Kirchen

Dom zu Brandenburg zeigt Jubiläumsausstellung "500 Jahre Hochaltar"


Brandenburger Dom
epd-bild / Rolf Zöllner
Im Dom zu Brandenburg an der Havel wird anlässlich des 500-jährigen Bestehens seines Marienaltars eine Jubiläumsausstellung gezeigt. Dabei werden auch unterschiedliche Darstellungen der Maria in den Fokus gerückt.

Im Dom zu Brandenburg an der Havel ist anlässlich des 500-jährigen Bestehens seines Marienaltars eine Jubiläumsausstellung zu sehen. Neben dem in feinster gotischer Bildschnitztechnik gefertigten neun Quadratmeter großen Flügelaltar werden dabei auch unterschiedliche Darstellungen der Maria in den Fokus gerückt, etwa als unnahbare Himmelskönigin oder trauernde Mutter, teilte das Dommuseum mit. Zudem werden die gesellschaftlichen Umbrüche der Zeit um 1500 in der Präsentation "500 Jahre Hochaltar im Dom zu Brandenburg" thematisiert.

Zur Ausstellungseröffnung am 3. Mai verwies der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Markus Dröge, in einem Grußwort darauf, dass der Kirchenreformator Martin Luther (1483-1546) den Grundlagentext für eine evangelische Marienfrömmigkeit geschaffen habe. Maria sei zum Vorbild christlicher Demut und glaubender Gottesfurcht geworden. Mit Blick darauf führe die neue Sonderausstellung "die geistlichen Anstöße aus der Reformationszeit" fort, sagte Dröge.

Der Dom zu Brandenburg an der Havel verfügt über insgesamt acht Altäre. Der 1518 zunächst im Kloster Lehnin aufgestellte Marienaltar im Hohen Chor gelangte 1552 in den Dom.

In der Ausstellung werden in verschiedenen Themenräumen unterschiedliche Aspekte der Entstehungszeit und der späteren Geschichte des Altars in den Blick genommen. So zeigt der Raum "Mensch und Räumlichkeit" unterschiedliche Beispiele für architektonische Darstellungen, die perspektivisch nicht korrekt wiedergegeben sind, und stellt zugleich Dürers neue und strenge Prinzipien der perspektivischen Darstellung von 1525 vor. Der Raum "Stoffe in Gold und Öl" ist der Inszenierung luxuriöser Stoffe gewidmet.

Der Raum "Holzschnitzer und Stahlträger" zeigt Stationen der jüngeren Geschichte des Altars. So seien in Erwartung alliierter Luftangriffe auf Erlass des NS-Regimes der Altar und andere Kunstgüter Anfang der 40er Jahre mit aufwendigen Umbauten aus Holz, Stein und Stahl geschützt worden, hieß es. Bomben hätten den Altären deshalb keinen Schaden zufügen können, "dafür aber Schimmelpilze, wie man nach dem Krieg feststellen musste".

Ein umfangreiches Programm aus Konzerten, Sonderführungen, Kinderveranstaltungen und einer eigenen Predigtreihe begleitet die Jubiläumsausstellung.

Das Domstift Brandenburg ist die älteste Institution des Landes mit einer mehr als 850 Jahre währenden Tradition. Zu seinen Aufgaben gehören die Erhaltung und zeitgemäße Nutzung des umfangreichen historischen Gebäudeensembles aus Dom, Klausur, Kurien und Nebengebäuden. Mit Konzertreihen, Museum, Gottesdiensten und zwei evangelischen Schulen zieht der Dom zu Brandenburg den Angaben zufolge jährlich mehr als 60.000 Besucher an. Vor drei Jahren wurde das 850. Jubiläum der Grundsteinlegung des Doms gefeiert.



Klosterkapelle St. Marienthal nach Hochwasser saniert


Kloster St. Marienthal
epd-bild / Jens Trenkler

Acht Jahre nach der Hochwasserkatastrophe ist die Rokoko-Kapelle im ostsächsischen Kloster St. Marienthal für die Öffentlichkeit wieder zugänglich. Die umfangreiche Restaurierung einschließlich der Kuppelfresken sei nun abgeschlossen, teilte die Abtei Klosterstift St. Marienthal am 3. Mai in Ostritz (Landkreis Görlitz) mit. Die Deckenfresken seien zwar vom Hochwasser nicht direkt betroffen gewesen, allerdings wurden sie durch die hohe Feuchtigkeit in der Kapelle beschädigt.

Die gesamte Klosteranlage, darunter die Kreuz- und Michaelskapelle, war im August 2010 vom Hochwasser überflutet worden. Erst kurz zuvor war der Stuckmarmor in der Kapelle restauriert worden. Er sei nun bis zu einer Höhe von zwei Metern neu angefertigt worden, hieß es. Zudem wurden Arbeiten am Lüftungssystem vorgenommen. Die Äbtissin des Klosters St. Marienthal, Schwester Elisabeth Vaterod, will die Ergebnisse der Sanierung am Dienstag der Öffentlichkeit vorstellen.

Die Ausgestaltung der Klosterkapelle stammt aus dem Jahr 1755. Die Deckenfresken hatte Franz Xaver Karl Palko (1724–1767) gemalt. Er war unter anderem in Dresden als sächsisch-polnischer Hofmaler und in Prag und München als kurfürstlich-bayrischer Hofmaler tätig.

In der Klosterkapelle befindet sich auch die Gruft der im 19. Jahrhundert populären Opernsängerin Henriette Sontag (1806-1854). Sie war während einer Gastspielreise in Mexiko gestorben. Auf eigenen Wunsch fand sie ihre letzte Ruhestätte im Kloster Marienthal in Ostritz. Ihr Ehemann, der sardische Graf Carlo Rossi, wurde neben ihr beigesetzt.



Feldsteinkirche von Heinersdorf ist Dorfkirche des Monats

Die Feldsteinkirche von Heinersdorf (Landkreis Oder-Spree) ist Brandenburgs Dorfkirche des Monats Mai. Die ursprünglich aus dem 13. Jahrhundert stammende evangelische Kirche in dem Ort zwischen Fürstenwalde und Müncheberg ist heute eine Station des Brandenburger Jakobspilgerwegs, teilte der Förderkreis Alte Kirchen Berlin-Brandenburg am 30. April in Berlin mit.

In den vergangenen Jahren wurde nicht nur die zweimanualige Orgel der Firma Wilhelm Sauer aus Frankfurt/Oder von 1911 restauriert, sondern auch das Kirchengebäude weitgehend instandgesetzt. Den vorläufig letzten Bauabschnitt bilde in diesem Jahr die umfassende Renovierung des Innenraumes, hieß es.

Die Kirche werde regelmäßig für Gottesdienste, Taufen, Trauungen und Trauerfeiern sowie Konzerte genutzt. Ein Verein "Denk-Mal-Kultur Heinersdorf" sammle weiterhin Spenden für die Sanierung der Kirche und des ehemaligen Herrenhauses. Zudem organisiere der Verein Konzerte und andere Kulturveranstaltungen.

Der Förderkreis Alte Kirchen stellt seit einigen Jahren regelmäßig eine Dorfkirche des Monats in Brandenburg vor, um die Denkmäler in den Blick der Öffentlichkeit zu rücken.



Glocken mit Nazi-Symbolik auch in Thüringen und Sachsen-Anhalt

In Sachsen-Anhalt und Thüringen sind nach Angaben der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) sechs sogenannte Nazi-Glocken zu finden. Bis Ende März habe man etwa 90 Prozent der Glocken in den rund 4.000 Kirchen der Region dahingehend erfasst, teilte die EKM auf Anfrage der in Weimar erscheinende Mitteldeutschen Kirchenzeitung "Glaube+Heimat"(6. Mai) mit. Mit Rücksicht auf die Kirchengemeinden und der Vorbeugung eines "rechten Glockentourismus" würden die Standorte der betroffenen Glocken nicht bekanntgegeben, hieß es.

Drei der Glocken stammten aus der Apoldaer Glockengießerei "Franz Schilling und Söhne" und seien in den Jahren 1935 und 1937 hergestellt worden. Eine trage beispielsweise die Inschrift "Gegossen im zweiten Jahre der nationalen Erhebung unter dem Fuehrer und Kanzler Adolf Hitler". Daneben finde sich ein gebundener Kranz mit Hakenkreuz, berichtet die Kirchenzeitung.

Die mitteldeutsche Landeskirche habe ihren betroffenen Kirchengemeinden angeboten, die Inschriften und Symbole mit Bezug zur Nazi-Zeit auf Kosten der Landeskirche durch Abschleifen entfernen zu lassen. Zerstört werden sollen die Glocken nicht. "Die Entscheidung hierüber liegt allerdings bei dem jeweiligen Gemeindekirchenrat, da die Kirchengemeinde Eigentümerin der Kirche ist", so eine Sprecherin gegenüber der Kirchenzeitung.

Nach EKM-Angaben seien in einer Gemeinde die Nazi-Symbole bereits entfernt worden: Auf einer Bronzeglocke aus dem Jahr 1934, die ursprünglich Brustbilder von Adolf Hitler und Martin Luther auf der Flanke trugen, sei das Hitler-Bildnis unkenntlich gemacht worden. Die anderen Glocken sollen bis zur Zerstörung der Nazi-Symbole nicht öffentlich zugänglich sein, empfehle die Kirchenleitung in Erfurt.

Anders als im Bereich der EKM soll es in Mitteldeutschland aber keine weiteren Nazi-Glocken geben. Das hätten die Landeskirche Anhalts sowie die drei katholischen Bistümer Erfurt, Magdeburg und Dresden-Meißen gegenüber der Kirchenzeitung versichert. Auch auf dem Gebiet der Evangelischen Landeskirche Sachsens gebe es nach Angaben ihres Sachverständigen Rainer Thümmel keine derartigen Glocken. Nach Medienberichten sollen in etwa zwei Dutzend deutschen Kirchen noch Glocken mit Bezug zum Nationalsozialismus hängen.



"Kirche des Monats" steht in Berlin-Waidmannslust

Die "Kirche des Monats Mai 2018" steht in der Bundeshauptstadt. Die Königin-Luise-Kirche im Berliner Stadtteil Waidmannslust erhält zur Sanierung ihres Kirchturms 35.000 Euro, wie die Stiftung zur Bewahrung kirchlicher Baudenkmäler in Deutschland (Stiftung KiBa), am 2. Mai mitteilte. Die von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gegründete Stiftung KiBa fördert das Berliner Gotteshaus damit im Rahmen einer Projektspende.

Die monumentale Hallenkirche entstand den Angaben zufolge 1912/13 unter dem Protektorat der Kaiserin Auguste Viktoria. Das preußische Herrscherhaus subventionierte den Bau der mittelalterlich anmutenden Backsteinkirche. Erbaut wurde sie vom Architekten und königlichen Regierungsbaumeister Robert Leibnitz (1863-1929).

Die Kirche hätte nach dem Willen der Gemeinde eigentlich den Namen "Freiheitskirche" tragen sollen. Doch das, heißt es, habe das Konsistorium nicht gestattet, erklärte die Stiftung KiBa.

Der Sanierungsbedarf des Kirchengebäudes sei zuletzt immer größer geworden. Nachdem im vergangenen Jahr das gesamte Dach des Hauptschiffs instand gesetzt wurde, soll in diesem Frühling der knapp 42 Meter hohe Turm restauriert werden. Für diesen zweiten Bauabschnitt sind rund 234.000 Euro veranschlagt. Insgesamt belaufen sich die Sanierungskosten der Kirche demnach auf mehr als 485.00 Euro.

Für die Finanzierung der Maßnahmen erhält die Kirchengemeinde auch die Unterstützung des eigens dafür gegründeten Fördervereins. Dieser habe für den ersten Bauabschnitt bereits 80.000 Euro durch Spenden und Mitgliedsbeiträge zur Verfügung gestellt.

Die Stiftung zur Bewahrung kirchlicher Baudenkmäler in Deutschland ist eine Stiftung der EKD und der evangelischen Landeskirchen. Seit 1999 hat sie Zusagen für Sanierungsvorhaben in Höhe von 31 Millionen Euro geben können. Für dieses Jahr hat die KiBa bereits Förderzusagen über mehr als 1,4 Millionen Euro vorgesehen. Mehr als 3.400 Mitglieder engagieren sich bundesweit im "Förderverein der Stiftung KiBa".



Expertin: Kirche braucht kritische Presse


Johanna Haberer
epd-bild / mck
Medienexpertin Johanna Haberer will die christliche Publizistik zu einer kritischen Haltung der Kirche gegenüber ermutigen. Wenn immer nur ein Halleluja auf die Kirchen gesungen und geschrieben werde, sei dies "erwartbar und langweilig".

Die Medienexpertin Johanna Haberer hat die christliche Publizistik zu einer kritischen Haltung der Kirche gegenüber ermutigt. Wenn immer nur ein Halleluja auf die Kirchen gesungen und geschrieben werde, sei dies "erwartbar und langweilig", sagte die Professorin für Christliche Publizistik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg der evangelischen Wochenzeitung "Die Kirche" (6. Mai). Haberer ist zugleich eine von vier Herausgebern der "Kirche" sowie auch des "Evangelischen Sonntagsblatts" in Bayern.

Die Professorin für Christliche Publizistik sagte weiter, sie lese nur, "was sich reibt": "Und so wird die Kirchenpresse früher oder später an ihrer eigenen Langeweile sterben." Andererseits müssten aber auch die Kirchen verstehen, dass sie beides bräuchten, also Öffentlichkeitsarbeit und kritische Presse.

Haberer verwies darauf, dass die Unabhängigkeit der Kirchenpresse nach dem Zweiten Weltkrieg auch ein gutes Beispiel für andere Medien sein sollte: "Ihre Aufgabe war es, die Stimme zu erheben für die Stimmlosen, und diesen Menschen in der Debatte ein Gehör zu geben." In den fünfziger und sechziger Jahren habe die Kirchenpublizistik "noch echte Gewinne gemacht". In Westdeutschland betrug die Gesamtauflage sieben Millionen "und war kein Zuschussgeschäft wie heute".

Inzwischen gebe es jedoch eine gänzlich andere Medienlandschaft. Jeder könne sich heute als Christ im Internet äußern und seine Stimme erheben. Gleichzeitig werde die von der Kirche bezahlte Presse immer mehr ein Teil der Öffentlichkeitsarbeit der Kirchen: "Wenn das so weitergeht, unterscheidet die protestantische Presse nichts mehr von der katholischen", wo die Meinung des Bischofs zähle. Haberer warnte: "In dem Moment, als die Kirchenpresse von den Zuschüssen der Landeskirchen finanziell abhängig wurde, wurde sie langweilig."



Bischöfin: Religionsunterricht ist "Angebot für alle"


Bischöfin Ilse Junkermann
epd-bild / Peter Endig

Vor zu großen Erwartungen auf eine schnelle Einführung eines konfessionsübergreifenden Religionsunterrichtes haben die beiden großen Kirchen in Thüringen gewarnt. Bis dahin müssten nicht zuletzt auch verfassungsrechtliche Hürden aus dem Weg geschafft werden, sagten die Landesbischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), Ilse Junkermann, und ihr Katholischer Amtsbruder Bischof Ulrich Neymeyr auf dem Ökumenischen Religionslehrertag am 3. Mai in Erfurt.

Im Augustinerkloster der Landeshauptstadt berieten mehr als 100 evangelische und katholische Religionslehrer aus Mitteldeutschland über die Herausforderungen des Schulalltags sowie die Zukunft ihres Fachs. In Arbeitsgruppen standen Erfahrungen und Chancen aber auch die Hemmnisse eines gemeinsamen Religionsunterrichts beider Konfessionen im Mittelpunkt. Zu der Tagung unter dem Motto "Der Schatz der Konfessionen" hatten das Pädagogisch-Theologische Institut (PTI) von Evangelischer Kirche in Mitteldeutschland (EKM) und Evangelischer Landeskirche Anhalts, das Bistum Erfurt sowie das Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien (ThILM) eingeladen.

Man könne den Blick nicht vor den sinkenden Schülerzahlen verschließen, sagte Bischof Neymeyr. Diese Herausforderung lasse sich aus seiner Überzeugung aber weder durch die Zusammenlegung von katholischem und evangelischem Religionsunterricht noch mit der Beschäftigung von Seiteneinsteigern einfach aus der Welt schaffen. Neben dem Einsatz moderner technischer Mittel wie zum Beispiel der Erprobung von Online-Unterricht müsse man auch darüber nachdenken, wie mehr ungetaufte Kinder für das Fach begeistert werden können.

Unterstützung findet Neymeyr in dieser Frage bei Bischöfin Junkermann. Evangelischer wie katholischer Religionsunterricht seien ein "Angebot an alle" unterstrich sie. Schon heute würden viele konfessionslose Eltern ihre Kinder im Fach Religion unterrichten lassen, damit diese sich mit den Fundamenten von Kultur und Gesellschaft vertraut machen könnten, die ihre Wurzeln im Christentum haben. Schließlich habe auch der Staat ein Interesse daran, dass seine Bürger Kenntnisse über den Glauben und die Kirchen besitzen.

Neymeyr und Junkermann appellierten an die Eltern, sich mit Beschränkungen auf ein- statt zweistündiger Angebote oder dauernden Unterrichtsausfall, weil der Lehrer in seinem Zweitfach Vertretungen übernehmen müsse, nicht abzufinden. Ohne Widerspruch drohe das Fach, zur Planungsreserve der Schulen zu werden.

Gemeinsam gehe es jetzt im Dialog mit dem Bildungsministerium um erste konkrete Kooperationen und Modellversuche an den Schulen. Lehrer und Schüler sollen so der jeweils anderen Konfession begegnen können. Sie öffneten sich damit auch der Ökumene, zeigte sich PTI-Direktor Ekkehard Steinhäuser überzeugt. Auf einem solchen "konfessionssensiblen" könne dann ein "konfessionell kooperativer" Religionsunterricht aufbauen. Der ökumenische Religionslehrertag habe den Lehrkräften eine Gelegenheit eröffnet, dies schon einmal selbst auszuprobieren, so Steinhäusers erstes Fazit der Tagung.



Bischof Dröge: Nationalismus gefährdet Frieden

Der Berliner Bischof Markus Dröge sieht den zunehmenden Nationalismus in Europa als Bedrohung für den Frieden an. "Wer vor allem und zuerst an sich selbst denkt, ohne auch den Blick für die anderen zu haben, fördert nicht Frieden und Versöhnung", sagte Dröge am 5. Mai in Berlin im RBB-Hörfunk. Er sei besorgt über das Wiedererstarken nationalistischen Gedankengutes.

In letzter Konsequenz könne "eine solche Haltung wieder neu zu Spannungen und kriegerischen Auseinandersetzungen führen", sagte der evangelische Theologe mit Blick auf den 8. Mai, dem Jahrestag des Tages der Befreiung vom NS-Regime und des Endes des Zweiten Weltkrieges.

Dröge rief dazu auf, sich für den Versöhnungsgedanken in Europa stark zu machen. Dabei erinnerte er auch an den Aufruf der Synode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz Mitte April an alle Christen, sich für das Gelingen der europäischen Einheit zu engagieren.



Evangelische Frauen: Geschlechtergerechte Sprache ist überfällig

Die Evangelischen Frauen in Mitteldeutschland halten eine geschlechtergerechte Sprache in der Verfassung der mitteldeutschen Kirche für längst überfällig. In einer am 30. April in Halle veröffentlichten Erklärung heißt es, die sprachliche Gleichbehandlung der Geschlechter sei für eine erfolgreiche Gleichstellung von unerlässlicher Bedeutung. "Frauen nicht explizit zu erwähnen, schreibt eine Marginalisierung und Diskriminierung fort, die wir hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und ehrenamtliche Beiratsfrauen des Werkes Evangelische Frauen in Mitteldeutschland nicht mittragen."

Die Landessynode der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) hatte auf ihrer Frühjahrstagung im April im Kloster Drübeck im Harz ein Kirchengesetz zur Änderung der EKM-Verfassung und die damit verbundene Umschreibung in eine geschlechtergerechte Sprache abgelehnt. Das Gesetz scheiterte in dem Kirchenparlament mit nur einer Stimme an der notwendigen Zwei-Drittel-Mehrheit.

Aufgabe der Kirche sei es, sich gemäß des christlichen Auftrages in allen Lebensbereichen für die Verwirklichung von sozialer Gerechtigkeit einzusetzen, zu der auch die Gleichbehandlung der Geschlechter gehöre, erklärten die Evangelischen Frauen. Dass es, nachdem die Gleichbehandlung der Geschlechter gesetzlich verankert sei und geschlechtergerechte Sprachformen in weiten Bereichen der Gesellschaft längst allgemein gültige Praxis geworden seien, die sprachliche Gleichbehandlung "noch so vieler zermürbender Diskussionen bedarf", sei nicht nachvollziehbar, kritisierten sie. "Gerade in einer Kirche, in der das Wort einen so hohen Stellenwert genießt, wünschen wir uns eine erhöhte Sensibilität im Umgang mit Sprache. Dabei sind wir uns bewusst, dass sprachliche Veränderungen nur ein Teil der aus unserer Sicht notwendigen Gleichstellungsmaßnahmen sind, aber ein wichtiger."

Die Evangelischen Frauen in Mitteldeutschland mit Sitz in Halle sind ein unselbständiges Werk der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), dass die Frauen- und Genderperspektive in den innerkirchlichen Diskurs und die Gesellschaft einbringen will.



Bundestagsvizepräsident würdigt Aktion Sühnezeichen

Bundestagvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) hat das Hilfswerk Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF) anlässlich dessen 60-jährigen Bestehens gewürdigt. "Aktion Sühnezeichen hat eine Arbeit begonnen, die nie fertig wird", sagte Oppermann am 30. April im RBB-Inforadio. Er fügte hinzu: "Wir müssen die Vergangenheit wachhalten, aber eben auch zeigen in der Gegenwart, dass man durch Solidarität und durch friedliche Formen des Zusammenlebens eine gute Grundlage für die Zukunft schafft."

Oppermann, der als junger Mann selbst bei ASF als Freiwilliger gearbeitet hatte, sagte weiter, dass sein Engagement bei ASF für ihn ein Schlüsselerlebnis gewesen sei und seinen Wunsch, Politiker zu werden, maßgeblich beeinflusst habe. Er habe sich als Student im Rahmen seines ASF-Dienstes bei der amerikanischen Landarbeitergewerkschaft unter anderem für faire Löhne eingesetzt. "Da habe ich gelernt, dass sich soziale Gerechtigkeit nicht von selbst einstellt, sondern sie ist immer das Ergebnis politischer Einmischung und ich hatte beschlossen, mich fortan einzumischen", so Oppermann.

Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF) war vor 60 Jahren am 30. April 1958 auf der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) unter maßgeblicher Mitwirkung des NS-Widerstandkämpfers und evangelischen Christen Lothar Kreyssig gegründet worden. Ziel des christlich inspirierten Hilfswerks sind Frieden und Versöhnung. Mit Freiwilligendiensten, Bildungsarbeit und Kampagnen engagiert sich die Organisation gegen Antisemitismus, Rassismus und Geschichtsvergessenheit.

Dabei setzen sich jährlich mehrere hundert überwiegend junge Menschen in vielen Ländern Europas, den USA und Israel für die Begleitung von Holocaust-Überlebenden sowie für eine inklusive, vielfältige Gesellschaft ein. Seit Gründung von ASF haben sich den Angaben zufolge daran mehr als 10.000 ASF-Freiwillige beteiligt.

Das Engagement von Aktion Sühnezeichen bleibe nach wie vor aktuell, betonte Oppermann. Tausende Freiwillige seien für den Friedensdienst unterwegs gewesen, nicht nur um Deutschland in der Welt gut zu vertreten. Sie hätten auch interessante Impulse nach Deutschland zurück gebracht, erklärte der SPD-Politiker: "Und inzwischen hat Aktion Sühnezeichen auch amerikanische Juden, die nach Deutschland kommen, um unser Land kennenzulernen. Also es gibt jetzt auch Freiwillige in der Gegenrichtung. Für junge Leute ist Aktion Sühnezeichen nach wie vor unglaublich spannend."

Überzeugend sei für ihn besonders die Mission von ASF gewesen, sagte Oppermann. "Der Aufruf von Lothar Kreyssig war ja nicht auf Wiedergutmachung ausgerichtet, sondern wir wollten mit diesem Friedensdienst sozusagen symbolisch um Vergebung bitten, für das was Deutschland über die Völker Europas und insbesondere an den Juden an Leid verursacht hat." Zudem sollte damit ein Zeichen für eine friedliche, solidarische Gesellschaft gesetzt werden.

Zum 60-jährigen Bestehen stehen vom 25. bis 27. Mai in Berlin ein Gottesdienst, ein Festakt sowie ein Ehemaligentreffen von Aktion Sühnezeichen auf dem Programm. Bundesweit sind weitere Veranstaltungen geplant.



Herrnhuter Losungen für 2021 gezogen


Losungen
epd-bild / Matthias Weber
Die Losungen der Herrnhuter Brüdergemeine für das Jahr 2021 sind ausgelost. Für jeden Tag dieses Jahres seien aus rund 1.100 Bibelsprüchen Andachtstexte gefunden worden.

Die Losungen der Herrnhuter Brüdergemeine für den Jahrgang 2021 stehen fest. Für jeden Tag dieses Jahres seien aus rund 1.100 Bibelsprüchen Andachtstexte gefunden worden, teilte die evangelischen Freikirche am 3. Mai in Herrnhut mit. Die Ziehung für das berühmte Andachtsbüchlein habe am Mittwoch stattgefunden. Die Losungen der Evangelischen Brüder-Unität gibt es seit 1731 ununterbrochen in Buchform.

Erstmals gezogen wurden sie am 3. Mai 1728. Seither findet die Auswahl alljährlich um dieses Datum herum statt. In Deutschland hat das Andachtsbuch den Angaben zufolge eine Auflage von rund 800.000. Weltweit wird es in einer Auflage von etwa 1,5 Millionen und in 60 Sprachen verbreitet. Neben einer Smartphone-App ist auch eine Ausgabe für junge Leute erhältlich.

Die Evangelische Brüder-Unität - Herrnhuter Brüdergemeine ist eine evangelische Freikirche, die auf dem Gut des Grafen Zinzendorf im 18. Jahrhundert in der sächsischen Oberlausitz gegründet wurde. Eine wesentliche Wurzel hat sie in der Böhmischen Reformation, die durch Jan Hus im 15. Jahrhundert angestoßen wurde.

Bekannt ist die Brüdergemeine durch die Herausgabe der Losungen und den Herrnhuter Stern. Der Begriff "Losung" habe nichts mit Losen etwa in einer Glückslotterie zu tun, sondern trage die Bedeutung "Parole", hieß es. Für Christen seien die Texte demnach "ein Stichwort oder ein Impuls für den Tag".



Früherer Erfurter Propst Heino Falcke erhält Bundesverdienstkreuz

Der frühere Erfurter Propst Heino Falcke wird mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt. Der engagierte Pazifist und Vordenker der kirchlichen Friedensbewegung erhält die Auszeichnung am Mittwoch aus den Händen von Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke), wie die Staatskanzlei am 4. Mai auf epd-Anfrage mitteilte. Als eine der führenden Persönlichkeiten der kirchlichen Opposition in der DDR seien seinem mutigen Wirken entscheidende Impulse zu verdanken, die zur friedlichen Revolution beitrugen. Falcke kann sich damit über ein vorgezogenes Geburtstagsgeschenk freuen: Der gebürtige Westpreuße begeht am 12. Mai seien 89. Geburtstag.

Ramelow bezeichnete es "als ein großes Glück für Thüringen, aber auch für die anderen neuen Bundesländer", dass Falcke über viele Jahrzehnte in diesem Teil Deutschlands lebte und wirkte. "Er war der spiritus rector der Friedensbewegung, der ihr klug und weitsichtig entscheidende Denk- und Handlungsimpulse gab", erklärte der Ministerpräsident. Als Gewerkschafter gehörte Ramelow 1997 zusammen mit Falcke zu den Erstunterzeichnern der "Erfurter Erklärung", die sich für einen politischen Wechsel in Deutschland und eine rot-rot-grüne Regierungsübernahme einsetzte.

Mit seiner Gradlinigkeit habe Falcke mutlosen Menschen Hoffnung gegeben und darin bestärkt, gewaltfrei Kritik und Widerstand zu üben, hieß es weiter. Die evangelische Kirche verdanke seinem lebenslangen Wirken ein vertieftes Bewusstsein, Kirche von unten und "Kirche für Andere” zu sein.

Falckes in vielen Schriften festgehaltenen theologischen Impulse fänden in der ganzen Welt Gehör. Der Theologe sei ein Mahner, der nicht müde werde, den "verbesserlichen Kapitalismus" einzufordern, so wie er einst dazu aufrief, den "verbesserlichen Sozialismus" zu gestalten, erklärte Ramelow.

Heino Falcke studierte evangelische Theologie in Berlin, Göttingen und - auch als studentische Hilfskraft Karl Barths (1886-1968) - in Basel. Es folgten Promotion (1958) und drei Jahre später die Habilitation an der Universität Rostock. Über zwei Jahrzehnte - 1973 bis 1994 - leitete er als Propst den Sprengel Erfurt der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen. Falcke war Mitglied wichtiger nationaler wie internationaler Gremien. So brachte er 1983 in Vancouver auf der VI. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen den Antrag für ein Friedenskonzils ein.



Bischöfin Junkermann würdigt früheren Erfurter Propst Falcke

Der frühere Erfurter Propst Heino Falcke wird am 9. Mai in Erfurt mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Der Pazifist und Vordenker der kirchlichen Friedensbewegung erhält die Auszeichnung aus den Händen von Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke). Die Bischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, Ilse Junkermann, erklärte am 6. Mai in Erfurt, kaum jemand habe wie Falcke sein Leben lang - und besonders in der DDR-Diktatur - die frohe Botschaft von der Freiheit in Christus gelebt: "nüchtern, aufrecht und frei, unbestechlich, kritisch und selbstkritisch." Falcke habe vielen Menschen Orientierung und Mut gegeben. Insbesondere der ökumenische konziliare Prozess verdanke ihm wesentliche Impulse und Kraft bis heute, sagte Junkermann.

Die thüringische Staatskanzlei nannte Falcke einen der führenden Persönlichkeiten der kirchlichen Opposition in der DDR. Der gebürtige Westpreuße begeht am 12. Mai seien 89. Geburtstag.

Ramelow bezeichnete den Theologen als "spiritus rector" der Friedensbewegung. Als Gewerkschafter gehörte Ramelow 1997 zusammen mit Falcke zu den Erstunterzeichnern der "Erfurter Erklärung", die sich unter anderem für einen politischen Wechsel in Deutschland und eine rot-rot-grüne Regierungsübernahme einsetzte.

Heino Falcke studierte evangelische Theologie in Berlin, Göttingen und Basel. Er habilitierte sich an der Universität Rostock. Über zwei Jahrzehnte - 1973 bis 1994 - leitete er als Propst den Sprengel Erfurt der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen. Falcke war Mitglied wichtiger nationaler wie internationaler Gremien.



Dorfkirche Siethen zeigt Ausstellung über Geschichte des Altars

In der Dorfkirche Siethen bei Ludwigsfelde (Kreis Teltow-Fläming) ist am 6. Mai eine Ausstellung zur Geschichte zweier weitgereister Gipsreliefs vom Altar der Kirche eröffnet worden. Unter dem Motto "Rom - Brahetrolleborg - Siethen - Der europäische Kontext der Thorvaldsen-Reliefs in der Dorfkirche Siethen" wird über Herkunft und Verbreitung der aus Dänemark stammenden Altarstücke informiert, wie die Brandenburgische Gesellschaft für Kultur und Geschichte in Potsdam mitteilte. Die Ausstellung ist bis 1. Juli zu sehen.

Die Reliefs waren 1999 auf dem Dachboden des Tabea-Waisenhauses in Siethen bei Aufräumarbeiten entdeckt worden. Sie zeigen den Angaben zufolge Christus und Maria mit Kindern. Einst schmückten sie den 1851 errichteten Altar in der Dorfkirche. Die Reliefs sind Abgüsse von Darstellungen eines Taufsteins der Gutskapelle Brahetrolleborg auf der Insel Fünen in Dänemark. Geschaffen wurden sie vom Bildhauer Bertel Thorvaldsen zwischen 1805 und 1807. Zwei weitere Versionen des Taufsteins finden sich in Reykjavik und Kopenhagen, sowie in der Deutschen Evangelischen Kirche in Rom. Die europaweite Verbreitung dieser Darstellung spreche für die Bedeutung dieser Darstellungen, hieß es.

Die Ausstellung will die Verbindung zwischen den verschiedenen Orten herstellen und zeichnet die Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte des Reliefs nach. Die Schau ist ein Projekt im Rahmen des Themenjahres Kulturland Brandenburg 2018 "wir erben. Europa in Brandenburg - Brandenburg in Europa".



Brandenburger Dorfkirchensommer in neue Saison gestartet

Mit einem Festkonzert ist am 5. Mai in der Dorfkirche Groß Glienicke der "Dorfkirchensommer in Brandenburg" eröffnet worden. Bis Ende Oktober stehen mehr als 250 Veranstaltungen in zahlreichen Dorfkirchen des Landes auf dem Programm, darunter Ausstellungen, Feste, Lesungen, Führungen Gottesdienste und Konzerte. Zum Auftakt spielten Mitglieder des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin.

Der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Markus Dröge, nannte zur Eröffnung die vor mehr als 20 Jahren etablierte Veranstaltungsreihe eine Erfolgsgeschichte. Mittlerweile seien mit mehr als 1.400 Dorfkirchen in Brandenburg der Großteil dieser Kirchen restauriert und gesichert. Sie seien Zeugnis der Kunst- und Glaubensgeschichte des jeweiligen Ortes.

"Die Aussagekraft dieser Gebäude, ihre Sonderstellung gegenüber anderen Zeugnissen der Baukunst, muss bewahrt werden", betonte Dröge. Dabei dankte er den Initiatoren des Dorfkirchensommers und allen Ehrenamtlichen für das Gelingen. Die Veranstaltungen schafften einen Raum der Begegnung zwischen den Menschen, die in den Dörfern leben, und den Freizeitsuchenden, die nur vorübergehend nach Brandenburg kämen.

Zu den Highlights des Dorfkirchensommers zählt nach Veranstalterangaben unter anderem eine Lesung mit Alt-Bundespräsident Joachim Gauck am 25. August in der Dorfkirche Buckow (Kreis Märkisch-Oderland). Am 19. August diskutieren Dröge und sein katholischer Berliner Amtskollege, Erzbischof Heiner Koch, in der Dorfkirche Pessin (Kreis Havelland) über christliche Musik und Glauben in der Jetztzeit. Bereits am 9. Juni steht eine Bustour zu den Schlössern und Dorfkirchen in der Prignitz auf dem Programm.

Der Dorfkirchensommer in Brandenburg wurde 1996 von vier Berlinerinnen gegründet. Mit der Initiative wollen sie den Angaben nach auf den Wert der Dorfkirchen als Schätze und "Mittelpunkt des gemeinschaftlichen, kulturellen und spirituellen Lebens in Brandenburg" aufmerksam machen.



Oberlandesgericht: Kirchenasyl rechtlich nicht bindend


Paar im Kirchenasyl (Archivbild)
epd-bild / Stefan Arend
Das OLG München hat im Fall des "Freisinger Kirchenasyls" eine Anklage wegen illegalen Aufenthalts zurückgewiesen. Zugleich stellen die Richter fest: Kirchenasyl ist kein anerkanntes Rechtsinstitut.

Das politisch seit langem umstrittene Kirchenasyl bietet nach einem Urteil des Oberlandesgerichts München keinen rechtlichen Schutz vor einer Abschiebung. Das Gericht bestätigte zwar am 3. Mai den Freispruch eines Nigerianers, der im Kirchenasyl auf einen Aufenthaltsstatus in Deutschland hoffte und wegen illegalen Aufenthalts daraufhin angeklagt wurde. Das Kirchenasyl schütze aber grundsätzlich nicht vor einer Abschiebung und "verbietet dem Staat kein Handeln", betonte der Vorsitzende Richter Rainer Koch.

Das Gericht verwarf die Revision der Staatsanwaltschaft Landshut gegen den Freispruch, weil das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) sich zu einer nochmaligen Prüfung dieses Einzelfalls entschlossen habe, und nicht, weil der Mann Schutz bei einer Kirchengemeinde gesucht hatte. Die evangelische Landeskirche in Bayern erklärte, das Gericht habe die die christliche Tradition des Kirchenasyls anerkannt.

Rechtlich nicht relevant

Der Vorsitzende Richter unterstrich, Kirchenasyl sei kein anerkanntes Recht. Der Staat könne einen rechtskräftigen Abschiebungsbescheid jederzeit durchsetzen. Wenn er darauf verzichte, sei das eine bewusste und freiwillige Entscheidung der Behörden. Rechtlich gesehen sei das Kirchenasyl nicht relevant. Es bestehe "im historischen Sinne als gegenüber staatlichen Institutionen geltendes und zu beachtendes Recht nicht (mehr)".

