Ein Geruch nach Neuem kitzelt in der Nase. Es riecht noch frisch gestrichen im Treppenhaus des Leipziger Philippus-Hotels. Gedeckte Grau- und Grüntöne dominieren die Wände, die mehr als 100 Jahre alten Holzstufen knarren bei jedem Schritt. Ganz oben, in der vierten Etage, dringt Vogelgezwitscher durchs Fenster: Das Haus liegt idyllisch am Ufer des Karl-Heine-Kanals. Auf der anderen Seite kein Ausblick - den versperrt eine Kirche.

Die wuchtige Nähe zum Gotteshaus ist eine der größeren Besonderheiten des Projektes, das hier in Plagwitz-Lindenau im Stadtwesten entstanden ist und am 3. Mai feierlich eröffnet wurde. Denn das Philippus-Hotel war einmal ein Pfarrhaus, erbaut 1910.

Die anderen Besonderheiten des neuen Hotels offenbaren sich subtiler. Etwa am Empfang, der zur Hälfte aus klassischem Tresen, zur Hälfte aus einem auf Hüfthöhe in der Luft schwebenden Brett besteht: Rollstuhl-gerecht. Oder beim Blick in die Duschen der insgesamt 29 Zimmer: stufenlos, ebenerdig - Rollstuhl-gerecht. Und wer ganz genau hinschaut, entdeckt vielleicht auch die zwei unscheinbaren Hörgeräte in den Ohren eines jungen Bediensteten.

Das Philippus-Hotel ist nicht nur vollständig barrierefrei - es ist Leipzigs erstes sogenanntes Integrationshotel. Um diese Bezeichnung tragen zu dürfen, müssen wenigstens 40 Prozent der Beschäftigten eine Behinderung haben. Im Philippus-Hotel sind es sieben von 15. Sie sind seh-, hör- oder gehbehindert, arbeiten im Service, in der Küche in der Reinigung und weiteren Bereichen.

2012 war das gesamte Ensemble mit Philippus-Kirche, Pfarrhaus und Gemeindesaal von der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens für kleines Geld in den Besitz des Leipziger Berufsbildungswerks BBW übergegangen. Vor knapp zwei Jahren starteten Umbau und Sanierung des Pfarrhauses, für rund 4,5 Millionen Euro. Neben einem Zuschuss der Aktion Mensch kam dafür vor allem das BBW selbst auf.

"Wir schaffen hier mit ziemlich großem finanziellem Aufwand Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung", sagt der Vorsitzende des BBW-Aufsichtsrats, Sönke Junge, zur Eröffnung. Das sei Inklusion, und Inklusion koste Geld, fügt er hin und unterstreicht: "Sie werden hier ein Hotel führen - ganz normal".

Das sei von Anfang an die Vision gewesen, betont Hauptgeschäftsführer Tobias Schmidt. Das Projekt sei in vielerlei Hinsicht integrativ und ohne Barrieren. Bis unter's Dach des denkmalgeschützten Gemäuers führt ein neu eingebauter Aufzug. Auf mittlere Frist will das Hotel auch Ausbildungsbetrieb werden.

Und schon während Sanierung und Umbau wurde gemeinnützig gearbeitet. Die alten Mauern des Hauses sorgen in beinahe jedem Zimmer für einen individuellen Zuschnitt, das machte Sondereinbauten nötig. Schränke, Schreibtische, auch der Rollstuhl-gerechte Empfangstresen wurden in der Behindertenwerkstatt der Diakonie Thonberg gefertigt.

Als weiterer Trumpf schlummert nebenan die Kirche. Auch ihr Innenraum wird gerade saniert, bestenfalls innerhalb eines Jahres. Sie ist noch gewidmet, steht aber seit Jahren leer. Ein Förderverein hat sie reaktiviert, seitdem finden regelmäßig Kulturveranstaltungen statt, Konzerte, auch eine Kooperation mit dem Gewandhaus besteht. Ist das Gotteshaus erst einmal saniert - wer weiß, was noch hinzukommt.

Ein Selbstläufer wird all das dennoch nicht. Die Boom-Stadt Leipzig habe nicht gerade auf noch ein weiteres Hotel gewartet, weiß Schmidt. Trotzdem habe man bewusst ein Hotel aufgemacht, "weil es eine besondere Plattform ist, Integration und Inklusion umzusetzen und zu überzeugen, dass es auch funktioniert".

Ob es funktioniert, davon kann sich ab sofort jeder selbst überzeugen - für 69 Euro die Nacht im Einzelzimmer und zehn Euro mehr im Doppelzimmer, jeweils inklusive Frühstück. Außerdem bietet das Haus Tagungsräume für 20 bis 70 Personen an. Für Feiern zu Hochzeit oder Taufe kann Catering bestellt werden.

Der Anfang sei vielversprechend gewesen, berichtet Hotelleiterin Marlene Schweiger: "Die letzten drei Wochen waren wir schon ausgebucht." Eine Tagung war zu Gast im Hotel, quasi als Testlauf vor der Eröffnung. Alles ging gut. Doch am Ende muss sich wohl auch Leipzigs erstes Integrationshotel schlicht am Markt behaupten. Ganz normal.