Kirchen

Jochen Arnold stellt sich als Bischofskandidat in Berlin vor


Bischofskandidat Jochen Arnold
epd-bild / Rolf Zöllner
Die Bischofswahl in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz biegt auf die Zielgerade ein. Am Sonntag stellte sich der dritte und damit letzte Kandidat für die Nachfolge von Markus Dröge in Berlin vor.

Der Hildesheimer Theologe und Kirchenmusiker Jochen Arnold sieht in einer klaren Botschaft, überzeugenden Taten und einladenden Räumen wesentliche Elemente für eine erkennbare Kirche in der Gesellschaft. Der 51-jährige Direktor des Michaelisklosters Hildesheim, Zentrum für Gottesdienst und Kirchenmusik der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, präsentierte sich am 24. Februar in der Berliner Marienkirche vor rund 350 Menschen mit einer Predigt und einem Vortrag als Kandidat für das Bischofsamt in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO).

Um die Nachfolge von Bischof Markus Dröge bewerben sich neben Arnold auch Dröges jetziger Stellvertreter, Propst Christian Stäblein (51), und die hessische Theologin und Senderbeauftragte der evangelischen Kirchen beim Hessischen Rundfunk, Heidrun Dörken (56). Sie hatten sich bereits am 27. Januar und 10. Februar in der Marienkirche auf dem Alexanderplatz vorgestellt. Über die Nachfolge von Dröge entscheidet das Kirchenparlament am 5. und 6. April in Berlin.

In seinem Vortrag zum Thema "Erkennbar Kirche sein" plädierte Arnold dafür, auch unbequeme Fragen zu stellen: "Kirche ist dort erkennbar, wo sie über sich hinausweist und wachrüttelt." Dabei würden auch "spezielle Formate" und "Mitmach-Events" gebraucht. "Erkennbar Kirche sein" bedeute aber auch, "menschenfreundliche" Orte etwa für Obdachlose und Hilfsbedürftige zu öffnen. Durch die Digitalisierung würden sich der Kirche zudem "virtuelle Räume" erschließen, etwa durch Twitter-Gottesdienste und Online-Glaubenskurse. Dabei gelte es im Internet auch "Flagge zu zeigen, gegen Hassparolen und Shitstorms", sagte Arnold.

Weiter sprach sich der gebürtige Schwabe für "kraftvolle Christussymbole" auch im Alltag aus, wie etwa im Winter an öffentlichen Plätzen aufgestellte Krippen oder Osterfeuer. Arnold plädierte zudem für "alternative Gottesdienstformen" neben dem klassischen Gottesdienst: "Zugewandt und einladend zu verschiedenen Menschen das gleiche Evangelium sagen." Dabei gehe es "hier im Osten der Republik" auch um den "Dialog mit den Atheisten".

In seiner Predigt rief der habilitierte Theologe die Christen zu Mut und Zuversicht auf. "Auch heute können wir mit dem Evangelium Grenzen überschreiten, Vertrautes verlassen und aufbrechen zu neuen Ufern", sagte Arnold. Das Evangelium habe Kraft für die Gestaltung einer gerechteren Welt. "Und die beginnt vor der eigenen Tür." Arnold warb dafür, dass Christen im eigenen Lebensumfeld "Brücken des Vertrauens" bauen und keine Angst haben "vor politischen Erdbeben in Europa".

Arnold zeigte sich "fasziniert" von den kulturellen und spirituellen Möglichkeiten der EKBO. Er sehe "aber auch viel Not". Dabei verwies er unter anderem auf die angespannte Wohnungssituation in Berlin und auf Ängste der Menschen "im Braunkohlerevier" der Lausitz.

In der Synode, die Anfang April über die Nachfolge Dröges entscheidet, sitzen 114 stimmberechtigte Kirchenparlamentarier aus der gesamten Landeskirche in Berlin, Brandenburg und Teilen Ostsachsens. Dröges zehnjährige Amtszeit endet im Herbst, die Amtsübergabe ist für den 16. November vorgesehen.

Jochen Arnold wurde am 28. Dezember 1967 in Marbach am Neckar geboren und hat Theologie in Tübingen und Rom sowie Kirchenmusik in Stuttgart studiert. 2002 wurde er zum Pfarrer ordiniert. Arnold promovierte über die Theologie des Gottesdienstes und habilitierte sich mit einer Arbeit über die Kantaten Johann Sebastian Bachs. Er hat Lehraufträge für Theologie und Chorleitung an der Universität Hildesheim, für praktische Theologie an der Hochschule Hannover und lehrt als Privatdozent an der Universität Leipzig. Seit 2004 leitet Arnold das Zentrum für Gottesdienst und Kirchenmusik der hannoverschen Landeskirche in Hildesheim.



Heilige Leere


Restaurant "Glückundseligkeit" in der ehemaligen Martini-Kirche in Bielefeld
epd-bild / Norbert Neetz
Zu groß und zu teuer: Immer mehr evangelische Gemeinden müssen über die Zukunft ihrer Kirchen beraten. Doch die Entscheidung über Umnutzung, Verkauf oder Abriss erfordert Fingerspitzengefühl. Einige Initiativen haben kreative Ideen.

Wohnungen, Restaurants, Synagogen und Moscheen: Wenn Kirchen nicht mehr für den Gottesdienst gebraucht werden, erhalten viele ein zweites Leben in einer neuen Funktion. Immer mehr evangelische Gemeinden in Deutschland müssen sich mit der Zukunft ihrer Kirchengebäude beschäftigen. Weil die Mitglieder weniger werden, bleibt manchmal nur die Entscheidung für eine Entwidmung, also die Aufgabe als sakrales Gebäude. In fast allen der 20 Landeskirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) mussten Kirchen bereits aufgegeben werden, wie eine Umfrage des Evangelischen Pressedienst (epd) ergab.

2008 etwa wurde die Gustav-Adolf-Kirche in Hannover an die liberale jüdische Gemeinde Hannover verkauft, seit 2009 ist sie eine Synagoge. In Bielefeld wurde 2005 die Martini-Kirche vollständig saniert und als Restaurant neu eröffnet. In Berlin wurde die Ananiaskirche verkauft und zu Wohnungen umgebaut. In Mecklenburg-Vorpommern wurde eine ehemalige Klosterkirche zu einem Orgelmuseum umfunktioniert. Solche Fälle könnten sich in Zukunft häufen.

Kein finanzieller Druck

Nach Ansicht von Experten wird das Problem ungenutzter und leerstehender Kirchen in den kommenden Jahrzehnten größer werden. Nach Ansicht der Karlsruher Architektur-Professorin Kerstin Gothe wird das Problem derzeit noch kleingeredet. Viele Landeskirchen versuchen derzeit noch, all ihre Kirchengebäude zu halten, auch wenn dort nicht mehr regelmäßig ein Gottesdienst stattfindet, wie die epd-Umfrage ergab. Durch die gute Steuersituation sei der finanzielle Druck, sich mit dem Thema zu beschäftigen erst einmal raus, sagt Gothe. Doch für Gemeinden sei es wichtig, sich frühzeitig mit Lösungen zu befassen.

In Nordrhein-Westfalen ist die Zahl der verkauften und entwidmeten Kirchen besonders hoch. In der Evangelischen Kirche im Rheinland wurden zwischen 2008 und 2018 150 Kirchen entwidmet. Seit 2001 wurden in der Evangelischen Kirche von Westfalen 78 Kirchen und 61 weitere Gottesdienststätten aufgegeben. Die Landesinitiative Stadt-Bau-Kultur geht davon aus, dass bis zu 30 Prozent der rund 6.000 Kirchengebäude in Nordrhein-Westfalen (die katholischen mit eingerechnet) auf Dauer leerstehen werden. Die Initiative hat im Februar das Projekt "Zukunft - Kirchen - Räume" gestartet, das Gemeinden bei der Entscheidung über die Umnutzung ihrer Kirchen beraten soll.

Denn oftmals sind besondere bau- und kirchenrechtliche Aspekte zu beachten. Zum Beispiel stehen viele Kirchen unter Denkmalschutz und sind daher vor dem Abriss und bestimmten baulichen Veränderungen geschützt. Grundsätzlich ist die Aufgabe einer Kirche ohnehin eine emotionale Angelegenheit. "Kirchen haben oft eine besondere Bedeutung im Leben der einzelnen Menschen", sagt die Expertin Kerstin Gothe.

Schauplatz von Übergangsritualen

Sie seien Schauplatz von Übergangsritualen wie Taufen, Einschulungen, Konfirmationen, Hochzeiten und Begräbnissen. Daher wirkten Kirchen auch für Menschen identitätsstiftend, die sonst wenig mit der Kirche zu tun hätten. Gleichzeitig prägen Sakralgebäude auch das Erscheinungsbild von Städten und Dörfern. "Oft sieht man den Kirchturm, bevor man die Häuser eines Ortes sieht", sagt Gothe. Daher sei es verständlich, wenn Bürger etwas gegen Kirchenabrisse einzuwenden haben.

Im Osten und in der Mitte Deutschlands sind leerstehende Dorfkirchen für die Gemeinden eine Herausforderung. Zur Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM), die sich über Thüringen, Teile Sachsen-Anhalts, Sachsens und Brandenburgs erstreckt, gibt es 4.000 Kirchen. Das sind nach Angaben der Landeskirche 20 Prozent aller evangelischen Kirchen in Deutschland. Allein in Thüringen gehören 2.000 Kirchen zur EKM, 99 Prozent davon sind denkmalgeschützt. Wie viele von ihnen überwiegend leerstehen, lasse sich nicht beziffern, teilt der Pressesprecher mit.

Dass es viele sind, zeigt ein Projekt der Landeskirche zusammen mit der Internationalen Bauausstellung Thüringen (IBA). 2017 wurden Ideen für alternative oder zusätzliche Nutzungen für überwiegend leerstehende Kirchen gesammelt. 500 wurden in einem Katalog veröffentlicht, sieben werden derzeit in die Tat umgesetzt. Darunter eine Herbergskirche, die über die Online-Plattform Airbnb vermietet wird, eine Gesundheitskirche und eine Bienengartenkirche.

Expertin Kerstin Gothe empfiehlt Gemeinden, sich früh um Kooperationen mit Vereinen oder der öffentlichen Hand zu bemühen, um gemeinsam zu überlegen, wie man Kirchen erhalten könne. Aber: "Es gibt überhaupt keine Rezepte. Jede Gemeinde muss schließlich ihren eigenen Weg finden."

Von Franziska Hein (epd)


Gemeinden müssen häufiger über ungenutzte Kirchen beraten

Evangelische Kirchengemeinden müssen sich zunehmend mit der Schließung ungenutzter Kirchengebäude befassen. Das Problem leerstehender Gotteshäuser ist je nach Region unterschiedlich ausgeprägt, wie eine Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) unter den 20 Landeskirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ergab. In fast allen Landeskirchen mussten schon Kirchen aufgegeben werden.

Experten erwarten, dass sich die Zahl ungenutzter Kirchen in den nächsten Jahren weiter erhöhen wird. "Ich glaube, dass das Problem oft kleingeredet wird", sagte die Karlsruher Architekturprofessorin Kerstin Gothe dem epd. Durch die gute Steuersituation sei in vielen Landeskirchen der Druck gesunken, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Doch die sinkenden Mitgliederzahlen und Sparzwänge ließen erwarten, dass man zukünftig weniger Kirchenraum benötige. Daher sei es wichtig, sich frühzeitig mit dem Thema zu beschäftigen.

Vor allem im Rheinland und im Ruhrgebiet mussten viele Kirchen schließen. Nach Angaben der Evangelischen Kirche im Rheinland, der zweitgrößten evangelischen Landeskirche, wurden in den Jahren zwischen 2008 und Ende 2018 rund 150 Kirchen entwidmet - ungefähr jede zehnte. Das ist der absolute Spitzenwert in ganz Deutschland. Die mitgliederstärkste Landeskirche der EKD, die Landeskirche Hannover, musste seit 2002 insgesamt 19 Kirchen verkaufen, vermieten oder abreißen lassen. Damit belegt sie unter den westlichen Landeskirchen Platz zwei.

Im Osten sind vor allem die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) und die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) betroffen. In der EKM werden 48 Kirchen nicht mehr genutzt, in der EKBO wurden in den vergangenen 25 Jahren 30 Kirchen abgegeben oder verkauft. Im Süden Deutschlands werden Kirchen seltener entwidmet. In der bayerischen Landeskirche, der drittgrößten der EKD, stehen derzeit nur drei Kirchen zum Verkauf. In Baden steht keine Kirche leer, in Württemberg wurden in den vergangenen 20 Jahren etwa zehn Kirchen aufgegeben. In der Nordkirche wurden seit 2012 neun Kirchen entwidmet, zugleich seien aber - etwa im Hamburger Umland - auch neue Kirchen gebaut worden.

Selten genutzte Dorfkirchen in ländlichen Regionen sind vor allem in der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland und in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz ein Problem. Die beiden Landeskirchen erstrecken sich über die östlichen Bundesländer Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Berlin und Brandenburg, wo es wenige Kirchenmitglieder gibt aber gleichzeitig einen großen Bestand an Gebäuden.

Die EKM besitzt etwa 4.000 Kirchen, das entspricht nach Angaben der Landeskirche knapp 20 Prozent aller Kirchengebäude in Deutschland. Wie viele davon überwiegend ungenutzt sind, lasse sich nicht beziffern. In der EKBO gibt es 2.000 Kirchen, davon 1.600 Dorfkirchen. 400 von ihnen werden alternativ genutzt, weil dort nicht regelmäßig ein Gottesdienst stattfindet. Auch die EKM und die Nordkirche planen alternative Nutzungen für Kirchen, die sonst überwiegend leer stehen würden.



Sächsische Landeskirche muss bisher kaum Kirchgebäude abgeben

Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens hat in den vergangenen zehn Jahren kaum Kirchen für eine andere Nutzung abgeben oder verkaufen müssen. Derzeit würden rund 1.200 Kirchen regelmäßig für Gottesdienste genutzt, sagte Landeskirchensprecher Matthias Oelke dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Dresden. Dazu kämen einige Gemeindezentren sowie mehr als 300 Friedhofskapellen.

Im Durchschnitt werde etwa alle zwei Jahre eine Kirche auf dem Gebiet der Landeskirche umgenutzt oder entwidmet. Die vorerst letzte zum Verkauf stehende Kirche sei vor vier Jahren in Heidenau (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) an einen privaten Nutzer abgegeben worden. Das Gebäude hatte nach dem Zweiten Weltkrieg als Interimslösung gedient, später als Zweitkirche.

Im Jahr 2012 war die Philippuskirche in Leipzig samt Pfarrhaus dem Berufsbildungswerk Leipzig übertragen worden. Das Unternehmen bildet Menschen mit Behinderung aus und beschäftigt sie. Das Pfarrhaus wurde 2018 als Inklusionshotel eröffnet, die Kirche soll in diesem Jahr fertig werden und unter anderem für Konzerte dienen. "Generell kann gesagt werden, dass wir in den vergangenen 30 Jahren mehr Kirchen, Gemeindezentren und Gemeindehäuser gebaut haben als abgegeben", sagte Oelke. Trotz der großen finanziellen und strukturellen Herausforderung sei es bisher gelungen, die Kirchen mit gottesdienstlicher Nutzung weitgehend zu erhalten. Selbst wenn die Kirchgemeinden kleiner werden, legten sie Wert darauf, dass Gottesdienste in ihren eigenen Kirchen angeboten werden.

In manchen ländlichen Regionen könnte aber nicht jeden Sonntag in jeder Kirche und Gemeinde ein Gottesdienst gehalten werden, räumte Oelke ein. Dass aber evangelisch-lutherische Kirchen in Sachsen überhaupt nicht genutzt werden, sei derzeit nicht bekannt. Die "Stilllegung" von Kirchen sei auch kein Gegenstand der aktuellen Strukturanpassungen und Personalfragen. Die Kirchgebäude seien in einem weitgehend guten bis sehr guten Zustand.

In den vergangenen 25 Jahren habe es insgesamt etwa ein Dutzend Kirchen gegeben, die umgenutzt wurden oder sogar verkauft wurden, sagte Oelke. Typische Kandidaten für eine Umwidmung waren Zweit- und Drittkirchen in Klein- und Mittelstädten, meist Klosterkirchen wie das Sakralmuseum Sankt Annen in Kamenz, wo Kunst des Mittelalters und der Renaissance gezeigt wird oder die Klosterkirche in Zittau.



Verkauf von Kirchen für anhaltische Landeskirche kaum eine Option

Die Evangelische Landeskirche Anhalts hat in den vergangenen zehn Jahren nur eine baufällige, lange ungenutzte Kirche in Mägdesprung bei Harzgerode verkauft. Vorrangig werde aber versucht, die Kirchen, die nicht mehr genutzt werden, nach Möglichkeit zu sanieren und neue Nutzungsmöglichkeiten zu finden, teilte ein Sprecher der Evangelischen Landeskirche Anhalts auf epd-Anfrage mit. Das Projekt "Lichtungen" oder die Stiftung "Entschlossene Kirchen" im Kirchenkreis Zerbst versuchen beispielsweise, die Kirchengebäude auch für die Zukunft mit neuen Ideen attraktiv zu gestalten.

Kirchen zu verkaufen sei kaum eine Option, sagte der Sprecher. Im Bereich der Evangelischen Landeskirche Anhalts liegen insgesamt 212 Kirchen. Anfang der 1990er Jahre seien einige Kirchen verkauft worden, wobei allerdings zum Teil schlechte Erfahrungen gemacht wurden. Bis zum Jahr 2000 wurden den Angaben zufolge neun Kirchen in Anhalt verkauft und entwidmet, sechs davon nach 1990.



EKM: Eine von 100 Kirchen wird nicht mehr genutzt

Auf dem Gebiet der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) werden 48 Gotteshäuser nicht mehr offiziell genutzt, das ist etwa jede hundertste Kirche. Mit 37 sei der größte Teil der betroffenen Kirchen wegen Baufälligkeit gesperrt, sagte eine EKM-Sprecherin in Erfurt. Angesichts schrumpfender Mitgliederzahlen und der Betreuung von mehreren Kirchspielen durch einen Pfarrer werde inzwischen an vielen Orten über eine Umwidmung nachgedacht. Seit 1990 seien aber erst zehn Kirchen auf EKM-Gebiet verkauft worden, hieß es aus dem Landeskirchenamt.

In Kooperation mit der Internationalen Bauausstellung (IBA) sucht die EKM seit 2016 intensiv nach Nutzungsalternativen für ihre Kirchen. Im Projekt "Querdenker" wurden dazu 2017 die Ergebnisse eines Ideenwettbewerbs präsentiert. Einige der Vorschläge - von der Kletter- bis zur Herbergskirche, vom Bienendomizil bis zum Sozialkaufhaus - wurden bereits realisiert oder befinden sich in der Planungsphase. Von den etwa 4.000 Kirchen und Kapellen der EKM - das ist etwa jedes fünfte protestantische Gotteshaus in Deutschland - musste 2016 allein die sogenannte Schwarzburger Kirche im südthüringischen Neustadt wegen Baufälligkeit abgerissen werden.

Das Problem leerstehender Gotteshäuser beschäftigt indes Gemeinden in ganz Deutschland. Es ist aber je nach Region unterschiedlich ausgeprägt, ergab eine Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) unter den 20 Landeskirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). In fast allen Landeskirchen mussten demnach schon Kirchen aufgegeben werden.

Nach Angaben der Evangelischen Kirche im Rheinland, der zweitgrößten evangelischen Landeskirche, wurden zwischen 2008 und 2018 rund 150 Kirchen entwidmet - ungefähr jede zehnte. Das ist der absolute Spitzenwert in ganz Deutschland. Die mitgliederstärkste Landeskirche der EKD, die Landeskirche Hannover, musste seit 2002 insgesamt 19 Kirchen verkaufen, vermieten oder abreißen lassen. Damit belegt sie unter den westlichen Landeskirchen Platz zwei.

Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) ist zum 1. Januar 2009 aus dem Zusammenschluss der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen mit der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen entstanden. Das Gebiet der EKM umfasst von der Altmark bis nach Sonneberg und von Eisenach bis Altenburg vor allem Regionen in Thüringen und Sachsen-Anhalt, aber auch in Brandenburg und Sachsen. Insgesamt hat sie etwa 700.000 Mitglieder. Bei der Gründung vor zehn Jahren waren es noch gut 900.000 Mitglieder.



30 Kirchen in Berlin und Brandenburg abgegeben oder verkauft

Auf dem Gebiet der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz sind in den zurückliegenden 25 Jahren rund 30 Kirchen abgegeben oder verkauft worden. Dies sei kaum mehr als ein Prozent der Kirchengebäude, teilte ein Sprecher auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) in Berlin mit. Insgesamt gebe es auf dem Gebiet der Landeskirche etwas mehr als 2.000 Kirchen, davon seien rund 1.600 Dorfkirchen.

Wie der Sprecher weiter sagte, würden aktuell mehr als 400 Kirchen neben Gottesdiensten auch für andere Veranstaltungen genutzt. Beispiele dafür seien etwa die Martin-Luther-Kirche und die Genezarethkirche in Berlin-Neukölln, in denen es jeweils ein Kirchencafé gibt. In die Luther-Kirche in Spandau seien in zwei Dritteln des Kirchenschiffes Wohnungen eingebaut worden.

Neben Abgabe und Verkauf von Kirchen seien auch fünf Gotteshäuser in den zurückliegenden 25 Jahren neu gebaut worden. Konkret handelt es sich um einen Bau der Kirchengemeinde Berlin-Wartenberg, die Kapelle der Versöhnung in Berlin-Wedding sowie die Bauten der Kirchengemeinde Horno im Kirchenkreis Cottbus, der Heilig-Geist Kirchengemeinde in Falkensee und der Kirchengemeinde Potsdam-Drewitz. Auch die Kirchengemeinde in Kleinmachnow baue derzeit einen neuen Kirchsaal.

An andere christliche Konfessionen abgegeben wurden auf dem Gebiet der Landeskirche etwa die Glaubenskirche in Berlin-Lichtenberg, die jetzt von koptischen Christen genutzt wird, die Friedenskirche in Berlin-Wedding, nunmehr von serbisch-orthodoxen Christen genutzt, die jetzt von der katholischen Kirche genutzte St. Nikolai Kirche in Treuenbrietzen sowie die Neue Nazareth-Kirche Berlin-Wedding. Diese wird inzwischen von einer freikirchlichen Gemeinde genutzt. Die Martin-Luther Kirche in Berlin-Schöneberg ging an die American Church über. Gar an eine andere Religionsgemeinschaft ging die ehemalige Schlosskirche in Cottbus. Sie wird als Synagoge genutzt.

Abgegeben und nunmehr nicht mehr zu religiösen Zwecken genutzt wird etwa die Gutskapelle in Darsikow, die heute ein Bildhaueratelier ist. Die Eliaskirche in der Danziger Straße in Berlin ist heute ein Kinder- und Jugendmuseum. Die Dorfkirche Havelsee wird inzwischen als Filmatelier genutzt. Die Jesuskirche in Berlin-Kreuzberg wurde verkauft und zu Wohnungen umgebaut.



Dom zu Brandenburg plant letztes großes Sanierungsprojekt

Am evangelischen Dom zu Brandenburg an der Havel sollen weitere Teile der historischen Klosteranlage für rund 7,6 Millionen Euro saniert werden. Das Bauvorhaben am "Haus der alten Schätze", bei dem der Ostflügel der ehemaligen Klosterklausur und die sogenannte Spiegelburg grundlegend instandgesetzt werden sollen, sei der letzte Abschnitt der Sanierung der mittelalterlichen Anlage, teilte das Domstift am 21. Februar in Brandenburg an der Havel mit. Das Land Brandenburg steuere zwei Millionen Euro zur Finanzierung bei, bestätigte der Sprecher des Kulturministeriums, Stephan Breiding, dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Ohne die Entscheidung des Kulturministeriums, die Sanierung zu unterstützen, "wäre es nicht möglich gewesen, diese seit langem überfällige Renovierung in Angriff zu nehmen", erklärte Domkurator Cord-Georg Hasselmann am Donnerstag anlässlich eines Besuchs von Kulturministerin Martina Münch (SPD). Derzeit werde geplant, im Mai 2020 mit dem Bauvorhaben zu beginnen und es nach drei Jahren abzuschließen. Im Frühsommer 2023 könnten dann das Dommuseum und das Domstiftsarchiv in die renovierten Räume einziehen. Beide Kulturinstitutionen könnten dann unter einem Dach vereint werden, betonte Hasselmann. Das Domstift verspreche sich hiervon auch erhebliche Synergieeffekte in der Zusammenarbeit beider Bereiche zum Vorteil der Kulturschätze wie der Besucher und Nutzer.



Arnstedtsches Epitaph im Magdeburger Dom soll restauriert werden

Mühsame Puzzlearbeit im Magdeburger Dom: Ein im Zweiten Weltkrieg in hunderte Einzelteile zerfallenes Grabdenkmal soll wieder zusammengesetzt und restauriert werden. Dabei handelt es sich um das Epitaph der Familie und des Domherren Friedrich von Arnstedt aus dem 17. Jahrhundert. Von diesem sind über 200 Bruchstücke und damit etwa 90 Prozent des Bauwerkes erhalten, wie der Vorsitzende des Magdeburger Domfördervereins, Stephen Gerhard Stehli, am 20. Februar in Magdeburg sagte. Einige Teile fehlen.

Das Projekt wird von der Otto-von-Guericke-Universität unterstützt. Beteiligt sind Maschinenbauer und Informatiker, die mit modernen Messtechnologien und 3D-Bildgebungsverfahren arbeiten. Zunächst soll eine Bestandsaufnahme erfolgen und das dreidimensionale Kunstwerk am Computer neu entstehen. Vor den Resten des Grabmals an der Wand des Seitenschiffs im Magdeburger Dom steht derzeit ein Gerüst. Die Wissenschaftler scannen das Bauwerk und sämtliche Einzelteile, die seit 1945 in einer Kammer des Doms gelagert worden waren.

Zwar ragte der Magdeburger Dom am Ende des Zweiten Weltkriegs aus der fast völlig zerstörten Altstadt heraus, aber auch der Dom war damals stark beschädigt worden. Die große Orgel wurde noch am 2. März 1945 zerstört. Das Epitaph wurde ebenfalls beschädigt, als ein Teil des Gewölbes im Seitenschiff einstürzte. Die Reste des Grabmals im Seitenschiff, die sich etwa drei Meter über dem Boden befinden, sind provisorisch abgestützt. Der Dom St. Mauritius und St. Katharina wurde nach einem Stadtbrand 1209 über den Resten des ottonischen Vorgängerbaus neugebaut und 1520 vollendet.

Das Arntstedtsche Epitaph stammte 1610 von einem süddeutschen Bildhauer, Bastian Ertle. Es ist aus Alabaster, Sandstein und Marmor und war ursprünglich auch mit Vergoldungen verziert. Teile des Kunstwerkes waren unter anderem Figuren des Stifters und seiner Frauen Metta und Magdalena, Wappen, Blattranken und biblische Szenen.

Für die nach der Computervisualisierung folgende Restaurierung sammelt der Domförderverein wieder Spenden. Stehli geht von mehreren hunderttausend Euro aus, die benötigt werden. Er fügte aber hinzu, dass sich die Summe schlecht beziffern lasse. Auch der Zeitplan sei schwer einzuschätzen. Die Universität geht für ihre Arbeiten von einem Jahr aus. Zuletzt hatte der Förderverein für die Sanierung des Lettners im Dom 270.000 Euro zusammengetragen. Stehli sagte mit Blick auf das zu restauriende Grabdenkmal: "Wir wollen damit ein Juwel zurückbringen in den Dom."

Der Rektor der Magdeburger Otto-von-Guericke-Universität, Jens Strackeljan, sprach von einer wissenschaftlichen Herausforderung. Er kann sich vorstellen, die Ergebnisse dieses Verfahrens auch für andere, ähnliche Restaurierungsprojekte nutzbar zu machen.



Turm der Garnisonkirche wächst in die Höhe

Für den Turm der Garnisonkirche Potsdam ist am 18. Februar der erste Ziegelstein vermauert worden. Damit habe der Hochbau des Turmes begonnen, erklärte die Stiftung Garnisonkirche Potsdam. Möglich geworden sei der Start der Maurerarbeiten durch die günstige Witterung.

Am Beginn der Hochbauarbeiten nahmen den Angaben zufolge zahlreiche Ehrengäste teil, darunter die Frau des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, Marianne von Weizsäcker, und der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Berliner Bischof, Wolfgang Huber. Die Verlegung der ersten sieben Steine sei durch das Friedensgebet von Coventry begleitet worden.

Wie es weiter hieß, soll eine Dresdner Firma insgesamt gut 2,3 Millionen Ziegelsteine verbauen. Wie beim historischen Bau werde die gesamte Wandkonstruktion bis zur Höhe von etwa 60 Metern in Mauerwerk aus normalformatigen Ziegeln ausgeführt.

Kritiker lehnen den Wiederaufbau vor allem wegen der Militär- und NS-Geschichte der 1945 im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstörten und 1968 in der DDR abgerissenen Barockkirche ab. Die Bauarbeiten am neuen Kirchturm hatten im Herbst 2017 begonnen. Der Bund fördert das 40-Millionen-Euro-Projekt mit zwölf Millionen Euro.



Traditioneller Aufruf zum Autofasten


Fahrrad statt Auto: Klimafasten
epd-bild / Jens Schulze
Bereits zum neunten Mal startet am 6. März die Aktion "Autofasten. Sinn erfahren" in Thüringen. Sie soll dazu anregen, in der Fastenzeit von Aschermittwoch bis Karsamstag öfter einmal das Auto stehenzulassen.

Bereits zum neunten Mal startet am 6. März die Aktion "Autofasten. Sinn erfahren" in Thüringen. Sie soll dazu anregen, in der Fastenzeit von Aschermittwoch bis Karsamstag - in diesem Jahr die Zeit vom 6. März bis zum 20. April - öfter einmal das Auto stehenzulassen, teilten die Initiatoren, der Verein Bus & Bahn Thüringen sowie die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM), am 22. Februar in Erfurt mit. Sie empfehlen, auf das Fahrrad, den Öffentlichen Personennahverkehr oder Carsharing umzusteigen, beziehungsweise zu Fuß zu gehen.

"Abwechslung belebt - Fastenzeit ist andere Zeit", begründete Christian Fuhrmann, der Gemeindedezernent der EKM, die Aktion. Beim Fasten werde schnell an Verzicht gedacht und dabei oft übersehen, "dass wir da, wo wir verzichten, offen für Neues sind". Den Autoschlüssel hängenzulassen und stattdessen auf Rad und öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen, könne eine belebende Abwechslung sein. "Ich treffe auf andere Mitmenschen, sehe selbst meinen alltäglichen Arbeitsweg mit anderen Augen und leiste einen kleinen Beitrag zur Ressourcenschonung unserer Welt", sagte der Oberkirchenrat.

Zwar seien viele Menschen auf das Auto angewiesen, räumte Tilman Wagenknecht, der Geschäftsführer von Bus & Bahn Thüringen e.V. ein. Aber: "Bus und Bahn bieten oft bessere Lösungen, als man denkt", fügte er hinzu. Die Busunternehmen in den Landkreisen Saalfeld-Rudolstadt, Saale-Orla und Schmalkalden-Meiningen böten im Rahmen der Aktion sogar spezielle "Fastentickets" an, mit denen Busse und Bahnen kostengünstiger ausprobiert werden könnten. Neukunden des Verkehrsverbundes Mittelthüringen (VMT) erhielten bei Abschluss eines Abonnements während der Fastenzeit einen Monat freie Fahrt mit Straßenbahn, Bus und Zug, sagte Wagenknecht.

Mehr als 60 Partner unterstützen nach EKM-Angaben die Aktion. Dazu zählten neben den Nahverkehrsunternehmen unter anderem mehrere Thüringer Landkreise und Städte, der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) und "teilAuto" Thüringen.

Mit dem Aschermittwoch am 6. März beginnt die 40 Tage währende Fasten- oder Passionszeit. Evangelische und katholische Christen bereiten sich von diesem Tag an auf das Osterfest vor. In Erinnerung an Jesus, der einer biblischen Erzählung zufolge 40 Tage fastend in der Wüste verbrachte, nutzen viele Christen diese Zeit zur inneren Einkehr. Inzwischen hat sich der von ihnen praktizierte Verzicht auf Fleisch, Alkohol oder Schokolade zu einem breiten gesellschaftlichen Trend entwickelt.



Eisenach plant 500 Jahre Bibelübersetzung

Die Eisenacher Museen, der Evangelische Kirchenkreis und die Stadtverwaltung wollen nach den positiven Erfahrungen des Reformationsjubiläums 2017 auch den 500. Jahrestag der Bibelübersetzung durch Martin Luther (1483-1546) in zwei Jahren gemeinsam vorbereiten. Dazu stellten sie am 21. Februar erste Planungen vor, wie die Stadtverwaltung mitteilte. Sie sehen Ausstellungen, Konzerte, eine Wanderung und ein Projekt auf dem Eisenacher Markt vor. Zudem präsentierten die Netzwerkpartner auch ein neues Logo.