In Bayern gibt es zum Thema Kirchenasyl zwei Abmachungen: Die eine ist die Zusage von Landesinnenminister Joachim Herrmann aus dem Jahr 2014, dass die bayerische Polizei bei Kirchenasylen "weder kirchliche Räume betreten noch gewaltsam Personen abführen" werde. Die zweite ist eine freiwillige Vereinbarung zwischen der evangelischen und der katholischen Kirchenleitung und dem Bamf vom 24. Februar 2015. Sie regelt bis ins Detail die Abläufe bei Kirchenasylen, von der sofortigen Meldung des Schutzsuchenden bei den Behörden über die Einreichung eines Dossiers bis hin zur nochmaligen Prüfung des jeweiligen Einzelfalls.

"Für unsere Beratungstätigkeit ändert sich nichts"

Aus einer solchen Einzelfallprüfung ergibt sich aber wiederum ein Rechtsanspruch auf Duldung. Das Aufenthaltsgesetz sehe vor, "einen vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer (…) entweder unverzüglich abzuschieben oder ihn (…) zu dulden", heißt es im Urteil des Oberlandesgerichts - und zwar solange, bis das Abschiebehindernis behoben ist. Als "inlandsbezogenes Abschiebehindernis" wertete das OLG im Freisinger Fall nicht das Kirchenasyl, wohl aber die erneute Einzelfallprüfung durch das Bamf. Für den Zeitraum dieser Prüfung habe der nigerianische Flüchtling Evans I. Anspruch auf Duldung gehabt - der Vorwurf des illegalen Aufenthalts sei somit nichtig.

Demnach kann sich ein rechtskräftig abgelehnter Flüchtling im Kirchenasyl befinden und trotzdem illegal in Deutschland leben und dafür strafrechtlich verfolgt werden - nämlich dann, wenn die Behörden keine erneute Einzelfallprüfung aufnehmen. Sobald der Fall eines Flüchtlings im Kirchenasyl von den Behörden erneut geprüft wird, könnte er auch in jeder anderen Wohnung leben - denn für diesen Zeitraum hat er Anspruch auf eine Duldung.

Die evangelische Landeskirche nahm das Urteil gelassen auf. "Für unsere Beratungstätigkeit ändert sich nichts", sagte der für Kirchenasyle zuständige Oberkirchenrat Michael Martin dem Evangelischen Pressedienst (epd). Man werde weiterhin versuchen, Kirchenasyle durch Beratung und andere Lösungswege zu vermeiden. Ziel sei in humanitären Härtefällen nicht, Recht zu brechen, "sondern dem Recht zum Recht zu verhelfen". Dass Kirchenasyl keinen Rechtstatus habe, sei bereits vor dem Urteil allgemeiner Konsens gewesen.

Landeskirche zuversichtlich

Mit Blick auf die rechtlich unverbindlichen Abmachungen mit der Staatsregierung zeigte sich Martin zuversichtlich: "Ich habe keinen Zweifel an der Zusage des bayerischen Innenministers, dass auch künftig Kirchenasyle nicht mit Polizeigewalt geräumt werden." Derzeit bieten 41 evangelische Gemeinden in Bayern 69 Flüchtlingen Kirchenasyl, darunter 16 Kindern. Deutschlandweit nennt die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft "Asyl in der Kirche" eine Zahl von 445 Kirchenasylen mit 674 Personen, das Bamf geht von derzeit 710 Menschen im Kirchenasyl aus.

Evans I. war 2014 über Italien nach Deutschland eingereist. Seinen Asylantrag lehnte das Bamf aufgrund der Dublin-III-Verordnung ab, im Februar 2016 ordnete es die Abschiebung in das Ersteinreiseland Italien an. Im Juli 2016 begab sich der 31-Jährige in den Schutz der katholischen Pfarrei St. Jakob in Freising, die das Kirchenasyl noch am gleichen Tag ans Bamf meldete. Im August 2016 bestätigte die Behörde, dass der Fall des Nigerianers nochmals geprüft werde. Die Anklage der Staatsanwaltschaft Landshut wegen illegalen Aufenthalts lehnte das Amtsgericht Freising mit Urteil vom 27. Oktober 2017 ab.



EKD-Ratsvorsitzender: Das Kreuz stellt weltliche Werte infrage


Heinrich Bedford-Strohm
epd-bild / Oliver Dietze
Die aktuelle Identitätsdebatte rund um die künftige Kreuz-Pflicht in bayerischen Behörden sollte auch als kritische Anfrage an die Kirchen verstanden werden, schreibt der oberste Repräsentant der deutschen Protestanten in einem Zeitungsbeitrag.

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, spricht sich für Bürokratieabbau und kürzere Entscheidungswege in der Kirche aus. Eine breite Beteiligung aller Interessierten sei gut, "aber für die Zahl der Gremiensitzungen bräuchte es so etwas wie eine Obergrenze, um mehr Zeit für die Kommunikation des Evangeliums in die Welt hinein zu haben", schreibt Bedford-Strohm in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (7. Mai). Gleiches gelte für den Umfang kirchlicher Regelungswerke und die Zahl der Genehmigungsvorgänge, fügte der bayerische Landesbischof in dem Gastbeitrag hinzu, in dem er darüber hinaus erneut Stellung bezog in der Debatte um die künftige Kreuz-Pflicht in bayerischen Behörden.

Aus Sicht Bedford-Strohms darf das Kreuz als christliches Symbol nicht vom Staat okkupiert werden. Es könne "nicht auf ein Zeichen einer erfolgreichen Kultur- und Beheimatungsleistung reduziert werden, sondern ist mindestens genauso das Zeichen einer zum Nachdenken bringenden Infragestellung aller weltlichen Werte," schreibt er. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) habe nach seiner Aussage, wonach das Kreuz nicht Zeichen einer Religion sei, reagiert und erklärt, dass es in allererster Linie ein religiöses Symbol sei, aber auch zu den Grundfesten des Staates gehöre. "Dass das Kreuz zuallererst eine religiöse Bedeutung hat, darüber scheint jetzt Konsens zu bestehen. Nur indem dies auch wirklich ernst genommen wird, kann es ja überhaupt eine öffentliche Bedeutung geben", argumentiert Bedford-Strohm.

"Kulturelle Demut"

Wenn das Kreuz in öffentlichen Gebäuden hängt, sollte es aus Bedford-Strohms Sicht an das Geheimnis der Erlösung durch Jesus Christus erinnern. Dazu zählten "die im Glauben gewonnene Freiheit, dem Nächsten zu dienen", und Humanität. Das Kreuz lehre eine "kulturelle Demut, die von den Irrwegen der eigenen Kultur weiß und daraus die Konsequenzen zieht".

Im Eingangsbereich aller bayerischen Dienstgebäude soll ab dem 1. Juni ein Kreuz hängen. "Das Kreuz ist grundlegendes Symbol unserer bayerischen Identität und Lebensart", begründe Regierungschef Söder den Kabinettsbeschluss im April und brachte unmittelbar im Anschluss in der Staatskanzlei in München ein Kreuz an.

Die aktuelle Identitätsdebatte sollte auch als kritische Anfrage an die Kirchen verstanden werden, schreibt der EKD-Ratsvorsitzende. Sie hätten die Aufgabe, den Sinn des Kreuzes öffentlich zu machen. Daraus schlussfolgert der oberste Repräsentant der deutschen Protestanten, dass kirchliche Reformbemühungen angesichts sinkender Mitgliederzahlen stärker als früher in "eine geistliche Erneuerung eingebettet sein müssen, in eine Besinnung auf glaubwürdige Sprache, tragende Frömmigkeit und ein klares Engagement für den Nächsten". "Wir müssen als Kirche ausstrahlen, wovon wir sprechen", forderte Bedford-Strohm.



Steinmeier sieht Kreuz-Pflicht in Bayern skeptisch


Frank-Walter Steinmeier
epd-bild / Andreas Schoelzel

Die Kreuz-Pflicht in bayerischen Behörden stößt bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf Skepsis. "Was uns sonntags in der Kirche fehlt, das wird das Kreuz in den Behörden eigentlich nicht ersetzen können", sagte der evangelische Christ Steinmeier am 6. Mai im "Bericht aus Berlin" laut Mitteilung des ARD-Hauptstadtstudios.

Steinmeier betonte, er sei nicht Schiedsrichter über die Entscheidungen, die in Bayern getroffen worden sind. Es gebe aber ein paar verfassungsrechtliche Maßstäbe, die man zu Hilfe nehmen könne, sagte der promovierte Jurist unter Verweis auf das Bundesverfassungsgericht. Dieses habe schon 1995 entschieden, dass das Kreuz den Wesenskern des Christentums symbolisiere. Es sei nach den Worten von Kardinal Reinhard Marx nicht vom Staat, sondern von der Kirche zu füllen.

Das bayerische Kabinett unter Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte im April die allgemeine Geschäftsordnung für die Behörden des Bundeslandes geändert. Im Eingangsbereich aller staatlichen Dienstgebäude muss ab 1. Juni als Ausdruck der "geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns" deutlich wahrnehmbar ein Kreuz als sichtbares Bekenntnis zu den Grundwerten der Rechts- und Gesellschaftsordnung angebracht werden. Die Kreuz-Pflicht sorgte für eine kontroverse Debatte.



Huber kritisiert Kreuz-Pflicht: "Jesus hat nicht im Westen gelebt"


Wolfgang Huber
epd-bild / Rolf Zöllner

Der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, beurteilt die Kreuz-Pflicht in Behörden in Bayern deutlich kritischer als der aktuelle Vorsitzende Heinrich Bedford-Strohm. So wie er früher gegen die Verbannung des Kreuzes aus dem öffentlichen Raum gewesen sei, sei er heute dagegen, dass es per staatlicher Verordnung in alle Behörden komme, sagte der Huber am 3. Mai in der "Phoenix Runde".

Deutschland habe eine religiös plurale Gesellschaft. Der Staat könne eine Religion fördern, "aber nicht auf Kosten anderer", sagte der Berliner Altbischof, der von 2003 bis 2009 EKD-Ratsvorsitzender war. Die bayerische Kabinettsentscheidung, nach der von Juni an in den Eingangsbereichen aller Landesbehörden ein Kreuz aufgehängt werden muss, bezeichnete Huber als "ausgrenzend". Genauso müsse dann dafür gesorgt werden, dass Kippa und Kopftuch ihren Platz hätten, sagte Huber.

"Keine westliche Religion"

Der evangelische Theologe kritisierte auch die Deutung des Kreuzes als Symbol der kulturellen Tradition Bayerns oder des Westens. Das Christentum sei keine westliche Religion, es sei nicht im Westen entstanden, argumentierte er: "Jesus hat nicht im Westen gelebt."

Es gebe einen Unterschied zwischen dem Kreuz als Machtzeichen und dem Kreuz als Zeichen der Ohnmacht von Jesus, der an diesem Kreuz gestorben ist, betonte Huber. Christen müssten dafür sorgen, dass diese Bedeutung des Symbols nicht zugedeckt werde. Die Kirche müssten auch Anwälte sein der historischen Erfahrung des Missbrauchs, der mit dem Kreuz betrieben wurde, sagte Huber.

Der EKD-Ratsvorsitzende und bayerische Landesbischof Bedford-Strohm hatte im Streit um das Kreuz keine direkte Kritik an Ministerpräsident Markus Söder (CSU) geübt. Er begrüßte grundsätzlich Kreuze im öffentlichen Raum, betonte aber, das Symbol sei durch seine Bedeutung auch Verpflichtung. Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Marx, kritisierte Söder und sprach von "Spaltung".



Schwuler Jugendwart verlässt sächsische Landeskirche

Der offen homosexuell lebende evangelische Jugendwart Jens Ullrich hat nach offenbar anhaltender Diskriminierung in Gemeinden im Erzgebirge die sächsische Landeskirche verlassen. Er sei am 29. April in einem Gottesdienst in Grünhain-Beierfeld verabschiedet worden, sagte Landeskirchensprecher Matthias Oelke am 2. Mai in Dresden dem Evangelischen Pressedienst (epd). Ullrich war seit 1999 im evangelisch-lutherischen Kirchenbezirk Aue (Erzgebirgskreis) als Jugendwart angestellt. Die Initiative zum Auflösen des Vertrages sei von ihm ausgegangen.

Ullrich war vor mehr als zwei Jahren von Gemeinden im Erzgebirge zum Teil mit einem Predigtverbot belegt worden, nachdem er seine Partnerschaft mit einem Mann bekanntgemacht hatte. 2017 sorgte der Fall des Jugendwarts für Schlagzeilen. In die Diskussion hatte sich auch Sachsens Gleichstellungsministerin Petra Köpping (SPD) eingeschaltet. Im Kirchenbezirk Aue sah sich Ullrich massiven Anfeindungen und Diskriminierungen ausgesetzt. Zur Region gehören etwa 30 Kirchgemeinden mit rund 38.000 evangelisch-lutherischen Christen.

Bedauern des Landesbischofs

Die Landeskirche habe "keine Ahnung, wohin er geht", sagte Oelke. Das habe Ullrich weder seinem bisherigen Kirchenbezirk noch der Kirchenleitung in Dresden mitgeteilt. Sachsens evangelischer Landesbischof Carsten Rentzing bedauerte Ullrichs Weggang. Er habe einen "großartigen Dienst" geleistet, sagte er dem epd. Zugleich räumte er Fehler ein, die "auf der Ebene der Kommunikation und des gegenseitigen Respekts liegen".

Ullrich steht beispielhaft für eine seit Jahren kontrovers geführte Diskussion über Homosexualität innerhalb der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens. Für die einen - sogenannte schrift- und bibeltreue Christen - sind gleichgeschlechtliche Paare mit der Bibel nicht vereinbar, für die anderen fehlt es in der Kirche an Toleranz und Fortschritt.



Evangelische Kirche und Linke kommen ins Gespräch

Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Linkspartei sind am 4. Mai zu einem Arbeitstreffen in Berlin zusammengekommen. Bei dem Austausch sei es um die Aufarbeitung der SED-Diktatur, Fragen von Staat und Religionsgemeinschaften sowie um die Bedeutung des gesellschaftlichen Zusammenhalts gegangen, teilte die EKD nach dem Treffen bei Facebook mit.

Es war das bislang hochrangigste Treffen zwischen EKD und Linken. Vonseiten der EKD nahmen unter anderem der Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm, der Berliner Bischof Markus Dröge und Vize-Kirchenamtspräsident Horst Gorski teil. Die Linke war unter anderem vertreten durch den Vorsitzenden der Bundestagsfraktion, Dietmar Bartsch, den stellvertretenden Parteivorsitzenden Axel Troost, die religionspolitische Sprecherin Christine Buchholz und den Landtagsvizepräsidenten in Sachsen-Anhalt, Wulf Gallert.

Offizielle Treffen, wie sie die EKD mit CDU, SPD und Grünen regelmäßig hat, gab es mit der Linken bislang nicht. Das Verhältnis war lange Zeit schwierig unter anderem wegen der Geschichte der Linken, die zum Teil aus der PDS als Nachfolgepartei der SED hervorgegangen war. Unter der SED-Diktatur wurden die Kirchen marginalisiert und Christen benachteiligt.

Die Gesprächsteilnehmer hätten am Freitag bekräftigt, dass vor dem Hintergrund der Glaubens- und Gewissensfreiheit die Aufarbeitung der Unterdrückung der Kirche in der DDR nicht enden dürfe, heißt es in der Mitteilung der EKD. Das Gespräch habe in "vertrauensvoller, offener Atmosphäre" stattgefunden. Der Austausch von Kirche und Politik sei von großer Bedeutung und solle fortgesetzt werden, heißt es darin weiter.

Das Verhältnis zwischen Kirche und Linker hatte sich in den vergangenen Jahren teilweise entspannt, auch wenn die Linke weiter dafür eintritt, die Beziehungen zwischen Staat und Kirche einzuschränken, etwa bei der Ablösung der sogenannten Staatsleistungen. Partei und Kirche sehen aber zunehmend auch Gemeinsamkeiten bei bestimmten Positionen, beispielsweise in der Sozial- und Flüchtlingspolitik.



Bedford-Strohm fordert differenzierten Umgang mit AfD-Anhängern

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, hat im Umgang der Kirchen mit der AfD und ihren Wählern mehr Differenzierung gefordert. Er wolle das Phänomen des Populismus nicht an drei Buchstaben festmachen, sagte der bayerische Landesbischof am 2. Mai in Berlin. Dahinter lägen unterschiedliche Probleme und Gruppen von Sympathisanten, erklärte er.

Bedford-Strohm nannte drei Gruppen, darunter Protestwähler und Konservative, die früher CDU oder CSU gewählt hätten. Mit beiden Gruppen müsse man das Gespräch suchen und über mögliche Problemlösungen reden, sagte er. Als dritte Gruppe sieht Bedford-Strohm Rechtsextreme. Sie nutzten die Partei, um Gedankengut wieder salonfähig zu machen, das nicht salonfähig werden dürfe. "Das ist gefährlich", sagte er und forderte von der Kirche gegenüber dieser Gruppe "klare Kante": "Da, wo die Intoleranz zum Programm gemacht wird, hört die Toleranz auf."

"Stetiges Einschüchtern"

Debatten um den Umgang mit AfD-Vertretern, die sich auch in Kirchengemeinden engagieren, und eine Nähe von theologisch-konservativen, evangelikalen Kreisen zu Positionen der AfD befeuern die Debatte um den Umgang der Kirche mit der neuen Kraft im Bundestag immer wieder neu. Die Kirche selbst wurde auch wiederholt zur Zielscheibe scharfer Kritik der AfD. Vertreter riefen sogar zum Kirchenaustritt auf.

Nach Angaben der Bischöfin der Kirche von Schweden, Antje Jackelén, ist das auch in dem skandinavischen Land nicht anders. In der Diskussion mit Bedford-Strohm berichtete sie über einen Reporter, der investigativ in einer sogenannten Trollfabrik recherchierte. Sein erster Auftrag dort sei es gewesen, der Kirche zu schaden. Die evangelische Kirche in dem Land sei mit sechs Millionen Mitgliedern die größte Organisation der Zivilgesellschaft. "Ihre Destabilisierung scheint attraktiv", sagte Jackelén. Es gehe nicht um großangelegte Angriffe, sondern stetiges Einschüchtern: "Wir stehen nicht direkt vor Wasserkanonen, sondern eher unter einem undichten Wasserhahn."

"Narrativ der Angst"

Jackelén warnte davor, dass durch sogenannte Postfaktizität auf Dauer Vertrauen verloren gehe. Menschliche Beziehungen, die Gesellschaften tragen könnten, setzten ein relativ hohes Maß an Vertrauen voraus. "Dass Lügen plötzlich lange Beine haben und der ertappte Lügner statt Scham zu zeigen mit Schamlosigkeit stolziert, ist im Grunde ein Angriff auf das gesamte menschliche Beziehungsgeflecht", sagte die Bischöfin.

Sie forderte die Kirchen auf, sich für Internationalität und Demokratie starkzumachen. Bedford-Strohm warb dafür, den Erzählungen von Populisten das Gegenteil entgegenzusetzen. Deren Narrativ sei das Narrativ der Angst, sagte er. Das sei ein Widerspruch zum christlichen Glauben, sagte Bedford-Strohm und zitierte den Bibelspruch: "Gott hat euch nicht gegeben den Geist der Furcht." Er forderte dazu auf, für Zuversicht, Freundschaft und Versöhnung zu werben und sich nicht auf die Angst vor einem "Kampf der Kulturen" einzulassen. Von Politikern forderte er, ihre Aufgabe "bedächtig, rational, aber auch empathisch" anzugehen.



Youtuberin: Kirche muss da sein, wo die Menschen sind


Jana Highholder
epd-bild / Jörn Neumann
Die 19-jährige Jana Highholder ist das Gesicht des Youtube-Kanals "Jana". In dem Experiment der Evangelischen Kirche von Deutschland (EKD) will die Youtuberin mit anderen jungen Menschen über den Glauben und das Leben ins Gespräch kommen.

"Wofür glauben? Ist es notwendig? Hat es irgendeinen Sinn?", fragt die junge Frau mit den blonden Locken auf einem gelben Sofa. Sie könne nicht erklären, warum "man" glauben sollte, erzählt sie auf dem Youtube-Kanal "Jana". "Aber ich kann und möchte euch erzählen, warum ich glaube." Mit dem Youtube-Kanal will die evangelische Kirche junge Menschen erreichen, die nach dem Sinn des Lebens fragen. Die 19-jährige Jana Highholder lässt das Publikum an ihrem Alltag als Slammerin, Medizinstudentin und Christin teilnehmen.

Ziel sei es, den "Gottesdienst zu den Menschen zu bringen", erzählt die Humanmedizin-Studentin in Münster, die bereits seit einigen Jahren unter ihrem Künstlernamen Jana Highholder als Poetryslammerin auf Bühnen und in den sozialen Medien präsent ist. Dazu müsse man dahin gehen, wo diese Menschen sind: "Und in meiner Generation sind das die sozialen Medien."

Der Youtube-Kanal wird im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gemeinsam vom Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) und der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland (aej) verantwortet. Das GEP ist das zentrale Mediendienstleistungsunternehmen der EKD. Die aej ist der Zusammenschluss der Evangelischen Jugend in Deutschland.

"Glaube findet nicht nur sonntags statt"

"Glaube ist für mich etwas Alltägliches, er findet nicht nur sonntags und nicht nur auf speziellen christlichen Veranstaltungen statt", erzählt Jana. Mit sechs Jahren hatte sie Leukämie. Da habe sie "ganz früh erfahren, dass das Leben nicht in meiner Hand liegt". Durch die Krankheit und ihre Überwindung habe sie einen dankbareren Blick auf ihr Leben bekommen. Das sei zwar Teil ihrer Geschichte. "Es ist aber nicht das einzige, worauf ich mich berufe, wenn ich sage, Gott hat sich in meinem Leben gezeigt."

Aufgewachsen ist Jana zusammen mit zwei Brüdern in Koblenz in einem christlichen Elternhaus. Auch ihre Poetry-Texte handeln oft vom Glauben. Die junge Frau ist in freikirchlichen Gemeinden engagiert, hat aber gegenüber der EKD keine Berührungsängste. Es gebe so viele Arten den Glauben zu leben, ist sie überzeugt: "Das sollte uns nicht spalten."

Neben Lebens- und Glaubensfragen lässt die Youtuberin unter der Rubrik "Jana vloggt" die Netzgemeinschaft auch an ihrem Leben teilhaben. Da zeigt sie, wie sie für ihre Klausuren lernt, wie sie für Poetry-Slams unterwegs ist oder einfach entspannt durch ihre Heimatstadt schlendert. Begleitend zum Youtube-Kanal ist Jana auch auf den sozialen Netzwerken Facebook und Instagram präsent.

Digitaler Aufbruch

Bei dem Projekt gehe es nicht darum, einen "Kirchenkanal" zu etablieren, sagt Thomas Dörken-Kucharz, der Beauftragte im GEP für Social Media, Funk und RTL. "Wir möchten ausprobieren, ob Glaube als Thema in den sozialen Medien funktioniert - mit einer Person verbunden, die dafür einsteht."

Für die Evangelische Kirche in Deutschland ist das Format ein Experiment: "Jana ist Teil einer Vielzahl von digitalen Aufbrüchen in der Evangelischen Kirche in Deutschland", erklärt die EKD. Dabei würden bewusst unterschiedliche Plattformen und Formate ausprobiert. Nach einem Jahr soll das Projekt evaluiert werden.

"Mit den Klicks liegen wir über den Erwartungen", freut sich Dörken-Kucharz. Die wöchentlich veröffentlichten Beiträge bei "Jana" haben rund 1.000 Aufrufe. Der Theologe Dörken-Kucharz ist bei der Aufzeichnung im Kölner Studio dabei und nimmt die geschnittene Fassung ab. Ihm ist aber wichtig, dass Jana, die mit ihrem Namen und Gesicht für das Projekt steht, dabei authentisch sein kann. Die Themenvorschläge werden vor der Aufzeichnung gemeinsam beraten. Jana überlege sich dann, wo der Beitrag hingehen könne, welche Geschichten ihr dazu einfallen.

Russische Bots

Auf Instagram oder Youtube erzählten einige User von ihrem eigenen Glauben oder stellten konkrete Fragen, berichtet Jana. Es gibt aber auch ätzende Kommentare und Beschimpfungen von Menschen, die anonym mit Religion und Kirche abrechnen wollen. Offenbar ist der Kanal sogar auch Ziel eines Angriffs von gesteuerten Computerprogrammen geworden: Innerhalb eines Tages hagelte es auf einmal 1.000 Negativbewertungen aus Russland, der Ukraine und anderen Ländern, wie Dörken-Kucharz berichtet.

Wie schafft sie es, ihr Medizinstudium, ihre Auftritte als Poetry-Slammerin und ihre Youtube-Aktivitäten unter einen Hut zubringen? Sie könne nicht etwas nur zu 25 Prozent machen, erzählt Jana Highholder. Die Aufgaben, denen sie sich verpflichtet fühle, sollten auch 100 Prozent ihrer Leistung bekommen. "Da muss ich bei anderen Dingen auch mal sagen, hier muss ich jetzt kürzer treten."

Von Holger Spierig (epd)


Thüringer Kitas erhalten 40.000 Euro von Stiftung

Die Stiftung Senfkorn der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) fördert in diesem Jahr Kindertagesstätten in Thüringen mit knapp 40.000 Euro. Insgesamt erhielten acht evangelische Einrichtungen eine Förderung, sagte eine EKM-Sprecherin am 2. Mai in Erfurt. Mit diesem Geld könnten die Kindergärten dringend notwendige Sanierungs- und Umbauarbeiten, den Kauf von Mobiliar sowie Fortbildungen von Erzieherinnen und Erziehern finanzieren.

Die Fördermittelbescheide werden nach Angaben der EKM in diesen Tagen jeweils vor Ort in den Einrichtungen übergeben. Die höchsten Fördersummen kämen mit je 10.000 Euro den Kindertagesstätten "Burgspatzen" in Ranis (Saale-Orla-Kreis) sowie "Unterm Regenbogen" in Zeulenroda-Triebes (Landkreis Greiz). Weitere Finanzhilfen gingen nach Jena, Eisenach, Endschütz (Landkreis Greiz), Gräfenroda, Wangenheim (beide Landkreis Gotha) und Bad Lobenstein (Saale-Orla-Kreis).

"Kinder brauchen besondere Orte zum Großwerden. Orte, an denen sie sich geborgen fühlen, an denen sie ungestört spielen und Freunde finden können", sagte Henrich Herbst, der Vorsitzender der Stiftung Senfkorn. Die evangelischen Kindergärten seien solche Orte. Deshalb unterstützte die Stiftung seit 17 Jahren die Einrichtungen in ihrer wertvollen pädagogischen Arbeit, so der Superintendent des Kirchenkreises Weimar.

Die Stiftung Senfkorn wurde im Jahr 2001 von der Thüringer Landeskirche - einer der beiden Vorläuferkirchen der EKM - gegründet und mit einem Vermögen von 300.000 Euro ausgestattet. Durch Zustiftungen belaufe sich das Vermögen derzeit auf knapp 4,1 Millionen Euro. Bisher seien 128 Evangelische Kindertagesstätten mit einer Fördersumme von mehr als 600.000 Euro unterstützt worden, hieß es.



Katholikentag unter dem Leitwort "Suche Frieden"


Katholikentags-Fahnen vor dem Dom in Münster
epd-bild / Friedrich Stark
Vom 9. bis 13. Mai 2018 findet in Münster der 101. Deutsche Katholikentag statt. Es wird wohl nicht nur ein frommes, sondern zugleich auch ein politisches Christentreffen. Erwartet werden zahlreiche Mitglieder des Bundeskabinetts.

"Suche Frieden": Unter diesem Leitwort steht der 101. Deutsche Katholikentag in Münster vom 9. bis 13. Mai. Fast 800 Mal erscheint das Wort Frieden in dem 680 Seiten dicken Programmheft. Auf Podien werden dazu Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erwartet. Das Christentreffen ist wie sein protestantisches Gegenstück - der Deutsche Evangelische Kirchentag - auch Forum für die großen Zeitthemen: Klimawandel, Flüchtlinge, Globalisierung, soziale Gerechtigkeit und Umwelt.

Das Thema Frieden hat im Jahr 2018 eine besondere Bedeutung: Vor 400 Jahren begann der verheerende Dreißigjährige Konfessionskrieg. Die Friedensschlüsse von Münster und Osnabrück 1648 beendeten die militärischen Auseinandersetzungen und schufen ein neues Gleichgewicht zwischen den europäischen Großmächten. Und 100 Jahre ist es her, dass der Erste Weltkrieg sein Ende fand.

Friede zwischen Religionen

"Angesichts der Kriege und Brandherde unserer Zeit lag die Aktualität dieses Themas auf der Hand", erklärt der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, bei der Vorstellung der Programmhöhepunkte. In Münster wird es Sternberg zufolge auch um die Suche nach dem Frieden zwischen Kulturen, Weltanschauungen und Religionen gehen.

Friede sei aber auch das Thema des alltäglichen Zusammenlebens, die Suche nach gesellschaftlichem Frieden, nach Frieden mit dem Nachbarn und Nächsten und nicht zuletzt "auch um den Frieden mit mir selbst", betont Sternberg: "In alter biblischer Tradition wird der Friede kombiniert mit der Gerechtigkeit; beide bedingen sich gegenseitig."

In Münster wird viel Politprominenz erwartet. Das Bundeskabinett ist nach Angaben der Veranstalter beim Katholikentag in Münster so stark vertreten wie selten zuvor. Kommen wollen rund die Hälfte von 16 Mitgliedern der Regierung zu Veranstaltungen und als Gesprächspartner für Podien. Mit Spannung erwartet wird eine Diskussion zur Haltung der Bundestagsparteien zu Kirche und Religion in Staat und Gesellschaft mit den religionspolitischen Sprechern der Parteien, darunter auch einem Vertreter der AfD-Fraktion. Hier könnte die Debatte um die Kreuz-Pflicht in Bayern eine Rolle spielen.

Streit riskieren

Die Diskussionen um den Frieden in Münster werden nicht langweilig, ist sich Holger Arning vom Seminar für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte der Uni Münster sicher: "Schließlich kommen hier wieder die unterschiedlichsten Gruppen zusammen, Politiker und Theologen, Soldaten, Militärseelsorger und Friedensbewegte, Vertreter der Hilfsverbände und viele andere", erklärte Arning in der Fachzeitschrift "Herder Korrespondenz" (Mai-Ausgabe).

"Fast alle verbindet, unabhängig von parteipolitischen Vorlieben, aber auch ein Grundkonsens, der auf den Lehren aus der Geschichte aufbaut", betonte Buchautor Arning: "Es geht ihnen um ein friedlich geeintes Europa, eine friedenssichernde Außen- und Entwicklungspolitik und den respektvollen Dialog der Religionen. Auf dieser Basis spricht nichts dagegen, auch in Münster ein bisschen Streit um den Frieden zu riskieren."

Ökumene

Auch das Thema Ökumene könnte nach dem harmonischen 500. Reformationsjubiläum im vergangenen Jahr für Irritationen sorgen: Nicht im offiziellen Programm, aber gewiss ein Gesprächsthema wird der Streit der katholischen Bischöfe über die Öffnung des Abendmahls für evangelische Ehepartner in Deutschland. Dies ist nicht nur ein innerkatholisches Thema.

Anfang April war bekanntgeworden, dass sich sieben Bischöfe unter Führung des Kölner Kardinals Rainer Maria Woelki mit einem Brief an den Vatikan gewandt hatten, in dem sie die Rechtmäßigkeit des Zugangs von protestantischen Ehepartnern zur Kommunion anzweifeln. Ende Februar hatte die Deutsche Bischofskonferenz mehrheitlich beschlossen, eine pastorale Handreichung für das Abendmahl von Ehepaaren unterschiedlicher Konfession auf den Weg zu bringen.

Zum Katholikentag in Münster werden mehrere Zehntausend Teilnehmer aus dem gesamten Bundesgebiet erwartet. Katholikentage werden vom ZdK in der Regel alle zwei Jahre an wechselnden Orten veranstaltet. Der 100. Deutsche Katholikentag fand 2016 in Leipzig statt, 2014 trafen sich die katholischen Laien in Regensburg, 2012 in Mannheim. Zuletzt in Leipzig waren 34.000 Dauer- und 6.000 Tagesgäste zusammengekommen.

Von Stephan Cezanne (epd)


Debatte um den Auftritt der AfD auf dem Katholikentag in Münster


Auf dem Kirchentag 2017 in Berlin diskutierte Bischof Markus Dröge mit der damaligen AfD-Politikerin Anette Schultner. Beim Katholikentag in Münster ist eine Veranstaltung mit dem AfD-Politiker Volker Münz geplant.
epd-Bild / Christian Ditsch
Dass die AfD auf den 101. Katholikentag eingeladen ist, ist eine Premiere. Zwar werden auf Katholikentagen traditionell nicht nur kirchliche Positionen vertreten. Doch in der Geschichte gab es immer wieder Gruppen, die man dort nicht haben wollte.

Meinungsvielfalt, Austausch, Streit: Dass all das zum Katholikentag gehört, ist in dem beinahe 700 Seiten starken Programm gleich ganz vorne zu lesen. "Beim Katholikentag ist es gute Tradition, dass kontroverse Themen auf den Tisch kommen", schreibt Thomas Sternberg, Vorsitzender der Katholikentagsleitung, in seinem Grußwort. Vor der Veranstaltung in Münster sorgt jedoch ausgerechnet die Frage nach dem rechten Maß an Kontroverse für Streit. Konkret ist es die Einladung eines AfD-Manns, woran sich die Debatte entzündet.

Dass die AfD auf einem Katholikentag vertreten sein soll, ist eine Premiere. Zu einer Diskussion zum Thema Staat und Religion seien Repräsentanten aller Parteien im Bundestag angefragt, hieß es im Februar seitens der Veranstalter. Jedoch nicht die Parteien als solche wolle man zusammenkommen lassen, wie Sternberg betonte, "sondern nur ihre kirchenpolitischen Sprecher". In der AfD-Fraktion ist das Volker Münz. Der Bund der Deutschen Katholischen Jugend und einige Theologen forderten daraufhin seine Ausladung - bisher ohne Erfolg. Der Katholikentag solle einer Partei, der unter anderem rassistische Tendenzen vorgeworfen werden, kein Forum bieten, argumentierten die Kritiker. Christsein und AfD passten nicht zusammen.

Kehrtwende

"Die Kritiker tun sich schwer mit der Kehrtwende, die die Katholikentagsleitung vollzogen hat", sagt Franz-Josef Bormann, Professor für Moraltheologie an der Universität Tübingen. "Eine Kursänderung ist immer eine Selbstkorrektur." Auf dem bisher letzten Katholikentag 2016 in Leipzig war die AfD noch unerwünscht. Doch seither ist vieles passiert. Schon auf dem evangelischen Kirchentag im Mai 2017 in Berlin fand eine Diskussion mit einer AfD-Politikerin statt, die inzwischen jedoch wieder aus der Partei ausgetreten ist. Und im September erhielt die AfD bei der Bundestagswahl knapp 13 Prozent der Stimmen. Seit sie jeden achten Wähler in Deutschland hinter sich weiß, ist die Partei keine gesellschaftliche Randerscheinung mehr.

Wenn es um Rassismus geht, solle man klare Kante zeigen, meint Bormann. Als Ethiker plädiere er jedoch dafür, mit Vertretern aller Parteien zu sprechen - so lange sich die Diskussion im Rahmen der Verfassung bewege. Die Entfernung der Positionen einer Partei zu denen der Kirchen kann seiner Meinung nach jedoch nicht das Kriterium für den Austausch sein: "Die FDP zum Beispiel war ja bisher auch eingeladen, obwohl sie in Fragen des Lebensschutzes ganz andere Positionen vertritt als die Kirche. Und die SPD will das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche abschaffen, mit ihr wird auch diskutiert." Bormann sieht die Aufgabe der Katholikentage auch darin, Meinungsvielfalt abzubilden.

Meinungsvielfalt abbilden

Ein Bestreben, das sich die Katholikentage in ihrer 170-jährigen Geschichte relativ spät zu eigen machten. "Erst in den 1990er Jahren setzte sich der Anspruch durch, Meinungsvielfalt abzubilden", sagt Holger Arning von der Universität Münster und einer der beiden Autoren des Buchs "Hundert Katholikentage". "Die Katholikentage standen bis dahin stets bestimmten kirchlichen und politischen Strömungen nah, sodass es auch Gruppen gab, die nicht erwünscht waren", erklärt er.

Dabei wechselten die Allianzen. Bis zur Weimarer Republik hätten die Katholikentage als Parteitagsersatz der gemäßigten Zentrumspartei gegolten. "In den frühen 1930er Jahren folgte die Herausforderung durch die Rechtskatholiken, die auf dem Katholikentag nationalistische und völkische Positionen vertraten", sagt Arning. Hier sieht er mögliche Parallelen zu dem geplanten Auftritt des AfD-Vertreters. Doch anders als früher seien Repräsentanten rechter Parteien heute nicht in die Organisation der Veranstaltung eingebunden.

Auch der Streit um die Anwesenheit bestimmter Parteien ist nicht ohne historische Parallelen. "1986 sah man davon ab, die Grünen einzuladen, die drei Jahre zuvor erstmals in den Bundestag eingezogen waren", berichtet Arning. "Nachdem die Grünen die Abschaffung von Paragraph 218 zum Schwangerschaftsabbruch gefordert hatten, hieß es, das Tischtuch sei zerschnitten." Die Grünen blieben auf den Podien außen vor.

