte den Haupt- und Ehrenamtlichen in der katholischen Flüchtlingsarbeit.

Fremdenfeindlichkeit sei kein gesellschaftliches Randphänomen, sondern ein Phänomen der Mitte der Gesellschaft, erläuterte der Berliner Theologe und Sozialethiker Andreas Lob-Hüdepohl. Dabei manifestiere sich die Ablehnung von als "anders" wahrgenommenen Menschen weniger offen in gewalttätigen Handlungen, sondern mehr verdeckt in fremdenfeindlichen Einstellungen wie Antisemitismus, Rassismus, Islamfeindlichkeit, Homophobie oder Behindertenfeindlichkeit.

Als Ursachen für Fremdenfeindlichkeit nannte Lob-Hüdepohl Orientierungslosigkeit und Überforderung in einer zunehmend unübersichtlich erscheinenden komplexen Lebenswelt sowie Ohnmachtserfahrungen. Dabei sei weniger die objektive individuelle Lebenslage entscheidend als vielmehr die subjektive Wahrnehmung.

Fremdenfeindlichkeit widerspreche aber zentralen Inhalten des christlichen Glaubens, unterstrich der Wissenschaftler, der maßgeblich an einer aktuellen Arbeitshilfe der Deutschen Bischofskonferenz zum kirchlichen Umgang mit rechtspopulistischen Tendenzen mitgearbeitet hat. Dazu zählten etwa die absolute Gleichwertigkeit aller Menschen, die sich aus der Gottesebenbildlichkeit jedes Menschen ergebe, und das Gebot der Nächstenliebe.

In der Flüchtlingsarbeit der katholischen Kirche in Deutschland waren Ende 2018 nach Angaben der Deutschen Bischofskonferenz 5.100 hauptamtliche Mitarbeitende beschäftigt, rund 51.000 Frauen und Männer engagierten sich als ehrenamtliche Helfer. Knapp 37,5 Millionen Euro Sondermittel flossen in die Flüchtlingshilfe im Inland.



Bischofskonferenz zeichnet Initiativen gegen Rassismus aus

Vier Projekte sind mit dem Katholischen Preis gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus geehrt worden. Die Preisträger hielten "die Menschenwürde in aggressiven Zeiten" hoch, lobt der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Laschet.

Die Deutsche Bischofskonferenz hat am 4. Juli in Essen den Katholischen Preis gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus verliehen. Die insgesamt mit 11.500 Euro dotierte Auszeichnung ging an vier Projekte in Remscheid, Bonn/Bad Honnef, Schweinfurt und Dresden. Der Hamburger Erzbischof Stefan Heße ehrte die Initiativen als "Vorbilder christlicher Nächstenliebe". Der zum dritten Mal vergebene Preis solle dazu beitragen, das kirchliche Zeugnis gegen Populismus und jede Form der Menschenverachtung zu stärken und zu unterstützen.

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) würdigte in seiner Festrede das Engagement der Preisträger, "die die Menschenwürde in aggressiven Zeiten hochhalten". Laschet verwies auf den Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke: "Das war der erste politische Mord von rechts an einer Person des öffentlichen Lebens seit 1945." Schlimm sei es auch, wenn ehrenamtliche Helferinnen und Helfer aus Angst vor Anfeindungen ihren Job nicht mehr machen wollten oder Bürgermeister Morddrohungen bekämen. Diese Menschen brauchten Zuspruch und Stärkung durch Politik und Gesellschaft.

Laschet: Seenotrettung ist kein Verbrechen

Mit Blick auf die Debatte über die Rettung von Flüchtlingen auf dem Mittelmeer unterstrich der nordrhein-westfälische Regierungschef: "Seenotrettung ist kein Verbrechen, im Gegenteil: Wer Menschen vor dem Ertrinken rettet, erfüllt eine menschliche Pflicht." Laschet fordert eine gemeinsame europäische Seenotrettung wie die 2014 beendete Operation "Mare Nostrum". Das würde private Initiativen entlasten. Außerdem müssten andere legale Wege nach Europa über "humanitäre Korridore" eröffnet werden.

Den mit 4.000 Euro dotierten ersten Preis erhielt das Projekt "Global Village: Weltort Lennep" der Katholischen Pfarrgemeinde St. Bonaventura und Hl. Kreuz in Remscheid-Lennep. Der mit jeweils 3.000 Euro dotierte zweite Preis wurde doppelt vergeben. Die Katholische Landjugendbewegung Deutschlands (KLJB) und der Bund der Alevitischen Jugendlichen in Deutschland (BDAJ) wurden für ihre gemeinsame Initiative "Tacheles! Klare Kante gegen Extremismus" geehrt. Die Caritas Schweinfurt erhielt die Auszeichnung für das Projekt "Lesekoffer Flucht und Vertreibung". Ein mit 1.500 Euro dotierter "Sonderpreis für eine innovative Projektidee" ging an das Projekt "Café Hoffnung" der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen.



"Anlaufstelle.help" für Missbrauchsopfer nimmt Arbeit auf

Die unabhängige "Zentrale Anlaufstelle.help" für Betroffene von sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche oder der Diakonie hat am 1. Juli ihre Arbeit aufgenommen. Wie die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) in Hannover weiter mitteilte, bieten dort geschulte Fachkräfte Beratungsgespräche im geschützten Rahmen an. Einen entsprechenden Vertrag habe die EKD mit der anerkannten Fachberatungsstelle "Pfiffigunde Heilbronn e. V." geschlossen.

Das Angebot ergänze die bereits in den Landeskirchen bestehenden Ansprechstellen, hieß es weiter. "Mit der Errichtung einer zentralen Anlaufstelle setzen wir ein Anliegen um, dessen Dringlichkeit uns Betroffene immer wieder eindrücklich geschildert haben", sagte Bischöfin Kirsten Fehrs als Sprecherin des Beauftragtenrates der EKD.

André Ettl, Fachberater und eines der geschäftsführenden Mitglieder der "Zentralen Anlaufstelle.help", fügte hinzu: "Wir wollen Betroffene, Angehörige und Interessierte als unabhängige Fachstelle unterstützen." Ziel sei "zuhören und weiterhelfen, Wege organisieren, wo Unterstützung angeboten wird", erklärte Ettl. "Dabei sind wir gut vernetzt mit den Ansprechpersonen in den evangelischen Landeskirchen und können zur richtigen Stelle lotsen."

Die Einrichtung einer zentralen Anlaufstelle ist Teil eines Elf-Punkte-Plans, den die EKD-Synode im vergangenen Herbst beschlossen hat. Damals waren 479 Fälle sexuellen Missbrauchs bekannt. Inzwischen ist die Zahl den Angaben zufolge auf rund 600 gestiegen. Für die Umsetzung des Handlungsplans soll 2019 rund eine Million Euro bereitgestellt werden. Über das ganze Ausmaß des Missbrauchs sollen Studien genauere Erkenntnisse bringen. So sollen regionale Untersuchungen in den Landeskirchen bundesweit zusammengeführt werden. Zudem plant die EKD eine Dunkelfeldstudie.



Katholiken machen sich auf synodalen Weg

Die Erkenntnisse über jahrzehntelangen Missbrauch durch Priester und Würdenträger haben die katholische Kirche tief erschüttert. Bischofskonferenz und ZdK wollen mit dem synodalen Weg Vertrauen zurückgewinnen.

Die Deutsche Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) haben erstmals im Rahmen des sogenannten synodalen Weges gemeinsam über Reformen innerhalb der katholischen Kirche beraten. Ziel sei es, in dem Reformprozess das Vertrauen der Gläubigen in die Kirche zurückzugewinnen, erklärten der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, und ZdK-Präsident Thomas Sternberg am 5. Juli nach einer gemeinsamen Sitzung in Bonn. Offiziell soll der synodale Weg am 1. Advent beginnen. In vier Synodalforen werden Kleriker und Laien gemeinsam Empfehlungen als Konsequenz aus den Erkenntnissen über jahrzehntelangen sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche erarbeiten.

Marx betonte, die katholische Kirche stehe vor großen Herausforderungen. In dem zunächst auf zwei Jahre angesetzten Reformprozess könnten die Kernfragen im Zusammenhang mit den Missbrauchsfällen aufgegriffen und weiterentwickelt werden. Die Reformen selbst könnten jedoch "nicht in zwei Jahren abgearbeitet" werden. Vielmehr stehe die katholische Kirche vor langfristigen Veränderungen. Die katholische Kirche sei herausgefordert, "neu von Gott zu sprechen".

Zugleich verwies er darauf, dass die Bischöfe aus dem Prozess resultierende Reformen "in sehr großer Mehrheit" mittragen müssten. Er selbst wolle dafür eintreten, eine "große Einstimmigkeit" zu finden. Gleichwohl gehe es bei den Themen nicht um die Einheit der Bischöfe, sondern um die Einheit des göttlichen Volkes. "Schwierig genug wird's", sagte Marx.

ZdK-Präsident Sternberg betonte, in der katholischen Kirche habe es nach der Veröffentlichung der neuesten Studie zu sexuellem Missbrauch einen regelrechten Vertrauenseinbruch gegeben. Deshalb müsse der synodale Weg konkrete Ergebnisse und Vorschläge erarbeiten.

Vorbereitungen in enger Absprache

Sternberg und Marx zufolge fanden die Vorbereitungen zum synodalen Weg in enger gemeinsamer Absprache statt. In der Zukunft werde sicher auch kontrovers diskutiert. Das sei aber auch Ziel des Prozesses, sagte Marx. Beide bekräftigten zugleich, dass sie sich durch den Papst-Brief "An das pilgernde Volk Gottes in Deutschland" in ihrem Reformbestrebungen bestätigt sehen.

In insgesamt vier Synodalforen wollen Bischöfe und Laien gemeinsam über Reformen bei den Themen Machtmissbrauch, priesterliche Lebensformen und Zölibat, Sexualmoral und Aufgaben von Frauen in der katholischen Kirche diskutieren. Die Arbeitsgruppe zu "Dienste und Ämter von Frauen in der Kirche" ist neu eingerichtet und soll ihre Arbeit in Kürze aufnehmen. Für ihn gehöre die Frage nach der Rolle von Frauen in der katholischen Kirche zu einer der drängendsten überhaupt, sagte Sternberg.

Am 13. und 14. September wollen Bischofskonferenz und ZdK einen Zwischenbericht über die ersten Erkenntnisse aus den Foren in Fulda vorstellen. Außerdem sollen weitere Diskussionsveranstaltungen den Reformprozess begleiten. Über den konkreten Fahrplan sollen die jeweiligen Vollversammlungen von Bischofskonferenz und ZdK im September und November entscheiden.



Katholische Frauen fordern Zugang zu allen Ämtern

Mit einer Kundgebung in Münster hat die Fraueninitiative "Maria 2.0" am 6. Juli ihren Protest für mehr Beteiligung und Rechte in der katholischen Kirche fortgesetzt. Etwa 1.500 Frauen und Männer zogen durch die Innenstadt und skandierten "Wir sind Kirche, wir sind hier, gleichberechtigt, Amen". Zu der Kundgebung unter der Überschrift "Viva Maria. Erneuert unsere Kirche" hatte auch die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) aufgerufen.

Die Demonstranten forderten lautstark den Zugang von Frauen zu allen kirchlichen Ämtern. Rednerinnen betonten, Reformen in der katholischen Kirche seien längst überfällig. Das "System Kirche" müsse grundsätzlich geprüft und verändert werden, sagte Andrea Qualbrink, Referentin für Strategie und Entwicklung im Bistum Essen. Die Ergebnisse der Missbrauchsstudie seien für viele zum Anlass geworden, ihre Kritik vorzutragen. Es sei erbärmlich, dass es solch einen Anlass brauche.

Viele Menschen fühlten sich gegenwärtig in der katholischen Kirche ausgegrenzt, sagte Monika Eyll-Naton, Pastoralreferentin am Niederrhein, nach Angaben einer Sprecherin. Sie verwies auf Wiederverheiratete, Menschen in konfessionsverbindenden Partnerschaften, Homosexuelle und Transgender.

Die Initiatorin der Bewegung "Maria 2.0", Lisa Kötter, forderte die katholische Kirche auf, sich einzusetzen "für die Würde der Frauen und gegen das Ächzen der Frauen weltweit unter Männergesetzen". Das würde "so ein Zeichen setzen, dass es die Welt aus den Angeln heben würde".

Der stellvertretende Generalvikar des Bistums Münster, Jochen Reidegeld, signalisierte Dialogbereitschaft, mahnte aber auch zu Geduld und Verantwortung gegenüber der "Weltkirche". Für den September kündigten "Maria 2.0" und die kfd weitere Aktionen an. Zu den Forderung der Bewegung gehören neben der Öffnung aller kirchlichen Ämter für Frauen auch die Aufhebung des Pflichtzölibats und eine umfassende Aufklärung der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche.

Im Mai hatten Frauen in vielen deutschen Bistümern in einem "Kirchenstreik" ein Woche lang ihre ehrenamtliche Tätigkeit in Einrichtungen der katholischen Kirche eingestellt und keine Kirche betreten. Sie verlangen mehr Gleichberechtigung von Frauen. Ausgangspunkt des Kirchenstreiks war Münster. Die deutschen Bistümer reagierten unterschiedlich auf die Proteste von "Maria 2.0". Viele zeigten sich zurückhaltend oder ablehnend, einige wenige begrüßten den Kirchenstreik ausdrücklich.



Papst nimmt Rücktrittsgesuch des Augsburger Bischofs an


Konrad Zdarsa
epd-bild/Annette Zoepf

Augsburgs katholischer Bischof Konrad Zdarsa geht in den Ruhestand. Papst Franziskus habe den altersbedingten Amtsverzicht Zdarsas angenommen, teilte das Bistum Augsburg am 4. Juli mit. Damit sei der Augsburger Bischofsstuhl "mit sofortiger Wirkung vakant". Nun werde nach einem Nachfolger für das Amt gesucht.

Nach katholischem Kirchenrecht müssen Diözesanbischöfe dem Papst ihren Rücktritt anbieten, wenn sie das 75. Lebensjahr vollendet haben. Zdarsa war am 7. Juni dieses Jahre 75 geworden. Der gebürtige Sachse hatte das Augsburger Bischofsamt seit 2010 inne. Er löste damals seinen umstrittenen Amtsvorgänger Walter Mixa ab.

Man blicke "voll Dankbarkeit auf die vergangenen neun Jahre zurück", hieß es in der Mitteilung des Bistums Augsburg. Konrad Zdarsa sei die Herausforderungen des Bistums "beherzt und selbstlos angegangen, das Bistum zukunftsorientiert, transparent und glaubwürdig zu gestalten".



Bischof July bittet um Vergebung für Unrecht gegenüber Homosexuellen

In einer Andacht vor dem Kirchenparlament hat der Bischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Frank Otfried July, um Vergebung gebeten für das Unrecht, das von seiner Landeskirche an gleichgeschlechtlich orientierten Menschen begangen wurde. "Für viele schmerzhafte Erfahrungen, die homosexuelle Menschen im Rahmen der Kirchen machen mussten, bitten wir um Vergebung", sagte der Landesbischof am 5. Juli in Stuttgart vor der dort tagenden Synode.

"Wir bedauern zutiefst, wie es Lieblosigkeit und Ausgrenzung in Gemeinden gibt und gruppenbezogene Vorurteile, die die christliche Annahme verstellen," sagte July. Jenseits unterschiedlicher theologischer Auffassungen sei die Synode sich einig, "dass es einen lieblosen Umgang, geschichtsvergessene Ausgrenzung und polemische Verachtung von Homosexuellen nicht geben darf".

In der Kirche gebe es unterschiedliche Haltungen zu gleichgeschlechtlich gelebter Liebe. Verschiedene Reaktionen in der Debatte um die Segnung homosexueller Menschen hätten gezeigt, wie weit man in dieser Frage teilweise auseinander sei. "Auch wenn wir uns in vielem noch nicht im Klaren sind, selbst wenn wir im Einzelnen noch ringen, als Kirche wollen wir deutlich machen, dass es vor Gott nur eine Gruppe Menschen gibt: den Leib Christi, zu dem alle bedingungslos gehören, weil Christus uns annimmt."

Geschichte der Gewalt und Diskriminierung

Die Ausgrenzung homosexueller Menschen habe in Baden-Württemberg eine lange, leidvolle Geschichte, sagte July: In der NS-Zeit seien etwa 10.000 Menschen in Konzentrationslager verschleppt worden. Doch auch nach 1945 hätten homosexuelle Menschen Angst vor Strafverfolgung gehabt und wurden erst nach ihrem Tod rehabilitiert. Zu dieser Geschichte der Gewalt und Diskriminierung haben auch die Kirchen beigetragen. Sie seien nicht für den Schutz von gleichgeschlechtlich Liebenden eingetreten. Die Kirche habe nicht den Mund aufgemacht, wo es nötig gewesen wäre.

Deshalb solle es mitten in der Tagung der Landessynode ein Gedenken geben. Gerade hier sollen die Opfer der Gewaltgeschichte gewürdigt werden, solle Versöhnung, ein Neuanfang möglich werden, sagte der Landesbischof.

Bereits auf der Synode im November 2017 gab es den Vorschlag, dass der württembergische Landesbischof sich öffentlich bei Lesben und Schwulen entschuldigen soll. Im Dezember 2018 kündigte er in einem "Zeit"-Interview an, sich zu entschuldigen, sobald die Debatte über die Segnung homosexueller Paare abgeschlossen ist. Die Evangelische Landeskirche in Württemberg hatte im März 2019 nach einem langwierigen Prozess beschlossen, dass ab 2020 bei bis zu einem Viertel der Gemeinden Segnungsgottesdienste nach einer zivilen Eheschließung möglich sein sollen.



Bischöfin Junkermann verabschiedet


Ilse Junkermann beim Gottesdienst im Magdeburger Dom
epd-bild/Viktoria Kühne
Ilse Junkermann, die erste Bischöfin der neu gegründeten mitteldeutschen Kirche, ist aus dem Amt verabschiedet worden.

Die Bischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), Ilse Junkermann, ist nach zehnjähriger Amtszeit am 6. Juli in einem Festgottesdienst im Magdeburger Dom verabschiedet worden. Mehrere hundert Gäste nahmen an der Entpflichtung teil, darunter Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke), der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, die Präses der Synode der EKD, Irmgard Schwaetzer, sowie zahlreiche leitende Geistliche aus dem In- und Ausland. Im Mittelpunkt standen dabei die Verdienste Junkermanns, die 2009 als erste Landesbischöfin der neu gegründeten EKM das Amt angetreten hatteJunkermanns Nachfolger Friedrich Kramer wird am 7. September im Magdeburger Dom in sein Amt eingeführt.

Bedford-Strohm sagte, Junkermann sei damals "von Herzen mitteldeutsche Bischöfin geworden". Dass eine neu gegründete Kirche eine Frau an die Spitze gewählt habe, sei historisch einmalig gewesen. Junkermann habe die besondere Aufgabe gehabt, zwei Kirchen zusammenzuführen. Die EKM entstand zum 1. Januar 2009 aus dem Zusammenschluss der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen mit der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen.

Zudem habe sie auch das 500. Reformationsjubiläum im Jahr 2017 bsehr mitgeprägt - diese Erinnerungen würden bleiben, sagte der oberste Repräsentant der Protestanten in Deutschland. Weiter lobte er Junkermann als "Brückenbauerin und Vermittlerin" sowie ihren Einsatz für geflüchtete Menschen und gegen Rechtsextremismus.

"Mutig und unerschrocken"

Auch der Leitende Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD), Landesbischof Ralf Meister aus Hannover, der die liturgische Handlung zum Abschied aus dem Bischofsamt gemeinsam mit dem Vorsitzenden der Union Evangelischer Kirchen (UEK), Kirchenpräsident Christian Schad aus Speyer, übernahm, würdigte das Engagement Junkermanns. "Mutig und unerschrocken" habe sie sich den besonderen Herausforderungen in Mitteldeutschland gestellt, sagte Meister.

Mit ihrem persönlichen Stil habe sie ihren "Mund aufgetan für die Stummen und das Risiko, anzuecken und Widerspruch zu erregen, nicht gescheut", sagte Meister. Sie sei eine "klare Stimme" für die Kirchen in den neuen Bundesländern gewesen und habe immer wieder an die besondere Situation dieser Kirchen und an ihre Geschichte erinnert.

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hob besonders Junkermanns Einsatz für die Ökumene, vor allem zum 500. Reformationsjubiläum, hervor und ihre Einbeziehung der jüdischen Gemeinden. Junkermann habe stets Themen angesprochen, die nicht nur die Kirchen angingen, sondern auch in Richtung Gesellschaft zielten, sagte Ramelow. Ihr sei "die vernehmbare Präsenz der Kirchen in der Gesellschaft und die Gesprächsbereitschaft über religiöse oder politische Grenzen hinweg" besonders wichtig gewesen. Bei vielen öffentlichen Anlässen habe sie deutlich gemacht, "dass Fremdenfeindlichkeit und Rassismus fundamental dem Kern des christlichen Glaubens widersprechen".

Lob für ökumenisches Engagement

Auch die Katholiken in Sachsen-Anhalt und Thüringen dankten Junkermann. Der Erfurter Bischof Ulrich Neymeyr sprach ein Grußwort, auch im Namen der Bischöfe von Magdeburg, Dresden-Meißen und Fulda, Gerhard Feige, Heinrich Timmerevers und Michael Gerber. Neymeyr sagte, das selbstverständliche geschwisterliche Miteinander der Christen in Ostdeutschland habe Junkermann "in bestem ökumenischen Verständnis ihres Bischofsamtes gepflegt und weiterentwickelt". Für sie heiße Ökumene, das Gemeinsame der Kirchen zu pflegen, ohne die Unterschiede zu ignorieren. Dabei hob Neymeyr besonders Junkermanns "bestandene Bewährungsprobe" im Jahr des 500. Reformationsjubiläum hervor.

Junkermann ist noch bis Ende August als Landesbischöfin im Dienst. Zum September wechselt die 62-Jährige an die Universität Leipzig, um einen Forschungsauftrag zur Geschichte der Kirche in der DDR zu übernehmen. Der mitteldeutschen Kirche gehören 700.000 evangelische Christen an, 450.000 davon in Thüringen und 240.000 in Sachsen-Anhalt. Die übrigen Mitglieder stellen Gemeinden in den Randgebieten von Brandenburg und Sachsen.



Raststätten für die Seele: Tag der Autobahnkirchen gefeiert

Zum Start der Sommerferien ist am 7. Juli bundesweit der "Tag der Autobahnkirchen" gefeiert worden. In vielen der 44 geistlichen Rastplätze entlang der Schnellstraßen wurde eine Andacht mit Reisesegen angeboten. In der ältesten evangelischen Autobahnkirche an der A 2 im ostwestfälischen Vlotho-Exter feierten die Besucher zum 60. Jubiläum unter dem Motto "Gott ist nicht weg!" einen ZDF-Fernsehgottesdienst. In der ehemaligen Dorfkirche suchen jährlich rund 30.000 Reisende Entspannung, Besinnung und Andacht.

In der Hektik des Alltags seien Ruhe und Besinnung selten, sagte Pfarrer Ralf Steiner in seiner Predigt. Viele Menschen seien wie auf der Flucht vor Stille, immer müsse Radio oder Fernsehen eingeschaltet sein. Oft kämen dann erst im Schlaf die Bilder hoch, die verarbeitet werden müssten. In die Autobahnkirche kommen nach Steiners Worten Menschen, die viel von zuhause weg sind und sich eine kurze Auszeit nehmen wollen. Es gebe an diesem Ort kostbare Momente der Erkenntnis, dass Gott da sei, auch wenn man wenig an ihn gedacht habe.

44 Autobahnkirchen an deutschen Schnellstraßen

Autobahnkirchen gibt es in Deutschland seit rund 60 Jahren, besondere Kirchen und Kapellen am Wege exisierten jedoch schon viel länger, sagte Steiner. Eigentlich habe schon Jakob, von dem im Alten Testament berichtet wird, die erste "Autobahnkirche" gegründet: Gott habe zu ihm gesprochen, als er auf der Flucht am Wegesrand übernachtet habe. Daraufhin habe Jakob aus Stein einen Altar errichtet. Das sei die Grundsteinlegung einer ersten Autobahnkirche gewesen.

Die über 350 Jahre alte Dorfkirche in Vlotho-Exter ist seit 1959 Autobahnkirche. Die älteste katholische Autobahnkirche entstand 1958 und steht im bayerischen Adelsried an der A 8. Ingesamt gibt es 44 Autobahnkirchen an den deutschen Schnellstraßen: 19 evangelische, acht katholische und 17 ökumenische. Über eine Million Menschen nutzen jedes Jahr das bundesweite Angebot der "Raststätten für die Seele".



Westfälische Kirche dankt Mitwirkenden beim Kirchentag

Mit einem bunten Sommerfest hat die Evangelische Kirche von Westfalen am 5. Juli den rund 13.500 Menschen der Landeskirche gedankt, die beim 37. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dortmund mitgewirkt haben. Präses Annette Kurschus sagte vor knapp 300 Gästen in Haus Villigst in Schwerte, sie sei dankbar und stolz, dass so viele Menschen mit Engagement und Ideen zum Gelingen des evangelischen Glaubensfestes in der westfälischen Metropole beigetragen hätten.

"Grandioses Glaubensfest"

Den Kirchentag vom 19. bis 23. Juni bezeichnete Kurschus als Kraftort und Vertrauensraum, der Menschen beflügelt und mit seiner "wunderbaren Atmosphäre" angesteckt habe. Unter den insgesamt 121.000 Besuchern seien allein 55.000 aus Westfalen gewesen. Die leitende Theologin der viertgrößten Landeskirche in Deutschland plädierte dafür, dem Dank in der Kirche mehr Raum zu geben. So könnte ergänzend zur Fürbitte der "Fürdank" einen festen Platz in der Liturgie erhalten.

Kirchentagspräsident Hans Leyendecker sagte, der Dortmunder Kirchentag unter der Losung "Was für ein Vertrauen" sei ein "grandioses Glaubensfest" mit klaren gesellschaftlichen Zeitansagen gewesen. Unter den knapp 2.400 Veranstaltungen habe ihn der Auftritt des Bürgermeisters von Palermo, Leoluca Orlando, mit am meisten bewegt. Orlando hatte auf einem Podium eindringlich für die Rettung und Aufnahme von Flüchtlingen geworben.



Potsdamer Garnisonkirchturm wird deutlich teurer

Der Wiederaufbau des Potsdamer Garnisonkirchturms wird deutlich teurer als bislang erwartet. Die Deckungslücke bei der Finanzierung sei trotz einer neuen Großspende von 500.000 Euro von zehn auf zwölf Millionen Euro gestiegen, sagte Peter Leinemann vom Vorstand der Garnisonkirchenstiftung dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 4. Juli und bestätigte damit einen Bericht der "Potsdamer Neuesten Nachrichten". Grund dafür sei unter anderem die bundesweit gute Wirtschaftslage, die steigende Baukosten nach sich ziehe. Die Gesamtkosten lägen nun voraussichtlich bei 40 Millionen Euro.

Mit der Fertigstellung des fast 90 Meter hohen Turms werde dennoch für Mitte 2022 gerechnet, sagte Leinemann. Die 2013 erteilte Baugenehmigung läuft Ende Juli ab. Nach brandenburgischem Baurecht hätte der Turm damit bis Mitte 2021 fertiggestellt werden müssen. Deshalb war im Frühjahr 2018 eine zweite Baugenehmigung beantragt worden. Diese liege seit Januar vor, sagte Leinemann.

Der neue Großspender wolle anonym bleiben, sagte Leinemann. Er komme aus der Region Berlin-Brandenburg, jedoch nicht aus Potsdam. Für den Garnisonkirchturm werden zwölf Millionen Euro Bundesmittel zur Verfügung gestellt. Davon seien inzwischen vier Millionen Euro ausgegeben worden, sagte Leinemann. Fünf Millionen Euro kommen aus Krediten der evangelischen Kirche. Für die Planungen wurden rund zwei Millionen Euro aus früherem DDR-Parteivermögen eingesetzt. Weitere Mittel kommen aus Spenden und von Sponsoren.

Der Grundstein für den neuen Kirchturm wurde 2005 gelegt, die Bauarbeiten haben im Herbst 2017 begonnen. Die historische 1735 fertiggestellte Garnisonkirche war im Zweiten Weltkrieg im April 1945 weitgehend zerstört und 1968 in der DDR abgerissen worden.

Der Wiederaufbau ist vor allem wegen der Geschichte der Barockkirche in der NS-Zeit und ihrer Rolle als preußische Militärkirche umstritten. Die Garnisonkirche wurde im März 1933 am sogenannten "Tag von Potsdam" zur Inszenierung der Reichstagseröffnung benutzt, Adolf Hitler hielt dort eine Rede. Die evangelische Kirche will den neuen Turm für Friedens- und Versöhnungsarbeit nutzen.