"Das Logo besteht aus dem berühmten Tintenfleck, mit dem Luther der Legende nach den Teufel bekämpft haben soll, einer Schreibfeder, die für die Bibelübersetzung steht, und der Silhouette der Wartburg, welche die historische Verortung der Bibelübersetzung nach Eisenach darstellt", erklärte Gestalter Michael Baller. Zudem erscheine auf dem Logo der Schriftzug "2021/2022 - 500 Jahre Bibelübersetzung". Reinhold Brunner, der Leiter der Stabsstelle Reformationsstadt, kündigte an, "wir alle hier in Eisenach werden das Logo ab sofort als verbindende Marke nutzen".

Für den Kirchenkreis kündigte Superintendent Ralf-Peter Fuchs eine prominente Predigtreihe in der Georgenkirche an. Auf der Wartburg soll ab dem 4. Mai 2021, 500 Jahre nach dem Eintreffen des Reformators auf der Burg, eine Ausstellung mit dem Titel "Luthers Ankunft - Alltag auf der Wartburg" zu sehen sein. Genau ein Jahr später folge dann die Exposition "500 Jahre Neues Testament - Luthers Übersetzungswerk".

Das Eisenacher Bachhaus wird in seiner Sonderausstellung "Bachs Bibel" die Bedeutung und die Wirkungsgeschichte der Kirchenkantaten des Komponisten nachzeichnen. Die Ausstellung wird an Bachs Geburtstag, dem 21. März 2021, eröffnet. Ab Mai 2021 soll zudem ein Industrieroboter-Arm, der "Bibelschreiber", auf dem Markt installiert. Er soll in neun Monaten, Tag und Nacht, die Luther-Bibel einmal komplett mit Tusche zu Papier bringen.

"Da das Jubiläum nicht nur ein Ereignis vor Ort ist, haben wir schon vor einiger Zeit Kontakt mit den Städten Wittenberg und Worms aufgenommen, um Planungen abzustimmen und uns gegenseitig auch im Marketing zu unterstützen", erklärte Oberbürgermeisterin Katja Wolf (Linke). Sie werde mit den Oberbürgermeistern der beiden Städte gemeinsam auf der Tourismusmesse ITB in Berlin auftreten, so die Rathauschefin.

Am 4. Mai 1521 kam Luther nach seiner Scheinentführung auf dem Heimweg vom Reichstag in Worms nach Wittenberg auf der Wartburg an. Anfang 1522 übersetzte er in der Lutherstube der Burg in nur zehn Wochen das Neue Testament aus dem Griechischen ins Deutsche.



Die komplette Bibel jetzt in 692 Sprachen

Die vollständige Bibel gibt es jetzt in 692 Sprachen. Das seien 18 Komplettübersetzungen mehr als im Vorjahr, teilte die Deutsche Bibelgesellschaft unter Berufung auf den Weltverband der Bibelgesellschaften am 18. Februar in Stuttgart mit. Neu sind den Angaben zufolge beispielsweise Minderheitensprachen aus Indonesien, Myanmar und Surinam. Insgesamt hätten damit rund 5,6 Milliarden Menschen Zugang zu allen Texten des Alten und Neuen Testaments in ihrer Muttersprache. Die Bibelgesellschaften gehen von weltweit rund 7.350 Sprachen aus, zu denen auch 245 Zeichensprachen für Gehörlose gezählt werden.

Darüber hinaus seien im vergangenen Jahr auch einzelne Teile und Schriften der Bibel in weitere Sprachen übersetzt worden. So liege das Neue Testament nun auch in Blin und Gondi vor. Blin wird den Angaben zufolge in Eritrea von rund 112.000 Menschen gesprochen, Gondi wird in Indien genutzt.

Die Bibelgesellschaften legen zudem einen verstärkten Schwerpunkt auf Zeichensprachen, um den 70 Millionen Gehörlosen weltweit einen Zugang zur biblischen Botschaft zu ermöglichen. So seien 2018 unter anderem Schriften in ungarischer und japanischer Gebärdensprache publiziert worden, heißt es in der Pressemitteilung. Ein weiterer Fokus sei die Arbeit für blinde und sehbehinderte Menschen. So sei zum Beispiel erstmals eine Bibel in Blindenschrift für Luganda sprechende Menschen in Uganda entwickelt worden.



Drei Kreuze für Roßlauer Gotteshaus

Die Roßlauer Kirche St. Marien hat wieder drei Giebelkreuze. Am Donnerstag konnten die originalgetreuen Nachbildungen der ursprünglichen Kreuze aus Sandstein angebracht werden, wie ein Sprecher der Evangelischen Landeskirche Anhalts am 22. Februar in Dessau-Roßlau mitteilte. Die Original-Kreuze mussten 1991 aus Sicherheitsgründen abgenommen werden, weil ihre Standfestigkeit nicht mehr gewährleistet werden konnte. Sie wurden an die damalige Stadt Roßlau weitergegeben und auf dem Friedhof II in Roßlau als Mahnmal für die Opfer von Gewaltherrschaft aufgestellt.

Im Zuge der Sanierung der Kirche St. Marien konnten nun wieder drei Kreuze angebracht werden, so der Sprecher. Zwei von ihnen sind 1,40 Meter, eines ist 1,80 Meter hoch. Die Arbeiten am Dach und an der Kirche seien nun zu 95 Prozent abgeschlossen. Derzeit werde das Gerüst zurückgebaut. Endgültig abgeschlossen sein soll die Sanierung bis Ostern. Die Gesamtkosten liegen den Angaben zufolge bei 250.000 Euro und werden aus Mitteln von Lotto Toto, von der Evangelischen Landeskirche Anhalts, von Spendern aus der Region und der Kirchengemeinde aufgebracht.



Glocke mit Hakenkreuz kommt ins Museum

Im Museum der Zitadelle Spandau in Berlin wird künftig eine ehemalige Kirchenglocke mit Hakenkreuz ausgestellt. Die 1934 gegossene Glocke mit dem etwa 20 Zentimeter großen, eingefrästen Hakenkreuz war bereits im November 2017 abgehängt worden und wurde am Dienstag zur Zitadelle Spandau abtransportiert, wie der Gemeindekirchenrat der Evangelischen Kirchengemeinde Wichern-Radeland im Spandauer Ortsteil Hakenfelde am 20. Februar auf epd-Anfrage bestätigte. Seit über einem Jahr hatte die 180 Kilogramm schwere und 50 Zentimeter hohe Bronzeglocke als "zeitgeschichtliches Dokument" im Archiv der Kirchengemeinde gelagert.

Im Januar 2019 war den Angaben zufolge ein Dauerleihgabevertrag zwischen dem Stadtgeschichtlichen Museum Spandau und der Kirchengemeinde geschlossen worden. Künftig solle die Glocke im Rahmen einer Ausstellung zur Geschichte der Spandauer Kirchen in der NS-Zeit gezeigt werden, betonte eine Sprecherin des Gemeindekirchenrats. Zudem arbeite die Kirchengemeinde an einer Untersuchung zur Geschichte der Glocke und die Gründe für die lange Verschleppung der Aufarbeitung. Demnach gab es bereits 1961 eine Diskussion über die Existenz des Hakenkreuzes an der Glocke, ohne dass darauf aber weitere Schritte folgten. Die aktuelle Untersuchung werde dokumentiert und solle ebenfalls im Rahmen der Ausstellung zu sehen sein, sagte die Sprecherin dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Zunächst hatte die "Berliner Zeitung" (Mittwoch) über den Transport der Glocke berichtet. Demnach soll sie bei der geplanten Ausstellung auf der Zitadelle Spandau erstmals im August in der Öffentlichkeit ausgestellt werden, schreibt die Zeitung unter Berufung auf Museumsleiterin Urte Evert. Später solle die Hakenkreuz-Glocke in eine Schau zur Festungsstadt Spandau integriert werden.



Bischof Timmerevers blickt zuversichtlich auf Landtagswahl

Sachsens katholischer Bischof Heinrich Timmerevers hat mit Blick auf die Landtagswahlen im Herbst trotz starker Umfrageergebnisse für die AfD zur Zuversicht aufgerufen. "Ich bin gelassen", sagte er in einem am 19. Februar veröffentlichten Interview mit katholisch.de in Dresden. "Sachsen hat bewiesen, es kann Demokratie", erklärte der Bischof des Bistums Dresden-Meißen.

"Die Sachsen brauchen keine Belehrung, wen sie wählen sollen", sagte Bischof Timmerevers. Er wolle die Bürger stattdessen darin bestärken, das Gute zu sehen und den Blick dafür zu schärfen, was den Menschen Schaden zufüge. "Denn sie haben sich die Freiheit erkämpft und damit die gemeinsame Verantwortung für dieses Land", so der Bischof.

Dennoch nehme er bei den Menschen auch Unsicherheit und Angst vor der Zukunft wahr, sagte Timmerevers weiter. Egal wie die Wahl auch ausgehe, am Ende müsse man das Beste daraus machen, fügte er hinzu und betonte: "Für mich, und ich glaube auch für sehr viele Christen in unseren Kirchen, ist klar, dass die freiheitliche Demokratie die beste Staatsform ist, die wir haben."

Demokratie lebe vom Zusammenstehen und dem beständigen Arbeiten daran, Spaltungen innerhalb der Gesellschaft zu überwinden, sagte Timmerevers. Er finde es "nicht hilfreich, wenn emotionsgeladener Protest sich auf Wahlzetteln niederschlägt."

In Sachsen wird am 1. September ein neuer Landtag gewählt. In Umfragen liegt die regierende CDU derzeit knapp vor der AfD. Bei der Bundestagswahl im Herbst 2017 war die AfD in Sachsen noch mit hauchdünnem Vorsprung stärkste Kraft im Freistaat geworden und hatte dort auch ihre bundesweit einzigen drei Direktmandate geholt.



Nach dem Missbrauchs-Gipfel


Missbrauchsopfer demonstrieren in Rom
epd-bild / Romano Siciliani/s
Der Papst hat das Krisentreffen zum Missbrauchsskandal mit einer allgemeinen Rede über unterschiedliche Formen von Gewalt gegen Kinder beendet. Opferverbände sehen darin eine Verharmlosung. Der Vatikan kündigte ein Dokument zum Kinderschutz an.

Als Papst Franziskus am Ende des Krisentreffens mit den Bischöfen im Vatikan sexuellen Missbrauch in die Nähe von Menschenopfern heidnischer Religionen, Sex-Tourismus, Pornografie im Internet, Organhandel und anderen Themen stellt, glauben selbst äußerst kirchenkritische Opferverbände ihren Ohren nicht. Tagelang hatten sie in Rom für einen offenen Umgang der Kirche und grundlegende Reformen demonstriert. Kardinal Reinhard Marx hatte sich als einer von wenigen Teilnehmern der Konferenz in Rom mit einigen von ihnen getroffen. Angesichts der Empörung gingen die Ankündigungen des Vatikans zwei Stunden später fast unter.

Franziskus werde ein offizielles Dokument über den "Schutz von Kindern und gefährdeten Personen" veröffentlichen und Veränderungen des Kirchenrechts veröffentlichen, kündigten die Organisatoren der Konferenz am 24. Februar an. Das Papstdokument wird in Form eines "Motu proprio" erscheinen, mit dem das Kirchenoberhaupt von ihm beschlossene Veränderungen verkündet.

Die Reformen im Kirchenrecht dürften die Forderungen nach einer Einführung von Straftatbeständen rund um sexualisierte Gewalt beinhalten. Bislang wird Missbrauch nur im Rahmen von Paragrafen um das Verbot, die Ehe zu brechen, behandelt. Überdies wird die vatikanische Glaubenskongregation ein "Vademecum" herausgeben, das Bischofskonferenzen der einzelnen Länder bei der Abfassung oder Aktualisierung ihrer eigenen Richtlinien im Umgang mit dem Phänomen Hilfe bieten soll.

Marx für kirchliche Verwaltungsgerichte

Zuvor hatten Bischöfe und Ordensobere aus aller Welt gemeinsam mit Kurienkardinälen drei Tage lang Berichte von Opfern angehört und konkrete Vorschläge gemacht. Eine Frau berichtete, wie sie als Jugendliche über Jahre von einem Priester mit Prügeln zum Sex und anschließend zu Abtreibungen gezwungen wurde, weil er keine Lust auf Verhütungsmittel gehabt habe.

Kardinal Marx rief bei der Konferenz zur Einführung von Verwaltungsgerichten in der katholischen Kirche auf, die den Umgang mit Missbrauch überprüfbar und einklagbar machen. Sogar das Päpstliche Geheimnis solle dafür eingeschränkt werden.

Im Verhältnis zur im Vatikan üblichen Geheimhaltung und Achtung einer weitgehenden Autorität der Bischöfe waren Berichte von Missbrauchsopfern über die Taten und deren Vertuschung sowie Forderungen nach Rechenschaftspflicht revolutionär. So offen waren Missstände in der katholischen Kirche im Vatikan noch nie ausgesprochen worden.

Doch nach dem Krisengipfel ist vor dem Gipfel: Vom 25. Februar an wollen die Organisatoren des Gipfels gemeinsam mit Chefs von Kurienbehörden im Vatikan über das weitere Vorgehen und die Umsetzung der zahlreichen Vorschläge der vergangenen Tage beraten.

Dabei gilt es jedoch zunächst, den durch die Papstbotschaft zum Abschluss des Gipfels entstandenen Glaubwürdigkeitsverlust auszugleichen. Er hatte zu Beginn der Tagung konkretes Handeln gefordert und stellte das Thema am Ende als allgemeines Menschheitsübel dar, das laut den UN in neun von zehn Fällen bei Mädchen im Rahmen der Familie stattfinde.

Von Bettina Gabbe (epd)


Opferzahl an Odenwaldschule laut Gutachtern noch höher

Die Zahl der Opfer von sexuellem Missbrauch an der Odenwaldschule in Südhessen ist offenbar noch deutlich höher als bislang bekannt. Bei Vorlage der letzten beiden Studien zur Aufarbeitung der Vorfälle bezifferten sie die Gutachter am 22. Februar in Wiesbaden auf eine mittlere bis möglicherweise sogar hohe dreistellige Zahl. Der Gründungsvorsitzende des Betroffenenvereins "Glasbrechen", Adrian Körfer, sprach von 500 bis 900 Schülern und Schülerinnen. In einem 2010 abgeschlossenen ersten Bericht über die Missbrauchsfälle an der ehemaligen Reformschule in den Jahren 1966 bis 1998 war noch von 132 Opfern die Rede.

Diese Zahl ist nach Aussagen der beiden Hauptgutachter Jens Brachmann von die Universität Rostock und Florian Straus vom Institut für Praxisforschung und Projektberatung in München nach heutigem Erkenntnisstand nicht mehr haltbar. Brachmann sagte, eine genaue Zahl könne aber nicht mehr ermittelt werden. Die Zahl der Täter, bei denen es sich vor allem um den Leiter und weitere Lehrkräfte der Odenwaldschule in Oberhambach bei Heppenheim handelte, schätzen die Experten auf mindestens zwei Dutzend. Die weitaus meisten davon waren demnach Männer, doch sollen auch mindestens fünf Frauen Grenzüberschreitungen gegenüber ihren Schützlingen begangen haben. Die Zahl der Straftaten gegen die Schülerinnen und Schüler geht in die Tausende.

"Vielfaches Versagen"

Der hessische Sozialminister Kai Klose (Grüne), der die Ergebnisse der Studie zusammen mit den Autoren und den Betroffenen vorstellte, sprach von einem vielfachen Versagen bei dem notwendigen Schutz der Jungen und Mädchen vor sexueller Gewalt. Dabei gehe es nicht nur um die persönliche Schuld der Täter, sondern auch um nicht wahrgenommene gesellschaftliche Verantwortung und das Versagen staatlicher Stellen wie beispielsweise der Jugendämter und der Schulaufsicht. Klose, der sein Ministeramt erst Mitte Januar antrat, bat die Opfer als heute politisch Zuständiger um Verzeihung.

Er betonte, auch mit den beiden letzten Gutachten zu den Missbrauchsfällen sei keineswegs der Schlusspunkt der Aufarbeitung erreicht. Diese gehe mit der Auswertung der Erkenntnisse weiter. Wissenschaftliche Aufarbeitung könne nichts wiedergutmachen, aber Transparenz über das entstandene System herstellen, das die Übergriffe ermöglichte und begünstigte. Die Landesregierung werde alles in ihrer Macht Stehende tun, damit sich so etwa nie mehr wiederholen könne.

Klose verwies auf den Landesaktionsplan zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt in Institutionen und die auf 2,2 Millionen Euro verfünffachten Mittel für inzwischen 54 Beratungsangebote in Hessen. Zudem stelle das Land der Stiftung "Brücken bauen" zur Unterstützung der Opfer bis Ende des Jahres 100.000 Euro zur Verfügung.

Schule 2015 geschlossen

Nach der Insolvenz des Trägervereins der 2015 geschlossenen Schule waren die Aufträge an die Gutachter zunächst gekündigt worden. Mit finanzieller Hilfe des Sozialministeriums konnten sie mit Verzögerung doch noch fertiggestellt werden. Die Münchner Studie befasst sich auf Basis von Interviews mit 40 Betroffenen mit dem sozialpsychologischen Aspekt der Missbrauchsfälle.

In dem Gutachten aus Rostock geht es nach intensiver Auswertung der umfangreichen Akten der Odenwaldschule um das Tätersystem. Die Vermischung der Rolle von Pädagogen und "Familienoberhäuptern" in dem Internat habe die Verbrechen begünstigt, viele dort Tätige hätten gar keine ausreichende pädagogische Qualifikation gehabt.

Adrian Körfer von "Glasbrechen", der selbst sieben Jahre lang Schüler und Opfer war, äußerte die Hoffung, dass dies sein letzter öffentlicher Auftritt zu diesem Thema war. Viele Opfer litten noch immer unter den Taten, manche seien in der Psychiatrie gelandet. Zwei der Haupttäter lebten noch, seien aber nie juristisch belangt worden. Nach Angaben des Grünen-Landtagsabgeordneten Marcus Bocklet hängt dies wesentlich mit der Verjährung der Verbrechen zusammen.



Zahl der Kirchenasyle stark zurückgegangen


Ein Paar im Kirchenasyl (Archivbild)
epd-bild / Stefan Arend
Im vergangenen Jahr haben die Innenminister die Regeln fürs Kirchenasyl verschärft. Flüchtlinge können nun auch nach 18 Monaten noch abgeschoben werden. Die Zahl der Fälle ist seitdem stark zurückgegangen. Das Innenministerium wertet das als Erfolg.

Die strengeren Regeln beim Kirchenasyl haben zu einem starken Rückgang der Fallzahlen geführt. Von Anfang August bis Jahresende 2018 wurden dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 341 Fälle gemeldet, in denen Gemeinden abgelehnten Flüchtlingen Schutz gewährten, wie aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Grünen im Bundestag hervorgeht, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt. Das war ein drastischer Rückgang: Bis Ende Juli vergangenen Jahres summierten sich die Fälle noch auf 1.180.

Zwischen Januar und August verzeichnete das Bundesamt der Statistik zufolge monatlich rund 150 bis 200 Fälle. Ab August lagen die Zahlen dann nur noch im zweistelligen Bereich. Im August selbst waren es 57, im September 76 Fälle. Im Januar dieses Jahres gab es einen Tiefststand mit 47 Fällen.

Frist verlängert

Im Juni vergangenen Jahres hatten die Innenminister von Bund und Ländern eine Verschärfung der Praxis beim Kirchenasyl beschlossen, nachdem sie den Kirchen zuvor mehrfach vorgeworfen hatten, sich nicht an Verfahrensabsprachen zu halten. Die staatlichen Behörden bemängelten unter anderem, dass in vielen Fällen keine Dossiers abgegeben wurden oder Menschen das Kirchenasyl auch dann nicht verlassen haben, wenn das Bundesamt nach nochmaliger Prüfung ein Asylbegehren abgelehnt hat.

Seit August 2018 können die Behörden die Frist für den sogenannten Selbsteintritt von 6 auf 18 Monate erhöhen, was im Ergebnis dazu führt, dass die Asylsuchenden länger mit einer Ausweisung aus Deutschland rechnen müssen. Bei vielen Fällen von Kirchenasyl handelt es sich um sogenannte Dublin-Fälle, für die ein anderer EU-Staat zuständig wäre. Deutschland kann diese Flüchtlinge binnen sechs Monaten in das andere EU-Land zurückschicken, ansonsten ist die Bundesrepublik selbst für das Verfahren zuständig. Das Kirchenasyl sorgt oft für ein Überschreiten dieser Frist. Mit der Verlängerung auf anderthalb Jahre soll es erschwert werden, dass sich Menschen unter kirchlicher Obhut der EU-Regelung entziehen.

Ministerium: "positives Signal"

Die Fristverlängerung habe sicherlich zu den gesunkenen Zahlen geführt, sagte eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums am 22. Februar in Berlin. Sie wertete den Rückgang als "positives Signal". Kirchenasyl könne nur dann Sinn ergeben, wenn sich alle Beteiligten an Verfahrensabsprachen halten, sagte sie. Zwischen Staat und Kirchen hatte es lange Zeit Streit ums Kirchenasyl gegeben.

Aus den Zahlen des Ministeriums geht auch hervor, dass nur für einen geringen Prozentsatz der Kirchenasyl-Fälle das Bundesamt nach nochmaliger Prüfung von sich aus den Selbsteintritt erklärte: von den insgesamt mehr als 3.000 Fällen von Januar 2017 bis heute in nur 158 Fällen. Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Luise Amtsberg kritisierte dies und verwies auf die Verschärfungen für Flüchtlinge in Italien. "Den zurückgeschickten Asylsuchenden droht damit de facto die Obdachlosigkeit in Italien - ein unhaltbarer Zustand, auf den die Kirchengemeinden durch die Gewährung von Kirchenasylen zu Recht hinweisen", sagte sie.

Nach der Kritik der Behörden an den Kirchen ist im vergangenen Jahr auch die Zahl der Dossiers gestiegen, die Gemeinden über die Fälle erstellen sollen. Während 2017 beim Bundesamt noch knapp 800 Dossiers eingingen, waren es 2018 mehr als 1.000. Die Zahl der Kirchenasyle insgesamt war 2018 leicht von 1.561 auf 1.521 gesunken.



Papst hebt Sanktionen gegen Ernesto Cardenal auf


Ernesto Cardenal
epd-bild / Dieter Sell

Papst Franziskus hat die Sanktionen gegen den nicaraguanischen Dichter und Pfarrer Ernesto Cardenal aufgehoben. Der heilige Vater habe den Theologen von allen kirchenrechtlichen Rügen freigesprochen, teilte der Vertreter des Vatikans in Nicaragua, Stanislaw Waldemar Sommertag, am 18. Februar in Managua mit.

Cardenal war 1984 von Johannes Paul II. seiner priesterlichen Ämter enthoben worden, weil er an der Regierung der linken Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) beteiligt war. Er durfte keine Messen mehr halten und keine Sakramente erteilen. Cardenal habe die Strafe immer akzeptiert, sei nie mehr als Priester tätig gewesen und seit vielen Jahren nicht mehr politisch aktiv, erklärte Sommertag die Entscheidung des Papstes.

Der heute 94-jährige Ernesto Cardenal kooperierte während der nicaraguanischen Revolution mit der Guerilla und wurde später Kulturminister der FSLN-Regierung. Zudem zählt er zu den wichtigsten zeitgenössischen Dichtern Lateinamerikas. Seit mehr als zwei Wochen befindet er sich wegen einer Niereninfektion im Krankenhaus. Sein Zustand ist kritisch.



Eröffnung des Kirchentages mit drei zentralen Gottesdiensten

Der Kirchentag in Dortmund wird am 19. Juni mit drei großen Gottesdiensten eröffnet. Die Predigten halten die westfälische Präses Annette Kurschus, die Ökumene-Beauftragte der rumänischen evangelischen Kirche, Elfriede Dörr, sowie die Offenbacher Pfarrerin Henriette Crüwell, wie der Kirchentag am 22. Februar bekanntgab. Der Gottesdienst mit Präses Kurschus wird im Fernsehen übertragen.

Beim Schlussgottesdienst am 23. Juni predigt die hannoversche Pastorin der ökumenischen Bewegung "Kirchehoch2", Sandra Bils, im "Signal Iduna Park" (früher Westfalenstadion). Parallel dazu gibt es auf der Seebühne im Westfalenpark einen Gottesdienst mit der Superintendentin des mitteldeutschen evangelischen Kirchenkreises Altenburg, Kristin Jahn. Beim zentralen ökumenischen Gottesdienst an Fronleichnam (20. Juni) werden die Dortmunder Superintendentin Heike Proske sowie der katholische Stadtdechant Andreas Coersmeier im Dialog predigen.

Helfer gesucht

Die Predigten der großen Gottesdienste beschäftigen sich mit den zentralen Kirchentagstexten, die auf Vorschlag von Jugendlichen um das Themenfeld Vertrauen ausgesucht wurden, wie der Kirchentag mitteilte. Die Eröffnungsgottesdienste beginnen mit der Losung des Kirchentages "Was für ein Vertrauen". Der Schlussgottesdienst steht unter der Aufforderung "Werft euer Vertrauen nicht weg".

Der Kirchentag wirbt noch um ehrenamtliche Helfer. Sie sind unter anderem als Auskunft, bei der Einlasskontrolle, bei der Schalverteilung, beim Papphockerfalten und im Kirchentags-Shop im Einsatz. Zum Deutschen Evangelischen Kirchentag erwarten die Veranstalter rund 100.000 Dauerteilnehmer.



Neuer Leiter des Katholischen Büros Berlin-Brandenburg

Gregor Engelbreth übernimmt zum 1. April die Leitung des Katholischen Büros Berlin-Brandenburg. Der 56-Jährige folgt damit auf Martina Köppen, frühere Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die auf eigenen Wunsch ausgeschieden ist, wie eine Sprecherin des Bistums Magdeburg am 21. Februar mitteilte. Engelbreth war bisher Justiziar des Bistums Magdeburg.

Der gebürtige Berliner Engelbreth hat an der FU Berlin Jura, Betriebswirtschaft und Geschichte studiert. Als Anwalt für Wirtschaftsrecht arbeitete er in Berlin, bevor er 2016 als Justiziar ins Bistum Magdeburg wechselte. Er engagiert sich in unterschiedlichen Ehrenämtern in der Erzdiözese Berlin, zuletzt im Diözesanrat der Katholiken als Leiter des Sachausschusses Migration und Integration.

Köppen, die 1958 in Bochum geboren wurde, hatte die Leitung des Katholischen Büros im März 2012 übernommen. Das Katholische Büro Berlin-Brandenburg vertritt das Erzbistum Berlin und die Bistümer Görlitz und Magdeburg gegenüber dem Land Berlin und dem Land Brandenburg. Es vertritt gegenüber Parlamenten, Landesregierungen, Parteien und Verbänden die Positionen der Katholischen Kirche, beobachtet gesellschaftspolitische Entwicklungen und gibt auch Stellungnahmen zu Gesetzesvorhaben ab.



Bischof für Mecklenburg-Vorpommern gesucht

Zwei evangelische Theologen aus Dresden und Rostock treten bei der Greifswalder Bischofswahl für Mecklenburg-Vorpommern an: Christian Behr (58) ist Pfarrer an der Kreuzkirche Dresden und Superintendent des Kirchenbezirkes Dresden Mitte, Tilman Jeremias (52) ist Ökumene-Pastor des Kirchenkreises Mecklenburg in Rostock. Gesucht wird ein Nachfolger der beiden Bischöfe Hans-Jürgen Abromeit (Greifswald) und Andreas von Maltzahn (Schwerin). Die Reduzierung der Bischofssitze war bei Gründung der Nordkirche 2012 festgelegt worden. Gewählt wird am 1. März im Greifswalder Dom St. Nikolai.

Christian Behr ist gebürtiger Thüringer und absolvierte Ende der 70er Jahre zunächst eine Lehre als Baufacharbeiter. Nach dem Theologie-Studium in Jena übernahm er seine erste Pfarrstelle 1989 in Kayna bei Zeitz (Sachsen-Anhalt), wo er auch als Kreisdiakoniepfarrer tätig war. 1994 wechselte Behr ins sächsische Grimma. Seit 2012 ist er Pfarrer an der Kreuzkirche Dresden und Superintendent. Er ist verheiratet, hat drei erwachsene Töchter und zwei Enkel.

Tilman Jeremias wurde in Mainz geboren und wuchs in Gröbenzell (bei München) auf. Nach einem Jahr in einer Tagesstätte für psychisch kranke Kinder studierte er Theologie in München, Tübingen, Jerusalem und Leipzig. 1995 übernahm er die Pfarrstelle in Schwaan (bei Rostock). 2001 bis 2002 gehörte er zu den Sprechern des "Worts zum Sonntag". 2003 wechselte Jeremias in die Innenstadtgemeinde Rostock. Seit 2016 ist er Pastor für Mission und Ökumene. Jeremias ist geschieden und hat drei Kinder.

Die Bischöfe Abromeit und von Maltzahn haben während ihrer Amtszeit in der Nordkirche den Bischofsbezirk (Sprengel) Mecklenburg und Pommern gemeinsam geleitet. Bischof von Maltzahn wird im Mai 2019 aus dem Amt ausscheiden und wird Studienleiter im Prediger- und Studienseminar Ratzeburg. Abromeit tritt im September 2019 in den Ruhestand. Die evangelische Nordkirche hat rund zwei Millionen Gemeindeglieder und umfasst die Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Hamburg.



Trauer um früheren Präses Jagusch

Mit großer Trauer ist in der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) der Tod von Karl-Heinz Jagusch aufgenommen worden. Der ehemalige Präsident der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen war am 18. Februar im Alter von 83 Jahren verstorben. Die Trauerfeier soll am 26. Februar in Jena stattfinden, teilte die EKM mit.

"Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland verliert mit Karl-Heinz Jagusch einen aufrechten und treuen Christenmenschen, der in innerer Freiheit und mit großer Konsequenz seinen christlichen Glauben bekannte und lebte", würdigte Landesbischöfin Ilse Junkermann den Verstorbenen. Seine Grundüberzeugung, dass Kirche sich nicht selbst genügen dürfe, sondern sich immer auch als Kirche für andere verstehen müsse, sei auch für das kirchenleitende Handeln des Verstorbenen bestimmend gewesen. Als Präsident der Landessynode habe er auch in unruhigen Zeiten und bei schwierigen Debatten durch seine umsichtige Leitung immer wieder für Klarheit gesorgt und das Kirchenparlament gestärkt. "Sein Tod erfüllt uns mit großer Trauer. Unser Mitgefühl gilt seinen Angehörigen", sagte Junkermann.

Jagusch wäre am 26. Februar 84 Jahre alt geworden. Der gebürtige Ostpreuße lebte in Jena, wo er seit 1961 im Glaswerk der Saalestadt als Industriemathematiker in der Forschung arbeitete. Ab 1978 durfte er diese Funktion nicht mehr ausüben. Er selbst vermutete als Grund dafür einen Prozess gegen ihn in den 1950er Jahren. Damals war er als Student aus politischen Gründen zu anderthalb Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Danach arbeitete Jagusch als Planungstechnologe. 1990 wurde er Betriebsrat der Jenaer Glaswerk GmbH und beteiligte sich an der Umstrukturierung des Werkes. 1998 verabschiedete er sich in den Ruhestand.

In die Synode der Thüringer Landeskirche wurde er 1978 gewählt; er war von 1984 bis 1990 ihr Vizepräsident sowie von 1990 bis 1992 Präsident des Kirchenparlaments. Von 1980 bis 1990 gehörte er als Mitglied der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR und von 1986 bis 2002 der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) an. Für sein Engagement in Kirche und Gesellschaft wurde Jagusch 1997 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.



Bistum Görlitz trauert um Hubertus Zomack

Das katholische Bistum Görlitz trauert um Prälat Hubertus Zomack. Der dreimalige Generalvikar des Bistums starb am 22. Februar im Alter von 77 Jahren, wie ein Sprecher in Görlitz mitteilte. Zomack leitete zudem zwei Mal als Diözesanadministrator das Bistum in Ostsachsen an der Grenze zu Polen. Görlitz ist das kleinste deutsche Bistum mit rund 30.000 Gläubigen.

Hubertus Zomack wurde am 30. September 1941 in Wittichenau als jüngstes von drei Kindern geboren und wuchs in einem katholischen Milieu auf. Nach einer Ausbildung als Brauer und Mälzer studierte er Philosophie und Theologie in Erfurt. Im Jahre 1970 wurde er zum Priester geweiht. Im Bistum Görlitz wurde er in der Folgezeit mehrfach in leitende Ämter berufen.

In der Wendezeit engagierte sich Zomack auch politisch und leitete etwa den Runden Tisch in Lübbenau und trat der CDU bei. Sein Bemühen um ein konstruktives Verhältnis zwischen dem Bistum Görlitz und den staatlichen Stellen wurde 2015 mit dem Verdienstkreuz am Bande gewürdigt, erklärte der Sprecher weiter.




Soziales

Heftige letzte Debatte zum Paragrafen 219a im Parlament


Abstimmung zum Paragrafen 219a im Bundestag
epd-bild / Christian Ditsch
In knapp einer Woche hat die Koalition ihren Kompromiss zum Werbeverbot für Abtreibungen durchs Parlament gebracht. Die Opposition ist wütend, die Union zufrieden, und die SPD verteidigt sich noch einmal. Sie muss gegen ihre Überzeugung stimmen.