Doch auch hier wiederholt sich die Geschichte nur ansatzweise: Volker Münz ist eingeladen. Und bisher hält er an seinem Auftritt fest.

Von Julia Lauer (epd)


Kommunionstreit: Papst fordert von deutschen Bischöfen einmütige Regelung


Der katholische Priester Hasenhüttl teilt im Mai 2003 mit der evangelischen Pfarrerin Enzner-Probst bei einem ökumenischen Gottesdienst in der Berliner Gethsemane-Kirche die Kommunion aus.
epd-bild / Norbert Neetz

Die katholischen deutschen Bischöfe sollen auf Wunsch des Papstes ihren Streit über die Öffnung der Kommunion für evangelische Ehepartner selbst beilegen. Franziskus habe sie aufgefordert, "im Geist kirchlicher Gemeinschaft eine möglichst einmütige Regelung zu finden", teilten der Vatikan und die Deutsche Bischofskonferenz nach Beratungen in Rom mit. Der Theologieprofessor Michael Seewald betonte am 4. Mai, der Papst habe damit dem Ansinnen der sieben konservativen Bischöfe nicht stattgegeben, die eine mehrheitlich beschlossene Handreichung zur Öffnung der Kommunion mit einem Brief nach Rom stoppen wollten.

Der Papst würdige das ökumenische Engagement der deutschen Bischöfe, erklärte der Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation, Erzbischof Luis Francisco Ladaria Ferrer, am 3. Mai nach dem Gespräch, an dem unter anderem der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, und der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki teilnahmen.

Umstrittene Handreichung

Ende Februar hatte die Bischofskonferenz mit mehr als Drei-Viertel-Mehrheit beschlossen, eine pastorale Handreichung für das Abendmahl von Ehepaaren unterschiedlicher Konfession auf den Weg zu bringen. Sieben Bischöfe unter Führung Woelkis wandten sich daraufhin mit einem Brief an den Vatikan. Sie bezweifeln, ob eine nationale Bischofskonferenz über die Frage des Kommunionempfangs konfessionsverschiedener Ehepartner entscheiden darf.

Der Dogmatikprofessor Seewald sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd): "Ganz offenbar folgt Rom nicht der Argumentation der sieben Bischöfe, die sagen, dass es hier um Fragen von Glaube und Einheit gehe, also um ganz zentrale Dinge." Der Ball sei ins Feld der Bischofskonferenz zurückgespielt worden. "Das ist erfreulich, weil nun theologisch und pastoral verantwortbare Lösungen gefunden werden können." Wie weit sich Rom künftig in diese Sache einschalten werde, gehe aus der "inhaltlich vagen Stellungnahme der Bischofskonferenz" aber nicht hervor.

"Pastoraler Spielraum"

Ob der Wunsch des Papstes nach einer einmütigen Lösung konkret auch eine Einstimmigkeit im Abstimmungsverhalten der Bischöfe impliziere, sei schwer zu sagen. Entscheidend sei aber, dass der Papst den "pastoralen Spielraum, den die Mehrheitsfraktion in der Bischofskonferenz eröffnen will, nicht geschlossen hat", sagte der Inhaber des Lehrstuhls für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster.

Nach Angaben der Bischofskonferenz wurden bei dem Gespräch im Rom die Beziehung der Frage der Öffnung der Kommunion zum Glauben und zur Seelsorge, ihre weltkirchliche Relevanz sowie ihre rechtliche Dimension erörtert. Das Treffen sei in einer herzlichen und brüderlichen Atmosphäre verlaufen, hieß es. Neben Marx und Woelki nahmen die Bischöfe Felix Genn (Münster), Karl-Heinz Wiesemann (Speyer), Rudolf Voderholzer (Regensburg) und Gerhard Feige (Magdeburg) teil. Sie trafen neben dem Präfekten der Glaubenskongregation, Ladaria, auch den Präsidenten des Einheitsrats, Kardinal Kurt Koch.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) will sich nun zunächst in Gesprächen "mit unseren katholischen Geschwistern" ein genaueres Bild über den Stand der Diskussion machen. "Wir freuen uns aber schon heute über die erneut deutlich gewordene Anerkennung für den ökumenischen Fortschritt in Deutschland", sagte ein Sprecher dem epd. "Es gilt, den Schwung des Reformationsjubiläum zu nutzen. Uns eint mehr, als uns trennt."

Das Verständnis des Abendmahls ist nach wie vor einer der größten Unterschiede zwischen Katholiken und Protestanten. An katholischen Abendmahlfeiern dürfen bislang in der Regel nur Katholiken teilnehmen.




Soziales

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Warten auf Justitia
epd-bild / Heike Lyding
Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum kirchlichen Arbeitsrecht sehen die evangelischen Landeskirchen in Ostdeutschland vorerst keinen Anlass für Änderungen ihrer Einstellungspraxis. Das ergab eine Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd).

Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum kirchlichen Arbeitsrecht sehen die evangelischen Landeskirchen in Ostdeutschland vorerst keinen Anlass für Änderungen ihrer Einstellungspraxis. Dies ergab eine Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) in den Kirchenverwaltungen in Berlin, Dresden, Erfurt und Magdeburg sowie Dessau-Roßlau. Der EuGH in Luxemburg hatte im April entschieden, dass kirchliche Arbeitgeber nicht pauschal und unbegründet eine Kirchenmitgliedschaft bei Bewerbern verlangen dürfen. (AZ: C-414/16)

Die überwiegende Mehrheit der Landeskirchen und ihrer Diakonien wollen zunächst die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) abwarten, an das der EuGH den Rechtsstreit zurückverwiesen hat. Das BAG-Urteil wird im Sommer erwartet.

In der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland werde ohnehin an einer Änderung der gültigen Loyalitätsverordnung gearbeitet, hieß es. Ob und wenn ja welche Auswirkungen die Entscheidung des EuGH auf dieses Verfahren hat, müsse nun juristisch überprüft werden. Dazu soll die Umsetzung durch das BAG abgewartet werden.

Auch in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) wird die EKD-Loyalitätsrichtlinie übernommen und nur in einzelnen Punkten für die Landeskirche konkretisiert. Erst nach einer rechtskräftigen Entscheidung des BAG stelle sich die Frage nach nötigen Änderungen, hieß es aus dem Berliner Konsistorium. In der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens werden keine weitergehenden Konsequenzen durch das EuGH-Urteil erwartet.

In der Evangelischen Landeskirche Anhalts wurde die 2005 in Kraft getretene Loyalitätsrichtlinie der EKD als anhaltisches Kirchengesetz übernommen. Die neue Loyalitätsrichtlinie vom Dezember 2016 wird indes noch diskutiert. Die neue Landessynode, die sich im Mai konstituiert, werde sich damit befassen, hieß es.

Wie die epd-Umfrage weiter ergab, wird in den Landeskirchen von bestimmten Berufsgruppen die Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche erwartet, etwa von Gemeindemitarbeitern in der Verkündigung, Kirchenmusikern und Küstern. Weil die Kirchenbindung in Ostdeutschland aber deutlich geringer ausfällt als in Westdeutschland, haben sich die hiesigen Landeskirchen und die nachgeordneten Bereiche ohnehin schon stärker für konfessionslose Mitarbeiter sowie für Mitarbeiter anderer Konfessionen und Religionen geöffnet. Dies gilt insbesondere für Bereiche, in denen viele Menschen betreut werden, die keiner christlichen Kirche angehören. Dazu gehören Pflegeheime, Kitas und die Jugendarbeit. Dabei erwarten Kirche und Diakonie von allen Mitarbeitern - auch jenen ohne Religionszugehörigkeit - die Achtung des christlichen Profils und des diakonischen Auftrags.

Bei der EKBO sind laut Konsistorialpräsident Jörg Antoine nur Mitglieder einer christlichen Kirche beschäftigt. Eine Statistik darüber, wie viele Mitarbeiter der evangelischen und wie viele einer anderen Kirche angehören, gebe es aber nicht.

Ein ähnliches Bild ergibt sich in der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland. Im Bereich der Landeskirche sei der Anteil der Nichtkirchenmitglieder unter den Beschäftigten "eher zu vernachlässigen". Anders sieht es bei der Diakonie Mitteldeutschland aus: So sind von den 30.000 Mitarbeitern mehr als die Hälfte (56 Prozent) konfessionslos. In der Gesamtbevölkerung Mitteldeutschlands liegt der Anteil der Konfessionslosen bei sogar 82 Prozent.

Im Gebiet der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens liegt die Kirchenbindungsquote bei 25 Prozent. Im Verkündigungsdienst werde allerdings eine Kirchenmitgliedschaft erwartet. In Bereichen wie Kindergärten und evangelischen Schulen müsse die überwiegende Anzahl und vor allem die Leitungsebene evangelisch sein. Anders sieht es allerdings auch in Sachsen im Bereich der Diakonie mit ihren Kindergärten und Pflegeeinrichtungen aus.

In der Evangelischen Landeskirche Anhalts arbeiten im kirchlichen Dienst der Kirchengemeinden und der Landeskirche zurzeit 370 Mitarbeitende im Angestelltenverhältnis und 65 Pfarrer und Beamte. Ein Sprecher betonte, im landeskirchlichen Dienst würden Mitarbeiter ohne Mitgliedschaft in einer christlichen Kirche in der Regel befristet für zwei Jahre eingestellt. In diesem Zeitraum könnten sie entscheiden, ob sie sich taufen lassen.



Behinderten-Parade in Dresden und Chemnitz

Mit einer "Parade der Vielfalt" haben am 5. Mai in Dresden und Chemnitz jeweils mehrere Hundert Menschen mehr Chancengerechtigkeit für Behinderte gefordert. Anlass war der Europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen am 5. Mai. Schwerpunktthema war in diesem Jahr die Mobilität. Unter anderem stand die geplante Erhöhung der Bahnsteige bei der Deutschen Bahn in der Kritik. Dies bedrohe den barrierefreien Einstieg bedrohe, wie Annette Heinich vom Verein Selbstbestimmt Leben Deutschland erklärte.

Sachsens Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange (SPD) erklärte bei den Kundgebungen, die gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft für Menschen mit Behinderungen müsse in einer aufgeklärten, demokratischen Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit sein. Die sächsische Landesregierung bekenne sich zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und arbeite mit einer Vielzahl von Maßnahmen an ihrer Umsetzung. Als Beispiele nannte sie die Hochschulen sowie den Kultur- und Museumsbereich. Stange betonte, das Thema Barrierefreiheit betreffe fast alle Bereiche. Die "Parade der Vielfalt" bezeichnete sie als eine Möglichkeit, Berührungsängste abzubauen.

In Dresden demonstrierten am Vormittag nach Veranstalterangaben bis zu 400 Menschen, darunter zahlreiche Rollstuhlfahrer, Blinde und Gehörlose. Sie zogen vom Postplatz zum Hauptbahnhof. Die Fortsetzung der "Parade" fand am Nachmittag in Chemnitz statt.

Um das Motto "Mobilität" mit Leben zu füllen und den öffentlichen Nahverkehr einem Alltagstest zu unterziehen, legten einige Rollstuhlfahrer den Weg von Dresden nach Chemnitz selbstständig mit der Bahn zurück. Auf dem Chemnitzer Neumarkt warte ein vielfältiges Programm mit Musik und künstlerischen Darbietungen auf die Besucher.



Ärzte fordern Maßnahmen gegen Fehlernährung

Ärzteorganisationen und Krankenkassen haben von der Bundesregierung wirksame Maßnahmen gegen Fettleibigkeit, Diabetes und Zahnkrankheiten gefordert. In einem am 2. Mai in Berlin veröffentlichten Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und mehrere Fachminister fordern sie unter anderem eine Sonderabgabe auf gesüßte Getränke, eine verständliche Lebensmittelkennzeichnung in Form einer Nährwert-Ampel sowie weniger an Kinder gerichtete Lebensmittelwerbung.

Es sei höchste Zeit, mit der Prävention ernst zu machen, heißt es in dem Offenen Brief der mehr als 2.000 Ärzte. Unterstützt werden sie von einem breiten Bündnis aus 15 Ärzteverbänden, Fachorganisationen und Krankenkassen. Initiiert wurde die Kampagne vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und von der Verbraucherorganisation Foodwatch.

"In Sachen Prävention ist Deutschland ein Entwicklungsland", erklärte Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte. Während andere Staaten in Europa im Kampf gegen Fehlernährung die Lebensmittelwirtschaft in die Pflicht nähmen, setze die Bundesregierung weiterhin auf freiwillige Vereinbarungen mit der Industrie. "Das ist die falsche Strategie", erklärte Fischbach.

Für klare gesetzliche Rahmenbedingungen zur Prävention sprach sich auch der Arzt und Entertainer Eckart von Hirschhausen aus. Dies würde allen helfen, gesünder zu bleiben. Seit Jahren werde "politisch gestritten und privat zugenommen". Es sei höchste Zeit für eine wirksame Zuckersteuer, konsequente Werbeverbote und eine sinnliche und humorvolle Vermittlung von Gesundheitskompetenz in den Schulen", sagte Hirschhausen.

Unterstützung gibt es auch von der Diakonie Deutschland. Eine ausgewogene Ernährung sei ein wichtiger Bestandteil, damit Kinder und Jugendliche gesund aufwachsen, sagte Diakonie-Präsident Ulrich Lilie in Berlin. In Kindergärten und Schulen müsse ein gesundes, kostenfreies Mittagessen zum Regelangebot für alle werden. Gerade für in Armut lebende Kinder sei gesunde Ernährung ein wichtiger Baustein für eine bessere Lebensperspektive, so Lilie.

Die Initiatoren der Kampagne verweisen dabei auf Zahlen des Robert-Koch-Institutes. Danach gelten 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland als übergewichtig oder fettleibig. Im Vergleich zu den 1980er- und 1990er-Jahren habe der Anteil übergewichtiger Kinder damit um 50 Prozent zugenommen, der Anteil adipöser Kinder habe sich verdoppelt. Die Anzahl der Diabetes-Erkrankungen stieg seit Beginn des Jahrtausend um etwa 38 Prozent, altersbereinigt um etwa 24 Prozent. Zur Zeit leben in Deutschland 6,7 Millionen Menschen mit Diabetes.



Lebensmittelverschwendung in Deutschland kritisiert

In Deutschland werden nach Angaben der Naturschutzorganisation WWF jährlich rund 18 Millionen Lebensmittel verschwendet. Das sei fast ein Drittel des aktuellen Verbrauchs von Lebensmitteln in der Bundesrepublik, erklärte der World Wide Fund For Nature (WWF) am 1. Mai in Berlin. Zugleich übt die Organisation mit einem Aktionstag daran Kritik.

So markiere der 2. Mai als "Tag der Lebensmittelverschwendung" symbolisch den Tag, "ab dem die für Deutschland produzierten Nahrungsmittel nicht mehr auf den Müll landen - sondern endlich verwertet und tatsächlich genutzt werden". WWF-Landwirtschaftsreferentin Tanja Dräger de Teran kritisierte, dass es in Deutschland bislang an einer fundierten Erfassung der Lebensmittelverluste fehle. "Wir brauchen endlich eine abgestimmte nationale Strategie zur Verminderung von Lebensmittelverlusten, die klare und verbindliche Zielvorgaben vom Produzenten über die Lebensmittelindustrie bis hin zum Handel und der Gastronomie erarbeitet", forderte sie.

Laut WWF werden jährlich 2,6 Millionen Hektar landwirtschaftliche Fläche bewirtschaftet, nur um die darauf angebauten Produkte wieder wegzuwerfen. Hinzu kämen unnötig freigesetzte Treibhausgasemissionen in Höhe von 48 Millionen Tonnen. Bereits heute könnten zehn Millionen Tonnen Lebensmittelverluste vermieden werden "durch ein verbessertes Management entlang der Wertschöpfungskette, nachhaltigere Marketingstrategien und veränderte Konsumgewohnheiten", erklärte die Naturschutzorganisation weiter.



Tafel-Vorsitzender fordert Engagement gegen Lebensmittelverschwendung

Der Tafel Deutschland e.V. fordert Maßnahmen gegen den achtlosen Verbrauch von Nahrungsmitteln. "Um das große Verschwenden aufzuhalten, brauchen wir nachhaltige Lösungen", sagte der Vorsitzende der Tafel Deutschland, Jochen Brühl, am 2. Mai in Berlin. Dazu könne die Abschaffung des Mindesthaltbarkeitsdatums ein erster Schritt sein. Weiter fordere die Tafel ein verpflichtendes Schulfach zur Ernährungsbildung, betonte Brühl.

Der Tafel-Vorsitzende äußerte sich anlässlich des "Tags der Lebensmittelverschwendung". Der 2. Mai markiert demnach den Tag, ab dem die für Deutschland produzierten Nahrungsmittel eines Jahres nicht mehr auf dem Müll landen. Das bedeutet, dass sich die in Deutschland pro Jahr weggeschmissenen Lebensmittel auf die Menge summieren, die zwischen dem 1. Januar und dem 2. Mai produziert werden.

Brühl sagte, würden nicht jährlich 18 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen, "könnte jede Tafel in Deutschland etwa 19.000 Tonnen zusätzlich an bedürftige Menschen verteilen". Die Nachfrage steige stetig, so dass die Tafeln ohnehin nur einen Teil der Bedürftigen erreichten, fügte Brühl hinzu. Den Angaben zufolge verteilen rund 60.000 ehrenamtliche Helfer der knapp 1.000 gemeinnützigen Tafeln bundesweit eingesammelte überschüssige Lebensmittel an bis zu 1,5 Millionen Menschen.



Essener Tafel erhält nach Aufnahmestopp für Ausländer mehr Spenden

Der kurzzeitige Aufnahmestopp für Ausländer an der Essener Tafel hat den Verantwortlichen einen Geldsegen verschafft. Seitdem im Februar die Entscheidung der Tafel bekanntwurde, seien der Einrichtung rund 50.000 Euro mehr an Spenden zugeflossen als im Vergleichszeitraum 2017, sagte der Leiter der Tafel, Jörg Sartor, dem "Zeit-Magazin". Es handle sich dabei vor allem um viele kleine Beträge, mit denen die Spender ihren Zuspruch für das Vorgehen ausdrücken wollten. Auf Banküberweisungen stünden vielfach Solidaritätsbekundungen wie "Durchhaltespende".

Bis Ende April sind beim Chef der Tafel den Angaben zufolge zudem mehr als 4.000 E-Mails von Bürgern aus ganz Deutschland eingetroffen, viele davon positiv. Die Absender äußerten überwiegend Sympathie für den Aufnahmestopp, wie es hieß.

Die Essener Tafel hatte bundesweit für heftige Debatten gesorgt, weil sie im Dezember den vorübergehenden Aufnahmestopp für Ausländer verhängt hatte. Als Grund nannte die Ehrenamtlichen-Organisation einen hohen Ausländer-Anteil unter den Bedürftigen. Alte Leute und Mütter mit Kindern fühlten sich durch junge ausländische Männer verdrängt und kämen seltener. Sartor hatte den Beschluss mehrfach verteidigt, auch gegen Kritik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Anfang April wurde der Aufnahmestopp wieder aufgehoben.



WHO: Drecksluft tötet sieben Millionen Menschen pro Jahr

Durch das Einatmen dreckiger Luft sterben laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) rund sieben Millionen Menschen pro Jahr. Die Regierungen müssten entschlossener gegen die tödliche Verschmutzung ankämpfen, forderte WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus am 2. Mai in Genf.

Seinen Angaben zufolge atmen neun von zehn Menschen weltweit Luft ein, die eine zu hohe Konzentration an Schadstoffen aufweist. Die verdreckte Luft gefährde alle Menschen, die Ärmsten seien aber besonders bedroht, betonte Tedros. Etwa 90 Prozent aller Todesfälle durch Schmutzluft seien in Entwicklungs- und Schwellenländern zu verzeichnen. Asien und Afrika seien die Brennpunkte der Krise.

Offenes Feuer

Rund drei Milliarden Menschen hätten keine Möglichkeit, in ihren Unterkünften ohne eine belastende Rauchentwicklung zu kochen, hieß es weiter. Das offene Feuer bei der Essenszubereitung trage wesentlich zu Millionen Todesfällen bei, die auf verschmutzte Luft in Wohnungen und Unterkünften zurückgingen.

Rund 4,2 Millionen Menschen sterben laut WHO hingegen durch verdreckte Luft, die sie im Freien einatmen. Industrieabgase und der Schadstoffausstoß durch Autos und andere Fahrzeuge tragen den Angaben nach erheblich zu den Todesfällen bei. Die Schmutzpartikel dringen laut der WHO tief in Atemwege, Lungen und das Herz-Kreislaufsystem ein.

Den Angaben zufolge verursacht verschmutzte Luft ein Viertel aller tödlich verlaufenden Herzerkrankungen bei Erwachsenen. Ein Viertel aller Schlaganfälle, knapp 30 Prozent aller Fälle von Lungenkrebs und 43 Prozent aller chronischen Lungenleiden lassen sich laut WHO ebenso auf verschmutzte Luft zurückführen.



Bsirske fordert Hartz-IV-Reform

Der Vorsitzende der Gewerkschaft ver.di, Frank Bsirske, fordert eine grundlegende Reform des Hartz-IV-Systems. Das Bundesverfassungsgericht habe klargestellt, dass Hartz IV das Existenzminimum abbilden müsse, sagte Bsirske der "Passauer Neuen Presse" (1. Mai). Da Hartz-IV-Leistungen aber durch Sanktionen gekürzt werden könnten, fielen die Betroffenen unter das Existenzminimum. "Das geht nicht", unterstrich Bsirske. Das "Kernstück von Hartz IV" - die Zusammenlegung von Arbeitslosenversicherung und Sozialhilfe auf dem niedrigeren Niveau der Sozialhilfe - habe sich nicht bewährt.

"Es ist allerhöchste Zeit, wieder eine Arbeitslosenhilfe einzuführen, die oberhalb des Sozialhilfeniveaus liegt", forderte der ver.di-Chef. Nur dann könnte es gerechtfertigt sein, Sanktionen gegen Erwerbslose zu verhängen, weil diese dann nicht unter das Niveau des reinen Existenzminimums rutschen würden. Die Wiedereinführung einer gesonderten Arbeitslosenhilfe sei "die notwendige Konsequenz aus dem Versagen des Systems", sagte Bsirske.

In der Diskussion um ein bedingungsloses Grundeinkommen warnte der ver.di-Chef vor Illusionen: "Das Grundeinkommen müsste bei rund 1.200 Euro pro Monat liegen, um halbwegs auskömmlich zu sein. Das allein würde eine Billion Euro pro Jahr kosten und das heutige Steueraufkommen glatt übersteigen." Ein auskömmliches bedingungsloses Grundeinkommen sei nicht finanzierbar, betonte Bsirske.

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) hatte jüngst mit seinem Vorschlag eines "solidarischen Grundeinkommen" eine Debatte über die Zukunft von Hartz IV angestoßen. Nach seinem Vorschlag sollen Arbeitslose künftig einen steuerfinanzierten Vollzeit-Job auf Mindestlohnniveau mit einem Nettoverdienst von 1.200 Euro im Monat angeboten bekommen. Die Annahme wäre freiwillig; wer ablehnt würde bei der bisherigen Grundsicherung bleiben.



MDR: Freie Schulträger fordern mehr Geld vom Land

Die Zahl der Thüringer Schüler an freien Schulen steigt. Derzeit lernten 17.650 Schüler an allgemeinbildenden Schulen in nichtstaatlicher Trägerschaft, berichtete MDR Thüringen unter Verweis auf das Landesamt für Statistik am 3. Mai in Erfurt. Das seien rund 700 Schüler mehr als im Schuljahr 2016/2017. Damit werde inzwischen etwa jeder neunte Schüler an einer freien Schule unterricht.

Einer MDR-Umfrage unter Schulträgern zufolge sind die Anmeldezahlen auch für das neue Schuljahr gestiegen. Laut Landesarbeitsgemeinschaft der freien Schulen liege die Nachfrage an einigen der betroffenen 101 allgemeinbildenden Schulen um das Zwei- bis Dreifache über dem Kontingent der vorhandenen Plätze. Vielerorts gebe es Wartelisten. Sprecher Martin Fahnroth zufolge, der auch die Schulabteilung des Bistums Erfurt leitet, wollten die Eltern, dass ihre Kinder in einem besonderen Schulklima individueller gefördert werden. Vielen seien auch christliche Werte wichtig.

Die Evangelische Schulstiftung in Mitteldeutschland habe die mangelnde Finanzhilfe des Landes kritisiert. Sie reiche nicht, um die tatsächlichen Schülerkosten zu decken. Den Anteil des Landes an der Finanzierung der Schulen bezifferte ihr Vorstandsvorsitzende Marko Eberl im Gespräch mit dem MDR auf rund 55 Prozent.

Im katholischen Bistum Erfurt decke die Finanzhilfe "knapp über 70 Prozent der laufenden Kosten", so Fahnroth. An der Bergschule in Heiligenstadt müssten deshalb die Eltern im kommenden Schuljahr mehr Geld zahlen. Der zu niedrige Fördersatz für die Gymnasien in den Klassenstufen fünf bis zehn müsse dringend erhöht werden. Die Schulträger forderten deshalb ein externes Schülerkostengutachten. Das halte das Bildungsministerium aber für unnötig.

In diesem Jahr zahlt das Land den freien Trägern von allgemeinbildenden Schulen nach MDR-Angaben rund 141 Millionen Euro. Das Bildungsministerium wolle bis Sommer kommenden Jahres prüfen, ob die Höhe der staatlichen Finanzhilfe angemessen ist. Die gesetzlichen Regelungen dafür liefen Ende 2020 aus.

Die Evangelische Schulstiftung in Mitteldeutschland als größte freie Trägerin unterhält 25 Bildungseinrichtungen an 15 Standorten in Thüringen und im südlichen Teil Sachsen-Anhalts. An den zwölf Grundschulen, zwei Regelschulen, sechs Gymnasien, einer Gemeinschaftsschule und vier Kindertagesstätten lernen im Schuljahr 2017/2018 nach Angaben der Stiftung 5.140 Kinder und Jugendliche. Sie werden von 620 Mitarbeitern betreut.



Brandenburgs Jugendliche trinken seltener Alkohol

In Brandenburg sinkt der Alkoholkonsum von Jugendlichen. Laut einer Befragung tranken 2017 rund 15 Prozent der Zehntklässler regelmäßig - das heißt mindestens einmal wöchentlich - Alkohol, teilte das Familienministerium am 3. Mai in Potsdam mit. Im Jahr 2005 habe der Anteil der regelmäßigen jugendlichen Alkoholkonsumenten noch bei 34 Prozent gelegen.

Parallel zu dieser Entwicklung sei auch der Anteil der Jugendlichen gestiegen, die bis zum Alter von 16 Jahren noch nie Alkohol getrunken hatten. An der vierten Befragung dieser Art hatten nach Ministeriumsangaben im vergangenen Jahr rund 11.000 Jugendliche teilgenommen.

Zugleich appellierte Brandenburgs Gesundheitsministerin Diana Golze (Linke) anlässlich der bevorstehenden Jugendfeiern in den kommenden Wochen an einen verantwortungsbewussten Umgang mit Alkohol. Erwachsen zu werden bedeute nicht nur, immer mehr Freiheiten zu bekommen, sondern auch Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. "Man darf zwar im Alter von 14 Jahren offiziell den ersten Alkohol in der Öffentlichkeit trinken. Aber beim Alkohol-Konsum gilt: Besser später als früher."

Immer mehr wissenschaftliche Studien zeigten, dass frühe Alkoholrausch-Erfahrungen bei Jugendlichen ein vermeidbares Risiko sind, betonte die Ministerin weiter. Eltern hätten dabei eine besondere Verantwortung, für Jugendliche Vorbild für den Umgang mit Alkohol zu sein.




Gesellschaft

Friedensforscher warnen vor neuem Rüstungswettlauf


Die Bundeswehr - hier in Mali - und ihre Militärausgaben sind auf Platz neun gelandet.
epd-bild / Bettina Rühl
Die Militärausgaben haben einen Höchststand seit Ende des Kalten Krieges erreicht, erklärte das Friedensforschungsinstitut Sipri. Deutschland liegt weltweit auf Platz neun.

Angesichts der höchsten Militärausgaben seit dem Kalten Krieg warnen Friedensforscher vor einem neuen Rüstungswettlauf. "Abrüstung ist das Gebot der Stunde", betonte ein Bündnis aus Wissenschaft, Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und Politik am 2. Mai in Berlin. Anlass der Mahnung ist der neue Bericht des Friedensforschungsinstitutes Sipri über weiter gestiegene globale Rüstungsausgaben im vergangenen Jahr - auf insgesamt rund 1,74 Billionen US-Dollar (1,43 Billionen Euro). Die "Top Five" waren dabei die USA, China, Saudi-Arabien, Russland und Indien. Deutschland folgte auf Platz neun.

Die Militärausgaben hätten damit einen Höchststand seit Ende des Kalten Krieges erreicht, erklärte Sipri in Stockholm. Im Vergleich zu 2016 steckten die Regierungen 1,1 Prozent mehr in die Militärausgaben, die insgesamt 2,2 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung ausmachten. Die fünf größten Rüstungsinvestoren steuerten 60 Prozent zu der weltweiten Summe bei. Die deutschen Ausgaben stiegen 2017 um 3,5 Prozent auf 44,3 Milliarden US-Dollar.

Stärkung ziviler Konfliktlösung

"Sipri liefert nur die Zahlen", rief der Co-Präsident des Internationalen Friedensbüros, Reiner Braun, zum Handeln auf. Es sei an der Politik und der Friedensbewegung, die notwendigen Konsequenzen daraus zu ziehen. Die Initiatoren des Aufrufs "Disarm! Don't Arm!" ("Abrüsten! Nicht aufrüsten") sprechen sich unter anderem für eine Stärkung ziviler Konfliktlösung aus. Zudem sollten die geplanten zusätzlichen Haushaltsmittel für die Bundeswehr besser in die öffentliche Infrastruktur, in Bildung, Wohnungsbau, Umwelt- und Klimaschutz sowie in die Entwicklungszusammenarbeit gesteckt werden.

Unterzeichner des Aufrufs sind unter anderen mehrere Nobelpreisträger, darunter die US-Chemiker Dudley Herschbach, Martin Karplus und John Polanyi, der US-Physiker Jack Steinberger, die jemenitische Menschenrechtsaktivistin Tawakkol Karman und die irische Friedensaktivistin Mairead Maguire. Mit Blick auf die in Russland gesunkenen Rüstungsausgaben forderte Braun neue Entspannungsinitiativen von Bundesregierung und Nato. In Russland gingen die Militärinvestitionen 2017 unter anderem aufgrund wirtschaftlicher Probleme um 20 Prozent auf 66,3 Milliarden US-Dollar zurück. Damit belegt das Land weltweit Rang vier.

USA geben am meisten aus

Nach wie vor sind die USA laut Sipri das Land mit dem größten Rüstungsetat. Die Ausgaben des Spitzenreiters blieben 2017 im Vergleich zum Jahr davor nahezu unverändert bei 610 Milliarden Dollar. Das entspricht einem Anteil von 35 Prozent der globalen Investitionen. China (Platz zwei) steigerte dem Bericht zufolge seine Ausgaben um 5,6 Prozent auf 228 Milliarden Dollar, Saudi-Arabien (Rang drei) um 9,2 Prozent auf 69,4 Milliarden Dollar und Indien (Platz fünf) um 5,5 Prozent auf 63,9 Milliarden US-Dollar.

In der Region Asien und Ozeanien wurde das 29. Jahr in Folge mehr in die Rüstung gesteckt. In den Staaten des Nahen Ostens, über die das Friedensforschungsinstitut Daten ermitteln konnte, stiegen die Investitionen 2017 im Schnitt um 6,2 Prozent. Außer Saudi-Arabien haben vor allem der Iran und der Irak deutlich aufgerüstet.

Indes gaben Staaten in Mittelamerika und der Karibik im vergangenen Jahr 6,6 Prozent weniger Geld aus. In Afrika fielen die Militärausgaben im Schnitt leicht um 0,5 Prozent.



Seehofer legt los


Horst Seehofer
epd-bild / Peter Roggenthin
Horst Seehofer hat aus dem Innenministerium eine Megabehörde gemacht, erweitert um die Bereiche Bau und Heimat. Nun präsentierte er seine Pläne. Die ersten Vorhaben drehen sich um ein klassisches Thema des Ressorts: die Flüchtlingspolitik.

Aus dem Streit ums Kreuz in seiner Heimat hält sich Horst Seehofer (CSU) raus. Bei seiner ersten größeren Pressekonferenz am 3. Mai in Berlin deutet er an, dass in seinem Büro wie bei seinem Amtsvorgänger Thomas de Maizière ein Kreuz an der Wand hängt. Auch verweist er auf die CSU-Statuten, nach denen sich die Partei am christlichen Menschenbild ausrichtet. Ansonsten gilt aber: "Ich werde zu Dingen, die im Zusammenhang stehen mit der Arbeit meines Nachfolgers nichts sagen." Als Bundesinnenminister hat Seehofer auch anderes zu tun, zumal nicht wenig. Migration, Sicherheit, Heimat und Bau fallen in seine Zuständigkeit, nachdem er das Innenressort erweitert hat. Er hat viel vor, machte er deutlich.

Am konkretesten vorangeschritten sind seine Pläne demnach im Bereich der sogenannten Anker-Zentren, in denen Asylverfahren von Flüchtlingen komplett abgewickelt werden sollen, und beim Familiennachzug. Am nächsten Mittwoch soll Seehofer zufolge das Bundeskabinett den Gesetzentwurf beraten, nachdem ab August monatlich 1.000 Angehörige von subsidiär Geschützten nach Deutschland kommen sollen. Für diese Gruppe von Flüchtlingen mit untergeordnetem Schutz hatte die vorhergehende große Koalition den Familiennachzug ausgesetzt. Betroffen sind vor allem Syrer.

"Zuständigkeitswirrwarr"

Seehofer zufolge sollen Innenministerium und Auswärtiges Amt die Auswahl für die Kontingente treffen. Auch das Bundesverwaltungsamt soll Unterstützung leisten. Pro Asyl fürchtet ein "Zuständigkeitswirrwarr", Willkür bei der Auswahl und eine Unterschreitung der Kontingentgrenze. Seehofer versicherte, in den ab August verbleibenden fünf Monaten dieses Jahres sollen 5.000 Angehörige kommen können, auch wenn in einem Monat die Zahl nicht erreicht wird. "Ab 1. Januar gilt uneingeschränkt monatlich 1.000", ergänzte er.

Die Anker-Zentren sind ein Baustein von Seehofers "Masterplan" für mehr Abschiebungen, den er nach mehrfacher Ankündigung bis Anfang Juni vorlegen will. Größtes Hindernis einer Abschiebung sei es, wenn Menschen schon lange in Deutschland lebten und Wurzeln geschlagen hätten. Deswegen sollen sie schneller erfolgen, nach Seehofers Plänen am besten direkt aus den Anker-Zentren heraus, sollte ihr Asylantrag abgelehnt worden sein.

Bis zu 18 Monate

Von der Registrierung bis zum Bescheid soll in den Zentren das komplette Asylverfahren abgewickelt werden. Junge Männer sollen dafür in der Regel bis zu 18 Monate dort bleiben müssen, sagte der zuständige Staatssekretär Helmut Teichmann. Familien sollen demnach nach sechs Monaten die Einrichtungen verlassen können.

In bis zu sechs möglichst gleichmäßig in Deutschland verteilten Einrichtungen soll das Prinzip Teichmann zufolge gestestet werden. Einige Bundesländer hätten als Standort für Pilot-Einrichtungen bereits Interesse bekundet, darunter Bayern. Im August oder September sollen bis zu sechs Einrichtungen an den Start gehen, die dann für ein halbes Jahr getestet und gleichzeitig evaluiert werden. Seehofer und Teichmann gehen davon aus, dass dann für den Dauerbetrieb der Einrichtungen Gesetzesänderungen notwendig werden. Die Pilotzentren würden aber auf der bestehenden Rechtsgrundlage eingerichtet und betrieben. Anders wäre der Start in diesem Jahr nicht möglich, erklärte Seehofer.

Seehofer erneuerte auch seine Zusage, die Deutsche Islamkonferenz weiter zu betreiben, ohne aber konkrete Details und Zeitpläne zu nennen. Nach Amtsantritt hatte er mit dem Satz "Der Islam gehört nicht zu Deutschland" in einem Interview für Furore gesorgt. Nun unterstrich er, dass er dabei auch die "notwendige Feststellung" getroffen habe, dass Muslime Teil der hiesigen Gesellschaft seien. Er wolle einen differenzierten Dialog, sagte der Innenminister.

Von Corinna Buschow (epd)


Anker-Zentren: Sachsen und Sachsen-Anhalt befürworten Seehofers Pläne

Aus CDU-geführten Bundesländern kommt Unterstützung für die geplanten Anker-Zentren für Asylbewerber. Kritiker solcher Massenunterkünfte befürchten aber, dass es dort zu mehr Frust und Gewaltbereitschaft kommen könnte.

CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer hat die SPD-Führung aufgerufen, Bundesländer mit sozialdemokratischer Regierungsbeteiligung zur Einführung sogenannter Anker-Zentren zu bewegen, um die Abschiebung von Asylbewerbern ohne Bleibeperspektive zu beschleunigen. "Für die SPD stellt sich hier eine Führungsfrage", sagte Kramp-Karrenbauer dem Berliner "Tagesspiegel" (7. Mai). Den Sozialdemokraten müsse klar sein, dass es um eine nationale Aufgabe gehe. Die CDU-geführten Länder Sachsen und Sachsen-Anhalt signalisierten unterdessen Unterstützung für die Pläne von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU).

"Man kann nicht von schnellen Verfahren reden und dann zulassen, dass das Vereinbarte von eigenen Länder-Verantwortlichen nicht umgesetzt wird", sagte Kramp-Karrenbauer. Zweck der Anker-Zentren sei es, schnell festzustellen, wer eine Bleibeperspektive habe und wer nicht. Ein Großteil der Asylbewerber habe keine Chance auf Anerkennung und müsse deshalb zurückkehren.

Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU), sagte der "Welt am Sonntag", er unterstütze Seehofer ausdrücklich dabei, mit den Bundesländern solche Zentren für ausreisepflichtige abgelehnte Asylbewerber zu entwickeln. "Auch um sicherzustellen, dass sich solche Szenen wie in Ellwangen nicht wiederholen", sagte er mit Blick auf den Polizei-Großeinsatz in der Flüchtlingsunterkunft in Baden-Württemberg. Wenn der Eindruck entstehe, "dass die Polizei die Sicherheitslage nicht im Griff hat oder vor einem Mob zurückschreckt, hat das fatale Folgen", warnte der Ministerpräsident.

In der Nacht zu Montag hatten in er vergangenen Woche rund 150 Bewohner der Landeserstaufnahmeeinrichtung in Ellwangen die Abschiebung eines 23-jährigen abgelehnten Asylbewerbers aus Togo zunächst gewaltsam verhindert. Am Donnerstagmorgen stürmte die Polizei die Flüchtlingsunterkunft mit einem Großaufgebot und nahm den Afrikaner fest. Der Einsatz sorgte für eine Diskussion über die Sicherheit in den geplanten Anker-Zentren.

Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) sagte der "Sächsischen Zeitung", der Freistaat werde bereits in der Pilotphase ein Ankerzentrum einrichten. In den von der Bundesregierung geplanten Anker-Zentren soll das komplette Asylverfahren von Flüchtlingen abgewickelt werden. Zunächst sollen im Rahmen einer Pilotphase bundesweit im Herbst bis zu sechs Zentren an den Start gehen. "Anker" ist die Kurzform für Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtung.

Der Staatssekretär im Bundesinnenministerium Helmut Teichmann sagte der "Bild am Sonntag": "Wir rechnen mit einem Bedarf von bundesweit 40 bis 50 Ankerzentren. Die Anzahl richtet sich nach den Zuwanderungszahlen und der Anzahl der Asylanträge." Geplant sind demnach Zentren mit jeweils bis zu 1.500 Flüchtlingen.

Auf Kritik stoßen die Pläne bei den Grünen. "Masseneinrichtungen sorgen für mehr Stress, der dann zu Überreaktionen führen kann", sagte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt der "Bild am Sonntag". Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU) sagte dem Blatt: "Ich halte die Kapazität von 1.000 bis 1.500 Flüchtlingen für zu hoch, da es bei dieser Größe viel Konfliktpotenzial geben könnte." Auch FDP-Generalsekretärin Nicola Beer sagte dem SWR, solche großen Zentren seien nur zu verantworten, wenn "die Verfahren ähnlich schnell sind wie in anderen Ländern".

Die nordrhein-westfälische Landesregierung befürwortet zentrale Aufnahmeeinrichtungen grundsätzlich. Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hatte am Freitag allerdings erklärt, dass über eine Beteiligung an den Anker-Zentren noch nicht entschieden sei. NRW-Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) sagte der "Welt" (Montag), es komme darauf an, ob es sich um reine Abschiebezentren handele oder ob die Einrichtungen zu einer deutlichen Verfahrensbeschleunigung beitrügen. "Wenn Letzteres der Fall ist, können wir uns vorstellen, uns entsprechend zu beteiligen."

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt wies Kritik an den Anker-Zentren zurück. "Deutschland ist doch heute das einzige Land, in das man leichter reinkommt als wieder raus", sagte er der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post" (Samstag). Einer solchen "Politik des Reinwinkens" habe der Koalitionsvertrag eine klare Absage erteilt.

Laut einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag der "Welt" befürworten mehr als drei Viertel der Deutschen (77 Prozent) die Anker-Zentren. 18 Prozent sprachen sich dagegen aus, fünf Prozent zeigten sich unentschlossen.



Diskussion über Asylunterkünfte nach Polizeieinsatz in Ellwangen

Nach dem Großeinsatz der Polizei in einer Flüchtlingsunterkunft im baden-württembergischen Ellwangen wächst die Kritik an den geplanten Anker-Zentren für Asylbewerber. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) befürchtet, dass sich organisierter Protest wie in Ellwangen wiederholen könnte, wenn viele Asylbewerber, denen die Abschiebung droht, in solchen Sammelunterkünften untergebracht werden. Auch die Diakonie Deutschland lehnt die Zentren ab.

Das Bundesinnenministerium wies unterdessen Befürchtungen zurück, die Anker-Zentren könnten weitere Fälle wie in Ellwangen provozieren. "Das sehen wir nicht so", sagte eine Sprecherin am Freitag in Berlin. Um die Sicherheit in den geplanten Anker-Zentren zu gewährleisten, hat Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) den Ländern Unterstützung durch die Bundespolizei angeboten. Am 3. Mai hatte Seehofer erste Pläne für die Einrichtungen, in denen Asylverfahren bis zur möglichen Abschiebung abgewickelt werden sollen, präsentiert. Im Herbst sollen seinen Plänen zufolge bis zu sechs Test-Einrichtungen an den Start gehen.

"Kein Wachpersonal"

Der GdP-Vorsitzende Oliver Malchow lehnte indes eine Bewachung von Anker-Zentren durch die Bundespolizei ab. "Wir wollen solche Zentren nicht bewachen. Wir sind ausgebildete Polizeibeamte und kein Wachpersonal", sagte er am 4. Mai im Bayerischen Rundfunk. "Wir wissen gar nicht, warum wir Menschen, die hier Asylanträge gestellt haben, bewachen müssen, ihnen also die Freiheit nehmen müssen", fügte Malchow hinzu. "Die Leute müssen beschäftigt werden. Sie dürfen da nicht rumlungern und nur verwahrt werden, das führt zu Aggressivität", warnte der GdP-Chef.

Auch der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, sagte der "Passauer Neuen Presse (Freitag): "Weder die Bundes- noch die Landespolizei verfügen über die personellen Kapazitäten, um solche Ankerzentren mit zu sichern." Der stellvertretende GdP-Vorsitzende, Jörg Radek, sagte "Focus Online": "Anker-Zentren machen es erst möglich, dass solche Strukturen und Dynamiken entstehen, wie wir sie jetzt in Ellwangen erlebt haben." Nötig seien hingegen mehr Polizisten, die sich um Rückführungen kümmern können.

"Explosiver Mix"

In der Nacht zum 30. April hatten rund 150 Bewohner der Landeserstaufnahmeeinrichtung in Ellwangen die Abschiebung eines 23-jährigen abgelehnten Asylbewerbers aus Togo zunächst gewaltsam verhindert. Am 3. Mai stürmte die Polizei die Flüchtlingsunterkunft mit einem Großaufgebot und nahm den Afrikaner fest. Er soll gemäß dem Dublin-Abkommen nach Italien als Erstaufnahmeland abgeschoben werden.

Die Diakonie forderte nach den Ereignissen in Ellwangen eine Abkehr von den Anker-Zentren, in denen Asylbewerber und abgelehnte Flüchtlinge leben sollen. "Dann sitzen dort Menschen, die auf der Suche nach Schutz vor Krieg und Verfolgung ihre Anhörung im Asylverfahren vorbereiten neben Landsleuten, die Tag und Nacht in Angst vor ihrer Abschiebung leben", sagte Präsident Ulrich Lilie. Ein solcher "explosiver Mix" von hochbelasteten Menschen berge jede Menge Sprengstoff für Konflikte. Lilie argumentierte, gerade der Rückbau der großen Aufnahmezentren im vergangenen Jahr habe zu einem spürbaren Rückgang der Straftaten in der Kriminalitätsstatistik geführt.

Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe, von einer Situation wie in Ellwangen gehe "kein gutes Signal aus". Er warnte zugleich vor pauschalen Forderungen nach konsequenter Abschiebung abgelehnter Asylbewerber. Zwar gebe es "definitiv ein Vollzugsdefizit bei Abschiebungen", sagte Günther. Aber das Problem sei sehr vielschichtig: "Abschiebungen treffen oft auch die Falschen." Als Beispiel nannte er Familien, "die seit Ewigkeiten in Deutschland leben und gut integriert sind". Vor diesem Hintergrund verteidigte er die Anker-Zentren: "Dort kann schnell entschieden werden, ob jemand eine Bleibeperspektive hat."



Kirchen kritisieren Gesetzentwurf zum Familiennachzug

Die Kirchen protestieren bei der Bundesregierung gegen deren Pläne zur Neuregelung des Familiennachzugs zu subsidiär geschützten Flüchtlingen. Dem Ziel, den Interessen betroffener Schutzberechtigter nach einer Familienzusammenführung entgegenzukommen, werde der Gesetzentwurf nicht gerecht, heißt es in einer Stellungnahme der evangelischen und katholischen Kirche, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt. Die Pläne berücksichtigten nur unzureichend den verfassungs-, völker- und europarechtlich verbürgten Schutz von Ehe und Familie, heißt es darin weiter.

Diesen rechtlichen Vorgaben werde ein Kontingent nicht gerecht. Noch dazu sei es "zahlenmäßig restriktiv bemessen", kritisieren die Kirchen. Die große Koalition will den Familiennachzug zu Flüchtlingen mit dem untergeordneten, subsidiären Schutz, der seit Frühjahr 2016 ausgesetzt ist, ab August wieder ermöglichen. Pro Monat sollen 1.000 Angehörige kommen können. Die Kontingentregelung schafft aber nicht wieder einen Rechtsanspruch auf Familienzusammenführungen, wie ihn die Kirchen fordern.

Seehofer kündigte am 3. Mai an, dass der Gesetzentwurf zum Familiennachzug voraussichtlich am 9. Mai vom Bundeskabinett beraten werden soll. Damit sei eine zeitgerechte Umsetzung mit den Beratungen in Bundestag und Bundesrat bis zum 1. August möglich.



Empörung über Dobrindts Attacke gegen "Anti-Abschiebe-Industrie"

Mit seiner Kritik an einer "Anti-Abschiebe-Industrie" hat der CSU-Landesgruppenvorsitzende Alexander Dobrindt empörte Reaktionen beim Koalitionspartner SPD und bei den Grünen hervorgerufen. Das Gerede über eine "Anti-Abschiebe-Industrie ist Quatsch", denn "den Abschiebungsgegnern, deren Ziele man begrüßen oder ablehnen kann, geht es nicht um Geld", sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs der "Welt" (7. Mai). Dobrindt betreibe den "verzweifelten Versuch, einige AfD-Wähler zurückzuholen", erklärte der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD. "Aber meist wählen die Leute das Original, nicht die Kopie."

Dobrindt hatte der "Bild am Sonntag" gesagt, durch Hilfsorganisationen und Anwälte, die sich auf Widersprüche gegen abgelehnte Asylanträge spezialisierten, würden "Bemühungen des Rechtsstaats sabotiert und eine weitere Gefährdung der Öffentlichkeit provoziert".

Göring-Eckardt: "Unsäglich"

Nach den Worten des SPD-Fraktionschefs im bayerischen Landtag, Markus Rinderspacher, betreibt Dobrindt mit solchen Äußerungen eine "gefährliche Politik der Spaltung". Er sei im bayerischen Landtagswahlkampf offenkundig "bereit, das geistige Volumen eines Donald Trump vollstens auszufüllen", sagte Rinderspacher der "Welt".

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt betonte, wenn sich "Bürgerinitiativen und Anwälte dafür einsetzen, dass es bei der Prüfung von Asylansprüchen korrekt und human zugeht, dann sind gerade sie es, die Recht und Ordnung hochhalten". Es sei "unsäglich", dass Dobrindt "solches Engagement verleumdet, um mit AfD-Parolen Bayern-Wahlkampf zu machen", sagte sie der Zeitung.

Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz ergänzte: "Wer die Anwendung von rechtsstaatlichen Mitteln pauschal verunglimpft, der versteht den Rechtsstaat nicht und verabschiedet sich in Richtung Rechtspopulismus." Dobrindt breche "mit der liberalen Rechtsstaatstradition, die Bayern und Deutschland in den letzten Jahrzehnten so erfolgreich gemacht hat".



Wenn Flüchtlinge versteckt werden


Proteste gegen Abschiebungen nach Afghanistan und Irak (Archivbild)
epd-bild / Ralf Maro
Mit dem "Bürgerasyl" wollen Aktivisten Flüchtlinge vor ihrer drohenden Abschiebung bewahren. Sie berufen sich dabei auf zivilen Ungehorsam. Ihr Vorgehen gilt als rechtlich umstritten.

Sechs Kinder hatte die Frau, alle gesundheitlich angeschlagen, und sie war als Angehörige der Roma-Minderheit vor Diskriminierung in Serbien geflüchtet. Zurück sollte sie trotzdem, einen Termin für die Abschiebung gab es schon. Also wurde sie versteckt, von mehreren Unterstützern in Freiburg, und das wochenlang. Die Behörden sollten sie nicht finden. Es gibt Menschen, die sagen: Das ist illegal. Andere sagen: Ja ist es, es ist aber auch notwendig – und nennen es "Bürgerasyl".

"Das Asylrecht ist ausgehöhlt und bietet keinen Schutz mehr. Das müssen nun Bürgerinnen und Bürger übernehmen", sagt Michaela Baetz, Sprecherin der Initiative Bürgerasyl Nürnberg-Fürth. Rund ein Dutzend solcher Gruppen gibt es mittlerweile in Deutschland, neben der in Nürnberg und Fürth etwa in Freiburg, Hanau, Stuttgart und Göttingen.

Beihilfe

Hier engagieren sich Menschen, die finden, dass deutsche Behörden zu oft und zu schnell abschieben – und die etwas dagegen unternehmen wollen, indem sie Flüchtlinge verstecken, denen die Ausweisung droht. Wie oft das bislang geschehen ist, darüber gibt es keine Zahlen – denn das, was die Befürworter Bürgerasyl nennen, ist für andere eine Straftat, die mit einer Geldbuße geahndet werden kann: "Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt".

Das ist auch der Grund, warum es schwer ist, jemanden zu finden, der von seinen Erfahrungen mit der Unterbringung eines Flüchtlings erzählt. Die Gruppe Nürnberg-Fürth ist noch relativ jung. Ihre Sprecherin Michaela Baetz erklärt, wie das Bürgerasyl vor Ort funktioniert: Sie konzentriert sich auf Menschen aus Afghanistan. "Afghanen sind an sich nicht schutzwürdiger als andere Flüchtlinge, aber die Situation in ihrem Land ist ganz offensichtlich so, dass sie eigentlich nicht zurückgeschickt werden können."

Rund 60 Unterstützer hat die Gruppe. Wie viele tatsächlich bereit sind, einen Geflüchteten aufzunehmen, kann Baetz nicht sagen. Aber klar ist, dass es immer losgeht, sobald eine Abschiebung bevorsteht oder sie vermutet wird: Dann wird der bedrohte Flüchtling beherbergt – reihum, von verschiedenen Menschen, solange, bis die Gefahr vorüber ist. Baetz sagt aber auch: "Wir wollen öffentlich machen, dass wir die gegenwärtige Abschiebepraxis nicht hinnehmen." Es gehe um zivilen Ungehorsam.

Skepsis bei Pro Asyl

Das Bürgerasyl ist umstritten. So hält es der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) für illegal, wie er in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der FDP klarstellte: "Personen, die dazu aufrufen, solche Straftaten zu begehen, können sich wegen Anstiftung beziehungsweise wegen der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten strafbar machen", heißt es dort.

Das wiederum bezweifelt Albert Scherr, Soziologe an der Pädagogischen Hochschule Freiburg: "Die Frage ist doch: Liest man Bürgerasyl als politische Meinungsäußerung, als zivilen Ungehorsam oder als Unterstützung einer strafwürdigen Aktion?" Letzteres sei zwar denkbar und für den Straftatbestand "Beihilfe zum illegalen Aufenthalt" kämen sogar Gefängnisstrafen infrage. Allerdings sei es unwahrscheinlich, dass Gerichte so urteilen würden: "Damit sind ja eigentlich Schlepper gemeint." Da es zum Bürgerasyl noch keine Rechtspraxis gebe, sei aber alles, was man darüber sagen könne, spekulativ, sagt Scherr.

Auch Organisationen der Flüchtlingshilfe stehen dem Bürgerasyl skeptisch gegenüber – gerade im Vergleich mit dem Kirchenasyl. So sagt etwa Bernd Mesovic, Sprecher von Pro Asyl: "Dem Kirchenasyl liegt ja eher die Idee einer Denkpause zugrunde, mit der man eine Abschiebung kurzfristig erst mal aufhalten will. Es handelt sich aber hier um keinen zivilen Ungehorsam, sondern eine Anerkennung des Rechtsstaats." Den Kirchen spricht er eine "moralische Sonderrolle" zu, beim Bürgerasyl vermisst er "eine weitergehende Handlungsperspektive".

Von Sebastian Stoll (epd)


Leitfaden zur Unterbringung von geflüchteten Frauen und Kindern

Bei der Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes Sachsen-Anhalt steht Frauen und Kindern ein besonderer Schutz zu. Dazu sei ein Leitfaden erstellt worden, der auch den Kommunen als Empfehlung dienen soll, teilte das Innenministerium am 3. Mai in Magdeburg mit. Der Leitfaden wurde gemeinsam mit Justiz-, Sozialministerium und Interessenverbänden erarbeitet.

Unter anderem sollen für allein reisende Frauen und Kinder in den Einrichtungen private Bereiche zur Verfügung stehen. Zudem sind die Anforderungen an die Ausbildung und Qualifikation des Betreuungs- und Wachpersonals festgelegt. Im Fall von Gewalt müssen Opferschutz und Opferhilfe gewährleistet sein, Hilfsangebote bekannt gemacht werden und traumatisierte Menschen entsprechende Betreuung erhalten.

Sachsen-Anhalts Innenstaatssekretärin Tamara Zieschang (CDU) sagte, etwa 15 Prozent der Menschen in den Landesaufnahmeeinrichtungen seien allein reisende und allein mit Kindern reisende Frauen sowie Kinder. Unabhängig von ihrem Bleiberecht müsse ihren besonderen Bedürfnissen Rechnung getragen werden. "Dazu sind wir nicht nur aus rechtlichen, sondern auch aus humanitären Gründen verpflichtet."



Flüchtlinge: Ehrenamtliche fordern mehr Unterstützung

Vertreter von Thüringer Flüchtlingsinitiativen haben Landesregierung und Landkreise aufgefordert, bessere Rahmenbedingungen für die Integration von Geflüchteten zu schaffen. "Die Erfahrungen des täglichen Engagements für und mit Geflüchteten zeigen, dass es in den Bereichen Unterbringung, Ausbildung und psychologische Hilfe dringenden Handlungsbedarf gibt", heißt es in einer Pressemitteilung zum Abschluss eines Treffens von mehr als 50 Vertretern Thüringer Flüchtlingsinitiativen am 5. Mai in Erfurt.

Sie forderten Politik und Verwaltung auf, "von den pauschalisierenden Debatten um Integrationsunwillige zurück zu konstruktiven Problemlösungen zu finden". Integration müsse gewollt sein und gefördert werden.

Philipp Millius von der Refugee Law Clinic und dem Netzwerk Refugees Welcome Jena erklärte, das Recht auf Wohnung und Privatsphäre sei ein Menschen- und Grundrecht. "Wir übernehmen da viel Verantwortung, wo hingegen Gesetzesänderungen und Nichthandeln dazu führen, dass Geflüchtete mit Bleiberecht oft in den Sammelunterkünften festsitzen." Er bemängelte die Diskriminierung Geflüchteter auf dem Wohnungsmarkt in Thüringen. Dies sei tägliche Realität.

Martin Arnold, Mitorganisator der landesweiten Vernetzung der Flüchtlingsinitiativen, sagte, "es ist zynisch, dass in der aktuellen Debatte pauschalisierend über den Integrationswillen Geflüchteter geredet wird, aber in vielen Sammelunterkünften der Landkreise die elementarsten Bedingungen eines gelingenden und menschenwürdigen Zusammenlebens nicht gegeben sind". Zudem seien die Hürden im Bildungs- und Ausbildungsbereich zu hoch und es fehle an Unterstützungsprogrammen wie Nachhilfe oder Lernmaterial in der Muttersprache. Viele Geflüchtete hätten daher keine Chance auf einen Ausbildungsplatz oder einen Abschluss.

Lilly Sommer vom Ilmenauer Flüchtlingsnetzwerk sagte, es gebe in Thüringen zwar viele nicht besetzte Ausbildungsplätze. "Aber bisher ist nicht genug passiert, um Geflüchtete erfolgreich in und durch die Ausbildung zu bringen." Außerdem forderten die Vertreter der Initiativen eine bessere medizinisch-psychologische Versorgung der Geflüchteten. Sie wie ihre Unterstützer würden "bei enormen Belastungssituationen und in der Aufarbeitung der Fluchtgeschichten zu oft allein gelassen", sagte Annegret Krüger vom Sprachcafe Erfurt.



Ganz normal

Ein Hotel im einstigen Pfarrhaus, Ausblick auf's Wasser - und sieben von 15 Angestellte mit Schwerbehindertenausweis: Leipzig hat ab sofort ein Integrationshotel. Auf Gäste wartet neben 29 Zimmern und stilvollen Tagungsräumen auch eine eigene Kirche.

Ein Geruch nach Neuem kitzelt in der Nase. Es riecht noch frisch gestrichen im Treppenhaus des Leipziger Philippus-Hotels. Gedeckte Grau- und Grüntöne dominieren die Wände, die mehr als 100 Jahre alten Holzstufen knarren bei jedem Schritt. Ganz oben, in der vierten Etage, dringt Vogelgezwitscher durchs Fenster: Das Haus liegt idyllisch am Ufer des Karl-Heine-Kanals. Auf der anderen Seite kein Ausblick - den versperrt eine Kirche.

Die wuchtige Nähe zum Gotteshaus ist eine der größeren Besonderheiten des Projektes, das hier in Plagwitz-Lindenau im Stadtwesten entstanden ist und am 3. Mai feierlich eröffnet wurde. Denn das Philippus-Hotel war einmal ein Pfarrhaus, erbaut 1910.

Die anderen Besonderheiten des neuen Hotels offenbaren sich subtiler. Etwa am Empfang, der zur Hälfte aus klassischem Tresen, zur Hälfte aus einem auf Hüfthöhe in der Luft schwebenden Brett besteht: Rollstuhl-gerecht. Oder beim Blick in die Duschen der insgesamt 29 Zimmer: stufenlos, ebenerdig - Rollstuhl-gerecht. Und wer ganz genau hinschaut, entdeckt vielleicht auch die zwei unscheinbaren Hörgeräte in den Ohren eines jungen Bediensteten.

Das Philippus-Hotel ist nicht nur vollständig barrierefrei - es ist Leipzigs erstes sogenanntes Integrationshotel. Um diese Bezeichnung tragen zu dürfen, müssen wenigstens 40 Prozent der Beschäftigten eine Behinderung haben. Im Philippus-Hotel sind es sieben von 15. Sie sind seh-, hör- oder gehbehindert, arbeiten im Service, in der Küche in der Reinigung und weiteren Bereichen.

2012 war das gesamte Ensemble mit Philippus-Kirche, Pfarrhaus und Gemeindesaal von der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens für kleines Geld in den Besitz des Leipziger Berufsbildungswerks BBW übergegangen. Vor knapp zwei Jahren starteten Umbau und Sanierung des Pfarrhauses, für rund 4,5 Millionen Euro. Neben einem Zuschuss der Aktion Mensch kam dafür vor allem das BBW selbst auf.

"Wir schaffen hier mit ziemlich großem finanziellem Aufwand Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung", sagt der Vorsitzende des BBW-Aufsichtsrats, Sönke Junge, zur Eröffnung. Das sei Inklusion, und Inklusion koste Geld, fügt er hin und unterstreicht: "Sie werden hier ein Hotel führen - ganz normal".

Das sei von Anfang an die Vision gewesen, betont Hauptgeschäftsführer Tobias Schmidt. Das Projekt sei in vielerlei Hinsicht integrativ und ohne Barrieren. Bis unter's Dach des denkmalgeschützten Gemäuers führt ein neu eingebauter Aufzug. Auf mittlere Frist will das Hotel auch Ausbildungsbetrieb werden.

Und schon während Sanierung und Umbau wurde gemeinnützig gearbeitet. Die alten Mauern des Hauses sorgen in beinahe jedem Zimmer für einen individuellen Zuschnitt, das machte Sondereinbauten nötig. Schränke, Schreibtische, auch der Rollstuhl-gerechte Empfangstresen wurden in der Behindertenwerkstatt der Diakonie Thonberg gefertigt.

Als weiterer Trumpf schlummert nebenan die Kirche. Auch ihr Innenraum wird gerade saniert, bestenfalls innerhalb eines Jahres. Sie ist noch gewidmet, steht aber seit Jahren leer. Ein Förderverein hat sie reaktiviert, seitdem finden regelmäßig Kulturveranstaltungen statt, Konzerte, auch eine Kooperation mit dem Gewandhaus besteht. Ist das Gotteshaus erst einmal saniert - wer weiß, was noch hinzukommt.

Ein Selbstläufer wird all das dennoch nicht. Die Boom-Stadt Leipzig habe nicht gerade auf noch ein weiteres Hotel gewartet, weiß Schmidt. Trotzdem habe man bewusst ein Hotel aufgemacht, "weil es eine besondere Plattform ist, Integration und Inklusion umzusetzen und zu überzeugen, dass es auch funktioniert".

Ob es funktioniert, davon kann sich ab sofort jeder selbst überzeugen - für 69 Euro die Nacht im Einzelzimmer und zehn Euro mehr im Doppelzimmer, jeweils inklusive Frühstück. Außerdem bietet das Haus Tagungsräume für 20 bis 70 Personen an. Für Feiern zu Hochzeit oder Taufe kann Catering bestellt werden.

Der Anfang sei vielversprechend gewesen, berichtet Hotelleiterin Marlene Schweiger: "Die letzten drei Wochen waren wir schon ausgebucht." Eine Tagung war zu Gast im Hotel, quasi als Testlauf vor der Eröffnung. Alles ging gut. Doch am Ende muss sich wohl auch Leipzigs erstes Integrationshotel schlicht am Markt behaupten. Ganz normal.

Von Johannes Süßmann (epd)


Bundesregierung will Soforthilfe für Terror-Hinterbliebene erhöhen

Die Bundesregierung will die Soforthilfe für die Hinterbliebenen von Terroropfern verdreifachen. "Der Anschlag vom Breitscheidplatz im Dezember 2016 hat gezeigt, dass gerade hier viel verbessert werden muss", sagte der Opferbeauftragte der Bundesregierung, Edgar Franke (SPD), der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post" (30. April).

Eine pauschale Soforthilfe von 10.000 Euro für den Verlust eines Kindes, eines Elternteils oder des Ehegatten beziehungsweise 5.000 Euro für den Verlust der Schwester oder des Bruders sind nach Ansicht des Opferbeauftragten zu wenig. "Ziel ist es, diese Härteleistungen für diese Hinterbliebenen von 10.000 auf 30.000 Euro und von 5.000 auf 15.000 Euro zu erhöhen", sagte der SPD-Politiker.

Auch Touristen aus dem Ausland, die keine EU-Bürger seien, müssten in Zukunft dieselben Zahlungen wie alle anderen erhalten können, sagte er. Dies sei bislang nicht möglich gewesen.

Der Opferbeauftragte will auch erreichen, dass materielle Schäden künftig erstattet werden können. Die Weihnachtsbudenbesitzer auf dem Breitscheidplatz hätten zwar Entschädigungen der Verkehropferhilfe in Anspruch nehmen können, weil der Anschlag mit einem Lkw verübt wurde. Hätte sich der Attentäter aber in die Luft gesprengt, wären sie leer ausgegangen. "Das darf so nicht bleiben."

Am 19. Dezember 2016 war der Tunesier Anis Amri mit einem Lkw auf den Weihnachtsmarkt an der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche auf den Breitscheidplatz gerast. Bei dem islamistischen Terroranschlag wurden zwölf Menschen getötet und mehr als 70 verletzt. Als Drahtzieher gilt die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS).



Brandenburg und Yad Vashem vereinbaren Zusammenarbeit


Halle der Erinnerung in der Gedenkstätte Yad Vashem
epd-bild / Guido Frebel
Die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem und Brandenburg wollen künftig im Bildungsbereich zusammenarbeiten. Eine entsprechende Kooperationsvereinbarung wurde am 1. Mai in Israel unterzeichnet.

Die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem und Brandenburg wollen künftig im Bildungsbereich zusammenarbeiten. Eine entsprechende Kooperationsvereinbarung wurde am 1. Mai in Israel von Vertretern der Internationalen Schule für Holocaust-Studien in Yad Vashem und des Brandenburger Bildungsministeriums unterzeichnet, wie die Brandenburger Staatskanzlei mitteilte. Geplant seien Fortbildungen für Lehrkräfte, die in Jerusalem sowie im Land Brandenburg stattfinden sollen. Die Gedenkstätte hat bereits ähnliche Vereinbarungen mit anderen deutschen Bundesländern geschlossen.

Deutschland fühle sich besonders verpflichtet, nicht zuzulassen, dass die Wahrheit über die Verbrechen in Vergessenheit gerät, betonte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). Die Geschichte des "unvorstellbaren Zivilisationsbruchs Holocaust" lehre vor allem, den Menschen als Mensch zu sehen. "Das ist die Haltung, die wir in jedem Menschen stärken, die wir an unsere Kindeskinder vererben wollen", sagte der Ministerpräsident weiter. Dazu würden immer wieder neue Angebote gemacht, sich mit der Geschichte der Schoah und jüdischem Leben auseinanderzusetzen. Bereits am Vormittag hatte Woidke den Verdienstorden des Landes Brandenburg an drei israelische Staatsbürger verliehen, die als Überlebende des Holocaust in Brandenburg Zeitzeugengespräche führen.

Woidke befindet sich derzeit zu einem Besuch in Israel. Er wird unter anderem von Kulturministerin Martina Münch (SPD) begleitet.



Woidke ehrt Holocaust-Überlebende in Israel

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hat am 1. Mai in Israel drei Holocaust-Überlebenden den Verdienstorden des Landes Brandenburg verliehen. Er würdigte das große Engagement von Zwi Steinitz, Emmie Arbel und Michael Goldmann-Gilead, die "mit all ihrem Mut und all ihrer Kraft seit vielen Jahren die Erinnerung an das dunkelste Kapitel unserer Geschichte" wachhalten. "Ihr Erinnern ist die größtmögliche menschliche Geste. Sie reichen die Hand, um Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden auch in nachfolgenden Generationen zu sichern und zu stärken", sagte Woidke. Zugleich mahnte Brandenburgs Ministerpräsident bei der Zeremonie in der Residenz des Deutschen Botschafters in Herzlia bei Tel Aviv, dass dem weltweit widererstarkenden Rechtspopulismus und Antisemitismus "zu jeder Zeit mit aller Vehemenz" entgegentreten werden müsse.

Zwi Steinitz hat vier Konzentrationslager überlebt. Befreit wurde er im Mai 1945 auf dem Todesmarsch. Gemeinsam mit seiner Frau Regina wanderte er nach Israel aus, um sich ein neues Leben aufzubauen. Steinitz schrieb mehrere Bücher über seine Verfolgungsgeschichte und seine Erfahrungen als Zeitzeuge in Deutschland. In der Gedenkstätte Sachsenhausen hat er an zahlreichen Schülerprojekten mitgewirkt. Eines seiner Projekte ist die Zusammenarbeit mit dem Georg-Mendheim-Oberstufenzentrum Oranienburg. Auf diese Weise sind mehrere Filme entstanden. Woidke betonte: "Zwi Steinitz hat es geschafft, auf charmante, sympathische Art und mit großem Vertrauen in die Jugend die Schülerinnen und Schüler tief zu berühren."

Emmie Arbel war noch ein Kind als für sie im Alter von viereinhalb Jahren der Krieg begann. Sie überlebte das Konzentrationslager Ravensbrück und wurde in Bergen-Belsen befreit. 1949 zog sie mit ihren zwei Geschwistern nach Israel. Emmie Arbel ist seit vielen Jahren in Kontakt mit deutschen Jugendlichen. Zunächst begleitete sie ihren Bruder Menachem bei seinen Besuchen in deutsche Schulen, später setzte sie seine Erinnerungsarbeit fort. "Emmie Arbel weiß, was es heißt, zu leben nach dem Überleben. Mit Hilfe von Familien und Freunden hat sie sich zurück ins Leben gekämpft", sagte Woidke. Seitdem habe sie in zahlreichen Schulen und an verschiedensten internationalen Erinnerungsprojekten mitgewirkt. Ein Herzenssache sei ihr zudem die Mitentwicklung einer Studienreise von niederländischen Lehramtsstudierenden nach Ravensbrück gewesen. Emmie Arbel ist seit mehreren Jahren Ko-Vorsitzende des Vereins der Überlebenden von Sachsenhausen und Ravensbrück in Israel.

Michael Goldmann-Gilead wurde nach Auschwitz deportiert. 1945 gelang ihm beim Todesmarsch die Flucht. Er versteckte sich zwei Jahre bei einer polnischen Familie und wanderte dann nach Israel aus. Dort gehörte er als Polizeibeamter dem Ermittlerteam an, das den NS-Kriegsverbrecher Adolf Eichmann neun Monate lang verhörte. "Michael Goldmann-Gilead ist seit Jahren ein rastloser Mahner für Menschlichkeit. Jedes Jahr reist er nach Deutschland, um bundesweit den Menschen von seiner Begegnung mit Eichmann zu berichten. Trotz allen Grauens hat Goldmann-Gilead seinen Glauben an die Menschen nicht verloren", sagte der Ministerpräsident. Im vergangenen Jahr sprach Goldmann-Gilead auf Einladung von Woidke vor jungen Studierenden der Polizeihochschule in Oranienburg.



Woidke besucht Evangelische Schule in Palästinensergebieten

Auf seiner Nahost-Reise hat Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) am 2. Mai die deutsche Auslandsschule Talitha Kumi bei Bethlehem in den Palästinensischen Gebieten besucht. In der Schule in Trägerschaft des Berliner Missionswerks der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) lernen nach Angaben der Brandenburger Staatskanzlei 650 christliche und muslimische Mädchen und Jungen unter einem Dach. Für Unterrichtsmaterialien und Schulbücher übergab Woidke knapp 2.900 Euro aus Lottomitteln, teilte die Staatskanzlei am Mittwoch in Potsdam mit.

Talitha Kumi sei eine außergewöhnliche Schule, die in einer Konfliktregion als ein Ort der Begegnung und des Lernens für Christen und Muslime ein friedliches und tolerantes Miteinander ermögliche, erklärte Woidke. Großer Dank gelte deshalb auch der Evangelischen Kirche in Berlin und Brandenburg und deren Mitglieder für ihr Engagement.

"Alle Kinder haben ein Recht auf gute Bildung und hoffnungsvolle Perspektiven", sagte Woidke weiter: "Dieser Grundsatz wird hier in Talitha Kumi gelebt. Das Schulteam leistet jeden Tag eine unglaubliche Arbeit, die uns in Brandenburg sehr beeindruckt."

Die evangelische Schule umfasst den Angaben zufolge ein Mädcheninternat, ein Kindergarten, eine Grundschule sowie eine weiterführende Schule. In der Schule kann das deutsche Abitur und das Deutsche Sprachdiplom-Zertifikat erlangt werden. Die Bildungseinrichtung wird auch von den evangelischen Gemeinden in Brandenburg und Berlin durch Spenden und Kollekten unterstützt.

Neben der Schule besuchte Brandenburgs Ministerpräsident in Ramallah auch die Polizeibehörden der Palästinensischen Gebiete. Deutschland unterstützt den Angaben zufolge die palästinensische Zivilpolizei seit 2010 bei der Einführung des Fingerabdrucksystems AFIS. Die Federführung liege dabei beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden unterstützt von den Bundesländern. Brandenburg beteilige sich unter anderem an der Aus- und Fortbildung der palästinensischen Polizisten. Diese fänden vor Ort in den palästinensischen Gebieten statt, aber auch in Form von Lehrgängen an der Fachhochschule der Polizei in Oranienburg.



