Sonnenschein durchflutet die Marburger Oberstadt, dicht an dicht drängen die Besucher eines Frühlingsfestes durch die Gassen. Alexander Ruppel vom Botanischen Garten der Universität hat seinen Infostand am Rande des Marktplatzes aufgebaut. Aus einer Kiste lugen ein paar Halme und zartrosa Blüten hervor. "Hier war schon richtig was los", sagt Ruppel.

Gesucht sind "Paten" für bedrohte heimische Wildpflanzen wie den leuchtend blau blühenden Teufelsabbiss, Golddistel, Schwarze Flockenblume oder Wald-Ehrenpreis. Naturschutz zum Mitmachen - so lautet die Idee des Bürgerprojekts zur Stärkung der Pflanzenvielfalt.

Es ist früher Nachmittag, doch Ruppel hat bereits alle mitgebrachten Pflanzen an Marburger Bürger verteilt. Ein Mann, der leer ausgegangen ist, will sich seine "Patenkinder" im Botanischen Garten abholen. Sie sollen bei ihm zuhause neben Salat und Kräutern wachsen.

Ihm geht es dabei auch darum, den Insekten Nahrung zu bieten: "Es ist ja mittlerweile bekannt, dass Bienen Blumen brauchen." Eine Frage hat er noch: "Muss ich die Pflanzen düngen?"- "Auf gar keinen Fall", betont Ruppel. Die bedrohten Pflanzen sind an den mageren heimischen Borstgrasrasen angepasst.

Und den gibt es in der Region um Marburg immer seltener, weil kaum noch irgendwo Schafe die Wiesen abgrasen, sondern immer mehr Flächen intensiv bewirtschaftet werden. Im nahe gelegenen Vogelsberg seien zwischen 1963 und heute 99 Prozent dieser nährstoffarmen Borstgrasrasenflächen verschwunden, erklärt Biologe Ruppel.

In Marburg steht das Mitmach-Projekt noch am Anfang. In Berlin, wo die Initiative "Urbanität und Vielfalt" entstand, ging es schon Ende 2016 los. "Viele Leute sagen: Naturschutz ist toll. Aber sie wissen nicht, was sie tun sollen", erklärt Projektkoordinator Patrick Loewenstein vom Botanischen Garten in Potsdam.

Er hat die Idee mit entwickelt. Sechs Jahre dauerte es, bis die Finanzierung stand; Gelder kommen auch vom Bundesumweltministerium. 300 Paten kümmern sich in Berlin, Potsdam und Brandenburg bereits um heimische Wildpflanzen, in diesem Jahr sollen 600 weitere hinzukommen. "Es kostet nichts, es ist kein Verein, es braucht nur ein minimales Engagement", erklärt er. Es reiche ein Balkonkasten für die Pflanzen, "das geht auch im Plattenbau in Marzahn".

Mit den Pflanzen erhalten die Paten ein kleines Tütchen. Darin sollen sie nach der Blüte die Samen der bedrohten Pflanzen sammeln und an das Projekt zurückschicken. "Dadurch entsteht ein Reservoir", erklärt Loewenstein.

Gemeinsam mit Naturschutzbehörden werden die Samen dann im Berliner Stadtgebiet ausgebracht, vor allem in den Außenbezirken. Die Pflanzen benötigen einen Trockenrasen. Einige Gewächse seien sehr schön, bei anderen handele es sich um schlichte Gräser. "Aber auch zu ihnen gehören bestimmte Insekten, die sie bestäuben. Wenn die Pflanzen verschwinden, verschwinden auch die Insekten", sagt Loewenstein.

Als Paten meldeten sich Schulen, Kinderläden, ganz alte Leute, Familien oder Teenager. Es bestehe ein "reger Mailverkehr" mit den Teilnehmern, erzählt Loewenstein. "Sie fragen, was sie mit den Samen tun sollen, welche Unkräuter weg müssen, was sie sonst noch für die Umwelt tun können, wie sie ihr tägliches Leben umstellen können und warum der Apfelbaum im Garten nicht gut aussieht."

Dritter Standort des Projekts sind Dresden und der Landkreis Meißen. Hier können die Bürger Patenschaften für zehn Pflanzenarten übernehmen, zum Beispiel für den Guten Heinrich mit seinen großen Blättern, das Sommer-Adonisröschen oder das Echte Herzgespann, das gerne von Bienen besucht wird.

Zurück im Botanischen Garten in Marburg beugt sich Alexander Ruppel über ein Beet: "Hier blüht schon was." In kleinen Töpfen wächst die purpurn-blühende Berg-Platterbse, die Pechnelke mit ihren leuchtenden Blüten und Silber-Fingerkraut. Insgesamt 4.000 Pflanzen hat Ruppel gezogen, 450 sind bereits an Marburger Bürger verteilt.

Die Politik, meint Loewenstein vom Botanischen Garten Potsdam, könne den Verlust der Artenvielfalt nicht aufhalten. Nach Ablauf der Förderung will er eine Community gebildet haben, die sich weiterhin um bedrohte Wildpflanzen kümmert.