Nach langem Ringen geht es am Ende schnell: Weniger als eine Woche hat die Koalition aus Union und SPD gebraucht, um ihren Kompromiss zum Werbeverbot für Abtreibungen durch den Bundestag zu bringen. Am 21. Februar stimmt das Parlament in Berlin namentlich über den Regierungsantrag ab. Es kommt wie erwartet. Die SPD hält sich an die Fraktionsdisziplin und stimmt zu. Dabei gibt es mindestens eine Ausnahme: Hilde Mattheis vom linken Flügel, die ihr Nein angekündigt hatte.

Linke, Grüne und FDP stimmen dagegen, nach einer kurzen Debatte, in der sie ihrer Wut über diesen Kompromiss noch einmal Luft gemacht haben. "Beschämend", "versemmelt", "eine Absurdität", kritisieren Abgeordnete der FDP, der Linken und der Grünen. "Verfassungswidrig" sei eine Regelung, die identische Informationen beim Arzt mit zwei Jahren Gefängnis bedrohe und auf einer Behördenseite nicht, sagt die Grünen-Rechtspolitikerin Katja Keul. Grüne, Linke und FDP wollen den Paragrafen 219a abschaffen. Auch die AfD stimmt gegen das Gesetz. Das Werbeverbot zu lockern, komme einer Kapitulation beim Lebensschutz gleich, meint sie.

"Durchpeitschen"

In etwa zwei Monaten tritt das Gesetz in Kraft. Dann müssen Ärzte keine Strafverfolgung mehr fürchten, wenn sie auf ihrer Internetseite oder in Flyern darauf hinweisen, dass sie Abtreibungen machen. Für weitere Informationen sollen sie indes auf offizielle Stellen verweisen. Die Bundesärztekammer führt eine Liste mit Ärzten und Ärztinnen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.

Die Opposition hat das schnelle Verfahren als "Durchpeitschen" heftig kritisiert. "Die Hoffnung der Union und der SPD, dass das Thema heute beendet ist, wird sich aber nicht erfüllen", prognostizierte die Vize-Fraktionsvorsitzende der Linken, Cornelia Möhring. Im Kern gehe es einmal mehr darum, Frauen zu kontrollieren und zu bevormunden.

Die SPD war von Anfang an im Dilemma. Einen eigenen Antrag auf Abschaffung des Paragrafen 219a, den die Fraktion im Dezember 2017 nach der Verurteilung der Gießener Ärztin Kristina Hänel aufgrund der umstrittenen Rechtslage beschlossen hatte, musste sie schon im Februar wieder auf Eis legen. Inzwischen war der Koalitionsvertrag mit der Union ausgehandelt - und es war allen klar, dass die SPD die erste Koalitionskrise auslösen würde, wenn sie beim Werbeverbot für Abtreibungen mit der Opposition gemeinsame Sache gegen die Union machen würde.

Mit Grabesstimme

Die Haltung der Union war klar. Das Werbeverbot ist Teil des Konzepts zum Schutz ungeborenen Lebens und sollte nicht verändert werden. Die damalige CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer gab im März 2018 die Linie vor: Aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion werde es keine Unterstützung geben für Initiativen, die das Werbeverbot kippen wollen.

Kurz darauf wurde die neue Bundesregierung vereidigt. Es brauchte dann noch fast zehn Monate, um den Entwurf auszuhandeln, den Justizministerin Barley schließlich am 15. Februar mit Grabesstimme im Bundestag vorstellte. In der abschließenden Debatte verteidigte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach den Kompromiss. Mehr sei mit der Union nicht möglich gewesen.

Die Union hingegen gab sich zufrieden. Es sei von gegenteiligen Positionen aus ein guter Kompromiss gefunden worden, schmerzhaft für beide Seiten, sagte die Fraktionsvize Nadine Schön (CDU). Das Abtreibungsrecht in Deutschland bleibe ein gut austariertes System. Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland illegal, werden aber bis zur zwölften Woche nicht bestraft, wenn die Frau das Beratungsverfahren einhält.

Der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, der evangelische Theologe Peter Dabrock, sagte vor einem Jahr, als die Debatte um den Paragrafen 219a im Bundestag gerade losging und schnell klar war, welche Wucht sie entwickeln würde, wer Veränderungen im Abtreibungsrecht wolle, müsse sich darüber klar sein, dass er gesellschaftlichen Sprengstoff freisetze: "Ich frage mich", sagte Dabrock, "ob wir das in diesen ohnehin aufgewühlten Zeiten zusätzlich brauchen."

Von Bettina Markmeyer (epd)


Thüringer Kabinett verabschiedet Inklusionsgesetz

Dem Entwurf eines überarbeiteten Thüringer Gesetzes zur Gleichstellung und Inklusion von Menschen mit Behinderungen hat die rot-rot-grüne Landesregierung am 19. Februar zugestimmt. Damit sei ein weiterer großer Schritt auf dem Weg zu einer gleichberechtigten und selbstbestimmten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Leben gelungen, sagte Sozialministerin Heike Werner (Linke) nach der Kabinettssitzung. Die Regelungen, die sich aus der UN-Behindertenrechtskonvention ergeben, würden nun auf Landesebene umgesetzt. Der Gesetzentwurf werde dem Landtag zur weiteren Beratung zugeleitet, so die Ministerin.

Als Neuerungen führte sie die Streichung des Finanzvorbehalts für die Kommunen an, die sich so - etwa mit dem Hinweis auf die schlechte Kassenlage - der Erfüllung der Verpflichtungen nach dem bisherigen Gesetz entziehen konnten. Mit 700.000 Euro im Jahr will die Sozialministerin nun Anreize dafür setzen, dass auf kommunaler Ebene mehr hauptamtliche Behindertenbeauftragte beschäftigt werden.

Zudem gelte mit der Annahme des neuen Gesetzestextes eine Berichtspflicht über den Stand der Barrierefreiheit öffentlich genutzter Gebäude. Der Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderungen soll nicht mehr durch den Ministerpräsidenten berufen, sondern in geheimer Wahl im Landtag gewählt werden. Nicht zuletzt würden die Rechte der Menschen mit Behinderungen und ihrer Selbstbetroffenenverbände im Landesbeirat gestärkt, dem zum Beispiel die kommunalen Spitzenverbände oder die Landesregierung nur noch mit beratender Stimme angehören sollen. Auch werde ein Verbandsklagerecht eingeführt, kündigte Werner an.

Sie räumte einen langen zeitlichen Anlauf für das Gesetzesvorhaben ein. Die UN-Behindertenrechtskonvention war bereits 2006 von der Vollversammlung der Vereinten Nationen beschlossen und 2009 von Deutschland ratifiziert worden. Das habe zum einen daran gelegen, dass sich die Vorgängerregierung aus CDU und SPD nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen konnte, erklärte die Linken-Politikerin. Ein erster Arbeitsentwurf der Gesetzesnovelle sei von Rot-Rot-Grün an 72 Vereine, Verbände und Institutionen von Menschen mit Behinderungen und die Träger der öffentlichen Verwaltung verschickt worden. Über deren Antworten mit Anregungen und Vorschlägen seien dann noch einmal zwei Jahre ins Land gegangen.

In Thüringen ist aus Sicht des Sozialministeriums derzeit von etwa 380.000 Menschen mit amtlich festgestellten Behinderungen auszugehen. Davon lebten ungefähr 229.100 schwerbehinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von 50 bis 100 Prozent und weitere 150.900 mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 20 bis 40 Prozent (Stand 2018), so die Landesbehörde.



Erster Flächentarifvertrag für Sozialwirtschaft in Brandenburg

In Brandenburg ist der erste Flächentarifvertrag für die Sozialwirtschaft abgeschlossen worden. Das Vertragswerk der Paritätischen Tarifgemeinschaft als Arbeitgeberverband und der Gewerkschaft Verdi bringe für die betroffenen Beschäftigten deutliche Verbesserungen und sofortige Entgelterhöhungen im dreistelligen Bereich, sagte Verdi-Verhandlungsführer Ralf Franke am 21. Februar bei der Vorstellung des Vertragswerks in Potsdam. Die Monatsentgelte der Beschäftigten, darunter überwiegend Frauen, stiegen zum Teil um mehrere hundert Euro.

Der Tarifvertrag gelte rückwirkend ab Jahresbeginn für zunächst rund 2.000 Beschäftigte bei vier Sozialträgern in Bernau, Senftenberg, Spremberg und Teltow, hieß es. Geplant sei zudem, dass nach Abschluss der noch laufenden Pflegesatzverhandlungen auch der brandenburgische Landesverband der Volkssolidarität sowie weitere Unternehmen und Verbände der Volkssolidarität in die Tarifbindung eintreten. Damit könne der Tarifvertrag bis zum Jahresende für mindestens 4.000 Beschäftigte verbindlich werden, sagte Sebastian Jeschke, Verhandlungsführer der Arbeitgeber.

Der Tarifvertrag wurde den Angaben zufolge nach 21 Monaten Verhandlungen mit 17 Verhandlungsrunden abgeschlossen und läuft bis mindestens Ende 2020. Er gilt unter anderem für die Pflege, die Behindertenbetreuung, Kita-Personal und Sozialarbeiter in der Kinder- und Jugendhilfe bei den beteiligten Sozialträgern. Die Entgelte für Kita-Erzieherinnen in Vollzeit liegen damit jetzt je nach Beschäftigungszeit zwischen rund 2.600 und rund 3.600 Euro brutto im Monat, für Pflegefachkräfte zwischen rund 2.500 und gut 3.000 Euro und für Pflegehelfer zwischen knapp 2.000 und knapp 2.500 Euro brutto im Monat.

Die Entgelte werden laut Tarifvertrag zum Januar 2020 um 3,29 Prozent, in der Kinder- und Jugendhilfe und im Kita-Bereich um mindestens 3,02 Prozent erhöht. Die Arbeitszeit wird auf durchschnittlich 40 Stunden in der Woche festgelegt sowie ein jährlicher Urlaubsanspruch von 30 Tagen und ein Weihnachtsgeld in Höhe von 65 Prozent eines Monatsentgelts eingeführt.

Ziel sei, möglichst viele weitere Sozialträger bei paritätischen Landesverbänden dazu zu bringen, sich an dem Tarifwerk zu beteiligen, sagte Jeschke. Vorbild sei Sachsen-Anhalt. Dort gelte bereits seit vielen Jahren ein entsprechender Flächentarifvertrag, der zum "Leitwerk für die Sozialwirtschaft" im Bundesland geworden sei. Dass sich in Brandenburg zunächst nur wenige Anbieter beteiligen, liege daran, dass die Sozialträger zunächst die Refinanzierung der mit dem Tarifwerk steigenden Ausgaben durch die Kostenträger wie Krankenkassen durchsetzen müssten, betonte Jeschke: "Das ist der große Pferdefuß." Das Verfahren bis zu einer abschließenden Entscheidung über die Kostenerstattung könne sich mitunter Jahre hinziehen.

Der Tarifvertrag gelte zwar zunächst nur für rund zehn Prozent der etwa 20.000 Beschäftigten von mehr als 300 unabhängigen Sozialträgern im brandenburgischen Landesverband des Paritätischen, sagte der Vorstandsvorsitzende Andreas Kaczynski. Dies sei jedoch "für den Einstieg in die Tarifbindung ein sehr gutes Ergebnis". Damit liege nun ein Tarifwerk für die Sozialwirtschaft vor, das "in Brandenburg Maßstäbe setzt".

In der freien Wohlfahrtspflege, zu der unter anderem auch die evangelische Diakonie und die katholische Caritas gehören, seien in Brandenburg knapp 70.000 Menschen beschäftigt, sagte Kaczynski. Hinzu kämen zahlreiche Beschäftigte privater Anbieter. Ein allgemeinverbindlicher Pflege-Tarifvertrag, der Mindeststandards für die gesamte Pflegebranche festschreiben würde, sei in Brandenburg weiter nicht in Sicht. Hintergrund seien vor allem Widerstände der privaten Pflege-Anbieter.



Kündigung eines katholischen Chefarztes wegen zweiter Ehe unwirksam


Symbolbild
epd-bild / Annette Zoepf
Der Chefarzt einer katholischen Klinik hat erfolgreich gegen seine Kündigung nach einer zweiten Heirat gekämpft. Das Bundesarbeitsgericht sah seine Entlassung als nicht gerechtfertigt an. Die Kirche kann aber noch das Verfassungsgericht anrufen.

Ein katholisches Krankenhaus darf einem katholischen Chefarzt nach dessen Ehescheidung nicht wegen einer zweiten Heirat kündigen. Sehen kirchliche Glaubensgrundsätze darin bei katholischen Mitarbeitern einen schweren Loyalitäts-Verstoß, bei nichtkatholischen Mitarbeitern dagegen nicht, stellt diese Ungleichbehandlung eine Diskriminierung dar, urteilte am 20. Februar das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes begrüßte die Entscheidung der Richter. (AZ: 2 AZR 746/14)

Nur wenn die Einhaltung der katholischen Glaubens- und Sittenlehre für die berufliche Tätigkeit eine "wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte Anforderung darstellt", könne eine Ungleichbehandlung gerechtfertigt sein, erklärte das Gericht. Dass ein Chefarzt wegen seiner zweiten Ehe seine Arbeit nicht mehr korrekt ausüben kann, sah das BAG dagegen nicht.

Im konkreten Fall ging es um einen Chefarzt des katholischen St. Vinzenz-Krankenhauses in Düsseldorf. Der Mediziner hatte in seinem Arbeitsvertrag erklärt, sich an die katholische Glaubens- und Sittenlehre zu halten. Diese beinhaltet auch die "heilige und unauflösliche Ehe". In der katholischen Grundordnung des kirchlichen Dienstes aus dem Jahr 1993 wurde festgelegt, dass im Fall einer Wiederheirat der leitende katholische Mitarbeiter gekündigt werden müsse. Mitarbeiter anderer Religionen hatten dies nicht zu befürchten.

Als der Chefarzt sich 2005 von seiner katholisch angetrauten Frau scheiden ließ und 2008 seine neue Lebensgefährtin standesamtlich heiratete, wurde er entlassen.

Jahrelanger Rechtsstreit

Am 8. September 2011 erklärte das BAG die Kündigung für unwirksam, da der Chefarzt im Verhältnis zu Kollegen mit anderer Religionszugehörigkeit gleichheitswidrig behandelt werde (Az.: 2 AZR 543/10). Das Bundesverfassungsgericht hob dieses Urteil 2014 jedoch auf. Das im Grundgesetz geschützte Selbstbestimmungsrecht der Kirche erlaube es, eigene Mitglieder schärfer zu sanktionieren als Nichtmitglieder (Az.: 2 BvR 661/12).

Das BAG legte den Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor, da der EU-rechtliche Gleichheitsgrundsatz verletzt sein könne. Dies bestätigten die Luxemburger Richter und erklärten, dass kirchliche Arbeitgeber die Einhaltung kirchlicher Glaubensgrundsätze nur dann verlangen dürfen, wenn dies für die konkrete Tätigkeit "wesentlich und gerechtfertigt" sei.

Dies setzte das BAG nun in seinem aktuellen Urteil um. Die Kündigung des Chefarztes sei nicht durch Gründe im Verhalten oder in der Person des Klägers sozial gerechtfertigt. Die Vorschrift in der Grundordnung zur Wiederverheiratung sei unwirksam. Eine Loyalitätspflicht sei damit nicht verletzt worden. Es sei aus der Tätigkeit des Chefarztes kein Grund ersichtlich, ihn wegen seiner Wiederheirat anders zu behandeln als nichtkatholische Kollegen. Die Ungleichbehandlung stelle eine Diskriminierung wegen der Religion dar.

Auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2014 stehe dem nicht entgegen. Denn EU-Recht dürfe die Voraussetzungen festlegen, unter denen kirchliche Arbeitgeber ihre Beschäftigten wegen der Religion ungleich behandeln können.

Gegen die Entscheidung kann der kirchliche Arbeitgeber erneut Verfassungsbeschwerde einlegen. In diesem Fall könnte es zu einem Konflikt zwischen dem Bundesverfassungsgericht und dem EuGH kommen, welches Gericht das letzte Wort hat.

Neue Grundordnung

Das Erzbistum Köln erklärte, es werde das schriftliche BAG-Urteil sowie "mögliche Konsequenzen intensiv prüfen". Es verwies zudem auf die mittlerweile 2015 geänderte und nicht mehr so strenge Grundordnung des kirchlichen Dienstes. Der Kündigungssachverhalt wäre nach heute geltendem Kirchenrecht anders zu beurteilen, hieß es.

Die Gewerkschaft ver.di bezeichnete das Urteil als "überfällig und wegweisend". Einem Mitarbeiter zu kündigen, weil er ein zweites Mal geheiratet habe, finde auch in der Gesellschaft keine Akzeptanz mehr, sagte Sylvia Bühler vom ver.di-Bundesvorstand.

Auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes begrüßte die BAG-Entscheidung. Sie stelle klar, dass kirchliche Arbeitgeber ihren Beschäftigten keine Loyalitätspflichten auferlegen dürfen, die nicht im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit stehen. "Kirchliche Arbeitgeber werden deshalb in Zukunft Loyalitätspflichten genau prüfen und sorgfältig begründen müssen", sagte Bernhard Franke, der kommissarische Leiter der Antidiskriminierungsstelle.

Der kirchenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Konstantin von Notz, sieht in dem Urteil einen "Schritt für mehr Rechtsklarheit" für die etwa 1,3 Millionen Beschäftigten in kirchlichen Einrichtungen in Deutschland.



Loyalität gegenüber dem katholischen Arbeitgeber

Ein Kirchenaustritt aus Gewissensgründen hat für Beschäftigte eines katholischen Arbeitgebers arbeitsrechtliche Folgen. Auch die Wiederheirat eines in einem katholischen Krankenhaus arbeitenden katholischen Chefarztes gilt dem kirchlichen Arbeitgeber als nicht hinnehmbar. Die Kirchen haben nach dem Grundgesetz ein Selbstbestimmungsrecht und dürfen in ihrem kirchlichen Arbeitsrecht schwere Verletzungen gegen die kirchlichen Loyalitätspflichten mit Kündigungen ahnden.

In der katholischen Kirche hat die Deutsche Bischofskonferenz in ihrer Grundordnung des kirchlichen Dienstes die Pflichten der Beschäftigten festgelegt. Danach müssen Arbeitnehmer zwar nicht zwingend der katholischen Kirche angehören. Doch müssen sie die "Eigenart des kirchlichen Dienstes" bejahen. "Für keinen Dienst in der Kirche geeignet ist, wer sich kirchenfeindlich betätigt oder aus der katholischen Kirche ausgetreten ist", heißt es in der Grundordnung.

Dazu gehört das öffentliche Eintreten gegen Grundsätze der katholischen Kirche wie die Propagierung von Abtreibung oder Fremdenhass. Auch das Verhöhnen von katholischen Glaubensinhalten, Riten oder Gebräuchen sowie öffentliche Gotteslästerung können bei allen Mitarbeitern arbeitsrechtliche Konsequenzen haben.

Strengerer Maßstab

Für katholische Beschäftigte gilt ein strengerer Maßstab als für Nicht-Katholiken. Sie müssen die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre beachten. Nicht-katholische christliche Mitarbeiter müssen sich an die Werte des Evangeliums halten, nicht-christliche Beschäftigte müssen bei ihrem katholischen Arbeitgeber ihre Aufgaben "im Sinne der Kirche" erfüllen.

Gegen die unterschiedliche Behandlung von katholischen und nicht-katholischen Mitarbeitern hat sich ein Chefarzt erfolgreich gewehrt. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt erklärte am Mittwoch die Kündigung für unwirksam, die der Arzt nach der Scheidung von seiner ersten Ehefrau und der standesamtlichen Heirat mit seiner neuen Partnerin erhalten hatte.

Zuvor hatte etwa das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg im Oktober 2011 zu einem gekündigten Krankenpfleger geurteilt, jemand handele illoyal, der sich in einer Satire im Internet mit polemischen und "auf niedrigem Niveau angesiedelten Äußerungen gegen den Papst als Oberhaupt der katholischen Kirche" auslasse. (AZ: L 12 AL 2879/09) Der Krankenpfleger hatte in einem Krankenhaus der Caritas gearbeitet und sich negativ über den Papst geäußert. Damit habe er seine Kündigung "grob fahrlässig" herbeigeführt, so dass gegen ihn außerdem eine zwölfwöchige Sperrzeit auf das Arbeitslosengeld verhängt werden kann, befand das LSG.

Loyalitätsverstoß

Auch die im Grundgesetz geschützte Gewissensfreiheit schützt bei einem Loyalitätsverstoß nicht unbedingt vor einer Kündigung. So wurde einem bei der Caritas beschäftigten Sozialpädagogen zu Recht wegen seines Kirchenaustritts gekündigt, wie im April 2013 das BAG in Erfurt urteilte. (AZ: 2 AZR 579/12)

Der Mann war wegen der zahlreichen Missbrauchsfälle in katholischen Einrichtungen aus der katholischen Kirche ausgetreten. Er stieß sich zudem an den Vorgängen der erzkonservativen Pius-Bruderschaft und deren "antijudaische Tradition". Aus Glaubens- und Gewissensgründen könne er der katholischen Kirche daher nicht mehr angehören, erklärte er. Seinen Caritas-Job in einem Sozialen Zentrum im Raum Mannheim wollte er dennoch behalten.

Doch der Mann habe im "verkündungsnahen Bereich" gearbeitet und damit am Sendungsauftrag der katholischen Kirche teilgenommen, stellte das BAG klar. Mit seinem Kirchenaustritt habe er sich "insgesamt von der katholischen Glaubensgemeinschaft" losgesagt. Damit habe der Sozialpädagoge seine arbeitsvertraglichen Loyalitätspflichten verletzt, so dass die fristlose Kündigung des Beschäftigten gerechtfertigt war. Eine unzulässige Diskriminierung wegen des Glaubens liege darin nicht, erklärte das BAG.

Von Frank Leth (epd)


Mit dem Smartphone in die Apotheke


Digitales Arztrezept auf dem Smartphone
epd-bild / Philipp Reiss
In Hamburg testet die Techniker Krankenkasse in einem Pilotprojekt das elektronische Rezept: Patienten bekommen vom Arzt einen Code auf ihr Handy und gehen damit in die Apotheke. Deutschland kommt damit im europäischen Vergleich relativ spät.

Wer krank wird und zum Arzt geht, verlässt die Praxis heute noch mit einem rosafarbenen Rezept – in Zukunft könnte sich das ändern und das eigene Smartphone das Papier ersetzen: Geht es nach dem Willen der Techniker Krankenkasse, kann ein Arzt einem Patienten dessen Rezept in Zukunft dorthin senden, als sogenannten QR-Code. Mit seinem Handy geht der Kranke dann zur Apotheke, dort wird der Code eingescannt – und er erhält die Medikamente. All das ohne Papier. Ist ein Folgerezept notwendig, kann der Arzt dies sogar aus der Entfernung übermitteln – der Patient muss nicht mehr in die Praxis kommen.

"Mittelfristig bietet sich eine Verknüpfung mit weiteren Services an – beispielsweise kann die App den Patienten erinnern, wenn die Arznei bald aufgebraucht ist", sagt Frank Verheyen. Er hat das Pilotprojekt zum E-Rezept mitgestaltet, an dem in den kommenden 18 Monaten in Hamburger Stadtteil Wandsbek Ärzte, Apotheken und Patienten teilnehmen können. Funktioniert es, will die TK es nach Möglichkeit auf ganz Deutschland ausdehnen. Dabei setzt die Kasse auf die Kommunikation zwischen Arzt und Patient: "Es ist am aussichtsreichsten, Patienten auf diese Weise anzusprechen."

Politisch gewollt

Was die TK jetzt angeht, ist politisch gewollt: Im November hatte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) angekündigt, dass Ärzte ab dem Jahr 2020 ihre Verschreibungen auf elektronischem Weg an eine Apotheke übermitteln können sollen. Dies sei ein Weg, die Digitalisierung des Gesundheitswesens voranzutreiben. Ein entsprechendes Gesetz dazu solle nächstes Jahr in Kraft treten. Deutschland kommt damit relativ spät im europäischen Vergleich. Nach Zahlen des Euro Health Consumer Index 2017 haben bereits 17 Staaten das E-Rezept eingeführt.

Datenschutzrechtliche Bedenken hat die TK nicht: Die Datenübermittlung würde über einen gesicherten Kanal laufen. Und es würden keine Informationen ausgetauscht, bei denen das nicht heute schon der Fall wäre. "Die Datenübermittlung ist ja heute schon im Hintergrund digitalisiert", sagt Frank Verheyen von der TK.

Einheitliche Standards

Grundsätzliche Zustimmung zum Projekt kommt von der Ärztevereinigung Marburger Bund. Das E-Rezept sei "eine Möglichkeit, die Medizinern zur Verfügung stehen sollte", sagt deren Sprecher Hans-Jörg-Freese. Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) sowie die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) verweisen allerdings auf eigene Anstrengungen in dem Bereich. "Schlecht wäre es, wenn unterschiedliche technische Standards und Schnittstellen zum Einsatz gelangen würden. Davon hätte niemand einen Nutzen", sagte KBV-Sprecher Roland Stahl.

ABDA-Präsident Friedemann Schmidt ergänzt, dass die freie Apothekenwahl nicht angetastet werden dürfe. "Die Entscheidungshoheit des Patienten, welche Apotheke sein Rezept beliefern soll und wo er sich beraten lassen will, muss erhalten bleiben."

Grundsätzliche Bedenken an der Zweckmäßigkeit und Sicherheit von E-Rezepten kommen von Patientenvertretern. "Das Smartphone ist eine potenziell gefährdete Schnittstelle. Es wäre also zu fragen, ob Patientendaten ausreichend gesichert werden können", sagt Gregor Bornes von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Patientenstellen und -initiativen (BAGP). Zudem eigne sich das System nur für Leute, die mit Technik umgehen können. "Das gilt aber für viele Patienten gerade nicht", sagt Gregor Bornes.

Von Sebastian Stoll (epd)


Bei Notrufen kommt nicht immer der Rettungswagen


Gemeindenotfallsanitäter Lars Christians vom Malteser Hilfsdienst im Einsatz
epd-bild / Sebastian Stoll
In Oldenburg sowie drei niedersächsischen Landkreisen werden in einem Pilotprojekt sogenannte Gemeindenotfallsanitäter eingesetzt. Sie sind für jene Patienten zuständig, die die Notrufnummer 112 rufen, ohne ein Notfall zu sein.

Wenn Lars Christians unterwegs zu einem Einsatz ist, bleibt meistens das Blaulicht aus - und das, obwohl zuvor ein Mensch die Notrufnummer 112 gewählt hat. Der junge Mann, zu dem Christians an diesem Mittag unterwegs ist, hat sich mit einem Messer sehr tief in den Finger geschnitten. Christians verbindet dem Verletzten die Hand und schickt ihn dann zu einem Chirurgen. "Hätte es weniger stark geblutet, hätte ich einfach nur die Hand versorgt. So aber hatte ich die Befürchtung, dass eine Arterie betroffen ist", sagt er hinterher über den Einsatz. Das habe er klären lassen wollen.

Lars Christians ist 45 Jahre alt und seit Jahresbeginn sogenannter Gemeindenotfallsanitäter beim Malteser Hilfsdienst in Oldenburg. In der Stadt sowie in den Landkreisen Vechta, Cloppenburg und Ammerland arbeiten derzeit 25 dieser speziell ausgebildeten Notfallsanitäter im Rahmen eines auf zwei Jahre angelegten Pilotprojekts. Sie sollen jene Einsätze abdecken, bei denen offensichtlich kein Notfall vorliegt. Denn das gibt es immer öfter: Bei rund 30 Prozent aller Notrufe sei ein Rettungswagen tatsächlich nicht erforderlich, hatte Vechtas Landrat Herbert Winkel (CDU) zum Projektstart gesagt.

Kein halber Sanitäter

Ruft heute in Oldenburg oder den drei Landkreisen ein Mensch die 112, wird in der Leitstelle zunächst sortiert. "Dort muss erkannt werden: 'Es handelt sich nicht um einen Notfall.' Andererseits kann das Problem aber auch am Telefon nicht gelöst werden. Dann fährt ein Gemeindenotfallsanitäter hin", sagt Stefan Thate, Leiter des Rettungsdienstes der Stadt Oldenburg. Je nach Zustand des Patienten entscheide er, ob er den Patienten versorge, ihn in eine Klinik schicke oder doch einen Rettungswagen rufe.

Man darf sich einen Gemeindenotfallsanitäter nicht als halben Sanitäter vorstellen, der lediglich die einfachen Aufgaben übernimmt: Tatsächlich haben Lars Christians und seine Kollegen zuvor allesamt als Notfallsanitäter gearbeitet und eine Zusatzqualifikation erworben. Während der Pilotphase wird ihr Gehalt von den Krankenkassen finanziert. Wer es nach Ablauf übernimmt, ist noch nicht sicher.

Gemeindenotfallsanitäter bieten Einsparpotenzial

Die Gemeindenotfallsanitäter sind ans System der Notfallversorgung angekoppelt: Wenn es einen lebensbedrohlichen Notfall gibt und es um Sekunden geht, wird in Oldenburg immer das nächstgelegene Einsatzfahrzeug per GPS geortet und dann zum Patienten geschickt. Weshalb Lars Christians vor dem Besuch bei dem Mann mit dem blutenden Finger zu einer Reanimation gerufen wurde. Solche Einsätze kommen nicht so oft vor, aber sie gehören dazu. Jeder Gemeindenotfallsanitäter muss sie beherrschen.

Das Modell des Gemeindenotfallsanitäters bietet Einsparpotenzial, wie Rettungsdienstleiter Stefan Thate erläutert. "Ein Rettungswagen ist mit einem Notfallsanitäter besetzt sowie einem Rettungssanitäter. Ein Gemeindenotfallsanitäter hingegen ist alleine unterwegs. Ich spare also Personalkosten." Allerdings sei das Ziel keineswegs Stellenabbau – es gehe vielmehr darum, mit der stetig steigenden Zahl an Notrufen überhaupt noch umgehen zu können. Von 2012 bis 2017 seien die Einsatzzahlen des Rettungsdienstes in Oldenburg durchschnittlich um sechs Prozent jedes Jahr gestiegen. "Das hat sicher etwas damit zu tun, dass sich die Gesellschaft zum Beispiel aus der Nachbarschaftshilfe mehr und mehr zurückzieht", sagt Thate.

Krankenkassen begrüßen das Projekt

Eine ähnliche Beobachtung haben die Krankenkassen gemacht, die das Projekt deswegen begrüßen. AOK-Sprecher Oliver Giebel spricht von vielen Bagatellfällen. "Die Einsatzzeiten in der Notfallrettung steigen kontinuierlich. Gleichzeitig ist bei rund einem Drittel der Rettungswageneinsätze dieser gar nicht erforderlich, weil keine vitale Bedrohung beim Patienten vorliegt." Gemeindenotfallsanitäter könnten diesem Trend sowie den überfüllten Klinik-Notaufnahmen entgegenwirken.

Ob das Projekt Gemeindenotfallsanitäter in der Praxis tatsächlich funktioniert, wird mit den Universitäten Maastricht und Oldenburg sowie dem Klinikum Oldenburg untersucht. In zwei Jahren soll eine wissenschaftliche Bewertung vorliegen.

Von Sebastian Stoll (epd)


Deutlich mehr Pflegebedürftige in Sachsen

Die Zahl der Pflegebedürftigen in Sachsen hat sich innerhalb von zwei Jahren um mehr als ein Fünftel erhöht. Ende 2017 lag ihre Zahl mit rund 204.800 um gut 38.000 Personen höher als noch zwei Jahre zuvor, wie das statistische Landesamt am 18. Februar in Kamenz mitteilte. Der Anstieg betrug 22,8 Prozent.

Mit mehr als 36.000 Personen waren von dem Anstieg den Angaben zufolge fast ausschließlich Pflegebedürftige betroffen, die zu Hause betreut werden. Ihre Gesamtzahl stieg demnach um fast 31 Prozent auf rund 153.700. Von diesen Personen wurden laut Landesamt knapp 93.500 ausschließlich von Verwandten oder anderen Privatpersonen betreut. Etwas mehr als 60.000 wurden entweder allein durch Pflegedienste oder von Diensten und Angehörigen gemeinsam gepflegt.

Wesentlich geringer fiel der Anstieg dementsprechend bei den vollstationär Betreuten aus. Ihre Zahl stieg im Vergleichszeitraum um gut sieben Prozent oder 1.882 Personen auf insgesamt 51.000 Pflegebedürftige, wie es hieß. Als eine Ursache für den starken Anstieg innerhalb kurzer Zeit nannte das Landesamt das Pflegestärkungsgesetz II (PSG II), das zum 1. Januar 2016 in Kraft getreten war. Dadurch seien deutlich mehr Menschen als Leistungsempfänger der Pflegeversicherung eingestuft worden als zuvor, hieß es.



Ehemaliges Pfarrhaus wird Notunterkunft für Frauen

Aus einem ehemaligen Pfarrhaus in Berlin-Mitte wird ein Wohn- und Beratungshaus für Frauen in Not. In der Hauptstadt gebe es Schätzungen zufolge etwa 10.000 wohnungslose Frauen, teilten das Diakonische Werk Berlin Stadtmitte und die Koepjohann'sche Stiftung am 21. Februar in Berlin mit. In den herkömmlichen Obdachloseneinrichtungen fehle es ihnen an Beratungs- und Rückzugsmöglichkeiten sowie Schutz vor Belästigung und Übergriffen. In dem neuen Haus des Diakonisches Werkes und der Stiftung soll es daher temporäre Unterkunft und spezifische Angebote für wohnungslose Frauen mit und ohne Kinder geben. Eröffnet wird die Einrichtung in der Tieckstraße am 26. Februar.