Universitäten Potsdam und Tel Aviv verstärken Zusammenarbeit

Die Universität Potsdam und die Tel Aviv University in Israel wollen ihre Kooperation weiter ausbauen. Eine entsprechende Erklärung hat Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) am 30. April bei seinem Besuch in Israel unterzeichnet, teilte die Staatskanzlei in Potsdam mit. Vereinbart wurde unter anderem eine engere Zusammenarbeit beim Wissens- und Technologietransfer, in der Gründungsförderung sowie im Wissenschaftsmanagement. Auch der Austausch von Studierenden und Wissenschaftlern soll künftig stärker gefördert werden.

Israel gehört den Angaben zufolge zu den Schwerpunktregionen der Universität Potsdam. In die bisherige Kooperation investierten beide Partner im Bereich des Technologietransfers und der Gründerförderung seit 2015 den Angaben zufolge jeweils bis zu 100.000 Euro jährlich. Die Tel Aviv University ist mit rund 30.000 Studierenden die größte Hochschule Israels.

Woidke nannte die Hochschulkooperation eine "wichtige Säule unserer künftigen Beziehungen, die neue Maßstäbe setzen" werde. Brandenburgs Wissenschaftsministern Martina Münch (SPD) betonte, die Uni Potsdam belege mit Pflege und Ausbau ihrer internationalen Kontakte, dass sie mittlerweile zu den großen und auch international forschungsstarken Hochschulen gehöre.



Auschwitz-Komitee fordert Härte nach Untertauchen von Haverbeck

Nachdem die verurteilte Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck ihre Haft nicht angetreten hat, hat das Internationale Auschwitz Komitee Polizei und Justiz zu hartem Durchgreifen aufgefordert. "So wie Haverbeck seit Jahrzehnten die historische Wahrheit von Auschwitz und dem Holocaust leugnet, so bestreitet sie nun auch die Legitimität der deutschen Justiz", erklärte der Exekutiv-Vizepräsident des Interessenverbands von Auschwitz-Überlebenden, Christoph Heubner, am 6. Mai in Berlin. Es sei zu hoffen, dass mit Dringlichkeit nach der 89-Jährigen gefahndet werde, damit es ihr nicht noch länger gelinge, "die Justizbehörden vorzuführen und der Lächerlichkeit im rechtsextremen Raum preiszugeben".

Haverbeck hätte am vergangenen Mittwoch eine zweijährige Haftstrafe wegen Volksverhetzung in der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Senne antreten müssen, erschien aber nicht. Die Verurteilung des Landgerichts Verden war nach dem Scheitern von Haverbecks Revision vor dem Oberlandesgericht Celle im Februar rechtskräftig geworden. Die Holocaust-Leugnerin ist wegen Volksverhetzung auch in Detmold, Hamburg und Berlin zu Haftstrafen verurteilt worden, hatte aber stets Rechtsmittel eingelegt, so dass zuvor noch keine Verurteilung rechtskräftig war.

Auf der Internetseite "ursula-haverbeck.info" heißt es, Haverbeck habe die Haft nicht angetreten, weil sie ein Gutachten über ihre Haftfähigkeit abwarten wolle, das noch nicht vorliege. Über einen entsprechenden Eilantrag sei noch nicht entschieden worden. Haverbeck befinde sich derzeit in ärztlicher Behandlung.

Das Internationale Auschwitz Komitee beklagte, die deutsche Justiz habe die Rechtsextremistin in den vergangenen Jahren an der langen Leine gelassen. "Wenn man sich vor Augen führt, wie viele junge Menschen Haverbeck über Jahre hinweg mit ihren Lügen infiltrieren, belügen und zu antisemitischem Hass verführen konnte, ist es höchste Zeit, dass sie hinter Gittern Zeit zum Nachdenken findet", sagte Heubner.

Haverbeck, die jüngst zur Spitzenkandidatin der Partei "Die Rechte" für die Europawahl 2019 erklärt wurde, hatte unter anderem bestritten, dass das Konzentrationslager Auschwitz ein Vernichtungslager war. In der Vergangenheit hatte sie zusammen mit ihrem inzwischen gestorbenen Mann Werner Georg Haverbeck das "Collegium Humanum" in Vlotho als Treffpunkt für Holocaust-Leugner und Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet geleitet. Die in den 1960er Jahren gegründete rechtsextreme Vereinigung und deren Teilorganisation "Bauernhilfe e.V." wurden 2008 vom damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) verboten.



Literatur auf dem Scheiterhaufen


NS-Bücherverbrennung in Berlin 1933
epd-bild / Keystone
Am 10. Mai 1933 brannten in deutschen Universitätsstädten Zehntausende Bücher, die von den Nazis geächtet waren. Eine unselige Rolle spielten Studenten.

Mit Ausstellungen, Lesungen und Gedenkveranstaltungen wird im Mai und Juni an die Bücherverbrennungen durch die Nationalsozialisten vor 85 Jahren erinnert. Am 10. Mai 1933 zündeten die braunen Machthaber in einer "Aktion wider den undeutschen Geist" in 22 deutschen Universitätsstädten Zehntausende Bücher von Autoren an, die ihnen missliebig waren. Dazu gehörten Werke etwa von Bert Brecht, Erich Kästner und Kurt Tucholsky, aber auch wissenschaftliche Schriften von Sigmund Freud und sowie Albert Einsteins Relativitätstheorie.

"Hitler wusste, warum er die Künstler, alle Künstler, durch den Scheiterhaufenprozess der entarteten Kunst zum Schweigen verurteilte", schrieb der Schriftsteller und Kritiker Alfred Kerr, der 1933 nach England emigrierte. "Weil von wahrer Kunst Schärfung des Gewissens, Stärkung des Geistes, Kritik an der Halbwahrheit ausgeht, weil sie Aufruf zur höchsten Menschlichkeit ist."

In Berlin wollten 70.000 Zuschauer sehen, wie etwa 25.000 "undeutsche" Bücher auf dem Opernplatz - dem heutigen Bebelplatz - verbrannt wurden, in München kamen 50.000 Menschen zusammen. Zwischen Frühjahr und Herbst 1933 sind rund 100 Bücherverbrennungen dokumentiert. In Wuppertal wurden bereits am 1. April 1933 Schriften ins Feuer geworfen. Dazu gehörten auch die Werke der jüdischen Autorin Else Lasker-Schüler, die aus Wuppertal stammte.

Wochen vor dem 10. Mai 1933 hatte das Reichspropagandaministerium Listen mit Buchtiteln und den Namen von Autoren zusammengestellt. Eine unselige Rolle spielten Studenten, allen voran die regimetreue "Deutsche Studentenschaft". An den Universitäten hingen Plakate mit Forderungen, den "undeutschen Geist" aus öffentlichen Büchereien "auszumerzen". Studentengruppen fuhren mit Lastwagen von Leihbücherei zu Leihbücherei, um Bücher und Schriften einzusammeln, die auf der "schwarzen Liste" standen.

Unter deutschnationalen Kampfgesängen und pathetischen Reden wurden sie dann ins Feuer geworfen. Unter den unerwünschten Autoren waren Alfred Döblin, Heinrich und Klaus Mann, Karl Marx, Egon Erwin Kisch, Franz Werfel, Theodor Wolff und Stefan Zweig. Insgesamt wurden Werke von mindestens 94 deutschsprachigen und 37 fremdsprachigen Autoren verbrannt.

Viele Literaten verließen Deutschland. "Allein die Zahl der exilierten deutschen Schriftsteller wird auf bis zu 2.000 geschätzt", schrieb der Vorsitzende der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft, Hajo Jahn, in dem Buch "Himmel und Hölle zwischen 1918 und 1989 - Die verbrannten Dichter". Alle geeint habe "der Widerstand gegen das NS-Regime und seine Unfreiheit. Sie verband eine andere Ästhetik als die der Nazis."

Seit Januar 2015 gibt es in Solingen ein "Zentrum für verfolgte Künste". Dort wird nicht nur an die berühmt gebliebenen Autoren erinnert. Es geht auch um die weitaus größere Zahl derjenigen Schriftstellerinnen und Schriftsteller, deren Werke von den Nazis verbrannt und die im Nachkriegsdeutschland auch literarisch vergessen wurden.

Die Bücher brannten, weil sie kommunistisch, sozialistisch, liberal, pazifistisch oder auch anarchistisch waren. Und weil sie angeblich die Geschichte verfälschten, das Ansehen deutscher Soldaten beschmutzten, Familie und Kirche verhöhnten, von jüdischen Autoren stammten oder jüdische Themen behandelten, erotisch oder "sittenlos" waren.

Alleine in Berlin wurden bis Ende Mai 1933 rund 10.000 Zentner Literatur beschlagnahmt und vernichtet. Berühmt wurde der solidarische Aufruf "Verbrennt mich!" des bayerischen Schriftstellers Oskar Maria Graf (1894-1967), der sich mit einigen seiner Werke auf der "Weißen Liste" der vom NS-Regime empfohlenen Bücher wiedergefunden hatte.

Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels begeht den 85. Jahrestag der Bücherverbrennungen mit einer zentralen Gedenkveranstaltung am 7. Mai im Historischen Museum in Frankfurt/Main. Autorinnen und Autoren geben Kolleginnen und Kollegen von 1933 ihre Stimme: Sie lesen aus Werken, die vor 85 Jahren verbannt und den Flammen ausgeliefert wurden.

In mehreren deutschen Städten, etwa in Berlin, Göttingen und Düsseldorf, weisen Gedenktafeln unweit von Orten, an denen die Nazis die Scheiterhaufen für die Literatur errichteten, mit einem Zitat des Dichters Heinrich Heine (1797-1856) auf die Untaten hin: "Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen."

Das Zitat stammt aus dem 1823 veröffentlichten Jugenddrama "Almansor" und bezieht sich auf die Unterdrückung des Islams und die Vertreibung der Muslime im Spanien des 15. Jahrhunderts. Im NS-Deutschland sollte der 10. Mai 1933 ein Auftakt sein für das Menschheitsverbrechen Holocaust.

Von Andreas Rehnolt (epd)


Gedenkstättendirektor bemängelt Bildungsdefizite über NS-Zeit

Der scheidende Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Günter Morsch, sieht Defizite in den Schulen bei der Vermittlung der Zeit des Nationalsozialismus. Das Allgemeinwissen vor allem bei Jugendlichen habe stark abgenommen, sagte Morsch dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". So würden bei Führungen Basisfragen gestellt wie etwa "Was ist die NS-Diktatur" oder worin unterscheide sich die SA von der SS.

Morsch, der seit 25 Jahren die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen leitet und Dozent an der Freien Universität Berlin ist, forderte, "die Zeitgeschichte muss wieder mehr Raum bekommen im Unterricht". Dabei sollte sich aber nicht nur auf die Vernichtung des europäischen Judentums konzentriert werden. "Natürlich ist der Holocaust ein singuläres Verbrechen." Die Vernichtungspolitik habe aber "unendliche Kreise" gezogen: Juden, Kranke, Missliebige, Homosexuelle und sogenannte slawische Untermenschen seien davon betroffen gewesen. "In Sachsenhausen hatten zeitweise sogenannte Asoziale die höchste Todesrate", unterstrich der Historiker, der Ende Mai in den Ruhestand geht.

Morsch zeigte sich auch besorgt über die politische Entwicklung in Deutschland und Europa. Er sei froh, dass die meisten ehemaligen KZ-Häftlinge nicht mehr erleben, was im Moment in Europa und auch im Deutschen Bundestag los sei, sagte der Gedenkstättendirektor mit Blick auf den Rechtspopulismus. Die ehemaligen KZ-Häftlinge hätten wirklich geglaubt, dass die Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten ein Zivilisationsbruch war, der die Menschheit zur Umkehr bewegen würde.

"Grundfeste, die nach 1945 galten, die auch zur Gründung der Europäischen Union führten, sind vergessen oder infrage gestellt", sagte Morsch. Es gebe Kräfte, "die beleben genau das neu, was wir glaubten, überwunden zu haben: Ausgrenzung, Nationalismus, Verachtung der Demokratie".

Eine Ursache dafür sei die globalisierte, neoliberale Wirtschaft, sagte Morsch weiter. Sie setze ähnlich wie die industriellen Umwälzungen im 19. Jahrhundert Prozesse frei, "in denen alte Identitäten verschwinden und die große Frage aufgeworfen wird: Was hält die Gesellschaft zusammen".



Woidke: Politik der ausgestreckten Hand nötiger denn je

Zum 73. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus und des Kriegsendes hat Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) zu größeren Anstrengungen für den Frieden aufgerufen. Er sei besorgt angesichts der Zunahme internationaler Spannungen und kriegerischer Rhetorik, erklärte Woidke am 6. Mai in Potsdam anlässlich des Jahrestages am Dienstag (8. Mai).

Seine kürzlichen Besuche in Auschwitz, Israel und den Palästinensischen Gebieten hätten ihm einmal mehr verdeutlicht, "wie groß unsere Verantwortung vor der Geschichte ist und welch unendliches Leid Krieg über die Menschen bringt". Nötig sei deshalb Erinnerungskultur und eine Politik des gegenseitigen Verstehens.

"Vor 73 Jahren wurde Europa endgültig von der Geißel des Nationalsozialismus befreit", sagte Woidke weiter. Der Zweite Weltkrieg habe etwa 65 Millionen Menschen das Leben gekostet. Dies sei Anlass, um an die Toten des Krieges, an die Opfer von Antisemitismus, von rassistischer und politischer Verfolgung zu erinnern.

Eine Politik der ausgestreckten Hand sei nötiger denn je, unterstrich der SPD-Politiker. "Das gilt für den Nahen Osten, das gilt aber auch für die vielen anderen Konfliktherde überall auf der Welt."

Mitglieder der Landesregierung sind am Dienstag unter anderem bei einer Gedenkfeier des Botschafters der Republik Polen auf dem Britischen Soldatenfriedhof in Berlin, beim Sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park in Berlin sowie bei der Gedenkstunde des Landtages vertreten.



Protest gegen Neonazi-Demonstration in Chemnitz

Mit mehreren Veranstaltungen ist am 1. Mai in Chemnitz gegen eine Demonstration der rechtsextremen Partei "Der Dritte Weg" protestiert worden. Zunächst hatte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) anlässlich des 1. Mai zu einer Kundgebung auf den Chemnitzer Neumarkt eingeladen. Daran beteiligten sich nach MDR- Beobachtern zunächst rund 1.000 Menschen. Danach zogen zahlreiche Teilnehmer zu einer gemeinsamen Demonstration mit dem Bündnis "Chemnitz Nazifrei", an der demnach zunächst ebenfalls rund 1.000 Menschen teilnahmen.

Wie der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken im Sächsischen Landtag, Marco Böhme, über den Kurznachrichtendienst Twitter mitteilte, hatten sich der linken Demonstration zeitweise rund 1.500 Menschen angeschlossen. "Sie zeigen #Chemnitz, dass Nazis hier nicht erwünscht sind", twitterte der Linken-Politiker. Dem Neonazi-Aufmarsch folgten nach Beobachterangaben zunächst 500 Personen.

Die Polizei in Chemnitz wollte mit Verweis auf das noch bis zum Abend andauernde Demonstrationsgeschehen zunächst keine Teilnehmerzahlen veröffentlichen. Laut Bundespolizei waren rund 1.400 Menschen mit dem Zug nach Chemnitz gereist. Die Anreisen seien störungsfrei verlaufen, erklärte die Bundespolizei.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) warb auf der Gewerkschaftskundgebung "für gute Arbeit und ein respektvolles Miteinander" im Land. Zugleich lobte er die Zusammenarbeit mit Gewerkschaftsvertretern für den Erhalt von Arbeitsplätzen in Sachsen wie etwa beim gemeinsamen Vorgehen zur Sicherung der Siemens-Standorte in Görlitz und Leipzig sowie der Bombardier-Standorte. Kretschmer betonte auch die Einigkeit mit dem DGB im Kampf gegen jede Form des Extremismus. Er sei dankbar für das Engagement der Gewerkschaften für eine gute Entwicklung in allen Landesteilen, für faire Verhältnisse in der Marktwirtschaft und für eine lebendige Demokratie. "Wir verteidigen aus der Mitte heraus unsere Demokratie, unsere soziale Marktwirtschaft, unsere Werte, unsere Heimat", sagte der Ministerpräsident.

Der DGB veranstaltete am 1. Mai den Angaben zufolge allein 14 Kundgebungen in Sachsen, an denen insgesamt rund 15.000 Menschen teilnahmen.



Neuköllner Moschee geht in Berufung

Der Moscheeverein "Neuköllner Begegnungsstätte" (NBS) wehrt sich weiter mit juristischen Mitteln gegen die Nennung im Berliner Verfassungsschutzbericht. Wie die NBS am 2. Mai in Berlin mitteilte, wird sie gegen den jüngsten Beschluss des Berliner Verwaltungsgerichts vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Berufung einlegen. Die Moscheegemeinde hält ihre Nennung im Verfassungsschutzbericht für ungerechtfertigt, weil es aus ihrer Sicht keine Nachweise für verfassungsfeindlichen Einstellungen, Predigten, Publikationen oder ähnliches in der NBS gibt.

Das Berliner Verwaltungsgericht hatte in der vergangenen Woche einen Eilantrag gegen die Aufführung im Verfassungsschutzbericht vorerst abgelehnt. Gegen die Erwähnung des Moscheevereins im Berliner Verfassungsschutzbericht bestünden vorerst keine Bedenken, begründete das Gericht. Die NBS unterhalte nachweislich Kontakte zur "Islamischen Gemeinschaft in Deutschland" (IGD), die die mitgliederstärkste Organisation von Anhängern der Muslimbruderschaft in Deutschland sei. Da die Muslimbruderschaft mit der IGD im Bundesgebiet Bestrebungen verfolge, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet seien, sei der Bericht über deren Verbindungen zum Antragsteller gerechtfertigt, erklärte das Verwaltungsgericht. (VG 1 L 515.17)

Die auch als Dar-as-Salam-Moschee bekannte NBS hatte bereits im Sommer 2017 den Eilantrag eingereicht, aus den Verfassungsschutzberichten 2015 und 2016 gestrichen zu werden. Der Moscheeverein sieht sich in seiner Religionsfreiheit verletzt.

"Unser Glaube in den Rechtsstaat ist ungebrochen", betonte der Vorsitzende und Imam der Moscheegemeinde, Mohamed Taha Sabri, am Mittwoch. Es sei für ihn unbegreiflich, dass die Gemeinde "nur der Darstellung des Wirkens von Organisationen in dem Bericht dienen soll, denen verfassungsfeindliches Gedankengut vorgeworfen wird und dass das Gericht gleichzeitig feststellt, dass der Neuköllner Begegnungsstätte keine verfassungsfeindlichen Bestrebungen unterstellt werden".

Wenn es um Muslime geht, werde in machen Teilen der Gesellschaft offenbar mit zweierlei Maß gemessen, kritisierte Sabri. "Organisationen wie die AfD, die Zeugen Jehovas oder die katholische Pius-Bruderschaft werden trotz offenkundigen Vorhandenseins solcher Positionen oder Verbindungen nicht im Verfassungsschutzbericht aufgeführt", sagte der Imam.



Klein fordert Meldesystem für antisemitische Vorfälle an Schulen

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, fordert ein Meldesystem für antisemitische Vorfälle an Schulen. "Man müsste das verzahnen mit einem allgemeinen bundesweiten Meldesystem", sagte Klein der "Frankfurter Rundschau" (5. Mai). Es sei verständlich, aber der falsche Weg, wenn Schulen Angst davor hätten, dass antisemitische Vorfälle bekannt würden: "Wir müssen ein Klima herstellen, in dem klar wird, dass es inakzeptabel ist, wenn auf dem Schulhof beispielsweise Morddrohungen ausgesprochen werden, weil ein Kind jüdisch ist."

Beim Kampf gegen Antisemitismus müssten Schulen und Lehrer besser unterstützt und vorbereitet werden, sagte Klein, der seit dem 1. Mai im Amt ist. "Wir dürfen die Schulen damit nicht allein lassen. Dafür müssen auch die notwendigen Mittel bereitgestellt werden", unterstrich Klein. Die bisherigen Konzepte beim Kampf gegen Antisemitismus und bei der Vermittlung der Bedeutung von jüdischem Leben in Deutschland reichten nicht aus. "Wir müssen neue Formen entwickeln, um muslimische Jugendliche anders an das Thema Holocaust heranzuführen." Das gelte aber auch für alle anderen Jugendlichen.

Klein sagte, das beste Mittel gegen den von muslimischen Flüchtlingen importierten Antisemitismus sei eine rasche Integration. Er sprach sich auch dafür aus, dass Besuche in Holocaust-Gedenkstätten für Schüler die Regel sein sollten. "Ich halte solche Besuche auf jeden Fall für sinnvoll", sagte Klein. "Sie müssen aber gut vor- und nachbereitet werden."

Der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus zeigte sich zugleich besorgt über wachsenden Antisemitismus aus der Mitte der Gesellschaft. "Es ist das größte Problem, vor dem wir stehen", sagte Klein. "Wir müssen als Gesellschaft hier klare Grenzen ziehen", betonte der Antisemitismusbeauftragte.

Klein machte dafür auch die AfD mitverantwortlich: "Eine Partei wie die AfD trägt dazu bei, dass antisemitische Klischees in der Mitte der Gesellschaft wieder gedeihen können, wenn führende Vertreter eine 'erinnerungspolitische Wende um 180 Grad' fordern." Er werde darauf drängen, dass das Thema Antisemitismus nicht zum Gegenstand parteipolitischer Auseinandersetzung werde, sagte Klein. "Es muss einen Allparteienkonsens geben, den wir in der alten Bundesrepublik in der Erinnerungskultur jahrzehntelang hatten. Er darf nicht infrage gestellt werden."

Klein forderte auch die muslimischen Gemeinden und Verbände in Deutschland dazu auf, sich stärker im Kampf gegen Antisemitismus zu engagieren: "Sie würden damit ein positives Signal setzen, dass Antisemitismus für die große Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslime tabu ist."

Klein war vor der Berufung in sein neues Amt Sonderbeauftragter für Beziehungen zu jüdischen Organisationen und Antisemitismusfragen im Auswärtigen Amt. Das neue Amt des Antisemitismusbeauftragten ist im Bundesinnenministerium angesiedelt, weil dort die Zuständigkeit für den Dialog mit den Religionsgemeinschaften liegt.



Vorkämpfer der Schwulenbewegung


Hirschfeld-Denkmal in Berlin
epd-bild / Christian Ditsch
Er war seiner Zeit weit voraus. Der vor 150 Jahren geborene Arzt und Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld beschäftigte mit geschlechtlicher Vielfalt - und kämpfte für die Rechte Homosexueller.

Magnus Hirschfeld (1868-1935) gilt als Begründer der ersten Schwulenbewegung. In erster Linie war er aber Sexualwissenschaftler, der für die Straffreiheit von Homosexualität kämpfte - zu einer Zeit, als an die erst seit 2017 mögliche "Ehe für alle" noch lange nicht zu denken war. Am 14. Mai jährt sich der Geburtstag des jüdischen Arztes zum 150. Mal.

Die erst 2011 gegründete Bundesstiftung Magnus Hirschfeld und die seit den 1980er Jahren bestehende Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft planen zahlreiche Gedenkveranstaltungen. Dazu gehört ein Festakt im Haus der Kulturen der Welt in Berlin, in dessen Nähe einst Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaft stand.

Hirschfeld kam 1868 als Sohn eines jüdischen Arztes im pommerschen Kolberg zur Welt, studierte Philologie in Breslau und Medizin in Straßburg, München, Heidelberg und Berlin. Nach seiner Promotion eröffnete er 1894 zunächst eine naturheilkundliche Arztpraxis in Magdeburg.

Institut für Sexualwissenschaft

Einer seiner Patienten, ein Offizier, beging am Vorabend seiner Hochzeit Suizid, weil er schwul war. Dieser Vorfall gilt - neben dem Strafprozess gegen den homosexuellen britischen Schriftsteller Oscar Wilde - als ein Auslöser dafür, dass Hirschfeld sich mit der Erforschung der Homosexualität befasste.

Er ging nach Berlin-Charlottenburg und gründete 1897 mit anderen Mitstreitern das "Wissenschaftlich-humanitäre Komitee (WhK)". Es war die weltweit erste Organisation, die sich für die Gleichberechtigung von Homosexuellen einsetzte. Mit einer Petition an den Reichstag kämpfte er - erfolglos - für die Abschaffung des Paragrafen 175, der sexuelle Handlungen unter Männern unter Strafe stellte.

Vor fast 100 Jahren, 1919, gründete Hirschfeld dann sein Institut für Sexualwissenschaft, die erste Einrichtung dieser Art. Neben der Forschung gab es dort auch Beratung und Aufklärung, und es wurden Geschlechtskrankheiten behandelt. Hirschfeld arbeitete zudem als medizinischer Sachverständiger in Gerichtsprozessen und engagierte sich politisch als Sozialdemokrat.

Seine eigene Homosexualität thematisierte er nicht groß. Aus seinen letzten Jahren sind zwei Partner bekannt, mit denen er zusammenlebte.

Exil in Frankreich

1930 begab sich Hirschfeld auf eine Weltreise, von der er nicht nach Deutschland zurückkehren sollte: Nach dem Erstarken des Nationalsozialismus blieb er im Exil in Frankreich. 1933 plünderten die Nationalsozialisten sein Institut in Berlin. Sie entwendeten eine Büste Hirschfelds, vernichteten einen Großteil seiner Sammlungen und seiner Bibliothek und verbrannten diese auf dem Berliner Opernplatz, dem heutigen Bebelplatz.

Der Versuch einer Institutsneugründung in Paris scheiterte. Hirschfeld starb an seinem 67. Geburtstag am 14. Mai 1935 in Nizza. Dort wurde er auch begraben. Auf seiner Grabplatte steht sein Leitspruch: "Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit".

Erst spät flammte das Interesse an ihm und seiner Arbeit wieder auf. Schließlich ergingen noch in den Anfangsjahren der Bundesrepublik bis in die 1960er Jahre hinein zahlreiche Urteile gegen homosexuelle Männer. Endgültig gestrichen wurde der Paragraf 175 erst 1994.

Ralf Dose war 1982 Mitbegründer der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft. Innerhalb der Westberliner Schwulen- und Lesbenbewegung habe es damals wieder ein Interesse gegeben, sich mit den geschichtlichen Vorfahren auseinanderzusetzen und diese auch wieder langsam ins Bewusstsein zu rücken, sagt er. Zudem sollten die Homosexuellen als eine Opfergruppe der Nationalsozialisten nicht länger vergessen bleiben. Dabei sei Hirschfeld sozusagen wiederentdeckt worden.

Seine wissenschaftlichen Arbeiten sind aber auch umstritten. In der Kritik standen vor allem seine naturwissenschaftliche Herangehensweise und seine Auffassung zur Eugenik, in der es darum ging, mit Erkenntnissen aus der biologischen Forschung die Fortpflanzung zu regulieren. Wie andere Zeitgenossen war Hirschfeld der Meinung, durch entsprechende Eheberatung, Aufklärung und Familienplanung soziales Elend verringern zu können. Die NS-Rassenhygiene lehnte er aber ab.

Kategorie von Mann und Frau aufgelöst

Hirschfeld betrachtete Sexualität aus der Biologie heraus. Er beschrieb "sexuelle Zwischenstufen". In der Homosexualität wollte er "einen tief innerlichen konstitutionellen Naturtrieb" erkennen. Im Prinzip habe Hirschfeld die Kategorie von Mann und Frau völlig aufgelöst, sagt Ralf Dose. Dies sei damals bereits weit über das hinausgegangen, was gesellschaftlich akzeptabel war.

Der Geschäftsführer der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, Jörg Litwinschuh, beobachtet derzeit ein gestiegenes Interesse am Erbe Hirschfelds und verweist auch auf die vielen Anmeldungen für den Festakt am 14. Mai. Dies sei auch vor dem Hintergrund des zunehmenden Rechtspopulismus, Problemen mit Antisemitismus und Einwanderungsdebatten zu sehen, sagt er: "Wir merken eine stärkere Politisierung."

Von Romy Richter (epd)


Berlin begeht 1. Mai mit zahlreichen Veranstaltungen

Zehntausende Menschen haben in Berlin mit einem breiten Spektrum an Demonstrationen, Kundgebungen, Straßenfesten und anderen Veranstaltungen den 1. Mai gefeiert. Unter dem Motto "Solidarität, Vielfalt, Gerechtigkeit" hatte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) zur traditionellen 1.-Mai-Demonstration für faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen sowie gegen soziale Spaltung und Ausgrenzung aufgerufen. Nach den Worten des Vorsitzenden des DGB Berlin-Brandenburg, Christian Hoßbach, sollte damit "in diesen hoch angespannten Zeiten" ein klares Zeichen für ein gerechtes und demokratisches Europa sowie für Solidarität gesetzt werden. Laut Gewerkschaft beteiligten sich in Berlin rund 14.000 Menschen an der DGB-Kundgebung. In Brandenburg seien es 19.000 Teilnehmer gewesen.

Auch Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) nahm an der Kundgebung in Berlin teil. Bereits im Vorfeld hatte der Senatschef betont, dass Vollbeschäftigung ein zentrales Ziel sei, das angesichts stetig sinkender Arbeitslosenzahlen im Bereich des Möglichen liege. "Auf dem Weg dahin muss sich eine boomende Wirtschaft aber auch in guter Arbeit und fairen Löhnen ausdrücken", mahnte Müller. Zudem bekräftigte der SPD-Politiker seinen Vorstoß nach einem solidarischen Grundeinkommen. Nötig dafür seien neue arbeitsmarktpolitische Instrumente, "um die Modernisierungsprozesse der vierten industriellen Revolution zu bewältigen".

In Berlin-Kreuzberg begann am Mittag das traditionelle "MyFest" mit zahlreiche Konzertbühnen, Ständen und anderen Angeboten. Im gesamten Tagesverlauf wurden allein bei dieser Veranstaltung bis zu 100.000 Besucher erwartet.

Am Dienstagabend sollte zudem die traditionelle "Revolutionäre 1.-Mai-Demo" linksextremer Gruppen stattfinden. Der Protestzug, zu dem bis zu 10.000 Teilnehmer erwartet wurden, wollte auch durch das Straßenfest "MyFest" ziehen. Die Polizei war am Dienstag in Berlin mit einem Großaufgebot von rund 5.300 Kräften im Einsatz, um Ausschreitungen zu verhindern.

Bereits am Vorabend zum 1. Mai hatte es in der Bundeshauptstadt zahlreiche Veranstaltungen gegeben, die laut Polizei weitgehend störungsfrei verliefen. Bei einer Demonstration gegen Verdrängung und Rassismus von rund 2.000 Anhängern linker Gruppen im Stadtteil Wedding sei es am Montagabend nur vereinzelt zu Zwischenfällen gekommen. Dabei seien Feuerwerkskörper gezündet und Fahnen der verbotenen kurdischen PKK gezeigt worden.

Mehrere tausend Menschen feierten die Walpurgisnacht zudem in den verschiedenen Parks der Stadt ohne größere Zwischenfälle, erklärte die Polizei weiter. Insgesamt waren 1.700 Polizeikräfte in der Nacht zum 1. Mai in Berlin im Einsatz.



Magdeburger "Fest der Begegnung" am Himmelfahrtstag

Zum 23. Mal wird in Magdeburg am Himmelfahrtstag das multikulturelle "Fest der Begegnung" gefeiert. Am 10. Mai werde den Besuchern im Nordpark ein buntes Programm mit Informationen, Gottesdienst, Kleinkunst und kulinarischen Angeboten geboten, teilte die Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord in Magdeburg mit. Eröffnet wird die Veranstaltung von Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU), und dem Polizeipräsidenten der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord, Andreas Schomaker.

Als Höhepunkt des Festes ist ein von der Hoffnungsgemeinde gestalteter, interkultureller Gottesdienst mit Gospelchor angekündet, auf dem gegen rechtsextremes Gedankengut, für Toleranz und ein friedliches Miteinander der Menschen unterschiedlicher Herkunft und Religion geworben wird. Zudem wollen Vereine und Organisationen, die sich mit Zuwanderung und Ausländerarbeit beschäftigen, ihre Arbeit präsentieren. Auch ausländische Mitbürger werden ihr Herkunftsland und dessen Kultur vorstellen. Das Technische Hilfswerk und die Polizei werden über ihre Arbeit informieren. Zu Beginn steht ein Konzert der Bläserformation des Landespolizeiorchesters Sachsen-Anhalt auf dem Programm. Migranten werden selbstgenähte Kleidung in einer Modenschau vorführen. Besondere Aufmerksamkeit gilt dem Thema "Europa".

Das multikulturelle Fest wird seit 1996 jährlich am Himmelfahrtstag von Polizei, Kirche und Vereinen ausgerichtet. Es entstand als Reaktion auf die rassistischen Himmelfahrtskrawalle von 1994 in Magdeburg, bei denen mehrere Afrikaner von Rechtsextremen durch die Stadt gejagt wurden. Das Fest soll Begegnungen zwischen Einwohnern, Migranten und Flüchtlingen ermöglichen. Im vergangenen Jahr bildete die Veranstaltung den Auftakt zum regionalen evangelischen Kirchentag auf dem Weg in Magdeburg. Die Polizei zählte im vergangenen Jahr rund 6.000 Besucher.



Neukölln verteidigt Kopftuchverbot

Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) hat das Berliner Neutralitätsgesetz gegen Kritik von Seiten der Grünen verteidigt. "An dem Neutralitätsgesetz gibt es nichts zu rütteln", sagte Hikel dem Berliner "Tagesspiegel" (4. Mai). Es sei wichtig, dass Schüler mit neutralen Lehrern rechnen könnten, genauso wie Angeklagte vor Gericht. "Da darf es auch keine Ausnahmen geben", sagte Hikel.

Der neue Neuköllner Bezirksbürgermeister kündigte an, sich möglichen Initiativen zur Abschaffung des Neutralitätsgesetzes entgegenzustellen. An den Schulen gebe es viele Schüler, denen von zu Hause eine bestimmte Religion oder Weltanschauung aufgedrückt werde. Gerade in Bezirken wie Neukölln sei die religiöse Beeinflussung ein Problem. Daher sei es wichtig, dass Schüler in einem neutralen Umfeld lernen könnten. Sie müssten selbst entscheiden können, an was und welche Weltanschauung sie glauben. Dies gelte nicht nur für religiöse Symbole, sondern für alle Weltanschauungen, also etwa auch für ein SPD-Shirt.

In der rot-rot-grünen Landesregierung ist das Neutralitätsgesetz umstritten. Hintergrund sind auch mehrere Entschädigungsklagen kopftuchtragender Lehrerinnen am Berliner Arbeitsgericht. Das Berliner Neutralitätsgesetz verbietet Lehrern, Richtern und Polizisten religiöse Symbole wie etwa das Kopftuch. In mehreren Fällen haben muslimische Lehramtsanwärterinnen oder Lehrerinnen inzwischen erfolgreich gegen das Verbot wegen Diskriminierung geklagt und eine Entschädigung erstritten. Das Land bietet ihnen in der Regel eine Anstellung an einer Berufsschule an, wo das Verbot religiöser Symbole nicht gilt.



Bundesverwaltungsgericht verpflichtet BND zur Auskunft

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat den Bundesnachrichtendienst (BND) in einem Eilverfahren verpflichtet, einem Journalisten Auskunft über die Anzahl von Anklagen gegen BND-Mitarbeiter wegen Geheimnisverrats zu geben. Das Gericht erkenne keine berechtigten schutzwürdigen Interessen öffentlicher Stellen oder Privater, die das Informationsinteresse des Antragstellers überwiegen, heißt es in dem 30. April veröffentlichen Beschluss. (BVerwG 6 VR 1.18 - Beschluss vom 11. April 2018). Der aus dem Grundrecht der Pressefreiheit hergeleitete Auskunftsanspruch gegen den BND werde durch die strafprozessrechtlichen Auskunftsregelungen gegenüber der Staatsanwaltschaft und dem Strafgericht nicht verdrängt. (BVerwG 6 VR 1.18 - Beschluss vom 11. April 2018).

Allein die Offenbarung statistischer Angaben über die Zahl von Strafverfahren biete keinen tauglichen Ansatz, um Schwachstellen in der Sicherheitsarchitektur des BND auszumachen oder betroffene Mitarbeiter zu enttarnen, entschied das Gericht. Strafverfolgungsinteressen würden auch nicht beeinträchtigt, da die betroffenen Mitarbeiter durch die Anklageschrift von dem gegen sie geführten Strafverfahren wissen.

Es sei zudem offenkundig, dass Nachrichtendienste immer befürchten müssten, Mitarbeiter könnten ihnen anvertraute Dienstgeheimnisse verletzen, Staatsgeheimnisse verraten oder gar einer geheimdienstlichen Agententätigkeit für eine fremde Macht nachgehen, erklärte das Bundesverwaltungsgericht weiter. Solche Vorkommnisse seien Schicksal nahezu jedes Nachrichtendienstes und erschienen für sich allein nicht geeignet, das Vertrauen in die Zuverlässigkeit des BND in den Augen anderer Nachrichtendienste so weit herabzusetzen, dass eine Kooperation gefährdet erscheine.