Lutheraner feiern zwei internationale Jubiläen in Wittenberg

Lutherische Christen haben am 5. Juli in Wittenberg zwei Jubiläen gefeiert. An der Wirkungsstätte Martin Luthers (1483-1546) wurde vor 20 Jahren das Zentrum der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika (ELCA Wittenberg Center) eröffnet. Das LWB-Zentrum Wittenberg, die Repräsentanz des Lutherischen Weltbundes (LWB) in der Stadt, begeht in diesem Jahr sein zehnjähriges Jubiläum.

Das LWB-Zentrum bietet unter anderem internationale Seminare zu lutherischer Theologie und begleitet Tagungen und internationale Besuchergruppen. Das ELCA Wittenberg Center als Einrichtung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika betreut Besuchergruppen vor allem aus den USA und bietet pastorale Begleitung in englischer Sprache an.

Bei einem Gottesdienst am 5. Juli in der Stadtkirche predigten nach Angaben des Deutschen Nationalkomitees des Lutherischen Weltbundes die Direktorin des LWB-Zentrums, Inken Wöhlbrand, und der Direktor des ELCA Wittenberg Centers, Robert Moore. Im Anschluss zog die Festgemeinde zu einem neu errichteten Gebäude in der Jüdenstraße 9. Dort haben beide Organisationen seit einigen Wochen neue Räume bezogen.



Bibelwissen auf dem Smartphone

Eine Bibelkunde-App für das Smartphone haben Rostocker Theologen entwickelt. Nutzer können knapp 2.000 Einzelfragen zu allen Büchern der Bibel stellen, übersichtlich nach Schwierigkeit und Thema geordnet, teilte die Theologische Fakultät der Universität Rostock am 1. Juli mit. Erfragt werden kann beispielsweise, wo in der Bibel die Geschichte vom Turmbau zu Babel steht oder das Gebot "Du sollst Deinen Nächsten lieben…". Zielgruppe sind Theologie-Studierende und theologisch Interessierte. Die App ist zu finden unter www.repetico.de/deutsche-bibelgesellschaft.

Mit dem Lernangebot könnten sich Studierende insbesondere auf die detailreiche Bibelkunde-Prüfung vorbereiten, hieß es. Die App baut auf den Lehrbüchern der Rostocker Theologen Martin Rösel und Klaus-Michael Bull auf, die an vielen deutschen Universitäten zur Grundlagenliteratur gehören. Die beiden Theologen hatten bereits zuvor in Kooperation mit der Deutschen Bibelgesellschaft ein Lernprogramm auf CD entwickelt, das nun auch online zugänglich ist. Auf die Weise würden die alten Texte mit neuen Techniken leicht zugänglich und erlernbar, hieß es.



Religionshistoriker mit Pennington Award der Uni Heidelberg geehrt

Der US-Religionshistoriker Paul Harvey hat den James W.C. Pennington Award der Universität Heidelberg erhalten. Geehrt werde ein Wissenschaftler, der zur afroamerikanischen Geschichte forscht und auf diesem Gebiet wegweisende Arbeiten vorgelegt habe, teilte die Universität am 2. Juli mit. Der Preis erinnert an den amerikanischen Pfarrer und ehemaligen Sklaven James W.C. Pennington, der 1849 in Heidelberg als erster Afroamerikaner die Ehrendoktorwürde einer europäischen Universität erhielt. Die Auszeichnung ist mit einem einmonatigen Forschungsaufenthalt in Heidelberg verbunden.

Der Preisträger und Buchautor Harvey hat an der University of Colorado in Colorado Springs eine Professur für Geschichte inne. Aktuell befasst er sich mit dem Werk des einflussreichen afroamerikanischen Philosophen, Theologen und Bürgerrechtsaktivisten Howard Thurman (1899 bis 1981).

Der Preis wird zum achten Mal vom Heidelberg Center for American Studies (HCA) und der Theologischen Fakultät vergeben. Mit dem James W.C. Pennington Award werden hervorragende Wissenschaftler geehrt, die die afroamerikanische Geschichte im atlantischen Raum erforschen.

Der 1809 geborene Pennington entkam mit 18 Jahren der Sklaverei, lernte Lesen und Schreiben und wurde 1838 Pfarrer in der Presbyterianischen Kirche. Auf dem Weltfriedenskongress in Paris lernte Pennington 1849 den Heidelberger Theologen Friedrich Carové kennen. Dieser war von ihm so beeindruckt, dass er seine Universität davon überzeugte, Pennington die Ehrendoktorwürde in Theologie zu verleihen.



Dortmunder Mannschaft erneut Sieger bei Präses-Cup in Duisburg

Bei einem Fußballturnier der Evangelischen Kirche im Rheinland hat am 1. Juli in Duisburg erneut die Mannschaft der Versorgungskassen Dortmund gewonnen. Stand es nach regulärer Spielzeit gegen das Team des Kirchenkreises Gladbach-Neuss zunächst 1:1, konnte das Dortmunder Team im Neunmeterschießen mit 2:1 das Spiel für sich entscheiden, wie die rheinische Kirche mitteilte. Am Präses-Cup nahmen zehn Teams und, außer Konkurrenz, eine Gastmannschaft aus Tansania teil.

Das Turnier um den Wanderpokal des Präses wird seit 1999 ausgetragen. Der damalige rheinische Präses Manfred Kock hatte den Präses-Cup ins Leben gerufen. Traditionell treten den Angaben zufolge Mannschaften aus den unterschiedlichen Kirchenkreisen und verschiedenen kirchlichen Organisationen gegeneinander an. In diesem Jahr waren es Teams aus den Kirchenkreisen Gladbach-Neuss, Oberhausen, Duisburg, Düsseldorf, Essen und Jülich sowie die Spielgemeinschaft Leverkusen/Köln und Mannschaften der Diakonie Wuppertal, des Landeskirchenamtes und der Versorgungskassen Dortmund.



Institutsleiter Timmer wird Landeskirchenrat für Bereich Bildung

Der Leiter des Pädagogischen Instituts der westfälischen Landeskirche, Rainer Timmer, ist zum Landeskirchenrat berufen worden. Ab August 2020 werde neue Aufgaben im Bereich Bildung und Erziehung der westfälischen Kirche übernehmen, teilte das Landeskirchenamt am 2. Juli in Bielefeld mit. Der 57-jährige Theologe tritt die Nachfolge von Fred Sobiech an, der dann in den Ruhestand geht.

Wichtig bleibe es, Schülern die Begegnung mit gelebter Religion zu ermöglichen, erklärte Timmer. Der Religionsunterricht in evangelisch-katholischer Kooperation sei dafür ein gutes Modell, das perspektivisch auch um interreligiöse Elemente erweitert werden könne.

Der in Holzen bei Dortmund geborene Timmer arbeitete nach seinem Theologiestudium als Gemeindepfarrer in Voerde bei Schwelm und in Münster-Handorf. Von 2006 bis 2013 war er Religionslehrer an einem Gymnasium in Münster, bevor er 2007 Schulreferent im Evangelischen Kirchenkreis Münster wurde. Seit 2013 ist der Theologe Leiter des Pädagogischen Instituts in Schwerte-Villigst. Das Institut sei die "Denkfabrik" der westfälischen Landeskirche für pädagogische, religionspädagogische und schulpolitische Themen, hieß es. Timmer ist zudem Honorarprofessor am Seminar für Praktische Theologie und Religionspädagogik der Westfälischen Wilhelms-Universität.



Theologin Rudloff übernimmt Prädikanten-Ausbildung

Die Senderbeauftragte für Fernsehgottesdienste im ZDF, Elke Rudloff, wird Pfarrerin für die Aus- und Fortbildung ehrenamtlicher Prädikanten der Landeskirchen in Westfalen und Lippe. Rudloff wird Nachfolgerin von Gudrun Mawick, die eine neue Aufgabe in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Oldenburg übernommen hat, wie die westfälische Landeskirche in Bielefeld mitteilte. Ihre neue Funktion im landeskirchlichen Institut für Aus-, Fort- und Weiterbildung in Schwerte-Villigst wird Rudloff zum Jahresbeginn 2020 antreten. Als Prädikanten halten Männer und Frauen in ihren Kirchengemeinden selbstständig Gottesdienste. In der westfälischen Landeskirche sind derzeit 873 Prädikantinnen und Prädikanten im Einsatz.

Nach ihrem Studium der Theologie und Psychologie war Rudloff in Dortmund Pastorin sowie persönliche Referentin des damaligen Superintendenten. Von 2007 bis 2009 war sie Sprecherin beim "Wort zum Sonntag". Seit 2009 arbeitet sie als Senderbeauftragte für das ZDF beim Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (gep). Die Theologin ist außerdem Mitglied der Liturgischen Konferenz der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und hat an zahlreichen Publikationen zum Thema Gottesdienst mitgewirkt.



"Schule für Circuskinder in NRW" wird 25 Jahre alt

Die "Schule für Circuskinder in Nordrhein-Westfalen" feiert in diesem Jahr ihr 25-jähriges Bestehen. Der Präses der rheinischen Kirche, Manfred Rekowski, und der nordrhein-westfälische Bildungsstaatssekretär Mathias Richter werden aus diesem Anlass am 10. Juli in Düsseldorf die Zeugnisse an 30 Schüler übergeben, die in diesem Schuljahr ihren Abschluss gemacht haben, wie das Landeskirchenamt am 4. Juli mitteilte. Zudem werden elf Erstklässler begrüßt.

Die Evangelische Kirche im Rheinland ist Trägerin dieser ungewöhnlichen Schule, in der 30 Lehrer Schüler im Alter von 5 bis 21 Jahren regelmäßig in Kleingruppen unterrichten. Seit einem Vierteljahrhundert bietet die "Schule für Circuskinder in NRW" mit 27 rollenden Klassenzimmern und ergänzendem Online-Unterricht Kindern von Zirkus- und Schaustellerfamilien die Möglichkeit eines verlässlichen Schulbesuchs. So kann verhindert werden, dass die Mädchen und Jungen immer wieder die Schulen wechseln müssen.

Online-Lernen im virtuellen Klassenzimmer

Zwei bis drei Unterrichtstage gibt es jeweils vor Ort, ergänzt durch Online-Lernen im virtuellen Klassenzimmer sowie selbst organisiertes Arbeiten in der unterrichtsfreien Zeit. Zudem gibt es Angebote mit Fernlernen, Stützpunktschulbesuch und Privatlehrkräfte vor Ort. Die Schülerinnen und Schüler lernen auf Basis ihres individuellen Lernplanes nach den Vorgaben des Curriculums der "Schule für Circuskinder in NRW". Derzeit hat die Schule, die die Grundschule und die Gesamtschule der Sekundarstufe I umfasst, 240 Schülerinnen und Schüler aus 130 Betrieben.

Seit 1998 haben 342 Schüler die "Schule für Circuskinder in NRW" verlassen - davon 81 mit einem Hauptschulabschluss, 83 mit einem qualifizierten Hauptschulabschluss nach Klasse 10 und 119 mit einem mittleren Schulabschluss.



Sarkophag in der Mainzer Johanniskirche wieder verschlossen

Einen Monat nach der spektakulären Öffnung eines mittelalterlichen Sarkophags in der Mainzer Johanniskirche ist das Grab wieder verschlossen worden. Alle notwendigen Proben seien entnommen worden, teilte das Evangelische Dekanat Mainz am 4. Juli mit. Weitere Untersuchungen würden kaum noch zusätzlichen Erkenntnisgewinn bringen, erklärte der wissenschaftliche Forschungsleiter Guido Faccani. Die Identität des im Mittelschiff der Kirche beerdigten Klerikers bleibt weiter unklar. Beweise für die Vermutung, dass es sich um das Grab des 1021 verstorbenen Mainzer Erzbischofs Erkanbald handelt, konnten die Wissenschaftler nicht finden.

Die Untersuchung von DNA-Proben, Stoffen, organischen Materialien und Metallen würden noch einige Wochen in Anspruch nehmen. Am 9. August wollen die Forscher ihre Ergebnisse der Öffentlichkeit in einem Abschlussbericht vorstellen. In dem Sarkophag hatten sich die sterblichen Überreste eines Mannes sowie Fragmente eines liturgischen Gewandes und von Schuhen aus Ziegenleder gefunden. Die Kleidung war für die Wissenschaftler ein Beleg dafür, dass es sich bei dem Toten mit hoher Wahrscheinlichkeit um einen Geistlichen handelte.

Von der Öffnung des Sarkophags hatten sich Archäologen und die evangelische Kirche den entscheidenden Beweis dafür erhofft, dass es sich bei St. Johannis um den Vorgängerbau des benachbarten Mainzer Doms handelt. Bereits seit 2013 fanden in der Johanniskirche umfangreiche Ausgrabungsarbeiten statt, in deren Verlauf der Nachweis erbracht wurde, dass es schon im frühen Mittelalter an der Stelle einen Kirchenbau gab und Teile des erhaltenen Mauerwerks sich bis auf das 5. oder 6. Jahrhundert datieren lassen.




Kirchenkreise

Kirchenkreis Halle solidarsch mit Sea-Watch-Kapitänin


Helme der "Sea-Watch 3"-Crew (Archivbild)
epd-bild/Heiko Kantar
Evangelische Kirchenkreise in Westfalen zeigen sich nach der Festnahme von Carola Rackete solidarisch mit der "Sea-Watch 3"-Crew. Auf den Sommer-Synoden wurde ein Ende der Kriminalisierung der Seenotretter auf dem Mittelmeer gefordert.

Der Evangelische Kirchenkreis Halle hat sich solidarisch mit der inzwischen wieder aus der Haft entlassenen Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete erklärt. Die Kreissynode verabschiedete auf ihrer jüngsten Tagung in Steinhagen eine entsprechende Erklärung, wie der Kirchenkreis am 2. Juli mitteilte. Darin heißt es, Rackete setze mit ihrem Einsatz in der Seenotrettung im Mittelmeer "ein deutliches Zeichen der Humanität". Trotz angedrohter Strafe des italienischen Innenministers Matteo Salvini habe sie Geflüchtete vor dem Ertrinken gerettet und sei am 30. Juni in den Hafen von Lampedusa eingelaufen, damit diese Geretteten notwendig versorgt werden können.

Der Kirchenkreis wird den Angaben nach einen symbolischen Betrag von 500 Euro für die "Sea Watch"-Flüchtlingshilfe spenden, mit dem unter anderem die Kosten für Rechtsanwälte bezahlt werden. Die Kapitänin der "Sea Watch 3" ist aus dem Hausarrest entlassen worden. Doch muss sich Rackete in Italien vor Gericht wegen des Vorwurfs der Begünstigung der illegalen Einwanderung verantworten. Dafür drohen ihr bis zu fünf Jahre Haft.

Die Haller Kreissynode beschäftigte sich darüber hinaus mit zwei Themen, die im November auch auf der Synode der westfälischen Landeskirche beraten werden sollen, wie es weiter hieß. Die 52 anwesenden Synodalen stimmten dem Vorschlag zur gleichberechtigten Trauung für gleichgeschlechtliche Paare sowie dem Plan zu, künftig auch mit Kindern, die getauft sind, Abendmahl zu feiern. Außerdem beschlossen die Kreissynodalen eine fünfte kreiskirchliche Pfarrstelle für den Religionsunterricht am Berufskolleg.



Kirchenkreis Herne verabschiedet Resolution zur Asylpolitik

Der evangelische Kirchenkreis Herne fordert ein Ende der Kriminalisierung der Seenotretter auf dem Mittelmeer. Bundesregierung und Europäische Union müssten sich politisch motivierten Anklagen gegen die Besatzungen privater Rettungsschiffe wie der "Sea-Watch 3" entgegenstellen, heißt es in einer Resolution, die von der Kreissynode verabschiedet wurde. Darin fordern die Delegierten außerdem mehr Investitionen in Integrationsprojekte statt in Abschiebestrukturen, den Stopp von Waffenexporten in Kriegs- und Krisengebiete und gerechtere Handelsabkommen mit Ländern des globalen Südens.

Weiter beklagt die Synode eine Aushöhlung der Kirchenasylverfahren. Die Abgeordneten aus den elf Kirchengemeinden in Herne, Castrop-Rauxel und Wanne-Eickel mahnen Verhandlungen zwischen Gesetzgeber und Kirchen an, um eine für die Betroffenen und die Akteure akzeptable Perspektive zu sorgen.



Kirchenkreis Lübbecke unterstützt Palermo-Appell

Der Evangelische Kirchenkreis Lübbecke unterstützt den sogenannten Palermo-Appell zur Sicherung humanitärer Hilfe von Schiffbrüchigen im Mittelmeer. Die Kreissynode stimmte auf ihrer jüngsten Sitzung in Stemwede-Haldem einem entsprechenden Antrag von Superintendent Uwe Gryczan zu, wie der Kirchenkreis mitteilte. "Gott sagt uns nicht zu, dass alles beim Alten bleibt. Aber er verspricht uns, uns auf dem Weg in die - wenn auch ungewisse - Zukunft zu begleiten, uns Kraft und Mut zu schenken", erklärte der Superintendent.

Mit dem Aufruf sollen die Seenotretter im Mittelmeer unterstützt und gleichzeitig nach einer europäischen Notlösung für Bootsflüchtlinge gesucht werden. Es brauche zusätzlich eine vorübergehende Verteilung von Bootsflüchtlingen auf Städte und Kommunen in Europa, die "sichere Häfen" sein wollten, heißt es in der Erklärung. Rund 60 Städte und Kommunen in Deutschland haben sich inzwischen zu "sicheren Häfen" für Flüchtlinge erklärte. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, hatte die Erklärung Anfang Juni auf Sizilien gemeinsam mit dem Bürgermeister von Palermo, Leoluca Orlando, veröffentlicht. Darin fordern sie unter anderem, dass die Seenotrettung eine staatliche Angelegenheit bleiben müsse. Inzwischen haben sich viele Verantwortliche aus Kommunen, Kirchen und der Zivilgesellschaft angeschlossen, darunter auch die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Annette Kurschus.

Im zweiten Teil der Synode wurden Gesetzesvorlagen geprüft, diskutiert und verabschiedet, wie es hieß. Nach kontroverser Debatte nahm eine Mehrheit der Delegierten den Vorschlag der westfälischen Landeskirche an, dass getaufte Kinder schon vor der Konfirmation zum Abendmahl zugelassen werden sollen. Die Kreissynodalen sprachen sich zudem dafür aus, dass homosexuelle Paare künftig genauso in einem Gottesdienst getraut werden können wie heterosexuelle.

Die Herbstsynode des Kirchenkreises findet am 25. November in Preußisch Oldendorf statt.



Kirchenkreis Vlotho fordert mehr Anstrengungen bei Integration

Der Evangelische Kirchenkreis Vlotho fordert mehr Unterstützung bei der Arbeit mit Flüchtlingen und Migranten. Auf der jüngsten Kreissynode in Löhne wurde eine Resolution verabschiedet, in der die Evangelische Kirche von Westfalen unter anderem aufgefordert wird, die kirchliche Integrationsarbeit vor Ort zu stärken, wie der Kirchenkreis mitteilte. In dem Beschluss wird zum Beispiel die Anstellung von sogenannten Kontaktpersonen in den evangelischen Kindertagesstätten empfohlen, die als Ansprechpartner von Eltern und Kindern mit Migrationshintergrund und den Erzieherinnen fungieren.

Superintendent geht 2020 in Ruhestand

In seinem Bericht erklärte Superintendent Andreas Huneke, dass die evangelische Kirche in der Region sich auf weitere Veränderungen einstellen muss. Vor dem Hintergrund von Mitgliederschwund, Nachwuchsmangel im Pfarrberuf und dem auf Dauer viel zu hohen Gebäudebestand suchten viele Gemeinden in Kooperationen nach gemeinsamen Lösungen.

Huneke kündigte zudem an, dass er aus gesundheitlichen Gründen im kommenden Jahr in den vorzeitigen Ruhestand gehen werde. Nach der Sommerpause 2020 stehe damit die Neubesetzung der Kirchenkreisleitung an.



Neuer Kölner Stadtsuperintendenten gewählt

Der Theologe Bernhard Seiger steht künftig an der Spitze der knapp 280.000 Protestanten in Köln. Die Verbandsvertretung des Evangelischen Kirchenverbands Köln und Region wählte den 55-jährigen Pfarrer am 6. Juli zum neuen Stadtsuperintendenten. Er tritt die Nachfolge von Rolf Domning an, der Ende des Monats im Alter von 65 Jahren in den Ruhestand geht. Die Verbandsvertretung entschied auch über die Stellvertreter des neuen Stadtsuperintendenten.

Seiger nannte nach Angaben eines Sprechers als Aufgabe der aktuellen Generation, "den Umbau unserer Kirche so zu organisieren, dass es effektiv ist und nachhaltig gesunde Strukturen geschaffen werden". Die Kirche müsse mutig, klar und zuversichtlich die christliche Botschaft kommunizieren und "der Gesellschaft im Auftrag unseres Herrn dienen, so gut wir es können".

Der aus Krefeld stammende Seiger, der in Leverkusen aufwuchs, ist seit 1996 Pfarrer in der Kirchengemeinde Köln-Bayenthal und seit 2008 Superintendent des Kirchenkreises Köln-Süd. Außerdem gehört der promovierte Theologe seit 2013 dem Ständigen Innerkirchlichen Ausschuss der Evangelischen Kirche im Rheinland an. Seiger ist verheiratet und Vater einer erwachsenen Tochter.

Zum Stellvertreter Seigers wählte die Verbandsvertretung den 55-jährigen Superintendenten des Kirchenkreises Köln-Nord, Markus Zimmermann. Zweite Stellvertreterin wird die Superintendentin des Kirchenkreises Köln-Rechtsrheinisch, Andrea Vogel (62), dritte Stellvertreterin die 59-jährige Pfarrerin Susanne Beuth, die im September als Superintendentin des Kirchenkreises Köln-Mitte eingeführt wird.

Im Kirchenverband Köln und Region sind 57 Kirchengemeinden mit 150 Bezirken in vier Kirchenkreisen zusammengeschlossen. Diese Gemeinden hatten Mitte 2016 zusammen 280.600 Gemeindemitglieder.



Kirchenkreis Krefeld-Viersen: Schwahn wird Superintendentin

Die Pfarrerin Barbara Schwahn wird neue Superintendentin des Kirchenkreises Krefeld-Viersen. Die Wahlsynode des Kirchenkreises wählte die 54-jährige Düsseldorferin am 4. Juli zur ersten hauptamtlichen Superintendentin, wie der Kirchenkreis mitteilte. Schwahn setzte sich im ersten Wahlgang gegen zwei Mitbewerber durch. Sie wird am 13. September in ihr neues Amt eingeführt. Schwahn wird Nachfolgerin von Burkhard Kamphausen, der zum 1. Juli vorzeitig aus dem Amt des Superintendenten ausschied und in den Ruhestand ging.

Schwahn ist zurzeit Pfarrerin im Kirchenkreis Düsseldorf. Die gebürtige Wormserin studierte Theologie und Germanistik in Tübingen und München. Ihr Vikariat absolvierte sie beim Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf. Anschließend arbeitete sie als Pfarrerin im Westerwald, bevor sie 2003 nach Düsseldorf kam. Seit 2015 ist sie auch nebenamtliches Mitglied der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche im Rheinland.

Bei ihrer Vorstellung vor der Synode hielt Schwahn einen Vortrag zum Thema "Wie können wir in Zukunft gut Kirche sein?". Dabei verwies sie auf die Vielfalt an Gemeinden und Gebäuden im Kirchenkreis. "Wir müssen überlegen, was macht uns Freude, was begeistert uns", erklärte die 54-Jährige. "Nur das, wovon wir begeistert sind, zieht andere an." Auch wenn Kirche kleiner werde, mische sie doch weiter mit in den Kommunen, der Stadt und der Gesellschaft. Dabei müsse im Angebot aber auch "Mut zur Lücke und zum Setzen von Schwerpunkten" bewiesen werden.

Der evangelische Kirchenkreis Krefeld-Viersen erstreckt sich auf knapp 740 Quadratkilometern von Nettetal bis Krefeld und von Meerbusch bis Straelen. Ihm gehören knapp 100.000 Christinnen und Christen in 26 Gemeinden an.



Gladbeck-Bottrop-Dorsten: Superintendent gibt Amt ab

Der Superintendent des Kirchenkreises Gladbeck-Bottrop-Dorsten, Dietmar Chudaska, steht nicht für eine zweite Amtszeit zur Verfügung. Die achtjährige Amtszeit endet damit im Mai kommenden Jahres, wie der 57-jährigen Theologe auf der in Gladbeck tagenden Kreissynode erklärte. Chudaska wird bis Anfang April 2020 noch im Dienst sein. Er hat das Amt des Superintendenten im Nebenamt wahrgenommen.

"Ich war und bin gerne Superintendent dieses Kirchenkreises und habe versucht, an machen Stellen Akzente zu setzen und Entwicklungen voranzutreiben", erklärte der Theologe vor der Synode. Zugleich sei er aber "der Überzeugung, gewisse Leitungsämter leben auch vom Wechsel". In der Konsequenz dieser Personalie beschloss das Kirchenparlament, den Posten des künftigen Superintendenten wieder hauptamtlich zu besetzen. Dies habe unter anderem den Vorteil, dass man nicht allein auf Kandidaten aus dem eigenen Kirchenkreis beschränkt sei, hieß es. Die Wahl des neuen Superintendenten findet auf der nächsten Kreissynode im November statt.

Im weiteren Verlauf der Kreissynode wurde eine Reihe von Gesetzesvorlagen der westfälischen Landeskirche diskutiert und verabschiedet, darunter ein Diskussionspapier zum Thema "Kirche und Migration". Man wolle vor Ort keine Flüchtlinge allein lassen - die Gewährung von Kirchenasylen, Taufen, Sprachkursen, Begleitung bei Behördengängen und Asylverfahren gehörten zum Alltag in den Gemeinden des Kirchenkreises, hieß es.

Die Synode stimmte zudem dafür, dass künftig alle Paare, die nach deutschem Recht eine Ehe eingegangen sind, auch kirchlich heiraten können sollen. Bislang ist in der westfälischen Landeskirche eine kirchliche Trauung lediglich für heterosexuelle Paare möglich, für alle anderen eine Segenshandlung. Die Gleichstellung aller Paare soll auf der Landessynode im November beschlossen werden.

epd-West bos spi



Lüdenscheid-Plettenberg: Nachfolge für Majoress gesucht

Der Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg, Klaus Majoress, geht im kommenden Jahr in den vorzeitigen Ruhestand. Die Suche nach einer Nachfolgerin oder einem Nachfolger habe bereits begonnen, hieß es auf der Sommersynode in Valbert. Laut Nominierungsausschuss des Kirchenkreises erfolgt die offizielle Stellenausschreibung im August, auch externe Bewerbungen auf die hauptamtliche Stelle sind möglich. Im Januar würden voraussichtlich zwei bis drei Kandidaten für das Superintendenten-Amt der Öffentlichkeit vorgestellt, die sich auf der Sommersynode 2020 zur Wahl stellten.

Majoress, der Ende August 62 Jahre als wird, ist seit über 20 Jahren Superintendent des Kirchenkreises in der Region Sauerland. Von 1996 bis 2000 stand er dem Kirchenkreis Plettenberg vor. Bei der Vereinigung der Kirchenkreise Lüdenscheid und Plettenberg im Jahr 2000 wurde er zum Superintendent des neuen Kirchenkreises gewählt.

Superintendent lobt Flüchtlingsengagement

In seinem aktuellen Bericht vor den 84 anwesenden Kreissynodalen in Valbert lobte Majoress das vielfältige Engagement für Flüchtlinge im Kirchenkreis: "Wir sind in gut aufgestellt." Hintergrund ist die Hauptvorlage "Kirche und Migration" der westfälischen Landeskirche, die derzeit in den Kirchenkreisen, Gemeinden und Arbeitsbereichen diskutiert wird. In einem Antrag bitten die Kreissynodalen aus dem Sauerland die Landeskirche unter anderem, wegen ihres Glaubens verfolgte Christen besonders zu unterstützen. Auch wird gefordert, dass die personellen und finanziellen Ressourcen in der Flüchtlingsarbeit im vollen Umfang bestehen bleiben. Die Evangelische Kirche von Westfalen solle sich zudem für ein Ende der Kriminalisierung der zivilen Seenotrettung im Mittelmeer einsetzen, hieß es.

Mit einem knappen Votum (51 Prozent) wurde dagegen die Vorlage der Landeskirche für eine Trauung von homosexuellen Paaren abgelehnt. Sollte die westfälische Landessynode es trotzdem im November beschließen, vermerkten die Kreissynodalen in einer weiteren Stellungnahme, dass Pfarrerinnen und Pfarrern, die gleichgeschlechtliche Trauungen aus Gewissensgründen nicht durchführen wollen, nicht dazu verpflichtet werden sollen. Mit drei Viertel Mehrheit wurde Vorlage angenommen, dass getaufte Kinder schon vor der Konfirmation am Abendmahl teilnehmen dürfen.