"Auf dem angespannten und überteuerten Berliner Wohnungsmarkt bleiben alleinstehende Frauen immer häufiger auf der Strecke – gerade, wenn sie Kinder haben", sagte Monika Lüke, Geschäftsführerin des Diakonisches Werks Berlin Stadtmitte. Das Wohn- und Beratungshaus solle ihnen Perspektiven aus der Wohnungslosigkeit aufzeigen.

Den Angaben nach können ab März insgesamt 34 Frauen und Kinder temporär in den Appartements, Einzel- oder Doppelzimmern der Diakonie wohnen. Auch Frauen mit Neugeborenen oder Kleinkindern würden aufgenommen. Den Bewohnerinnen stünden zudem Mitarbeiterinnen des Diakonischen Werks Berlin Stadtmitte zur Seite. Ergänzend dazu gebe es im Haus die von der Koepjohann'schen Stiftung betriebene Notunterkunft "Marie", in der bis zu zehn Frauen für einen Zeitraum von maximal drei Wochen Obdach finden können.



Leipziger Hilfebus für Obdachlose gestartet

In Leipzig ist seit 18. Februar ein Hilfebus für Obdachlose unterwegs. Die Sozialarbeiter des neuen Angebots nehmen Kontakt zu Betroffenen auf, weisen auf städtische Hilfsleistungen hin und informieren zu Tagestreffs und Übernachtungseinrichtungen, wie das Sozialamt mitteilte. Zudem werden heiße Getränke, Schlafsäcke und Notfallrucksäcke ausgegeben.

Der Hilfebus sei für Wohnungslose gedacht, die im Freien oder in Behelfsunterkünften leben, hieß es weiter. Er fahre ganzjährig jeden Abend Schwerpunktgebiete an und habe dort feste Standzeiten. Darüber hinaus werden Aufenthalts- und Schlafplätze von Obdachlosen in der ganzen Stadt angesteuert. Auch Hinweise aus der Bevölkerung sollen aufgenommen werden.

Betreiber des neuen Angebots ist den Angaben nach die SZL Suchtzentrum gGmbh. Deren erfahrene Sozialarbeiter seien während der Betriebszeiten des Hilfebusses auch telefonisch erreichbar, hieß es. "Mit der Inbetriebnahme des Hilfebusses wird die Obdachlosenhilfe in Leipzig um ein weiteres aufsuchendes Angebot ergänzt", erklärte Leipzigs Sozialbürgermeister Thomas Fabian (SPD).



Mehr Gefährdungen des Kindeswohles in Sachsen

Sachsens Jugendämter haben 2017 bei 1.150 Jungen und Mädchen eine eindeutige, akute Kindeswohlgefährdung festgestellt. In 1.443 weiteren Fällen konnte eine Kindeswohlgefährdung nicht ausgeschlossen werden, wie Sachsens statistisches Landesamt am 19. Februar in Kamenz mitteilte. Insgesamt wurden damit 89 Fälle mehr registriert als im Jahr zuvor. Das entsprach einem Anstieg um 3,6 Prozent.

In rund drei Vierteln der knapp 2.600 Fälle akuter und latenter Gefährdung lagen demnach Anzeichen auf Vernachlässigung vor. In 433 Fällen gab es Anzeichen für körperliche, in 440 Fällen Anzeichen für psychische Misshandlung. In 86 Fällen fanden die Prüfer Hinweise auf sexuelle Gewalt. Mehrfachnennungen waren möglich.

Insgesamt führten die Jugendämter 2017 gut 6.000 Verfahren zur Einschätzung des Kindeswohles durch. In 57 Prozent davon (3.433 Verfahren) wurde keine Gefährdung festgestellt. In mehr als jedem zweiten dieser Fälle habe jedoch weiterer Hilfs- und Unterstützungsbedarf bestanden, hieß es weiter.

Von den Prüfverfahren waren Mädchen und Jungen laut Landesamt ungefähr gleich häufig betroffen. Knapp ein Viertel der betroffenen Kinder sei unter drei Jahre alt gewesen, 575 hatten das erste Lebensjahr noch nicht vollendet. Am häufigsten wurde eine mögliche Gefährdung demnach bei knapp 1.400 Kindern im Alter zwischen sechs und neun Jahren geprüft.



"Wir müssen um vieles erst kämpfen"


Timon mit seiner Physiotherapeutin
epd-bild / Friedrich Stark
Nur eines von einer Million Neugeborenen erkrankt an "Morbus Alexander". Nach und nach verlieren die Kinder dabei ihre Fähigkeiten. Bei Timon merkten die Eltern schon wenige Monate nach der Geburt, dass er sich anders entwickelte. Am 28. Februar ist der Tag der seltenen Erkrankungen.

Timon war knapp drei Jahre alt, als Familie Hagenlüke aus Gütersloh von den Ärzten die Nachricht erhielt: Er ist an "Morbus Alexander" erkrankt. "Die Diagnose wurde uns sozusagen an den Kopf geworfen", erinnert sich Timons Mutter, Stephanie Hagenlüke. Weitere Informationen zu dieser seltenen, unheilbaren Erkrankung hätten sie nicht bekommen - nur den Rat, bloß nicht im Internet nachzuschauen. "Wir fühlten uns alleingelassen", sagt sie.

Stephanie Hagenlüke hat dann doch im Netz gelesen und dabei viel geweint, wie sie sagt: "Ich konnte das alles gar nicht glauben". "Morbus Alexander" gehört zu den Leukodystrophien. Bei diesen durch einen Gendefekt oft im Kindesalter ausgelösten, lebensverkürzenden Krankheiten wird das zentrale Nervensystem geschädigt. Die Betroffenen verlieren nach und nach ihre bereits erlernten Fähigkeiten; viele Kinder sterben früh.

Timon ist inzwischen zwölf Jahre alt. Die Ärzte sprächen von einem eher "milden Verlauf", sagen Stephanie und ihr Mann Jörg Hagenlüke. Aber seine Fähigkeiten haben schleichend nachgelassen. Der freundliche Junge, der eine Förderschule besucht, sitzt inzwischen im Rollstuhl, seine Sehkraft wird schwächer, die Sprache undeutlicher. Seit dem fünften Lebensjahr leidet Timon unter Krampfanfällen.

Arzt-Odyssee

Leukodystrophien kommen geschätzt einmal bei rund 7.500 Lebendgeburten vor und zählen damit zu den "Seltenen Erkrankungen": Davon spricht man, wenn nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen das Krankheitsbild aufweisen. "Morbus Alexander" bekommt sogar nur eines von einer Million Neugeborenen. Insgesamt gibt es mindestens 8.000 verschiedene seltene Erkrankungen.

Eben weil diese Krankheitsbilder so selten sind, beginnen die Probleme schon bei der schwierigen Diagnose: "Betroffene berichten oft von einer Odyssee von Arzt zu Arzt", schildert Christine Mundlos von der "Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen" (Achse). Mit diffusen Symptomen gingen sie erst zu Haus- oder Kinderärzten, die wiederum andere Fachärzte hinzuzögen. Doch weil Detailwissen über die "Seltenen" vielfach fehle, komme es auch zu Fehldiagnosen und falschen Therapien. Spezialisten gebe es nur wenige. Sie sind an bundesweit rund 30 Zentren zu finden, in der Regel an Universitätskliniken.

Familie Hagenlüke bemerkte einige Monate nach der Geburt Timons, dass er manches deutlich später lernte als andere Kinder: sich etwa vom Rücken auf den Bauch zu drehen oder das Köpfchen zu heben. "Erst mit 26 Monaten fing er an zu laufen", erinnert sich die Mutter. Weil eine Entwicklungsverzögerung festgestellt wurde, verordneten die Ärzte auch Krankengymnastik.

Physiotherapeutin Katrin Westhoff, die seither regelmäßig zu Timon kommt, hatte bald das Gefühl: "Da könnte mehr dahinterstecken." Der Kinderarzt riet zu einer MRT-Untersuchung im Krankenhaus, die bei Timon Veränderungen der weißen Hirnsubstanz zeigte - Anzeichen für eine Leukodystrophie. Der dann von einer Uni-Klinik durchgeführte Gentest bestätigte den Verdacht und stellte das Alexander-Syndrom fest.

Reittherapie und Familienhelferin

Im Internet stieß Stephanie Hagenlüke vor fünf Jahren auf den Selbsthilfeverein ELA, die Europäische Vereinigung gegen Leukodystrophien. Bei den jährlichen Vereinstreffen informieren Fachleute über neue Entwicklungen in Diagnostik, Therapie und Medizin. Dort erfuhr Stephanie Hagelüke von einem Spezialisten an der Uni-Klinik Leipzig, zu dem sie nun einmal im Jahr mit Timon reist. Sie hofft auf die Entwicklung neuer Medikamente, die das Fortschreiten der Krankheit zumindest verlangsamen könnten.

Die Fahrten nach Leipzig zahlen Hagenlükes privat, ebenso die Reittherapie für den Zwölfjährigen. Die Krankenkasse finanziert Logopädie und die zweimal wöchentliche Krankengymnastik. Die Physiotherapeutin möchte, so lang es geht, Timons Stehfähigkeit erhalten, die Neigung zu Spastiken bremsen und auch die Atemmuskeln stärken.

Außerdem kommt wöchentlich Familienhelferin Annette Wagner, die von der Pflegekasse bezahlt wird. "Ich bin vor allem zur Entlastung der Mutter da", sagt Wagner, die Timon zur Reittherapie fährt, Schularbeiten der Geschwister begleitet oder die Wäsche des sechsköpfigen Haushalts übernimmt. Weil Timons Krankheit lebensverkürzend ist, wird die Familie auch von einem ambulanten Palliativ-Team betreut, regelmäßig kommen Hospizbegleiterinnen.

Was es in ihrer Situation an Hilfen gibt, musste die Familie nach eigenen Worten stets selbst herausfinden. Das Gesundheitssystem, findet Stephanie Hagenlüke, sei nicht wirklich auf Patienten wie ihren Sohn eingestellt. "Niemand nimmt einen an die Hand, gefühlt müssen wir um vieles erst kämpfen", sagt die gelernte Groß- und Außenhandelskauffrau, die nach Timons Diagnose ihren Job aufgeben musste.

Wissen über den praktischen Umgang mit der Leukodystrophie bekommen die Hagenlükes vor allem durch den Austausch mit anderen betroffenen Familien - zuletzt über Erfahrungen mit einer Magensonde. Weil Timon zu wenig trank und sich dabei oft verschluckte, nimmt er Flüssigkeit nun durch eine Sonde zu sich. Die Sorge der Mutter, dass ihr Junge dann auch aufhört, normal zu essen, hat sich nicht bestätigt: Pfannkuchen oder Bratwurst mag er noch immer besonders gern.

Von Thomas Krüger (epd)


Expertin: Bildungsreformen reichen nicht für Chancengleichheit

Schulreformen allein reichen laut Soziologin Anne Christine Holtmann nicht aus, um die Bildungschancen sozial benachteiligter Kinder zu erhöhen. "Es braucht tiefgreifende Sozialreformen", sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Berlin. Der Einfluss der Schulen auf die Bildungschancen werde oftmals überschätzt. Derweil spiele der familiäre Hintergrund eine wichtige Rolle: "Jede Politik, die Familien fördert, ist eine Form der Bildungspolitik", betonte sie. Holtmann verglich für ihre Dissertation die Bildungskarrieren von Schülern in 35 Ländern.

Selbst wenn Schüler aus sozial schwachen Familien zu Beginn ihrer Schulzeit ähnliche Kompetenzen hätten wie Kinder aus einkommensstarken Haushalten, würde der Leistungsunterschied zwischen den beiden Gruppen im Laufe der Jahre immer größer, sagte Holtmann. Dies werde besonders deutlich an den USA: "In den Sommerferien, also in der schulfreien Zeit, wachsen die Unterschiede dort sehr stark", sagte die wissenschaftliche Mitarbeiterin am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.

In Finnland wüchsen die Unterschiede während der Ferien hingegen nicht so sehr, sagte Holtmann. Die Forscherin führt das unter anderem auf die hohe sozioökonomische Gleichheit in dem skandinavischen Land zurück. Für mehr Chancengleichheit in Deutschland empfiehlt sie daher zum Beispiel einen höheren Mindestlohn und mehr sozialen Wohnungsbau. Auch nachhaltige Investitionen in Bildung wie kleinere Klassen könnten zu einem gewissen Grad helfen. "Es hat sich aber gezeigt, dass sozial durchmischte Schulen wirksamer sind als große Finanzspritzen", sagte Holtmann.

Beim Lesen hingen Kinder aus armen Familien in Deutschland derzeit zwei Jahre hinter Kindern aus reicheren Familien hinterher, sagte Soziologin Holtmann. In Finnland, wo Schulen stärker durchmischt seien, sei es nur ein Jahr. Entgegen den Befürchtungen mancher Eltern würden die Kompetenzen der Kinder aus gut situierten Familien in gemixten Schulen nicht leiden: "Der Ländervergleich zeigt, dass die Leistungen dieser Schüler stark bleiben", sagte sie.

Nachholbedarf bestehe in Deutschland auch bei der frühkindlichen Bildung, sagte Holtmann. So zeigten sich bereits vor der Einschulung große Unterschiede in den Kompetenzen der Kinder. "Eine soziale Durchmischung wäre wahrscheinlich auch schon im Kindergarten hilfreich", sagte sie. Es sei zudem beim Ausbau des Kita-Angebots wichtig, nicht die Qualität aus den Augen zu verlieren.

epd-Gespräch: Jana-Sophie Brüntjen


Sachsen-Anhalt sucht hunderte Lehrer

Sachsen-Anhalt sucht in einer neuen, großen Ausschreibungsrunde 895 Lehrkräfte. Bildungsminister Marco Tullner (CDU) teilte am 18. Februar in Magdeburg mit, dass 800 Stellen an allgemeinbildenden Schulen und 95 Stellen an berufsbildenden Schulen zur Verfügung stehen. Ausgeschrieben sind die aktuellen Stellen in allen Landkreisen.

Einen Schwerpunkt bilden den Angaben zufolge die Sekundar- und Grundschulen. Erstmals seien für schwer zu besetzende Stellen auch Zulagen für verbeamtete Lehrer möglich. Bisher galt dies nur für angestellte Lehrer, so das Ministerium. Tullner sagte, das Verfahren und die Ausschreibungsmodalitäten würden stetig verbessert. Er sei froh, "dass wir in diesem Jahr deutlich früher als im vergangenen Jahr die zentrale Ausschreibungsrunde starten konnten".

Die aktuelle Ausschreibungsrunde wird durch den Start einer neuen Werbekampagne für den Lehrerberuf begleitet. Unter dem Slogan "#Weltenretter. Rette jeden Tag ein Stück der Welt." wird die Kampagne in verschiedenen Medien für den Lehrerberuf in Sachsen-Anhalt werben. Im Zentrum der Kampagne stehen Lehrer aus Schulen im Land. "Wir haben uns ganz bewusst für den besten Werbeträger entschieden, den man finden kann. Authentische Lehrkräfte, die motiviert und engagiert für ihren Beruf stehen", so Tullner.

Auch in diesem Jahr werden wieder mehrere Ausschreibungen folgen. Bereits im Frühsommer sei eine weitere Ausschreibung geplant. Diese könnte gegebenenfalls noch durch eine weitere Ausschreibung im Herbst ergänzt werden, wenn die Haushaltsmittel bis dahin noch nicht ausgeschöpft worden sind. Im November 2019 werde sich dann eine Ausschreibung mit Einstellungsbeginn ab 1. Januar 2020 anschließen.



Länder hinken beim Rückholen von Unterhaltsvorschuss hinterher

Die Quote, wie oft sich der Staat den Unterhalt von säumigen Elternteilen zurückholt, ist 2018 gesunken. Das Familienministerium verweist auf die gestiegene Zahl der Fälle, die ein Sinken der Quote erklärt. Verbesserungsbedarf sieht es trotzdem.

Der Staat hinkt beim Eintreiben des Unterhaltsvorschusses von säumigen Elternteilen hinterher. Wie ein Sprecher des Bundesfamilienministeriums am 18. Februar in Berlin bestätigte, lag die sogenannte Rückholquote im vergangenen Jahr bei lediglich 13 Prozent. 2017 seien 19 Prozent der Mittel zurückgezahlt worden, 2016 sogar 23 Prozent. Der Unterhaltsvorschuss geht an Alleinerziehende, wenn der andere Elternteil seinen finanziellen Pflichten nicht nachkommt. Die Regelung wurde 2017 ausgeweitet. Nach Angaben des Familienministeriums ist danach die Fallzahl deutlich gestiegen - und die Quote entsprechend prozentual gesunken.

Seit Mitte 2017 wird der Unterhaltsvorschuss bis zum 18. Geburtstag unbefristet gezahlt. Zuvor wurde die Unterstützung nur bis zum zwölften Geburtstag des Kindes und für maximal sechs Jahre gewährt. Die Zahl der Fälle hat sich nach Angaben eines Sprechers des Bundesfamilienministeriums seitdem nahezu verdoppelt. 780.000 Alleinerziehende erhalten demnach derzeit für ihre Kinder Unterhaltsvorschuss. Das sind 370.000 mehr als vor der Reform.

Der prozentuale Anteil beim Rückgriff sei deshalb gesunken, erläuterte der Sprecher. Er betonte, dass der Staat insgesamt mehr Geld zurückgeholt hat: 2018 wurden 270 Millionen Euro zurückgezahlt, 2017 waren es 209 Millionen Euro.

Dennoch seien Verbesserungen beim Rückgriff auf die säumigen Väter nötig, betonte der Sprecher. Nach seinen Angaben beschäftigt sich eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe mit dem Thema.

2018 gab der Staat nach Angaben des Bundesfamilienministeriums 2,1 Milliarden Euro für den Unterhaltsvorschuss aus. Der Bund beteiligt sich seit der Reform in Höhe von 40 Prozent an den Kosten, was 2018 einen Anteil von 841 Millionen Euro ausmachte. Für das Zurückholen des Geldes sind Länder und Kommunen zuständig.



Wahlrechtsausschluss für psychisch Kranke und Behinderte gekippt

Psychisch kranke und behinderte Menschen dürfen nicht pauschal von Wahlen ausgeschlossen werden. Der im Bundeswahlgesetz enthaltene Wahlrechtsausschluss verstößt gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz und gegen das Verbot einer Benachteiligung behinderter Menschen, wie das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem am 20. Februar veröffentlichten Beschluss entschied. Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung begrüßte den Richterspruch. Die BAG-Entscheidung löste neuen Streit in der Koalition aus. (AZ: 2 BvC 62/14)

Die gesetzlichen Regelungen sehen den Wahlrechtsausschluss für psychisch kranke und behinderte Menschen vor, für die dauerhaft ein Berufsbetreuer in allen Angelegenheiten bestellt wurde. Außerdem sind schuldunfähige, im Maßregelvollzug untergebrachte Straftäter per Gesetz von Wahlen ausgeschlossen.

Mehrere Betroffene hatten Beschwerde gegen ihren Ausschluss von der Bundestagswahl 2013 eingelegt. Sie konnten ebenso wie mehr als 82.000 vollbetreute Personen nicht an der Wahl teilnehmen und sahen darin einen Verstoß gegen das Grundgesetz.

Gleichbehandlungsgrundsatz

Das Bundesverfassungsgericht gab ihnen nun recht: Der Ausschluss von psychisch kranken oder behinderten Menschen, für die dauerhaft ein Berufsbetreuer für alle Angelegenheiten bestellt wurde, verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. So gebe es Betroffene, bei denen etwa Familienangehörige die Betreuung wegen einer erteilten Vollmacht übernehmen. Diese dürften wählen. Diese Ungleichbehandlung sei nicht zu rechtfertigen.

Nicht mit dem Grundgesetz im Einklang stehe auch der gesetzliche Wahlrechtsausschluss von psychisch kranken, im Maßregelvollzug untergebrachten Straftätern, erklärten die Richter weiter. Die Betroffenen seien dort wegen Schuldunfähigkeit und wegen einer Gefahr für die Allgemeinheit untergebracht. Die Krankheitsbilder, die eine Schuldunfähigkeit begründeten, sagten aber nichts darüber aus, ob jemand nicht fähig sei, wählen zu können.

Auch könne von einer Unterbringung abgesehen werden, wenn "von dem Schuldunfähigen keine Gefahr erheblicher Straftaten ausgeht", hieß es weiter. In diesem Fall dürfte der Betroffene wiederum wählen gehen. Auch dies sei mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht vereinbar.

Das Bundesverfassungsgericht entschied nur zum Bundeswahlgesetz. Vergleichbare umstrittene Wahlrechtsausschlüsse gibt es aber auch zur Europawahl, die am 26. Mai stattfindet.

Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Jürgen Dusel, begrüßte die BAG-Entscheidung. Er forderte die Regierungsfraktionen auf, den Koalitionsvertrag "nun ohne Wenn und Aber umzusetzen". Bei der anstehenden Europawahl dürfe es diese Wahlausschlüsse nicht mehr geben.

"Inklusives Wahlrecht für alle"

Im Koalitionsvertrag hatten sich SPD, CDU und CSU auf eine Änderung beim Wahlrecht verständigt. "Unser Ziel ist ein inklusives Wahlrecht für alle", heißt es dort. "Wir werden den Wahlrechtsausschluss von Menschen, die sich durch eine Vollbetreuung unterstützen lassen, beenden."

Die SPD attackierte den Koalitionspartner. Die Spitze der CDU/CSU-Fraktion habe bislang verhindert, dass eine bereits im November gefundene Einigung der Fachpolitiker zur Änderung des Wahlrechts im Bundestag verabschiedet werde, kritisierte die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, Eva Högl.

Die FDP nannte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine "herbe Klatsche" für die Union. Erst am Mittwoch sei der Gesetzentwurf der FDP für eine Änderung des Wahlrechts im zuständigen Ausschuss des Bundestags "grundlos von Union und SPD abgelehnt" worden.

Die Bundesvorsitzende der Lebenshilfe und SPD-Bundestagsabgeordnete, Ulla Schmidt, sprach von einem "großartigen Erfolg für Menschen mit Behinderung und für unsere Demokratie. Endlich dürfen wirklich alle erwachsenen deutschen Bürger wählen", sagte Schmidt. Die Lebenshilfe hatte die acht Beschwerdeführer gemeinsam mit der Caritas unterstützt.




Gesellschaft

Ehemaliges Gefängnis als Lernort eröffnet


Ehemaliges Polizeigefängnis in der Keibelstraße
epd-bild / Rolf Zöllner
Aus dem Hafttrakt des ehemaligen DDR-Untersuchungsgefängnisses in der Keibelstraße ist ein Lernort für Schüler geworden. "Aus der Geschichte zu lernen, ist heute wichtiger denn je", sagte Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres bei der Eröffnung.

Aus dem Hafttrakt des ehemaligen DDR-Untersuchungsgefängnisses in der Keibelstraße ist ein Lernort für Schüler geworden. "Aus der Geschichte zu lernen, ist heute wichtiger denn je", sagte Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) am 18. Februar bei der Eröffnung der Einrichtung in Berlin. Die politische Bildung stehe in der neuen Lernstätte im Vordergrund. Sie stelle eine Verbindung zwischen den Einzelschicksalen der Inhaftierten, der staatlichen Unterdrückung und dem Lernen dar.

"Wir müssen junge Menschen für die Demokratie gewinnen", sagte Scheeres. Es sei wichtig, dass sich junge Menschen in die Opfer des DDR-Systems hineinversetzen können. In dem Gefängnis hätten nicht nur "normale" Straftäter, sondern auch Punks, Gläubige, Homosexuelle, Wehrdienstverweigerer, Fluchthelfer und Obdachlose eingesessen. "Menschen wurden hier gebrochen", sagte die Senatorin. Auf diese Unterdrückung von Diversität und Meinungsfreiheit müssten Schüler aufmerksam gemacht werden, "damit sie lernen, dass es wichtig ist, sich zu engagieren", unterstrich sie.

In der Lernstätte sollen sich die Schüler quellenkritisch sowohl mit den Vollzugsakten, als auch mit Zeitzeugeninterviews auseinandersetzen. Einer der Zeitzeugen ist Michael Brack, der vor rund 50 Jahren für drei Monate in der Keibelstraße einsaß. Er hatte mit Wandmalereien gegen den Einmarsch der Truppen in die damalige Tschechoslowakei protestiert und wurde von einem Bekannten verraten. Bei seinem ersten Besuch der Haftanstalt seit seiner Entlassung hätten ihn seine Erinnerung wieder eingeholt, erzählte er bei der Eröffnung des Lernorts. "Ich hatte weiche Knie und Schweißausbrüche", erinnert er sich.

Es erfülle ihn mit Stolz und Genugtuung, dass er als ehemaliger Häftling nun die Lernstätte miteröffnen dürfe, sagte Brack. "Es ist wichtig, dass Schülern klar wird, dass das, was sie hier sehen, nur in einer Diktatur möglich ist", sagte er. Auch wenn die Demokratie in Deutschland oft kritisiert werde, gebe es kaum ein Land, in dem es sich so frei leben lasse. Daher sage er jungen Menschen immer wieder: "Sorgt in eurem eigenen Interesse dafür, dass diese Demokratie erhalten bleibt."

Die Leiterin des Lernorts, Birgit Marzinka, berichtete von den harten Haftbedingungen in der Keibelstraße: Die etwa 130 Zellen des Gefängnisses seien ständig überbelegt gewesen, teilweise hätten sich Häftlinge die sechs Quadratmeter großen Zellen teilen müssen. Obwohl die Inhaftierten Freigang und genug zu essen gehabt hätten, hätten sie stark unter der ständigen Kontrolle gelitten. Dazu sei die ständige Angst gekommen, der Zellengenosse könne für die Stasi arbeiten. "Am schlimmsten war wohl das permanente Gefühl von Repression", sagte sie.

Das Gefängnis Keibelstraße im damaligen Polizeipräsidium wurde den Angaben nach 1951 in Betrieb genommen. Es war die einzige Untersuchungshaftanstalt der Volkspolizei in Ost-Berlin, in der auch Frauen inhaftiert wurden. Etliche Inhaftierte waren nach dem DDR-Strafrecht als "Asoziale" oder wegen "Rowdytums" und "Republikflucht" angeklagt. Nach der Wiedervereinigung wurde das Gefängnis unter anderem als Filmkulisse und als Polizei- und Abschiebegewahrsam genutzt.



Bundesarbeitsgericht beschäftigt sich häufiger mit Altersvorsorge


Bundesarbeitsgericht
epd-bild / Jens-Ulrich Koch
Im 20. Jahr am Standort Erfurt hat die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichtes, Ingrid Schmidt, den Beitrag ihres Hauses zum Gelingen der Einheit gewürdigt. Das Gericht habe die Chance genutzt, die Wiedervereinigung durch seine Tätigkeit auch nach außen hin sichtbar zu machen.

Im 20. Jahr am Standort Erfurt hat die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichtes (BAG), Ingrid Schmidt, den Beitrag ihres Hauses zum Gelingen der Deutschen Einheit gewürdigt. Das Gericht habe die Chance genutzt, die Wiedervereinigung durch seine Tätigkeit auch nach außen hin sichtbar zu machen, sagte sie am 21. Februar in der Thüringer Landeshauptstadt. Das BAG war 1999 von Kassel nach Erfurt umgezogen und hatte im November seinen Betrieb aufgenommen. Zuvor habe es in Erfurt aber bereits über 30 Sitzungen gegeben, fügte Schmidt hinzu.

Nach gut zwei Jahrzehnten sei im vergangenen Jahr auch ein erster Generationswechsel am Gericht zu Ende gegangen. Mit den Neuberufungen habe das BAG seinen Frauenanteil deutlich steigern können, erläuterte die Präsidentin bei der Vorstellung des Jahresberichtes für 2018. So stellten inzwischen je fünf Richter und Richterinnen den Vorsitz in den zehn Senaten des Gerichts. Bei den Beisitzern komme das Bundesarbeitsgericht aktuell auf eine Frauenquote von 43 Prozent.

Etwa jeder dritte Richter lebe inzwischen auch in Mitteldeutschland. Dieser Anteil könne sich durch die neuberufenen Kollegen noch einmal vergrößern. Es sei aber in der heutigen Zeit nicht ungewöhnlich, dass zum Beispiel aus Rücksicht auf die familiäre Situation Wohn- und Arbeitsort nicht mehr zusammenfielen. Sie glaube auch nicht, dass ein Drittel der Finanzrichter auch in München lebten, so Schmidt.

Nach ihren Angaben rücken Streitfälle zur Betrieblichen Altersvorsorge (BAV) immer stärker in den Fokus der obersten Arbeitsrichter in Deutschland. Im vergangenen Jahr hätte solche juristischen Konflikte das Bundesarbeitsgericht (BAG) am meisten beschäftigt. Der langjährige Spitzenreiter - die juristische Auseinandersetzung über die Beendigung von Arbeitsverhältnissen etwa durch Kündigungen - sind nach ihren Angaben in der Statistik des BAG auf Platz zwei gelandet.

Für diese Entwicklung gebe es zwei Gründe: Dazu zählten die gute Konjunktur, die wegen der geringeren Zahl nicht einvernehmlicher Trennungen von Arbeitgebern und -nehmern auch zu weniger Rechtsfällen führte. Hinzu käme der Konzentrationsprozess in der deutschen Wirtschaft. Mit der Fusion von Unternehmen stehe die Frage im Raum, welche der Regelungen zur Betrieblichen Altersvorsorge weiter Anwendung fänden. Das gelte insbesondere auch für die dann nötige Anpassung der Betriebsrenten. Da es sich bei der juristischen Würdigung um ein Spezialgebiet handele, in dem sich nur wenige Beteiligte auskennen würden, käme es in den Erstinstanzen zum Teil zu Massenklagen, erläuterte Schmidt.

Nach Angaben der BAG-Präsidentin gab es 2018 einen Rückgang bei den Eingängen um knapp neun Prozent. Auch dadurch hätten die Fälle schneller abgewickelt werden können: Die durchschnittliche Dauer eines Verfahrens bis zur Erledigung habe 2018 bei sieben Monaten und 23 Tagen gelegen - etwa ein halber Monat weniger als im Jahr zuvor. Noch schneller sei dies aus ihrer Sicht kaum noch möglich, konstatierte Schmidt.

Von allen eingegangenen Rechtssachen hätten mit 1.852 ein gutes Drittel (34,4 Prozent) Revisionen und Rechtsbeschwerden gegen Entscheidungen der Vorinstanzen betroffen. Davon seien 23,68 erfolgreich gewesen (2017: 29,1 Prozent). Diese erfreulich niedrige Quote zeige, welche gute Arbeit in den Vorinstanzen geleistet werde, so die BAG-Präsidentin. Um das gegenseitige Verständnis mit den Arbeits- und den Landesarbeitsgerichten weiter zu verbessern, sei für den 23. März am BAG eine Tagung "Instanzen im Dialog" geplant, kündigte Schmidt an.



Meineidsprozess: Petry schweigt vor Gericht

Vor dem Landgericht Dresden hat am 18. Februar der Prozess wegen Meineidsverdachts gegen die frühere AfD-Chefin Frauke Petry begonnen. Die Staatsanwaltschaft habe die Anklage verlesen, anschließend seien Zeugen vernommen worden, sagte ein Gerichtssprecher dem Evangelischen Pressedienst (epd). Petry selbst habe sich nicht geäußert.

Der Anwalt der Politikerin, Carsten Brunzel, habe ein Statement abgegeben, sagte der Sprecher weiter. Darin forderte er Medienberichten zufolge die Einstellung des Verfahrens. Der Prozess soll am Freitag fortgesetzt werden. Bis Mitte März sind laut Landgericht insgesamt sieben Verhandlungstermine angesetzt.

Petry, die Abgeordnete des Bundestages und des sächsischen Landtages ist, wird vorgeworfen, im Rahmen einer Zeugenvernehmung am 12. November 2015 vor dem sächsischen Wahlprüfungsausschuss wahrheitswidrige Angaben gemacht zu haben. Dabei ging es um Darlehen der damaligen AfD-Landtagskandidaten zur Finanzierung des Wahlkampfes. Petry soll geäußert haben, dass die Kandidaten nach einer erfolgreichen Wahl hätten entscheiden können, ob die Darlehen zurückgezahlt oder in eine Spende umgewandelt werden sollen. Diese Angaben sollen den Darlehensverträgen widersprechen, wonach ein Landtagskandidat für den Fall seiner Wahl auf die Rückzahlung des Darlehens verzichtet.

Petry hatte später einen Irrtum eingeräumt, aber versichert, nicht absichtlich falsch ausgesagt zu haben. Der Bundestag hatte Anfang 2018 Petrys Immunität aufgehoben und damit den Weg für eine Hauptverhandlung freigemacht. Kurze Zeit später hatte die 15. Große Strafkammer des Landgerichts Dresden die Anklage der Staatsanwaltschaft Dresden zugelassen.

Petry war neben ihrer Funktion als AfD-Bundessprecherin auch Vorsitzende der sächsischen Landtagsfraktion der Partei. Kurz nach der Bundestagswahl 2017 trat sie aus der AfD aus und gründete die Blaue Partei. Dem sächsischen Landtag gehört sie als fraktionslose Abgeordnete weiter an.