Im vorliegenden Fall hatte der Journalist, ein Zeitungsredakteur, beim Bundesverwaltungsgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, nachdem der BND entsprechende Auskünfte verweigert hatte. Er wollte darüber hinaus wissen, wie viele laufende strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen BND-Mitarbeiter wegen der Weitergabe von Geheimnissen dem Nachrichtendienst bekannt sind und welche Staatsanwaltschaften jeweils für die Verfahren zuständig sind inklusive Aktenzeichen. Diese Anträge wurden von dem Gericht im Eilverfahren wegen nicht aufklärbarer Unsicherheiten allerdings abgelehnt.



Mehr als 54.000 Schüler erhalten islamischen Religionsunterricht

Mehr als 54.000 Schüler erhalten an staatlichen Schulen in Deutschland islamischen Religionsunterricht. Das sind gut 12.000 mehr als vor zwei Jahren, wie der Mediendienst Integration am 30. April in Berlin mitteilte. Der Fachdienst präsentierte das Ergebnis einer Umfrage bei den Kultusministerien der 16 Bundesländer. In neun Bundesländern gibt es demnach in verschiedenen Modellen Religionsunterricht für muslimische Schüler. Der Bedarf sei damit aber wahrscheinlich nicht gedeckt, heißt es im Ergebnis.

Der Mediendienst verweist dabei auf eine Ermittlung der Deutschen Islamkonferenz aus dem Jahr 2009, wonach rund 580.000 Kinder und Jugendliche islamischen Religionsunterricht besuchen wollen und weitere 70.000 alevitischen Unterricht, den bislang bundesweit dem Umfrageergebnis zufolge erst 800 Schüler erhalten.

Bekenntnisorientierter Islamunterricht, bei dem Inhalte gemeinsam oder in alleiniger Verantwortung der Islam-Verbände erarbeitet werden, wird derzeit in Hessen, Niedersachen und Berlin angeboten. Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und das Saarland erproben islamischen Religionsunterricht in Modellprojekten. Schulen in Bayern und Schleswig-Holstein erteilen für muslimische Schüler einen sogenannten islamkundlichen Unterricht, der in rein staatlicher Verantwortung liegt.

In Hamburg und Bremen gibt es den Angaben zufolge interkonfessionellen Religionsunterricht für Schüler aller Glaubensrichtungen. In den fünf ostdeutschen Bundesländern gibt es gar kein Angebot für muslimische Schüler.

Christlicher Religionsunterricht an Schulen wird in Verantwortung der Kirchen erteilt. Beim islamischen Religionsunterricht gestaltet sich dieser Anspruch schwierig, weil die muslimischen Verbände anders als die christlichen Kirchen nicht als Körperschaften öffentlichen Rechts anerkannt sind. Weil es daher an einem einheitlichen Gegenüber fehlt, kooperieren die Bundesländer beim islamischen Unterricht teilweise auch über Beiratsmodelle, bei denen staatliche Akteure die Inhalte mitbestimmen, mit den vor Ort verfügbaren Verbänden oder Vereinen.



Sachsen-Anhalts Verdienstorden für ehemalige Leopoldina-Präsidenten

Die ehemaligen Präsidenten der Leopoldina, Benno Parthier und Volker ter Meulen, sind mit dem Verdienstorden des Landes Sachsen-Anhalt geehrt worden. Die Auszeichnung wurde von Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) am 4. Mai in der Magdeburger Staatskanzlei überreicht. Die Geehrten hätten sich in herausragender Weise um das Land verdient gemacht, hieß es zur Begründung aus der Staatskanzlei. Bei dem 2006 gestifteten Orden handelt es sich um die höchste Auszeichnung, die das Land Sachsen-Anhalt zu vergeben hat.

Benno Parthier wurde 1932 in Holleben in Sachsen-Anhalt geboren, studierte 1952 bis 1957 Biologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und promovierte in Halle am Institut für Botanik. 1967 habilitierte er sich. Er hatte unter anderem eine Professur für Zellbiochemie an der Martin-Luther-Universität. 1974 wurde Parthier zum Mitglied der Leopoldina ernannt. Von 1978 bis 1987 gehörte er dem Präsidium der Leopoldina an und war Sekretär für Naturwissenschaften sowie anschließend, bis 1990, Vizepräsident für Naturwissenschaften. Von 1990 bis 2003 amtierte er als 24. Präsident der Leopoldina. Haseloff lobte sein außerordentliches Engagement, "insbesondere in der schwierigen Mittlerrolle zwischen den Wissenschaftlern der neuen und alten Bundesländer sowie zwischen Wissenschaft und Politik".

Volker ter Meulen wurde 1933 in Osnabrück geboren. Er studierte von 1955 bis 1960 Medizin in Münster, Innsbruck, Kiel und Göttingen und wurde 1960 an der Universität Göttingen promoviert, wo er sich auch habilitierte. 1975 folgte er einem Ruf an die Julius-Maximilians-Universität nach Würzburg auf den neu eingerichteten Lehrstuhl für Klinische Virologie und Immunologie. 2003 wurde er zum Präsidenten der Leopoldina gewählt. Unter seiner Präsidentschaft, 2003 bis 2010, wurde die Leopoldina 2008 zur Nationalen Akademie der Wissenschaften ernannt. 2010 hatte die Leopoldina ter Meulen mit der Ehrenmitgliedschaft geehrt. Haseloff würdigte sein Lebenswerk als vielschichtig und beeindruckend. Während seiner Präsidentschaft habe die Leopoldina "die Repräsentanz in internationalen wissenschaftlichen Gremien übernommen und die Kontakte zu zahlreichen Akademien weltweit ausgebaut", hob der Regierungschef hervor.

Die Leopoldina, 1652 als "Academia Naturae Curiosorum" in Schweinfurt gegründet, ist eine der ältesten Gelehrtengesellschaften der Welt. Vor zehn Jahren ist die Einrichtung mit Sitz in Halle zur Nationalakademie ernannt worden. Ihre Aufgabe ist es, Politik und Gesellschaft wissenschaftlich zu beraten.




Entwicklung & Umwelt

Nach dem Sieg der Demokratie wächst in Gambia die Ungeduld


Straßenszene in Gambia
epd-bild / Odile Jolys
Vor einem Jahr herrschte Feierlaune: Die Menschen im westafrikanischen Gambia hatten es geschafft, einen autoritären Machthaber zu vertreiben. Doch nun ist die Aufbruchstimmung verflogen. Putschgerüchte gehen um, ethnische Spannungen brechen auf.

Als der Präsident nach 22 Jahren an der Macht seine Wahlniederlage nicht hinnehmen wollte, ging das Volk im westafrikanischen Gambia auf die Straßen. Nach wochenlangen Demonstrationen und massivem Druck aus Nachbarländern trat Yahya Jammeh schließlich im Januar 2017 ab. Er wurde ins Exil nach Äquatorialguinea geschickt. Politische Gefangene kamen frei. Doch heute, mehr als ein Jahr nach dem Sieg der Demokratie, macht sich Ernüchterung in Gambia breit.

Auf den Straßen der Hauptstadt Banjul haben die früher allgegenwärtigen Plakate des Präsidenten Platz für Werbung gemacht. Auch viele Polizei-Checkpoints sind verschwunden, die Stimmung an den Grenzposten ist spürbar entspannter. Lediglich das Bild Jammehs auf den Banknoten erinnert noch an den einstigen autoritären Herrscher, und die Fähre über den Gambia-Fluss trägt den Namen seines Dorfes, Kanilai. Nicht alles konnte unter seinem Nachfolger Adama Barrow geändert werden.

Aufbruchstimmung vorbei

Während des dramatischen Machtwechsels waren die Kameras der ganzen Welt auf das arme englischsprachige Land mit zwei Millionen Einwohnern gerichtet, das kleiner als Hessen und vom Senegal umgeben ist. Europäische Touristen kennen Gambia für seine schönen Strände und billigen All-inklusive-Hotels. Heute ist die Aufbruchstimmung weg. Das Land zählt zu den ärmsten der Welt und ist verschuldet.

Baustellen als Zeichen wirtschaftlichen Aufschwungs sucht man vergebens. Stattdessen lähmen Streiks im öffentlichen Dienst das Land. Die versprochene internationale Hilfe braucht Zeit. Wesentlich schneller reagierten die Asylbehörden in Europa und den USA: Allein im März wurden 36 Gambier aus den Vereinigten Staaten nach Hause geschickt. Dabei machen die Überweisungen der Migranten aus dem Ausland 18 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus.

Ungeduld macht sich breit. "Der Wandel ist zu langsam", schimpft ein Bankangestellter. "Unsere Politiker an der Macht sind unfähig. Wieso sind die Preise für Reis, Speiseöl oder Zement so hoch?" Hilfswerke warnen indes vor übereilten Erwartungen. "Es wird Zeit brauchen", sagt Francis Mendy, Leiter der Caritas in Gambia. "Die Leute im Amt sind neu und unerfahren. Und in den Medien ist von Millionen für Hilfen und Investitionen die Rede. Davon spüren die Leute noch nichts."

Mendy ist besorgt, weil manche Gambier sich das diktatorische Regime zurückwünschen. "Wir brauchen Jammeh, nicht Barrow", hätten junge Demonstranten geschrien, sagt er kopfschüttelnd und fügt hinzu: "Barrow kommuniziert nicht genug. Die Regierung schafft somit ein Vakuum, das gefährlich sein könnte."

Ethnische Spannungen

Derweil erholt sich die Partei des geschassten Machthabers wieder. Sie setzt auf die Gefühle der Volksgruppe der Diolas, die unter Jammeh stark in der Leibgarde des Präsidenten und in der Armee vertreten war. "Es gibt viel Paranoia und Angst aufseiten der Diolas, die Verlierer zu sein," warnt Mendy. Der neue Präsident Barrow hat viele Diolas aus der Armee entlassen. Angst vor einem Putsch geht um. Barrow selbst wird immer noch von Truppen der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas) geschützt. Sie kamen während des Machtwechsels ins Land - und blieben, auf seinen Wunsch, heißt es.

Die ethnischen Spannungen sind auch ein Erbe des alten Regimes, denn Jammeh hetzte gegen die Mandinka, ging aber auch hart gegen unliebsame Diolas vor. "Die Leute müssen auch daran erinnert werden, dass es Opfer von Jammeh in allen Volksgruppen gibt, auch unter den Diolas," erklärt die 28-jährige Ayeshah Jammeh, die selbst Diola ist und im Zentrum für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen arbeitet. Sie weiß, wovon sie spricht: Ihr Vater Haruna Jammeh war der Bruder des ehemaligen Machthabers, er wurde 2005 ermordet.

Die Tochter will jetzt Klarheit darüber, was mit ihrem Vater geschah. Dabei hofft sie auf die von der Regierung eingesetzte Wahrheits- und Versöhnungskommission. In sozialen Netzwerken wird die junge Frau, weil sie sich für Diolas einsetzt, als Verräterin beschimpft und bedroht. "Wir haben heute eine Demokratie und Redefreiheit", sagt sie. "Aber alles geht nur langsam voran."

Von Odile Jolys (epd)


Jüdischer Kandidat auf islamischer Liste


Simon Slama
epd-bild / Sarah Mersch
In Tunesien sorgt die Kandidatur eines Juden für die Ennahdha-Partei bei den Kommunalwahlen für Gesprächsstoff. Doch Simon Slama will nicht als Marionette der Islamisten gesehen werden.

Nach einer Fahrradtour durch Monastir heißt es, Wahlkampfbroschüren zu verteilen. Dabei muss Simon Slama sich immer wieder mit Parteianhängern fotografieren lassen und Journalisten Interviews geben: Der Wahlkampf dominiert derzeit das Leben des 54-jährigen Tunesiers. Normalerweise repariert er in der Altstadt von Monastir Nähmaschinen, doch seine Kandidatur bei den Kommunalwahlen am 6. Mai hat weit über seine Heimatstadt hinaus für Aufsehen gesorgt. Slama ist landesweit der einzige jüdische Kandidat - und obwohl selbst parteilos, trat er ausgerechnet auf der Liste der muslimisch-konservativen Ennahdha-Partei an.

Kritiker bezeichnen seine Kandidatur als geschickte Werbetaktik. Doch Slama wehrt sich, als Marionette der Islamisten betrachtet zu werden. Ennahdha sei längst keine religiöse Partei mehr. "Außerdem sind sie am besten organisiert und machen ernstzunehmende Arbeit", verteidigt er seine Entscheidung, die auch in seiner Familie und seinem Umfeld zunächst auf Unverständnis stieß. "Was soll das, warum machst du das?, haben mich die Leute gefragt." Seine Frau habe ein paar Tage nicht mehr mit ihm sprechen wollen.

Schnell entschieden

Bei Ennahdha hat man nicht lange gezögert, als Slama fragte, ob er als Parteiloser bei ihnen kandidieren dürfe. "In fünf Minuten war die Entscheidung gefallen, und zwar einstimmig", sagt Ennahdha-Bezirksvorsitzender Habib Azzem, dem Slamas Kandidatur gelegen kam. "Man will uns immer in die islamistische Ecke drängen. Mit Simons Kandidatur hatten wir die Chance, uns dagegen zu verteidigen." Diese Chance lasse sich die Partei nicht entgehen, aber bewusst eingefädelt habe man das nicht. Weltanschauliche Unterschiede spielten in Monastir keine Rolle. "Gemeinsam können wir das Tunesien der Zukunft erschaffen", sagt Slama.

Die Küstenstadt Monastir mit mehr als 70.000 Einwohnern ist der Geburtsort von Staatsgründer Habib Bourguiba (1903-2000) und anderer wichtiger Politiker. Nidaa Tounes, die säkular-konservative Volkspartei, die 2012 als Gegengewicht zu Ennahdha gegründet wurde und sich als Erbe von Bourguibas Ideen sieht, ist hier traditionell stark. Slama rechnet sich dennoch gute Chancen auf einen Sitz im Gemeinderat aus. Er steht auf Platz 7 von 30 Listenplätzen.

Slama sagt, es sei dringend, dass sich in Tunesien endlich etwas zum Positiven entwickelt. Er habe den Eindruck, dass sich in den sieben Jahren seit dem Sturz der Ben-Ali-Diktatur im Zuge des "Arabischen Frühlings" kaum etwas getan habe. Genau deshalb wolle er sich jetzt für das Wohl seiner Stadt engagieren. "Ich möchte hier eines Tages etwas hinterlassen."

Nur noch eine jüdische Familie

Slamas Familie ist die einzige jüdische Familie, die heute noch in Monastir lebt, es gibt keine Synagoge mehr. "Vor der Unabhängigkeit waren es noch 520 Familien. Damals lebten Juden, Christen und Muslime in der Altstadt Tür an Tür", sagt er. Auch wenn er als Jude heute in der Minderheit ist: Anfeindungen erlebe er keine, er sei in der Stadt akzeptiert, sagt er.

Die meisten tunesischen Juden wanderten nach der Unabhängigkeit 1956 und nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 im Nahen Osten aus. Heute leben unter den 11,5 Millionen Tunesiern noch rund 1.500 Juden, die sich aus dem politischen Leben weitgehend heraushalten. Unter starkem Polizeischutz findet jährlich die Pilgerfahrt zur La-Ghriba-Synagoge auf der südtunesischen Insel Djerba statt, der ältesten erhaltenen Synagoge auf dem afrikanischen Kontinent, in diesem Jahr am 2./3. Mai. Auch Slama reiste mit, um vor der Wahl noch einmal Kraft zu tanken.

Bei den Kommunalwahlen konnten die Tunesier zum ersten Mal seit dem politischen Umbruch 2011 ihre Gemeindevertreter wählen. Die Wahlen stellen einen ersten Schritt der Dezentralisierung dar, die in der Verfassung von 2014 verankert wurde. Erst Ende April wurde ein umfassendes Gesetz verabschiedet, das den Kommunen mehr Unabhängigkeit von der Zentralregierung zugesteht.

Diese Chance will Slama nutzen, um seine Stadt mitzugestalten. Dafür bringt er sogar sportlichen Einsatz. Am Abend eines Wahlkampftags tauscht er seinen grauen Anzug gegen Ennahdha-Leibchen und Sportschuhe, um mit anderen Kandidaten und Jugendlichen werbewirksam Fußball zu spielen.

Von Sarah Mersch (epd)


Tansania: Gericht setzt Zwang zu Registrierung für Blogger aus

Ein Gericht in Tansania hat die von den Behörden verfügte Registrierung von Bloggern gestoppt. Das neue Gesetz, wonach alle Blogger für ihre Zulassung umgerechnet über 750 Euro zahlen sollten, wäre in diesen Tagen in Kraft getreten. Am 10. Mai werde das Gericht begründen, wieso es die Regelung ausgesetzt hat, berichtete der britische Sender BBC am 4. Mai. Demnach hatten Menschenrechtsorganisationen, Medien und die Autoren eines prominenten Blogs gegen das Gesetz geklagt. Laut der Regierung sollen die neuen Bestimmungen das ostafrikanische Land davor schützen, dass sich Lügen verbreiten. Kritiker sehen darin eine Maßnahme, um die Meinungsfreiheit einzuschränken.

Kritik an Regierung

Das Gesetz sieht vor, dass Blogger für die Registrierung umfangreiche Unterlagen über Investoren, Angestellte und Kapitalverhältnisse vorlegen müssen. Unabhängig davon behält die Regierung sich den Entzug einer Lizenz vor, etwa wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses oder Bedrohung der nationalen Sicherheit. Aus gleichem Grund darf die Behörde Posts löschen lassen. Wer die neuen Bestimmungen nicht erfüllt, riskiert hohe Geld- oder Haftstrafen.

Das Gesetz wendet sich vor allem gegen erfolgreiche Blogger, die die autoritäre Politik der Regierung unter Präsident John Magufuli kritisieren. Laut dem tansanischen Blogger Krant Mwantepele betrifft die neue Regelung in ihrer vorgesehenen Form auch gewöhnliche Nutzer, die in sozialen Medien aktiv sind. In Afrika, wo die Bevölkerung selbst in entlegenen Gebieten Zugang zu Smartphones hat, haben sich soziale Medien in den vergangenen Jahren als Kanäle für kritische Stimmen etabliert.



Entwicklungshaushalt steigt auf 9,4 Milliarden Euro

Der Haushalt des Bundesentwicklungsministeriums soll in diesem Jahr auf 9,4 Milliarden Euro steigen. Das sind 978 Millionen Euro mehr als im Jahr 2017, wie Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) am 2. Mai in Berlin mitteilte. Das Bundeskabinett hatte zuvor den Haushaltsentwurf für das aktuelle Jahr und die Eckwerte bis 2022 beschlossen. Demnach sollen auch die Ausgaben für die humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt um rund 300 Millionen Euro auf 1,5 Milliarden Euro steigen.

Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) äußerte sich "sehr zufrieden" mit dem Haushalt 2018, kritisierte jedoch die Pläne für die folgenden Jahre. Er verwies auf deutsche Aufgaben und Zusagen im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Fluchtursachen in Afrika oder auch beim Wiederaufbau im Irak. Mit den Haushaltsplänen für 2019 und den Folgejahren "sind die Bedarfe nicht abzudecken", warnte er. Bleibe es dabei, werde die ODA-Quote ohne Einrechnung der Flüchtlingskosten im Inland von derzeit 0,5 Prozent auf 0,47 weiter sinken.

Schriftlicher Einwand

Die sogenannte ODA-Quote bezeichnet, wie hoch der Anteil der Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit am Bruttonationaleinkommen ist. Die EU-Staaten haben sich auf 0,7 Prozent verpflichtet. Deutschland hat das Ziel 2016 erstmals knapp erfüllt, wobei die Flüchtlingshilfe im Inland mitgerechnet wurde. 2017 lag die Quote bei 0,66 Prozent.

Scholz bestätigte, dass Müller und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) schriftlich Einwände gegen die Haushaltspläne erhoben haben. Aus dem Entwicklungsministerium hieß es, dass der Minister eine Protokollerklärung zum Kabinettsbeschluss abgegeben habe, wonach er dem Haushaltsentwurf 2019, der in den kommenden Wochen erarbeitet wird, nur dann zustimmen könne, wenn er nachgebessert werde. Das Haushaltsaufstellungsverfahren soll bis Anfang Juli laufen. Dann wird darüber im Kabinett beraten. Über den endgültigen Haushalt entscheidet der Bundestag.

Auch "Brot für die Welt" warnte davor, nach dem Anstieg in diesem Jahr bei den Ausgaben für Entwicklungshilfe nachzulassen. "Strohfeuer helfen den Ärmsten der Armen nicht", sagte die Präsidentin des evangelischen Hilfswerks, Cornelia Füllkrug-Weitzel. Notwendige Initiativen zur Bekämpfung von Hunger und extremer Armut könnten nicht gestartet werden, wenn ihre Finanzierung in den Folgejahren nicht gesichert sei.



Studie: Mangroven helfen als grüner Küstenschutz bei Klimawandel


Boote auf dem Furo do Miguelao, Mangrovenvegetation, Brasilien
epd-bild / Werner Rudhart
Ohne Mangrovenwälder wären einer Studie zufolge jedes Jahr weltweit 18 Millionen Menschen mehr von Überschwemmungen bedroht. Das wäre eine Zunahme der Betroffenen um 39 Prozent.

Ohne Mangrovenwälder wären einer Studie zufolge jedes Jahr weltweit 18 Millionen Menschen mehr von Überschwemmungen bedroht. Das wäre eine Zunahme der Betroffenen um 39 Prozent, heißt es in einem Bericht, den das Bündnis Entwicklung Hilft am 2. Mai in Berlin vorstellte. Zugleich würden die materiellen Schäden durch Fluten um 16 Prozent oder 82 Milliarden US-Dollar (68 Milliarden Euro) steigen. Als natürliche Wellenbrecher stoppten die salztoleranten Wälder in der Gezeitenzone die Wassermassen und seien billiger als Dämme und Betonmauern, betonen die Forscher.

Vor allem in Entwicklungsländern wird den Angaben zufolge der "grüne Küstenschutz" in Form der sumpfigen Wälder in Zukunft eine wichtige Rolle bei der Anpassung an den Klimawandel spielen. Die größte Schutzwirkung registrieren die Forscher in den Ländern am Indischen Ozean und im östlichen Pazifik. Der Schutz ist größer bei regelmäßigen Niederschlägen als bei Zyklonen. Auf den Philippinen zum Beispiel verringern Mangroven das Überflutungsrisiko für mehr als 600.000 Menschen, von denen viele in extremer Armut leben, wie es in der Studie heißt.

Die meisten Menschen werden in Vietnam, Indien, Bangladesch und China durch Mangroven geschützt. Die Forscher plädieren für eine Wiederaufforstung der sumpfigen Wälder, wie es vielerorts schon geschehe. Gemessen an den Schäden, die sonst im jährlichen Durchschnitt entstehen würden, machten sich Mangroven am meisten bezahlt in China, den USA, Indien, Mexiko und Vietnam. Für den Katastrophenschutz sehen die Forscher Mangroven als besonders bedeutsam an für Guinea, Mosambik, Guinea-Bissau, Sierra Leone und Madagaskar.

Zum Bündnis Entwicklung Hilft gehören "Brot für die Welt", Misereor, die Deutsche Welthungerhilfe und fünf weitere Hilfswerke. Die Studie mit dem Titel "The Global Value of Mangroves for Risk Reduction" entstand zusammen mit der US-Organisation "The Nature Conservancy" und dem "Environmental Hydraulics Institute IHCantabria" in Spanien.



Ein Exot wird heimisch


Bienenfresser
epd-bild / Reinhard Hoelzl / imagebroker
Der Bauch ist türkis, die Kehle gelb, der Rücken orange: Bienenfresser fallen auf. Sie gehören zu den Exoten unter den europäischen Vögeln. In Deutschland nimmt der Bestand von Jahr zu Jahr zu.

Vogelschützer freuen sich: Einer der schönsten Vögel fühlt sich immer wohler in Deutschland. Schon seit 1990 brüten Bienenfresser Jahr für Jahr am klimatisch begünstigten Kaiserstuhl in Baden-Württemberg und im Saaletal von Sachsen-Anhalt, seit 2006/07 auch in Rheinland-Pfalz zwischen Koblenz und Neustadt an der Weinstraße. Rund 2.500 Brutpaare sind es in Deutschland.

Im Mai kehren diese Exoten nach Deutschland zurück. Sie sind etwa amselgroß und bunt wie Papageien: türkisfarbener Bauch, gelbe Kehle, kastanienbrauner bis orangefarbener Rücken. Der Schnabel ist lang, dünn und gebogen - gut für Insektenfresser. Sie fangen die Tiere von einer Warte aus in der Luft und, zum Ärger der Imker, manchmal auch Bienen direkt am Stock. Deren Giftdrüsen drücken sie auf einem Zweig aus, bevor sie die Insekten an ihre Jungen verfüttern.

Es ist wärmer geworden in Deutschland, und das gefällt den farbenfrohen Vögeln aus der Familie der Spinte, die zur Ordnung der Rackenvögel gehört. Eigentlich sind sie im südöstlichen Europa, in Spanien und im nördlichen Afrika sowie im westlichen Asien bis zum Altaigebirge zu Hause. Von geschätzten zwei Millionen Brutpaaren weltweit beträgt der mitteleuropäische Bestand weniger als 42.000, von denen die meisten in Ungarn brüten.

"Wir müssen besser verstehen, wieso der Bienenfresser in seinem Bestand zunimmt, obwohl seine Nahrung, die Insekten, dramatisch einbricht", erklärte Hans-Valentin Bastian, Sprecher der Fachgruppe "Bienenfresser" der Deutschen Ornithologen Gesellschaft, in seinem Jahresbericht für 2017. Seit 1960 hat die Gesellschaft in ihrer Datenbank 444 Brutstandorte gespeichert.

Allein in Sachsen-Anhalt lebt im Regenschatten des Harzes gut die Hälfte der deutschen Population. "Schon 2016 waren es rund 1.000 Brutpaare", sagt Ornithologe Martin Schulze. Bienenfresser nisten in tiefen Bruthöhlen, die sie in Steilwände von Kies- und anderen Gruben bauen - wie am Geiseltalsee, im Saalekreis westlich von Merseburg.

Dort hat der Braunkohletagebau Gruben mit Lößauflage hinterlassen, einer porösen, kalkhaltigen Schicht. "Warme, trockene Sommer und Lößböden wie hier und am Kaiserstuhl sind unerlässlich für eine erfolgreiche Brut", erklärt Schulze.

Deshalb werden in Baden-Württemberg bei neuen Flurbereinigungsverfahren auch Kunstwände in Lößhängen geschaffen, wie Ornithologe Jürgen Rupp vom Naturschutzbund Deutschland (NABU) am Südlichen Oberrhein berichtet. Allein am Kaiserstuhl brüteten voriges Jahr 496 Paare, am südlichen Oberrhein sogar mehr als 900. "Ein Rekord und eine Steigerung um gut 300 Paare gegenüber 2016", sagt Rupp.

Eine gute Kommunikation mit den Grubeneigentümern und den Bergämtern ist dafür unerlässlich. Annette Leipelt vom NABU in Sachsen-Anhalt lobt die Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Geologie und den Kiesunternehmern. Seit den 90er Jahren habe sich die Zahl der Brutpaare verdoppelt. Schulze spricht von einem jährlichen Zuwachs um 200 Paare seit 2015. Im Juli organisiert er auch Exkursionen für Vogelfreunde.

Der "Ornitourismus" nimmt auch in Rheinland-Pfalz zu, wo Jörn Weiß für den Bienenfresser-Arbeitskreis der Gesellschaft für Naturschutz und Ornithologie an den Kiesgruben unterwegs ist. Seit 2002 werden dort die Bestände erfasst und kartiert. Die größte Population bei Gerolsheim-Lambsheim nahe Frankenthal umfasst 63 Paare.

Schon im August kehren die Bienenfresser zurück nach Afrika. Wohin und auf welchen Routen, hat der NABU in Sachsen-Anhalt gemeinsam mit der Beringungszentrale Hiddensee und der Schweizerischen Vogelwarte Sempach/Luzern in einem Forschungsprojekt erkundet. Bis dahin war über Ringfunde nur bekannt, dass es bei den Bienenfressern wie bei den Weißstörchen Ost- und Westzieher gibt. Vögel aus Slowenien ziehen eher nach Ost- und Südafrika, Vögel aus Deutschland nach Westafrika.

2010/11 wurden jeweils 40 Vögel mit ultraleichten "Geolokatoren" versehen und im Jahr darauf wieder eingefangen. Die Auswertung der Datenchips bestätigte die Vermutung: Ein Vogel aus dem Saalekreis flog über Südspanien und Algerien bis ins Grenzgebiet zwischen Regenwald und Savanne, nach Gabun, Kongo und Angola, wobei er nur einen Tag brauchte, um den Regenwaldgürtel in Kamerun zu überqueren. Über Niger flog er ein halbes Jahr später zurück. Dann machte die Batterie des Überwachungsgerätes schlapp. Die Forscher vermuten, dass der Vogel zwei Wochen später wieder in Sachsen-Anhalt war.

Von Claudia Schülke (epd)


Golddistel und Ehrenpreis auf dem Balkon

Naturschutz zum Mitmachen: Im Projekt "Urbanität und Vielfalt" kann jeder die Patenschaft für seltene heimische Wildpflanzen übernehmen: auf dem eigenen Balkon oder im Garten.

Sonnenschein durchflutet die Marburger Oberstadt, dicht an dicht drängen die Besucher eines Frühlingsfestes durch die Gassen. Alexander Ruppel vom Botanischen Garten der Universität hat seinen Infostand am Rande des Marktplatzes aufgebaut. Aus einer Kiste lugen ein paar Halme und zartrosa Blüten hervor. "Hier war schon richtig was los", sagt Ruppel.

Gesucht sind "Paten" für bedrohte heimische Wildpflanzen wie den leuchtend blau blühenden Teufelsabbiss, Golddistel, Schwarze Flockenblume oder Wald-Ehrenpreis. Naturschutz zum Mitmachen - so lautet die Idee des Bürgerprojekts zur Stärkung der Pflanzenvielfalt.

Es ist früher Nachmittag, doch Ruppel hat bereits alle mitgebrachten Pflanzen an Marburger Bürger verteilt. Ein Mann, der leer ausgegangen ist, will sich seine "Patenkinder" im Botanischen Garten abholen. Sie sollen bei ihm zuhause neben Salat und Kräutern wachsen.

Ihm geht es dabei auch darum, den Insekten Nahrung zu bieten: "Es ist ja mittlerweile bekannt, dass Bienen Blumen brauchen." Eine Frage hat er noch: "Muss ich die Pflanzen düngen?"- "Auf gar keinen Fall", betont Ruppel. Die bedrohten Pflanzen sind an den mageren heimischen Borstgrasrasen angepasst.

Und den gibt es in der Region um Marburg immer seltener, weil kaum noch irgendwo Schafe die Wiesen abgrasen, sondern immer mehr Flächen intensiv bewirtschaftet werden. Im nahe gelegenen Vogelsberg seien zwischen 1963 und heute 99 Prozent dieser nährstoffarmen Borstgrasrasenflächen verschwunden, erklärt Biologe Ruppel.

In Marburg steht das Mitmach-Projekt noch am Anfang. In Berlin, wo die Initiative "Urbanität und Vielfalt" entstand, ging es schon Ende 2016 los. "Viele Leute sagen: Naturschutz ist toll. Aber sie wissen nicht, was sie tun sollen", erklärt Projektkoordinator Patrick Loewenstein vom Botanischen Garten in Potsdam.

Er hat die Idee mit entwickelt. Sechs Jahre dauerte es, bis die Finanzierung stand; Gelder kommen auch vom Bundesumweltministerium. 300 Paten kümmern sich in Berlin, Potsdam und Brandenburg bereits um heimische Wildpflanzen, in diesem Jahr sollen 600 weitere hinzukommen. "Es kostet nichts, es ist kein Verein, es braucht nur ein minimales Engagement", erklärt er. Es reiche ein Balkonkasten für die Pflanzen, "das geht auch im Plattenbau in Marzahn".

Mit den Pflanzen erhalten die Paten ein kleines Tütchen. Darin sollen sie nach der Blüte die Samen der bedrohten Pflanzen sammeln und an das Projekt zurückschicken. "Dadurch entsteht ein Reservoir", erklärt Loewenstein.

Gemeinsam mit Naturschutzbehörden werden die Samen dann im Berliner Stadtgebiet ausgebracht, vor allem in den Außenbezirken. Die Pflanzen benötigen einen Trockenrasen. Einige Gewächse seien sehr schön, bei anderen handele es sich um schlichte Gräser. "Aber auch zu ihnen gehören bestimmte Insekten, die sie bestäuben. Wenn die Pflanzen verschwinden, verschwinden auch die Insekten", sagt Loewenstein.

Als Paten meldeten sich Schulen, Kinderläden, ganz alte Leute, Familien oder Teenager. Es bestehe ein "reger Mailverkehr" mit den Teilnehmern, erzählt Loewenstein. "Sie fragen, was sie mit den Samen tun sollen, welche Unkräuter weg müssen, was sie sonst noch für die Umwelt tun können, wie sie ihr tägliches Leben umstellen können und warum der Apfelbaum im Garten nicht gut aussieht."

Dritter Standort des Projekts sind Dresden und der Landkreis Meißen. Hier können die Bürger Patenschaften für zehn Pflanzenarten übernehmen, zum Beispiel für den Guten Heinrich mit seinen großen Blättern, das Sommer-Adonisröschen oder das Echte Herzgespann, das gerne von Bienen besucht wird.

Zurück im Botanischen Garten in Marburg beugt sich Alexander Ruppel über ein Beet: "Hier blüht schon was." In kleinen Töpfen wächst die purpurn-blühende Berg-Platterbse, die Pechnelke mit ihren leuchtenden Blüten und Silber-Fingerkraut. Insgesamt 4.000 Pflanzen hat Ruppel gezogen, 450 sind bereits an Marburger Bürger verteilt.

Die Politik, meint Loewenstein vom Botanischen Garten Potsdam, könne den Verlust der Artenvielfalt nicht aufhalten. Nach Ablauf der Förderung will er eine Community gebildet haben, die sich weiterhin um bedrohte Wildpflanzen kümmert.

Von Stefanie Walter (epd)


Wieder bundesweit große Vogel-Zählung

Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) ruft wieder zur bundesweiten Vogelzähl-Mitmachaktion "Stunde der Gartenvögel" auf. Naturfreunde werden gebeten, vom 10. bis 13. Mai eine Stunde lang Vögel im Garten, vom Balkon aus oder im Park zu beobachten, zu zählen und an den Nabu zu melden, wie die Organisatoren am 4. Mai in Berlin mitteilten. Die Ergebnisse können per Internet, Telefon oder Post gemeldet werden.

Im Vorjahr hatten sich rund 60.000 Vogelfreunde an der Vogelzählung beteiligt und aus mehr als 40.000 Gärten insgesamt mehr als 1,4 Millionen Vögel gemeldet. Die mittlerweile 14. "Stunde der Gartenvögel" findet vom Himmelfahrtstag bis Muttertag statt. Das ist ein Tag mehr als in den Vorjahren. "Wir wünschen uns, dass möglichst viele Menschen mitmachen, denn umso aussagekräftiger werden die Ergebnisse", sagte Nabu-Bundesgeschäftsführer Leif Miller.

Laut Nabu handelt es sich bei der "Stunde der Gartenvögel" gemeinsam mit der Schwesteraktion, der "Stunde der Wintervögel", um Deutschlands größte wissenschaftliche Mitmach-Aktion. Die seit 2005 gesammelten Daten ermöglichten solide Aussagen über Zu- und Abnahmen, erklärte Nabu-Vogelschutzexperte Lars Lachmann. Über den Zeitraum zeigten sich im Siedlungsraum bei 20 Vogelarten eine Zunahme, bei 17 Arten abnehmende Zahlen und bei weiteren 20 Arten keine Tendenz in die eine oder andere Richtung.

Auch habe sich die Gesamtzahl der Vögel im Siedlungsraum seit 2005 nur wenig verändert, trotz Schwankungen in einzelnen Jahren. "Damit hebt sich die Entwicklung in Gärten und Parks erfreulicherweise deutlich von den drastisch schwindenden Vogelbeständen unserer Wiesen und Felder ab, die einen Großteil der Fläche Deutschlands ausmachen", sagte Lachmann.

Teilnehmer an der Vögelzählung sollten sich ein ruhiges Plätzchen suchen und vor dort aus von jeder Vogelart die höchste Anzahl notieren, die im Laufe einer Stunde entdeckt werden kann. Meldeschluss ist der 21. Mai. Für kleine Vogelexperten hält der Nabu ein Aktionspaket mit Zählkarten, einem "Vogelbüchlein für die Hosentasche" und Poster bereit.



Turmfalken-Webcam im Thüringer Umweltministerium

Das Thüringer Umweltministerium in Erfurt bietet einem Turmfalken-Pärchen vorübergehend ein Zuhause. Mit einer eigens eingerichteten Kamera könne jetzt die Aufzucht der Turmfalken-Jungen unter dem Dach des Behördenbaus quasi live im Internet mitverfolgt werden, teilte das Ministerium am 6. Mai in Erfurt mit.

In den kommenden Tagen sei mit der Eiablage des Falkenweibchens zu rechnen. Nach etwa vier Wochen Brutzeit schlüpfen dann die Jungen. Ungefähr 35 Tage nach dem Schlüpfen haben die Jungvögel das Fliegen erlernt und können weitere 30 Tage später selbstständig jagen.