Der Referent für Öffentlichkeitsarbeit, Matthias Willnat, stellt auf der Sommersynode zudem die neue Homepage des Kirchenkreises vor. Unter www.evangelisch-im-sauerland.de werden Kirchenkreis, Diakonisches Werk, Kinder- und Jugendreferat und das Freizeit-Haus "Alter Leuchtturm" auf Borkum modern und übersichtlich dargestellt, wie es hieß. Auch der Service-Teil mit Kontaktdaten sei verbessert worden. So könnten Nutzer beispielsweise jedes Kirchengebäude in der Region in 360 Grad-Ansichten erleben.

epd-West kat



Kirchenkreis Tecklenburg stärkt Schutz gegen sexuelle Gewalt


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epd-bild / Steffen Schellhorn

Der Kirchenkreis Tecklenburg will stärker gegen sexuellen Missbrauch vorgehen. Vorgesehen sind unter anderem Selbstverpflichtungserklärungen für alle Arbeitsverträge sowie Schulungen, um alle haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter zu sensibilisieren, wie der Kirchenkreis mitteilte. Grundlage ist ein Schutzkonzept Sexualisierte Gewalt, das auf der jüngsten Synode des Kirchenkreises in Ladbergen einstimmig beschlossen wurde.

Mit dem Beschluss verpflichte sich der Kirchenkreis zu einem wirksamen Schutz vor allen Formen der Gewalt, insbesondere vor Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung, hieß es. Zudem sind Aufklärung und Hilfe zur Unterstützung von Betroffenen vorgesehen.

Zum Thema Migration und Flüchtlingsarbeit hatte die Kreissynode zudem einen Antrag an die Bezirksregierung Münster unterstützt, für die Zentrale Unterbringungseinrichtung (ZUE) in Ibbenbüren einen Beirat einzurichten.

Superintendent Ost: Kirche muss wieder mutiger werden

Der Superintendent des Kirchenkreises, André Ost, warb auf der Synode für mehr Mut in der Kirche. Eine kleiner werdende Kirche müsse nicht ausdrucksärmer werden, sagte der wiedergewählte Superintendent. Es komme darauf an, wie sie ihre Stimme und ihre Kräfte einsetze. "Es wird Zeit, dass wir wieder mutiger und offensiver werden", unterstrich er. Der 54-jährige Ost war zuvor einstimmig erneut zum Superintendent gewählt worden. Bei der Sommersynode steht dann erneut eine Wiederwahl für weitere acht Jahre an, weil dann der Kreisvorstand neu gewählt wird, wie der Kirchenkreis erklärte.

Für die künftige gemeinsame Verwaltung der Kirchenkreise Tecklenburg, Münster und Steinfurt-Coesfeld-Borken beschloss das Kirchenparlament den Angaben zufolge eine Änderung der Kreissatzung. Die Umsetzung der Fusion der drei kreiskirchlichen Verwaltungen sei für das Jahr 2020 geplant, hieß es. Bis dahin werde das eigenständige Kreiskirchenamt, das derzeit in Lengerich seinen Sitz hat, aufgelöst. Die Verwaltungsgeschäfte sollen auf den Verband der drei Kirchenkreise übertragen werden. Der Bezug des neuen Verwaltungsgebäudes am Coesfelder Kreuz in Münster ist für den Spätsommer 2020 geplant.

Die Kreissynode befürwortete zudem das Vorhaben, kirchliche Trauungen künftig allen Paaren zu ermöglichen. Damit sollen zukünftig auch gleichgeschlechtliche Paare getraut werden können. Auch die Vorlage zum Abendmahl wurde angenommen. Der neue Gesetzentwurf sieht vor, dass allen Getauften, auch Kindern, die Teilnahme am Heiligen Abendmahl ermöglicht wird. Zur Feier des Abendmahls wird sowohl Wein als auch Traubensaft gleichwertig zugelassen. Über die landeskirchlichen Gesetzesvorhaben will die westfälische Landessynode im November in Bielefeld entscheiden.



"Flächen erforderlich für Ausbau erneuerbarer Energien"


Umweltaktivisten am Braunkohletagebau Garzweiler
epd-bild/Stefan Arend
Vertreter fünf rheinischer Kirchenkreise trafen sich in Jülich zur einer "Regionalsynode Energie". In einem Beschluss beklagen sie, dass es zurzeit "kein planungs-rechtliches Koordinatensystem" gebe, um den Ausbau erneuerbare Energien zu fördern. Und machen eigene Vorschläge.

Die evangelische Kirche im rheinischen Braunkohlerevier fordert, dass der Energiekonzern RWE die staatlichen Entschädigungszahlungen für den Ausstieg aus der Braunkohle nur im Gegenzug einer Flächenfreigabe erhalten soll. Auf ihrer "Regionalsynode Energie" am 8. Juli in Jülich betonten die Kirchenkreise Jülich, Gladbach-Neuss, Aachen, Köln-Nord und Krefeld-Viersen die Bedeutung der Flächen. "Wir brauchen die Flächen, um die Rahmenbedingungen für den Ausbau erneuerbarer Energien zu schaffen", sagten die Superintendenten der Kirchenkreises Jülich und Gladbach-Neuss, Jens Sannig und Dietrich Denker.

"Zeit des Protestes vorbei"

Denn auch nach dem Ausstieg aus der Braunkohle werde die Region verlässlich Energie brauchen, betonten die Kirchenvertreter. "Die Flächen in den Tagebauen bieten dafür große Potenziale, da ist auf Jahrzehnte hinaus Platz genug für Photovoltaik und Windkraft." Für die Kirche sei die Zeit des Protestes vorbei. "Jetzt gilt es, die Rahmenbedingungen zu schaffen und den Raum zu gestalten", betonte Sannig. Deshalb habe die Regionalsynode die Empfehlungen der Kommission für "Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung", der sogenannten Kohlekommission, zum Anlass genommen, um ihrerseits Vorschläge und Forderungen zu unterbreiten.

Bürger-Energie-Genossenschaften

In ihrem Beschluss beklagt die Regionalsynode, dass es zurzeit "kein planungs-rechtliches Koordinatensystem" gebe, um den Ausbau erneuerbare Energien zu fördern. Während beim Abbau von Steinkohle oder Braunkohle das Bergbaurecht greife, gebe es im Erneuerbare-Energien-Gesetz oder im Landesentwicklungsplan bisher kaum Regelungen. "Die Politik muss hier die notwendigen gesetzlichen Regelungen schaffen." Die Regionalsynode Energie setze dabei auf einen bürgernahen Ausbau regenerativer Energien, etwa durch Bürger-Energie-Genossenschaften, hieß es. Das biete große Chancen im rheinischen Revier für einen erfolgreichen Strukturwandel im Einklang mit dem notwendigen Klimaschutz.

Grundsätzlich ermahnte die Regionalsynode die nordrhein-westfälische Landesregierung, Ideen und konstruktiven Vorschläge aus den zivilgesellschaftlichen Gruppen in der Region in die Projekte zum Strukturwandel zu integrieren. "Dafür habe die Landesregierung bis jetzt noch nicht das rechte Verständnis entwickelt", kritisierte Superintendent Sannig. Die Regionalsynode Energie vertritt rund 400.000 evangelische Christen. Seit über 30 Jahren trifft sie sich in unregelmäßigen Abständen.



Kirchenkreis Hamm setzt auf Klimaschutz


Plakette "Grüner Hahn"
epd-bild/Hanno Gutmann

Der Evangelische Kirchenkreis Hamm macht sich für die Weiterführung der landeskirchlichen Klimaschutzagentur stark. Für die Stelle, die am Institut für Kirche und Gesellschaft der westfälischen Kirche in Schwerte-Villigst angesiedelt ist, laufe die öffentliche Förderung aus, hieß es am 3. Juli auf der Sommer-Kreissynode in Hamm. Die Kreissynodalen erinnerten daran, das von dort nachhaltige Umweltschutzprojekte in die Kirchengemeinden getragen wurden, zum Beispiel das Klimafasten vor Ostern oder der "Grüne Hahn", bei dem Kirchengemeinden unterstützt werden, mit einfachen Mitteln den Energie- und Wasserverbrauch zu senken.

Der Kirchenkreis selbst will laut einem Beschluss das Projekt "Zukunft Einkaufen im Evangelischen Kirchenkreis" für die Verwendung ökofairen Produkten in den Gemeinden fortsetzen. Der kreissynodale Ausschuss für Gesellschaftliche Verantwortung und Umwelt werde sich mit der weiteren Umsetzung in den Gemeinden und kirchlichen Einrichtungen beschäftigen, hieß es. Außerdem habe der Kirchenkreis mit Unterstützung der Landeskirche nun E-Bikes für rund die Hälfte der Pfarrschaft angeschafft. Mit ihren neuen Diensträdern, die vorwiegend für die kurzen Strecken innerhalb der Gemeinde genutzt werden, kamen demnach viele Pfarrerinnen und Pfarrer auch zur Synode nach Hamm-Pelkum.

Nachfolge für Superintendent Millrath gesucht

Nach dem Tod des Superintendenten Frank Millrath, der am 8. Juni im Alter von 55 Jahren nach schwerer Krankheit gestorben ist, hat der stellvertretende Synodalassessor Pfarrer Tilman Walther-Sollich kommissarisch die Leitung des Kirchenkreises übernommen. Bis zur Neubesetzung des Amtes würden alle Leitungsaufgaben in geordneten Strukturen zuverlässig weitergeführt, hieß es. Der Nominierungsausschuss des Kirchenkreises strebe nun eine sorgfältig geplante Nachfolge im Amt des/der Superintendenten/-in an.

Darüber hinaus stimmten die Kreissynodalen zwei Vorlagen der Landeskirche zu, die vorschlägt, dass künftig gleichgeschlechtliche Paare im Gottesdienst getraut und Kinder vor der Konfirmation am Abendmahl teilnehmen dürfen. Die Landessynode wird darüber in ihrer Sitzung im November entscheiden. In Kraft treten könnten die Neuregelungen bei Beschluss Anfang 2020.



Kirchkreis Iserlohn will sich stärker im Umweltschutz einbringen

Der Evangelische Kirchenkreis Iserlohn will den Umweltschutz und nachhaltiges Wirtschaften in seinen 25 Kirchengemeinden und den kreiskirchlichen Einrichtungen weiter voranbringen. Auf der jüngsten Kreissynode in Iserlohn wurde ein entsprechender Antrag beschlossen, wie der Kirchenkreis mitteilte. Kirche müsse ihren Auftrag zur Schöpfungsbewahrung ernst nehmen und Klimaschutz für ihren eigenen Bereich energisch fördern, heißt es da. Dazu brauche es neben Initiativen auch eine umfassende Beratung.

In dem Beschluss stellten sich die rund 120 stimmberechtigten Delegierten ausdrücklich hinter die Forderungen von Jugendlichen in der Region, die sich in der Bewegung "Fridays for Future" für besseren Klimaschutz engagieren. Die Kreissynodalen riefen die Kirchenmitglieder dazu auf, dass sich auch jede und jeder einzelne in ihren Möglichkeiten für den Umweltschutz einsetzt, hieß es.

Die Kreissynode widmete sich zudem dem Thema "Kirche und Migration", eine Hauptvorlage der westfälischen Landessynode, die derzeit in die Kirchenkreisen diskutiert wird. Die Kreissynodalen begrüßten den gestarteten Prozess. Die Hauptvorlage sei "theologisch und sozialethisch fundiert und praxisbezogen", hieß es. Der Kirchenkreise unterstütze auch das Eintreten der Evangelischen Kirche von Westfalen für ein Einwanderungsgesetz und humanitäre Korridore. Die Möglichkeit des Kirchenasyls dürfe von staatlichen Stellen nicht ausgehöhlt werden.

Landeskirche soll Thema Migration vertiefen

In einem Antrag an die Landeskirche bitten die Delegierten vier weitere Themen stärker in den Blick zu nehmen: "Erfahrung von Fremd-Sein im Kontext von Seelsorge" - dazu gehört demnach etwa Seelsorge mit Migranten, aber auch Seelsorge mit Menschen, die aus ihrem gewohnten Alltag durch Krankheit oder Demenz herausfallen -, "Schule/Religionsunterricht als Raum für Begegnungen der Kulturen und Religionen", Stärkung der interkulturellen und interreligiösen Kompetenz in Kindertageseinrichtungen sowie das Thema "Gender" in Handlungskonzepten.

In einem weiteren Beschluss verpflichteten sich Kreissynode, Kirchengemeinden und Synodalen Arbeitsbereiche, sich weiterhin für eine offene Gesellschaft einzusetzen, "die Verschiedenheit als Reichtum wahrnimmt, und die Beteiligung von Geflüchteten an der Gestaltung dieser Gesellschaft aktiv fördert". Dabei werde stets der Dialog mit Menschen auf Augenhöhe gesucht, die dem Zusammenleben verschiedener Kulturen und Religionen ängstlich gegenüber stünden. Auch bei der Besetzung von Leitungsgremien und Ausschüssen werde darauf geachtet, dass Internationalität und Diversität der jeweiligen Gemeinde und des Kirchenkreises sich abbilden. Im Hinblick auf die Neukonstituierung der Gremien durch die Kirchenwahl 2020 achten alle Ebenen des Kirchenkreises auf diesen Aspekt, wie es hieß.

Noch kein Beschluss wurde unter anderem zu den Themen Abendmahl mit Kindern und "Trauung für alle", die gleichgeschlechtliche Ehen ebenso umfassen wie Ehen mit Nichtgetauften und Ausgetretenen, gefasst. Die Kreissynode beantragte demnach bei der Landeskirche eine Verlängerung der Stellungnahmen und eine Behandlung der Themen auf der Landessynode 2020.



Kreissynode Recklinghausen unterstützt "Fridays for Future"

Bei der Synode des Evangelischen Kirchenkreises Recklinghausen haben die rund 90 Delegierten als Reaktion auf die "Fridays for Future"-Proteste eine Resolution verabschiedet. Darin rufen sie zu mehr Engagement für Klimagerechtigkeit im persönlichen, kirchlichen und gesellschaftlichen Leben sowie zur Intensivierung der Kontakte und Unterstützung der "Fridays for Future"-Bewegung auf, wie der Kirchenkreis mitteilte.

Obwohl die Evangelische Kirche der Bewahrung der Schöpfung zutiefst verpflichtet sei, sich durch gute Aktivitäten auszeichne und wichtige Impulse setze, sei sie in manchen Bereichen eher noch Teil des Problems, sagte Superintendentin Katrin Göckenjan-Wessel. Zuvor hatten den Angaben zufolge zwei junge Aktivisten der Klimaproteste über ihre Erfahrungen berichtet.

Des Weiteren stimmten die Kreissynodalen unter anderem dafür, die Kommunen im Kirchenkreis aufzufordern, sich als "sicheren Hafen" für Bootsflüchtlinge zu erklären. Zudem sollten die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und ihre Gliedkirchen als öffentliches Zeichen für Gemeinschaft, Solidarität und Nächstenliebe ein eigenes Rettungsschiffs ins Mittelmeer entsenden.

Die Kreissynode begrüßte außerdem die Verkleinerung der Kirchenleitung von drei theologischen auf eine theologische Person im Hauptamt und insgesamt von 18 auf 14 Personen. Außerdem votierten die Delegierten für eine Änderung der Kirchenordnung und damit für einen einheitlichen Zeitraum von acht Jahren bei Neuwahl und Wiederwahl von Superintendenten sowie hauptamtlichen Mitgliedern der Kirchenleitung.

Die Kreissynodalen wählten den Angaben zufolge Pfarrerin Kirsten Winzbeck zur neuen Assessorin und damit Stellvertreterin der Superintendentin. Sie wählten Jürgen Finke für den synodalen Finanzausschuss und Ruhestandspfarrer Uwe Heubach zum Synodalbeauftragten für die Notfallseelsorge.



Kirchenkreis Herford für Trauung von homosexuellen Paaren

Der Evangelische Kirchenkreis Herford spricht sich für gleichgeschlechtliche Trauungen aus. Auf der Sommersynode in Herford stimmten die Delegierten mit 93 zu 18 Stimmen dafür, dass die bisher in der Evangelischen Kirche von Westfalen übliche öffentliche Segnung von gleichgeschlechtlichen Ehe-Partnern im Gottesdienst künftig Trauung genannt werden soll, wie der Kirchenkreis mitteilte. Die westfälische Landessynode will im November endgültig darüber entscheiden.

Auf der Synode des Weiteren die ehrenamtliche Flüchtlingsarbeit in den 20 Kirchengemeinden des Kirchenkreises gelobt. "Wir haben uns der Herausforderung mit unheimlich viel Engagement gestellt", sagte Pfarrer Holger Kasfeld, Vorstand des Diakonischen Werkes im Kirchenkreis. Als Beispiele nannte er die Suche nach Ausbildungsplätzen, die Hilfe beim Lernen der deutschen Sprache und die Integration durch Mitwirken im Gemeindeleben.



Synode des Kirchenkreises Solingen berät über künftige Struktur

Mit der künftigen Struktur der evangelischen Kirche in Solingen hat sich die Sommersynode des Kirchenkreises Solingen befasst. "In den kommenden zehn Jahren wird sich das Erscheinungsbild unserer Kirche auch in Solingen stark verändern", sagte die Superintendentin Ilka Werner. Laut der aktuellen Pfarrstellenplanung der rheinischen Kirche sind für das Jahr 2030 nur noch mit etwa zehn Gemeindepfarrstellen für zehn Gemeinden in Solingen geplant. Aufgrund der stark unterschiedlichen Gemeindegrößen hätten dann möglicherweise nur noch vier Solinger Gemeinden Anspruch auf mindestens eine ganze Pfarrstelle. Vier andere Gemeinden könnten rein rechnerisch sogar unter die Mindestgröße für eine halbe Pfarrstelle fallen.

Werner skizzierte zwei Richtungen, in die sich die evangelische Kirche in Solingen entwickeln könnte: Zum einen wäre denkbar, dass sich die Gemeinden ähnlich der katholischen Entwicklung im Solinger Westen zu größeren Einheiten zusammenschlössen, so dass es am Ende in der Klingenstadt vielleicht nur noch drei Großgemeinden gäbe. Zurzeit bevorzuge der Kreissynodalvorstand aber eine Entwicklung, in der die Gemeinden erhalten blieben und der Kirchenkreis sich als starke Gemeinschaft eigenständiger Gemeinden verstünde. Superintendentin und Kreissynodalvorstand riefen die rund 70 Vertreter der Gemeinden und der evangelischen Arbeitsbereiche auf, diese Prognose für 2030 sowie die Zukunftsfragen in ihren Gremien intensiv zu beraten. Zwischen 2020 und 2024 sollen auf Synodaltagungen Zukunftsentscheidungen entwickelt und getroffen werden.

Superintendentin Werner stellte den Synodalen auch Ulrike Kilp als neue Geschäftsführerin des Diakonischen Werks vor. Kilp stammt aus Westfalen und hat nach dem Abitur ein Studium der Sozialarbeit und eine Ausbildung zur Diakonin absolviert. Nach dem Berufseinstieg bei der Stadt Witten arbeitete sie zehn Jahre lang als Sozialarbeiterin beim Diakonischen Werk sowie 13 Jahre lang beim Bildungswerk der Evangelischen Kirche in Dortmund. 2013 wechselte sie nach Düsseldorf zum Landesverband der Volkshochschulen von NRW, zunächst als stellvertretende dann als Verbandsdirektorin. In den letzten fünf Jahren war sie auch Sprecherin der Landesorganisationen der Weiterbildung in NRW. Kilp wird ihre Arbeit als neue Geschäftsführerin des Diakonischen Werks des Kirchenkreises Solingen am 1. Oktober beginnen.




Gesellschaft

Aufforstung kann effektivste Waffe gegen Klimawandel sein


Aufforstung ist einer Studie zufolge das effektivste Mittel gegen Klimawandel.
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Bäume pflanzen gegen den Klimawandel: Laut Wissenschaftlern wäre es möglich, die Waldfläche weltweit um 0,9 Milliarden Hektar zu vergrößern. Ausgewachsen könnten die Bäume zwei Drittel der vom Menschen verursachten Kohlenstoffemissionen speichern.

Das weltweite Pflanzen von Bäumen ist einer Studie zufolge das effektivste Mittel gegen den Klimawandel. Zu dem Ergebnis kamen Wissenschaftler, die an der technisch-naturwissenschaftlichen Hochschule ETH Zürich zum globalen Aufforstungspotenzial forschten, wie der Initiator Jean-Francois Bastin am 3. Juli in Berlin sagte. Seinen Worten zufolge wäre es möglich, abzüglich von beispielsweise Siedlungs- und Nutzflächen die Waldfläche auf dem ganzen Planeten um 0,9 Milliarden Hektar - also um die Fläche der USA - zu vergrößern. Wenn die Bäume ausgewachsen sind, könnten sie demnach etwa zwei Drittel der bis heute vom Menschen verursachten Kohlenstoffemissionen speichern. Die komplette Studie wird am Freitag veröffentlicht.

"Wichtigste Waffe gegen den Klimawandel"

Bastin betonte, die Zahlen seien überwältigend. Sie zeigten, dass Aufforstung "unsere wichtigste Waffe gegen den Klimawandel sein kann". Die Wissenschaftler haben seinen Angaben zufolge eine Landkarte entwickelt, die genau zeige, wo wie viele Bäume gepflanzt werden könnten. Das helfe den Verantwortlichen vor Ort, gezielt vorzugehen. Bastin geht davon aus, dass es einige Jahrzehnte dauert, bis das Programm volle Wirkung erzielen kann.

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) kündigte an, dass Deutschland sich stärker für den Schutz der Wälder einsetzen wolle. Wer das Klima schützen wolle, müsse insbesondere den tropischen Regenwald retten. Er wies darauf hin, dass Brandrodung zu etwa 15 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes führe. Daher müssten internationale Maßnahmen zum Regenwaldschutz verstärkt und Programme zur Wiederbewaldung vermehrt angestoßen werden. Das werde auch Thema für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im kommenden Jahr sein. Ferner sprach er sich für verbindliche Zertifizierungsabkommen beim europäischen Import von Soja und Palmöl aus. Es dürfe keine Einfuhr dieser Produkte geben, wenn die Agrarfläche zuvor durch Brandrodung gewonnen wurde.



Schulze: CO2-Preis kann sozial gerecht gestaltet werden


Ministerin Svenja Schulze war zu Gast beim diesjährigen Kirchentag in Dortmund, wo sie am 21. Juni den Stand von der Klima Allianz Deutschland besuchte.
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Umweltministerin Schulze legt eine Woche vor den Wirtschaftsweisen eigene Gutachten für einen CO2-Bepreisung vor. Entscheidend für die SPD ist, dass Geringverdiener nicht draufzahlen, wenn Sprit und Heizöl teurer werden. Die Union bleibt skeptisch.

Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) ist überzeugt, dass eine CO2-Steuer schnell eingeführt werden könnte, ohne Privathaushalte und Wirtschaft zu überfordern. In der Debatte um eine CO2-Bepreisung zum Erreichen der Klimaschutzziele stellte die Ministerin am 5. Juli in Berlin drei Gutachten vor. Ein CO2-Preis sei "kein Allheilmittel", sagte Schulze: "Wir brauchen aber eine Trendumkehr zu klimaschonendem Verhalten beim Autofahren und Heizen."

Schulze sagte, sie selbst habe sich noch nicht festgelegt auf ein Modell zur CO2-Bepreisung, sondern sehe die Gutachten als Diskussionsbeiträge. Wichtig sei ihr, dass ein CO2-Zuschlag sozialverträglich gestaltet werde und Planungssicherheit für Unternehmen gegeben sei. Ihr Modell würde nach ihren Angaben dazu führen, dass untere und mittlere Einkommen, Familien und Alleinerziehende nicht zusätzlich belastet, Ein- und Zwei-Personen-Haushalte mit höherem Einkommen aber moderat belastet würden.

Koalitionspartner reagiert skeptisch

Aus den anderen Ressorts der Bundesregierung, die noch nach einer gemeinsamen Position zur CO2-Bepreisung sucht, wurden die Vorschläge von Schulze zunächst nicht kommentiert. Der Koalitionspartner reagierte skeptisch. Die Grünen forderten die Bundesregierung auf zu handeln.

Die von Schulze in Auftrag gegebenen Gutachten empfehlen einen Zuschlag auf Kraft- und Heizstoffe pro ausgestoßener Tonne CO2, womit Benzin, Diesel, Heizöl und -gas teurer würden. Schulze sagte, dies solle aber nicht zu Mehreinnahmen für den Staat führen, sondern über eine Klimaprämie an die Bürger zurückgegeben werden. Dabei solle derjenige mehr zurückbekommen, der sich klimafreundlich verhält.

Die Gutachter schlagen vor, den Zuschlag pro Tonne CO2 linear um 14,50 Euro pro Jahr ansteigen zu lassen, angefangen bei 35 Euro im kommenden Jahr bis auf 180 Euro im Jahr 2030. Steigen würden dann die Steuern auf Heizöl und Sprit. Das sei der unkomplizierteste Weg, um schnell Effekte zu erzielen, sagte Schulze. Den Berechnungen des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft zufolge würde im ersten Jahr Benzin um zehn Cent pro Liter teurer, Diesel und Heizöl um elf Cent. 2030, bei einem CO2-Preis von 180 Euro pro Tonne, läge der Benzinpreis um 54 Cent höher.

Die Wissenschaftler erklärten übereinstimmend, entscheidend für den Erfolg der CO2-Abgabe sei eine klare Festlegung, dass und in welchen Schritten sie steigen werde. Sie machten zugleich darauf aufmerksam, dass ein CO2-Zuschlag nur zu einem Teil dazu beitragen werde, die Klimaziele bis 2030 zu erreichen. Es brauche weitere Maßnahmen.

Die Bürger sollen den Modellen zufolge ihre steigenden Ausgaben für Sprit und Heizöl über eine Klimaprämie in fester Höhe von beispielsweise 80 Euro pro Person und Jahr sowie sinkende Strompreise kompensieren können. Geringer Verbrauch würde dadurch belohnt. Die Gutachten kommen zu dem Ergebnis, dass die Entlastungen für Geringverdiener am deutlichsten ausfielen. Die Studien wurden von Experten des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und des Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft erarbeitet.

Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Georg Nüßlein (CDU), warnte vor Mehrbelastungen für die Bürger. Die Berechnungen überzeugten ihn nicht, sagte Nüßlein dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland". Mit Blick auf Berufspendler kritisierte er, es sei nicht auszuschließen, dass die Menschen auf dem Land abgehängt würden. Der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Anton Hofreiter, sagte, es bleibe keine Zeit für einen "langen Ideenwettbewerb". Im Klimakabinett müssten endlich Entscheidungen getroffen werden. Die Grünen hatten Ende Juni ein eigenes Konzept für einen CO2-Preis vorgelegt.

In den nächsten Tagen will der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung seine von der Bundesregierung beauftragte Expertise zur Bepreisung von CO2 vorstellen. Bis 2050 will Deutschland weitgehend klimaneutral sein und seinen CO2-Ausstoß bis zu 90 Prozent gegenüber 1990 senken. Bis 2030 sollen die Emissionen um mindestens 55 Prozent zurückgehen. Mitte Juli will sich das Klimakabinett mit dem Thema der CO2-Bepreisung befassen.



Umfrage: Mehrheit kritisiert geringen Klimaschutz

Eine Mehrheit der Deutschen ist der Meinung, dass auf allen Ebenen zu wenig für den Klimaschutz getan wird. Gut drei Viertel (76 Prozent) sehen vor allem den bisherigen Einsatz der internationalen Staatengemeinschaft kritisch, wie aus einer am 4. Juli in Köln veröffentlichen ARD-Umfrage hervorgeht. Eine Mehrheit der Befragten schätzt auch das Engagement der Unternehmen (72 Prozent), der Bundesregierung (69 Prozent) sowie der Europäischen Union und der Bürger selbst (jeweils 64 Prozent) als zu gering ein.

Mit Blick auf mögliche Lösungen befürworten neun von zehn Bundesbürgern (92 Prozent) den Ausbau erneuerbarer Energien. Danach folgen höhere Preise für Flugreisen durch eine Kerosin-Steuer (68 Prozent) und ein schnellerer Ausstieg aus der Kohlestromerzeugung (64 Prozent). Skeptischer bewerten die Befragten eine mögliche CO2-Steuer: Nur 39 Prozent halten diese Maßnahme für sinnvoll. Rund ein Viertel (24 Prozent) sprach sich dafür aus, die Anschaffung und den Unterhalt von Autos mit Verbrennungsmotoren teurer zu machen.

Das Institut Infratest dimap befragte für den ARD-Deutschlandtrend im Auftrag der "Tagesthemen" am 1. und 2. Juli 1.006 Wahlberechtigte.