Prozess zum Tod von Daniel H. soll in Dresden stattfinden

Im Zusammenhang mit der Tötung des Chemnitzers Daniel H. Ende August vergangenen Jahres hat das Landgericht Chemnitz die Anklage gegen den Syrer Alaa S. zur Hauptverhandlung zugelassen. Diese soll ab dem 18. März im Gebäude des Oberlandesgerichts Dresden stattfinden, teilte das Landgericht am 19. Februar in Chemnitz mit. Gründe seien das außerordentlich große Interesse der Öffentlichkeit und die erhöhten Anforderungen an die Sicherheit. Diese seien im Gebäude des Oberlandesgerichtes "besser zu gewährleisten", so das Gericht. Weitere Verhandlungstermine wurden zunächst nicht mitgeteilt.

Noch nicht entschieden worden ist nach Angaben einer Gerichtssprecherin über einen Antrag der Verteidigung des Angeklagten, das Verfahren an ein Gericht außerhalb Sachsens zu verlegen. Die Verteidigung hatte laut eines Berichts der Berliner "tageszeitung" argumentiert, dass ein fairer Prozess innerhalb Sachsens unter anderem wegen einer möglichen Instrumentalisierung durch rechte Parteien gefährdet sei.

Alaa S. muss sich den Angaben zufolge wegen gemeinschaftlichen Totschlags und gemeinschaftlichen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verantworten. Sein mutmaßlicher Komplize, der Iraker Farhad R. A., ist auf der Flucht und wird per internationalem Haftbefehl gesucht. Die Ermittlungen gegen einen dritten Tatverdächtigen waren Mitte Januar eingestellt worden.

Alaa S. und Farhad R. A. sollen am 26. August 2018 am Rande des Chemnitzer Stadtfestes in eine verbale Auseinandersetzung zwischen zwei Gruppen verwickelt gewesen sein. In deren Folge wurde der damals 35 Jahre alte Deutschkubaner Daniel H. (35) erstochen. Der tödliche Vorfall löste eine Reihe ausländerfeindlicher Proteste in der Stadt aus, die bundesweit für Aufsehen sorgten. Zudem führte die politische Bewertung der Proteste zu einer Krise in der Bundesregierung und zum Rücktritt von Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen.



Nach Behinderung von Journalisten: Polizei entschuldigt sich

Eine Woche nach zwei Demonstrationen in Dresden hat sich die Polizei für Behinderungen der Arbeit mehrerer Journalisten entschuldigt. "Ich bedauere es sehr, dass Medienvertreter in ihrer Arbeit beeinträchtigt worden sind", sagte der leitende Polizeidirektor René Demmler am 22. Februar in Dresden. Einen Journalisten, der als solcher erkennbar gewesen sei "und dennoch beiseitegestoßen wurde, bitte ich ausdrücklich um Entschuldigung", ergänzte er. Die Dresdner Polizei sehe den Schutz der Pressefreiheit als "ihre unabdingbare Aufgabe".

"Gleichzeitig sehe ich im Kommunikationsverhalten der Beamten vor Ort noch deutlichen Verbesserungsbedarf", erklärte Demmler weiter. An dieser Stelle müsse die Polizei "noch arbeiten". Insgesamt hatten sich nach den Vorfällen demnach vier Journalisten der "Sächsischen Zeitung", ein Journalist der "Dresdner Neuesten Nachrichten" sowie zwei überregionale Berichterstatter über das Vorgehen der Polizei beklagt.

Am Freitag voriger Woche waren in Dresden rund 1.000 Rechtsextreme mit einem sogenannten Trauermarsch durch die Stadt gezogen. Dem stellten sich laut Polizei etwa 1.000 Gegendemonstranten entgegen. Zudem waren rund 1.200 Polizisten im Einsatz, um die beiden Lager zu trennen.

Bereits am selben Abend hatte es erste Vorwürfe von Medienvertretern gegen die Einsatzkräfte gegeben. Nach Angaben des Twitter-Informationsprojektes "Straßengezwitscher" waren Beamte teilweise aggressiv gegen Journalisten und Gegendemonstranten vorgegangen.

Demmler sagte, der Einsatz am 15. Februar sei "von einer spannungsgeladenen und konfrontativen Lage" geprägt gewesen. Für Polizisten im Einsatz gestalte es sich in solchen Situationen äußerst schwierig, Demonstranten und Pressevertreter innerhalb von Sekunden auseinanderzuhalten. "Das entbindet unsere Beamten jedoch nicht von einem sorgfältigen, umsichtigen und differenzierten Handeln", betonte Demmler.

Die Polizei hatte in Reaktion auf das Geschehen angekündigt, die Vorwürfe aufzuarbeiten und betroffene Pressevertreter aufgefordert, sich zu melden. Unter der Woche habe es in konstruktiver Atmosphäre ein Treffen mit vier Journalisten der "Sächsischen Zeitung" gegeben. Weitere Termine seien verabredet, erklärte die Polizei.



Causa Knabe könnte Untersuchungsausschuss beschäftigen

Die Entlassung des langjährigen Direktors der Stasi-Opfer-Gedenkstätte Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, könnte Thema eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses werden. Im Berliner Abgeordnetenhauses plädierten alle Oppositionsfraktionen am 21. Februar für die Einsetzung eines solchen Gremiums. Die Hintergründe der Entlassung von Knabe müssten aufgeklärt werden, forderten sie.

Unterschiedliche Haltungen haben CDU, AfD und FDP allerdings über den genauen Untersuchungsauftrag, wie in der Debatte deutlich wurde. Ein möglicher Untersuchungsausschuss zur Causa Knabe soll in einer der nächsten Sitzungen des Berliner Abgeordnetenhauses erneut Thema sein. Ein erster FDP-Antrag für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses war am 21. Februar vertagt worden. Für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses sind mindestens 40 Stimmen und damit das Votum von einem Viertel der Parlamentarier nötig.

Dem früheren Gedenkstättenleiter Hubertus Knabe wird eine zu nachgiebige Haltung bei möglichen Sexismus-Vorfällen und den Umgang damit vorgeworfen. Im Herbst vergangenen Jahres musste er deshalb seinen Posten räumen. Die Vorgänge um seine Entlassung als Geschäftsführer und Direktor der Gedenkstätte beschäftigt seitdem die Berliner Landespolitik. In der Kritik stehen unter anderem Kultursenator Klaus Lederer (Linke) und Bundeskulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU)

Lederer warnte am Donnerstag in der Debatte des Abgeordnetenhauses vor den Folgen eines Untersuchungsausschusses für von Sexismus betroffene Frauen. Bislang seien die möglichen Opfer aus Schutzgründen in der Anonymität geblieben. Mit einem Untersuchungsausschuss sei deren Privat- und Intimsphäre in Gefahr. "Es ist nicht akzeptabel, wenn Ursachen und Wirkungen vertauscht" und wenn Handelnde zu Opfern gemacht würden, betonte Lederer. Zur Aufdeckung von Missständen wie Machtmissbrauch und Sexismus in Einrichtungen sei es nötig, dass sich Opfer auch anonym entsprechenden Stellen anvertrauen können, sagte der Linken-Politiker.



AfD unterliegt vor Gericht gegen Müller


Regierender Bürgermeister Michael Müller (Archivfoto)
epd-bild / Jürgen Blume
Der Berliner Verfassungsgerichtshof hat eine Klage der AfD gegen den Regierenden Bürgermeister Müller zurückgewiesen. Die Partei hatte sich zuvor durch einen Tweet in ihrer vom Grundgesetz geschützten Chancengleichheit verletzt gesehen.

Die Klage der AfD gegen Berlins Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) wegen einer Twitter-Nachricht ist vor Gericht zurückgewiesen worden. In dem Organstreitverfahren entschied der Berliner Verfassungsgerichtshof am 20. Februar, Müller habe mit dem Tweet im Zusammenhang mit einer Demonstration der AfD im Mai vergangenen Jahres nicht gegen seine Neutralitätspflicht verstoßen. Vielmehr habe es sich um eine "rein Werte-bezogene Äußerung" gehandelt, sagte Gerichtspräsidentin Sabine Schudoma. (VerfGH 80/18)

Müller begrüßte das Urteil als "ein Signal zur Stärkung und Akzeptanz der demokratischen Willensbildung in sozialen Netzen". Anlass für das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof war eine Twitter-Nachricht von Müllers offiziellem Account als Regierender Bürgermeister vom 27. Mai 2018. An diesem Tag hatte es in der Stadt neben einer AfD-Demonstration mit rund 5.000 Teilnehmern auch mehrere Gegendemonstrationen mit insgesamt rund 25.000 Teilnehmern gegeben. In dem Tweet des Regierenden hieß es wörtlich: "Zehntausende in Berlin heute auf der Straße, vor dem Brandenburger Tor und auf dem Wasser. Was für ein eindrucksvolles Signal für Demokratie und Freiheit, gegen Rassismus und menschenfeindliche Hetze."

Laut Gericht fehlte dem Tweet der "erforderliche, ausreichende Parteibezug". Da die Twitter-Nachricht erst weit nach Ende der AfD-Veranstaltung abgesetzt wurde, habe die Äußerung Müllers auch "keine abschreckende Wirkung" auf mögliche Teilnehmer der AfD-Demonstration haben können. Im übrigen sei es auch Amtsinhabern erlaubt, "unter Beachtung des Sachlichkeitsgebotes" an Sachdebatten teilzunehmen.

Müller betonte in seiner Reaktion auf die Gerichtsentscheidung, "unser Ziel muss es sein, Demokratie in sozialen Netzwerken zu stärken und nicht zu schwächen. Sie ist durch Fake-News, Hate-Speech und intransparente Algorithmen in Gefahr", erklärte der Regierende Bürgermeister in einer Pressemitteilung. Die Berliner Landesvorsitzende der Linkspartei, Katina Schubert, nannte die Entscheidung des Gerichts "ein gutes Signal für die Demokratie".

Die AfD hatte sich in ihrem Recht auf Chancengleichheit der Parteien im politischen Wettbewerb gemäß Grundgesetzartikel 21 verletzt gesehen. Aus diesem Recht folge, dass Inhaber eines Regierungsamtes bei Äußerungen in amtlicher Funktion zur Neutralität verpflichtet seien, hieß es.

Der Antrag der Partei sei zwar "zulässig", aber "unbegründet" gewesen, begründete das Gericht am Mittwoch in seiner Entscheidung. Schudoma betonte, es habe sich bei Müllers Tweet um "keine einseitige Stellungnahme zugunsten einer Partei" gehandelt. Vielmehr habe er "Grundwerte der Verfassung" betont und sich zu gemeinschaftlichen Werten bekannt. Im Wortlaut habe nichts auf die AfD hingewiesen.



Trauergemeinde nimmt Abschied von CDU-Politiker Jörg Schönbohm


Trauergottesdienst für CDU-Politiker Jörg Schönbohm
epd-bild / Rolf Zöllner
Trauerkränze vor dem Berliner Dom und ein großes militärisches Ehrengeleit der Bundeswehr: Nach dem Tod von Brandenburgs langjährigem Innenminister Jörg Schönbohm (1937-2019) haben Angehörige und Weggefährten am 22. Februar Abschied von dem CDU-Politiker und früheren Bundeswehrgeneral genommen.

Trauerkränze vor dem Berliner Dom und ein großes militärisches Ehrengeleit der Bundeswehr: Nach dem Tod von Brandenburgs langjährigem Innenminister Jörg Schönbohm (1937-2019) haben Angehörige und Weggefährten am 22. Februar Abschied von dem CDU-Politiker und früheren Bundeswehrgeneral genommen. An dem Trauergottesdienst im evangelischen Berliner Dom nahmen neben weiteren Vertretern aus Politik, Gesellschaft und Kirchen unter anderem Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU), Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) und die CDU-Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer teil. Auch Woidkes Amtsvorgänger Matthias Platzeck (SPD) und Berlins früherer Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) sowie Berlins derzeitiger Regierungschef Michael Müller (SPD) kamen zur Trauerfeier.

Mit Schönbohm habe das Land "einen Staatsdiener von preußischer Statur", einen Mann mit Haltung und einen Konservativen "im besten bürgerlichen Sinne" verloren, sagte Schäuble in seiner Trauerrede im Dom. Als "Persönlichkeit mit Ecken und Kanten" habe sich der CDU-Politiker, für den "Toleranz als friderizianische Tugend" Teil der demokratischen Grundwerte gewesen sei, auch bei politischen Gegnern Anerkennung verdient.

"Brandenburg trauert um einen seiner besten Männer", sagte Woidke: "Der Verlust schmerzt uns sehr." Schönbohm sei ein "Patriot im besten Sinne" gewesen, der sich "in vielerlei Hinsicht um Brandenburg verdient gemacht" habe und dabei auch entschlossen gegen Rechtsextremismus vorgegangen sei, betonte der Ministerpräsident: "Er gehört zu denen, die ihr Leben in den Dienst der Gesellschaft stellen."

Der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, würdigte Schönbohm als aufrechten Christen und verantwortungsbewussten Politiker. Ein Christ zu sein, habe für ihn bedeutet, nicht nur Überzeugungen zu haben, sondern auch für sie einzutreten, sagte Huber. Zwar habe Schönbohm, der in den 80er Jahren der westdeutschen Friedensbewegung kritisch gegenüberstand und "kein Freund des Kirchenasyls" gewesen sei, es seiner Kirche und die Kirche es ihm nicht leicht gemacht. Die entstandenen Wunden hätten jedoch über die Zeit hinweg heilen können. Zu den neu gewachsenen Gemeinsamkeiten habe auch das Engagement für den Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche gehört.

Der Inspekteur des Heeres der Bundeswehr, Generalleutnant Jörg Vollmer, betonte, Schönbohm habe "sein Leben in den Dienst unserer Republik, unseres Vaterlandes gestellt". Er bleibe als "Mensch und Soldat mit Herz und Verstand" und erfolgreicher Gestalter der Einheit in Erinnerung.

An der Gestaltung des Trauergottesdienstes beteiligte sich auch der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Markus Dröge. Schönbohm gehörte zur Gemeinde des Berliner Doms.

Jörg Schönbohm, der am 2. September 1937 in Neu-Golm bei Bad Saarow geboren wurde und vor seinem Eintritt in die Politik eine lange militärische Laufbahn in der Bundeswehr absolvierte, starb am 7. Februar mit 81 Jahren in Kleinmachnow bei Berlin. Als Befehlshaber des Bundeswehrkommandos Ost in Strausberg war er nach der Wiedervereinigung für die Zusammenführung der westdeutschen Bundeswehr und der ostdeutschen Nationalen Volksarmee verantwortlich. Von 1996 bis 1998 war Schönbohm Innensenator in Berlin und von 1999 bis 2009 Innenminister, bis 2007 auch stellvertretender Ministerpräsident von Brandenburg. Von 1998 bis 2007 hatte er zudem den Landesvorsitz der CDU in Brandenburg inne. Brandenburg hatte für den Tag der Trauerfeier angeordnet, vor öffentlichen Gebäuden die Fahnen auf halbmast zu setzen.



Ministerpräsident Ramelow will Asylgespräche ohne Tabus


Ministerpräsident Bodo Ramelow (Archivfoto)
epd-bild / Maik Schuck
Im Streit um weitere sogenannte sichere Herkunftsländer hat Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) Verhandlungsbereitschaft signalisiert.

Im Streit um weitere sogenannte sichere Herkunftsländer hat Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) Verhandlungsbereitschaft signalisiert. "Wer Tabus aufstellt, braucht gar nicht mit Gesprächen anfangen", sagte Ramelow der "Thüringer Allgemeinen" (19. Februar). Dies gelte auch für die Frage, ob es schnelle Verfahren für Asylbewerber aus den Maghreb-Staaten und Georgien geben sollte. Eine Beratung dieses Themas war am Freitag im Bundesrat auf Antrag Thüringens von der Tagesordnung der Länderkammer genommen worden.

"Ich werde nicht vor Verhandlungen sagen, worüber ich nicht verhandeln will", erklärte der Regierungschef, der einem rot-rot-grünen Kabinett vorsteht. Gleichzeitig bezeichnete er jedoch die Ausweitung der Zahl der "sicheren Herkunftsländer" als "Symbolpolitik", die keine Probleme löse. Für die Maghreb-Staaten und Georgien hat der Bundestag mit der Mehrheit von CDU und SPD bereits einen entsprechenden Beschluss gefasst. Im Bundesrat scheiterte er bisher am Widerstand der in neun Ländern mitregierenden Bündnisgrünen.

Ramelow sprach sich für eine grundlegende Reform des Asylrechts aus. "Die wichtigste Frage ist, wie wir die Menschen, die hier sind oder zu uns kommen, rasch in Arbeit bringen", sagte er der Zeitung. Bisher verhindere das Asylverfahren regelrecht den Zugang zum Arbeitsmarkt. So könne jemand, der einen Asylantrag gestellt hat, ihn nicht zurücknehmen und dafür eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis erhalten.

Laut dem Ministerpräsidenten ist insbesondere Thüringen auf Migranten dringend angewiesen. Dem Land fehlten bis zum Jahr 2025 rund 340.000 Fachkräfte. Das bedeute, 20.000 bis 30.000 neue Arbeitnehmer im Jahr, sagte Ramelow. Schon jetzt werde das Beschäftigungswachstum im Freistaat fast allein durch Zuwanderung getragen.

Gleichzeitig lehnte Ramelow aber illegale Zuwanderung ab. Niemand wolle "eine solche unkontrollierte Flüchtlingssituation" wie im Herbst 2015 wieder haben, sagte er. "Wir brauchen neben dem Grundrecht auf politisches Asyl die geordnete Einwanderung." Zudem werde ein anderer, pragmatischer Umgang mit den Geflüchteten, die bereits im Land sind, benötigt. "Über all diese Fragen müssen wir jetzt verhandeln", so der Linken-Politiker.



Zwei von drei Flüchtlingen in Sachsen in Wohnungen untergebracht

In Sachsen sind Ende 2018 insgesamt 13.000 im Asylverfahren befindliche Flüchtlinge untergebracht gewesen. Mit etwa 4.500 waren knapp zwei Drittel von ihnen in einer zentralen Unterkunft untergebracht, etwa 8.500 lebten dezentral in angemieteten Wohnungen. Das geht aus einer am 19. Februar in Dresden veröffentlichten Antwort von Landesinnenminister Roland Wöller (CDU) auf eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion im sächsischen Landtag hervor.

Die Zahlen zeigten, dass sich die Wohnsituation von Asylsuchenden nicht verbessert habe, kritisierte die flüchtlings- und migrationspolitische Sprecherin der Fraktion, Juliane Nagel. "Obwohl die Zahl der Menschen, die in Sachsen Schutz suchen, weiter sinkt, stagniert die Zahl derer, die in Sammelunterkünften untergebracht werden", sagte sie.

Mit Blick auf die Unterbringung sprach die Politikerin außerdem von einer "bemerkenswerten Diskrepanz" zwischen den einzelnen Landkreisen. So waren laut Innenministerium zum Stichtag 31. Dezember im Vogtlandkreis mit rund 96 Prozent und im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge mit 90 Prozent besonders viele Asylbewerber dezentral in Wohnungen untergebracht. Auf besonders niedrige Quoten kamen demnach die Landkreis Görlitz (39 Prozent), Leipzig (38 Prozent) und Bautzen (23 Prozent).

"Wir bleiben dabei: Die Unterbringung von Menschen in Gemeinschaftsunterkünften sollte die Ausnahme in Notsituationen sein", erklärte Nagel. In der Regel sollten Flüchtlinge möglichst schnell in eigene Wohnungen ziehen können, fügte sie hinzu. Eine eigene Wohnung sei unabdingbare Basis für gleichberechtigte Teilhabe und gelingende Integration. Das Leben in Sammelunterkünften mache hingegen auf Dauer krank und leiste Konflikten Vorschub. Das Innenministerium müsse die Kommunen daher "ermutigen und in die Lage versetzen, Geflüchtete schnell in eigenen Wohnraum zu bringen", betonte die Politikerin.



Antisemitismus-Experte Klein fordert Beauftragte in allen Ländern

Vor einem Bund-Länder-Treffen an diesem 18. Februar in Heidelberg hat der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, alle Bundesländer dazu aufgerufen, eigene Beauftragte für Strategien gegen Judenhass zu berufen. Maßnahmen könnten dadurch rascher und koordinierter umgesetzt werden, sagte Klein dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Wenn wir hier gemeinsam vorgehen, sind wir einfach besser", betonte er.

Die große Zahl von Anfragen an die bisherigen Beauftragten zeige, wie groß der Bedarf ist, erklärte der Bundesbeauftragte. 80 Prozent der in Betracht kommenden Maßnahmen lägen im Zuständigkeitsbereich der Länder, etwa in den Bereichen Schule und Polizei. Bislang haben nach Kleins Angaben acht Länder eigene Beauftragte gegen Antisemitismus benannt: Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen.

Beim Treffen am Montag in der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg soll die Gründung der Bund-Länder-Kommission zur Antisemitismusbekämpfung auf den Weg gebracht werden. Nach Kleins Angaben beteiligen sich alle Bundesländer daran. Die Kommission war ein Wunsch des Bundestags, der vor gut einem Jahr auch die Berufung eines Antisemitismusbeauftragten gefordert hatte. Die neue große Koalition hatte Klein in dieses Amt berufen. Am 1. Mai 2018 trat er die neu geschaffene Stelle im Bundesinnenministerium an.

Klein erhofft sich bei der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern auch einen Austausch von Best-Practice-Beispielen. "Wir werden in Heidelberg auch über den Aufbau eines bundesweiten Meldesystems für antisemitische Vorfälle sprechen", kündigte er an. Eine echte Hilfe erreiche man für Betroffene nur mit gemeinsamen Standards.

Die Kommission solle künftig alle sechs Monate tagen, sagte Klein. Hierfür soll ein Vertrag geschlossen werden. "Ich bin optimistisch, dass wir das in der ersten Jahreshälfte 2019 schaffen werden", sagte Klein und ergänzte: "Der besorgniserregenden Entwicklung von Judenhass in Deutschland müssen wir in Politik und Gesellschaft jetzt rasch überzeugende und abgestimmte Maßnahmen entgegensetzen."



Zeitung: Antisemitische Taten bleiben in Berlin meist ungestraft

Opfer antisemitischer Angriffe haben nach Recherchen der "Berliner Morgenpost" in der Hauptstadt nur wenig Chancen auf eine juristische Aufarbeitung der Tat. Von 440 Ermittlungsverfahren, die die Staatsanwaltschaft Berlin im Jahr 2018 eröffnete, hätten nur etwa 15 Prozent die Richter beschäftigt. In absoluten Zahlen seien es gerade einmal 65 Verfahren gewesen, schreibt die Zeitung unter Berufung auf ihr exklusiv vorliegende Zahlen.

Die Antisemitismusbeauftragte bei der Berliner Staatsanwaltschaft, Claudia Vanoni, sagte der Zeitung: "Unser Problem ist, dass sich ein sehr großer Anteil der Taten im Internet abspielt." Die Täter nutzten die Anonymität im Netz und agierten unter Pseudonymen. Durch die wenigen Ermittlungserfolge sei auch die Neigung der Opfer gering, Taten anzuzeigen. Denn die Zahlen bestätigten die Angst, dass dies vielfach ohnehin nicht zur Verurteilung der Täter führe.

Der Antisemitismusbeauftragte der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Sigmount Königsberg, sagte der "Berliner Morgenpost": "Meine Hoffnung war, dass konsequenter Verfahren vor Gericht landen, aber Frau Vanoni ist ja erst seit wenigen Monaten im Amt." Die Entwicklung müsse abgewartet werden. Vertrauen aufzubauen, dauere eine längere Zeit.

Die stellvertretende Vorsitzende der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Cornelia Seibeld, forderte, neben der Stelle von Vanoni bei der Staatsanwaltschaft auch einen Antisemitismusbeauftragten in der Senatskanzlei oder in der Bildungsverwaltung anzusiedeln: "Ich finde das gut, was Frau Vanoni macht, aber sie kommt erst ins Spiel, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Das reicht nicht." Es sei wichtig, Judenhass vorzubeugen.



Grundsteinlegung für 2023 geplant

Die von den Nazis zerstörte und später abgerissene Synagoge Fraenkelufer in Berlin-Kreuzberg soll ab 2023 wiedererrichtet werden. Am Montag traf sich erstmals das prominent besetzte Kuratorium für den Wiederaufbau.

Der geplante Wiederaufbau der Synagoge am Fraenkelufer in Berlin-Kreuzberg soll 2023 beginnen. Er hoffe, dass 85 Jahre nach der Reichspogromnacht von 1938 der Grundstein gelegt werden kann, sagte am 18. Februar der Berliner SPD-Fraktionschef Raed Saleh. Er ist Initiator des Wiederaufbaus des einstmals größten jüdisch-orthodoxen Gotteshauses in Berlin, das in der Reichspogromnacht schwer beschädigt wurde.

Im Sommer 2018 hatte sich dafür der Förderverein "Jüdisches Zentrum Synagoge Berlin e.V." gegründet. Am Montag trat das eigens berufene Kuratorium zu seiner ersten Sitzung zusammen. Dem 20-köpfigen Gremium gehören unter anderem Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD), Linken-Politiker Gregor Gysi, Verlegerin Friede Springer, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Gideon Joffe, die Ex-Piraten- und heutige Grünen-Politikerin Marina Weisband und der Chef der Alba Group, Eric Schweitzer, an.

Das Kuratorium soll den Wiederaufbauprozess begleiten und unterstützen, sagte Saleh. Die veranschlagten Gesamtkosten von 30 Millionen Euro will der SPD-Politiker durch Spenden und Lottomittel einwerben, unter anderem von Stiftungen und Unternehmen. Zudem erhofft er sich vom Land Berlin zwei Millionen Euro als Starthilfe für die Planungskosten.

Er freue sich sehr über diese Initiative, sagte Berlins Regierender Bürgermeister Müller. Auch der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Joffe, begrüßte das Projekt und nannte es ein Vorbild für den Umgang mit jüdischem Leben in Berlin. Joffe betonte aber auch, das Projekt dürfe vonseiten des Berliner Senats finanziell nicht zu Lasten der Jüdischen Gemeinde gehen, die unter anderem plane, eine Jüdische Sekundarschule in Berlin-Mitte zu eröffnen.

"Jüdisches Leben ist Teil unserer Leitkultur und gehört zur DNA Deutschlands und Berlins", sagte Saleh. Dieses jüdische Leben habe zwischen 1933 und 1945 einen Bruch durch die Nazis erlebt. "Deshalb müssen wir Synagogen wiederaufbauen. Wer baut, der bleibt", sagte Saleh.

Gerade die Synagoge Fraenkelufer an der Schnittstelle zwischen Kreuzberg und Neukölln als Multikulti-Stadtteile sei als Ort des Dialoges zwischen den Religionen geeignet, sagte Saleh zudem im RBB-Radio. Viele Moscheegemeinden aus der Gegend hätten bereits angekündigt, nach den Freitagsgebeten dafür zu spenden.

Die zwischen 1913 und 1916 von dem Baumeister der Jüdischen Gemeinde, Alexander Beer, errichtete orthodoxe Synagoge wurde bei den Novemberpogromen vom 9. auf den 10. November 1938 schwer beschädigt. Nach weiteren Zerstörungen bis 1944 wurde der Sakralbau im Jahr 1958/59 abgerissen. Heute existiert nur noch ein Nebengebäude, das als konservative Synagoge genutzt wird.

Das Grundstück, auf dem die Synagoge einst stand, gehört heute dem Land Berlin. In den 1980er Jahren wurde es zusammen mit den angrenzenden Altbauten von Hausbesetzern okkupiert. Später entstanden daraus legale Mietverhältnisse. Die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Hermann (Grüne), gab Saleh deshalb mit auf den Weg, in das Projekt unbedingt die Anwohner einzubeziehen.



DDR-Vertragsarbeiter beklagen ausstehende Löhne

Sie kamen zum Teil mit großen Erwartungen in die DDR und leben heute wieder in Mosambik, die meisten in bitterer Armut. Die ehemaligen Vertragsarbeiter der "Madgermanes" fühlen sich um Lohn und ihre Rechte betrogen.

Ehemalige DDR-Vertragsarbeiter aus Mosambik beklagen 30 Jahre nach dem Ende der DDR noch immer fehlende Anerkennung und ausstehende Gelder. Auf einer am 22. Februar eröffneten Tagung des Lothar-Kreyssig-Ökumenezentrum der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) in Magdeburg soll die Situation der "Madgermanes", wie sie in Bezug auf den Begriff "Made in Germany" in Mosambik genannt werden, in den Blick genommen und die Probleme aufgearbeitet werden. Die in Zusammenarbeit mit der Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur organisierte Konferenz geht bis zum Sonntag.

Seit den 70er Jahren kamen den Angaben zufolge Tausende Mosambikaner in die DDR, um als Vertragsarbeiter in den Betrieben zu arbeiten. Bis heute beklagten sie fehlende Rentenansprüche und Lohnanteile. Viele, die nach der Wende nach Mosambik zurückkehrten, lebten heute in Armut, hieß es. Sie kämpften um die Auszahlung von Löhnen und Sozialleistungen, die ihnen vorenthalten wurden. In der Hauptstadt Maputa demonstrieren die "Madgermanes" den Angaben zufolge immer noch regelmäßig. Systematisch seien den Mosambikanern in der DDR Transferleistungen vom Nettolohn abgezogen worden. Das Geld habe zur Tilgung von DDR-Krediten gegenüber Mosambik gedient, wovon die Arbeiter allerdings nichts wussten. Zur Finanzierung mosambikanischer Staatsschulden seien von den Löhnen der Vertragsarbeiter zunächst 25 Prozent, später 60 Prozent jenes Lohnanteils, der über 350 Mark der DDR lag, einbehalten worden, erklärte Hans-Joachim Döring vom Lothar-Kreyssig-Ökumenezentrum der EKM.

In Mosambik existierten die versprochenen Konten mit dem Geld nicht mehr, erworbene Rentenanteile wurden nicht angerechnet, hieß es weiter. Die Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Birgit Neumann-Becker, sagte am Freitag in Magdeburg, die Rolle der Vertragsarbeiter in der DDR müsse weiter aufgearbeitet werden und es müssten Lösungen für die Probleme gefunden werden. Zudem seien den damals jungen Menschen versprochene Lebenschancen vorenthalten worden. Statt des versprochenen Studiums dienten sie als Arbeiter und damit als Lückenfüller für den Arbeitskräftemangel.

Döring verwies auf vorenthaltene Rechte und unklare Verträge aus dem Jahr 1979 und gebrochene Biografien. Mit der Tagung sollte Transparenz hergestellt werden und Vorschläge erarbeitet werden. Döring wünschte sich, dass die deutsche Regierung auf Mosambik zugehe und dass ein Runder Tisch eingerichtet werde. Eingeladen wurde zur Konferenz unter anderen der Afrikabeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke.

Döring sagte, bei den ehemaligen Vertragsarbeitern handele es sich auch um Opfer des Ost-West-Konflikts. Die betroffenen Mosambikaner fühlten sich zudem von beiden Regierungen betrogen, von Deutschland und von Mosambik. Aus Mosambik kamen besonders viele Vertragsarbeiter in die DDR. Ihre Situation sei besonders drastisch. Bei Vertragsarbeitern aus anderen Ländern, beispielsweise aus Vietnam, sei die Lage anders gewesen.

Insgesamt reisten den Angaben zufolge 22.400 Mosambikaner zur Arbeit in die DDR. Etwa 70 Prozent der mosambikanischen Arbeiter wurden in der Schwerindustrie und im Maschinenbau eingesetzt, beispielsweise in der VEB Feilenfabrik Sangerhausen, der VEB IFA Motorenwerke Nordhausen oder im Fleischkombinat in Halle. Nach der Wiedervereinigung erhielten etwa 2.000 Mosambikaner ein Bleiberecht.



Zwischen Blumenwiesen und Kanzlerbungalow


Helmut und Loki Schmidt 1988 beim Kirchentag in Rostock
epd-bild / Bernd Bohm
Loki Schmidt war eine engagierte Botanikerin, entdeckte seltene Pflanzen und warb für den Naturschutz. Lange stand sie im Schatten ihres Mannes Helmut. Dabei hatte sie schon in der Schule dessen Mathe-Hausaufgaben gemacht.

Anfangs war Loki Schmidt in der Öffentlichkeit vor allem die Frau an der Seite des SPD-Kanzlers Helmut Schmidt. Erst spät wurden ihr Wissen und ihre Liebe zur Botanik gewürdigt: Die ehemalige Volksschullehrerin wurde Ehrenbürgerin von Hamburg und Ehren-Professorin. Hamburgs Botanischer Garten in Klein Flottbek heißt "Loki-Schmidt-Garten". Die Bromelie "Pitcairnia loki-schmidtii", ein Ananasgewächs, entdeckte sie bei einer Forschungsreise an einem Bach in Mexiko. Auch das Rosengewächs "Lachemilla loki-schmidtiae J.Gaviria" und der Skorpion "Tityus lokiae" sind nach ihr benannt. Am 3. März wäre sie 100 Jahre alt geworden.

