Frankfurt a.M. (epd). Industrieroboter bei BMW in Südafrika, Arznei-Drohnen in Ghana, Sprach-Apps statt Call-Center in Indien: Die Digitalisierung schreitet voran und macht vor Entwicklungs- und Schwellenländern nicht Halt. Viele Herstellungsprozesse und Dienstleistungen werden schneller, produktiver, effizienter, billiger. Doch die Risiken für die Beschäftigten sind enorm, Millionen Jobs drohen wegzufallen. "Da entsteht ein riesengroßes Problem", sagt der Berliner Organisationsforscher Ayad Al-Ani, der zu Digitalisierung im globalen Kontext forscht.
Noch ist die menschenleere Textilfabrik Zukunftsmusik, aber womöglich nicht mehr lange. Und Sprachcomputer, Chatbots, machen bald Call-Center auf den Philippinen oder in Nordafrika überflüssig. Die Anwendung von Algorithmen ersetzt auch Business-Dienstleistungen, die aus Europa und Nordamerika nach Indien ausgelagert wurden.
"Digitale Dividende" nur für Wohlhabende
Der Hoffnung, die Digitalisierung werde allen Wohlstandsgewinne bringen, widerspricht die Weltbank. Nur wenige Menschen würden vom Einzug der Roboter und Algorithmen profitieren, heißt es im Weltbank-Jahresbericht von 2016. Die "digitale Dividende" fließe nur Wohlhabenden, Gebildeten und Einflussreichen rund um den Globus zu, denn sie könnten die neuen Technologien am besten nutzen. Obwohl die digitale Revolution auch einigen Entwicklungsländern gewaltige Fortschritte bei Effizienz und Produktivität ermögliche, müsse man aufpassen, dass keine neue Unterklasse entstehe, warnt der frühere Weltbank-Chefökonom Kaushik Basu.
Von künftigen "digitalen Tagelöhnern" spricht die Internationale Arbeitsorganisation (ILO). "Die technologischen Fortschritte - Künstliche Intelligenz, Automatisierung und Robotertechnik - werden neue Arbeitsplätze schaffen, aber diejenigen, die ihre Jobs verlieren, sind am wenigsten in der Lage, die neuen Chancen zu nutzen", erklärt die ILO-Kommission zur Zukunft der Arbeit.
Die Automatisierung wird auch in Billiglohnländern vollzogen werden, sagen Experten voraus. Nach Asien verlagerte Produktionen oder Dienstleistungen könnten wieder nach Europa oder die USA zurückgeholt werden. Die Adidas-Speedfactory im fränkischen Ansbach ist ein Beispiel dafür: eine Fabrik, die vollautomatisch Turnschuhe herstellt und rund um die Uhr laufen kann.
"Die Welle kommt erst noch"
Auch im Textilsektor wird eine Automatisierung erwartet, die die zu größeren Umbrüchen führen wird. "Die Welle kommt erst noch", ist Sven Hilbig von "Brot für die Welt" überzeugt. Eine ILO-Studie über fünf wichtigsten Staaten in Südostasien kommt zu dem Schluss, dass 60 Prozent der Arbeitsplätze in Hotel und Gastronomie, Handel, Bau und Produktion in den kommenden Jahren von Digitalisierung betroffen sein werden, 137 Millionen von 244 Millionen Beschäftigten. Die Jobs von Frauen und gering Qualifizierten sind am stärksten gefährdet.
Am größten sind demnach die Risiken für Vietnam, wo 70 Prozent der Jobs in Schlüsselbranchen bedroht sind. In Kambodscha könnten 500.000 Näherinnen arbeitslos werden, in Indonesien 1,7 Millionen Büroangestellte, in Thailand eine Million Verkäufer und Verkäuferinnen.
Noch fehlt ein wenig bis zur Lights-Out-Factory, der menschenleeren Textilfabrik, die selbst produziert, prüft und sich selbst überwacht, ohne dass Licht angemacht werden muss. Bisher schaffen die Maschinen, nur Bettlaken oder ähnliche einfache Stoffteile zu nähen. Aber in den USA wurde nun ein Nähroboter, ein Sewbot, vorgestellt, der ein T-Shirt nähen kann, für 33 Cents, billiger als jeder Beschäftigte in einem Billiglohnland.
Mit der Automatisierung verlieren Länder in Asien ihre Standortvorteile, wie Dennis Görlich vom Kieler Weltwirtschaftsinstitut erläutert. "Sicherheiten, wie eine große Zahl günstiger Arbeitskräfte, sind in der digitalisierten Industrie einfach kein Kriterium mehr", sagt er. Maschinen hätten noch den Vorteil, dass sie keine Gewerkschaften bildeten.
"Produktion rückt wieder näher zum Kunden"
Einfache menschliche Arbeit werde als Produktionsfaktor unwichtiger, die Fabrikation könnte daher aus Fernost zurück nach Europa oder Nordamerika geholt werden. "Die Produktion rückt wieder näher zum Kunden", sagt Görlich. "Es macht wenig Sinn, solche Fabriken in Bangladesch aufzustellen, wenn meine Kunden in Europa oder den USA sind."
Die Gefahr besteht, dass arme Ländern noch stärker abgehängt werden. Experten raten dringend, sich für einen Technologieschock zu wappnen und neue Branchen zu erschließen. "Die Länder sollten in die Ausbildung hoch qualifizierter Fachkräfte investieren, die in automatisierten Fabriken, allerdings in kleiner Zahl, gebraucht werden", empfiehlt Görlich und fügt hinzu: "Die Länder müssten versuchen, ihre Abhängigkeit vom Textilsektor zu lockern."