NRW stellt Dialog mit Muslimen auf neue Grundlage


NRW-Integrationsminister Joachim Stamp
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Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen will den Dialog mit Muslimen im Land auf eine neue Grundlage stellen. Dazu hat am 1. Juli die bundesweit erste Koordinierungsstelle für Muslimisches Engagement in Nordrhein-Westfalen ihre Arbeit aufgenommen, wie der Düsseldorfer Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) und Integrationsstaatssekretärin Serap Güler (CDU) mitteilten. Auf einem Kongress mit rund 200 Vertretern aus mehr als 100 muslimisch geprägten Organisationen stellten sie die neue Plattform "Muslimisches Engagement in NRW" vor.

Beim Sport, in der Flüchtlingshilfe oder im Umweltschutz leisteten Muslime haupt- und ehrenamtlich Beiträge für das Zusammenleben, erklärte Stamp. "Dieses Engagement wollen wir stärker ins öffentliche Bewusstsein rücken und gleichzeitig den Dialog mit der muslimischen Community auf eine breite Basis stellen."

Bundesweit erste Koordinierungsstelle nimmt Arbeit auf

Mit der neuen Koordinierungsstelle würden alle religiösen, beruflichen und zivilgesellschaftlichen Gruppen unabhängig von ihrer Größe eingebunden. Ihren Sitz hat die Koordinierungsstelle im Integrationsministerium und wird von dem Soziologen Aladin El-Mafaalani geleitet. Die dort erarbeiteten Handlungsempfehlungen zu Fragen der Lebensrealität hier lebender Muslime sind für die Landesregierung nicht bindend.

Die NRW-Landesregierung setze sich für alle Bürger unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit ein, betonte der stellvertretende Ministerpräsident. "Muslime gehören selbstverständlich zu Deutschland und damit auch ihre Religion." Es zählten nicht die Herkunft oder der Glaube, sondern die Haltung zur freiheitlich demokratischen Grundordnung und ihren Werten. "Um Islam- und Muslimfeindlichkeit wirksam etwas entgegensetzen zu können, brauchen wir breite Bündnisse und einen starken Zusammenhalt in unserer Gesellschaft."

Der nordrhein-westfälische Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) hatte zuvor auf umfassende Veränderungen innerhalb des größten deutschen Islamverbands, der türkisch-islamischen Union Ditib gedrängt. Vor dem Düsseldorfer Kongress forderte Stamp den Islamverband zur Unabhängigkeit vom türkischen Staat auf. Die Ditib sei ein heterogenes Gebilde, sagte der Minister der Bielefelder "Neuen Westfälischen" (1. Juli).

Stamp: "Wir wünschen uns weniger Doktrin aus Ankara"

Manche Mitglieder und Gemeinden sehnten Veränderungen in ihrem Verband herbei. "Wir hoffen auf eine Graswurzelbewegung innerhalb der Ditib und setzen auf Vielfalt." Stamp ermutigte mit Blick auf die neue Koordinierungsstelle liberale Mitglieder der Ditib zu einer offenen Debatte über freiheitlich-demokratische Werte. "Wir wünschen uns weniger Doktrin aus Ankara", sagte er der Zeitung.

Die Ditib ist der größte Islamverband in Deutschland. Bundesweit gehören rund 900 Moscheen zu dem Dachverband für türkischstämmige Muslime. Die Ditib ist eng angebunden an die türkische Religionsbehörde Diyanet. In Deutschland predigende Imame werden aus der Türkei entsendet.

Seit dem Putschversuch 2016 in der Türkei ist die Anbindung an Ankara zu einem Problem geworden. Der Generalbundesanwalt ermittelte gegen Ditib-Imame, denen vorgeworfen wurde, gegen mutmaßliche Erdogan-Kritiker spioniert zu haben. Die Bundesregierung stellte die Förderung von Projekten in Trägerschaft der Ditib ein. In NRW ruht die Mitgliedschaft der Ditib in einem Beirat im Zusammenhang mit islamischem Unterricht an Schulen. Auch in der Gefängnisseelsorge und bei der Salafismus-Prävention ruhen die Kooperationen des Landes mit der Ditib.



Koordinationsrat der Muslime erweitert sich

Der Koordinationsrat der Muslime wächst: Als neue Mitglieder wurden am 2. Juli der Zentralrat der Marokkaner, die Union der islamisch-albanischen Zentren und die Islamischen Gemeinschaft der Bosniaken in Deutschland aufgenommen, wie der muslimische Dachverband in Köln mitteilte. Mit den drei Verbänden wurde in der Kölner Ditib-Moschee eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet.

Der Koordinationsrat sei bemüht, auch anderen Religionsgemeinschaften in Deutschland eine Mitgliedschaft anzubieten, die unter anderem die Voraussetzungen erfüllten, die das Religionsverfassungsrecht an Religionsgemeinschaften stelle, hatte Sprecherin Nurhan Soykan vom Zentralrat im Vorfeld erklärt.

Bislang gehörten zum Koordinationsrat der Muslime der türkisch-islamische Verband Ditib, der Islamrat, der Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) und der Zentralrat der Muslime. Diese vier bundesweit auftretenden Verbände hatten sich 2007 im Koordinationsrat der Muslime zu einer Dachorganisation zusammengeschlossen und vertreten nach eigenen Angaben mehr als 2.000 Moscheegemeinden in Deutschland.

Mit dem Zentralrat der Marokkaner (ZRMD, auch ZMaD) mit Sitz in Offenbach, der auch Mitglied in der Deutschen Islamkonferenz ist, kommen nach Angaben der Islamkonferenz nun 47 weitere Moscheegemeinden hinzu. Auch die Islamische Gemeinschaft der Bosniaken (IGBD) mit Sitz in Wiesbaden ist bereits in der Islamkonferenz vertreten und vertritt ihren Angaben nach 61 Moscheegemeinden. Die Union der islamisch-albanischen Zentren umfasst nach eigenen Angaben 37 Mitgliedsvereine, darunter überwiegend Kulturvereine und Kulturzentren, die Landesverbänden in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg angehören.



NRW-Verfassungsschutz: Politisch motivierte Gewalt nimmt zu

Politisch motivierte Gewalt von Extremisten ist in Nordrhein-Westfalen weiter auf dem Vormarsch. Bei der Verbreitung von extremistischem Gedankengut spielt zugleich das Internet eine immer wichtigere Rolle, wie aus dem am 3. Juli in Düsseldorf vorgestellten NRW-Verfassungsschutzbericht für 2018 hervorgeht. "Der Hass lauert im Netz. Von hier breitet er sich wie eine Krankheit aus. Und hier müssen wir ihn bekämpfen", sagte Innenminister Herbert Reul (CDU).

Der Bericht untersucht die Ausbreitung von Rechts- und Linksextremismus sowie von Islamismus und Antisemitismus. Sorge bereitet den Verfassungsschützern dabei vor allem der Rechtsextremismus. Mit der Verbreitung rechter Ideologien im Netz werde versucht, diese "menschenverachtende Gesinnung" zu entgrenzen und sie auch für die Mitte der bürgerlichen Gesellschaft salonfähig zu machen, warnte Reul. Der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke habe vor Augen geführt, dass der Rechtsextremismus ein "ganz zentrales Problem" sei.

Zwar blieb im Vorjahr gegenüber 2017 die Zahl der Straftaten mit 3.767 (3.764) nahezu unverändert. Die Zahl der Gewalttaten legte aber dem Verfassungsschutzbericht zufolge um fünf Prozent auf 217 (206) zu. Durch das Internet habe sich der Rechtsextremismus zudem "von verrauchten Hinterzimmern in die versteckten Chatrooms" verlagert, machte der Minister deutlich. Damit bestehe die Gefahr, dass die Demokratie unterwandert werde. Nutzer machten sich mit einem leichtfertig geklickten "Gefällt mir" zu Motivatoren von Mördern und ideologischen Brandstiftern.

Meldestelle für antisemitisch motivierte Delikte geplant

Auch bei antisemitisch motivierten Gewaltdelikten stellten die Verfassungsschützer einen deutlichen Anstieg fest. Deren Zahl erhöhte sich im Vorjahr auf 16 und verdreifachte sich damit annähernd. Insgesamt wurden 350 antisemitische Straftaten registriert, 26 mehr als 2017. Darüber hinaus gibt es Reul zufolge immer mehr alltägliche antisemitische Diskriminierung unterhalb der Strafbarkeit.

Die Antisemitismus-Beauftragte in NRW, die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, kündigte Vorbereitungen zur Einrichtung einer Meldestelle für antisemitische Übergriffe an. Gefordert seien auch neue Konzepte in der Bildung, damit sich stereotype Vorurteile und Judenfeindlichkeit nicht weiter in den Köpfen der Menschen festsetzten. "Die Ängste jüdischer Gemeinden sind - leider - berechtigt. Bereits antisemitische Pöbeleine, Postings und Demonstrationen verstroßen gegenunsere freiheitlich-demokratische Grundordnung", eklärte sie.

Innenminister fordert "Vermummungsverbot im Netz"

Eine Gefahr sieht der Bericht weiterhin auch im Islamismus in NRW. Vor allem radikalisierte Rückkehrer aus IS-Gebieten oder instruierte Einzeltäter ohne feste Bindung an eine Organisation seien eine Bedrohung. "Ich kann da keine Entwarnung geben", sagte Reul und verwies auf den ersten Fall einer dschihadistisch motivierten Herstellung von Biowaffen: In Köln soll 2018 ein mutmaßliches Islamistenpaar einen Anschlag mit dem Gift Rizin geplant haben. Der Prozess läuft vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf.

Dagegen hätten beim politischen Salafismus Vereinsverbote und strafrechtliche Schritte das Wachstum der Szene abgeschwächt. Jedoch stufen die Verfassungsschützer 109 und damit zwölf Prozent der 850 Moscheen in NRW als islamistisch beeinflusst ein, davon 70 als rein salafistisch und 16 aus dem Kreis der sunnitisch-islamistischen Muslimbruderschaft.

Beim Linksextremismus registrierten die Verfassungsschützer 447 Gewaltdelikte 2018. Das waren mehr als doppelt so viele wie im Jahr davor. Die Zahl der Straftaten blieb dagegen mit 1.394 (1.374) nahezu unverändert. Vor allem im Hambacher Forst habe sich die Gewalt der linksextremen autonomen Szene weiter verschärft. Zunehmend werde deutlich, dass das Ziel der Besetzer weniger der Umweltschutz als die Schaffung autonomer Gebiete sei.

Wegen der zunehmenden politischen Gewalt und der Rolle des Internets sprach sich Reul für ein "Vermummungsverbot im Netz" aus. Damit hätte sich jeder mit seinem Klarnamen für Äußerungen zu verantworten. Auch die Anbieter von Internetdiensten seien in der Verantwortung, Hasskommentare schneller als bislang zu löschen. Auch die Hürden für die Ermittlung verdächtiger IP-Adressen von Computern müssten sinken.



Jüdisch-islamischer Dialog gegen Antisemitismus

"Schalom Aleikum" heißt eine neue Gesprächsreihe zwischen Juden und Muslimen in Deutschland. Die Bundesregierung unterstützt das Projekt im Rahmen ihrer Antisemitismus- und Präventionsstrategie mit mehr als einer Million Euro.

Der Zentralrat der Juden will durch eine neue Dialogreihe den Austausch zwischen Juden und Muslimen in Deutschland fördern. Ziel sei es, Antisemitismus "gar nicht erst entstehen zu lassen", erklärte Zentralratspräsident Josef Schuster zum Auftakt des Projekts "Schalom Aleikum. Jüdisch-muslimischer Dialog" am 3. Juli in Berlin.

Die bundesweit angelegte Gesprächsreihe wird von der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz (CDU), in diesem Jahr mit 1,2 Millionen Euro gefördert. Zum Auftakt war in Berlin unter dem Motto "Starting dialogue" ein Treffen jüdischer und muslimischer Jungunternehmer und Startup-Gründer geplant. Weitere Dialogforen mit Lehrern, Sportlern, Studierenden, Senioren und Frauengruppen sollten in den kommenden Monaten folgen, sagte der Geschäftsführer des Zentralrates, Daniel Botmann.

Widmann-Mauz betonte, bei dem Projekt gehe es darum, Hemmschwellen abzubauen und eine Verfestigung von Vorurteilen frühzeitig zu bekämpfen. "Prävention durch Dialog", sagte die CDU-Politikerin. Dabei sollten mit der Gesprächsreihe auch neue Zielgruppen erreicht werden.

Zum Hintergrund des Projektes verwies die Integrationsbeauftragte auf den Anstieg antisemitischer und islamfeindlicher Straftaten. Sie sei entsetzt, dass es wieder möglich sei, dass Menschen wegen ihrer Religion beschimpft und angegriffen werden. "Das ist kein Zustand, den wir in unserem Land wollen", sagte Widmann-Mauz.

Geplant seien verschiedene Dialogformate, hieß es weiter. Schuster betonte, wer aus seiner Lebensrealität heraus miteinander spreche, "geht ohne Vorbehalte aufeinander zu".

Der Titel der Dialogreihe "Schalom Aleikum" ist zusammengesetzt aus der hebräischen und arabischen Begrüßungsformel "Schalom Aleichem" und "Salam Aleikum". Beides bedeutet "Friede sei mit Euch".



Tausende bei "#unteilbar"-Demonstration in Leipzig


"Unteilbar"-Demonstration in Leipzig
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Mehrere tausend Menschen haben am 6. Juli in Leipzig für eine solidarische Gesellschaft und gegen einen Rechtsruck demonstriert. Nach Angaben der Veranstalter, dem Bündnis "#unteilbar", waren "über den Tag verteilt" rund 7.500 Menschen dem Aufruf gefolgt. Ein Polizeisprecher sprach auf Anfrage von einem ruhigen Demonstrationsverlauf, machte aber keine Angaben zur Teilnehmerzahl.

Anlass für die Demonstration sind die anstehenden Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg am 1. September sowie in Thüringen am 27. Oktober. Für den 24. August plant das zivilgesellschaftliche Bündnis eine Großdemonstration in Dresden.

"Sommer der Solidarität"

"Wir wollen mit unseren Aktionen zeigen, dass wir viele sind, die den Rechtsruck in Politik und Gesellschaft satt haben", erklärte Sprecher Felix Müller für das "#unteilbar"-Bündnis. Sachsen sei als Hauptschauplatz der Aktionen gewählt worden, weil die AfD hier bei den Europa- und Kommunalwahlen Ende Mai besonders stark abgeschnitten habe. Die Demonstration sei der Auftakt zu einem "Sommer der Solidarität" mit zahlreichen Aktivitäten, sagte Müller.

Die Veranstalter zeigten sich am Samstag zufrieden mit der Resonanz. "Es freut mich, wie breit und vielfältig wir heute aufgestellt waren. Das macht Mut für die Zukunft. Rechtsruck und rechter Terror lassen sich nur Hand in Hand bekämpfen", erklärte "#unteilbar"- Sprecherin Ana-Cara Methmann.

Am 13. Oktober 2018 waren einem ersten Aufruf zur Großdemonstration des "#unteilbar"-Bündnisses in Berlin rund 240.000 Menschen gefolgt. Zahlreiche Parteien, Organisationen, Gewerkschaften, Initiativen, kirchliche Gruppen, Sozial- und Flüchtlingsverbände sowie Kulturschaffende aus ganz Deutschland hatten sich dem Aufruf angeschlossen. Die Veranstaltung stand unter dem Motto "Für eine offene und freie Gesellschaft - Solidarität statt Ausgrenzung". Die Demonstration in Leipzig hatte am frühen Samstagnachmittag mit einer Auftaktkundgebung in der Windmühlenstraße begonnen und endete am frühen Abend am Clara-Zetkin-Park.



Zahl der Asylanträge sinkt weiter

Die Zahl der in Deutschland gestellten Asylanträge geht weiter zurück. Wie aus der am 4. Juli vom Bundesinnenministerium in Berlin veröffentlichten Halbjahresstatistik hervorgeht, beantragten von Januar bis Ende Juni dieses Jahres knapp 73.000 Menschen erstmals Asyl in Deutschland. Das waren rund 9.000 Erstanträge weniger als im Vergleichszeitraum 2018. Die Gesamtzahl der Anträge inklusive Folgeantragstellungen lag in den ersten sechs Monaten dieses Jahres bei knapp 85.000. Dies entsprach einem Rückgang von neun Prozent.

Der erneute Rückgang deute darauf hin, dass bei einem gleichbleibenden Verlauf in diesem Jahr erneut der in der Koalition vereinbarte Korridor für die Flüchtlingszuwanderung unterschritten werden könne, erklärte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Im Koalitionsvertrag wurde festgehalten, dass nicht mehr als 180.000 bis 220.000 Asylsuchende pro Jahr nach Deutschland kommen sollen. 2018 lag die Gesamtzahl der Erstanträge bei knapp 162.000.

Türkei auf Platz drei der Hauptherkunftsländer

Hauptherkunftsländer der Asylsuchenden waren im ersten Halbjahr Syrien, Irak und Nigeria. Afghanistan, im vergangenen Jahr noch auf Platz drei der Hauptherkunftsländer, folgte auf Platz vier.

Im Monat Juni lag die Türkei auf Platz drei der Hauptherkunftsländer. 751 Asylanträge von Menschen aus diesem Land wurden registriert. Die Zahl der Asylanträge von Nigerianern ging in dem Monat stark zurück von mehr als 1.100 im Mai auf gut 600. Insgesamt sank im Juni die Zahl der Anträge auf unter 10.000. In den beiden Vormonaten hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge noch jeweils mehr als 12.000 Asylanträge registriert.

Das Bundesamt hat den Angaben zufolge in diesem Jahr bislang über rund 102.500 Asylanträge entschieden. Knapp ein Viertel (24 Prozent) der Antragsteller erhielten einen Flüchtlingsstatus nach Genfer Konvention oder Grundgesetz. Mehr als 9.000 Schutzsuchende (9 Prozent) erhielten subsidiären Schutz, bei dem der Familiennachzug nicht generell, sondern nur über die seit 2018 geltende Kontingentregelung möglich ist.

Knapp 31 Prozent der Anträge wurden abgelehnt. Das verbleibende Drittel der Asylanträge erledigte sich auf anderen Weg, etwa durch sogenannte Dublin-Entscheidungen, bei denen es um die Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat geht. Über den Schutzstatus des Betroffenen wird dabei nicht entschieden.



Knapp 10.000 Abschiebungen aus Deutschland bis Ende Mai


Protest gegen Abschiebungen am Düsseldorfer Flughafen
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Deutschland hat in diesem Jahr bis Ende Mai knapp 10.000 abgelehnte Asylbewerber abgeschoben. Wie das Bundesinnenministerium am 5. Juli in Berlin mitteilte, lag die genaue Zahl bei 9.666 zwangsweisen Rückführungen und ist damit weiter leicht rückläufig. 2018 wurden mehr als 23.600 Menschen aus Deutschland abgeschoben, 2016 mehr als 25.000. Das Ministerium bestätigte damit einen Bericht der "Rheinischen Post".

Die Zahl der Menschen ohne Bleiberecht in Deutschland, die das Land freiwillig verließen, lag den Angaben zufolge in den ersten fünf Monaten dieses Jahres bei rund 6.800. 2018 gab es fast 16.000 freiwillige Ausreisen, die über das Rückkehrprogramm gefördert wurden. Finanzielle Anreize sollen dabei helfen, dass Asylbewerber ohne Chancen auf einen Flüchtlingsstatus in Deutschland in ihre Heimat zurückgehen.

Die Zahl der Abschiebungen ist seit 2016, dem Höchststand der Zahl der Abschiebungen in den vergangenen zehn Jahren, leicht rückläufig. 2018 lag die Zahl erfolgter Abschiebungen den Angaben zufolge erstmals unter der gescheiterter Abschiebeversuche (rund 31.000). Ein härteres Durchgreifen, unter anderem mit einer Ausweitung der Haftmöglichkeiten, soll dazu führen, dass Abschiebungen künftig konsequenter durchgesetzt werden. In der vergangenen Woche hatte der Bundesrat dem sogenannten Geordnete-Rückkehr-Gesetz von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) zugestimmt.

Trotz rückläufiger Zahlen bewegt sich die Anzahl von Abschiebungen seit 2015 auf mehr als doppelt so hohem Niveau als vor der großen Fluchtbewegung. 2014 gab es der Statistik zufolge rund 10.900, 2010 rund 7.500 Abschiebungen aus Deutschland.



Über 7.000 Menschen demonstrieren in NRW für Seenotrettung


Demonstration in Berlin
epd-bild/Christian Ditsch
Protest für Humanität und die Rettung von Menschenleben: Zehntausende demonstrieren europaweit für die Rechte von Flüchtlingen und zivile Seenotrettung. In NRW beteiligen sich Menschen in 18 Städten an den Aktionen.

Rund 7.000 Menschen in 18 Städten haben am 6. Juli in Nordrhein-Westfalen für das Recht auf Flucht und eine ungehinderte Seenotrettung im Mittelmeer demonstriert. Größere Kundgebungen gab es unter anderem in Düsseldorf, Köln, Bonn, Münster und Bielefeld. Europaweit seien bei rund hundert Demonstrationen insgesamt etwa 30.000 Menschen auf die Straße gegangen, erklärte die internationale Bewegung "Seebrücke". Der Schwerpunkt lag in Deutschland, in einigen Städten waren bis in den späten Abend Aktionen geplant.

In Köln nahmen etwa 500 Menschen an einer Protestaktion vor dem italienischen Generalkonsulat teil. Dort hieß es: "Baut Brücken statt Mauern" und "Solidarität mit Menschen auf der Flucht, die Schiffbruch erleiden". In der Landeshauptstadt Düsseldorf gedachten ebenfalls rund 500 Teilnehmer mit einer Schweigeminute der im Mittelmeer ertrunkenen Flüchtlinge. Ein Sprecher forderte die "sofortige Freigabe aller Seenot-Rettungsschiffe". Auf Transparenten hieß es: "Fluchtursachen beseitigen statt Menschen in den Tod schicken" und "Die Menschlichkeit muss siegen". Zudem wurde die Einstellung aller Ermittlungsverfahren gegen Seenot-Retter gefordert.

Blumen im Rhein erinnern an Tote im Mittelmeer

In Bonn kamen 700 Menschen zusammen. Von einer Rheinbrücke wurden Blumen ins Wasser geworfen, um der Toten im Mittelmeer zu gedenken. In Bielefeld forderten etwa 700 Menschen, es sei "Zeit zu zeigen, dass Bielefeld ein sicherer Hafen ist". In Detmold verlangten rund 400 Demonstranten: "Stoppt das Sterben im Mittelmeer". Kundgebungen, Mahnwachen und Aktionen unter dem Motto "Notstand der Menschlichkeit" gab es auch in Aachen, Bochum, Dinslaken, Düren, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Leichlingen, Lennestadt, Oberhausen und Wuppertal. Nach Polizeiangaben blieb es überall friedlich.

Theologe Ulf Schlüter spricht in Dortmund

Vor rund 800 Demonstranten in Münster sagte eine "Seebrücke"-Sprecherin, sie wolle nicht in einer EU leben, die Menschen an ihren Außengrenzen sterben lasse und internationales Recht ignoriere. In Dortmund nannte es der Theologische Vizepräsident der Evangelischen Kirche von Westfalen, Ulf Schlüter, vor rund 250 Menschen eine Schande, was derzeit im Mittelmeer geschehe. "Sea-Watch"-Kapitänin Carola Rackete habe alles richtig gemacht, indem sie Menschenleben gerettet habe.

Für die Europäische Union sei es unabdingbar, Lösungen für die einzelnen Staaten zu finden, mit deren Hilfe neue Todesopfer im Mittelmeer verhindert werden könnten. Seenotrettung allein löse allerdings nicht alle Probleme. "Wir haben hier an Land viele Fragen, die wir lösen müssen, damit Gerettete auch eine Zukunft haben", sagte Schlüter. Als Beispiele nannte er Aufenthaltstitel, Wohnraum, Ausbildung, Arbeit, Gesundheit. Da gebe es reichlich zu tun und zu regeln. Europa habe dafür große Möglichkeiten.

Der Flüchtlingsrat NRW erklärte, die Odyssee der "Sea-Watch 3", die nirgendwo einlaufen durfte, um vor dem Ertrinken gerettete Menschen an Land zu bringen, sei nur ein aktuelles Beispiel für "eine skandalöse Politik des Wegschauens seitens der europäischen Staaten". Nötig seien sichere Fluchtwege. Nach Angaben der Initiative "Seebrücke" ertrinkt jeder sechste Bootsflüchtling, der über das Mittelmeer nach Europa kommen will. Die "Seebrücke" ist eine breite soziale Bewegung, die sich nach eigenen Angaben mit mehr als hundert Lokalgruppen bundesweit für sichere Fluchtwege und die kommunale Aufnahme von aus Seenot geretteten Menschen einsetzt. Mehr als 60 Städte und Gemeinden erklärten sich bislang zu "Sicheren Häfen".

Bundesweiter Protest

Europaweit seien es am 6. Juli rund 30.000 Demonstranten gewesen, der Schwerpunkt habe in Deutschland gelegen, sagte eine Sprecherin der internationalen Bewegung "Seebrücke" dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Seebrücke" hatte in mehreren Ländern zu Demonstrationen für die Rechte von Geflüchteten aufgerufen.

Nach "Seebrücke" Angaben beteiligten sich in Berlin bis zu 5.500 Menschen an dem Demonstrationszug durch das Regierungsviertel. Die Polizei sprach auf Anfrage von "gut 2.000" Teilnehmern. Sprecher forderten die Bundesregierung unter anderem auf, "bis auf weiteres die Aufnahme aller Menschen, die über das zentrale Mittelmeer fliehen müssen, verbindlich zuzusagen".

In Hamburg gingen mehr als 3.500 Menschen für eine unbehinderte Seenotrettung auf die Straße. Sie demonstrierten für die Freigabe des Rettungsschiffs "Sea-Watch 3" und sichere Fluchtwege. Unter anderen sprach Kapitän Dariush Beigui, der in Italien wegen der Rettung Schiffbrüchiger mit dem Schiff "Iuventa" angeklagt ist. Ein Grußwort von Kapitänin Carola Rackete vom Band wurde laut bejubelt.

Tausende Menschen nahmen in Bayern an den "Seebrücke"-Demonstrationen teil. In mehr als einem Dutzend Städte fanden teils bis zum frühen Abend Veranstaltungen statt. In München riefen die Veranstalter nach eigenen Angaben die rund 2.000 Teilnehmer auf, sich für die Beteiligung der Landeshauptstadt am "Netzwerk Sicherer Hafen" starkzumachen. München "als drittgrößte Stadt und eine der reichsten Kommunen Deutschlands" solle Verantwortung übernehmen, hieß es in dem Aufruf.

Bedford-Strohm nimmt an Kundgebung in Magdeburg teil

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, sprach auf der "Seebrücke"-Demonstration in Magdeburg. «Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass man Menschen, die in Gefahr sind, rettet», sagte Bedford-Strohm er. Es müsse endlich aufhören, «dass zivile Seenotretter kriminalisiert werden». Die Menschen würden sich nicht aus Leichtsinn, sondern aus reiner Verzweiflung auf die Schlauchboote begeben, sagte der oberste Repräsentant der Protestanten in Deutschland vor etwa 80 Menschen.

In Niedersachsen waren es nach vorläufigen Veranstalterzahlen 2.500 Demonstranten. Für die Menschenrechte von Flüchtlingen demonstrierten im Südwesten mehrere tausend Menschen, etwa in Tübingen und Ulm. Auch in Hessen und in Rheinland-Pfalz sind Menschen auf die Straße gegangen. In Frankfurt am Main demonstrierten am frühen Abend rund 750 Menschen, wie die Polizei dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagte.

Die "Seebrücke" ist eine soziale Bewegung, die sich mit nach eigenen Angaben mehr als 100 Lokalgruppen bundesweit für sichere Fluchtwege und die kommunale Aufnahme von aus Seenot geretteten Menschen einsetzt. Seit Juni 2018 hätten sich bereits über 60 Städte und Gemeinden zu "Sicheren Häfen" erklärt, hieß es.



"Flüchtlingshilfe Syrien" entscheidet über 60.000 Euro Spenden

Die Flüchtlingshilfe Syrien aus Bad Godesberg bei Bonn hat über die Verwendung von Spendengeldern entschieden, die ursprünglich Flüchtlingsbürgen im Falle von finanziellen staatlichen Forderungen zugutekommen sollten. Nach der Entscheidung des Bundes und der Landesregierungen, Flüchtlingsbürgen nur bis zur Anerkennung eines Flüchtlings finanziell in Haftung zu nehmen, könnten zurückgestellte Spendengelder in Höhe von 60.000 Euro nun anderen Organisationen zugutekommen, die sich für die Flüchtlingsrettung im Mittelmeer starkmachen, teilte die Flüchtlingshilfe Syrien am 1. Juli in Bonn mit. Beschlossen wurde, jeweils 20.000 Euro an drei zivilgesellschaftliche Organisationen weiterzuleiten.