Das Ministerium bietet nach eigenen Angaben bereits seit einigen Jahren in der Erfurter Beethovenstraße einem Turmfalken-Pärchen ein Zuhause. In Thüringen gibt es nach Angaben der Staatlichen Vogelschutzwarte Seebach rund 3.000 Turmfalkenpaare. Für Deutschland werden etwa 50.000 Turmfalkenpaare angenommen. Die Turmfalken - lateinisch Falco tinnunculus - sind die in Mitteleuropa am häufigsten vorkommende Falkenart, hieß es.

Die Livebilder der Webcam sind unter folgendem Link zu sehen: http://www.thueringen.de/th8/tmuen/aktuell/neues/104319/




Medien & Kultur

Einsatz für Pressefreiheit angemahnt


Roland Jahn
epd-bild / Jürgen Blume
Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, hat die Pressefreiheit als Voraussetzung für eine freie Gesellschaft bezeichnet. Nur die Freiheit der Medien erlaube einen demokratischen Diskurs.

Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, hat die Pressefreiheit als Voraussetzung für eine freie Gesellschaft bezeichnet. Nur die Freiheit der Medien erlaube einen demokratischen Diskurs, sagte Jahn am 3. Mai in Berlin zum Internationalen Tag der Pressefreiheit. Dabei warnte er vor Zensur im Internet als Folge von Hass-Kommentaren. Als Bedrohung der Demokratie bezeichnete Jahn die Verbreitung von Falschnachrichten (Fake News), verpackt in Kommentaren. Mit "Desinformation" habe schon die DDR-Staatssicherheit gearbeitet, sagte Jahn auf einer Podiumsdiskussion unter dem Motto "Allen eine Stimme geben" in der ehemaligen Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg.

Der Präsident des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ), Rudolf Thiemann, sagte bei der über YouTube gestreamten Veranstaltung mit rund 100 Schülern, die Vielfalt der Medien sei nur möglich, wenn sich die Pressefreiheit entfalten könne. Dabei warnte er vor einer möglichen Zensur etwa als Folge des im vergangenen Jahr beschlossenen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Danach müssen Plattformbetreiber von Nutzern gemeldete Beiträge mit "offensichtlich rechtswidrigem" Inhalt binnen 24 Stunden löschen. Andernfalls drohen hohe Geldstrafen. Mit dem Gesetz soll Hass im Internet bekämpft werden. Der VDZ vertritt nach eigenen Angaben mehr als 500 Verlage, die zusammen mehr als 6.000 Zeitschriften verlegen.

Gemma Pörzgen, Vorstand der Menschenrechtsorganisation "Reporter ohne Grenzen", erinnerte zum Tag der Pressefreiheit an im Ausland inhaftierte Journalisten. Es sei wichtig, diese zu unterstützen, in dem etwa international Öffentlichkeit über deren Schicksal geschaffen werde. Zugleich kritisierte die freie Journalistin, dass sich viele Kollegen auch im Inland damit schwer täten, ihre Unabhängigkeit zu bewahren. Der Einfluss von PR-Agenturen und Firmen auf die Berichterstattung sei gefährlicher als etwa der vermutete Einfluss von Politikern.

Als Beispiel nannte sie den Reise- und Auto-Journalismus. Unterstützung bei der Recherche durch Unternehmen müsse bei Veröffentlichung durch die Redaktionen kenntlich gemacht werden, so Pörzgen. Weiter bemängelte sie mit Blick auf Hass-Kommentare, dass Medienunternehmen noch zu wenig in Social-Media- Redakteure investierten, um Debatten in den Kommentarspalten auch zu moderieren.

Die Bloggerin Nhi Le rief Nutzer sozialer Medien dazu auf, auf diskriminierende, verletzende oder bedrohende Kommentare online mit eigenen Kommentaren zu reagieren. Dies wäre nicht nur ein Beitrag für mehr Ausgewogenheit in der Debatte auf einer Plattform, sondern auch ein Inschutznehmen der von "Hate Speech" Betroffenen. Allerdings gebe es auch die Angst, dann selbst Ziel von Hass-Kommentaren zu werden, sagte die Bloggerin. Zudem sollten Hass-Kommentare den Plattformbetreibern gemeldet werden. "Pressefreiheit ist nicht selbstverständlich", so Nhi Le, die selbst Ziel von Bedrohungen und Hass-Kommentaren ist: "Stellt Euch vor die Betroffenen."



Appelle an Türkei: Inhaftierte Journalisten und Autoren freilassen

Zum weltweiten Tag der Pressefreiheit an diesem Donnerstag haben Verbände zur Freilassung inhaftierter Journalisten und Autoren in der Türkei aufgerufen. Trotz der Haftentlassung von Asli Erdogan und Deniz Yücel habe sich die Situation für Kultur- und Medienschaffende nicht verbessert, erklärten der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, das PEN-Zentrum Deutschland und "Reporter ohne Grenzen" am 2. Mai in Frankfurt. Die Meinungsfreiheit sei nach wir vor akut bedroht, wie zahlreiche neue Inhaftierungen und Urteile zeigten. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International erklärte: "Die Pressefreiheit in der Türkei liegt seit fast zwei Jahren in Ketten."

Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) wies unterdessen auf Einschränkungen für Journalisten in Ländern der EU hin und forderte die europäischen Regierungen zur Achtung der Pressefreiheit auf. In der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit der Organisation "Reporter ohne Grenzen" hätten sich einige EU-Mitgliedstaaten teilweise gravierend verschlechtert, erklärte Grütters am Mittwoch in Berlin: "Das erfüllt mich mit tiefer Sorge." Ähnlich besorgt äußerte sich die Deutsche Unesco-Kommission über die Entwicklung in der EU.

In der Türkei seien massive und unrechtmäßige Einschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit seit Ausrufung des Ausnahmezustands im Juli 2016 an der Tagesordnung, sagte Amnesty-Expertin Janine Uhlmannsiek am Mittwoch. Mehr als 180 Medienhäuser habe die Regierung schließen lassen, mehr als 120 Journalistinnen und Journalisten befänden sich in Haft und Tausende Medienschaffende hätten ihren Job verloren.

Der Börsenverein sowie die Schriftsteller- und Journalistenvereinigungen verwiesen in diesem Zusammenhang unter anderem auf die teils langen Haftstrafen für Mitarbeiter der regierungskritischen Zeitung "Cumhuriyet", die erst in der vergangenen Woche "auf Basis haltloser Vorwürfe" ergangen seien, sowie auf den Haftbefehl gegen den deutsch-türkischen Mitarbeiter der linken Nachrichtenagentur Etha, Adil Demirci. Die Anklagen gegen die deutschen Journalisten Deniz Yücel und Mesale Tolu bestünden weiter, hieß es. Viele wichtige Vertreter der türkischen Kulturszene seien in Haft, wie etwa der Verleger und Förderer zivilgesellschaftlicher Initiativen Osman Kavala, aber auch der Ehrenvorsitzende von Amnesty International in der Türkei, Taner Kilic.

Auch in anderen Teilen der Welt sei die Meinungs,- Presse- und Informationsfreiheit eingeschränkt, etwa in China, Saudi-Arabien, Ägypten oder auch in Ungarn und Polen, erklärten die Verbände. Sie forderten die Bundesregierung und die EU-Kommission auf, sich stärker für Opfer staatlicher Willkür einzusetzen und konsequent Position zu beziehen, für die "Freiheit des Wortes": "Sie ist ein Menschenrecht und nicht verhandelbar."

Grütters erklärte, die Freiheit kritischer öffentlicher Stimmen sei ein sicherer Gradmesser für den Zustand einer Demokratie. Jede Regierung, die sich der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie verpflichte, müsse "alles für einen freien und unabhängigen Journalismus tun, um glaubwürdig zu sein", sagte die Kulturstaatsministerin. Dazu gehöre, die Staatsferne der Medien zu respektieren sowie ihre publizistische Unabhängigkeit und gute Arbeitsbedingungen von Journalisten zu gewährleisten.

Nach Analysen von "Reporter ohne Grenzen" hat sich die Pressefreiheit im vergangenen Jahr im weltweiten Vergleich in Europa am gravierendsten verschlechtert. Journalisten seien dort zunehmend medienfeindlicher Hetze durch Regierungen oder führende Politiker ausgesetzt, hieß es vergangene Woche bei der Vorstellung der Rangliste der Pressefreiheit Als Beispiele wurden Serbien, Malta, Tschechien und die Slowakei genannt. Auch in Ungarn und Polen betrachtet die Organisation die Lage mit Sorge.

Das Vorstandmitglied der deutschen Unesco-Kommission, Wolfgang Schulz, erklärte, Machtverschiebungen könnten die Pressefreiheit auch in Ländern bedrohen, in denen sie eigentlich verfassungsrechtlich garantiert sei. Dies sei auch innerhalb der EU zu beobachten und sei "eine gefährliche Entwicklung für die Demokratie in unserer Staatengemeinschaft".



Angriff auf Journalisten: Opferberatung kritisiert Ermittlungsbehörden

Eine "inkonsequente Strafverfolgung" wirft die Opferberatung ezra den Ermittlungsbehörden nach dem brutalem Angriff auf zwei Journalisten am 29. April im thüringischen Eichsfeld vor. Obwohl Fotos der Täter und des Tatortes vorlägen und beide Opfer noch am Tag des Angriffs bei der Polizei ausgesagt hätten, seien die Täter weiterhin auf freiem Fuß, kritisierte ezra-Beraterin Theresa Lauß am 3. Mai in Erfurt. Ungeachtet der Attacken mit Messer und Schraubenschlüssel, bei der die Betroffenen erheblich verletzt wurden, habe die Staatsanwaltschaft entgegen der üblichen Praxis keinen Haftbefehl beantragt, hieß es.

Mutmaßliche Neonazis sollen am Sonntag im thüringischen Eichsfeld zwei Fotografen gejagt, attackiert und beraubt haben. Die beiden Journalisten hatten zuvor Foto- und Filmaufnahmen vom Grundstück des Thüringer NPD-Chefs Thorsten Heise gemacht.

Die Opferberatung registriere schon seit Jahren eine Brutalisierung der Angriffe durch Neonazis auf Journalisten. Durch die hohe Gefährdung werde es zunehmend schwieriger, zu Neonazistrukturen und Akteuren zu recherchieren und zu berichten. "Lediglich eine konsequente Strafverfolgung der Polizei und Staatsanwaltschaft kann die Pressefreiheit an dieser Stelle gewährleisten", betonte Lauß.

Die Nähe der Angreifer zum bekannten Neonazi Thorsten Heise werfe die Frage auf, inwiefern und ob der einschlägig Vorbestrafte in den Tatzusammenhang involviert war oder sogar Waffen zur Verfügung gestellt haben könnte. Heise sei kein Unbekannter; als Kader der verbotenen FAP und Person aus dem mutmaßlichen Umfeld des NSU-Unterstützerkreises sei er zuletzt überregional als Organisator des Rechtsrock-Festivals "Schild und Schwert" im sächsischen Ostritz in Erscheinung getreten, so die Opferberatung.

Ezra - das hebräische Wort steht für Hilfe - unterstützt seit 2011 Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen. Träger ist die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM). Finanziert wird die Opferberatung über das Bundesprogramm "Demokratie leben!" und das Thüringer Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit "DenkBunt".



RBB-Intendantin Schlesinger fordert zügig neuen Telemedienauftrag

Die Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB), Patricia Schlesinger, fordert im Streit um Einsparungen der öffentlich-rechtlichen Sender eine auf Inhalte ausgerichtete Debatte. Die Öffentlich-Rechtlichen hätten einen Auftrag zu erfüllen, sagte sie am 2. Mai in einer Podiumsdiskussion während der Kongresse Media Convention Berlin und re:publica. Diesen Auftrag lege die Politik fest. Vor der Debatte über Finanzen stellten sich daher die Fragen: Was müssten öffentlich-rechtliche Sender in der Zukunft liefern und wie sollten sie im Netz auftreten?

"Wenn wir im Netz nicht machen, was wir machen sollen, sind wir auf einem absterbenden Ast", betonte Schlesinger. In dem Zusammenhang brauche Deutschland dringend einen neuen Telemedienauftrag. Die Länder, die in Deutschland für Medienpolitik zuständig sind, planen seit längerer Zeit, die Regeln für die Online-Auftritte der Öffentlich-Rechtlichen im Rundfunkstaatsvertrag zu reformieren. Dabei geht es zum Beispiel um die Verweildauer von Beiträgen in den Online-Mediatheken und um die Frage, wie viele Textinhalt die Öffentlich-Rechtlichen im Netz anbieten dürfen. Die Ministerpräsidenten hatten sich zuletzt bei ihrer Konferenz Anfang Februar mit der Neufassung beschäftigt, einen konkreten Beschluss aber erneut vertagt.

In der Diskussionsrunde mit dem Titel: "Kritik und Reformen überall: Reboot des öffentlich-rechtlichen Systems?" äußerte sich auch die stellvertretende Generaldirektorin der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG SRR, Ladina Heimgartner. Obwohl die Schweizer in einem Volksentscheid Anfang März deutlich für den Erhalt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gestimmt hatte, sehe sie die Aufgabe, das Vertrauen der Menschen in die Arbeit der Sender wieder herzustellen, sagte Heimgartner.

Sie verwies auf Kritik an hohen Kosten, die oft daraus resultierten, dass in der Schweiz vier Amtssprachen (Deutsch, Französisch, Italienisch, Rätoromanisch) berücksichtigt werden müssten. "Vielleicht ging es uns zu lange zu gut", räumte Heimgartner dennoch ein. Es sei versäumt worden, mit den Zuschauern in einen Dialog zu treten. Die Idee von öffentlich-rechtlichen Sendern aber überzeuge noch immer, betonte sie.



Debatte über Medienvielfalt in Brandenburg gefordert

Angesichts einer zunehmenden Konzentration auf dem Brandenburger Zeitungsmarkt haben die Grünen eine Debatte über die Medienvielfalt im Land gefordert. Die wachsende Zahl von Zeitungsfusionen aus wirtschaftlichen Gründen führe "zu einer besorgniserregenden Ausdünnung der Medienlandschaft und einem Rückgang an Medienvielfalt", sagte die medienpolitische Sprecherin der Landtagsfraktion der Grünen, Marie Luise von Halem, am 30. April in Potsdam. Hintergrund ist die ab Dienstag wirksame Übernahme der "Lausitzer Rundschau" durch die Neue Pressegesellschaft Ulm (NPG).

"Wir sollten dies zum Anlass nehmen, uns zu vergegenwärtigen, welchen immens wichtigen Dienst ein hochwertiger Journalismus für die demokratische Auseinandersetzung leistet und was uns Bürgerinnen und Bürgern dieser Dienst wert sein sollte", sagte Halem. Weiter betonte sie: "Die Gewährleistung der Pressefreiheit hat Verfassungsrang."

Ab Dienstag wird die Übernahme die "Lausitzer Rundschau" durch die Neue Pressegesellschaft Ulm (NPG) wirksam. Zur NPG gehören bislang unter anderem die "Südwest Presse" in Ulm und die "Märkische Oderzeitung" in Frankfurt an der Oder. Die NPG hatte zuletzt 2011 über ihr Tochterunternehmen Märkisches Medienhaus auch die zur Ippen-Gruppe gehörenden "Oranienburger Generalanzeiger", "Ruppiner Anzeiger", "Gransee Zeitung" und "Hennigsdorfer Generalanzeiger" im Nordwesten Brandenburgs sowie einige Wochenblätter gekauft.

Zwar sollen die "Märkische Oderzeitung" und "Lausitzer Rundschau" nach NPG-Angaben redaktionell eigenständig bleiben. Dennoch werden beide Zeitungen "im überregionalen Teil künftig voraussichtlich viele identische Texte haben, die vom selben Berliner Büro kommen", sagte Halem. Hier wirke ein Trend, der weltweit zu beobachten sei: "Zeitungen fusionieren oder müssen sogar eingestellt werden, weil Anzeigeneinnahmen wegbrechen und Verkaufszahlen sinken."

Die Grünen-Politikerin betonte weiter: "Zugespitzt ausgedrückt: Das, was mit dem Einzelhandel durch Amazon und andere Online-Händler passiert ist, darf mit unserer Medienlandschaft nicht geschehen." Die Entwicklungen auf dem Medienmarkt führten schleichend dazu, "dass Meinungsvielfalt und kritische Berichterstattung leiden". Die Abgeordnete räumte ein, keine Patentlösungen zu kennen. Wichtig sei aber, die Veränderungen der Medienlandschaft "nicht einfach stillschweigend hinzunehmen", sondern mit Experten und Bürgern zu diskutieren und gute Vorschläge zu unterstützen.



Grütters fordert mehr Transparenz im Internet

Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) hat zum Schutz von Demokratie und Meinungsvielfalt konkrete Transparenzvorschriften für Google, Facebook und andere Anbieter von Onlinediensten gefordert. Dies sei dringend erforderlich, "damit klarer wird, welche zentralen Kriterien insbesondere bei Such- und Empfehlungsfunktionen verwendet werden", erklärte Grütters in einem Gastbeitrag im "Tagesspiegel" (5. Mai). Internetnutzer sollten leicht erkennen können, wenn Algorithmen Anwendung finden, etwa wenn "Nachrichten nicht oder nicht ausschließlich nach journalistischen Kriterien ausgesucht werden".

Die Digitalisierung stelle Demokratie und Rechtsstaat auf eine Bewährungsprobe, so Grütters weiter: "Offensichtlich ermöglicht das Internet derzeit mehr Freiraum, als die Demokratie vertragen kann." Es biete die Möglichkeiten, Daten zu missbrauchen, Deutungsmonopole aufzubauen und auch Lügen, Hass und Hetze zu verbreiten.

Zu den veränderten Rahmenbedingungen gehöre beispielsweise, "dass soziale Netzwerke in der demokratischen Öffentlichkeit zunehmend eine moderierende und damit auch für die Meinungsbildung relevante Rolle übernehmen", erklärte die CDU-Politikerin. Was Facebook-Nutzer zu sehen bekommen, seien die Ergebnisse eines Algorithmus. Dieser sei "ausgerichtet auf individuelle Nutzerpräferenzen und programmiert nicht im demokratischen Interesse der freien Meinungsbildung, sondern im Interesse ökonomischer Gewinnmaximierung mit dem Ziel, möglichst viel 'Traffic' zu generieren".

Das nähre zum einen die Filterblasen, in denen nicht zuletzt rassistische Hetze, Falschmeldungen und Verschwörungstheorien besonders gut gedeihen. Zum anderen berge es die Gefahr, dass die Marktlogik der Klick-Ökonomie zunehmend das redaktionelle Angebot etablierter Medien bestimme.

Grütters betonte, wenn zivilisatorische Errungenschaften wie die Freiheit der Kunst, kulturelle Vielfalt, geistiges Eigentum und "Grundprinzipien einer demokratischen Kultur der Verständigung" erhalten bleiben sollten, müssten die bisher geltenden Regeln an die neuen Bedingungen angepasst werden. Notwendig sei "ein politisches Update", so die oberste Kulturpolitikerin des Landes.



EKD-Datenschutzbeauftragter: Internet kein rechtsfreier Raum


Michael Jacob
epd-bild / Norbert Neetz

Anlässlich der Netzkonferenz re:publica hat der kirchliche Datenschutzbeauftragte Michael Jacob zu mehr Reflexion des eigenen Handelns im Internet aufgefordert. In den vergangenen Jahren habe sich ein Bewusstsein breitgemacht, dass das Netz ein eigener Raum sei, sagte Jacob dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Berlin. "Manchmal erscheint es mir, als wenn einige glauben, man stehe im virtuellen Raum jenseits von allem anderen. Aber man ist mittendrin", sagte der Beauftragte für den Datenschutz der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Die Freiheit im Internet sei ein hohes Gut und Ausdruck von Meinungsfreiheit, sagte Jacob. Man müsse beklagen, dass diese Freiheit in weiten Teilen der Welt, unter anderem in China, eingeschränkt werde. "Auf der anderen Seite steht aber auch ganz klar, dass das Netz kein rechtsfreier Raum ist", sagte der Jurist und ergänzte: "Es gelten die gleichen Straf- und Zivilgesetze wie sonst im Leben."

"Alle Tabus fallen"

Insbesondere zwei Dinge machten ihm Sorgen, sagte Jacob. Die Kirche habe ein besonderes Augenmerk darauf, "wie wir im Netz in einer vermeintlichen Anonymität miteinander umgehen". "Man hat manchmal den Eindruck, dass bei einigen Menschen alle Tabus fallen", sagte er. Menschen seien bereit, in einer häufig ehrverletzenden Art und Weise andere anzugehen. Auf der anderen Seite seien Menschen bereit, "ihre persönlichsten, privatesten, sogar intimsten Sachen einer breiten Öffentlichkeit mitzuteilen". Als Datenschutzbeauftragter sehe er hier Anlass für eine breite Diskussion und Aufklärung.

epd-Gespräch: Corinna Buschow


Reise nach Jerusalem


Jüdisches Museum in Berlin
epd-bild / Ingo Schulz
Vier Kurzfilme in 360-Grad Virtual Reality-Technik (VR) lassen den Besucher des Jüdischen Museum Berlin in den Alltag Jerusalems eintauchen. Er erlebt quasi hautnah den ganz normalen Wahnsinn und Zauber dieser Stadt.

Diese Reise nach Jerusalem dauert nur eine knappe halbe Stunde und lässt einen doch danach sehr lange nicht mehr los. In jeweils fünf- bis achtminütigen fiktionalen Episoden "Glaube", "Liebe", "Hoffnung" und "Angst" erzählt der Regisseur Dani Levy ("Meschugge", "Alles auf Zucker") vom Leben an einem Brennpunkt des Nahostkonflikts aus israelischer und palästinensischer Perspektive. Levy thematisiert die alltäglichen Spannungen, den ständig präsenten Wahnsinn in Jerusalem, das Juden, Muslime und Christen als ihre heilige Stadt beanspruchen, mit einem trockenen, jüdischen Humor. Die dabei verwendete 360-Grad Virtual Reality-Technik (VR) führt den Zuschauer mitten ins groteske Geschehen: Er setzt sich eine Virtual-Reality Brille auf und ist plötzlich Besucher der Stadt.

Es ist Levys erste fiktionale Virtual Reality-Serie. Die von Arte, dem ZDF sowie dem Medienboard Berlin Brandenburg und Nordmedia Filme geförderten Filme drehte Levy für die bis Frühjahr 2019 laufende Ausstellung "Welcome to Jerusalem" im Jüdischen Museum Berlin. Zu sehen sind sie sechs Wochen lang bis zum 17. Juni an zehn VR-Stationen. Für die Kuratorin des Jüdischen Museums, Cilly Kugelmann, sind die Filme eine Pionierarbeit und Modell für künftige Ausstellungskonzepte.

Virtual Reality-Technik werde in Zukunft ein wichtiger Teil der Ausstellungstechnik, sagte Kugelmann am 3. Mai in Berlin. Diese vier Filme zeigten dem Ausstellungsbesucher die ungeheueren Widerstände und Ambivalenzen dieser Stadt, die ein normales Exponat gar nicht leisten könne.

Die insgesamt einwöchigen Dreharbeiten mit israelischen und palästinensischen Schauspielern und Statisten seien eine "emotionale Achterbahnfahrt" gewesen, sagte Levy. "In Israel zu drehen, ist unberechenbar." Immer wieder hätten unbeteiligte Passanten oder das Militär in das Geschehen eingegriffen, weil sie sich provoziert oder angesprochen fühlten. Die Spannungen seien greifbar gewesen. "Man wusste nie so richtig, was passiert", sagte Levy.

Die vier Filme nehmen je zwei Mal die israelische und die palästinensische Perspektive ein: Auf dem Zionsplatz in der Jaffa-Straße, einer Einkaufsstraße in West-Jerusalem, provoziert ein Stand-up Comedian wütende Reaktionen seiner Zuhörer, am Checkpoint nach Ost-Jerusalem kontrolliert ein junger Soldat eine Palästinenserin und lädt sie zu seinem Geburtstag ein, über den Dächern der Altstadt erscheint ein Asiate, der an dem Jerusalem-Syndrom leidet und sich als Jesus sieht. In einer Bauruine, die das Parlamentsgebäude der Palästinensischen Gebiete werden sollte, haust ein wiederauferstandener Jassif Arafat und wartet darauf, an den Verhandlungstisch für den Friedensprozess zurückkehren zu können.

Trotz Drehgenehmigungen seien die heikelsten Drehorte die Szenen am Checkpoint an der Mauer und in dem Parlamentsgebäude gewesen, sagte Levy. Unter den palästinensischen Schauspielern fand sich keiner, der den Arafat spielen wollte, so dass das Team schließlich auf einen Laien zurückgreifen musste. Auch in der Ruine des Parlaments durfte kurzfristig nicht gedreht werden, zu emotional aufgeladen ist das Thema des gescheiterten Friedensprozesses bei den Palästinensern.

Traurig-absurd seien auch die Checkpoint-Szenen an der Mauer gewesen, berichtete Levy. Die junge palästinensische Schauspielerin war nicht bereit, den Soldaten spielenden israelischen Schauspieler anzulächeln. "Für sie war entscheidend, die offizielle 'Anti-Normalisierungs-Haltung' zu bewahren", sagte Levy. "Sie sagte mir: Ich spiele nur mich. Wegen dieser Mauer da".

Von Markus Geiler (epd)


Farid Bang und Kollegah besuchen Auschwitz

Nach dem Antisemitismus-Eklat um den Musikpreis Echo haben sich die Rapper Kollegah und Farid Bang zu einem Besuch der KZ-Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau bereiterklärt. "Wir nehmen die Einladung an", sagte Farid Bang der "Bild". Das Internationale Auschwitz-Komitee hatte den beiden Musikern nahe gelegt, die KZ-Gedenkstätte zu besichtigen. Dass die Rapper nun zugesagt hätten, sei "ein Signal an ihre vielen Fans", sagte der Vizepräsident des Komitees, Christoph Heubner, der Zeitung. Der Auschwitz-Besuch soll dem Bericht zufolge am 3. Juni stattfinden.

Bei der Echo-Gala Mitte April waren Farid Bang und Kollegah trotz Antisemitismus-Vorwürfen und massiver Kritik im Vorfeld ausgezeichnet worden. Die beiden Rapper erhielten den Preis für ihr Album "Jung, Brutal, Gutaussehend 3" in der Kategorie Hip-Hop/Urban National. Darin finden sich Textzeilen wie "Mache wieder mal 'nen Holocaust, komm' an mit dem Molotow" oder "Mein Körper definierter als von Auschwitz-Insassen".

Die Auszeichnung der Rapper hatte bundesweit ein Welle der Empörung ausgelöst. Zahlreiche Preisträger, darunter Stardirigent Daniel Barenboim und Rockmusiker Marius Müller-Westernhagen, hatten daraufhin aus Protest ihre Auszeichnungen zurückgegeben. Unter dem massiven öffentlichen Druck entschied der Bundesverband Musikindustrie in der vergangenen Woche, den Echo in der bisherigen Form abzuschaffen.



Neues Online-Portal zu NS-Raubkunst

Tausende Objekte der Sammlung Rudolf Mosse wurden in der Nazizeit versteigert und verschwanden in Museen und Privatbesitz. Seit 2017 fahndet ein Forschungsprojekt nach den verschwundenen Werken. Ein Online-Portal zeigt erste Ergebnisse.

In Künstlerkreisen hieß Anfang des 20. Jahrhunderts das dreigeschossige Stadtpalais von Rudolf Mosse am Leipziger Platz in Berlin "Mosseum". Der legendäre deutsch-jüdische Verleger (1843-1920), unter anderem Herausgeber des links-liberalen "Berliner Tageblatts", war ein passionierter Kunstsammler. Zu seiner mehrere tausend Objekte umfassenden Sammlung gehörten Namen wie Wilhelm Leibl, Franz Lenbach, Adolph Menzel oder Max Liebermann. Neben Gemälden und Skulpturen sammelte er aber auch Kunsthandwerk, Möbel, Textilien, ägyptische Altertümer, Benin-Bronzen und Ostasiatika sowie wertvolle Handschriften und seltene Bücher.

1933 trieben die Nazis Mosses Tochter Felicia und Schwiegersohn Hans Lachmann-Mosse mit den drei Kindern ins Exil. Der Besitz wurde versteigert, von vielen der Kunstwerke verlor sich die Spur. Seit einem Jahr erforschen die in den USA lebenden Nachfahren der Mosse-Familie gemeinsam mit öffentlichen Einrichtungen in Deutschland den Verbleib der geraubten Kunstwerke. An dem Projekt wirken seit Frühjahr 2017 neben der an der Freien Universität Berlin angesiedelten Mosse Art Research Initiative (Mari) weitere Einrichtungen mit wie die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die Kulturstiftung der Länder, die Stiftung Jüdisches Museum Berlin und das Landesarchiv Berlin. Die ersten Ergebnisse der Nachforschungen sind nun auf einem neuen Online-Portal zu sehen, wie die projektverantwortliche Koordinatorin Meike Hoffmann am 2. Mai sagte.

24 Werke identifiziert

"Wir haben bisher die Forschung zu 115 Werken aufgenommen, zu 68 Werken haben sich belastbare Spuren ergeben", sagte Hoffmann. "Für 30 Werke sind im Mari-Online-Portal alle Informationen hinterlegt, die in unsere Forschung eingegangen sind." 24 Werke konnten die Provenienzforscher bereits eindeutig identifizieren, acht sogar lokalisieren. Die Werke befinden sich unter anderem im Belvedere in Wien, im Tel Aviv Museum in Israel, im Arkell Museum in Canajoharie im US-Bundesstaat New York oder im Privatbesitz.

Mari ist die erste öffentlich-private Partnerschaft in der Provenienzforschung und gilt bislang als einzigartig. Der Sprecher der Mosse-Erbengemeinschaft und Präsident der Mosse Foundation, Roger Strauch, spricht von einer beispiellosen Zusammenarbeit. Sie stehe für die wohlwollende Grundhaltung der deutschen Regierung und der Kultureinrichtungen des Landes, sagte der US-Amerikaner in Berlin. "Danken möchten wir auch den vielen talentierten Provenienzforschern, die mit großer Beharrlichkeit nach den Kunstwerken aus der Sammlung Mosse suchen."

Neun Exponate zurückgegeben

Als eine der ersten deutschen Einrichtungen hatte die Stiftung Preußischer Kulturbesitz 2015 und 2016 neun Werke aus den eigenen Beständen an die Mosse-Erben in den USA zurückgegeben. Drei davon konnten in den folgenden Jahren für die Sammlungen der Staatlichen Museen erworben werden. Zurückgekauft wurden von den Mosse-Erben ein römischer Kindersarkophag sowie die "Susanna" von Reinhold Begas (1831-1911) und eine Löwenskulptur von August Gaul (1869-1921). Der Kindersarkophag ist im Neuen Museum und die "Susanna" in der Alten Nationalgalerie zu sehen. "Die liegende Löwin" wird künftig in der James-Simon-Galerie zu besichtigen sein. Eine neue Medienstation neben der "Susanna" erinnert zudem an die geglückte Restitution der Objekte.

Von Markus Geiler (epd)


Gedeck und Brandt ehren Widerstand gegen Nazis


Martina Gedeck und Matthias Brandt
epd-bild / Rolf Zöllner

Die Schauspieler Martina Gedeck und Matthias Brandt inszenieren am 2. Juni im Berliner Dom eine szenische Lesung mit Texten aus dem deutschen Widerstand gegen die Nationalsozialisten. Gemeinsam mit Studierenden der Ernst Busch Hochschule und unterstützt von Domorganist Andreas Sieling kämen dabei sehr unterschiedliche Menschen zu Wort, teilte die Domverwaltung am Mittwoch in Berlin mit. "Dank ihrer Briefe, Tagebucheinträge, Berichte und Flugblätter begreifen wir heute, wie mutig und entschlossen sie damals waren, aber auch welche existenziellen Nöte und Ängste sie persönlich auszuhalten hatten", sagte Domsprecherin Svenja Pelzel.

Martina Gedeck liest aus dem Tagebuch der Journalistin Ruth Andreas-Friedrich (1901-1977), Matthias Brandt aus den Briefen des Juristen und Begründers der Widerstandsgruppe Kreisauer Kreis, Helmuth James von Moltke (1907-1945), an seine Frau Freya. Beide Schauspieler leiten mit ihrer Stimme und den gelesenen Texten durch den Abend. Außerdem werden Texte etwa des konservativen Diplomaten Ulrich von Hassell und des jungen Kommunisten Herbert Baum vorgestellt. Der Abend steht unter der Überschrift "Widerstand in Berlin - Von der Reichspogromnacht bis Kriegsende". Veranstaltet wird die szenische Lesung vom Dom zusammen mit der Stiftung 20. Juli 1944, der Gedenkstätte Deutscher Widerstand und der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch.



Leipziger Ausstellung zur friedlichen Revolution wird modernisiert

Die Stadt Leipzig unterstützt die Modernisierung der Dauerausstellung zum Herbst 1989 im Museum "Runde Ecke". Die Präsentation mit dem Titel "Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution" solle künftig wissenschaftlich fundiert dargestellt werden, teilte die Stadtverwaltung am 4. Mai in Leipzig mit. Sie sei 2009 erstmals gezeigt worden und seitdem unverändert. Im Kern informiert sie auf Foto-Text-Tafeln über die Geschichte der Revolution in der DDR.

Die Präsentation sei allerdings nicht mehr zeitgemäß, hieß es. Sie wird im ehemaligen Kinosaal der Staatssicherheit im Museum in der "Runden Ecke" gezeigt. Verantwortlich ist das Bürgerkomitee Leipzig als Träger der Gedenkstätte Museum in der "Runden Ecke". 2019 jährt sich die friedliche Revolution zum 30. Mal.

Leipzig ist als sächsischer zentraler Standort für die Unterlagen der Staatssicherheit im Gespräch. Dafür hat die Stadtverwaltung das Areal hinter dem Museum "Runde Ecke" in der ehemaligen Stasi-Zentrale angeboten. Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR, Roland Jahn, prüfe den Vorschlag noch, hieß es. Rund um ein neues Archiv soll ein "Forum für Freiheit und Bürgerrechte" entwickelt werden. Die Ausstellung zur friedlichen Revolution sei dafür ein wichtiger Baustein.



Fotoausstellung zum DDR-Alltag in Bautzen

"Voll der Osten. Leben in der DDR": Unter diesem Motto zeigt die Gedenkstätte Bautzen ab dem 13. Mai eine Fotoausstellung. Bestückt ist sie mit Aufnahmen des Fotografen Harald Hauswald, wie die Gedenkstätte am Mittwoch in Bautzen mitteilte. Die Begleittexte steuerte der Historiker Stefan Wolle bei. Die Ausstellung ist bis 31. Dezember zu sehen.

Hauswalds Bilder zeigen demnach ungeschminkte Szenen aus dem Ost-Berliner Alltagsleben der 80er Jahre und stellen das Leben der Menschen "auf ihre ganz eigene Art und Weise dar". Die Fotos zeigen einsame Menschen, Alte, verliebte Paare, Rocker, Hooligans und "junge Menschen, die sich in der Kirche für Frieden und Umweltschutz einsetzten", hieß es weiter.

Am 24. Mai ist in der Gedenkstätte den Angaben nach ein Podiumsgespräch mit Hauswald und Wolle geplant. Herausgegeben wird die Ausstellung von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und der Fotografen-Agentur "Ostkreuz".



Karl Marx gastiert in Trier


Trier zeigt zum Karl-Marx-Jubilaeum vier Ausstellungen ueber Leben und Werk
epd-bild / Oliver Dietze
Drei Ausstellungen, vier Museen, 300 Veranstaltungen: Die Stadt Trier fährt ein großes Programm zum 200. Geburtstag von Karl Marx. Die Museen widmen sich seinem Werk, seinem Leben und seiner Zeit - aber auch der Arbeitswelt von heute.

Ein französischer Salon mit rosafarbenen Wänden, ein dunkler Raum, dann wieder ein heller mit einer Ornamenttapete. Das Stadtmuseum Simeonstift nähert sich so den Lebensstationen von Karl Marx (1818-1883). Jeder Stadt ist ein solcher Raum gewidmet - von Trier über Paris bis nach London. Dazu kommt in der Mitte eine zentrale Medienstation mit Informationen zum Netzwerk des Philosophen vor Ort und Dokumenten sowie Briefwechseln. Seit dem 5. Mai ist die Doppelausstellung unter dem Titel "Karl Marx 1818-1883. Leben. Werk. Zeit" im Stadtmuseum und im Rheinischen Landesmuseum Trier zu sehen.

In fast allen Räumen kommen auch die Themen Armut und Emigration vor. Mal sind es die Straßenkinder in Paris, mal ein Mädchen, das an einem Webstuhl arbeitet, mal eine Gruppe europäischer Emigranten in einem kleinen Ruderboot auf stürmischer See. Im Trierer Raum können die Besucher eine Armutskarte der Stadt entdecken und sehen, wo die Armen lebten, die rund 80 Prozent der Bevölkerung ausmachten.