Aufgewachsen ist die Naturliebhaberin in einem dichtbebauten Arbeiterviertel. Sie sei ein "typisches Großstadthinterhofkind" gewesen, sagte sie kurz vor ihrem Tod der Zeitung "Die Welt". Im Kopfsteinpflaster ihres dunklen Hinterhofs habe sie damals Wiesenrispengras und Löwenzahn entdeckt. Vielleicht habe sich damals die "uneingestandene Sehnsucht nach Grün und Pflanzen" entwickelt.

Als Hannelore Glaser kam sie am 3. März 1919 in Hamburg zur Welt. Die Familie war arm und lebte bei den Großeltern im Stadtteil Hammerbrook. Erst drei Jahre später zog sie in eine eigene Wohnung im benachbarten Borgfelde. Trotz der Armut war der Familie Bildung wichtig. Ihre Großmutter, eine gelernte Köchin, soll Goethes "Faust" auswendig rezitiert haben. Der Vater malte und spielte Geige. Als Kind gab Hannelore sich selbst den Spitznamen "Loki".

Rauflustiger "Schmiddel"

Das hochgewachsene Mädchen besuchte die reformorientierte Lichtwarkschule in Winterhude und lernte dort einen kleinen rauflustigen "Schmiddel" kennen. Beide hatten eine ähnliche Handschrift, verriet Helmut Schmidt später der "Zeit". Da er als Schüler "relativ faul" gewesen sei, habe Loki seine Mathe-Hausaufgaben gleich in sein Heft geschrieben. "Und niemand hat es gemerkt."

Die Verbindung war wohl eher kameradschaftlich. Doch als sich Hannelore und Helmut nach einem regen Briefwechsel im Sommer 1941 in Berlin wieder trafen, soll es gefunkt haben. "Dort wurden sie innerhalb von fünf Tagen zum Liebespaar", schreibt Biograf Reiner Lehberger. Sie heirateten am 27. Juni 1942. Sohn Helmut Walter starb noch vor seinem ersten Geburtstag im Februar 1945. Das Ehepaar musste mehrere Fehlgeburten verkraften. Tochter Susanne wurde im Mai 1947 geboren und lebt heute als Wirtschaftsjournalistin in England.

Lokis Wunsch, Biologie zu studieren, scheiterte an den Studiengebühren. Stattdessen studierte sie Pädagogik für das Lehramt an Volksschulen. Nach dem Krieg war sie es, die für den Unterhalt der Familie sorgte, während ihr Mann studierte. Von 1940 bis 1972 arbeitete sie als Volks-, Grund- und Realschullehrerin an verschiedenen Schulen.

Anfang der 70er Jahre zog sie nach Bonn, ihr Mann war erst Bundesminister, ab 1974 dann Bundeskanzler. Sie engagierte sich als Kanzlergattin insbesondere für den Schutz gefährdeter Pflanzen und begleitete Forschungsreisen nach Kenia, Ecuador, Malaysia, Borneo und auf die Galápagos-Inseln. 1976 gründete sie das Kuratorium zum Schutze gefährdeter Pflanzen, das als Loki-Schmidt-Stiftung seit 1980 alljährlich die "Blume des Jahres" kürt.

Zugewandt und warmherzig

Freunde beschrieben Loki Schmidt als zugewandt und warmherzig. 68 Jahre lang war sie mit Helmut verheiratet. Beide verband die Liebe zu Kunst und Musik, das Schachspiel und das Haus am Brahmsee. Einfach war ihre Ehe wohl nicht. Helmut Schmidt wurden zahlreiche Affären nachgesagt. Er selbst hat in seinem letzten Buch "Was ich noch zu sagen hätte" eine langjährige Liebesbeziehung zu einer 18 Jahre jüngeren Hamburgerin öffentlich gemacht. Die von Loki vorgeschlagene Scheidung habe er allerdings strikt abgelehnt, schreibt er.

Dass sie so lange zueinander hielten, ist fast ebenso erstaunlich wie die Tatsache, dass beide angesichts ihres Zigarettenkonsums so alt geworden sind - Loki starb mit 91, ihr Mann mit 96. Bereits mit zehn oder elf Jahren habe sie im Stadtpark geraucht, bekannte sie einmal. "Greiling Schwarz-Weiß" hieß die Marke. Als "Loki und Smoky" waren beide Teil der Comedy-Sendung "Mitternachtsspitzen".

Loki Schmidt blieb bodenständig. Wenn Staatschefs wie Valéry Giscard d'Estaing, Gerald Ford oder Leonid Breschnew das Haus in Hamburg-Langenhorn besuchten, kochte sie Grünkohl, Labskaus oder Roastbeef mit Bratkartoffeln. Besonders gelobt wurde ihre Rote Grütze.

In ihren späten Jahren verfasste sie zahlreiche Bücher. Seit 2009 ist sie Ehrenbürgerin Hamburgs. Die Schule Othmarscher Kirchenweg, an der sie 13 Jahre lang unterrichtete, heißt heute "Loki-Schmidt-Schule". Zu ihrem 100. Geburtstag wird am Botanischen Garten eine Gedenktafel enthüllt.

Am 21. Oktober 2010 starb Loki Schmidt in ihrem Haus in Langenhorn. Zur Trauerfeier im Michel kamen unter anderen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Altkanzler Gerhard Schröder (SPD), Uwe Seeler, Siegfried Lenz sowie die ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker und Horst Köhler. Trauerredner war der ehemalige Landesbischof Eduard Lohse: "Bis zuletzt hat sie viel Gutes bewirken können, mit Warmherzigkeit vielen Menschen geholfen und große Anerkennung und Verehrung erfahren."

Von Thomas Morell (epd)


Mit Kippa und Tee in den Karneval


Michael Szentei-Heise von der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf
epd-bild / Hans-Jürgen Bauer
In Köln gibt es erstmals seit der NS-Zeit wieder einen jüdischen Karnevalsverein, in Düsseldorf wollen sich Muslime närrisch organisieren. Sie möchten im Karneval sichtbar sein - und jenseits von Herkunft und Religion einfach gemeinsam feiern.

Eigentlich haben ja alle Kölner einen Migrationshintergrund. So heißt es zumindest in der Karnevals-Hymne "Unser Stammbaum" der Kölsch-Band "Bläck Fööss": Schließlich habe die Geschichte der Domstadt vor rund 2.000 Jahren mit der Ankunft der Römer am Rhein begonnen. Vielfalt und Toleranz gehört inzwischen zum Selbstverständnis des gesamten rheinischen Karnevals. "Dennoch trauen sich viele Muslime nicht mitzumachen", beobachtet Ataman Yildirim. Der Düsseldorfer Pädagoge ist derzeit damit beschäftigt, den ersten muslimischen Karnevalsverein ins Leben zu rufen.

Diesen Schritt haben einige jüdische Jecken in Köln schon getan: Sie haben die "Kölsche Kippa Köpp" gegründet, den ersten jüdischen Karnevalsverein seit der Nazi-Zeit. In dieser Session laden sie erstmals zu einer Veranstaltung ein.

Der Verein sehe sich in der Tradition des "Kleinen Kölner Klubs", eines jüdischen Karnevalsvereins, der unter den Nationalsozialisten aufgelöst wurde, sagt Vorsitzender Aaron Knappstein. Den beiden Vereinsgründern, Willi und Max Salomon, gelang es, rechtzeitig nach Palästina und in die USA auszuwandern. Andere Mitglieder aber wurden von den Nazis ermordet.

"Kölle Alaaf unterm Hakenkreuz"

Während der NS-Diktatur beteiligten sich auch Karnevalisten an judenfeindlicher Hetze. Bereits 1934 rollte der erste antisemitische Mottowagen im Kölner Rosenmontagszug. Lange Zeit hätten die Vereine die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit des Karnevals abgelehnt, sagt der Kölner Historiker Marcus Leifeld.

Seit einigen Jahren finde die Beschäftigung mit diesem Thema jedoch verstärkt statt, angeregt unter anderem durch die Ausstellung "Kölle Alaaf unterm Hakenkreuz" im Kölner NS-Dokumentationszentrum 2012. "Inzwischen schaut man genau hin und tritt für Toleranz ein", beobachtet Leifeld.

Der Vorschlag zur Gründung eines jüdischen Vereins kam sogar von höchster karnevalistischer Stelle. Christoph Kuckelkorn, Präsident des Festausschusses des Kölner Karnevals, habe jüdische Karnevalisten darauf angesprochen, die Tradition wieder aufleben zu lassen, sagt Aaron Knappstein.

"Wir wollen aber gar nichts Spezielles sein", betont Knappstein, der wie einige andere der zwölf Gründungsmitglieder bereits seit Jahren im Kölner Karneval aktiv ist. "Es gibt keinen jüdischen Karneval." Den Mitgliedern gehe es nicht um Abgrenzung, sondern darum, an den historischen Verein zu erinnern und wieder sichtbar zu werden.

Der Verein stehe auch Nicht-Juden offen. "Es gibt bereits einige nicht-jüdische Interessenten", sagt Knappstein. Durch das gemeinsame Feiern von Juden und Menschen anderer Religionen könne der Verein auch zum gegenseitigen Verständnis beitragen.

Muslime in Karneval integrieren

In eine ähnliche Richtung denkt auch Ataman Yildirim. Ihm gehe es darum, Muslime in den Karneval zu integrieren, sagt der Pädagoge, der seit vielen Jahren in der Migrationsarbeit tätig ist. Dafür brauche es eine Struktur wie einen Verein. "Denn auch viele Muslime finden Karneval toll und würden gerne mitfeiern. Allerdings denken viele, dass sie dann Alkohol trinken müssen."

Mit dem neuen Verein wolle er sich nicht abgrenzen, betont Yildirim. "Der Verein soll Menschen jeder Religion offenstehen. Mir geht es um das Gemeinsame." In dem Verein solle sich einfach jeder wohlfühlen, ganz gleich ob er beim Feiern Tee oder Bier trinke.

Unterstützt wird Yildirims Idee vom Kreis Düsseldorfer Muslime (KDDM). Und der mischt schon in diesem Jahr im Karneval mit: Am Rosenmontag fahren KDDM-Vertreter gemeinsam mit Teilnehmern der Jüdischen Gemeinde sowie der evangelischen und katholischen Kirchen auf einem "Toleranzwagen" mit. Mit diesem bislang einmaligen Projekt wollen die Religionsgemeinschaften ein Zeichen gegen Diskriminierung setzen.

Organisiert wird die Initiative von der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf. Deren Gemeindemitglieder hatten sich im vergangenen Jahr erstmals mit einem eigenen Wagen am Zug beteiligt. "Dafür bekamen wir eine sehr positive Resonanz", sagt der Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde, Michael Szentei-Heise. Doch statt alleine weiterzumachen, sei die Idee entstanden, Muslime und Christen mit ins Boot zu holen und daraus eine interreligiöse Aktion zu machen.

Auf dem "Toleranzwagen" nach einem Entwurf des bekannten Karnevalwagenbauers Jacques Tilly werden Geistliche der vier Religionsgemeinschaften mit roten Pappnasen Arm in Arm vor ihren jeweiligen Düsseldorfer Gotteshäusern zu sehen sein. Frei nach dem Motto der Bläck Fööss-Karnevalshymne, in der es heißt: "Mir sprechen hück all die selve Sproch" ("Heute sprechen wir alle dieselbe Sprache").

Allerdings stimmt das nicht ganz. Denn im rheinischen Karneval gibt es durchaus noch Sprachbarrieren. Die verlaufen aber nicht zwischen den Religionen oder Herkunftsländern, sondern zwischen den konkurrierenden Karnevalshochburgen Köln und Düsseldorf: Während es in der Domstadt "Alaaf" heißt, rufen die Düsseldorfer "Helau".

Von Claudia Rometsch (epd)


Merkel erinnert an letztes Maueropfer

An das letzte Todesopfer an der Grenze zwischen West- und Ostberlin vor 30 Jahren hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erinnert. Der Tod von Winfried Freudenberg am 8. März 1989 mahne "immer wieder daran zu denken, dass wir heute in einer Zeit der Freiheit und der Demokratie leben", sagte die Kanzlerin in ihrem neuen Video-Podcast.

Die Erinnerung an die mindestens 140 Menschen, die beim Versuch der Grenzüberwindung ums Leben gekommen seien, müsse wachgehalten werden. Der 32-jährige Elektoingenieur Freudenberg war Anfang März 1989 nach einem riskanten Gasballon-Flug über die Mauer in Berlin-Zehlendorf abgestürzt und gestorben.

Der Fall der Berliner Mauer jährt sich am 9. November zum 30. Mal. Für sie sei wichtig, sich immer vor Augen zu führen, "dass das Leben in Demokratie und Freiheit nichts Selbstverständliches ist", sagte die Bundeskanzlerin. Die Erinnerung an die Diktatur müsse bewahrt und gepflegt werden. Auch wünsche sie sich ein gesamtdeutsches Verständnis für die mitunter schwierigen Lebensgeschichten der Menschen in Ostdeutschland, fügte Merkel hinzu.



Thomas Krüger: Verletzungen der Nachwendezeit aufarbeiten

Der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, will die Nachwendezeit neu aufarbeiten. 1989 bis 1991 seien im Osten Deutschlands und Europas viele Verletzungen, Risse und Brüche in der Gesellschaft entstanden, die bisher zu wenig öffentlich reflektiert wurden, sagte Krüger dem Sender MDR Kultur am 22. Februar in Halle. Er sei deshalb froh über den Schwerpunkt "The Years of Change" auf der Leipziger Buchmesse. Krüger sagte, die Diskussion über diese Zeit habe bisher oftmals "unter Ausschluss der Öffentlichkeit" stattgefunden, nur "in bestimmten Zirkeln, auch universitären Kontexten".

Für ihn gehe es bei dem Programmschwerpunkt um eine Neuvermessung der Jahre des Wandels nach 1989. Laut Krüger muss diese "Zeit der Transformation" stärker in den Blick genommen werden: "Wir müssen die Auswirkungen des Wandels reflektieren und miteinander erörtern. Denn vieles, was heute in den Gesellschaften der Fall ist, hat seine Ursachen in der Zeit nach 1989."

Für ihn sei "The Years of Change" eine Möglichkeit, große politische, auch gesellschaftspolitische Debatten in diesem Kontext aufzurufen, sagte Krüger weiter. "Wir versprechen uns Anstöße für die öffentliche Diskussion." Der Schwerpunkt "The Years of Change 1989 bis 1991. Mittel-, Ost- und Südosteuropa 30 Jahre danach" auf der Leipziger Buchmesse ist auf drei Jahre angelegt. Auftakt ist am 21. März, dem ersten Messetag 2019. Das Projekt ist eine Kooperation der Messe mit der Bundeszentrale für politische Bildung.

Viele demokratische Errungenschaften von 1989 bis 1991 seien heute oftmals zur Fassade geworden, betonte der Chef der Bundeszentrale. "Das zu reflektieren, dem auf den Grund zu gehen und zu überlegen, wie demokratische Potentiale in den Gesellschaften gestärkt werden können, das soll Gegenstand sein", sagte Krüger.



Gedenkstättenfahrten für Schulen nach Osteuropa

Die Landeszentrale für politische Bildung Sachsen-Anhalt fördert auch in diesem Jahr den Besuch von Schülern aus Sachsen-Anhalt in NS-Gedenkstätten in Polen, Weißrussland, Lettland und der Ukraine. "Mit diesem Bildungsangebot wollen wir es den Jugendlichen möglich machen, sich an den authentischen Orten mit den Verbrechen der NS-Zeit auseinanderzusetzen", sagte der Direktor der Landeszentrale, Maik Reichel, am 20. Februar in Magdeburg. Für das aktuelle Jahr würden bereits 18 Anmeldungen von Schulen vorliegen. Reichel fügte hinzu, weitere Anträge seien erwünscht. Er ermunterte Schul- und Jugendgruppen, von dem Angebot Gebrauch zu machen und eine Förderung zu beantragen.

Seit 2016 fördert die Landeszentrale solche Fahrten, wovon in den vergangenen drei Jahren mehr als 1.000 Schülerinnen und Schüler profitierten. Dabei wurden 43 Fahrten in die Gedenkstätten Auschwitz, Majdanek und Treblinka unternommen. Bei den Gedenkstättenfahrten arbeitet die Landeszentrale den Angaben zufolge mit dem Internationalen Bildungs- und Begegnungswerk Dortmund (IBB) sowie der Geschichtswerkstatt Merseburg-Saalekreis e.V. zusammen. Reichel sagte, dieses Format der politischen Bildungsarbeit habe sich in Sachsen-Anhalt gut etabliert hat.

Die Gedenkstättenfahrten sind für alle allgemeinbildenden Schulen ab Klasse 8 sowie für Berufsbildende Schulen geeignet und dauern fünf bis acht Tage. Die Erarbeitung und Gestaltung des Programms obliegt in erster Linie der antragstellenden Schule. Die Vor- und Nachbereitung wird von der Geschichtswerkstatt Merseburg begleitet.



Magdeburger Elternberaterin mit Adelheid-Preis ausgezeichnet

Die Magdeburger Elternberaterin Sabine Magnucki ist mit dem Adelheid-Preis 2018 ausgezeichnet worden. Damit werde ihr leidenschaftlicher, ehrenamtlicher Einsatz für Familien als Inhaberin, Koordinatorin und Helferin der "Familien-Feuerwehr" gewürdigt, teilte die Stadtverwaltung in Magdeburg mit. Die Auszeichnung wurde am 22. Februar bei einem Festakt im Kulturhistorischen Museum überreicht.

"Sabine Magnucki engagiert sich seit Jahren nicht nur für ihre eigenen Kinder, sondern berät und begleitet mit großem Engagement Eltern sowie deren Kinder, die eine besondere Unterstützung im Alltag benötigen", sagte die Beigeordnete für Soziales, Jugend und Gesundheit, Simone Borris.

Magnucki ist selbst Mutter von fünf Kindern und dreifache Großmutter. Die Diplom-Ingenieurin war nach ihrem Studium als Elternkurs-Leiterin, Elternberaterin und -begleiterin tätig. Mit der Gründung des Vereins "du und ich" Mütter- und Familienkontakte im Jahr 2000 übernahm sie bis 2017 das Amt der Vorstandsvorsitzenden. Sie ist als Vorstandmitglied weiter ehrenamtlich im Verein aktiv. Seit der Eröffnung der "Familien-Feuerwehr" 2010 leitet Magnucki den Familientreff. Mit der "Familien-Feuerwehr" werden Eltern-, Kind- und Familienbegleitungen angeboten. Neben einer Kinderbetreuung im Notfall gibt es auch organisatorische Unterstützung im Alltag und spezielle Fördermöglichkeiten für Klein- und Grundschulkinder.

Mit dem Adelheid-Preis ehrt die Stadt Magdeburg seit 2012 jährlich Menschen, die sich durch hervorragendes ehrenamtliches Engagement im sozialen Bereich auszeichnen. Namensgeberin für den Adelheid-Preis ist Kaiserin Adelheid (931-999), die zweite Ehefrau Ottos des Großen, die wegen ihres karitativen Wirkens und ihrer Mildtätigkeit bereits zu Lebzeiten vom Volk verehrt wurde. Der Preis ist mit 1.000 Euro dotiert als finanzielle Unterstützung sozialer Projekte der Preisträger. Die Bekanntgabe der Preisträger erfolgt jährlich um den 16. Dezember herum, anlässlich des Todestages von Kaiserin Adelheid im Jahr 999. Zuletzt hatte den Adelheid-Preis 2017 das Magdeburger Pfarrer-Ehepaar Gabriele und Andreas Herbst erhalten, für ihr Engagement in der Evangelischen Hoffnungsgemeinde.



Kölner Archiveinsturz: Erst acht Prozent der Archivalien nutzbar

Zehn Jahre nach dem Einsturz des Historischen Archivs in Köln sind erst etwa acht Prozent der geborgenen Archivstücke wieder im Original zu sehen. Man gehe nun davon aus, dass es weitere 30 Jahre dauern werden, bis alle geborgenen Dokumente und Archivalien die letzte Konservierungsstufe durchlaufen hätten und jeder Riss und jede Falte beseitigt sei, sagte Archivleiterin Bettina Schmidt-Czaia am 22. Februar in Köln. 95 Prozent der verschütteten Archivalien wurden seit dem Einsturz am 3. März 2009 geborgen. Die Stadt kalkulierte den entstandenen Gesamtschaden auf mindestens 1,3 Milliarden Euro.

In allen Gerichtsverfahren sei festgestellt worden, dass die fehlerhafte Schlitzwand in der Baugrube der Nord-Süd-Stadtbahn die Ursache gewesen sei, sagte Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos). Neben der persönlichen Verantwortung der einzelnen Angeklagten trage auch die ARGE Süd als der Unternehmensverbund, der den Auftrag übernommen hatte, Verantwortung, so Reker. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig, da die Beschuldigten in Revision gegangen sind.

1,6 Millionen Bergungseinheiten

Die Kosten für den gesamten Rettungs- und Bergungseinsatz habe bislang die Stadt Köln geschultert, betonte Stadtdirektor Stephan Keller. "Wir gehen aber davon aus, dass wir die Schadenssumme im diesem Umfang einfordern werden", sagte er. Die erste Bahn der Nord-Süd-Strecke solle im Jahr 2027 fahren.

Zum Stand der Restaurierungsarbeiten sagte Archivleiterin Schmidt-Czaia, dass etwa 15 Prozent von insgesamt 1,6 Millionen Bergungseinheiten die erste Konservierungsstufe, also die Trockenreinigung, durchlaufen hätten: "Hiervon sind mehr als die Hälfte, nämlich 55 Prozent, bereits direkt wieder im Original nutzbar." Weitere 44 Prozent seien in den nächsten Monaten in digitaler Form nutzbar. Rund 9.000 Stücke seien vollständig restauriert. Beim Einsturz des Archivs waren etwa 62.000 Urkunden, 329.000 Karten und Plakate und 500.000 Fotos verschüttet worden.

Beim Einsturz des Archivs am Kölner Waidmarkt stürzten das Gebäude und zwei benachbarte Wohngebäude ein. Zwei Menschen kamen ums Leben. Anwohner mussten ihre Wohnungen verlassen und angrenzende Schulen und Wohnheime evakuiert werden. "Es sind Katastrophen wie diese, die uns bewusst machen: In der Kürze eines Wimpernschlages kann das Leben ganz anders aussehen", sagte Reker.




Entwicklung & Umwelt

Die heilige Stadt Touba: Senegals Mekka


Große Moschee in Touba, Senegal
epd-bild / Friedrich Stark
Touba ist das heimliche Herz Senegals und die Hochburg der islamischen Bruderschaft der Muriden. Hier begann auch Staatschef Macky Sall seinen Wahlkampf für die Präsidentenwahl.

Touba, gefühlte Temperatur am Mittag: 36 Grad. Vom großen Minarett tönt der Ruf des Muezzins "Allahu Akbar". Die Menschen strömen über den riesigen Vorhof aus Marmor in die Moschee. Vor dem Tor ziehen sie ihre Schlappen aus, nehmen sie in die Hände oder stecken sie in die Tasche. Frauen tragen bunte Schleier, Männer lange farbige Kaftane.

Es ist die größte Moschee Schwarzafrikas, umgeben von Mausoleen. Die fünf Minarette und die blauen und pistaziengrünen Kuppeln sind schon von weitem sichtbar, Keramikmosaike zieren die Wände. Hier starb 1927 der Begründer der Muriden-Bruderschaft, Scheich Amadou Bamba.

Die Muriden gehören einer mystischen Richtung des Islam an, dem Sufismus. Die Bruderschaft ist bekannt für ihr Arbeitsethos und hat eine bedeutende wirtschaftliche Macht. Senegal ist zu 94 Prozent muslimisch, die Gläubigen sind Mitglieder in unterschiedlichen Bruderschaften. Die Muriden-Bruderschaft ist mit geschätzten drei bis vier Millionen die zweitgrößte. Mehr als ein Drittel der Senegalesen sind Muriden, darunter Staatschef Macky Sall und der vorige Präsident Abdoulaye Wade.

China finanziert Autobahn

Touba ist das heimliche Herz Senegals. Für die Muriden ist die zweitgrößte Stadt des westafrikanischen Landes "die Glückliche", ein "blühender Baum im Garten des Paradieses". Andere hingegen kritisieren einen "Staat im Staate". Der erste Gang jedes neu gewählten Präsidenten führt nach Touba. Macky Sall begann seinen Wahlkampf für die Präsidentschaftswahl am 24. Februar in der heiligen Stadt.

Mit dem Segen des "Grand Khalif" und nach Begegnungen mit den bedeutendsten Marabouts hofft Sall, die Stimmen für ein zweites Mandat zu erhalten. "2012 habe ich meine Kampagne in Touba begonnen", erklärte Sall zum Wahlkampfauftakt am 3. Februar, "das ist wichtig wegen der Bedeutung der Muriden, aber ich habe auch eine persönliche Beziehung zur Familie in Touba."

Während seiner Amtszeit entstand die Autobahn nach Touba, sie verbindet die Stadt mit der 160 Kilometer entfernten Hauptstadt Dakar - finanziert und gebaut wurde sie von China. Im Falle einer Wiederwahl verspricht Sall der Stadt einen Flughafen und eine Industriezone.

Anders als früher gibt der Kalif als oberster Führer der Muriden aber keine Wahlempfehlungen mehr, ruft nur dazu auf, dass die Wahl friedlich verlaufen möge. Der General-Kalif der Muriden gilt als einflussreichste Persönlichkeit des Landes, heißt es in einer Analyse der Konrad-Adenauer-Stiftung von 2017.

Im Inneren des Mausoleums von Scheich Amadou Bamba knien Frauen vor dem Grabmal, Männer rezitieren Koransuren. Viele singen inbrünstig, fast in Trance. Auch für Touristen gelten strenge Bekleidungsregeln. Für Frauen sind Kaftan und Schal auf dem Kopf Pflicht, Hosen sind nicht erlaubt. Tabak und Alkoholgenuss sind in der ganzen Stadt streng verboten.

Immer wieder ertönen Gesänge. Amadou Bamba hat Tausende von Gedichten geschrieben, seine Bücher befinden sich in der Bibliothek der Moschee. Die Gläubigen kennen viele auswendig, singen die typischen Muridengesänge.

Zwei Millionen Pilger

Bamba, 1853 im Senegal geboren, gründete die Bruderschaft 1883. Zweimal wurde er von den französischen Kolonialherren verbannt, weil diese seine Macht fürchteten. 1907 kehrte er aus dem Exil in Gabun in sein Heimatland zurück, 20 Jahre später starb er. An der Stelle wurde die Moschee errichtet.

Jedes Jahr pilgern 40 Tage nach dem islamischen Neujahr mindestens zwei Millionen Menschen nach Touba zum "Magal", dem "Großen Treffen" zu Ehren von Amadou Bamba. Tagelanges Beten und Singen versetzt die frommen Volksmassen in Verzückung.

Auch Künstler singen Lobgesänge auf die Stadt Touba und ihre spirituellen Führer, darunter der senegalesische Superstar Youssou N'Dour. Er wurde von Präsident Sall zum Berater mit Ministerstatus ernannt, begleitet ihn auf Wahlkampfmeetings und legte seinen Song "Touba" neu auf: Der Videoclip zeigt die neue Autobahn "Ila Touba".

Der in Senegal bekannte Sänger Cheik Lo gehört auch zur Bruderschaft. Der 63-Jährige ist eine außergewöhnliche Erscheinung: Er trägt bunte oder auch schwarz-weißes Gewänder, die von einem schwarzen breiten Gürtel gehalten werden. Seine Dreadlocks stecken unter einer Wollmütze mit langen Zipfeln. Es ist die Tracht der Muridensekte Bayefall, bei deren Zeremonien die Musik eine wichtige Rolle spielt.

"Die Philosophie des Meisters war: Bete zu Gott, als ob du morgen stirbst. Und arbeite, als ob du nie sterben wirst", so erklärte Cheik Lo einmal das Denken der Muriden. Die ausgeprägte Arbeitsethik hat die Muriden zur wichtigsten wirtschaftlichen Macht im Land gemacht. Der lukrative Erdnusshandel wird vorwiegend von ihnen kontrolliert.

Keiner zahlt Steuern

Unzählige Busse und Taxis, Handwerksbetriebe, Telecenter, Lebensmittelgeschäfte und große Teile des informellen Sektors arbeiten im Namen von Amadou Bamba. Der Stadt sieht man den Reichtum an. Die breiten Straßen sind geteert, es gibt richtige Gehwege und sogar Mülleimer.

Tatsächlich endet die Herrschaft der senegalesischen Regierung faktisch vor den Toren Toubas. Es gibt keine Polizei, niemand zahlt Steuern. Selbst die vielen bettelnden Straßenkinder im Land werden teilweise von Touba aus geleitet: Die sogenannten "Talibé" sind Schüler der Marabouts. Die Marabouts werden als eine Art Heilige betrachtet, die Gläubigen bringen ihnen Gaben, Nahrung, Geld, Geschenke.

Trotz vieler Versuche, die Jungen zu ihren Eltern oder wenigstens in die Koranschulen zurückzubringen, traut sich kaum ein Politiker, sich öffentlich den Marabouts zu widersetzen. Kein Politiker in Dakar hat eine Chance, länger an der Macht zu bleiben, wenn ihm diese Segen und Anerkennung verweigern: Der Umweltminister blieb nicht im Amt, nachdem er die Sonder-Erlaubnis zum Holzschneiden wegen des "Magal" nicht sofort erteilt hatte.

Von Martina Zimmermann (epd)


Deutsche Politiker fordern weitere Sanktionen gegen Maduro

Nach den jüngsten Zusammenstößen in Venezuela fordern deutsche Politiker weitere EU-Sanktionen gegen das Regime von Präsident Nicolas Maduro. "Die Weltgemeinschaft darf nicht zuschauen, wie die Situation in Venezuela immer weiter eskaliert", sagte der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei für die Europawahlen, Manfred Weber (CSU), der "Bild"-Zeitung (25. Februar). Die EU müsse sich weitere Reaktionen, bis hin zu Sanktionen, offenhalten.

Der FDP-Außenpolitikexperte Alexander Graf Lambsdorff betonte: "Wir können nicht tatenlos dabei zusehen, wie Maduro Hilfsgüter verbrennen und sein Volk weiter verhungern lässt." Deutschland solle zusammen mit den EU-Partnern über weitere Sanktionen beraten, die Maduro treffen können, sagte er der Zeitung. Der Grünen-Außenpolitiker Cem Özdemir erklärte, sollte sich das Regime weiter weigern, humanitäre Hilfe ins Land zu lassen, müsse die EU den Druck erhöhen.

Tote bei Zusammenstößen

Bei Zusammenstößen zwischen Anhängern des selbst ernannten Interimspräsidenten Juan Guaidó und Sicherheitskräften waren am Samstag mindestens vier Menschen getötet worden, Hunderte wurden verletzt. Venezuelas Präsident Nicolás Maduro ließ Hilfslieferungen für die hungernde Bevölkerung mit Gewalt stoppen und fachte damit den Konflikt mit der Opposition weiter an.

Gegen Venezuela sind bereits mehrere EU-Strafmaßnahmen wirksam. So gilt seit November 2017 ein Waffenembargo. Zudem wurden Einreiseverbote und Vermögenssperren für mehrere Regierungsfunktionäre erlassen.

In New York äußerte sich UN-Generalsekretär António Guterres schockiert über die jüngsten Entwicklungen in Venezuela. Eine weitere Eskalation der Staatskrise müsse vermieden werden, forderte er am 24. Februar. Die Konfliktparteien sollten sich für eine Beruhigung der Lage einsetzen, erklärte er. Bei der am 25. Februar in Genf beginnenden Sitzung wollte sich der UN-Menschenrechtsrat mit der Lage in Venezuela befassen.



"Kein Tribunal über deutsche Rüstungspolitik"

Im Prozess gegen die schwäbische Rüstungsfirma Heckler & Koch am Stuttgarter Landgericht stellt sich die Frage, ob Waffenlieferungen überhaupt lückenlos kontrolliert werden können.

Es sind wenige Minuten bis zur Urteilsverkündung. Vor dem Stuttgarter Landgericht stehen am 21. Februar rund 20 Friedensaktivisten. Eine Frau mit Gitarre singt Friedenslieder. "Andere retten Leben. Wir helfen töten", ist auf Bannern zu lesen und: "Geschäft mit dem Tod". Unter den Menschen ist auch der Rüstungsgegner Jürgen Grässlin, der mit seiner Strafanzeige vor neun Jahren den Prozess ins Rollen gebracht hat.

Insgesamt 29 Prozesstage mussten sich fünf ehemalige Angestellte des Rüstungsunternehmens Heckler & Koch wegen illegaler Waffenlieferungen verantworten. Zwei Angeklagte wurden zu Bewährungsstrafen verurteilt, sie müssen zudem eine Geldstrafe zahlen beziehungsweise gemeinnützige Arbeit leisten. Drei weitere Angeklagte wurden freigesprochen. (AZ: 13 KLs 143 Js 38100/10)

Die Mitarbeiter waren von 2006 bis 2009 an dem Verkauf von insgesamt etwa 4.700 Sturmgewehren und Zubehörteilen in mexikanische Unruheprovinzen beteiligt. Dorthin waren Waffenexporte nicht erlaubt. Auf den sogenannten Endverbleibserklärungen waren stattdessen mexikanische Bundesstaaten angegeben, in die die Lieferung von Waffen als unproblematisch galt.