Unterstützung für drei Organisationen

Unterstützt werden den Angaben nach die Flüchtlingsarbeit der evangelischen Kirche von Griechenland, die Unterkünfte und Dienste für 1.630 Flüchtlinge betreibt. Der Deutsche Projektpartner ist das Gustav-Adolf-Werk, das mit Meletis Meletiadis vom "Executive Commitee of the General Synod of the evangelical Church of Greece" zusammenarbeitet.

Ebenfalls unterstützt werden die Bonner Seenotretter. Mit der Seebrücke, Sea Eye, Jugend rettet und Iuventa 10 setzten sich Bewegungen in Bonn für sichere Fluchtwege, eine Entkriminalisierung der Seenotrettung und eine menschliche Aufnahme von Flüchtlingen ein, hieß es.

Die dritte Organisation, die von den weitergeleiteten Spendengeldern profitieren wird, ist die Flüchtlingsarbeit der evangelischen Kirche von Marokko, die sich unter anderem mit dem Projekt "Vivre l'espoir" um unbegleitete Minderjährige kümmert, die in Marokko auf ihrer Flucht nach Europa gestrandet sind. Deutscher Projektpartner ist der evangelische Kirchenkreis Jülich und der Rheinische Verband Evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder.

Die Flüchtlingshilfe Syrien war nach eigenen Angaben vor fünf Jahren an der evangelischen Johannes-Kirchengemeinde Bad Godesberg gegründet worden. Sie schaffte es, dass 16 vom Bürgerkrieg in Syrien bedrohte Menschen durch Bürgschaften direkt nach Deutschland geholt werden konnten, ohne dass sie sich auf lebensgefährliche Fluchtrouten begeben mussten. Weitere Flüchtlinge wurden durch Patenschaften und Hilfen unterstützt.



50.000 Menschen bei Festival "Kosmos Chemnitz" gegen rechts

Rund 50.000 Menschen haben nach Veranstalterangaben in Chemnitz ein Festival für Toleranz und gegen Fremdenhass gefeiert. Unter dem Motto "Kosmos Chemnitz - Wir bleiben mehr" standen am 4. Juli an rund 40 Orten in der Stadt bei freiem Eintritt Konzerte bekannter Musiker sowie Lesungen, Ausstellungen und Diskussionen auf dem Programm. Den Abschluss bildete ein Auftritt von Sänger Herbert Grönemeyer.

Wie die Chemnitzer Polizei am späten Abend mitteilte, wurden während der seit dem Nachmittag dauernden Großveranstaltung keine Störungen verzeichnet. Vereinzelt seien Straftaten festgestellt worden, darunter eine Körperverletzung. An eine Hauswand seien mit Kreide zwei Hakenkreuze angebracht worden. Die Polizei habe die Schmierereien entfernt und Ermittlungen eingeleitet. Insgesamt waren demnach 230 Beamte im Einsatz.

Mit dem auch von den Bands Tocotronic und Alligatoah unterstützten Festival griffen die Veranstalter den kulturellen und solidarischen Impuls des #Wirsindmehr-Konzerts in Chemnitz auf, an dem am 3. September 2018 insgesamt 65.000 Menschen teilgenommen hatten. Das Konzert war in Reaktion auf die fremdenfeindlichen Ausschreitungen durch Rechtsextreme organisiert worden, die Chemnitz kurz zuvor erschüttert hatten.

Grund für die rechtsextremen Mobilisierungen war der gewaltsame Tod des damals 35 Jahre alten Daniel H. in Chemnitz. Die juristische Aufarbeitung des Falles dauert an. Vor dem Landgericht Chemnitz muss sich ein syrischer Asylbewerber verantworten.



Armin Laschet erhält 2020 den Orden wider den tierischen Ernst

Zum 70-jährigen Bestehen des "Ordens wider den tierischen Ernst" bekommt im kommenden Jahr erstmals ein Aachener die renommierte Auszeichnung des Aachener Karnevalvereins (AKV): Armin Laschet. Der NRW-Ministerpräsident erhalte die Würdigung als "pragmatischer und kompromissfähiger Politiker mit rheinischem Humor, der gelobt hat, die Fröhlichkeit stets zu verteidigen", teilte der AKV am 5. Juli in Aachen mit. Übergeben wird Laschet die Auszeichnung am 8. Februar, zwei Tage später ist die Aufzeichnung der Festsitzung dann im ARD-Abendprogramm zu sehen.

"70 Jahre Orden wider den tierischen Ernst sind genau der richtige Anlass, erstmals einen Ritter aus Aachen auszuzeichnen", sagte AKV-Präsident Werner Pfeil. Niemand verkörpere die Kriterien für die Ritterwürde, Humor und Menschlichkeit im Amt, besser als Laschet. Er grenze nicht aus, sondern "umarmt und integriert, eben typisch rheinländisch". Sein tiefgründiger Humor, sein echtes Interesse an den Menschen und sein stetiger Einsatz für Verständigung hätten den AKV-Elferrat überzeugt, hieß es. Laschet sei ein Politiker, "der mit kluger Zurückhaltung und Sympathie die Herzen der Menschen gewinnt".

"Ich freue mich riesig über diese höchste karnevalistische Auszeichnung, die man als Politiker erhalten kann", erklärte Laschet. Für ihn als Aachener gehöre die Festsitzung des AKV mit der Ordensverleihung "zur närrischen DNA". Schon 2005, 2006 und 2018 war Laschet bei der Festsitzung auf der Bühne aufgetreten. Vorgänger Laschets als Ordensträger sind unter anderem Konrad Adenauer, Helmut Schmidt, Hans-Dietrich Genscher und Johannes Rau.



NRW weist drittes Wolfsgebiet in der Eifel aus

Das nordrhein-westfälische Umweltministerium hat in der Eifel ein neues Wolfsgebiet ausgewiesen. Mehrfache Sichtungen, Risse von Schafen und genetische Nachweise legten nahe, dass ein männlicher Wolf im Bereich der Gemeinde Monschau heimisch geworden sei, teilte Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) am 3. Juli in Düsseldorf mit. "Wir rechnen damit, dass der Wolf vorerst einmal bleibt."

Das Wolfsgebiet "Eifel - Hohes Venn" ist das dritte ausgewiesene Wolfsgebiet in Nordrhein-Westfalen nach den Wolfsgebieten Schermbeck und Senne. Das 505 Quadratkilometer große Gebiet umfasst den Angaben zufolge Teile der Städteregion Aachen und des Kreises Euskirchen.

Die Ministerin wies darauf hin, dass sowohl im Wolfsgebiet als auch in einer weiter gefassten "Pufferzone" Halter von Schafen und Ziegen sowie Wildgehege Fördergelder für Maßnahmen zum Herdenschutz beantragen können. Im Wolfsportal im Internet unter www.wolf.nrw sei das neue Wolfsgebiet kartografisch dargestellt.

Der Wolf ist nach Bundesnaturschutzgesetz streng geschützt. 1995 wurde nach Angaben des NRW-Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv) der erste Wolf, im Jahr 2000 das erste Rudel in Deutschland nachgewiesen. 2009 erfolgte der erste Nachweis eines einzelnen, durchziehenden Wolfs in Nordrhein-Westfalen.



Berliner "Spätis" müssen sonntags schließen

Berliner "Spätis" müssen sonntags grundsätzlich geschlossen bleiben. Das hat das Berliner Verwaltungsgericht entschieden. Die sogenannten Spätverkaufsstellen seien typischerweise allgemein und unspezifisch auf die Versorgung der näheren Umgebung und nicht auf den spezifischen Bedarf von Touristen ausgerichtet, heißt es in der am 3. Juli veröffentlichten Urteilsbegründung. Deswegen dürften sie weiterhin sonntags grundsätzlich nicht öffnen (AZ: VG 4 K 357.18).

Nach dem Berliner Ladenöffnungsgesetz müssten Verkaufsstellen an Sonn- und Feiertagen grundsätzlich geschlossen bleiben, befand das Gericht. Eine Ausnahme mache das Gesetz unter anderem für Verkaufsstellen, die für den Bedarf von Touristen bestimmte Waren wie Lebens- und Genussmittel zum sofortigen Verzehr anbieten.

Die Klägerin ist den Angaben zufolge Inhaberin eines Einzelhandelsgeschäftes in Charlottenburg-Wilmersdorf. Sie hatte ihren Laden an mehreren Sonntagen im Jahr 2016 geöffnet und dabei neben Berlin-Artikeln, Postkarten und Erfrischungsgetränken unter anderem auch Spirituosen in großen Flaschen, H-Milch, Toastbrot, Zucker, Honig und Kaffee in 500-Gramm-Verpackungen angeboten. Das zuständige Bezirksamt hatte ihr deshalb weitere Sonntagsöffnungen untersagt und im Falle der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld in Höhe von 1.500 Euro angedroht.

Das Gericht bestätigte die Maßnahmen des Bezirksamtes. Die Klägerin könne sich nicht auf diese Ausnahme für eine Sonntagsöffnung berufen. Ihr Angebot umfasse Waren, die nicht zum sofortigen Verzehr geeignet seien. Überdies versorge ein Berliner "Späti" - unabhängig vom konkreten Warensortiment - die nähere Umgebung typischerweise allgemein und unspezifisch. Da der Geschäftsbetrieb der Klägerin vom äußeren Erscheinungsbild und durch seine breite Produktpalette nicht nur auf den spezifischen Bedarf von Touristen abziele, komme auch aus diesem Grund die Ausnahme nicht in Betracht. Das gelte selbst dann, wenn der Laden zusätzlich eine größere Anzahl an touristentypischen Souvenirs vorhalte.

Gegen die Entscheidung kann Berufung eingelegt werden. Die Spätverkaufsstellen sind ein Erbe der DDR. Dort dienten die Läden unter diesem Namen der Versorgung von Schichtarbeitern mit Lebensmitteln abweichend von den regulären Öffnungszeiten.




Soziales

Bundesgerichtshof stärkt Selbstbestimmung von Sterbewilligen


Der Bundesgerichtshof hat seine Rechtsprechung zur Sterbehilfe angepasst.
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Der Bundesgerichtshof hat seine Rechtsprechung zur Sterbehilfe angepasst: Ärzte, die freiwillige Suizide begleiten, sind nicht grundsätzlich zu lebensrettenden Maßnahmen verpflichtet. Zugleich wertet das Urteil den Willen Sterbewilliger auf.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat das Selbstbestimmungsrecht sterbewilliger Patienten gestärkt. Ärzte, die Selbsttötungen begleiten, könnten sich nur dann strafbar machen, wenn ihre Patienten nicht in der Lage seien, sich einen "freiverantwortlichen Selbsttötungswillen" zu bilden, urteilte der fünfte Strafsenat des BGH am 3. Juli in Leipzig. Zudem müssten die Ärzte keine Rettungsmaßnahmen ergreifen, wenn sie damit gegen das Selbstbestimmungsrecht der Sterbewilligen verstießen. (AZ: 5 StR 132/18 und 5 StR 393/18)

Abrücken vom Wittig-Urteil

Mit dem Urteil rückte der BGH von seiner eigenen Rechtsprechung aus dem Jahr 1984 ab. Im sogenannten Wittig-Urteil hatten die Richter Ärzten damals eine grundsätzliche Rettungspflicht gegenüber bewusstlos gewordenen Suizidenten auferlegt. Daraus hatten sich Widersprüche mit dem 2009 verabschiedeten Patientenverfügungsgesetz ergeben.

Seit dessen Inkrafttreten können Menschen notariell festlegen, ob in Fällen, in denen sie selbst nicht mehr entscheiden können, Maßnahmen zur Rettung ihres Lebens ergriffen werden sollen oder nicht. Ist diese Verfügung korrekt verfasst, dürfen Ärzte sich nicht über den darin enthaltenen Patientenwillen hinwegsetzen.

Konkret bestätigte der BGH am 3. Juli die Freisprüche zweier Ärzte der Landgerichte Berlin und Hamburg. In dem Berliner Fall hatte der Hausarzt Christoph T. einer langjährigen, damals 44 Jahre alten Patientin ein Schlafmittel in tödlicher Dosis verschrieben. Die seit ihrem 16. Lebensjahr schwer, aber nicht lebensbedrohlich Kranke nahm das Mittel ein. Der Arzt besuchte sie an drei darauffolgenden Tagen, leitete aber bis zum Eintritt des Todes keine lebensrettenden Maßnahmen ein.

Das Berliner Landgericht sprach Christoph T. im März 2018 vom Vorwurf der Tötung auf Verlangen durch Unterlassen frei. Die Staatsanwaltschaft beantragte die Revision beim BGH, die nun verworfen wurde.

In dem Hamburger Fall hatte der Mediziner und Psychologe Johann Friedrich S. im Auftrag des Vereins "Sterbehilfe Deutschland" ein Gutachten über zwei damals 81 und 85 Jahre alte Frauen erstellt. Diese waren sozial gut eingebunden und geistig rege, fürchteten sich jedoch vor einer möglichen Pflegebedürftigkeit und beschlossen, sich gemeinsam das Leben zu nehmen. Auf Wunsch der beiden Frauen begleitete S. den Sterbeprozess. Die Frauen nahmen ein todbringendes Medikament ein, auch S. leitete keine Rettungsmaßnahmen ein.

Anklage wegen Totschlags

Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage wegen Totschlags. Das Landgericht Hamburg hatte ein Verfahren gegen S. zunächst abgelehnt. Nach einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft wurde es doch noch eröffnet. Im November 2017 wurde S. freigesprochen. Auch die Revision gegen dieses Urteil hat der BGH nun verworfen.

Der humanistische Verband Deutschlands begrüßte das Urteil. Es setze die "völlig überholte und widersinnige" BGH-Entscheidung von 1984 zur Rettungspflicht bei freiwilligen Selbsttötungen endlich außer Kraft, erklärte der Verband.

Der Verein "Sterbehilfe Deutschland" sprach von einer "epochalen Abkehr" von der Wittig-Entscheidung. "Sterbehelfer dürfen künftig beim Sterbenden bleiben, weil dessen Sterbewunsch auch nach Eintritt der Bewusstlosigkeit beachtlich bleibt", erklärte der Verein. Damit sei eine jahrzehntelange Rechtsunsicherheit beseitigt.

Die FDP-Bundestagsabgeordnete Katrin Helling-Plahr sagte, der BGH habe den bekundeten Willen der Betroffenen ins Zentrum gerückt. "Dieses Urteil gibt allen Befürwortern einer Liberalisierung der Sterbehilfe Rückenwind", erklärte sie.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisierte die Bestätigung des Freispruchs für den Berliner Arzt indes als unverständlich. "Tagelanges Ringen mit dem Tod, Hausbesuche zur Todesfeststellung und aktive medizinische Hilfestellung sind keine Sterbebegleitung oder palliative Therapie", erklärte die Stiftung: "Der BGH hätte die Aufgabe gehabt, dies klarzustellen."



Landgericht muss im Hänel-Verfahren zu 219a neu urteilen


Gießener Ärztin Kristina Hänel (Archivbild)
epd-bild/Rolf K. Wegst
Kristina Hänel stand im Mittelpunkt der Auseinandersetzung um das Werbeverbot für Abtreibungen. Der Fall der Gießener Ärztin nimmt nun eine juristische Wende - doch wohl nur formal. Hänel erwartet, dass sie vom Landgericht erneut verurteilt wird.

Das Landgericht Gießen muss sich nochmals mit dem Verfahren gegen die Ärztin Kristina Hänel befassen. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main verwies die Auseinandersetzung um das Werbeverbot für Abtreibungen zur erneuten Verhandlung an das Landgericht zurück. Der mittlerweile geänderte Strafrechtsparagraf 219a sei zugunsten der angeklagten Ärztin anzuwenden, teilte das Oberlandesgericht am 3. Juli mit (AZ: 1 Ss 15/19). Hänel indes geht davon aus, dass sie erneut verurteilt wird.

Die Medizinerin war im November 2017 vom Amtsgericht Gießen wegen Werbung für Schwangerschaftsabbrüche zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Das Landgericht Gießen verwarf im vergangenen Jahr ihre Berufung gegen das Urteil. Die Gießener Allgemeinärztin legte daraufhin Revision beim Oberlandesgericht ein. Hänel informiert auf der Internetseite ihrer Praxis darüber, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornimmt.

"Kein Schritt nach vorne, sondern zwei zurück"

Seit dem 29. März gelte eine neue Fassung des Paragrafen 219a, sagte die Sprecherin des Oberlandesgerichts, Gundula Fehns-Böer, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das Landgericht Gießen habe in seinem Urteil diese neue Fassung nicht anwenden können, weil sie damals noch nicht galt. Das Oberlandesgericht mache in einem Revisionsverfahren aber eine "reine Rechtsprüfung". Deshalb muss das Landgericht Gießen nun erneut entscheiden.

Das Urteil sei aus formalen Gründen zurückverwiesen worden, schrieb Hänel in einer Reaktion auf Twitter. Sie sei nicht freigesprochen worden: "Kein Schritt nach vorne, sondern zwei zurück." Das Oberlandesgericht habe nicht entschieden, ob ihr Fall nach dem neuen Paragrafen 219a strafbar sei. "Ist es aber. Leider", schrieb Hänel.

Urteil gegen Hänel löste Protestwelle aus

Der Paragraf 219a verbietet die Werbung für Schwangerschaftsabbrüche aus wirtschaftlichen Interessen oder in "grob anstößiger Weise". In der Vergangenheit führte das auch zu einer Verurteilung von Ärzten, die aus ihrer Sicht rein sachlich über Abtreibungen informierten.

Das Urteil gegen Hänel hatte eine bundesweite Protestwelle ausgelöst. Im Februar beschloss der Bundestag daraufhin einen Kompromiss zum Strafrechtsparagrafen 219a. In der neuen Fassung ist dem Paragrafen ein vierter Absatz hinzugefügt. Ärzten ist es demnach künftig erlaubt, darüber zu informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Für weitere Informationen, etwa über Methoden, müssen sie aber an dafür befugte Stellen verweisen.



Abtreibung: Verfahren gegen Kasseler Ärztinnen eingestellt

Das Amtsgericht Kassel hat das Strafverfahren gegen die beiden Kasseler Frauenärztinnen Nora Szasz und Natascha Nicklaus eingestellt. Sie waren wegen des Vorwurfs der verbotenen Werbung für Schwangerschaftsabbrüche nach Paragraf 219a angeklagt. Die Ärztinnen hatten auf der Internetseite ihrer Praxis über Abtreibungen informiert.

Die ihnen in der Anklageschrift zur Last gelegte Tat sei nach bisherigem Recht strafbar gewesen, teilte das Amtsgericht am 5. Juli mit. Der Strafrechtsparagraf sei jedoch am 29. März geändert worden. Nach neuem Recht sei "keine Strafbarkeit mehr gegeben". (AZ: 284 Ds *2660 Js 28990/17)

Vor der Entscheidung hat es laut Gericht eine Anhörung der Beteiligten gegeben. Die Staatsanwaltschaft habe mitgeteilt, dass sie nach Änderung des Gesetzes keine Strafbarkeit mehr sehe. Der Beschluss ist nach Angaben des Gerichts anfechtbar, die Entscheidung sei noch nicht rechtskräftig.

"Wir freuen uns, allerdings eingeschränkt"

"Wir freuen uns, allerdings eingeschränkt", sagte Nora Szasz dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das Urteil zeige: "Man darf informieren, und wir informieren." Die Ärztinnen geben auf der Internetseite ihrer Praxis den Hinweis "Schwangerschaftsabbruch, operativ oder medikamentös".

Der Paragraf 219a verbietet die Werbung für Schwangerschaftsabbrüche aus wirtschaftlichen Interessen oder in "grob anstößiger Weise". In der Vergangenheit führte das auch zu einer Verurteilung von Ärzten, die aus ihrer Sicht rein sachlich über Abtreibungen informierten.

Aufgrund des Paragrafen musste sich die Gießener Ärztin Kristina Hänel im November 2017 vor Gericht verantworten. Ihre Verurteilung zu einer Geldstrafe löste eine bundesweite Protestwelle aus. Im Februar dieses Jahres beschloss der Bundestag einen Kompromiss zum Paragrafen 219a. In der neuen Fassung ist ihm ein vierter Absatz hinzugefügt. Ärzten ist es demnach künftig erlaubt, darüber zu informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Für weitere Informationen müssen sie aber an dafür befugte Stellen verweisen.

Das Verfahren gegen Hänel ist noch nicht beendet: Am 3. Juli hob das Oberlandesgericht Frankfurt das Urteil gegen die Gießener Ärztin auf und verwies den Fall zur erneuten Verhandlung an das Landgericht Gießen zurück.

Sie fordere weiterhin die komplette Abschaffung des Paragrafen 219a, sagte Szasz. Es gebe für die Ärzte noch immer keine Sicherheit. So seien zwei Berliner Ärztinnen aufgrund des 219a verurteilt worden. Auch sie selbst könnten jederzeit wieder angezeigt werden, sagte die Kasseler Ärztin.



Viele Kinder beklagen Ausgrenzung und Mobbing


Eine Teenagerin fühlt sich von einer Mädchen-Clique ausgeschlossen (Themenbild).
epd-bild / Nicola O`Sullivan
Kinder und Jugendliche fühlen sich in der Schule und von der Politik zu wenig ernstgenommen. Viele Kinder erleben einer aktuellen Studie zufolge Ausgrenzung und Mobbing. Experten mahnen, junge Menschen stärker zu beteiligen.

Kinder und Jugendliche erleben oft Mobbing und Gewalt in ihrem Schulalltag. Außerdem beklagen viele Schüler, dass es zu wenig Vertrauenspersonen für sie gibt, wie die Bertelsmann Stiftung am 3. Juli in Gütersloh mitteilte. Zugleich wollen Heranwachsende laut einer aktuellen Studie der Stiftung mehr mitgestalten. Der Vorstand der Bertelsmann Stiftung, Jörg Dräger, mahnte: "Wir müssen Kinder und Jugendliche ernst nehmen." Der Lehrerverband VBE forderte mehr Mittel für Schülersozialarbeit. Grundlage der Studie "Children's Worlds" im Auftrag der Stiftung sind repräsentative Befragungen von knapp 3.450 Schülern im Alter von acht bis vierzehn Jahren im Schuljahr 2017/18.

Mehr als jeder dritte Schüler in Gesamt- und Sekundarschulen (39 Prozent) ist nach eigenen Angaben im Monat vor der Befragung gehänselt oder geschlagen worden. Etwa jeder dritte Schüler an Haupt- und Realschulen (35 Prozent) sowie an Gymnasien (29 Prozent) berichtet demnach von ähnlichen Erfahrungen. Viele Kinder erlebten in der Schule Ausgrenzung, Hänseleien oder sogar körperliche Gewalt, insgesamt ein Viertel fühle sich an der Schule nicht sicher, sagte Dräger: "Die Politik ist hier gefordert, Kinder und Jugendliche besser zu schützen."

Lehrerverband fordert mehr Schulsozialarbeiter

Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) in NRW forderte eine deutliche Aufstockung des Personals, um präventive Maßnahmen und Wertevermittlung zu ermöglichen. Wenn Politik die Stimmen der Kinder und die Rückmeldungen aus der Praxis ernst nehme, müsse es im Haushalt 2020 eine deutliche Aufstockung der Mittel für die Schulen des Landes geben, erklärte der VBE-Landesvorsitzende Stefan Behlau in Dortmund. Die nötige Zeit für Präventionsarbeit sei nur durch ausreichend Personal möglich. "Wir fordern für jede Schule mindestens eine Landesstelle für Schulsozialarbeit", erklärte Behlau.

Von der Schule und Politik fühlten sich Kinder und Jugendliche außerdem zu wenig ernstgenommen und beteiligt, erklärte die Stiftung weiter. Die Kritik nimmt mit dem Alter zu: Lediglich jeder dritte (34 Prozent) der 14-Jährigen kann aus seiner Sicht an der Schule mitbestimmen. Bei den Achtjährigen ist es immerhin noch jeder zweite. Viele Jugendliche vermissen der Studie zufolge in den weiterführenden Schulen Vertrauenspersonen. Je älter die Kinder werden, desto weniger hätten sie das Gefühl, dass ihre Lehrer ihnen zuhörten und sie ernst nähmen, erklärte die Stiftung. Die Studie zeige jedoch auch, dass viele Kinder ihre Rechte nicht oder nicht richtig kennen.

Insgesamt sehen sich Kinder und Jugendliche zwar materiell gut versorgt. Allerdings gab jeder zweite Heranwachsende (52 Prozent) an, sich Sorgen um die finanzielle Situation der Familie zu machen. Diese Kinder würden häufiger gehänselt, ausgegrenzt und absichtlich geschlagen als Gleichaltrige ohne finanzielle Sorgen, hieß es. Sie fühlten sich zu Hause, in der Schule und Nachbarschaft häufiger nicht sicher. Sie besäßen weniger Güter, die in Deutschland zu einer normalen Kindheit gehörten. Auch hätten sie weniger Möglichkeiten, etwas mit ihren Freunden zu unternehmen, das Geld koste.

Zugleich stellten die Jugendlichen ihren Eltern und Freunden ein gutes Zeugnis aus. Sie hörten ihnen in den meisten Fällen zu, nähmen sie ernst und seien bei Problemen für sie da. Wichtigste Themen für Kinder und Jugendliche in Deutschland sind der Studie zufolge Vertrauen, Zugehörigkeit, Sicherheit und Selbstbestimmung.

Die Bertelsmann Stiftung mahnte, die Wünsche der Heranwachsenden in der Politik stärker zu berücksichtigen. Kinder und Jugendliche müssten ernst genommen werden, sagte Dräger. Ziel müsse es sein, Armut zu vermeiden und die Beteiligung zu stärken.



Kirche verzichtet auf Verfassungsbeschwerde im Chefarzt-Fall


Bundesarbeitsgericht in Erfurt
epd-bild/Jens-Ulrich Koch

Die katholische Kirche verzichtet auf eine Verfassungsbeschwerde im sogenannten Chefarzt-Fall. Das Erzbistum Köln habe die jetzt vorliegenden schriftlichen Urteilsgründe des Bundesarbeitsgerichts zu dessen Urteil vom 20. Februar zum kirchlichen Arbeitsrecht eingehend geprüft und sei zu dem Schluss gekommen, "dass eine erneute Überprüfung des zugrundeliegenden konkreten Sachverhalts durch das Bundesverfassungsgericht nicht angestrebt werden soll", teilte das Erzbistum am 2. Juli in Köln mit.

Der konkrete Fall habe aktuell keine arbeitsrechtliche Relevanz mehr, da er nach heute geltendem kirchlichen Arbeitsrecht anders zu beurteilen wäre, begründete das Erzbistum seinen Verzicht einer Prüfung des Urteils des Erfurter Bundesarbeitsgerichts vor dem Karlsruher Bundesverfassungsgericht. Die damals zugrundeliegende kirchengesetzliche Kündigungsregel aus dem Jahr 1993 sei im Jahr 2015 grundlegend geändert worden.

2009 war einem Chefarzt des katholischen St. Vinzenz-Krankenhauses in Düsseldorf wegen Wiederheirat gekündigt worden. Das Bundesarbeitsgericht urteilte im Februar dieses Jahres, dass die Kündigung des Chefarztes in diesem Fall rechtswidrig war. (AZ: 2 AZR 746/14) Der Mediziner hatte in seinem Arbeitsvertrag erklärt, sich an die katholische Glaubens- und Sittenlehre zu halten. Diese beinhaltet auch die "heilige und unauflösliche Ehe". In der katholischen Grundordnung des kirchlichen Dienstes aus dem Jahr 1993 war festgelegt, dass im Fall einer Wiederheirat der leitende katholische Mitarbeiter gekündigt werden müsse. Mitarbeiter anderer Religionen hatten dies nicht zu befürchten.

Europäischer Gerichtshof wurde angerufen

Als sich der Chefarzt 2005 von seiner katholisch angetrauten Frau scheiden ließ und 2008 seine neue Lebensgefährtin standesamtlich heiratete, wurde er entlassen. Im September 2011 erklärte das Bundesarbeitsarbeitsgericht die Kündigung für unwirksam, da der Chefarzt im Verhältnis zu Kollegen mit anderer Religionszugehörigkeit ungleich behandelt werde. Das Bundesverfassungsgericht hob dieses Urteil 2014 jedoch auf. Das im Grundgesetz geschützte Selbstbestimmungsrecht der Kirche erlaube es, eigene Mitglieder schärfer zu sanktionieren als Nichtmitglieder.

Das Bundesarbeitsgericht legte den Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor. Die Luxemburger Richter erklärten, dass kirchliche Arbeitgeber die Einhaltung kirchlicher Glaubensgrundsätze nur dann verlangen dürfen, wenn dies für die konkrete Tätigkeit "wesentlich und gerechtfertigt" sei. Dies setzte das Bundesarbeitsgerichts nun in seinem Urteil vom Februar um: Die Kündigung des Chefarztes sei nicht durch Gründe im Verhalten oder in der Person des Klägers sozial gerechtfertigt. Die Vorschrift in der Grundordnung zur Wiederverheiratung sei unwirksam. Eine Loyalitätspflicht sei damit nicht verletzt worden.