"Vier Marxe"

Diese Ausstellung zu Marx und seinen Lebensstationen ist nicht die einzige, die am 5. Mai in seiner Geburtsstadt Trier startete. Auch im Karl-Marx-Haus der Friedrich-Ebert-Stiftung beginnt eine neue Dauerausstellung. Es gehe darum, das Geburtshaus des Philosophen als größtes Exponat wieder sichtbar zu machen, erklärt Kuratorin Ann-Kathrin Thomm. Es solle sich wie ein Wohnhaus anfühlen. Die Informationen sind meist mit einer Handschrift an den Wänden zu entdecken. Es geht um die Herkunft des Philosophen, seine Arbeitsweise und die Wirkung seiner Thesen.

"Wir stellen vier 'Marxe' vor", betont Thomm: den Journalisten, den Philosophen, den Gesellschaftswissenschaftler und den Ökonomen. Marx sei für viele Menschen ein Stichwortgeber gewesen. "Es gab nur einen gewissen Fundus und daraus bauten sich Intellektuelle ihren Marx", erklärt die Kuratorin.

Weiter weg von Marx entfernt sich das Museum am Dom. Unter dem Titel "LebensWert Arbeit" bietet es eine Ausstellung zur Arbeit heute - anhand von zeitgenössischen Werken. Die Schau ist nach Modulen thematisch aufgeteilt, darunter Globalisierung, Soziallehre und Arbeitsplatz. "Viele Menschen fragen sich, wie dieser aussehen wird, ob sie überhaupt noch einen haben oder durch einen Androiden ersetzt werden", erklärt Kuratorin Gabriele Lohberg. So zeigen einige Fotos, wie ein Roboter aussähe, der heute schon die Arbeit eines Menschen erledige.

"An allem ist zu zweifeln"

Textilfabriken in Bangladesch oder rumänische Feldarbeiter in Rheinland-Pfalz sind ebenso präsent wie Videostationen zum Thema kreative Arbeit. In einer ist zu sehen, wie ein Roboter ein Selbstporträt malt. Auch die katholische Soziallehre kommt mit dem Trierer Oswald von Nell-Breuning vor. Sein Arbeitsraum mit Schreibmaschine, Bett und Schreibtisch ist nachgestellt, im Hintergrund läuft klassische Musik, immer wieder sind Videoausschnitte von Maidemonstrationen zu sehen.

Nach den Worten der rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) soll das Marx-Jubiläum einen Perspektivwechsel ermöglichen. Vielen Menschen sei nur eine einzige Facette des Philosophen bekannt, betont sie. "Marx ist streitbar." Die Ausstellungen und das Rahmenprogramm sollten dabei helfen, ein breiteres Verständnis zu ermöglichen. Für den Vorsitzenden der Friedrich-Ebert-Stiftung, Kurt Beck (SPD), können die Ausstellungen und das Rahmenprogramm nur "Anstoß, nicht Endpunkt der Auseinandersetzungen" sein.

Dazu passt auch der letzte Raum im Rheinischen Landesmuseum: Vor einer blauen Wand auf einem blauen Podest liegt der Kopf von Marx. Darüber der Satz: "An allem ist zu zweifeln." Die Besucher können sich dann selbst mit Zetteln äußern, wer Karl Marx für sie ist. Auf den Wänden rund um das Podest prangen bereits Antworten wie "ein Trierer" oder "kein Marxist?".

Von Marc Patzwald (epd)


Umstrittene Karl-Marx-Statue in Trier enthüllt


Die umstrittene Bronzeskultpur
epd-bild / Oliver Dietze
SPD-Chefin Andrea Nahles würdigte zu Karl Marx' 200. Geburtstag dessen Bedeutung für die Gegenwart. Die Enthüllung einer Marx-Statue wurde indes von Protesten begleitet. Die umstrittene Skulptur ist ein Geschenk aus China.

Tausende Trierer haben am 5. Mai mit prominenten Gästen den 200. Geburtstag von Karl Marx gefeiert. Begleitet von Protesten, aber ohne größere Zwischenfälle wurde eine umstrittene Bronzeskulptur von Marx (1818-1883) enthüllt. Die Statue des Philosophen und Ökonomen auf dem Simeonstiftplatz nahe der Porta Nigra ist ein Geschenk der Volksrepublik China. Bei der Wiedereröffnung des Museums im Trierer Geburtshaus von Karl Marx betonte die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles die Bedeutung seiner Lehren für den Umgang mit der digitalen Revolution.

Nahles sagte, die Gesellschaft stehe durch den heutigen "Digitalkapitalismus" und die Steigerung der Produktivität vor ähnlichen Herausforderungen wie zu Zeiten der Industriellen Revolution vor 200 Jahren. Es bleibe eine "soziale Aufgabe", die Zukunft für die Menschen zu gestalten. Die SPD werde weiter für eine solidarische Marktwirtschaft kämpfen, sagte die Parteichefin.

"Kein Schwarz-Weiß"

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) warnte bei dem Festakt davor, Marx für in seinem Namen errichtete Diktaturen verantwortlich zu machen. Er dürfe aber auch nicht "zum Heiligen hochstilisiert" werden. "Es gibt kein Schwarz-Weiß", betonte Dreyer. Das Geburtshaus von Karl Marx in Trier, das anlässlich des 200. Geburtstags am 5. Mai mit neuer Dauerausstellung wiedereröffnet wurde, wird seit 1968 von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung als Museum betrieben. Bei dem Festakt verlas der Moderator Günther Jauch die Geburtsurkunde des Philosophen, die einer von Jauchs Vorfahren unterzeichnet hatte.

Bei strahlendem Sonnenschein wurde ie mit einem roten Tuch verhüllte Marx-Statue vor rund 3.000 Zuschauern eingeweiht. Die Skulptur ist mit Sockel 5,50 Meter groß und zeigt den Vordenker des Kommunismus erhobenen Hauptes und nach vorne schreitend. Neben Anhängern der in China verfolgten Falun-Gong-Bewegung protestierte auch die AfD mit einem Schweigemarsch, an dem laut Polizei rund 70 Menschen teilnahmen. Der Gegenprotest des Multikulturellen Zentrums Trier gegen den AfD-Marsch startete nach Polizeiangaben mit 150 Teilnehmern und wuchs im Verlauf des Demonstrationszugs auf rund 500 Menschen an.

PEN-Kritik

Die Polizei zeigte sich zufrieden mit dem friedlichen Verlauf der Proteste. Am 6. Mai sagte ein Polizeisprecher: "Die Statue steht und ist unversehrt." Die Polizei war nach eigenen Angaben mit mehreren Hundertschaften aus Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Nordrhein-Westfalen präsent und hatte die Innenstadt weiträumig abgesperrt. Für die Annahme des chinesischen Geschenks hatte die Stadt Trier auch Kritik unter anderem von der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft, der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen und dem Schriftstellerverband PEN-Zentrum geerntet.

Mit einem Bürgerfest feierten die Trierer bis zum frühen Abend den Marx-Geburtstag. Am 6. Mai öffneten auch die Marx-Ausstellungen "Leben, Werk, Zeit" im Rheinischen Landesmuseum Trier, "Stationen eines Lebens" im Stadtmuseum Simeonstift sowie "LebensWert Arbeit" im Museum am Dom ihre Pforten für Besucher. Die drei Ausstellungen laufen bis zum 21. Oktober.



Literaturnobelpreis wird 2018 nicht vergeben

Wegen der Krise in der Schwedischen Akademie wird der Literaturnobelpreis in diesem Jahr nicht vergeben. Die Schwedische Akademie habe entschieden, den Literaturnobelpreis 2018 zu verschieben und ihn im kommenden Jahr zu verleihen, teilte die Stiftung Nobelpreis am 4. Mai in Stockholm mit. Die Entscheidung, den Preis dieses Jahr nicht zu vergeben, gewährleiste die langfristige Reputation des Nobelpreises, hieß es weiter.

In den vergangenen Wochen ist die Schwedische Akademie in eine schwere Krise geraten: Im Zentrum des Skandals steht der Betreiber des "Kulturforums" in Stockholm, Jean-Claude Arnault, Ehemann des inzwischen ebenfalls zurückgetretenen Akademiemitglieds Katarina Frostenson. Ihm wird sexuelle Belästigung in 18 Fällen vorgeworfen. Das "Kulturforum", dass er gemeinsam mit der Lyrikerin Frostenson führte, wurde finanziell von der Akademie unterstützt.

Nicht mehr beschlussfähig

Zuletzt war das Auswahlgremium nicht mehr beschlussfähig, nachdem mehrere der 18 Mitglieder, darunter die ständige Sekretärin Sara Danius, zurückgetreten waren. Hintergrund ist ein Streit über den Umgang mit Korruptionsvorwürfen und sexuellen Übergriffen in den Reihen der Akademie.

Den Preis, der jährlich vergeben wird, zu verschieben, sei gerechtfertigt, wenn die Glaubwürdigkeit des Preises auf dem Spiel stehe. Das sei bereits mehrfach in der Geschichte der Preises geschehen, teilte die Stiftung mit.



Sachsen-Anhalt präsentiert "Romanik-Schatzkammer"

Zwischen Reformationsjubiläum 2017 und dem Bauhaus-Gründungsjubiläum 2019 feiert Sachsen-Anhalt in diesem Jahr 25 Jahre "Straße der Romanik", mit zahlreichen Veranstaltungen. Die Bauwerke, darunter viele Kirchen, ziehen vor allem Kulturtouristen an.

Sachsen-Anhalt feiert das 25-jährige Bestehen der Tourismus-Route "Straße der Romanik" mit einer Festwoche und zahlreichen Veranstaltungen. Wirtschaftsminister Armin Willingmann (SPD) sprach am 4. Mai in Magdeburg mit Blick auf die Route von einem Bestseller, mit dem sich vor allem Kulturtouristen mit der Romanik vertraut machen können. "Sachsen-Anhalt präsentiert sich als prachtvolle Romanik-Schatzkammer." Das Land habe einen "unglaublich kulturellen Reichtum", warb der Minister. Den Auftakt des Jubiläums bildet eine "Romanik-Festwoche", die am Sonntag beginnt. Bis zum 13. Mai werden an fast allen Punkten des Netzwerkes besondere Führungen und Veranstaltungen angeboten.

Bei einem Festtag am Montag im Magdeburger Dom wird es einen ökumenischen Gottesdienst und ein Festkonzert mit der Magdeburger Philharmonie und dem Solisten Albrecht Menzel geben. Zu den Highlights des Festjahres gehören auch die Ausstellung "Wissen und Macht" im Kloster Memleben, die am Sonntag eröffnet wird, sowie die Ausstellung "Thietmars Welt. Ein Merseburger Bischof schreibt Geschichte" zum 1.000. Todestag von Bischof Thietmar von Merseburg, die vom 15. Juli bis 4. November im Merseburger Dom präsentiert wird. Am 26. Mai wird der "Romanik-Preis" verliehen. Auch die Eröffnung des neuen Dommuseum "Ottonianum" in Magdeburg am 4. November ist Teil des umfangreichen Programms zum Jubiläum.

Am "Romanik-Tag" am 12. Mai gibt es in den Klöstern an der "Straße der Romanik" sowie unter anderem im Merseburger und im Naumburger Dom interessante Führungen und Konzerte. Auch kulinarische Angebote halten viele Orte zum "Romanik-Tag" bereit. Willingmann sagte, die "Straße der Romanik" sei ein wichtiges Markenzeichen für Sachsen-Anhalt. Zugleich hob er das ehrenamtliche Engagement hervor, um die Bauwerke, vor allem die kleinen Dorfkirchen, für Besucher offen und zugänglich zu halten. Die Geschäftsführerin des Tourismusverbandes Sachsen-Anhalt, Bärbel Schön, betonte, unter den etwa 80 Ferienstraßen bundesweit rangiere die "Straße der Romanik" ganz oben und gehöre zu den Top 10.

Die Romanik-Route wurde im Mai 1993 aus der Taufe gehoben und umfasst mittlerweile 88 Bauwerke an 73 Orten im Land. Sie zieht sich entlang auf einer Strecke von etwa 1.000 Kilometern und gehört zu den beliebtesten Tourismus-Routen in Deutschland. Sie zieht jährlich bis zu 1,6 Millionen Besucher an. Die Bandbreite im Netzwerk reicht von besonderen Bauwerken wie dem Magdeburger Dom oder der Stiftkirche in Quedlinburg bis hin zu kleinen Feldsteinkirchen. Wichtig für die Auszeichnung als Teil der Romanik-Route sind neben dem romanischen Ursprung des Bauwerks auch geregelte Öffnungszeiten, die die Zugänglichkeit der Sehenswürdigkeit garantieren.

Mit Blick auf das Jubiläum wurde die Route um zehn Bauwerke erweitert. Neu im Netzwerk sind unter anderem die St. Petri-Kirche in Seehausen im Landkreis Stendal, das Marienkloster Münzenberg in Quedlinburg, das Kloster Wendhusen in Thale und einige Dorfkirchen. Zur besseren Vermarktung sind die Bauwerke in vier Kategorien eingeordnet: Dome und Domschätze; Klöster; Burgen, Schlösser, Pfalzen sowie Kirchen und Kapellen. 21 Orte gehören zudem zu den "Top-Besuchszielen".



Torgau eröffnet Dauerausstellung zur Reformation

Auf Schloss Hartenfels im sächsischen Torgau ist am 4. Mai eine neue Dauerausstellung eröffnet worden. Im Mittelpunkt stehe die Stadt als Ort der Residenz und Reformation, sagte Dirk Syndram, Direktor des Grünen Gewölbes und der Rüstkammer der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD). Die Präsentation sei ein Zusammenschnitt aus fünf Sonderausstellungen, die die Kunstsammlungen seit 2012 auf Schloss Hartenfels gezeigt haben.

Zu sehen sei "eine erlesene Auswahl an Objekten aus dem reichen Sammlungsbestand der Rüstkammer" der SKD, darunter prunkvolle Harnische und Degen sowie eine Miniaturkanone aus Silber, aus der getrunken wurde. Neben Objekten der Dresdner Rüstkammer werden auch Exponate aus der Sammlung des Grünen Gewölbes und des Kunstgewerbemuseums in Dresden gezeigt.

Die Ausstellung mit dem Titel "Torgau. Residenz der Renaissance und Reformation" versetze den Besucher in die Zeit der wettinischen Kurfürsten auf Schloss Hartenfels von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648). Die Exponate ließen "die Prachtentfaltung und den Reichtum des kurfürstlichen Hofes lebendig werden", hieß es.

Torgau war Syndram zufolge mit Schloss Hartenfels als Residenz der sächsischen Kurfürsten das politische Zentrum der Reformation. 1544 weihte Martin Luther (1483-1546) die städtische Schlosskirche als ersten protestantischen Kirchenneubau ein. Der Reformator soll rund 60 Mal in Torgau gewesen sein.

Nach dem Übergang der Kurwürde von den Ernestinern an die Albertiner 1547 verlor Torgau seinen Status als Hauptresidenz an Dresden. Als Zweitresidenz mit einem prächtigen Renaissanceschloss von europäischem Rang inmitten einer florierenden Handelsstadt habe Torgau jedoch ideale Bedingungen für die Ausrichtung fürstlicher Hochzeiten, höfischer Feste, politischer Zusammenkünfte und Landtage geboten, hieß es. Die Ausstellung der Rüstkammer der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden entstand in Kooperation mit dem Landkreis Nordsachsen und der Großen Kreisstadt Torgau.



Panometer Leipzig wird 15 Jahre alt

Der Ausstellungs-Rundbau Panometer in Leipzig feiert Ende Mai sein 15-jähriges Bestehen. Das Jubiläum wird am 26. und 27. Mai unter anderem mit stündlichen kostenfreien Führungen und vergünstigtem Eintritt gefeiert, wie die Panometer GmbH am 3. Mai in Leipzig mitteilte. Aktuell ist in dem ehemaligen Gasspeicher das 360-Grad-Panorama "Titanic - Das Versprechen der Moderne" des Künstlers Yadegar Asisi zu sehen.

Das erste Asisi-Panorama mit dem Titel "Everest" wurde den Angaben zufolge am 24. Mai 2003 im Panometer gezeigt. Seitdem hat sich die Darstellungsform des in Wien geborenen und unter anderem in Halle und Leipzig aufgewachsenen Künstlers in diverse Städte verbreitet. Zum 500. Reformationsjubiläum im vergangenen Jahr war auch in Lutherstadt Wittenberg ein Asisi-Panorama zu sehen, das die Stadt zu Zeiten Martin Luthers (1483-1546) zeigte. In Leipzig waren bislang unter anderem die Rundbilder "Leipzig 1813", "Great Barrier Reef" und "Amazonien" zu sehen.

"2003 war nicht zu erahnen, dass mich die Wiederbelebung der Panoramen, einer Kunstform aus dem 19. Jahrhundert, so weit führen würde", sagte Asisi. Dies verdanke er nicht zuletzt dem stetigen Zuspruch der Besucher in Leipzig, wo er auch künftig neue Themen und Ideen entwickeln werde, ergänzte der Künstler.



Heinrich Schütz Musikfest feiert 20-jähriges Bestehen

Mehr als 40 Veranstaltungen stehen auf dem Programm des diesjährigen Heinrich Schütz Musikfestes vom 5. und 14. Oktober in Mitteldeutschland. Unter dem Motto "Verley uns frieden" erinnere das Festival in diesem Jahr an den Dreißigjährigen Krieg von 1618 bis 1648, erklärte Schützfest-Intendantin Christina Siegfried am Mittwoch in Dresden. Als "artist in residence" werde die Sopranistin Dorothee Mields das Musikfest 2018 künstlerisch prägen. Sie ist eine der bedeutendsten Interpretinnen der Musik des 17. und 18. Jahrhunderts. Das Schützfest feiert in diesem Jahr sein 20-jähriges Bestehen, es findet zum 21. Mal statt.

Eröffnet wird das Programm am 5. Oktober in der St. Marienkirche in Weißenfels (Sachsen-Anhalt). Dorothee Mields musiziert zusammen mit der LauttenCompagney Berlin. Das Festival 2018 steht unter der Schirmherrschaft von Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Geplant sind Konzerte, Führungen, Lesungen und Gottesdienste in insgesamt sechs Städten in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Unter den Künstlern ist auch die kanadische Violinistin Rachel Podger und das italienische Ensemble La Venexiana.

Mit Blick auf das diesjährige Thema des Festivals betonte Siegfried: "Wir brauchen eine Rückbesinnung, eine positive Selbstvergewisserung". Kultur stifte "Identität, die in unserer Welt heute eine europäische ist." Die Gegenwart brauche "einen offenen Geist, ein weites Herz und lebendige Toleranz".

Das Jubiläum des 1998 gegründeten Heinrich Schütz Festes wird am 13. Oktober mit einem Festkonzert in der Frauenkirche Dresden gewürdigt. Das Festival ist Heinrich Schütz (1585-1672) und damit dem ersten international renommierten deutschen Komponisten der Musikgeschichte gewidmet ist.

Schütz gilt als "Vater der deutschen Musik". Er wurde 1617 zum Hofkapellmeister in Dresden berufen und übte dieses Amt bis kurz vor seinem Tode 1672 aus. Während des Dreißigjährigen Krieges verfasste er zahlreiche Trauer- und Gedenkmusiken.

Das Heinrich Schütz Musikfest gilt deutschlandweit als das bedeutendste Festival zur Musik des 17. Jahrhunderts. Es findet jährlich an den wichtigsten Lebensstationen des Barockkomponisten Heinrich Schütz (1585-1672) in Weißenfels, Zeitz, Bad Köstritz, Gera und Dresden statt. 2018 gibt es erstmals auch Veranstaltungen in Lützen (Sachsen -Anhalt), einer der Schauplätze des Dreißigjährigen Krieges.

Hauptveranstalter des Musikfestes ist der Verein Mitteldeutsche Barockmusik in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Weitere Partner sind unter anderem die Schütz-Akademie Bad Köstritz, die Stadt Weißenfels sowie der Verein Dresdner Hofmusik.



Ausstellung der Lichtskulptur im Naumburger Dom geht zu Ende

Die Lichtskulptur zu Ehren der Heiligen Elisabeth von Thüringen ist noch bis zum 13. Mai im Naumburger Dom zu sehen. Das Kunstwerk des Münchner Fotografen Philipp Schönborn gastiert seit 29. Januar in der Krypta des Doms, wie die Vereinigten Domstifter am Mittwoch in Naumburg mitteilten. Es ist die zweite Station einer mehrjährigen Reise zu Orten, an denen Elisabeth lebte oder an denen sie früh verehrt wurde. In der Elisabethkapelle des Naumburger Doms befindet sich die vermutlich älteste Steinfigur der Heiligen.

Im vergangenen Jahr war die Lichtskultpur bereits im Erfurter Dom zu sehen, wo 1235 ihre Heiligsprechung proklamiert wurde. Die nächsten Stationen sind ab 26. Mai in Montabaur, ab 9. September in der Abteikirche Sayn und ab 17. November im Stephansdom in Wien. Zudem soll das Kunstwerk noch auf der Wartburg bei Eisenach, der Neuenburg bei Freyburg (Unstrut) und im Merseburger Dom zu sehen sein.

Dass die Grablege von Elisabeth von Thüringen erhalten blieb, aber ihre Gebeine in der Reformationszeit zerstreut wurden, regte den Künstler zu dem sargartigen Schrein an, der mit Bildern das kurze Leben der ungarischen Königstochter Elisabeth (1207-1231) erzählt. Philipp Schönborn, 1943 geboren, wuchs in Österreich auf und lebt heute in München. Seit den 1980er Jahren machte er sich international einen Namen als Fotograf von zeitgenössischen Kunstwerken. Seine künstlerische Auseinandersetzung mit den Themen Natur, Kunst, Religion, Licht und Farbe begann 1990. Dafür entwickelte er die Fotografie in Leuchtkästen oder Aluminiumrahmen.



Poesiealbum mit Novalis-Eintrag von 1799 erworben

Die Forschungsstätte für Frühromantik und Novalis-Museum Schloss Oberwiederstedt hat ein besonderes Stammbuch mit einem Eintrag des Dichters Novalis (1772-1801) erworben. Das Poesiealbum des Freiberger Bergbaustudenten Jakob Christian Menzler soll auf dem Jahrestreffen der Internationalen Novalis Gesellschaft am Sonntag in Arnstein präsentiert und künftig auf Schloss Oberwiederstedt verwahrt werden, teilten die Kulturstiftung der Länder in Berlin und die Staatskanzlei in Magdeburg am 3. Mai mit.

Der Eintrag von Novalis aus dem Jahr 1799 sei "ein Schlüsselmoment im Werk des bedeutenden Vertreters der deutschen Frühromantik", so die Kulturstiftung der Länder, die den Ankauf des Buches unterstützt hat. Auf der Veranstaltung am Sonntag wird auch der Blütenstaub-Preis 2018 für kreative Projekte von Schülern und Studenten verliehen. Sachsen-Anhalts Kulturminister Rainer Robra (CDU) wird ein Grußwort sprechen.

Der bedeutende deutsche Dichter der Frühromantik Novalis (Georg Philipp Friedrich von Hardenberg) wurde 1772 auf Schloss Oberwiederstedt geboren. Seit 1992 ist das Schloss unter anderem Sitz der Internationalen Novalis Gesellschaft und eines Museums.

In dem Poesiealbum von Jakob Christian Menzler finden sich den Angaben zufolge 62 Einträge aus den Jahren zwischen 1798 und 1811 von Kommilitonen und Freunden. Am 13. Mai 1799 schrieb Friedrich von Hardenberg aus Thüringen, der später als Novalis zu einer Schlüsselfigur der deutschen Frühromantik werden sollte, darin fünf Verse aus Johann Gottfried Herders "Das Flüchtigste" von 1787. Dieses Buch beleuchtet auch den Kreis, in dem der Dichter sich bewegte: die Elite des Bergbau- und Salinenwesens.

Das Buch befand sich zuletzt in Privatbesitz und wurde im November bei einer Versteigerung in Hamburg mit Hilfe der Kulturstiftung der Länder, des Freien Deutschen Hochstifts Frankfurt am Main, des Landes Sachsen-Anhalt sowie einer Spende für das Novalis-Museum in Arnstein angekauft.



Händel-Haus in Halle wird barrierefrei ausgebaut

Die Stiftung Händel-Haus in Halle hat am 3. Mai den ersten Fördermittelbescheid über 273.408 Euro aus dem EFRE-Kulturerbeprogramm erhalten. Mit Hilfe der Fördermittel soll das historische Haus barrierefrei ausgebaut werden, wie die Staatskanzlei in Magdeburg mitteilte. Die Gesamtkosten des Bauvorhabens belaufen sich auf 341.760 Euro. Dies wird mit Hilfe des Landes, EU-Mitteln und einem Eigenanteil der Stiftung Händel-Haus realisiert. Bis 2022 sollen die Arbeiten abgeschlossen sein.

Sachsen-Anhalt fördert das kulturelle Erbe im Land mit insgesamt 33,5 Millionen Euro, die für zwölf Projekte ausgegeben werden. Kulturminister Rainer Robra (CDU) sagte, mit dem EU-Programm könnten viele wichtige Baumaßnahmen durchgeführt werden, die sonst wohl noch viele Jahre auf sich hätten warten lassen. Ziel sei es, die Präsentation des kulturellen Erbes im Land zu verbessern und die Attraktivität der Einrichtungen zu erhöhen.

Die Förderquote durch das EFRE-Programm beträgt 80 Prozent. Den Rest müssen die Antragsteller selbst tragen oder gesonderte Förderungen finden. Für die EFRE-Förderperiode 2014 bis 2020 standen 33,5 Millionen Euro EU-Mittel zur Verfügung. Zwölf Projekte können damit unmittelbar umgesetzt werden. Weitere 22 Millionen Euro wurden laut Staatskanzlei wegen der hohen Resonanz auf das Programm bei der EU beantragt.

Aus 47 Projekten wurden in dem Wettbewerb 25 als förderungswürdig eingestuft und auf eine Rangliste gesetzt worden. Auf der Auswahlliste stehen neben dem Händel-Haus unter anderem noch der Stiftsberg Quedlinburg, die Stadt Halle mit dem Silberschatz der Halloren, die Evangelische Kirchengemeinde Stolberg, die Kulturstiftung Dessau-Wörlitz, die Evangelische Marktkirchengemeinde Halle, das Goethe-Theater Bad Lauchstädt, das Bördemuseum Burg Ummendorf, das Filmmuseum Wolfen und die Kirchengemeinde St. Andreas-Nicolai-Petri Eisleben. Die ausgewählten Kirchen sollen bei der Umsetzung neuer Konzepte auch als Kulturstätten und bürgerschaftliche Zentren der Region gestärkt werden.



Dresdner Universität zeigt Ausstellung zu Kunst aus den 50er Jahren

Eine Ausstellung mit Kunstwerken aus den 1950er Jahren ist seit 7. Mai in der Altana Galerie der Technischen Universität Dresden zu sehen. Es sei die erste öffentliche Präsentation mit Werken aus dem Kunstbesitz der Hochschule, sagte Kuratorin Gwendolin Kremer in Dresden. Mit der Ausstellung sei die wissenschaftliche Aufarbeitung des Kunstbestandes der Hochschule angestoßen worden.

Zu sehen sind unter dem Motto "Aufbruch und Neuanfang" mehr als 50 Gemälde und Grafiken von mehr als 30 Künstlern, darunter Fritz Cremer, Hermann Glöckner, Lea Grundig, Ernst Hassebrauk, Josef Hegenbarth sowie Max und Wilhelm Lachnit und Curt Querner. Im Fokus stehen Werke, die die Hochschule in den 1950er Jahren erworben oder in Auftrag gegeben habe, hieß es.

Im Begleitkatalog werden zudem 70 sogenannten baugebundene Arbeiten vorgestellt wie Wandbilder und Skulpturen an Gebäuden. Zudem setzt sich eine Videoarbeit mit Fragen nach dem Umgang von und mit Kunst in wechselnden Gesellschaftssystemen auseinander.

Die Werke aus den 1950er Jahren machen Kremer zufolge etwa ein Drittel des gegenwärtigen Kunstbesitzes der Dresdner Universität aus. Sie vereinen herausragende Vertreter der Dresdner Malerschule. Zum Teil habe die Universität auch Arbeiten gegen die Vorgaben des propagierten sozialistischen Realismus erworben, hieß es. Insgesamt umfasst die Kunstsammlung der Universität knapp 4.000 Werke. Etwa 800 davon seien in den Büros und Gebäuden in Umlauf.

Die Verbindung von Kunst und Wissenschaft habe an der Dresdner Universität eine lange Tradition, hieß es weiter. Mit dem Bauboom auf dem Universitätsgelände in den 1950er Jahren begann nicht nur ein neues Kapitel der Hochschulgeschichte, sondern auch die Gründung der universitären Kunstsammlung. Den Angaben zufolge wurde 1954 der Künstlerische Beirat ins Leben gerufen, der für die Ausstattung der neu gebauten Institutsgebäude zuständig war.

Seit 2017 werde mit einem festen Ankaufsetat der Ausbau der Universitätskunstsammlung vorangetrieben. Folgeausstellungen zum Bestand der 1960er, 1970er, 1980er Jahre sowie der Nachwendezeit sind in Vorbereitung.



Sonderausstellung "Wissen und Macht" im Kloster Memleben

Das Museum Kloster und Kaiserpfalz Memleben präsentiert seit 7. Mai die Sonderausstellung "Wissen und Macht. Der heilige Benedikt und die Ottonen". Im Mittelpunkt der Schau stehen mit Kaiser Otto II., seiner Gattin Theophanu, dem Mönch Heimerad und dem heiligen Benedikt vier Menschen der europäischen Kulturgeschichte, wie die Organisatoren mitteilten. Für die europäische Geschichte des Mittelalters habe Memleben eine herausragende Bedeutung. Als Schicksalsort und Machtzentrum deutscher Kaiser und Könige sei der Ort weltberühmt geworden, hieß es.

Die Sonderausstellung, die bis zum 15. Oktober zu sehen sein wird, erzählt von der Ankunft des Benediktinerordens im Unstruttal und von den Impulsen für die Kulturlandschaft. Zu sehen sind auf etwa 350 Quadratmetern Ausstellungsfläche 60 Objekte aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Das älteste Exponat ist eine Scheibenfibel aus dem 7. Jahrhundert aus dem Erfurter Stadtmuseum. Dabei handelt es sich um eine Gewandspange zum Verschluss von Frauenkleidung, die mit aufwändigen Ziermustern und einem griechischen Kreuz als Zeichen des christlichen Glaubens geschmückt ist.

Das größte Objekt, das ausgestellt wird, ist ein hölzernes Beweinungsrelief aus der Zeit um 1500 aus dem Bestand der Dorfkirche St. Martin in Memleben. Zudem werden eine Schinkelzeichnung von Memleben aus dem Jahr 1833 sowie eine neugotische Hostienmonstranz aus dem Kloster Marienbek in Badersleben gezeigt. Weitere Exponate sind die Lorscher Annalen (um 835), das Reichenauer Schülerheft (9. Jahrhundert) aus dem Kloster St. Paul im österreichischen Lavanttal und die Benediktsregel (nach 799) aus dem Kloster St. Gallen in der Schweiz.

Die Ausstellung ist ein Beitrag zum 25. Jubiläum des Tourismus-Netzwerkes "Straße der Romanik". Die Schirmherrschaft haben Sachsen-Anhalts Ministerpräsident, Reiner Haseloff (CDU), sowie der katholische Magdeburger Bischof Gerhard Feige übernommen. Die Ausstellung wird am Sonntag um 14 Uhr eröffnet. Dazu wird auch Ministerpräsident Haseloff erwartet und ein Grußwort sprechen.

Das Kloster Memleben war eine der frühesten benediktinischen Klostergründungen in Mitteldeutschland und Sterbeort von König Heinrich I. (936) und von Kaiser Otto des Großen (973).



Grütters erhöht Kulturetat des Bundes

Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) will für das kommende Jahr den Bundeszuschuss für die Deutsche Welle um fast zehn Prozent auf 350 Millionen Euro steigern. Dies sei ein großer Schritt, "um diesen unverzichtbaren Akteur der Vermittlung von Meinungs- und Pressefreiheit auf das Niveau vergleichbarer europäischer Auslandssender anzuheben", erklärte Grütters am 3. Mai in Berlin. Die Erhöhung der Förderung um 33 Millionen Euro ist Teil der Eckwerte für den Haushalt 2019 und steht noch unter dem Vorbehalt der weiteren parlamentarischen Beratungen.

So sehen der zweite Regierungsentwurf für den Haushalt 2018 sowie die Eckwerte für den Haushalt 2019 mehrere Steigerungen bei einzelnen kulturpolitischen Maßnahmen vor. Der Gesamtetat für Kultur und Medien steige 2018 damit auf rund 1,67 Milliarden Euro, hieß es. Das seien rund 23 Prozent mehr als im Regierungsentwurf 2017. Besonders bedacht werden die Filmförderung, der Ankauf national wertvollen Kulturguts und die Kultur in der Bundeshauptstadt Berlin im Rahmen des neuen Hauptstadtfinanzierungsvertrags.

Außerdem soll die Provenienzforschung zu Kulturgut aus kolonialem Kontext in Museen und Sammlungen mit drei Millionen Euro verstärkt werden. Die pädagogische Arbeit in den vom Bund geförderten Gedenkstätten zur Aufarbeitung der NS-Terrorherrschaft und der SED-Diktatur wird mit zusätzlich 1,6 Millionen Euro bedacht. Für den Unterhalt der zum Weltkulturerbe gehörenden Museen und Einrichtungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, für die Berlinale und für den Martin-Gropius-Bau würden zusätzliche Mittel von insgesamt 5,2 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, hieß es.



Filme der Woche

Isle of Dogs – Ataris Reise

In einem fiktiven Japan der Zukunft sorgt ein hundehassender Präsident dafür, dass per Gesetz alle Vierbeiner, inklusive dem geliebten Haustier seines Neffen Atari, auf eine Müllinsel deportiert werden. Wenige Jahre später fliegt der nun 12-Jährige allein dort hin und schließt sich auf der Suche nach seinem Haustier mit einem Rudel wilder, heruntergekommener Hunde zusammen. Einfallsreich integriert der Regie-Exzentriker Wes Anderson japanische Kultur, sarkastische bis düstere Versatzstücke sowie Unmassen an Popkultur in einen Animationsfilm, der trotz aller Eigentümlichkeit ein starkes allegorisches Potential für so zentrale Themen der gesellschaftlichen Gegenwart wie die aktuelle Flüchtlingskrise aufweist.

Isle of Dogs – Ataris Reise (USA /Deutschland (2018). R u. B: Wes Anderson. Sprecher (OV): Bryan Cranston, Koyu Rakin, Edward Norton, Bob Balaban, Bill Murray, Jeff Goldblum. 101 Min.

Die Augen des Weges

Die indigene Kultur der Quechua in den zentralen Anden Perus wird zunehmend bedroht. Rodrigo Otero Heraud begleitet in seinem Dokumentarfilm den pilgernden Schamanen Hipólito Peralta Ccama, eigentlich Lehrer in einer Kleinstadt auf seiner Reise von den Bergen bis hin zum Meer der andinen Welt. Sein Erkunden des Lebensraums kommt auch einem Vermitteln des indigenen Wertesystems gleich, das neben der Verknappung der Landmasse auch durch eine erneute Missionierungswelle evangelikaler Sekten bedroht ist. Ein direkter Einblick in einen vom Verschwinden bedrohten Kosmos.

Das ist unser Land! (Frankreich/Belgien 2017). R u. B: Rodrigo Otero Heraud. Da: Hipólito Peralta Ccama. 88 Min.

Auf der Jagd – Wem gehört die Natur?

Dem komplexen Politikum des deutschen Waldes nimmt sich Alice Agneskirchner in ihrem Dokumentarfilm an. Ihre Interviewpartner sprechen von Abschussraten, Wirtschaftsfaktoren der Holzindustrie und der Wolfs- und Wildpopulation. Konkurrierende Standpunkte werden gleichberechtigt und ohne zusätzliche Wertung nebeneinander ausgestellt, sodass die Vielseitigkeit entsprechender Problemkomplexe sich in den Kinosessel übersetzt. Zusammen mit fast meditativem Bildmaterial entsteht ein überraschend spannendes Werk über die Politik der Natur.

Auf der Jagd – Wem gehört die Natur? (Deutschland / Kanada 2018). R u. B: Alice Agneskirchner. 97 Min.

Was werden die Leute sagen?

Nisha wächst als Kind pakistanischer Eltern in einer norwegischen Stadt auf und wechselt täglich zwischen den Kulturen: Ihre Familie möchte sie auf dem Weg zu einer traditionsbewussten pakistanischen Frau wissen, sie selbst aber will die persönlichen Freiheiten ihres sozialen Umfelds teilen. Der Konflikt eskaliert schließlich so weit, dass Vater und Bruder das Mädchen gegen ihren Willen nach Pakistan bringen. Regisseurin Iram Haq verfilmt eine stark autobiographisch geprägte Geschichte, denn auch sie wurde als 14-Jährige von den eigenen Eltern nach Pakistan entführt. Und trotzdem wird sie in ihrem Film tatsächlich beiden Seiten gerecht, nicht zuletzt dank ihrer fantastischen Darstellerriege.

Was werden die Leute sagen? (Norwegen/Deutschland/Schweden 2017). R u. B: Iram Haq. Da: Maria Mozdah, Adil Hussain, Rohit Sharaf, Ekavali Khanna. 106 Min.

www.epd-film.de