3,7 Millionen Euro Strafe

Die schwäbische Rüstungsfirma Heckler & Koch wurde zu einer Zahlung von rund 3,7 Millionen Euro verurteilt - das entspricht laut Gericht dem Wert der Waffen, die in die bedenklichen Bundesstaaten gelangten. Das Unternehmen teilte nach dem Urteil mit, dass man nicht nachvollziehen könne, dass das Gericht den gesamten Kaufpreis aus dem Mexiko-Geschäft einziehen will - und nicht nur den erwirtschafteten Gewinn, den ein Anwalt auf rund 200.000 Euro bezifferte. Schließlich habe sich kein Mitglied der Geschäftsleitung strafbar gemacht und das Unternehmen von Anfang an aktiv zur Aufklärung der Vorfälle beigetragen.

Die Waffen sollen auch im September 2014 im Fall der Verschleppung von 43 Studenten im Bundesstaat Guerrero zum Einsatz gekommen sein. Der Bundesstaat galt im März 2007 wegen eines "ambitiösen Waffenprogramms" für Heckler & Koch als wichtiger Geschäftspartner, dem Mitarbeiter des Unternehmens die Waffen präsentierten - trotz Kritik an der schlechten Menschenrechtslage, die mit den Machenschaften dortiger krimineller Drogenbanden zu tun hat.

Er wisse, dass der illegale Export von Sturmgewehren besondere Emotionen hervorrufe, sagte der Vorsitzende Richter Frank Maurer in seiner Urteilsbegründung. Aber der Prozess sei "kein Tribunal über deutsche Rüstungspolitik", das die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit von Waffen kläre. Gegenstand des Strafverfahrens sei nur der illegale Waffenexport, nicht der Einsatz dieser Waffen in Mexiko. Ein Raunen ist im Gerichtssaal zu hören.

Das Gericht urteilte, dass Endverbleibserklärungen nicht Bestandteil der Genehmigung für Waffenexporte sind. Damit seien die illegalen Waffenlieferungen in die vier verbotenen Bundesstaaten Mexikos nicht nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz strafbar, sondern nur nach dem Außenwirtschaftsgesetz.

"Etikettenschwindel"

Laut dem Tübinger Rechtsanwalt Holger Rothbauer, der den Rüstungsgegner Grässlin juristisch vertritt, ist das System der Endverbleibserklärungen ein "Etikettenschwindel". Kein Mensch könne sicherstellen, dass die Waffen in Mexiko tatsächlich nur in den genehmigten Staaten verwendet werden. Von der Politik forderte er ein Rüstungsexportkontrollgesetz, um den Verbleib von Waffen aus deutscher Produktion stärker zu kontrollieren.

Für Grässlin ist der Prozess einmalig, da durch dieses Urteil ein illegaler Waffenhandel zum ersten Mal juristisch belegt sei. Zwar habe Heckler & Koch seit 2010 den Waffenexport ins gesamte Mexiko verboten. Aber die ehemaligen Mitarbeiter der Firma hätten durch ihr Verhalten dazu beigetragen, dass es zu zahlreichen Morden in Mexiko gekommen sei.

Mit diesem Verfahren ist die Frage nach der Kontrolle über den Verbleib von Waffen "Made in Germany" aber noch nicht abschließend geklärt: Am Dienstag beginnt vor dem Kieler Landgericht der Prozess gegen drei Manager des Waffenherstellers Sig Sauer. Mehr als 38.000 Pistolen aus Eckernförde sollen über die USA illegal in das Bürgerkriegsland Kolumbien gelangt sein. Strafanzeige hat ebenfalls Jürgen Grässlin als Sprecher der "Aktion Aufschrei" gestellt.

Von Judith Kubitscheck (epd)


Care: Viele Menschen leiden im Stillen


Eine Frau und ihr Enkel im Weiler Maagidayto in der Region Afar, Äthiopien (Archivfoto)
epd-bild / Bettina Rühl
In Haiti hungern 2,8 Millionen Menschen, in Äthiopien sogar acht Millionen - die Medien berichten darüber laut Hilfsorganisation Care nur selten. Das kann sich auf die Höhe der finanziellen Hilfe auswirken.

Von den zahlreichen Krisen weltweit werden einige in den Medien laut der Hilfsorganisation Care stark vernachlässigt. Innerhalb der Demokratischen Republik Kongo sei die Zahl der Vertriebenen beispielweise ähnlich hoch wie in Syrien, trotzdem erhalte die Krise im Kongo nur wenig Aufmerksamkeit in den Medien, teilte die Organisation am 21. Februar bei der Präsentation ihres Berichts "Suffering in Silence" (deutsch: "Leiden im Stillen") mit. Viele der von Gewalt oder Hunger betroffenen Menschen litten im Stillen, abseits der öffentlichen Wahrnehmung, hieß es.

Neben der anhaltenden Gewalt in der Demokratischen Republik Kongo listet der Bericht zehn weitere humanitäre Krisen auf, die im vergangenen Jahr nur wenig Schlagzeilen machten. So hätten es auch die Konflikte im Sudan, die Armut in der Zentralafrikanischen Republik, der Hunger im Niger und die Vertreibung und Unterernährung in Äthiopien nur selten in die Medien geschafft. Dies gelte auch für die Krise im Tschad, die Folgen des Wirbelsturms auf den Philippinen, die Auswirkungen des Klimawandels in Madagaskar und die Ernährungskrise in Haiti.

Den Angaben nach wurden für den Bericht 1,1 Millionen Onlineartikel in englischer, französischer und deutscher Sprache untersucht. In die Analyse seien nur Länder einbezogen worden, in denen mindestens eine Million Menschen unter einer Naturkatastrophe oder menschengemachten Krise leiden. Gab es in einem Land mehrere große Krisen, wie zum Beispiel in Äthiopien, wurden diese separat gelistet, so die Organisation.

"Die traurige Wahrheit ist, dass das Leben von über 132 Millionen Menschen weltweit im Jahr 2018 von Krisen und Konflikten bedroht war - unabhängig davon, ob wir davon gehört haben oder eben nicht", heißt es in dem Bericht weiter. Es gebe viele Gründe, warum über manche Krisen nur selten berichtet werde: eine schier unüberschaubare Zahl an Konflikten und Katastrophen, der erschwerte Zugang für Medien zu Krisengebieten oder fehlende Finanzierung.

Karl-Otto Zentel, der Generalsekretär von Care Deutschland, wies auf die große Gefahr für Journalisten in Krisengebieten hin. Allein im vergangenen Jahr seien 80 Journalisten weltweit getötet worden. Vor dem Hintergrund schwindender Ressourcen in Medienbetrieben sei eine breite Berichterstattung schwierig. "Wir beobachten mit großer Sorge, dass chronische humanitäre Krisen zunehmend um öffentliche Aufmerksamkeit konkurrieren", sagte er. Das habe auch Einfluss auf die finanziellen Hilfen: Fünf der zehn vergessenen Krisen gehörten zu den Katastrophen, die am wenigsten humanitäre Unterstützung erhalten.

Peter Felten, Referatsleiter Multilaterale Gestaltung der Humanitären Hilfe im Auswärtigen Amt, bestätigte diesen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der medialen Aufmerksamkeit und den finanziellen Mitteln, die in einer Krise bereitgestellt werden. Deutschland sei einer der größten Geber für humanitäre Hilfe weltweit. "Wir sind uns der Verantwortung bewusst, nicht nur konkrete Hilfe zu unterstützen, sondern auch darauf hinzuwirken, dass Menschen in Not, die nicht mehr im Rampenlicht der Medienöffentlichkeit stehen, die Hilfe erhalten, die sie dringend benötigen", sagte er bei der Vorstellung des Berichts. Schließlich müssten auch die privaten Spender über vergessene Krisen informiert werden.

Die Medien spielten eine entscheidende Rolle dabei, wie die Öffentlichkeit, humanitäre Helfer und internationale Organisationen auf Katastrophen reagierten, betonte Care in dem Report. Um eine ausführlichere Berichterstattung zu erreichen, empfiehlt die Organisation Politikern und Regierungen, Journalisten dabei zu unterstützen, vollen und sicheren Zugang zu Krisengebieten zu bekommen. Humanitäre Hilfe sollte sich zudem nicht nach der medialen Aufmerksamkeit richten, sondern nach dem tatsächlichen Hilfsbedarf. Journalisten und Hilfsorganisationen empfiehlt Care, enger zusammenzuarbeiten.



Amnesty International prangert Gewalt in Venezuela an

Amnesty International hat den venezolanischen Sicherheitskräften exzessive Gewalt gegen die Zivilbevölkerung vorgeworfen. Die Behörden unter Nicolás Maduro versuchten, mit aller Härte soziale Kontrolle über jene zu erlangen, die einen Regierungswechsel fordern, erklärte Erika Guevara-Rosas, Amnesty-Direktorin für Amerika, in einer am 20. Februar veröffentlichten Stellungnahme. Die Gewalt sei bei den Protesten Ende Januar eskaliert. Dabei sei es auch zu außergerichtlichen Tötungen gekommen.

Vom 21. bis 25. Januar habe es zahlreiche Demonstrationen vor allem in armen Vierteln gegeben, schreibt Amnesty International in einer Untersuchung. In diesem Zeitraum seien mindestens 41 Menschen ums Leben gekommen - alle wegen Schussverletzungen. Mehr als 900 Menschen seien vorübergehend festgenommen worden. Allein am 23. Januar, einem Tag der landesweiten Proteste, wurden laut Amnesty 700 Menschen festgenommen.

Die Menschenrechtsorganisation berichtet von außergerichtlichen Hinrichtungen durch Polizei und Militär. Hauptsächlich hätten diese Erschießungen in ärmeren Vierteln stattgefunden, in denen die Kriminalitätsrate hoch ist. Bei sechs von Amnesty dokumentierten Fällen handelte es sich um junge Männer, die von den Behörden danach als Verbrecher dargestellt worden seien. "Wie wir schon viele Male in Venezuela gesehen haben, möchten die Behörden uns weismachen, dass diejenigen, die während der Proteste zu Tode gekommen sind - hauptsächlich junge Menschen aus Gegenden mit geringem Einkommen - Kriminelle waren", erklärte Guevara-Rosas: "Doch ihr einziges Verbrechen war, dass sie es wagten, eine Veränderung und ein Leben in Würde einzufordern."

Die Menschenrechtsorganisation prangert weiter die Inhaftierung von Minderjährigen an. Laut der venezolanischen Organisation "Foro Penal" wurden allein im Zeitraum vom 21. bis zum 31. Januar 137 Kinder und Jugendliche festgenommen. Bei vier untersuchten Inhaftierungen von Teenagern heißt es in dem Amnesty-Bericht: Die Jugendlichen seien acht Tage in einem sogenannten Rehabilitationszentrum für Minderjährige inhaftiert worden, wo ihnen die Haare geschoren worden seien und sie Parolen wie "Wir sind die Kinder von Hugo Chávez" hätten singen müssen.

In Venezuela tobt ein Machtkampf zwischen Präsident Nicolás Maduro und der Opposition. Parlamentspräsident Juan Guaidó rief sich am 23. Januar zum Übergangsstaatschef aus, inzwischen haben ihn mehr als 40 Länder anerkannt, darunter die USA und Kanada, viele lateinamerikanische Länder sowie zahlreiche EU-Staaten wie Deutschland, Frankreich und Spanien. Das Militär ist noch Maduros größter Machtfaktor.



Deutlich mehr Flüchtlinge aus Venezuela in Deutschland

Die sich zuspitzende Krise in Venezuela führt auch in Deutschland zu steigenden Flüchtlingszuzügen aus dem südamerikanischen Land. In Sachsen, das für die Bearbeitung venezolanischer Asylfälle zuständig ist, kamen im vergangenen Jahr 393 Flüchtlinge aus dem Land an, wie das Landesinnenministerium in Dresden dem Evangelischen Pressedienst (epd) auf Anfrage mitteilte. 2017 waren es demnach noch 184 Flüchtlinge gewesen, im Jahr davor 77. Ende Januar 2019 befanden sich insgesamt 395 Venezolaner in Sachsen in kommunaler Unterbringung, wie es weiter hieß.

Wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in Nürnberg auf epd-Anfrage mitteilte, hat sich die Zahl der von Venezolanern in Deutschland gestellten Asylanträge innerhalb eines Jahres auf 407 Stück im Jahr 2018 fast verdoppelt. Vor zwei Jahren waren demnach noch 206 Anträge gestellt worden. 2016 seien es 88 gewesen.

Mehr als 90 Prozent der Anträge aus dem vergangenen Jahr gingen den Angaben zufolge in den sächsischen Außenstellen des Bamf in Dresden und Leipzig ein. Dort wurden 2018 insgesamt 265 Asylentscheidungen getroffen. Die übrigen Anträge wurden in mehreren anderen Bundesländern gestellt oder bearbeitet.

Laut Sachsens Innenministerium wurden im vergangenen Jahr 17 venezolanische Antragsteller als Asylberechtigte nach Grundgesetzartikel 16a anerkannt. 46 Personen erhielten eine Anerkennung als Flüchtlinge gemäß Paragraf 3 des Asylgesetzes, vier Venezolanern wurde subsidiärer Schutz zugestanden. Hinzu kamen 20 Abschiebeverbote. 167 Anträge wurden abgelehnt, in elf Fällen wurden die Verfahren anderweitig erledigt. Deutschlandweit lag die Schutzquote für venezolanische Asylbewerber 2018 laut Bundesamt bei 31,4 Prozent.

In Venezuela tobt ein Machtkampf zwischen Regierung und Opposition. Schon seit Jahren herrscht eine massive Wirtschaftskrise, es fehlt an Grundnahrungsmitteln und Medikamenten. Von etwa 30 Millionen Einwohnern drohen nach Angaben der Opposition bis zu 300.000 zu verhungern. Der sozialistische Präsident Nicolás Maduro verweigert die Einfuhr internationaler Hilfslieferungen. In der kolumbianischen Grenzstadt Cúcuta lagern laut Opposition tonnenweise Hilfsgüter mit Lebensmitteln und Medikamenten.

Parlamentspräsident Juan Guaidó hatte sich im politischen Machtkampf mit Maduro am 23. Januar 2019 zum Übergangsstaatschef ausgerufen. Inzwischen haben ihn mehr als 40 Länder als legitimen Interimsstaatschef anerkannt, darunter Kanada, viele lateinamerikanische Länder sowie zahlreiche EU-Staaten wie Deutschland, Frankreich und Spanien.



Wenn Bücher ihre Hüllen fallen lassen


Plastikmüll in einer Berliner Buchhandlung
epd-bild / Jürgen Blume
Obwohl Bücher aus Papier bestehen, fallen im Buchhandel viele Tonnen Plastikmüll an. Denn ein Großteil der Hardcover-Bände ist in Folie eingeschweißt. In der Branche setzt aber derzeit ein Umdenken ein.

Der kleine Junge sitzt mitten in einer Buchhandlung und verschwindet fast hinter einem riesigen Berg zerknüllter Klarsichtfolien. "So sieht es aus, wenn wir den Plastikmüll einer Woche in die Buchhandlung kippen", kommentierte die Hamburger Buchhändlerin Ragna Lüders das Bild Ende Januar auf Instagram. Das Foto bekam fast 1.400 Likes und viele zustimmende Kommentare. Denn die Buchhändlerin fordert mit ihrem Post in dem sozialen Netzwerk, auf die Folieneinschweißung von Büchern zu verzichten.

Plastikverpackungen geraten zunehmend in Verruf, seit die Verschmutzung der Meere, des Abwassers und des Bodens durch Kunststoffpartikel ein immer größeres Thema wird. Supermarktketten beginnen darüber nachzudenken, wie man Plastikverpackungen bei Obst und Gemüse vermeiden kann. Und in vielen Städten gibt es mittlerweile Läden, die Lebensmittel lose verkaufen. Während der unverpackte Verkauf von Lebensmitteln aber oft gar nicht so einfach umzusetzen ist, gibt es Produkte, bei denen ein Verzicht völlig unproblematisch wäre.

Ullstein und Hanser Vorreiter

Das Einschweißen von Büchern etwa findet Ragna Lüders absolut überflüssig. "Wir freuen uns und danken euch, wenn ihr uns die Bücher ohne Plastikfolie liefert", appelliert die Händlerin deshalb an die Verlage. Tatsächlich setzt in der Branche derzeit ein Umdenken ein. Einige Verlage haben bereits den Verzicht auf Einschweißfolie angekündigt, darunter der Ullstein Verlag, der seine Frühjahrstitel weitgehend plastikfrei ausliefern will. "Das sind 95 Prozent der Hardcover-Novitäten mit einer Startauflage von 140.000 Exemplaren, die bislang selbstverständlich eingeschweißt wurden", erklärt Verlagssprecherin Bettina Kasten.

Die Entscheidung sei gefallen, nachdem der Verlag den Verzicht auf die Plastikfolie im Herbst 2018 bei einem einzelnen Bestseller erfolgreich getestet hatte: Mit dem neuen Titel "Muttertag" von Nele Neuhaus schickte Ullstein erstmals nicht eingeschweißte Hardcover-Bücher in den Handel. "Die Resonanz im Buchhandel und beim Endkunden war sehr gut", stellt Kasten fest. Insgesamt gab es nach Angaben der Verlagsgruppe Bonnier Media, zu der Ullstein gehört, sogar weniger Remissionen, also reklamierte Bücher, als bei dem vorangegangenen, eingeschweißten Titel der Autorin.

Auch der Hanser Verlag will künftig auf die Plastikumhüllung seiner Bücher verzichten. Ab Herbst dieses Jahres würden 80 bis 90 Prozent der Titel ohne Einschweißfolie ausgeliefert, sagt die Leiterin der Abteilung Herstellung, Stefanie Schelleis. Nur einige besonders aufwendig ausgestattete oder hochpreisige Titel würden noch eingeschweißt. "Das war keine einfache Entscheidung", sagt Schelleis. Der Verlag wolle jedoch damit Wünschen des Buchhandels nachkommen und einen Beitrag zum Umweltschutz leisten. Nennenswerte finanzielle Einsparungen erwarte Hanser nicht.

Weniger Buchschleifen

Denn damit die Bücher auch künftig möglichst unversehrt im Handel ankommen, müsse einiges bei der Umschlaggestaltung berücksichtigt werden, erklärt Schelleis. Der Verzicht auf Folierung habe zum Teil Konsequenzen für die Papierwahl. Außerdem werde es zum Beispiel weniger Aufkleber oder Buchschleifen, also Papierstreifen um den Einband, geben. Der Verlag warte nun gespannt die Reaktionen auf den Folienverzicht ab. "Es ist ein Risiko, denn die Bücher werden künftig ungeschützter sein", sagt Schelleis. "Wir gehen aber davon aus, dass es funktionieren wird."

Damit künftig mehr Verlage dauerhaft auf Plastikfolie verzichten, seien aber auch die Kunden gefordert, sagt Ulrike Helmer, Verlegerin des unabhängigen Ulrike Helmer Verlags in Roßdorf bei Darmstadt. Auch sie würde gerne auf das Einschweißen der Bücher verzichten, ist jedoch skeptisch, ob die Käufer das akzeptieren würden.

"In Deutschland gibt es immer noch die Haltung, dass an einem Buch kein kleiner Knick oder Kratzer sein darf", sagt Helmer, die früher selbst Buchhändlerin war. "Viele Leute meinen, dass selbst der Schutzumschlag makellos sein muss." Dabei sei die Papierhülle doch dazu da, den eigentlichen Buchdeckel zu schützen. Wenn auf die Einschweißung verzichtet werden solle, müsse sich die Einstellung der Kunden ändern.

Der Hanser Verlag setzt hingegen darauf, dass die Kundschaft mittlerweile reif für diesen Schritt ist. "Wir erwarten die Kooperation der Buchhändler, aber auch der Kunden", sagt Schelleis.

Und Buchhändlerin Lüders hofft, dass mehr Verlage diesem Beispiel folgen. Sie kündigte im Gespräch mit dem "Börsenblatt des Deutschen Buchhandels" einen gemeinsamen Brief mit anderen Buchhändlern an alle größeren Verlage an: Er soll dazu aufrufen, auf die Folie zu verzichten.

Von Claudia Rometsch (epd)


Verbände warnen vor Scheitern des Kohlekompromisses


Braunkohletagebau in Brandenburg
epd-bild / Rolf Zöllner
Monatelang verhandelten Politik, Industrie und Umweltverbände über den Ausstieg aus der Kohleverstromung. Der gefundene Kompromiss sieht erste Kraftwerksstilllegungen zunächst im Westen vor. Doch dagegen formiert sich offenbar neuer Widerstand.

Umweltverbände haben eine schnelle Umsetzung der Empfehlungen der Kohlekommission angemahnt. Deutschlands Ausstieg aus der Kohle müsse umgehend mit Abschaltungen im Rheinischen Revier starten, damit der Kompromiss der Kohlekommission erfolgreich ist, erklärten Vertreter von Greenpeace, BUND und Deutschem Naturschutzring (DNR) am 18. Februar in Berlin.

Zugleich warnten die Umweltverbände davor, "den mühsam errungenen Kohlekompromiss zu zerreden". Greenpeace, BUND und der Dachverband DNR waren Mitglieder der Kommission, die Ende Januar ihre Vorschläge zum Klimaschutz vorstellte und einen Ausstieg Deutschlands aus der Kohleverstromung bis spätestens 2038 vorgeschlagen hat.

Die Politik müsse glaubwürdig bleiben, forderte Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser. Das bedeute, dass bis spätestens 2022 wie vorgesehen drei Gigawatt der ältesten Braunkohleblöcke der Kraftwerke Niederaußem und Neurath vom Netz genommen werden. Kaiser reagierte damit auf einen Bericht der Landesregierung Nordrhein-Westfalen an den Landtag, demzufolge nur noch 2,4 Gigawatt anstatt der vereinbarten drei Gigawatt stillgelegt werden sollen. Kaiser warnte vor einem Aufkündigen des "Minimalkompromisses".

Der BUND-Vorsitzende, Hubert Weiger, sagte, die Stilllegung von drei Gigawatt sei "zentrale Grundlage für die Akzeptanz des Kohlekompromisses" und nicht verhandelbar. Zudem fordert Weiger einen Stopp für weitere Umsiedelungen von Dörfern und Abholzungen von Wäldern. Nach dem Kohlekompromiss müssten die Landesregierungen von Sachsen, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen schnell ihre Braunkohleplanungen überarbeiten. Den Bergbaukonzernen LEAG und RWE werfen die Umweltverbände vor, trotz des Kohlekompromisses weiterhin Fakten zu schaffen und die Zerstörung von Dörfern voranzutreiben.

Von der Bundesregierung fordern die Umweltverbände, das Gesetz zum Kohleausstieg noch vor der Sommerpause auf den Weg zu bringen, um den gefunden Kompromiss "in trockene Tücher zu bringen", wie der Präsident des Deutschen Naturschutzrings (DNR), Kai Niebert, betonte. "Wenn der Kohleausstieg jetzt sehr schnell im Westen startet, ist das das richtige Signal, um den offenen Konflikt um das Tempo beim Klimaschutz, den Erhalt des Hambacher Walds und der bedrohten Dörfer zu entschärfen", sagt Greenpeace-Geschäftsführer Kaiser.

"Mit den Eckpunkten des Kohlekompromisses können die Dörfer in Ost und West gerettet werden", sagte Weiger. "Die Landesregierungen sind in der Verantwortung, der weiteren Zerstörung jetzt Einhalt zu gebieten."

Niebert unterstrich, "durch die Empfehlungen der Kommission hat die Bundeskanzlerin nun Zusagen von Industrie, Gewerkschaften und Umweltverbänden, um in ein kohlefreies Zeitalter zu starten". Das sei ein historischer Moment. "Die Regierung sollte ihn nutzen, um jetzt die ersten Kraftwerke abzuschalten und einen stetigen Ausstiegspfad festzulegen", fügte Niebert hinzu.



Erneut Bagger in sächsischem Tagebau besetzt

Wieder erklimmen Klimaaktivisten einen Großbagger in einem Braunkohle-Tagebau, wieder beendet die Polizei die Aktion. Wie schon vor zwei Wochen in Brandenburg wollen die Besetzer auch diesmal ihre Identität nicht preisgeben. Sie sitzen in Gewahrsam.

Gut zwei Wochen nach der Besetzung mehrerer Bagger in drei ostdeutschen Braunkohle-Tagebauen haben Aktivisten am 20. Februar erneut ein Großgerät nahe Leipzig lahmgelegt. Die zwei Frauen und zwei Männer kletterten am frühen Morgen auf einen Bagger im Tagebau Vereinigtes Schleenhain und hängten dort ein Transparent auf, wie die Polizeidirektion Leipzig mitteilte. Nach etwa vier Stunden beendete die Polizei die Besetzung. Auch ein Hubschrauber war zwischenzeitlich im Einsatz.

Da die Aktivisten auch nach mehrfacher Aufforderung nicht von dem Bagger gestiegen seien, hätten Einsatzkräfte sie heruntergeholt, erklärte die Polizei. Drei der Betroffenen leisteten Widerstand. Anschließend wurden die Besetzer zur Identitätsfeststellung in Leipzig in Polizeigewahrsam genommen. Der Betreiber des Tagebaus, die Mitteldeutsche Braunkohlegesellschaft (Mibrag), erstattete Anzeige wegen Hausfriedensbruchs.

Im Internet bekannte sich am Mittwoch eine Gruppe mit dem Namen "Reisegruppe Digger" zu der Störaktion. Auf Twitter verbreiteten die Aktivisten ein Foto, das das an dem Bagger befestige Transparent zeigte. Es trug die Aufschrift: "Lieber Haft als Kohlekraft, doch beides gehört abgeschafft."

Auf der Plattform indymedia.org tauchte am Mittwoch ein Schreiben auf, in dem die Gruppe mitteilte, mit der Aktion "Kohle-Infrastruktur blockieren" und sich mit drei in Brandenburg in Untersuchungshaft sitzenden Tagebaubesetzern solidarisieren zu wollen. "Es ist uns wichtig, klar zu zeigen, dass weder ansteigende Repressionen, noch eine verschobene öffentliche Debatte unseren Kampf für Klimagerechtigkeit eindämmen können", hieß es in dem Schreiben.

Erst am 4. Februar hatten Aktivisten in dem Tagebau sowie in zwei weiteren Abbaugebieten in der brandenburgischen Niederlausitz über Stunden mehrere Großbagger besetzt. Die Besetzungen waren Teil einer Aktionswoche des Bündnisses "Ende Gelände" aus Protest gegen die Beschlüsse der Kohlekommission. Die Aktivisten forderten unter anderem einen sofortigen Ausstieg aus der Kohleverstromung.

Während die Besetzung in dem sächsischen Tagebau nach wenigen Stunden beendet worden war und die Aktivisten bald freigelassen wurden, dauerten die Aktionen in Brandenburg zum Teil bis in den späten Abend. Die Lausitzer Besetzer wurden vorübergehend in Untersuchungshaft genommen, weil sie ihre Identitäten nicht preisgeben wollten. Von den ursprünglich 18 Personen sitzen laut einem Sprecher des Amtsgerichts Cottbus weiterhin drei in Untersuchungshaft. Das Gericht verhandelt ab kommenden Montag in dem Fall, wie der Sprecher ankündigte.

Der Sprecher der Leipziger Polizei sagte dem epd, man könne die Besetzer vom Mittwoch zunächst bis 24 Uhr des Folgetages festhalten. Sollten sie auch bis dahin ihre Identitäten nicht preisgeben, werde die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Diese habe dann über das weitere Vorgehen zu entscheiden.



Letzte Tagebaubesetzerin wieder frei

Nach der Blockade eines Baggers im Braunkohletagebau Vereinigtes Schleenhain nahe Leipzig ist am 23. Februar auch die letzte Besetzerin aus dem Polizeigewahrsam entlassen worden. Das sagte eine Sprecherin der Polizeidirektion Leipzig dem Evangelischen Pressedienst (epd) auf Anfrage. Zuvor hätten mehrere Unterstützer mit einer Mahnwache für die Freilassung der Aktivistin demonstriert. Weitere Angaben machte die Polizeisprecherin nicht.

Die Aktivistengruppe erklärte im Kurznachrichtendienst Twitter, die junge Frau habe ihre Identität der Polizei gegenüber nicht preisgegeben. Weiter hieß es: "Wir sind super froh, dass alle vier Aktivisti nun wieder in unseren Armen sind."

Am Mittwochmorgen hatten insgesamt zwei Frauen und zwei Männer in dem Tagebau südlich von Leipzig einen Braunkohlebagger erklommen und ein Transparent aufgehängt. Nach rund vier Stunden beendete die Polizei die Aktion und nahm die Besetzer in Gewahrsam. Einer von ihnen war bereits am 20. Februar entlassen worden, zwei weitere am Donnerstag. Der Betreiber des Tagebaus, die Mitteldeutsche Braunkohlegesellschaft (Mibrag), erstattete Anzeige wegen Hausfriedensbruchs.

Im Internet hatte sich eine Gruppe unter dem Namen "Reisegruppe Digger" zu der Störaktion bekannt. Zur Begründung hieß es unter anderem, man wolle sich mit in Brandenburg in Untersuchungshaft sitzenden Besetzern solidarisieren. Dort waren vor zweieinhalb Wochen ebenfalls Bagger in zwei Tagebauen besetzt worden. Insgesamt 18 Aktivisten waren zwischenzeitlich in U-Haft genommen worden, weil sie ihre Identitäten nicht preisgeben wollten.



Scholz dringt auf schnellen Wandel in Kohlerevieren

Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) fordert rasche und kluge Entscheidungen für den Kohleausstieg in Deutschland. "Die gesamte Regierung steht in der Pflicht, dass der beschlossene Kohleausstieg klappt", sagte Scholz der Düsseldorfer "Rheinischen Post" (23. Februar). Eine sichere und bezahlbare Energieversorgung ohne Atomkraft und Kohle könnte nach seinen Worten ein zentraler Wettbewerbsvorteil für Deutschland der 2030er Jahre werden.

Zugleich appellierte der SPD-Politiker an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), es dürfe keine Zeit verloren werden. Bei den Empfehlungen der Kohlekommission zum Ausstieg aus der Kohleverstromung bis spätestens 2038 gehe es um einen Strukturwandel in den Revieren. "Es geht aber auch um die Zukunftsfähigkeit unseres Landes, um Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum", sagte Scholz. Noch in diesem Jahr müssten alle Planungen dafür veranlasst werden, erläuterte der Minister: Ein Netzplan für das Strom- und Gasnetz sowie ein Ausbaugesetz für die Fertigstellung der Leitungen und zur Verhinderung von Blackouts zählten dazu.



Klima- und Energiekonzept für Sachsen-Anhalt liegt vor

Das Klima- und Energiekonzept für Sachsen-Anhalt kann jetzt umgesetzt werden. Es beinhaltet Vorschläge zur Einsparung von Treibhausgasemissionen aus Sicht des Klimaschutzes und bezieht dabei auch den Energiebereich mit ein, wie Sachsen-Anhalts Umweltministerin Claudia Dalbert (Grüne) am 19. Februar in Magdeburg mitteilte. Ziel der Landesregierung ist es, bis 2020 die Treibhausgasemissionen im Land auf 31,3 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente zu begrenzen. Das bedeutet gegenüber 2012 eine Reduktion um 5,2 Millionen Tonnen. Noch beträgt die Emissionslücke etwa 1,8 Millionen Tonnen.

Mit Blick auf den Klimawandel verwies Dalbert auch auf die extreme Dürre im vergangenen Jahr, unter deren Folgen das Land immer noch leide. In das Konzept, das ursprünglich schon zum Jahresende vorliegen sollte, sind auch die Ergebnisse der Kohlekommission der Bundesregierung eingeflossen. Deutschland werde unumkehrbar aus der klimaschädlichen Kohle aussteigen, so Dalbert. Der Vorschlag der Kohlekommission sei der Startschuss für den anstehenden politischen Prozess. Über den Braunkohleausstieg hinaus seien aber weitere Anstrengungen für den Klimaschutz und die erfolgreiche Umsetzung der Energiewende erforderlich.

In die Erstellung des Konzeptes wurden unter anderem Vertreter von Ministerien, kommunalen Spitzenverbänden, Energieverbänden, Kirchen und Naturschutzverbänden einbezogen. Es gab laut Dalbert einen umfangreichen Beteiligungsprozess. Dabei seien 330 Vorschläge zur Einsparung von Treibhausgasemissionen diskutiert worden, sagte Dalbert. Diese wurden zu 72 Maßnahmen zusammengefasst. Für 38 Maßnahmen konnten die Einsparungen konkret berechnet werden.

Für die Energiewirtschaft, Gebäude, Verkehr, Industrie und Wirtschaft sowie Land- und Forstwirtschaft wurden Maßnahmen mit dem größten Einsparungspotential ermittelt. Beispiele dafür sind der Einsatz von Photovoltaik, die Elektromobilität für Autos, die Steigerung der Nutzung industrieller und gewerblicher Abwärme und die Sicherung produktiver und klimastabiler Wälder. Die Umsetzung des Klima- und Energiekonzeptes fällt nun in die Verantwortung der jeweils zuständigen Ressorts.



Umweltbundesamt: Strengere Umweltstandards für Rohstoff-Abbau nötig

Das Umweltbundesamt (UBA) dringt angesichts eines steigenden Rohstoffbedarfs auf strengere Umweltstandards im Bergbau. Als Großimporteur habe Deutschland eine Mitverantwortung für die durch den Rohstoff-Abbau weltweit verursachten Schäden, sagte UBA-Präsidentin Maria Krautzberger am 19. Februar in Dessau-Roßlau. "Wir sollten mit der EU auf international verbindliche Umweltstandards entlang der Rohstofflieferkette vom Bergwerk bis zur Rohstoffaufbereitung drängen", fügte sie hinzu.