74 Prozent der Diakonie-Unternehmen bilden aus

Drei Viertel (74 Prozent) der diakonischen Unternehmen haben nach Angaben des Verbandes diakonischer Dienstgeber in Deutschland (VdDD) 2018 ausgebildet. Das habe eine Umfrage unter 210 diakonischen Einrichtungen und Trägern ergeben, teilte der Verband am 3. Juli in Berlin mit. Im Vergleich dazu bildeten lediglich ein Fünftel (19,8 Prozent) der Betriebe in der Gesamtwirtschaft aus.

Diakonische Unternehmen trügen so als verlässlicher Pfeiler der Ausbildung in Deutschland zur niedrigsten Jugendarbeitslosigkeitsquote in Europa bei, hieß es weiter. Sie engagierten sich dabei am häufigsten in der Ausbildung von gesundheits- und pflegerischen Berufen (68 Prozent) gefolgt von sozial- und heilpädagogischen (23 Prozent) sowie kaufmännischen (vier Prozent), gewerblichen und handwerklichen (drei Prozent) Berufen.

Die Berufsausbildung stehe durch demografischen Wandel, Digitalisierung und wachsende Studierendenzahlen vor großen Herausforderungen, sagte der VdDD-Vorstandsvorsitzende Christian Dopheide. Für den Ausbildungsbeginn im Herbst 2019 gebe es deutschlandweit noch freie Plätze, auf die sich Interessenten ab sofort bewerben können. Ein Blick auf das Online-Karriereportal der Diakonie Deutschland könne bei der Auswahl helfen.



Werkstatträte NRW erhalten eigene Geschäftsstelle in Hamm

Die Mitbestimmung von Beschäftigten in Behinderten-Werkstätten der Freien Wohlfahrtspflege soll gestärkt werden. Die Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) der Werkstatträte in Nordrhein-Westfalen erhält in Kooperation mit dem Paritätischen Wohlfahrtsverband NRW eine eigene Geschäftsstelle in Hamm. "Damit haben Menschen mit Behinderung, die in einer der rund 100 Werkstätten unter dem Dach der Freien Wohlfahrtspflege NRW arbeiten, eine neue Anlaufstelle und eine feste Basis für ihre Arbeit auf Landesebene", erklärte der Paritätische Wohlfahrtsverband am 1. Juli in Wuppertal. Zudem unterstützt den Angaben zufolge eine Mitarbeiterin des Wohlfahrtsverbands die Werkstatträte als Assistenz. Dafür haben die beiden Organisationen einen Kooperationsvertrag unterzeichnet.

Ratgeber für Werkstatträte erschienen

Zur Mitbestimmung von Beschäftigten in Behinderten-Werkstätten ist auch ein neuer Ratgeber für die sogenannten Werkstatträte erschienen. Das Handbuch sei bewusst in leichter Sprache verfasst, arbeite mit unterschiedlichen Farben für die Kapitel und solle verständlich Tipps geben, wie man beispielsweise einen Flyer erstellt, sagte Petra Welzel, Referentin des Diakonischen Werks Rheinland-Westfalen-Lippe. Das Handbuch ist den Angaben zufolge das Ergebnis eines dreijährigen Projekts in Nordrhein-Westfalen.

In den einzelnen Kapiteln geht es demnach zum Beispiel um die Mitbestimmungsrechte im Werkstattrat, darum wie sich dieser bekannter machen oder wie die Zusammenarbeit mit der Leitung aussehen kann. Das Handbuch ist den Angaben zufolge noch nicht abgeschlossen. Werkstatträte könnten ihre Ideen, Vorschläge oder Vorlagen an die Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstatträte NRW schicken, hieß es.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband NRW vereint nach eigenen Angaben unter seinem Dach rund 3.100 Mitgliedsorganisationen mit mehr als 6.200 Einrichtungen und Diensten aus allen Bereichen der sozialen Arbeit. Die LAG Werkstatträte NRW ist wiederum ein Zusammenschluss von Mitarbeitervertretungen von Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Sie vertritt den Angaben zufolge mehr als 75.000 Beschäftigte in über 100 Werkstätten für Menschen mit Behinderung in Nordrhein-Westfalen. Die Werkstatträte vertreten die Anliegen der Arbeitnehmer gegenüber ihren Arbeitgebern.



Ein Viertel der Arbeitnehmer in NRW kommt aus Zuwandererfamilien

In Nordrhein-Westfalen haben 2,2 Millionen Erwerbstätige einen Migrationshintergrund. Damit machten sie im Jahr 2017 einen Anteil von 26,3 Prozent an allen Erwerbstätigen aus, wie das statistische Landesamt am 1. Juli in Düsseldorf mitteilte. Der Anteil aller Männer und Frauen aus Zuwandererfamilien an der gesamten Bevölkerungszahl lag bei 28,7 Prozent, wie die Statistiker errechneten und in ihrem Bericht "NRW (ge)zählt - Angekommen in Nordrhein-Westfalen" mit Zahlen aus dem Jahr 2017 vorlegten.

Die Erwerbstätigenquote der 15- bis unter 65-Jährigen mit Migrationshintergrund lag der Erhebung zufolge bei 62,7 Prozent und fiel damit niedriger aus als bei Menschen ohne Migrationshintergrund (75,9 Prozent), wie die Statistiker erklärten. Bei Frauen aus Zuwandererfamilien waren die Quoten mit 56 Prozent niedriger als bei Männern (69,1 Prozent). Die Erwerbslosenquote von Menschen mit Migrationshintergrund war mit 6,7 Prozent höher als die von nicht zugewanderten Beschäftigten (3,2 Prozent).

Die Statistiker betonten, dass die reine Erwerbstätigenquote keine Angaben zu Art und Umfang der ausgeübten Erwerbstätigkeit liefere. Diese Aspekte seien aber im Hinblick auf die soziale Absicherung und die Arbeitsmarktintegration von Bedeutung. Zwar gebe es bei Selbstständigen zwischen 15 und unter 65 Jahren kaum einen Unterschied, hieß es. 8,6 Prozent von ihnen verfügten über einen Migrationshintergrund, 9,7 Prozent hätten keinen Migrationshintergrund.

Deutliche Unterschiede zeigten sich jedoch bei der Betrachtung der abhängig Beschäftigten, hieß es. Erwerbstätige mit Migrationshintergrund arbeiten der Erhebung zufolge seltener in einem "Normalarbeitsverhältnis", also in einem unbefristeten Beschäftigungsverhältnis in Vollzeit oder in substanzieller Teilzeit mit mindestens 21 Wochenstunden, das nicht in Form von Leiharbeit ausgeübt wird. Mit 67,5 Prozent seien gut zwei Drittel der abhängig Beschäftigten mit Migrationshintergrund in einem Normalarbeitsverhältnis tätig, von denen ohne Migrationshintergrund hingegen gut drei Viertel (77,7 Prozent), erklärten die Statistiker.

Zur Bevölkerung mit Migrationshintergrund zählen nach Definition des Mikrozensus alle, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, die aus dem Ausland zugewandert sind oder die mindestens ein Elternteil haben, das zugewandert ist.



Zahl der Wohnungen in NRW steigt auf über neun Millionen

Die Zahl der Wohnungen in Nordrhein-Westfalen ist erstmals über die Grenze von neun Millionen gestiegen. Wie das Statistische Landesamt am 5. Juli in Düsseldorf mitteilte, wurden zum Ende vergangenen Jahres 9,01 Millionen Wohnungen gezählt. Wohnungen in Wohnheimen sind dabei mitberücksichtigt. Die Zahl der Wohnungen lag damit um 0,5 Prozent höher als ein Jahr zuvor und um 3,4 Prozent höher als Ende 2010.

Den stärksten Anstieg der Wohnungszahlen aller 396 Städte und Gemeinden des Landes gegenüber 2010 ermittelten die Statistiker für die Stadt Wassenberg (plus 13,9 Prozent) sowie für die Gemeinden Gangelt (plus 12,9) und Wettringen (plus 12,7). Sinkende Wohnungszahlen gegenüber 2010 gab es nur in den Städten Altena (minus 2,1 Prozent) und Bergneustadt (minus 1).

Im Durchschnitt war jede Wohnung 90,5 Quadratmeter groß. Jedem Einwohner NRWs standen nach Angaben der Statistiker durchschnittlich 45,5 Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung. Die rechnerisch größten Wohnungen des Landes gab es Ende 2018 in den Gemeinden Stemwede (130,1 Quadratmeter), Selfkant (126,9) und Heek (126,7). In den Großstädten Gelsenkirchen (74,9 Quadratmeter), Duisburg (75,8) und Düsseldorf (76,2) waren die Wohnungen im Schnitt am kleinsten.

Statistisch gesehen hatte jede Wohnung 4,3 Zimmer (einschließlich Küchen). 37,3 Prozent aller Wohnungen verfügten über fünf oder mehr Räume, 10,1 Prozent waren Zwei- und 3,1 Prozent Einraumwohnungen.




Medien & Kultur

Neue Welterbestätten in Bayern und Sachsen


Männer in der traditionellen Bergmannstracht im Bergbaumuseum Oelsnitz in Sachsen
epd-bild/Wolfgang Schmidt
Bundesweit gibt es jetzt 46 Welterbestätten, neu dabei: das historische Augsburger Wassermanagement-System und die Montanregion Erzgebirge/Krusnohori.

Die Unesco hat am 6. Juli 14 neue Stätten in die Welterbeliste aufgenommen, darunter zwei in Deutschland: Mit dem historischen Augsburger Wassermanagement-System und der Montanregion Erzgebirge/Krusnohori gebe es jetzt bundesweit 46 Welterbestätten, teilte die Deutsche Unesco-Kommission in Bonn mit. Der Beschluss zur transnationalen Welterbe-Bewerbung des sogenannten Donaulimes wurde vertagt.

Zum Augsburger Wassermanagement-System hieß es, die Stadt zwischen den Flüssen Lech und Wertach habe sich über acht Jahrhunderte zu einem Innovationszentrum des Wasserbaus und der Wasserkraft entwickelt. Das zeige sich in zahlreichen Architektur- und Technikdenkmälern. Mit dem Eintrag in die Unesco-Liste würden jedoch nicht nur Wasserbau- und Brunnenkunst gewürdigt, "sondern auch der nachhaltige Umgang mit unserer wertvollsten Ressource seit über 100 Jahren", würdigte Michelle Müntefering (SPD), Kultur-Staatsministerin im Auswärtigen Amt, in Berlin die Entscheidung.

Die Augsburger Bewerbung umfasste insgesamt 22 Objekte des Wasserbaus, der Wasserkraft, der Trinkwasserversorgung und der Brunnenkunst. So gehören etwa die Kanäle, die die Stadt durchziehen, ebenso zum Wassersystem wie zwei Wassertürme aus dem 15. Jahrhundert, Prachtbrunnen aus dem 16. Jahrhundert, ein historisches Wasserwerk aus dem 19. Jahrhundert und die olympische Kanustrecke von 1972. "530 kleine und große Brücken führen über Bäche und Kanäle der Stadt - damit zählt Augsburg mehr Brücken als Venedig", hob die Unesco hervor.

Die Nominierung der Montanregion Erzgebirge/Krusnohori hatte Deutschland gemeinsam mit Tschechien eingebracht. Die Region gelte als herausragendes Zentrum wissenschaftlich-technologischer Bergbauinnovation und als einzigartige montane Kulturlandschaft, erklärte das Welterbekomitee. Die Montanregion ist die zweite Welterbestätte in Sachsen. Der Fürst-Pückler-Park in Bad Muskau (Landkreis Görlitz) hatte bereits 2004 als sächsisch-polnisches Projekt den Status erhalten.

"Das sächsisch-böhmische Erzgebirge war seit dem 12. Jahrhundert Impulsgeber für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in Bergbauregionen auf dem gesamten Kontinent", betonte Maria Böhmer, Präsidentin der Deutschen Unesco-Kommission. "Durch die Auswanderung gut geschulter Bergleute wurde Wissen weithin exportiert. Im Erzgebirge etablierten sich Verwaltungsstrukturen und Finanzsysteme, die maßgeblichen Einfluss auf Bergbauprojekte in ganz Europa hatten." 800 Jahre Bergbau prägten noch heute das Gesicht der Region.

Keine Entscheidung zum Donaulimes

Dagegen vertagte das Unesco-Welterbekomitee die Beschlussfassung zur transnationalen Welterbe-Bewerbung des Donaulimes. Der Weltdenkmalrat Icomos habe dem Unesco-Komitee ursprünglich empfohlen, die gemeinsame Nominierung Deutschlands, Österreichs, der Slowakei und Ungarns in die Welterbeliste aufzunehmen, hieß es dazu. Kurz vor der Komiteesitzung habe Ungarn aber ein Teilstück der Stätte im Norden von Budapest, den Statthalterpalast in der archäologisch erhaltenen römischen Stadt Aquincum, aus der Nominierung gestrichen. Laut Icomos ist der Palast von besonderer Bedeutung für die gesamte Bewerbung.

Der bayerische Kunstminister Bernd Sibler (CSU) bedauerte die Verschiebung. Durch den gemeinsamen Antrag sollte der Donaulimes als "Nasser Limes" an den bereits als Weltkulturerbe eingestuften Obergermanisch-Raetischen Limes anschließen. Beide stehen unter dem Thema "Grenzen des römischen Reiches". Während der Obergermanische Limes in Bayern über Land von Unterfranken bis Niederbayern führt, setzt sich der Donaulimes fort von Bad Gögging im Landkreis Kelheim über Regensburg und Straubing bis nach Passau und führt dann über Österreich und die Slowakei bis Ungarn.

Das Unesco-Welterbekomitee setzt sich aus 21 gewählten Vertragsstaaten der Welterbekonvention zusammen. Es entscheidet jährlich über die Einschreibung neuer Kultur- und Naturstätten in die Welterbeliste und befasst sich mit Bedrohungen eingeschriebener Stätten. Auf der Liste des UNESCO-Welterbes stehen derzeit mehr als 1.100 Kultur- und Naturstätten in 167 Ländern.



Ausstellung zum Hitler-Attentat 1944


Ausstellung zum Hitler-Attentat 1944
epd-bild/Matthias Schumann
Eine Ausstellung in Dresden beleuchtet das gescheiterte Attentat auf Hitler 1944. Vorgestellt werden Personen, die den Umsturz geplant und durchgeführt haben. Für Emotionen dürfte eine Filmkulisse sorgen.

Eine Ausstellung zum Hitler-Attentat 1944 ist in Dresden zu sehen. Unter dem Titel "Der Führer Adolf Hitler ist tot" stellt das Militärhistorische Museum der Bundeswehr bis zum 3. Dezember stellvertretend 14 Personen vor, die hinter dem Attentat standen. Es gebe jedoch viel mehr Akteure als bisher angenommen, sagt Kurator Magnus Pahl. Etwa 200 Personen seien aktiv an dem Umsturzversuch am 20. Juli 1944 beteiligt gewesen.

Die Ausstellung zeigt mehr als 20 Plakate sowie Originaldokumente aus dem Militärarchiv. Neben den "Machern" wie Claus Schenk Graf von Stauffenberg und Hans Oster werden auch Diplomaten, Truppenführer, zivile Unterstützer und Vordenker der Demokratie porträtiert. Letztere heißen in der Ausstellung "Visionäre" und sind durch Carl Friedrich Goerdeler und Helmuth James Graf von Moltke vertreten.

Fotos und Texte hängen vor grauen Wänden in rostigen Rahmen - in einem bewusst abgedunkelten Ausstellungsraum, der das schwarze Kapitel deutscher Geschichte unterstreichen soll. Eine riesige Fotocollage versetzt den Besucher in das Jahr 1944 zurück. Die knapp 80 Fotos - unter anderen von der Ostfront - stehen Pahl zufolge für die "militärisch aussichtlose Lage" 1944.

Filmkulisse aus "Operation Walküre"

Herausragendes Exponat der Zeitreise ist eine Filmkulisse aus der US-amerikanisch-deutschen Produktion "Operation Walküre" von 2009. In dem original nachgebauten Besprechungsraum der Lagebaracke in der "Wolfsschanze" kann der Besucher die Situation kurz vor der Detonation der Bombe nachvollziehen. Auf dem Boden der Kulisse stehen die Namen der damals an der Besprechung beteiligten 24 Personen - und zwar dort, wo sie gestanden haben sollen.

Das Unternehmen "Walküre" war ursprünglich ein Plan der deutschen Wehrmacht zur Unterdrückung eines möglichen Aufstandes gegen das nationalsozialistische Regime. Er wurde von den Widerstandskämpfern um den Wehrmachtsoffizier Stauffenberg für ihren Umsturzplan umfunktioniert und mit geheimen Zusatzbefehlen versehen. Einer davon war der Satz und Ausstellungstitel "Der Führer Adolf Hitler ist tot", den die Fernschreiber nach dem Attentat absetzten.

"Wir erzählen nicht nur einen Tag, sondern wir ordnen das Ereignis auch ein", sagt Museumsdirektor Armin Wagner. Zum 75. Jahrestag des Attentates wolle die Ausstellung nicht zuletzt dazu beitragen, dass die Regimegegner vom 20. Juli nicht vergessen werden.

Bei der "Operation Walküre" seien keine Dilettanten gegen Hitler vorgegangen, sondern verantwortungsbewusste und gewissenhafte Männer und Frauen, sagte Pahl. Es sei "eine ganz knappe Angelegenheit" gewesen. Vieles sei zusammengekommen, unter anderem detonierte nur einer von zwei Sprengsätzen.

Die Baracke sei ein wichtiges Element der Rezeption und als solches auch Höhepunkt der Dresdner Ausstellung, sagt Pahl. Durch das Betreten der Räumlichkeit können die Enge der Baracke und die Situation vom 20. Juli 1944 nachvollzogen werden.

Nach dem Scheitern des Attentats auf Hitler wurden Stauffenberg und vier Mitverschwörer noch in der Nacht hingerichtet, weitere 140 Mitwisser folgten in den Tagen darauf. Bei dem Sprengstoffangriff in der Lagebaracke wurden vier Personen getötet, fast alle wurden verletzt. Das Attentat sollte die Initialzündung für einen Staatsstreich sein.

Katharina Rögner (epd)


Museen fordern mehr Geld für Provenienzforschung

Der Umgang mit Sammlungsobjekten aus kolonialer Zeit ist national und international ein hochsensibles Thema. Um Rückgabefragen klären zu können, ist gründliche Forschung nötig. Doch die könne vielfach nicht geleistet werden, mahnen die Museen.

Die deutschen Museen fordern mehr Geld, um die koloniale Vergangenheit ihrer Sammlungsobjekte mit Blick auf eine eventuelle Rückgabe klären zu können. Die Provenienzforschung sei eine Kernaufgabe der Museen, müsse aber finanziell und personell gestärkt werden, sagte der Präsident des Deutschen Museumsbundes, Eckart Köhne, am 1. Juli in Bremen. Zusammen mit der Direktorin des Bremer Übersee-Museums, Wiebke Ahrndt, stellte er in der Hansestadt die zweite präzisierte und erweiterte Fassung eines Leitfadens zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten vor.

Bei der Präsentation der ersten Ausgabe im vergangenen Jahr hatte Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) gesagt, die Provenienzforschung habe "höchste politische Priorität". Viel zu lange sei die Kolonialzeit ein blinder Fleck in der deutschen Erinnerungskultur gewesen. Sie zu erhellen, sei "Teil der historischen Verantwortung Deutschlands gegenüber den ehemaligen Kolonien und Voraussetzung für Versöhnung und Verständigung mit den dort lebenden Menschen". Köhne betonte nun, damit die Museen den politischen Willen umsetzen könnten, seien mehr Mittel nötig.

Austausch mit den Herkunftsgesellschaften entscheidend

Eine Stelle für einen Wissenschaftler in einem Museum genüge nicht, verdeutlichte Köhne. Gefragt seien Teams mit sechs bis acht Mitarbeitenden. Dazu gehörten neben Wissenschaftlern auch Restauratoren, Sammlungsverwalter, Fotografen und EDV-Spezialisten. In einem Eckpunkte-Papier hatten die Kulturminister von Bund und Ländern im März die Einrichtungen aufgefordert, ihre Bestände zu erforschen. Rückführungsersuchen von Sammlungsgut sollen zeitnah bearbeitet werden. Der Appell richtete sich an alle Häuser, die Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten bewahren.

Entscheidend für einen angemessenen Umgang mit Objekten aus der Kolonialzeit sei ein dauerhafter Austausch mit den Herkunftsgesellschaften und -staaten, ergänzte Köhne. Die Vertreter der Herkunftsgesellschaften wollten wissen, welche ihrer Kulturgüter sich wo befinden, und sie wollten Zugang zu diesen erhalten.

Bedeutung von Sammlungsobjekten ist groß

Bei dieser Forderung nach Transparenz gehe es keineswegs immer nur um Rückgabe, sondern meist um Beteiligung, Einbindung und Wissenstransfer. Eine Digitalisierung und Online-Veröffentlichung der Sammlungsbestände seien in diesem Zusammenhang wesentlich. Auch dafür benötigten die Museen angemessene Mittel, sagte Köhne: "Kurzfristige Projekte helfen hier kaum." Eine gründliche Forschung sei nötig, damit Sammlungsstücke in der Politik nicht als "Glasperlen globaler Verhandlungsmasse" missbraucht würden.

Der neue Leitfaden war unter Leitung der Bremer Museumsdirektorin Ahrndt durch eine Expertengruppe mit Fachleuten erarbeitet worden, zu denen zwölf Vertreter unterschiedlicher Herkunftsgesellschaften gehörten. Sie kamen den Angaben zufolge unter anderen aus Namibia, Tansania, Samoa, Neuseeland, Australien und den USA. In der Zusammenarbeit sei deutlich geworden, dass Rückgaben nicht nur aufgrund der kolonialen Geschichte, sondern auch wegen der Bedeutung von Sammlungsobjekten für die Herkunftsgesellschaft nötig sein könnten, verdeutlichte Ahrndt.

Nach der nun vorgelegten zweiten Auflage plant der Museumsbund Ende 2020 eine dritte Version des Leitfadens. Sie soll Ahrndt zufolge dann unter anderem durch Beispiele aus der Praxis ergänzt werden. Mit dem umfassenden Leitfaden sei der Deutsche Museumsbund im internationalen Vergleich Vorreiter, sagte die Ethnologin.



Grütters gibt weiteres NS-Raubkunst-Gemälde zurück

Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) hat ein weiteres Bild aus dem "Bestand Cornelius Gurlitt" an die Erben der letzten rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben. Die Vertreterin der Familie, Agnès Sevestre-Barbé, nahm das Bild am 3. Juli im Bundeskanzleramt entgegen, wie die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien in Berlin mitteilte. Das neo-impressionistische Gemälde "Quai de Clichy" des französischen Malers Paul Signac (1863-1935) war im Oktober 2018 als Eigentum des jüdisch-französischen Immobilienunternehmers Gaston Prosper Lévy (1893-1977) identifiziert worden.

Es sei wichtig, das Gemälde als NS-Raubkunst zu erkennen und zurückzugeben, um "wenigstens ein Stück weit zu historischer Gerechtigkeit" beitragen zu können, sagte Grütters. Das Leid der Verfolgung und Enteignung meist jüdischer Sammler lasse sich nie gutmachen. "Wir werden nicht nachlassen, die Aufarbeitung des NS-Kunstraubes konsequent voranzubringen", erklärte Grütters. "Dies sind wir den Opfern der nationalsozialistischen Terrorherrschaft und ihren Nachfahren schuldig." Es ist das sechste Bild aus der Sammlung, das an die rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben wird, wie es hieß.

Das Bild zeigt eine mit vielen kleinen Punkten gemalte Flusslandschaft. 1927 tauschte es der Maler Signac nach Angaben der Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste wohl gegen ein Fahrrad ein, später gelangte es zum Sammler Lévy. Dieser ließ das Gemälde auf der Flucht vor den Nazis im Oktober 1940 auf dem Schloss "Les Bouffards" in der Nähe von Paris zurück. Das Gemälde wurde von deutschen Soldaten beschlagnahmt und gelangte in der Folge in die Sammlung Hildebrand Gurlitts.

Der NS-Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt (1895-1956) vererbte seine Sammlung an seinen 2014 gestorbenen Sohn Cornelius, dessen Nachlass nun systematisch auf Raubkunst untersucht wird. Dazu sollen die Provenienzen aller mehr als 1.500 Werke erforscht werden.



Stadt Krefeld lehnt Herausgabe von Mondrian-Werken ab

Die Stadt Krefeld lehnt die Herausgabe von vier Gemälden des niederländischen Künstlers Piet Mondrian (1872-1944) an Nachfahren des Mondrian-Erben Harry Holtzmann ab. Ein aktuelles Gutachten bestätige, dass kein Herausgabeanspruch an die Nachfahren Harry Holtzmans in den Vereinigten Staaten bestehe, erklärte die Stadt am 2. Juli. Man habe die Bilder mit den Bezeichnungen "Tableau No. VII", "Tableau No. X", "Tableau No. XI" (alle 1925) und "Komposition IV" (1926) umfangreich untersuchen lassen. Alle vier Werke befinden sich im Besitz der Kunstmuseen Krefeld.

Die von der Stadt beauftragten Wissenschaftlerinnen Katja Terlau und Vanessa-Maria Voigt kommen den Angaben zufolge zu dem Schluss, dass sich die Mondrian-Arbeiten rechtmäßig im Besitz der Stadt Krefeld befinden. Die Nachfahren des Mondrian-Erben fordern die Herausgabe und behaupten, die Werke seien seinerzeit veruntreut wurden. Dieser Sachverhalt sei über Jahrzehnte verschleiert worden.

Die Stadt trage im Sinne der Allgemeinheit eine Verantwortung für die Bilder, sagte Krefelds Oberbürgermeister Frank Meyer (SPD). Sie seien Teil einer öffentlichen Sammlung und dort den Bürgern der Stadt Krefeld und der gesamten Öffentlichkeit zugänglich. "Das Dossier bestätigt uns in der Haltung, dass kein Herausgabeanspruch an die Nachfahren Harry Holtzmans in den Vereinigten Staaten besteht. Alles spricht dafür, dass die Bilder auf rechtmäßigem Wege nach Krefeld gekommen sind", sagte Meyer.

Auch der Rechtsbeistand der Stadt, Peter Raue, erklärte, dass das Provenienz-Dossier klarmache, "dass die Kunstwerke rechtmäßig in den Besitz des Museums gekommen sind und in die Sammlung der Krefelder Kunstmuseen gehören." Unabhängig davon, dass alle Indizien für einen rechtmäßigen Eigentumserwerb sprechen, seien Ansprüche der Erben ohnehin verjährt. Dem Dossier zufolge sei jedoch jeglicher behaupteter Zusammenhang mit der Washingtoner Erklärung und NS-Raubkunst "an den Haaren herbeigezogen."



Soko Rechts ermittelt wegen Drohbriefe an Journalisten

Zwei mit einem weißen Pulver gefüllte Briefe an Journalisten in Dortmund beschäftigen derzeit die Polizei. Offenbar haben Rechtsextreme die Briefe versandt, um die Journalisten unter Druck zu setzen. Eine spezielle Soko der Polizei ermittelt.

Nach dem Versand von mutmaßlichen Drohbriefen an zwei Journalisten in Dortmund ermittelt die Sonderkommission Rechts der Polizei wegen eines offenbar rechtsextremistischen Hintergrunds. Die beiden Briefe waren am 3. Juli am Arbeitsplatz eines Betroffenen, im Dortmunder Studio des Westdeutschen Rundfunks, sowie an der Privatadresse des zweiten Journalisten angekommen, teilte die Dortmunder Polizei am 4. Juli mit. Der Deutsche Journalisten-Verband in NRW forderte von den Strafverfolgungsbehörden, auch geringfügige Angriffe auf Journalisten konsequent zu ahnden.

In den Briefen fand sich der Polizei zufolge weißes Pulver unbekannter Herkunft. In beiden Fällen rückten deshalb Spezialisten der Feuerwehr aus, um die Substanz zu überprüfen. Nach einer ersten Einschätzung war die Substanz harmlos, es handelte sich wohl um Backpulver.

DJV NRW fordert konsequentes Vorgehen gegen Übergriffe

Da es Hinweise auf eine politisch motivierte Tat gibt, übernahm die Sonderkommission Rechts die Ermittlungen in beiden Fällen. Beide Journalisten berichten den Angaben zufolge seit längerem über die rechtsextremistische Szene in Dortmund und wurden in der Vergangenheit schon Opfer von Bedrohungen durch Rechte.

Die stellvertretende Polizeipräsidentin Alexandra Dorndorf kündigte an, alles daran zu setzen, "die Hintergründe der Tat aufzuklären und die Freiheit des Journalismus zu gewährleisten". Der freie Journalismus sei "ein wesentlicher Bestandteil unserer Demokratie", betonte Dorndorf. Es komme einem Angriff auf die Werte der Demokratie gleich, wenn versucht werde, Berichterstattungen durch Bedrohung von Journalisten zu beeinflussen.

Bereits seit dem Jahr 2015 geht die Dortmunder Polizei mit der Sonderkommission Rechts gegen rechtsextremistische Straftäter vor. Die Ruhrgebietsstadt gilt als Hochburg für Rechtsextreme und Neonazis in Westdeutschland.

Der Deutsche Journalisten-Verband in NRW forderte von Polizei und Staatsschutz einen wirksamen Schutz von Journalisten. "Verfassungsschutz, Staatsanwaltschaften und Gerichte sind aufgefordert, konsequent zu ermitteln und auch vermeintlich kleine Bedrohungen zu verfolgen", sagte der NRW-Landesvorsitzende des DJV, Frank Stach, in Düsseldorf. Der aktuelle Vorfall in Dortmund sei "leider nur die Spitze des Eisberges". Journalisten, die in der rechtsextremen Szene recherchierten, sähen "sich allzu häufig solchen Bedrohungen ausgesetzt".



Deutsch-Französischer Journalistenpreis vergeben

Junge Europäer, Landwirte, der Aachener Vertrag, die Reichsuniversität Straßburg und sexuelle Belästigung im Europaparlament. Diese Themen haben die Preisträger des deutsch-französischen Journalistenpreises behandelt.

Deutsche und französische Journalisten haben am 3. Juli in Paris den mit insgesamt 30.000 Euro dotierten deutsch-französischen Journalistenpreis erhalten. Ausgezeichnet wurden Medienmacher für Beiträge im "Süddeutschen Zeitung Magazin", beim Südwestrundfunk (SWR), bei arte, France Inter und beim Saarländischen Rundfunk (SR) sowie Studenten der Journalistenausbildung der Universität Straßburg, wie die Organisatoren mitteilten. Zudem erhielten die Nazi-Jäger Beate und Serge Klarsfeld den Großen Deutsch-Französischen Medienpreis.

In der Kategorie Audio bekam Caroline Gillet den Preis für ihre wöchentliche Radiosendung "Foule continentale" bei France Inter, in der junge Europäer zu Wort kommen. "Durch ihren modernen Ton, die Wahl der Gesprächspartner und ihren journalistischen Einsatz zeigt die Autorin, dass Diskussionen über Europa spannend sein können", erklärte die Jury ihre Entscheidung.

Die Auszeichnung in der Kategorie Video ging an Kirsten Esch für die SWR/arte-Dokumentation "Forschung und Verbrechen - Die Reichsuniversität Straßburg" über die im Jahr 1941 im besetzten Frankreich eröffnete Reichsuniversität. "Die Regisseurin Kirsten Esch, deren Großvater das Amt des Dekans bekleidete, erzählt die Zusammenarbeit der geistigen Elite mit der SS und deckt auf, wie sich die Professoren an den schrecklichen Verbrechen der Nazis beteiligten", hieß es.

Die Journalistin Lena Kampf bekam den Preis in der Kategorie Textbeitrag für "Die unendliche Geduld von Papier" im "Süddeutsche Zeitung Magazin" über sexuelle Belästigung im Europäischen Parlament. Studenten des Centre universitaire d'enseignement du journalisme in Straßburg erhielten die Auszeichnung in der Kategorie Multimedia für ihre multimediale Internetseite "Champs de bataille" über die europäische Landwirtschaft. Den Nachwuchspreis bekam die SR-Journalistin Carolin Dylla für ihre Reportage "Der Aachener Vertrag oder 'Élysée 2.0' – Upgrade für die deutsch-französische Zusammenarbeit?".

Großer Deutsch-Französischer Medienpreis für Ehepaar Klarsfeld

Neben den Journalistenpreisen verliehen die Veranstalter auch den Großen Deutsch-Französischen Medienpreis an die Nazi-Jäger Beate und Serge Klarsfeld. Der Medienpreis wird jährlich an eine Persönlichkeit oder eine Organisation vergeben, die sich für die grenzüberschreitende Verständigung im europäischen Kontext einsetzt. Im vergangenen Jahr ging er an den Philosophen und Soziologen Jürgen Habermas.

Serge Klarsfeld betonte die Bedeutung des Kampfs gegen Extremismus. "Keine rechts- oder linksextreme Partei hat den Völkern, deren Schicksal sie in die Hände nahm, Glück gebracht. Niemals. Das führte nur zu Katastrophen", betonte er. Das Ehepaar Klarsfeld hatte unter anderem die Aufenthaltsorte von NS-Verbrechern ausfindig gemacht und eine Dokumentation mit den Namen aller 80.000 aus Frankreich deportierten Juden herausgegeben.

Der Bevollmächtigte der Bundesrepublik Deutschland für kulturelle Beziehungen zu Frankreich, Armin Laschet (CDU), lobte ihr Engagement. "Beate und Serge Klarsfeld haben wachgerüttelt, als viele schweigen und vergessen wollten", sagte der NRW-Ministerpräsident. "Sie haben Finger in Wunden gelegt und verkörpern dadurch bis heute beispielhaft die Wächterfunktion von Journalismus."



Von Bergmannskühen und Zechen-Uhus


Dermoplastik des Braunbären Max, einst Besucher-Liebling im Tierpark Bochum
epd-bild/Stefan Arend
Ein besonderes Verhältnis bindet Menschen und Tieren aneinander. In seiner neuen Sonderausstellung zeigt das Ruhr Museum "Mensch und Tier im Revier" und unternimmt dabei einen Streifzug durch die in stetem Wandel befindliche Beziehung.

Dem Umgang des Menschen mit Tieren widmet sich die neue Sonderausstellung des Ruhr Museums in Essen. Es geht um die grundsätzliche Frage des kulturellen Verhaltens gegenüber dem Mitgeschöpf Tier am Beispiel der Region Ruhrgebiet. Dabei wirft die Schau in der Galerie auf der 21-Meter-Ebene der ehemaligen Kohlenwäsche bis zum 25. Februar einen facettenreichen Blick auf das Beziehungsgefüge von "Mensch und Tier im Revier".

"Bei der Kombination von Mensch und Tier im Revier stellen sich im Ruhrgebiet reflexhaft die typischen Bilder vom Grubenpferd, den Taubenvätern und der Bergmannskuh ein", erklärt Museumsleiter Heinrich Theodor Grütter. Das Museum habe sich bei der Themengestaltung aber nicht auf diesen mittlerweile historisch gewordenen Aspekt beschränkt. "Das Thema 'Mensch und Tier' berührt jede geschichtliche Epoche und nahezu alle unsere Lebensbereiche."

Aktuelle Debatte

Mit der Frage nach dem Umgang mit Tieren greift das Ruhr Museum eine aktuelle Auseinandersetzung auf, die Tiere nicht mehr als Objekte des menschlichen Handelns sieht. Gleichzeitig ist mit dem Auslaufen der Schwerindustrieepoche des Ruhrgebiets ein Abschnitt erreicht, in dem ein Rückblick auf diesen die Region ungemein prägenden Zeitabschnitt angebracht ist.

Tiere spielten während dieser Zeit im Ruhrgebiet eine wichtige Rolle: Als Grubenpferde untertage in den Zechen, die "Bergmannskuh" genannte Ziege als Milchlieferant, Brieftauben als Freizeitbeschäftigung der Bergleute. Eine Antwort auf die Menschenmassen im Ballungsraum, die versorgt werden mussten, waren die Schlachthöfe. "Vieles hat eben zwei Seiten", sagt Ulrike Stottrop, Leiterin der Naturkunde des Ruhr Museums.

Aussagekräftige Einzelobjekte markieren jeweils eine der fünf Ausstellungsabteilungen und geben eine Einleitung. Der Wildschweinkopf steht für das Kapitel "Tiere töten". Pfeilspitzen verweisen auf die Ernährungsgrundlage steinzeitlicher Menschen, als das Verhältnis von Jäger und Gejagtem umgekehrt wurde. In den Vitrinen sind Werkzeuge zu sehen, die für die Schlachtung von Tieren und die Bekämpfung von Ungeziefer verwendet werden.

Mit dem Kummet, einem Kuhjoch, wird die Nutzbarmachung von Tieren unter dem Joch des Menschen verdeutlicht, der es als Arbeitstier einsetzte, seinen Körper und Erzeugnisse brauchte oder verbrauchte. Hufeisen, Schweinehaarpinsel und elfenbeinerne Besteckgriffe sind Beispiele dafür im Kapitel "Tiere nutzen".

Der Ausstellungsbereich "Tierliebe" - eröffnet durch ein Schaukelpferd - wandelt zwischen Spielzeug, Vermenschlichung und Schutzbemühungen. Fotos von Tieren als Haushaltsmitgliedern oder vermeidbaren Quälereien sprechen für sich.

Eine Dermoplastik des Braunbären Max, der fast vierzig Jahre Liebling im Tierpark Bochum gewesen war, führt in den Bereich "Tiere ordnen" ein. Hier stehen Tierfiguren für das Sammeln, Fossilien und Methoden der Tiersektion für das Erforschen und ausgestopfte Tiere und Wandtafeln für das Ausstellen. Ein Hinweis auf den Elefanten Abulabaz Karls des Großen nennt einen frühen Beleg für das Vergeben von Namen an Tiere.

Sternbilder und "Manta-Fuchsschwanz"

Bei "Tiere deuten" ist das zentrale Objekt der "Himmelsglobus" von Gerhard Mercator in einem Nachbau des Originals von 1551, der Sternbilder in Formen von Menschen und Tieren zeigt. Aus dem Alltag zeigte die Ausstellung Wohnzimmergemälde, Tierteile wie den "Manta-Fuchsschwanz" oder Gegenstände mit Namensübertragungen aus dem Tierreich. Zu Symbolen wurden Tiere in Glauben und Aberglauben. Als Herrschaftszeichen waren Pferde beliebt, Adler wegen ihrer Übersichtsperspektive geschätzt. Eine Abwehrfunktion wurde dem kräftigen Löwen zugemessen.

Eingerahmt wird die hundert Objekte umfassende Ausstellung von zwei Fotogalerien. Im Eingangsbereich zeigen 45 Schwarz-Weiß-Aufnahmen das historische Miteinander von Mensch und Tier im Revier. Eine Fotowand im hinteren Teil der Ausstellung präsentiert den Besuchern auf Augenhöhe großformatige Porträtaufnahmen von wild lebenden Tieren im heutigen Ruhrgebiet. Sie zeigen Tiere, die auf den alten Industriebrachen heimisch geworden sind, wie Kreuzkröten im ehemaligen Hüttenwerk in Duisburg-Meiderich oder Uhus auf Zeche Ewald in Herten.

Die Sonderausstellung "Mensch und Tier im Revier" des Ruhr Museums ist hervorgegangen aus einer Zusammenarbeit mit dem Kulturwissenschaftlichen Institut Essen, der Historischen Fakultät Köln, den LVR- und LWL-Industriemuseen und weiteren namhaften Museen des Ruhrgebiets. Weitere Ausstellungen zum Mensch-Tier-Verhältnis sind geplant.

Peter Noçon (epd)


Duisburger Museum zeigt Fotoarbeiten von Till Brönner


Jazz-Trompeter Till Brönner präsentiert sich als Fotograf.
epd-bild/Brost Stiftung/MKM Museum Kueppersmuehle

Fotoarbeiten des renommierten Musik- und Foto-Künstlers Till Brönner sind seit dem 3. Juli im Museum Küppersmühle in Duisburg zu sehen. Unter dem Titel "Melting Pott" werden Aufnahmen über Menschen und Orte im Ruhrgebiet präsentiert, die Brönner während eines Jahres fotografiert hat, wie das Museum mitteilte. Die bis zum 6. Oktober zu sehende Schau ist nach Museumsangaben die umfangreichste Ausstellung Brönners.

Die Aufnahmen zeigten Brönners persönlichen Blick auf die Region, hieß es. Zu sehen sind etwa Gesichter, Industrie-Architektur, Natur- und Kulturlandschaften sowie Verkehr und Urbanes. Aber auch das Mit- und Nebeneinander verschiedener Nationen und Religionen in Deutschlands größtem Ballungsraum und den zu Ende gehenden Steinkohle-Bergbau hat Brönner in seinen Aufnahmen festgehalten.

Der heute in Berlin und Los Angeles lebende Brönner wurde im Jahr 1971 im niederrheinischen Viersen geboren. Neben zahlreichen Tourneen und CD-Veröffentlichungen lehrt der Künstler unter anderem als Professor an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber in Dresden.



Regisseurin Barbara Frey wird nächste Ruhrtriennale-Intendantin

Die Schweizer Theaterregisseurin Barbara Frey wird Intendantin der nächsten Ruhrtriennale 2021 bis 2023. Der Aufsichtsrat der Kultur Ruhr GmbH berief die bisherige künstlerische Leiterin des Schauspielhauses Zürich auf seiner Sitzung am 3. Juli in Düsseldorf an die Spitze des größten Kulturfestivals in NRW, wie Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos) mitteilte. Die 56-Jährige sei eine anerkannte Theatermacherin im deutschsprachigen Raum und in Europa und stehe für ein "offenes, neugieriges und lebendiges Theater auf höchstem Niveau".

Die künftige Ruhrtriennale-Chefin stammt aus Basel und studierte Germanistik und Philosophie in Zürich. Zum Theater kam sie 1988 als Regieassistentin am Theater Basel. Seit 1992 arbeitet sie als Regisseurin, unter anderem am Nationaltheater Mannheim, am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, an der Schaubühne am Lehniner Platz Berlin sowie am Deutschen Theater Berlin. Seit 2009 ist sie Intendantin des Schauspielhauses Zürich.

Frey nannte die Spielorte der Ruhrtriennale "historisch gesehen unvergleichlich" und einzigartig. "Aus stillgelegten Stahlwerken und Zechen entstehen immer wieder neue Denkorte der Kultur." Das sei eine große Herausforderung und eine schöne Vision für die intensive Zusammenarbeit mit Menschen aus anderen Kunstformen und anderen kulturellen Zusammenhängen.

Die diesjährige Spielzeit der Ruhrtriennale steht unter dem Motto "Zwischenzeit". Unter der derzeitigen Intendantin Stefanie Carp sind vom 21. August bis zum 29. September rund 150 Veranstaltungen mit 840 Künstlern aus 35 Ländern geplant. Ingesamt stehen 35 Produktionen und Projekte auf dem Programm. Spielstätten für Musiktheater, Schauspiel, Musik, Tanz und Installationen sind 13 Orte in Bochum, Duisburg, Essen und Gladbeck.



Einnahmen aus Rundfunkbeitrag steigen auf acht Milliarden Euro

Erstmals seit 2014 sind die Einnahmen aus dem Rundfunkbeitrag wieder gestiegen. Da Inhaber von Nebenwohnungen aber nicht mehr zur Kasse gebeten werden dürfen, rechnet der Beitragsservice der Sender in naher Zukunft mit einem leichten Rückgang.

Die Einnahmen der öffentlich-rechtlichen Sender aus dem Rundfunkbeitrag sind erstmals seit 2014 wieder leicht gestiegen. Sie lagen im vergangenen Jahr bei rund acht Milliarden Euro, wie der Beitragsservice von ARD, ZDF und Deutschlandradio am 2. Juli in Köln bekanntgab. 2017 waren es 7,97 Milliarden Euro gewesen. Grund für den Anstieg sei die Neuanmeldung von 600.000 Wohnungen, die aus dem bundesweiten Datenabgleich mit den Einwohnermeldeämtern im Jahr 2018 resultierten, sagte Beitragsservice-Geschäftsführer Stefan Wolf.

3,3 Millionen Klärungsschreiben

Bei dem Meldedatenabgleich wurden potenzielle Beitragszahler, deren Anschrift keiner bereits angemeldeten Wohnung zuzuordnen waren, vom Beitragsservice angeschrieben. Insgesamt verschickte die Einrichtung nach eigenen Angaben 3,3 Millionen Klärungsschreiben. Ein abschließendes Fazit zum Abgleich sei erst 2020 möglich, wenn alle Rückmeldungen bearbeitet seien.

An die ARD flossen 5,63 Milliarden Euro aus dem Beitragsaufkommen. Innerhalb des Senderverbunds ging die höchste Einzelsumme an den WDR, der 1,17 Milliarden Euro bekam, gefolgt vom SWR mit 1,04 Milliarden Euro. Die geringsten Summen erhielten der Saarländische Rundfunk (66,3 Millionen) und Radio Bremen (44,6 Millionen).

Das ZDF vereinnahmte 1,99 Milliarden Euro, das Deutschlandradio 228,9 Millionen Euro. Die Landesmedienanstalten, die für die Aufsicht über den privaten Rundfunk zuständig sind und ebenfalls aus dem Rundfunkbeitrag finanziert werden, erhielten 151 Millionen Euro.

Die Zahl der zum Rundfunkbeitrag angemeldeten Wohnungen stieg im vergangenen Jahr um ein Prozent auf 39,5 Millionen. Bei den Betriebsstätten erhöhte sich die Zahl um 1,4 Prozent auf 3,9 Millionen. Erneut rückläufig war die Zahl der Beitragskonten im Mahn- und Vollstreckungsverfahren: Sie sank um 17,7 Prozent auf 3,5 Millionen. Der Beitragsservice führt dies auf den Abschluss zahlreicher Klärungsverfahren zurück, die nach der Modellumstellung auf den Rundfunkbeitrag im Jahr 2013 eingeleitet wurden.

Neuregelung nach Gerichtsurteil

Für die kommende Beitragsperiode, die 2021 beginnt, rechnet der Beitragsservice mit einem jährlichen Einnahmeniveau von etwa 7,9 Milliarden Euro. Wesentlicher Grund für das erwartete Absinken sei das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Sommer 2018, wonach für Nebenwohnungen kein Rundfunkbeitrag mehr erhoben werden darf. Zum Stichtag 31. Dezember habe es bereits 19.500 befreite Nebenwohnungen gegeben.

Nach den Vorgaben des Gerichts habe der Beitragsservice die Befreiungsmöglichkeit sofort einrichten müssen, sagte Geschäftsführer Wolf: "Manche Anträge haben uns noch während der Urteilsverkündung erreicht." Die Bearbeitung dieser Anträge werde das Alltagsgeschäft noch über Monate bestimmen. Eine Aussage zur Gesamtzahl an Nebenwohnungen, für die kein Beitrag gezahlt werden muss, sei auch wegen fehlender Erfahrungswerte noch nicht möglich.

Auch die hohe Zahl der Befreiungen aus sozialen Gründen drückt die Höhe des Beitragsaufkommens: 2018 mussten den Angaben zufolge erstmals mehr als drei Millionen Personen aus diesen Gründen keinen Beitrag bezahlen. Daneben zahlten 450.000 Menschen mit schweren Behinderungen nur einen Drittelbeitrag,

Nach Wolfs Angaben konnte der Verwaltungsaufwand im Beitragsservice zuletzt gesenkt werden, weil Nutzer zunehmend online mit der Einrichtung kommunizieren. So habe es im vergangenen Jahr knapp 2,9 Millionen Anfragen über Online-Formulare gegeben, das waren fast 43 Prozent mehr als im Vorjahr. Der Personalbestand im Beitragsservice sei um 1,4 Prozent auf knapp 962 vollzeitäquivalente Stellen gesunken.



Trauer um früheren "Stern"-Chefredakteur Michael Jürgs

Journalistenkollegen haben den verstorbenen Publizisten Michael Jürgs gewürdigt. "Seine kluge, funkelnde Streitlust wird gerade in diesen Zeiten schmerzlich fehlen", erklärte Nikolaus Blome, Politikchef der "Bild"-Zeitung, in einem vom Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) auf Twitter verbreiteten Statement. Der Investigativjournalist Hans Leyendecker erklärte in einem Beitrag für die "Süddeutsche Zeitung" (Online), Jürgs habe den "schärfsten Blick für alles Verlogene, Lächerliche" gehabt. Jürgs war in der Nacht zum 5. Juli im Alter von 74 Jahren in Hamburg gestorben.

Der hamburgische Kultur- und Mediensenator Carsten Brosda (SPD) würdigte den früheren Chefredakteur von "Stern" und "Tempo" als "Monolithen des klassischen Journalismus". "Wir bräuchten gerade jetzt mehr mutige Freigeister wie ihn", schrieb Brosda auf Twitter. Julia Jäkel, Vorstandschefin des Verlags Gruner + Jahr, in dem der "Stern" erscheint, nannte Jürgs "einen der großen, aufrechten Journalisten."

Theodor-Wolff-Preis für Lebenswerk

Noch in der vergangenen Woche hatte der Publizist den Theodor-Wolff-Preis der deutschen Zeitungen für sein Lebenswerk erhalten, den er wegen seiner schweren Krebserkrankung jedoch nicht mehr persönlich entgegennehmen konnte. Ausgezeichnet hatte Jürgs eine Jury unter Vorsitz von Blome.

Jürgs machte sich nicht nur als aktuell arbeitender Journalist, sondern auch als Biograf einen Namen, etwa mit Büchern über die Schauspiel-Ikone Romy Schneider, den Schriftsteller und Künstler Günter Grass und den Verleger Axel Springer. 2018 machte Jürgs seine Krebserkrankung publik.

Er wurde am 4. Mai 1945 im schwäbischen Ellwangen geboren. Jürgs studierte Politikwissenschaft, Geschichte und Germanistik, beendete das Studium aber vorzeitig für ein Volontariat bei der Münchner "Abendzeitung", wo er später zum Feuilletonchef aufstieg. 1976 wechselte er zum "Stern", wo er das Unterhaltungsressort leitete und von 1986 bis 1990 Chefredakteur war. Nach einem Streit über einen skeptischen Leitartikel zur deutschen Wiedervereinigung wurde Jürgs 1990 beim "Stern" abgelöst. Mit der Titel-Schlagzeile "Sollen die Zonis bleiben, wo sie sind?" hatte er für Empörung gesorgt, auch beim damaligen Gruner + Jahr-Chef Gerd Schulte-Hillen.

1992 ging Jürgs als Chefredakteur zur mittlerweile eingestellten Lifestyle-Zeitschrift "Tempo", die er zwei Jahre später wieder verließ. Von 1992 bis 1994 moderierte er zudem die "NDR-Talkshow".



Joachim Knuth wird neuer NDR-Intendant

Der NDR-Rundfunkrat hat Joachim Knuth (60) zum neuen Intendanten gewählt. Der bisherige Hörfunkdirektor des Senders erhielt am 5. Juli in geheimer Abstimmung 40 Ja-Stimmen und damit die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit, wie der NDR in Hamburg mitteilte. Knuth war der einzige Kandidat. Ein Rundfunkratsmitglied stimmte gegen ihn, sechs enthielten sich. Knuth soll im Januar Lutz Marmor (65) nach zwei Amtszeiten an der Spitze der drittgrößten ARD-Anstalt ablösen.

Marmor hatte vor einigen Wochen vor Mitarbeitern des Senders erklärt, keine dritte Amtsperiode anzustreben. Er habe sich zwar vorstellen können, nach dem Ende seiner zweiten Amtszeit noch "zwei, drei Jahre dranzuhängen", ihn hätten aber von den Gremien Signale erreicht, dass es wohl ein anderer Personalvorschlag sein werde.

Amtszeit beträgt sechs Jahre

Das Vorschlagsrecht für den Posten liegt nach dem NDR-Staatsvertrag beim Verwaltungsrat. Das zweite Aufsichtsgremium des Senders hatte Knuth Mitte Juni nominiert. Dass der Verwaltungsrat nicht noch weitere Kandidaten zur Wahl vorschlug, hatte auch senderintern für Kritik gesorgt. Die Amtszeit beträgt sechs Jahre.

Joachim Knuth stammt aus Kiel. Seine Karriere beim NDR startete er 1985 als Nachrichtenredakteur. Nach Stationen unter anderen als Referent des damaligen Intendanten Jobst Plog Anfang der 90er Jahre war er von 1998 bis 2007 Wellenchef von NDR Info und Hörfunkchefredakteur. 2008 wurde er Hörfunk-Programmdirektor. Seit dem 1. Juli ist er zusätzlich stellvertretender Intendant des NDR. Den Intendantenposten soll er am 13. Januar 2020 übernehmen.

Knuth ist verheiratet mit der Hamburger Pröpstin und Hauptpastorin Ulrike Murmann. Das Paar hat drei Kinder. Er ist Mitgründer und Beiratsvorsitzender des Deutschen Radiopreises, der seit 2010 an Hörfunkjournalisten von öffentlich-rechtlichen wie privaten Programmen vergeben wird.

Der Betriebswirt Lutz Marmor ist seit 2008 NDR-Intendant, zuvor war er von 1995 bis 2006 Verwaltungsdirektor des Senders. Von 2006 bis 2008 war er Verwaltungsdirektor und stellvertretender Intendant des WDR.

"Mit Joachim Knuth gewinnt der NDR einen profilierten Journalisten mit exzellenter Führungsqualifikation für die verantwortungsvolle Aufgabe des Intendanten", sagte die Rundfunkratsvorsitzende Cornelia Nenz. Der künftige Intendant genieße über den NDR hinaus große Wertschätzung, erklärte Nenz, die vom Heimatverband Mecklenburg-Vorpommern in den Rundfunkrat entsandt wurde. Knuth selbst sagte, der NDR müsse auf den Medienwandel reagieren mit "mehr crossmedial produzierten Inhalten, die die Norddeutschen immer und überall nutzen können".

In diesem Jahr standen bereits bei zwei weiteren ARD-Anstalten Intendantenwahlen an: Der Rundfunkrat von Radio Bremen kürte im März Yvette Gerner zur Intendantin, die SWR-Gremien wählten im Mai Kai Gniffke an die Senderspitze. Lediglich beim SWR hatten zwei Kandidaten zur Wahl gestanden.

Zum Sendegebiet des NDR gehören die Länder Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Im Jahr 2017 nahm der NDR insgesamt 1,08 Milliarden Euro ein, er ist damit nach WDR und SWR der drittgrößte Sender im ARD-Verbund.




Entwicklung

Auf dem Weg zur menschenleeren Fabrik


Arbeiterinnen in einer Textilfabrik in Kambodscha: Durch die künftige Automatisierung könnten 500.000 kambodschanische Näherinnen arbeitslos werden (Archivbild)
epd-bild/Friedrich Stark
Billiglohnländer könnten ihre Standortvorteile verlieren, wenn Roboter in der Textilindustrie Einzug halten. Jobs werden verloren gehen, und die Produktion rückt wieder näher zu den Kunden in Europa und Nordamerika, sagen Experten voraus.

Industrieroboter bei BMW in Südafrika, Arznei-Drohnen in Ghana, Sprach-Apps statt Call-Center in Indien: Die Digitalisierung schreitet voran und macht vor Entwicklungs- und Schwellenländern nicht Halt. Viele Herstellungsprozesse und Dienstleistungen werden schneller, produktiver, effizienter, billiger. Doch die Risiken für die Beschäftigten sind enorm, Millionen Jobs drohen wegzufallen. "Da entsteht ein riesengroßes Problem", sagt der Berliner Organisationsforscher Ayad Al-Ani, der zu Digitalisierung im globalen Kontext forscht.

Noch ist die menschenleere Textilfabrik Zukunftsmusik, aber womöglich nicht mehr lange. Und Sprachcomputer, Chatbots, machen bald Call-Center auf den Philippinen oder in Nordafrika überflüssig. Die Anwendung von Algorithmen ersetzt auch Business-Dienstleistungen, die aus Europa und Nordamerika nach Indien ausgelagert wurden.

"Digitale Dividende" nur für Wohlhabende

Der Hoffnung, die Digitalisierung werde allen Wohlstandsgewinne bringen, widerspricht die Weltbank. Nur wenige Menschen würden vom Einzug der Roboter und Algorithmen profitieren, heißt es im Weltbank-Jahresbericht von 2016. Die "digitale Dividende" fließe nur Wohlhabenden, Gebildeten und Einflussreichen rund um den Globus zu, denn sie könnten die neuen Technologien am besten nutzen. Obwohl die digitale Revolution auch einigen Entwicklungsländern gewaltige Fortschritte bei Effizienz und Produktivität ermögliche, müsse man aufpassen, dass keine neue Unterklasse entstehe, warnt der frühere Weltbank-Chefökonom Kaushik Basu.

Von künftigen "digitalen Tagelöhnern" spricht die Internationale Arbeitsorganisation (ILO). "Die technologischen Fortschritte - Künstliche Intelligenz, Automatisierung und Robotertechnik - werden neue Arbeitsplätze schaffen, aber diejenigen, die ihre Jobs verlieren, sind am wenigsten in der Lage, die neuen Chancen zu nutzen", erklärt die ILO-Kommission zur Zukunft der Arbeit.

Die Automatisierung wird auch in Billiglohnländern vollzogen werden, sagen Experten voraus. Nach Asien verlagerte Produktionen oder Dienstleistungen könnten wieder nach Europa oder die USA zurückgeholt werden. Die Adidas-Speedfactory im fränkischen Ansbach ist ein Beispiel dafür: eine Fabrik, die vollautomatisch Turnschuhe herstellt und rund um die Uhr laufen kann.

"Die Welle kommt erst noch"

Auch im Textilsektor wird eine Automatisierung erwartet, die die zu größeren Umbrüchen führen wird. "Die Welle kommt erst noch", ist Sven Hilbig von "Brot für die Welt" überzeugt. Eine ILO-Studie über fünf wichtigsten Staaten in Südostasien kommt zu dem Schluss, dass 60 Prozent der Arbeitsplätze in Hotel und Gastronomie, Handel, Bau und Produktion in den kommenden Jahren von Digitalisierung betroffen sein werden, 137 Millionen von 244 Millionen Beschäftigten. Die Jobs von Frauen und gering Qualifizierten sind am stärksten gefährdet.

Am größten sind demnach die Risiken für Vietnam, wo 70 Prozent der Jobs in Schlüsselbranchen bedroht sind. In Kambodscha könnten 500.000 Näherinnen arbeitslos werden, in Indonesien 1,7 Millionen Büroangestellte, in Thailand eine Million Verkäufer und Verkäuferinnen.

Noch fehlt ein wenig bis zur Lights-Out-Factory, der menschenleeren Textilfabrik, die selbst produziert, prüft und sich selbst überwacht, ohne dass Licht angemacht werden muss. Bisher schaffen die Maschinen, nur Bettlaken oder ähnliche einfache Stoffteile zu nähen. Aber in den USA wurde nun ein Nähroboter, ein Sewbot, vorgestellt, der ein T-Shirt nähen kann, für 33 Cents, billiger als jeder Beschäftigte in einem Billiglohnland.

Mit der Automatisierung verlieren Länder in Asien ihre Standortvorteile, wie Dennis Görlich vom Kieler Weltwirtschaftsinstitut erläutert. "Sicherheiten, wie eine große Zahl günstiger Arbeitskräfte, sind in der digitalisierten Industrie einfach kein Kriterium mehr", sagt er. Maschinen hätten noch den Vorteil, dass sie keine Gewerkschaften bildeten.

"Produktion rückt wieder näher zum Kunden"

Einfache menschliche Arbeit werde als Produktionsfaktor unwichtiger, die Fabrikation könnte daher aus Fernost zurück nach Europa oder Nordamerika geholt werden. "Die Produktion rückt wieder näher zum Kunden", sagt Görlich. "Es macht wenig Sinn, solche Fabriken in Bangladesch aufzustellen, wenn meine Kunden in Europa oder den USA sind."

Die Gefahr besteht, dass arme Ländern noch stärker abgehängt werden. Experten raten dringend, sich für einen Technologieschock zu wappnen und neue Branchen zu erschließen. "Die Länder sollten in die Ausbildung hoch qualifizierter Fachkräfte investieren, die in automatisierten Fabriken, allerdings in kleiner Zahl, gebraucht werden", empfiehlt Görlich und fügt hinzu: "Die Länder müssten versuchen, ihre Abhängigkeit vom Textilsektor zu lockern."

Elvira Treffinger (epd)


Klimaschutz immer wichtiger für Entwicklungshilfe

Der Klimawandel stellt auch die deutsche Entwicklungshilfe vor große Herausforderungen. Inzwischen fließen fast eine Milliarde Euro und damit ein Drittel des Gesamtvolumens der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit in den Klimaschutz.

Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) sieht im Klimawandel eine zentrale Herausforderung. Im vergangenen Jahr habe sich bereits ein Drittel der Arbeit um das Klima gedreht, sagte die Vorstandssprecherin der GIZ, Tanja Gönner, am 1. Juli in Berlin bei der Jahrespressekonferenz der Entwicklungshilfe-Gesellschaft.

Von dem Gesamtgeschäftsvolumen von knapp drei Milliarden Euro (2017: 2,6 Milliarden Euro) seien im vergangenen Jahr mehr als 930 Millionen Euro in die angestrebte Klimawende investiert worden. Der Klimawandel bedrohe bereits heute die Lebensgrundlage vieler Menschen, sagte Gönner. Er treffe insbesondere Entwicklungs- und Schwellenländer.

Der GIZ-Aufsichtsratsvorsitzende und Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Martin Jäger, erklärte, Deutschland stehe beim internationalen Klimaschutz zu seinen Zusagen. Die Bundesregierung werde ihren Beitrag für den "Green Climate Fund" auf 1,5 Milliarden Euro verdoppeln. Der 2010 von mehr als 190 Staaten aufgelegte Fonds soll Geld für Klimaprojekte in Entwicklungsländern bereitstellen. "Die Folgen des Klimawandels sind immer schwieriger zu beherrschen", sagte Jäger. Der Verlust von Ernten und Lebensgrundlagen seien ebenso wie Hunger und Krankheiten eine besondere Bedrohung für die Entwicklungsländer.

Laut GIZ-Jahresbericht stammten 2018 knapp 2,5 Milliarden Euro der Einnahmen aus Aufträgen des BMZ. Schwerpunkte neben dem Klimaschutz waren die Themen Sicherheit und Stabilisierung. Dort wurden unter anderem für Projekte zur Verbesserung von Arbeitsbedingungen und für die Umsetzung von Friedensabkommen in Konfliktregionen rund 700 Millionen Euro eingesetzt. In den Bereich Flucht und Migration flossen rund 406 Millionen Euro.

20.726 Beschäftigte

Die Zahl der Beschäftigten bei der GIZ stieg im vergangenen Jahr um mehr als 1.200 auf insgesamt 20.726. Davon waren 14.196 sogenanntes nationales Personal, also Beschäftigte, die in den Einsatzländern angestellt wurden (2017: 13.448). Der Anteil der in Deutschland angestellten Mitarbeiter lag bei 4.068. Hinzu kamen 2.462 sogenannte "entsandte Fachkräfte", die direkt in Deutschland bei der GIZ angestellt waren (2017: 2.305).

Internationale Zusammenarbeit sei Voraussetzung, damit die globale Klimawende gelinge, betonte Gönner. Zwischen 2015 und 2017 habe die GIZ zudem 14 Millionen Menschen unterstützt, mit dem Klimawandel umzugehen, unter anderem durch besseren Schutz vor Hochwasser oder mit Versicherungen gegen Schäden.

Beim Reisanbau in Südostasien seien mit Beteiligung der GIZ mithilfe von Satelliten mehr als 15 Millionen Hektar Anbauflächen beobachtet worden, um Ernteausfälle besser vorherzusagen, hieß es. Betroffene Bauern erhielten im Schadensfall dann schneller Hilfe. In Chile unterstütze die GIZ den Umstieg auf erneuerbare Energien.



Oxfam: Deutsche Discounter unternehmen zu wenig gegen Ausbeutung


Kundin in einem Supermarkt (Archivbild)
epd-bild / Rolf Zöllner
Aldi, Edeka, Lidl und Rewe nähmen wirtschaftliche Ausbeutung und Leid als Zutaten vieler Lebensmittel in Kauf, wirft die Organisation Oxfam den Supermärkten vor. Die Händler reagieren unterschiedlich auf die Anschuldigungen.

Deutsche Supermärkte unternehmen laut einer Studie der Entwicklungshilfeorganisation Oxfam zu wenig gegen Ausbeutung und Diskriminierung in ihren Lieferketten. Trotz einiger Verbesserungen seit dem Vorjahr schnitten Aldi, Edeka, Lidl und Rewe auch im internationalen Vergleich weiter schlecht ab, heißt es in dem zum 3. Juli in Berlin veröffentlichten "Supermarkt-Check 2019". Die Händler nähmen "wirtschaftliche Ausbeutung und Leid" als Zutaten vieler Lebensmittel in Kauf, sagte Franziska Humbert, Oxfam-Expertin für soziale Unternehmensverantwortung.

Edeka wies auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) die Untersuchung als "Kampagne" zurück. Aldi Nord teilte mit, die Vorwürfe ernst zu nehmen, jedoch einen individuellen Ansatz zu verfolgen, um die Einhaltung von Menschenrechten bei Geschäftspartnern zu erreichen. Aldi Süd, das im Vergleich zur Studie im Vorjahr deutlich besser abschnitt, kündigte weitere Maßnahmen an, um Menschenrechtsverletzungen vorzubeugen. Lidl teilte mit, bis 2020 eine Risikoanalyse der Eigenmarken erstellen zu wollen. Die Rewe Group erklärte am Mittwoch, sie habe ihr Ergebnis im Vergleich zur vorherigen Oxfam-Studie in drei von vier Kategorien verbessert.

Aldi Süd schnitt im deutschen Vergleich am Besten ab

Angelehnt an UN-Leitprinzipen für Wirtschaft und Menschenrechte erstellte Oxfam einen Indikatorenkatalog. Mit Hilfe des Katalogs wurde untersucht, wie die Supermärkte die Rechte von Arbeitern, Frauen und Bauern garantieren sowie Transparenz und Rechenschaftspflicht der Lieferanten gewährleisten. Aldi Süd erfüllte dabei laut Oxfam 19 Prozent der Kriterien und schnitt damit am Besten im deutschen Vergleich ab. Es folgten Rewe mit 13 Prozent, Lidl mit neun und Aldi Nord mit fünf Prozent. Schlusslicht der Untersuchung ist laut Oxfam Edeka mit nur einem Prozent erfüllter Kriterien. Im internationalen Vergleich liegen die deutschen Supermärkte laut Oxfam bis auf Aldi Süd auf den hinteren Plätzen.

Laut Studie legt keines der Unternehmen seine Lieferanten und die Arbeitsbedingungen am Produktionsstandort offen. Stattdessen setzten die deutschen Händler vor allem auf Produktsiegel, die ihre Versprechen aber häufig nicht hielten. Punktuelle Fortschritte kämen verstärkt im Bereich der Transparenz und dem Umgang mit Kleinbauern vor, teilte Oxfam mit. Die Organisation forderte die Unternehmen auf, Menschenrechtsverstöße bei ihren Lieferanten zu ermitteln und Maßnahmen gegen Missstände zu ergreifen.

Edeka wies die Vorwürfe von Oxfam zurück

Edeka wies die Ergebnisse und Vorwürfe von Oxfam zurück. Es handle sich um "eine Kampagne und nicht um eine wissenschaftlich-objektive Studie". Die Bewertung sei intransparent und für Edeka nicht nachvollziehbar.

Aldi Nord teilte dem epd mit, die Vorwürfe "sehr ernst" zu nehmen, jedoch die bestehenden Probleme mit einem eigenen Ansatz "besser adressieren" zu können. Das Unternehmen verwies auf die Veröffentlichung einer Risikoanalyse der Produkte, in der Menschenrechtsrisiken in der Lieferkette identifiziert werden sollen.

Leitlinie für Fairness veröffentlicht

Lidl erklärte, es brauche ein gemeinsames Engagement von Staaten, Wirtschaft und nationalen Akteuren zur Verbesserung der Situation vor Ort. Am Produktionsstandort werde schließlich nicht nur für Lidl produziert, hieß es.

Aldi Süd zeigte sich erfreut, gegenüber der Vorjahrsstudie deutlich besser abgeschnitten zu haben. Dem Unternehmen sei "äußerst wichtig", dass entlang der globalen Lieferketten menschenwürdige Produktionsbedingungen aktiv unterstützt werden. Dafür kündigte der Händler weitere Maßnahmen für die kommenden Jahre an.

Die Rewe Group verwies auf ihre vor wenigen Wochen veröffentlichte Leitlinie für Fairness. Darin bekenne sich der Konzern dazu, innerhalb der Lieferketten aller Eigenmarkenprodukte von Rewe, Penny und toom Baumarkt Menschenrechte zu stärken, Arbeitsbedingungen zu verbessern sowie fairen Handel zu fördern.



Studie: Fairtrade hilft nicht allen Landarbeitern in Afrika

Produkte aus fairem Handel haben laut einer Studie der Universität Göttingen nur zum Teil einen Effekt auf die Lebensbedingungen von Landarbeitern in Afrika. Fairtrade verbessere zwar die Bedingungen von Angestellten in lokalen Genossenschaften, aber nicht die Situation von Arbeitern im Kleinbauernsektor, heißt es in der Studie, die in der Fachzeitschrift "Nature Sustainability" erschienen ist. Diese Arbeiter seien nach wie vor besonders benachteiligt, teilte die Universität am 1. Juli mit.

Wenn sich Konsumenten etwa von Kakao und Kaffee für Produkte mit dem Fairtrade-Siegel entscheiden, zahlen sie etwas mehr in der Annahme, damit zu einer Verbesserung der sozialen Bedingungen in den Entwicklungsländern beizutragen. Um herauszufinden, ob die arme Landbevölkerung tatsächlich davon profitiert, hätten die Göttinger Wissenschaftler und internationale Partner Daten von 1.000 Kakaobauern und Landarbeitern aus 50 verschiedenen Genossenschaften in der Elfenbeinküste gesammelt, hieß es.

Fairtrade schreibe zwar für Angestellte und Arbeiter einen Mindestlohn und faire Arbeitsbedingungen vor. "Für Angestellte in den Genossenschaften werden diese Bedingungen auch durchgesetzt", sagt Eva-Marie Meemken von der Cornell Universität in den USA. Für die Arbeiter auf den Farmen der Kleinbauern zeigten sich aber keine Effekte, auch wenn die Bauern selbst durch die Fairtrade-Zertifizierung profitierten. Die Löhne und Arbeitsbedingungen auf Tausenden kleiner Farmen zu kontrollieren, sei aufwendig. Dies werde deswegen kaum umgesetzt: "Aber ohne Kontrollen funktioniert das nicht."

Der Göttinger Agrarökonom Matin Qaim ergänzte: "Diese Landarbeiter im Kleinbauernsektor stellen eine große Bevölkerungsgruppe dar, die von Entwicklungsorganisationen oft übersehen wird." Häufig gehörten diese Menschen zu den Ärmsten der Armen im ländlichen Raum.



UN: Obere zehn Prozent erhalten fast die Hälfte der Lohnsumme

Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) hat eine große Ungleichheit bei der Lohnverteilung angeprangert. Laut einer am 4. Juli in Genf vorgestellten weltweiten Studie der ILO erhalten die am besten verdienenden oberen zehn Prozent der Arbeitnehmer 49 Prozent der gesamten globalen Lohnsumme.

Auf der anderen Seite erhalten laut ILO die unteren 50 Prozent der Arbeitnehmer nur 6,4 Prozent der gesamten globalen Lohnsumme. Die unteren 20 Prozent, rund 650 Millionen Menschen, beziehen den Angaben nach sogar nur weniger als ein Prozent der globalen Lohnsumme.

Die ILO-Statistiker rechneten aus, dass die ärmsten zehn Prozent der Beschäftigten mehr als drei Jahrhunderte arbeiten müssten um genauso viel zu verdienen wie oberen zehn Prozent in einem Jahr erhalten.

Die Lohnungleichheit sei in armen Ländern besonders stark ausgeprägt, hieß es. So erhalten in den Ländern Afrikas südlich der Sahara die untere Hälfte der Arbeitnehmer nur 3,3 Prozent der Saläre. In den Ländern der Europäischen Union hingegen verdienen die unteren 50 Prozent knapp 23 Prozent der Lohnsumme.

In die Berechnungen flossen Daten aus 189 Ländern ein. Die vor 100 Jahren gegründete ILO mit Sitz in Genf ist eine Sonderorganisation der UN.



Blindenmission verzeichnet deutliches Spendenplus

Die Christoffel-Blindenmission (CBM) hat im vergangenen Jahr ihre Spendenerträge erneut deutlich gesteigert. Die Spenden von Privatpersonen und anderen Organisationen sowie für Nothilfe stiegen um fünf Prozent auf 58,1 Millionen Euro, wie der Vorstandsvorsitzende Rainer Brockhaus am 1. Juli bei der Präsentation des Jahresberichts 2018 im südhessischen Bensheim bekanntgab. Hinzu kommen Sachspenden in Höhe von 204,2 Millionen Euro - ein Zuwachs von 26,2 Millionen Euro gegenüber 2018. Hauptgrund dafür war eine um rund 24,5 Millionen Euro höhere Medikamentenspende der Firma Merck Sharp & Dohme (MSD) für ein Programm zur Bekämpfung von Flussblindheit.

Weitere ebenfalls deutlich angestiegene Erträge stammen den Angaben zufolge aus Nachlässen, öffentlichen Mitteln und Bußgeldern. "Die steigenden Erträge auf allen Ebenen sind eine Bestätigung unserer Arbeit und Ansporn zugleich", sagte Brockhaus. "Wir sind dankbar für das Vertrauen unserer knapp 470.000 Spenderinnen und Spender. Nur mit ihrer Unterstützung kann die CBM das Leben von Menschen mit Behinderungen in den ärmsten Ländern der Welt dauerhaft verbessern." Um künftig noch mehr Betroffenen helfen zu können, habe die CBM ihre Fundraising-Maßnahmen ausgebaut.

Wie aus dem Jahresbericht hervorgeht, flossen aus Deutschland rund 46 Millionen Euro in die weltweite Projektarbeit der CBM - das sind rund 60 Prozent der Gesamtbeiträge aus der internationalen Föderation. Insgesamt erhielten fast zwölf Millionen Menschen im vergangenen Jahr medizinische Hilfe, Bildung und Rehabilitation. In den Kernbereichen ihrer Arbeit - Augen- und Hals-Nasen-Ohren-Erkrankungen, orthopädische und andere Erkrankungen sowie Behinderungen - hat die CBM nach eigenen Angaben fast drei Millionen Menschen mehr als im Vorjahr unterstützt. Rund 48 Millionen weitere Menschen erhielten zudem medizinische Hilfe gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten wie Flussblindheit und Trachom.

Die Christoffel-Blindenmission zählt zu den größten und ältesten Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit in Deutschland. Sie hat ihren Namen von ihrem Gründer, Pastor Ernst Jakob Christoffel (1876-1955), der 1908 in die Türkei ging, um dort und später in Persien blinden und anders behinderten Kindern zu helfen. Die CBM unterstützt nach eigenen Angaben zurzeit 525 Projekte in 55 Ländern.



Studie: Zehn Prozent der Weltbevölkerung wollen auswandern

Jeder zehnte Mensch weltweit möchte einer Studie zufolge auswandern. Besonders hoch ist der Anteil in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara, aber auch in Lateinamerika und der arabischen Welt, wie aus der Erhebung des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung hervorgeht, die am 3. Juli in Berlin vorgestellt wurde.

Entgegen der landläufigen Meinung werde aber Europa nicht "von den Armen der Welt überrannt", heißt es in der Studie mit dem Titel "Europa als Ziel? Die Zukunft der globalen Migration". Denn für eine Migration seien finanzielle Mittel nötig, über die die meisten Menschen in wenig entwickelten Ländern kaum verfügten. Institutsleiter Reiner Klingholz zeigte sich zudem überzeugt, dass der globale Wettbewerb um Fachkräfte, in den auch China eintrete, zunehmen werde. Denn der Trend zur Überalterung mache sich auch in der chinesischen Gesellschaft bemerkbar, sagte er.

Weltweit ist die Zahl der Migranten den Angaben nach stärker angestiegen als die der Bevölkerung insgesamt. Unter den 258 Millionen Menschen, die im Jahr 2017 in einem anderen Land als dem ihrer Geburt lebten, war laut Studie die Suche nach Arbeit der Hauptgrund für den Umzug. Das waren demnach 164 Millionen Menschen und damit der Großteil der Migranten. Die meisten Auswanderer ziehe es in die USA, nach Saudi-Arabien oder nach Russland. In die EU wanderten vorwiegend Menschen aus dem Mittleren Osten und aus Nordafrika ein.

Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung ist ein unabhängiger Thinktank, der sich mit Fragen regionaler und globaler demografischer Veränderungen beschäftigt.




Ausland

Bildgewaltiges Porträt aus der Reformationszeit


Zwingli-Denkmal in Zürich (Archivbild)
epd-bild/Gion Pfander
Die Schweiz feiert 2019 das "Zwingli-Jahr". Der Zeitgenosse Luthers führte vor 500 Jahren die Reformation in Zürich ein und legte zusammen mit Johannes Calvin die Grundlage für die reformierte Kirche. Ein Kinofilm zeigt nun sein Leben.

In der Schweiz begann die Reformation im Jahr 1519 mit dem Amtsantritt von Huldrych (Ulrich) Zwingli (1484-1531) als Leutpriester am Züricher Großmünster. Und so setzt auch der Spielfilm "Zwingli - Der Reformator" mit der Fahrt nach Zürich ein, mit einem auf einem Bauernkarren sitzenden Zwingli (Max Simonischek), der liest und schreibt und die im Wald arbeitenden Bauern betrachtet. Der Kampf gegen die Armut wird auch im Film immer einen der Erzählstränge bilden. Oft verweilt die Kamera auf den Bettlern und Armen, die vor den Toren der Stadt und auf den Plätzen darinnen stehen. Die Schweiz feiert 2019 das "Zwingli-Jahr". Beim Münchner Filmfest war am 1. Juli die Deutschland-Premiere des bildgewaltigen Porträts.

Zwinglis Reformation beginnt mit der Betonung auf das Wort: Er liest die Messe auf Deutsch und predigt auch über das Evangelium in dieser Sprache. Und nicht auf Latein, wie es die Liturgie eigentlich vorschreibt. Das löst bei vielen Bürgern der Stadt Irritationen aus, aber auch Zustimmung. Und es wird nicht die einzige Neuerung bleiben, die er der Gemeinde beschert. So spricht er sich gegen das Söldnertum aus, aber auch gegen das von der Kirche verhängte Fastengebot. Er übersetzt die Bibel in die deutschschweizerische Amtssprache, heute als "Zürcher Bibel" bekannt. Zuerst rät die Obrigkeit in Gestalt von Johannes Faber, des Gesandten des Bischofs von Konstanz, nur zur Mäßigung. Später lautet der Vorwurf Ketzerei.

Ein historischer Bilderbogen

Der Schweizer Regisseur Stefan Haupt und Drehbuchautorin Simone Schmid haben die wichtigen Reformen Zwinglis und seine theologischen Streitpunkte so in ihren Film verwoben, dass es nie aufdringlich oder aufgesetzt wirkt. "Zwingli - Der Reformator" ist auch ein historischer Bilderbogen, der uns die frühe Neuzeit mit ihrem Dreck, ihren Krankheiten, ihren Klassenunterschieden und ihren drakonischen Strafen nahebringt, meist in matten und düsteren Farben fotografiert von der Kamera von Michael Hammon.

Das war bei der ersten Zwingli-TV-Verfilmung aus dem Jahr 1984 noch ganz anders: Sie schwelgte in bunten Farben. Sechs Millionen Franken (5,4 Millionen Euro) hat "Zwingli - Der Reformator" gekostet, eine der teuersten Schweizer Produktionen überhaupt - und mit einer Viertelmillion Besuchern auch einer der erfolgreichsten.

Zwingli bleibt pragmatisch

Immer wieder beruft sich Zwingli auf das Evangelium, die Rückkehr zu ihm ist seine Theologie. Wo steht geschrieben, dass am Freitag kein Fleisch gegessen werden soll? Und wo heißt es, dass Priester nicht heiraten dürfen? So radikal seine Reformen sind, so pragmatisch bleibt Zwingli auch. Der Film fügt den filmischen Reformatoren-Porträts der vergangenen Jahre eine ganz neue Nuance hinzu: Er ist kein besessener Workaholic wie Martin Luther in "Katharina Luther" von Julia von Heinz, er ist auch kein visionärer Revolutionär wie Thomas Müntzer in dem TV-Zweiteiler "Zwischen Himmel und Hölle".

Nein, Zwingli ist ein Politiker, und eher einer vom realpolitischen Zweig. Er ist nicht auf die Gnade eines Kurfürsten angewiesen wie Luther, sondern paktiert mit dem Rat der Stadt. Und spätestens seit seinen Disputationen mit den Vertretern des Bischofs hat er den Rat auf seiner Seite. "Die Zeiten ändern sich", sagt der Bürgermeister Röist dem Abgesandten des Bischofs. Die Auflösung der Klöster macht er dem Rat dadurch schmackhaft, dass die Stadt dann auch in den Besitz der Einnahmen käme - dafür aber auch die Armenspeisungen übernehmen müsste.

Ehefrau Anna als zweite Hauptfigur

Realpolitisch bleibt er auch in der Frage der Täufer, die unter anderem die Erwachsenentaufe praktizierten. Das gilt zu Zwinglis Zeiten noch als Sakrileg. Als sein Kampfgefährte Felix Manz in dem Fluss Limmat ersäuft wird, verhält Zwingli sich ruhig - was zum großen Streit mit seiner Frau Anna Reinhart (Sarah Sophia Meyer) führt, die er 1524 heiratete.

Man dürfe die Menschen nicht überfordern, sagt Zwingli. Wofür Anna kein Verständnis hat. Von Anfang an führt der Film Anna, die Witwe eines Söldners, als zweite Hauptfigur ein. Doch die Beziehung zwischen den beiden verliert er mitunter etwas aus den Augen, wie auch den Menschen Zwingli jenseits seiner Bedeutung als historische Figur. Der Bedeutung dieses Films tut das aber keinen Abbruch. In Deutschland startet "Zwingli - Der Reformator" am 31. Oktober in den Kinos.

Rudolf Worschech (epd)


Putin trifft Papst


Papst Franziskus hat Präsident Putin empfangen.
epd-bild/Vatican Media/Agenzia Siciliani
Zum dritten Mal hat Papst Franziskus den russischen Präsidenten Putin getroffen. Im Mittelpunkt des Gespräch standen Fragen des Umweltschutzes und der aktuellen internationalen Politik.

Papst Franziskus hat am 4. Juli den russischen Präsidenten Wladimir Putin in Audienz empfangen. Im Mittelpunkt des Gespräch standen Vatikanangaben zufolge Fragen des Umweltschutzes und der aktuellen internationalen Politik. Dabei sei es im Besonderen um die Ukraine, Syrien und Venezuela gegangen. Franziskus schenkte Putin unter anderem eine Medaille über das Ende des Ersten Weltkriegs. Er überreichte ihm zudem seine diesjährige Botschaft zum Weltfriedenstag.

Die einstündige Begegnung begann nach Angaben der offiziellen Internetseite "Vatican News" nach 14 Uhr. Damit kam Putin rund eine Stunde nach der geplanten Uhrzeit im Vatikan an. Es war die dritte Begegnung seit dem Amtsantritt des Kirchenoberhaupts 2013.

Putin traf den Papst im Rahmen eines eintägigen Rombesuchs, bei dem er überdies Gespräche mit dem Präsidenten und dem Ministerpräsidenten Italiens, Sergio Mattarella und Giuseppe Conte, führen wollte.



Anglikaner geben Richtlinien zum Umgang mit sozialen Medien heraus

Die anglikanische Kirche von England wirbt für einen ethisch angemessenen Umgang mit den sozialen Medien. Dazu veröffentlichte der Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, am 1. Juli in London Richtlinien. Diese sollen dabei helfen, beleidigendes Verhalten und irreführende Inhalte einzudämmen. Die "guidelines" richten sich in erster Linie an Kirchenmitglieder, verstehen sich aber auch als Anregung und Ermutigung für alle Briten. Mit einer Charta solle zudem eine positive Atmosphäre bei der Online-Kommunikation unterstützt werden.

"Die sozialen Medien haben unser Leben und unseren Alltag verändert", erklärte Erzbischof Welby, der auch das Ehrenoberhaupt von rund 80 Millionen Anglikanern weltweit ist. Er hoffe, dass die Kirche von England durch diese Richtlinien und die Charta sowohl Kirchgänger wie auch Skeptiker ansprechen kann. Welby gilt als einer der ersten namhaften religiösen Führungspersönlichkeiten, die Facebook und Twitter bei der Verkündigung der christlichen Botschaft einsetzen.



US-Studie: Auch Kirchgänger keine sehr fleißigen Bibelleser

In den USA nehmen sich selbst fromme Protestanten offenbar nicht immer Zeit zum Bibelstudium. Laut einer Erhebung des evangelikalen Forschungsinstituts "LifeWay Research" lesen 32 Prozent regelmäßiger evangelischer Kirchgänger täglich in der Heiligen Schrift. 27 Prozent "ein paarmal in der Woche", berichtete LifeWay am 2. Juli. Zwölf Prozent gaben bei der Studie an, nie oder fast nie in der Bibel zu lesen. Der Rest befasse sich einmal oder ein paarmal im Monat mit der Bibel, hieß es weiter.

Evangelikale Protestanten und schwarze Protestanten lesen den Angaben zufolge häufiger als Angehörige der sogenannten "Mainline"-Kirchen. Zu denen zählt man die Methodisten, Lutheraner, Anglikaner und Presbyterianer.

LifeWay hatte 2.500 protestantische Kirchgänger befragt. Nach Angaben der Amerikanischen Bibelgesellschaft besitzen 84 Prozent der US-Haushalte mindestens eine Bibel. 16 Prozent der Menschen lesen nach eigenen Angaben täglich darin, 14 Prozent mehrmals in der Woche, heißt es im Jahresbericht "State of the Bibel 2019".