Die neuen Pflichten müssten als zweite Säule der Rohstoffsicherung neben das Recycling treten, so Krautzberger. Sonst könne nicht sichergestellt werden, dass Deutschland seinen Rohstoffbedarf künftig aus ökologisch unbedenklichen Quellen decken könne. Deutschland ist den Angaben zufolge einer der größten Rohstoff-Importeure der Welt: bei Aluminium, Blei, Kupfer und Zinn der fünftgrößte Nachfrager und bei Stahl der sechstgrößte. Prognosen zufolge wird sich die weltweite Nachfrage für Metalle bis 2060 gegenüber 2011 nahezu verdreifachen.

Die Behörde verwies auch auf Umweltschäden durch unsachgemäßen Minenbetrieb: Allein beim Bruch des Fundão Damms in Brasilien 2015 sei ein Schaden von mindestens 4,6 Milliarden Euro entstanden. 33 Millionen Kubikmeter zum Teil giftiger Bergbauabfälle wurden freigesetzt. Die hochbelastete Schlammlawine ergoss sich 17 Tage nach dem Unglück in den 650 Kilometer entfernten Atlantik. Krautzberger sagte: "Solche Umweltschäden sind vermeidbar, wenn anspruchsvolle Umweltstandards implementiert, kontrolliert und eingehalten werden. Wir müssen verhindern, dass unterlassener Umweltschutz zum unkalkulierbaren Kostentreiber für unsere auf Rohstoffe angewiesenen Unternehmen wird."

Zudem führe die Rohstoffgewinnung zu einem hohen Energie- und Wasserverbrauch, zur Auswaschung von Schwermetallen oder Radioisotopen in Boden oder Grundwasser. Krautzberger sagte: "Auch für die Energiewende sind wir von neu abgebauten Rohstoffen abhängig, da nicht genügend Recycling-Material vorhanden ist." Beispielsweise könne Lithium für Energiespeicher derzeit noch nicht wirtschaftlich aus schon vorhandenen Batterien wiedergewonnen werden und müsse aus Bodenschätzen vor allem in Übersee neu gewonnen werden.



Experten sehen Einsparpotenzial bei Straßenbeleuchtung

Die Kommunen des Landes geben nach Angaben der Thüringer Energie- und GreenTech-Agentur im Durchschnitt pro Einwohner und Jahr etwa zehn Euro für die Energiekosten ihrer Straßenbeleuchtung aus. Würden die rund 355.000 Straßenlaternen im Land vollständig modernisiert und optimiert, ließen sich jährlich rund zwölf Millionen Euro Energiekosten sparen und 41.000 Tonnen Kohlendioxid-Emissionen vermeiden, teilte die Landesenergieagentur unter Verweis auf eigene Berechnungen am 22. Februar in Erfurt mit.

Man habe selbst bereits an der Optimierung von rund 48.000 Straßenleuchten - das sind etwa 13 Prozent des Thüringer Bestandes - mitgewirkt, hieß es. Im Schnitt zahlten die Kommunen danach 59 Prozent weniger Energiekosten. Das rechne sich gerade in den kleineren Kommunen, in deren Haushalten die Straßenbeleuchtung oft den mit Abstand größten Posten bei den Stromausgaben ausmachten, sagte Agentur-Geschäftsführer Dieter Sell.

Eine Umfrage unter Thüringer Kommunen habe gezeigt, das besonders kleinere Städte und Gemeinden mit einem Bestand von bis zu 3.000 Straßenleuchten die Angebote der Landesenergieagentur nutzen. Sie berät Unternehmen, Kommunen, Bürger und Politik unter anderem zu Fragen der erneuerbare Energien und der nachhaltigen Mobilität. Sie agiert im Landesauftrag nach eigenem Verständnis markt- und anbieterneutral und sieht sich als unabhängige Einrichtung im vorwettbewerblichen Bereich.



Neue App für klimaschonendes Reisen

Eine neue App will klimaschonendes Reisen fördern. Die kostenlose App wird von der gemeinnützigen Klima-Kollekte - Kirchlicher Kompensationsfonds gGmbH angeboten und unterstützt den Angaben zufolge Nutzerinnen und Nutzer dabei, den eigenen CO2-Ausstoß zu reflektieren, klimafreundliche und alternative Verkehrsmittel zu finden und im letzten Schritt unvermeidbare Emissionen zu kompensieren. Außerdem erhielten die Nutzer wöchentlich Klima-Tipps als Push-Nachrichten auf ihr Smartphone, die Anregungen für einen ressourcensparenden und klimafreundlichen Lebensstil geben, teilte die Klima-Kollekte am 18. Februar in Berlin mit.

Darüber hinaus gebe die App einen Überblick über die nachhaltigen Klimaschutzprojekte der Klima-Kollekte. Deren Qualität habe die Stiftung Warentest im vergangenen Jahr mit "sehr gut" bewertet. Nicht nur die Berechnung der CO2-Emissionen und die Übersicht über klimafreundlichere Alternativen, sondern auch die Kompensation unvermeidbarer Emissionen seien benutzerfreundlich mit wenigen Klicks ausgeführt, urteilte die Stiftung Warentest. Die Zahlung sei möglich mit PayPal, SEPA-Lastschrift und Kreditkarte.

"Oft fehlt das Wissen über die eigenen, mobilitätsbedingten Emissionen. Hier setzt die App der Klima-Kollekte an, denn sie schafft ein Bewusstsein hinsichtlich des CO2-Austoßes und bietet praktische Möglichkeiten, klimaschonender zu reisen", erklärte die Geschäftsführerin der Klima-Kollekte, Olivia Henke. Die Entwicklung der App und deren Verbreitung werden aus dem Fonds für Mobilitätskultur des Rates für Nachhaltige Entwicklung gefördert.




Medien & Kultur

"Witbooi-Bibel" reist zurück


Bibel und Peitsche von Hendrik Witbooi (1830-1905)
epd-bild / Gerhard Bäuerle
Das Stuttgarter Linden-Museum gibt ein Kulturgut aus der Kolonialzeit an Namibia zurück. Die Bibel und die Peitsche des einstigen Nama-Anführers Hendrik Witbooi wird Ende Februar in das südafrikanische Land zurückkehren.

Es ist bundesweit eine der ersten bedeutenden Restitutionen von afrikanischen Kulturgütern der Kolonialzeit: Die "Witbooi-Bibel", seit mehr als hundert Jahren im Besitz des Stuttgarter Linden-Museums, wird Ende Februar nach Namibia zurückkehren. Im letzten Moment wollten Vertreter der Nama die Rückgabe an die Regierung des südafrikanischen Landes noch platzen lassen. Doch die Stuttgarter Verfassungsrichter wiesen ihre Klage ab. Der Streit ist ein Paradebeispiel für die Schwierigkeiten von Restitutionen.

Im gut versicherten Handgepäck von Museumschefin Inés de Castro soll das Buch nun zurückreisen. Die Ethnologin und Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) wollen das Neue Testament des einstigen Nama-Anführers Hendrik Witbooi (um 1830-1905) und dessen Peitsche in einer Zeremonie am 28. Februar an namibische Regierungsvertreter übergeben.

Kritik an der Entscheidung

De Castro nennt die Rückgabe eine "moralische Verpflichtung". Seit 2013 hatte Namibia - ehemals Deutsch-Südwestafrika - mit dem Land Baden-Württemberg darüber verhandelt. Es gab intensive Gespräche mit den Nachfahren Witboois und Nama-Vertretern. Die Familie stimmte schließlich der Übergabe an die Regierung zu, sie wird die Zeremonie an ihrem Stammsitz in Gibeon im Süden Namibias mitgestalten.

Unter den Nama gibt es allerdings auch Kritik an der Entscheidung. So versuchte die Vereinigung der Nama-Stammesältesten (NTLA), die selbst Anspruch auf das Kulturerbe erhebt, die Übergabe vor dem baden-württembergischen Verfassungsgerichtshof zu stoppen. Das Gericht sah ihren Antrag als unzulässig an. Vieles spreche dafür, den Rechtsstreit um die Eigentumsfrage innerhalb Namibias zu klären, hieß es.

Hendrik Witbooi, der christlich erzogene "Kaptein" der Nama in Deutsch-Südwestafrika, hatte zunächst mit den Deutschen kooperiert, dann aber den Aufstand seines Volkes und der Herero gegen die Kolonialherren angeführt, der 1908 brutal niedergeschlagen wurde. Er starb bereits 1905 an einer Kriegsverletzung. Seine in Nama-Sprache verfasste und mit handschriftlichen Vermerken versehene Familienbibel wurde wohl schon 1893 von den kolonialen Truppen erbeutet.

Zusammenarbeit mit den Herkunftsgesellschaften

Wie sie in den Besitz des Berliner Hofrats von Wassmannsdorf kam, der zwischen 1895 und 1898 "kommissarischer Intendant für die Schutztruppe und Chef der Finanzverwaltung" in Deutsch-Südwestafrika war, ist nicht bekannt. Wassmannsdorf schenkte das Buch jedenfalls dem Vorläufer des 1911 eröffneten Linden-Museums.

Das Völkerkundemuseum setzt heute auf Zusammenarbeit mit den Herkunftsgesellschaften seiner Objekte. Auch künftig sollten mögliche Rückgaben mit "dialogischen Prozessen" verbunden werden, sagt Museumschefin de Castro, die weiteren Restitutionen grundsätzlich offen gegenübersteht.

Unterdessen deutet sich im Deutschen Historischen Museum in Berlin die nächste Rückgabe an: das Cape Cross, eine von den Portugiesen im 15. Jahrhundert aufgestellte steinerne Säule mit Kreuz. Namibia erhob 2017 Anspruch auf die Säule, die Kaiser Wilhelm II. nach Berlin bringen ließ. Bei einem Symposium im Sommer wurde als Lösung angedacht: Rückgabe und zugleich Aufbereitung der Geschichte des Cape Cross anhand einer Kopie in Berlin. Doch das letzte Wort ist noch nicht gefallen.

Gemeinsame Aufarbeitung

"Restitution sollte nicht als Nullsummenspiel betrachtet werden, wobei entweder der eine oder der andere alles bekommt, sondern sollte zur Win-win-Geschichte werden", sagt der Sondergesandte der Bundesregierung für deutsch-namibische Beziehungen, Ruprecht Polenz (CDU). Er nennt das Cape Cross und die gemeinsame Aufarbeitung seiner Geschichte als Beispiel. In diese Richtung würden mit Namibia Wege gesucht. Der Weg über Recht und die Eigentumsfrage führe nicht zum Ziel; oft lasse sich gar nicht genau klären, wie die Objekte in deutschen Besitz gekommen seien, erläutert der CDU-Politiker die deutsche Linie, Gespräch und Kooperationen mit den Herkunftsländern zu suchen.

Die Eigentumsfrage ist schwierig, wie auch die Klage der Nama-Aktivisten zeigt. Im Falle von Witboois Bibel und Peitsche entzündet sich an ihr auch die Auseinandersetzung um den künftigen Ausstellungsort. Laut namibischer Botschaft ist er noch Gegenstand von Verhandlungen – auch wenn die Bibel zunächst ins Nationalarchiv gebracht werden soll. Gaob PSM Kooper, Vorsitzender der NTLA, erklärte beizeiten, die für sein Volk wichtigen Gegenstände sollten an die Nama und nicht an die Regierung gehen, die nicht "kulturell homogen" sei. Der Staat habe nicht das Recht, über sie zu verfügen.

Von Renate Kortheuer-Schüring (epd)


ARD verteidigt "Framing-Manual"


Fernsehbild der ARD (Archivbild)
epd-bild / Norbert Neetz
Kritiker werfen der ARD vor, mit ihrem "Framing-Manual" die öffentliche Meinung unzulässig manipulieren zu wollen. Der amtierende ARD-Vorsitzende Wilhelm hält die "Aufregung um das Papier" für "völlig übertrieben".

Der amtierende ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm hat die Kritik am umstrittenen "Framing-Manual" des Senderverbundes zurückgewiesen. "Die Aufregung um das Papier halte ich für völlig übertrieben. Es handelt sich um eine Workshop-Unterlage von 2017 und nicht um eine verbindliche Kommunikationsstrategie oder um eine Handlungsanweisung an die Mitarbeitenden", erklärte Wilhelm am 19. Februar in München. Jede Landesrundfunkanstalt habe frei entschieden, wie sie mit den Erkenntnissen umgeht.

Zuvor hatte die ARD-Generalsekretärin Susanne Pfab dem Evangelischen Pressedienst (epd) gesagt, wissenschaftliche Expertise für die professionelle Kommunikation einzuholen, sei für nahezu jedes Unternehmen und nahezu jede Institution ein ganz normaler Vorgang. Die Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Wehling hatte das 89-seitige Dokument mit dem Titel "Framing-Manual" bereits vor zwei Jahren im Auftrag des MDR erstellt, der damals den ARD-Vorsitz innehatte. Die Kosten für die Arbeitsunterlage und begleitende Workshops hätten sich auf 90.000 Euro belaufen, die der MDR als Vorsitzanstalt bezahlt habe, teilte die ARD am Dienstag mit. 30.000 Euro habe zudem das ARD-Generalsekretariat für Folgeworkshops bezahlt.

Das Blog "netzpolitik.org" hatte das Dokument veröffentlicht, nachdem einige Medien darüber berichtet und damit eine öffentliche Debatte ausgelöst hatten. Der ARD wird vorgeworfen, sich mit der darin beschriebenen Framing-Methode einer manipulativen Strategie zu bedienen.

Strategie verteidigt

Die Sprachforscherin Wehling veröffentlichte am 18. Februar auf ihrer Internetseite eine "Klarstellung" in eigener Sache. Inhalt des Auftrages des MDR sei es gewesen, "die Kommunikation der öffentlich-rechtlichen ARD als Institution zu analysieren und auf Basis der wissenschaftlichen Erfahrung aufzuzeigen, welche Alternativen zu welchen Worten mit welchen Bedeutungsinhalten besetzt sind", schreibt Wehling. Ziel sei es gewesen, der "ARD darin eine gedankliche Grundlage zu schaffen für eine Kommunikation, die auf Basis der unbestrittenen Fakten den tatsächlichen Wert des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die Demokratie schon auf den ersten Blick besser erkennbar macht".

Der Politikberater Johannes Hillje verteidigte diese Strategie der ARD: "Unternehmen wollen durch Kommunikation ihre Produkte verkaufen, die ARD will ihre Werte und demokratische Rolle darstellen. Beides ist legitim und sinnvoll", sagte Hillje dem epd in Berlin. Ebenso sei es "vollkommen legitim", dass sich die ARD in Kommunikationsfragen beraten lässt. Es gebe seit einigen Jahren eine stark polarisierte Debatte über den Rundfunk. "Die ARD sollte wirksam ihre eigenen Werte und ihre gesellschaftliche Funktion kommunizieren, dazu ist eine Framing-Beratung sinnvoll."

Hillje kritisierte allerdings die konkrete Umsetzung der Framing-Methode in dem Manual. "Das Grundproblem ist, dass hier ein stark moralgestützes Framing für einen Akteur vorgeschlagen wird, dessen Kernwerte Sachlichkeit und Neutralität sind", sagte der Politikberater. Die ARD sei ein Akteur, der Nachrichten anbiete, die sich an möglichst objektiven Kriterien und weniger subjektivem Empfinden orientieren.

Die Diskreditierung von Privatmedien und Rundfunkgegnern legitimiere den Diskurs der gegenseitigen Abwertung, sagte Hillje. "Die Gegner der ARD sagen 'Staatszensur', die ARD antwortet mit 'Profitzensur'." Das beidseitige rhetorische Aufrüsten befördere die Polarisierung, die vor allem Populisten in die Karten spiele.



Erfundene Protagonistin: SZ trennt sich von freiem Autor

Das "SZ Magazin" konnte die Veröffentlichung eines Artikels stoppen, in der eine Protagonistin erfunden wurde. Nun überprüfen auch andere Redaktionen Texte des freien Autors.

Das Magazin der "Süddeutschen Zeitung" (SZ) hat sich von einem freien Mitarbeiter getrennt, nachdem Ungereimtheiten in einem noch nicht veröffentlichten Text aufgefallen sind. Eine hausinterne Faktenprüfung habe Anfang Februar ergeben, dass eine die Geschichte tragende Protagonistin nicht existiert, wie die Chefredaktion des "SZ Magazins" am 21. Februar erklärte. Der Journalist habe zugegeben, dass die Zweifel an dem Text berechtigt seien. Auch "Der Spiegel" und "Die Zeit" prüfen Artikel, die der Autor für sie geschrieben hat. Hinweise auf weitere Fälschungen haben sich dabei bislang nicht ergeben.

Die Redaktionen von SZ und "SZ Magazin" haben den Angaben zufolge mittlerweile auch andere Texte des Autors überprüft, die Print und Online erschienen sind. Dabei hätten sich keine Anhaltspunkte für weitere schwerwiegende Verstöße gegen journalistische Standards ergeben. Es habe sich einzig herausgestellt, dass der Journalist in einer Geschichte vier Userkommentare auf einem Bewertungsportal ungenau oder unrichtig wiedergegeben habe.

Obwohl die Veröffentlichung des Textes verhindert werden konnte, werde der Vorfall zum Anlass genommen, redaktionsinterne Abläufe bei der Verifizierung und Dokumentation von Texten weiter zu verbessern, hieß es in der Stellungnahme der Chefredaktion.

Ausgezeichnet

Medienberichten zufolge wurde der betroffene Autor mit dem Deutschen Reporterpreis und dem Nannen-Preis ausgezeichnet. Er schrieb auch für andere Medien wie "Spiegel Online", den gedruckten "Spiegel" und "Die Zeit".

"Wir prüfen intensiv alle Texte des freien Mitarbeiters, die in der 'Zeit', im 'Zeit Magazin' und bei 'Zeit Online' erschienen sind", sagte eine Verlagssprecherin dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der Autor habe dafür seine Rechercheunterlagen zur Verfügung gestellt. "Bislang haben sich alle Orte, Personen und Ereignisse als real erwiesen", erklärte die Sprecherin. In einem Teil der Texte seien allerdings sachliche Fehler und Ungenauigkeiten aufgefallen. "Über eine abschließende Bewertung und mögliche Konsequenzen beraten wir zeitnah, nach Ende aller Recherchen", sagte sie.

Der Spiegel-Verlag teilte am Mittwochabend mit, von der SZ über den Fall informiert worden zu sein. Der Großteil der Texte des Autors bei "Spiegel Online" sei zunächst bei einem anderen Medium erschienen. Dabei handele es sich um einen Kooperationspartner, der nicht zum Spiegel-Verlag gehöre, wie ein Sprecher dem epd sagte. Bisher gebe es keine Hinweise auf bewusste Manipulationen. In einem Fall sei eine Verifizierung unmöglich, weil der Autor persönliche Erlebnisse schildere. Dabei handele es sich um einen Text aus der "Homestory"-Reihe des "Spiegels".

Erinnert an Fall Relotius

Bei rund der Hälfte der insgesamt 43 bei "Spiegel Online" und im gedruckten "Spiegel" erschienenen Artikel des Autors sei die Untersuchung noch nicht beendet. Wenn noch Hinweise auf Manipulationen gefunden werden sollten, will der Spiegel-Verlag die Ergebnisse der Prüfungen öffentlich machen.

Erst im Dezember hatte "Der Spiegel" einen Betrugsfall im eigenen Haus aufgedeckt. Der damalige Redakteur Claas Relotius hatte nach internen Nachforschungen massive Fälschungen zugegeben und das Haus verlassen. Relotius, der mehrfach mit Journalistenpreisen ausgezeichnet wurde, bestätigte anschließend über seinen Anwalt öffentlich, dass er "über mehrere Jahre hinweg vielfach Fakten falsch dargestellt, verfälscht und hinzuerfunden hat". Auch andere Redaktionen, für die Relotius als freier Journalist gearbeitet hatte, haben inzwischen manipulierte Texte entdeckt.



Journalisten-Verband kritisiert katholische Kirche

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) hat datenschutzrechtliche Bestimmungen der katholischen Kirche kritisiert. "Es muss für Bildjournalisten weiterhin möglich sein, bei Veranstaltungen in Kirchen Aufnahmen zu machen", sagte der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall am 18. Februar in Berlin. Der Gesamtvorstand des Verbandes fordert die Kirche auf, die Arbeit von Bildjournalisten nach den bewährten Grundsätzen des Presse- und Fotorechts ohne weitere Einschränkungen zu gewährleisten.

Die katholische Kirche versuche derzeit, Bildjournalisten vorzuschreiben, in welcher Weise bei kirchlichen Veranstaltungen fotografiert oder gefilmt werden dürfe. "Die Kirchen sind Teil des gesellschaftlichen Lebens", sagte Überall. "Das muss sich in der Berichterstattung wiederfinden." In der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gebe es die Beschränkungen nicht. Das Kunsturhebergesetz mit seinen Regelungen zum Presse- und Fotorecht müsse auch in der katholischen Kirche gelten. Die katholische Deutsche Bischofskonferenz teilte auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) mit, der Sachverhalt müsse zunächst geprüft werden.

Neues Datenschutzgesetz

Bei der Kritik des DJV geht es um das neue Kirchliche Datenschutzgesetz der katholischen Kirche, das im Mai 2018 in allen deutschen Diözesen in Kraft getreten ist. Damit wurde das kirchliche Datenschutzrecht an die EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) angepasst. Der DJV sieht durch die Neuregelung Nachteile für Fotografen und Kamerateams, die von kirchlichen Veranstaltungen berichten. Die DSGVO erlaubt es den Kirchen als anerkannten Religionsgemeinschaften, eigene Datenschutzvorschriften weiter anzuwenden, wenn sie mit der Verordnung in Einklang gebracht werden.

Auf ihrer Internetseite empfiehlt die Bischofskonferenz beispielsweise mit Blick auf Live-Übertragungen von Gottesdiensten, dass bei der Kameraführung darauf geachtet werden solle, dass nicht einzelne Gottesdienstbesucher im Fokus stehen. Dies gelte insbesondere für "bestimmte höchstpersönliche Situationen" wie den Empfang der Kommunion, das innige Gebet oder sichtbare emotionale Reaktionen. Zudem wird gefordert, dass an allen Eingängen schriftlich und gut sichtbar auf die Aufnahmen hingewiesen wird und übertragungsfreie Bereiche eingerichtet werden.

Nach der Novellierung des Kirchlichen Datenschutzgesetzes hatte die Erzdiözese Freiburg ihre Livestreams von ausgewählten Gottesdiensten zunächst eingestellt. Mittlerweile wird wieder aus dem Freiburger Münster gestreamt - wer nicht zu sehen sein möchte, kann sich in den hinteren Bänken oder in den Seitenschiffen einen Platz suchen.



Stiftung will Fördermittel für ARD-Kirchenfilm zurück

Eine ARD-Doku über die Neuaufstellung der ostdeutschen Kirche nach der Wende sorgt für Kritik. Die Bundesstiftung Aufarbeitung will ihre Fördergelder für den Film, der am Montagabend ausgestrahlt werden sollte, zurück.

Bereits vor der Ausstrahlung der Dokumentation "Ewige Schulden: Ostdeutschlands Kirchen und die Staatsleistungen" hat die Bundesstiftung Aufarbeitung Fördergelder für den ARD-Film zurückgefordert. Die Dokumentation habe mit der ursprünglichen Intention im Förderantrag nichts mehr zu tun, sagte Vorstandsmitglied Christine Lieberknecht (CDU) der in Weimar erscheinenden mitteldeutschen Kirchenzeitung "Glaube + Heimat" (Ausgabe 24. Februar). Der Film wurde am 18. Februar im Ersten ausgestrahlt.

Insgesamt habe die Stiftung die Produktion mit 26.000 Euro unterstützt, hieß es in dem Bericht. Dieses Geld werde jetzt zurückgefordert, da der von MDR und NDR verantwortete Film in der ausgestrahlten Fassung nicht gefördert worden wäre. Die Änderungen seien mit der Stiftung nicht abgesprochen gewesen, beklagte die frühere Thüringer Ministerpräsidentin Lieberknecht.

Die ursprünglichen Planungen unter dem Arbeitstitel "Woran glaubt der Osten" hätten eine Dokumentation vorgesehen, in der aus der "gegenwärtigen Perspektive die Situation des Glaubens beziehungsweise des Fehlens des Glaubens in den neuen Bundesländern" erzählt werden sollte. So habe in der Kurzbeschreibung gestanden: "Über den Rückgriff auf Zäsuren der DDR-Kirchengeschichte soll deutlich gemacht werden, wie weitreichend die gesellschaftlichen Folgen der repressiven DDR-Religionspolitik bis heute sind und wie die Strukturen der SED-Diktatur die Menschen in den neuen Ländern in Glaubensfragen immer noch prägen", zitierte die Kirchenzeitung.

"Fakten können belegt werden"

Der MDR erklärte auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd), dem Film seien umfangreiche zweijährige Recherchen vorausgegangen. "Alle im Film enthaltenen Fakten können belegt werden", so der Sender. Der Film sei im Auftrag von MDR und NDR von der Produktionsfirma Hoferichter & Jacobs produziert worden. "Vor diesem Hintergrund gibt es zwischen der Stiftung und dem MDR keine direkten vertraglichen Vereinbarungen", erklärte der Sender. Produzent Olaf Jacobs wollte sich auf epd-Anfrage zunächst nicht zu den Vorwürfen äußern.

Kritik an dem Film war bereits nach einer Voraufführung im Erfurter Augustinerkloster Anfang Februar laut geworden. Aus der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) hieß es, die aktuelle Finanzsituation und der gesellschaftliche Beitrag der Kirchen kämen im Film nicht vor.

Die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur wurde 1998 vom Deutschen Bundestag gegründet. Als Stiftungskapital bekam sie 75 Millionen Euro aus dem ehemaligen SED-Vermögen. Ihr Haushalt finanziert sich aus Zinserträgen und einem jährlichen Zuschuss der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.



Auftakt zum Bauhaus-Jubiläum in Dessau


Auftakt zum Bauhaus-Jubilaeum im neuen Bauhaus Museum Dessau
epd-bild / Jens Schulze
Start für das Jubiläumsjahr in Dessau: Unter dem Motto "Reif fürs Museum?" ist am 23. Februar im neuen Bauhaus Museum Dessau ein Vorgeschmack auf das Jubiläumsprogramm geboten worden.

Start für das Jubiläumsjahr in Dessau: Unter dem Motto "Reif fürs Museum?" ist am 23. Februar im neuen Bauhaus Museum Dessau ein Vorgeschmack auf das Jubiläumsprogramm geboten worden. Der Neubau, dessen offizielle Eröffnung am 8. September einen Höhepunkt in diesem Jahr darstellt, wurde erstmals für Besucher zugänglich gemacht. Wie eine Sprecherin der Stiftung Bauhaus Dessau am 24. Februar mitteilte, kamen über 1.500 Besucher.

Eine Sprecherin berichtete, vor dem Gebäude hätten sich lange Schlangen gebildet, da immer nur 400 Besucher gleichzeitig eingelassen werden konnten. Es sei "knackevoll" gewesen. Stiftungsdirektorin Claudia Perren freute sich über das große Interesse an der Auftaktveranstaltung zum 100. Gründungsjubiläum des Bauhauses und konstatiere: "Das Bauhaus-Jubiläum ist in Dessau angekommen!"

Die eintägige Veranstaltung bildete den Auftakt des Jubiläumsprogramms zu 100 Jahren Bauhaus in Dessau-Roßlau. Auf dem Programm standen Musik, Performances, Speed-Dating mit Experten zum Thema Bauhaus, Workshops und Gespräche. Dabei konnten die Besucher einen Eindruck vom vielfältigen Programm in Dessau bekommen. Das Jubiläumsprogramm wurde von Stiftungsdirektorin Claudia Perren vorgestellt. Zudem sprach Sachsen-Anhalts Kulturminister Rainer Robra (CDU) ein Grußwort. Am Abend wurde der ARD-Spielfilm "Lotte am Bauhaus" gezeigt.

Gegründet wurde das Bauhaus 1919 in Weimar von dem Architekten Walter Gropius (1883-1969). Später zog die Schule nach Dessau und danach nach Berlin um, bevor sie sich 1933 auf Druck der Nationalsozialisten auflöste. Bis heute gilt das Bauhaus als weltweit prägende Stilepoche in den Bereichen Architektur, Kunst und Design. In Dessau erlebte das Bauhaus als Hochschule für Gestaltung von 1925 bis 1932 seine Blütezeit. Die Bauhausstätten in Weimar und Dessau-Roßlau sowie im brandenburgischen Bernau gehören heute zum Unesco-Welterbe.

Die Stiftung Bauhaus Dessau verfügt über die zweitgrößte Bauhaussammlung der Welt, nach Berlin. Künftig soll die Sammlung in dem neuen Bauhaus Museum Dessau auf rund 1.500 Quadratmetern präsentiert werden. Mit der zentralen Lage und der sogenannten Offenen Bühne sollen mit dem neuen Museum auch neue Verbindungen in der Stadt geschaffen werden, erklärte die Stiftung. Laut Perren soll das neue Bauhaus Museum Dessau künftig als ein Ort etabliert werden, an dem Platz ist für neue Begegnungen, Ideen und Experimente, wie am historischen Bauhaus.



Zwischen Abriss und Neubau


egapark in Erfurt
epd-bild / Jens-Ulrich Koch
Als Klub professioneller Gartenfreunde ist das Bauhaus nicht bekannt. Dennoch zählt zur Grand Tour der Moderne auch ein Landschaftspark. Bunte Beete, verträumte Wasserachsen und niedliche Pavillons - im Erfurter Südwesten leben die 60er Jahre fort.

Dresden, Stuttgart und Bernau - vor knapp einem Jahr stellte der Bauhaus-Verbund unter Weimarer Federführung die 100 Auserwählten der Grand Tour der Moderne vor. 100 Jahre nach Gründung der Kunst- und Designschule verbindet sie auf einer eigens konzipierten Route deutsche Stätten der Moderne: 100 ausgewählte Einzelgebäude und Siedlungen, darunter Ikonen und Streitobjekte, Schlüsselbauten und Entdeckungen aus den Jahren 1900 bis 2000. Mittendrin: Der egapark in Erfurt.

Die Überraschung in der Erfurter Landeshauptstadt - und wohl nicht nur dort - war richtig groß. Die Bauhäusler sind nicht gerade als Gartenfreunde bekannt. Im Gegenteil, für die Architekten unter ihnen galt die einfache Regel: Je kleiner die Hecke, desto imposanter das Haus. Ohne Übertreibung lässt sich sagen, für die in fast allen Bereichen omnipräsenten Meister, die in Design, Wohnkultur und neuen Materialien bis heute gültige Maßstäbe setzten, hatten bei der Gartengestaltung ihren gleichsam grünen blinden Fleck.

Doch langsam wich in den vergangenen Monaten in Erfurt die Überraschung der übergroßen Freude, zum erlauchten 100er Kreis zu gehören. Die Wahl bedeutet nicht nur Prestige und Öffentlichkeit, sie verspricht auch leichteren Zugang zu den Schatullen des Landes und des Bundes. Fördergelder, die für Erhalt und Sanierung der historischen Parkanlagen genauso gebraucht werden wie für Investitionen in die Zukunft.

Dass es so weit kommen konnte, hat gleich mehrere Gründe. Zum einen gelang Ende der 50er und in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts in Erfurt mit der "Internationalen Gartenbauausstellung", der sozialistischen IGA, eine landesarchitektonische Meisterleistung, die nach Meinung der Experten weder den Vergleich mit der Bundesgartenschau 1961 in Stuttgart noch den mit der IGA westlicher Prägung 1963 in Hamburg scheuen musste. Ost wie West, die Formensprache ähnelte sich, mit großen Wege- und Wasserachsen und großzügigen Gartenräumen, erklärt Martin Baumann vom Thüringer Landesamt für Denkmalpflege.

Doch anders als im Westen der Republik war die Anlage in Erfurt für den langfristigen Gebrauch als Leistungsschau der sozialistischen Bruderländer angelegt. Zudem fehlten später die nötigen finanziellen Mittel für neue Bauten. Wie so oft in den Endjahren der DDR erwies sich auch hier der Mangel als bester Konservator.

So stehen sie zum Teil bis heute, die ursprünglichen Gestaltungselemente: der große Festplatz und die Blumenwiese, das mit 6.000 Quadratmetern - nach Eigenwerbung - größte Blumenbeet der Welt, die Wasserachsen, die kleinen Pavillons, die Springbrunnen und einige der Empfangs- und der Ausstellungshallen; dazu Gartenmobilar, Lampen- und Blumenstellagen.

Alles wurde dem übergeordneten gestalterischen Konzept des Generalplaners Reinhard Lingner und seiner Frau Alice untergeordnet: eine Planung bis ins Detail, bis hin zu den Bänken, die an der Weimarer Hochschule für Architektur und Bauwesen - dem Vorläufer der heutigen Bauhaus-Universität - entworfen wurden. Gleiches gilt für das Farbkonzept. Auch das kam aus Weimar und erstreckte sich bis auf die Bepflanzung.

Mit dem Ende der DDR geriet auch das Ausstellungsgelände im Erfurter Südwesten unter starken Druck. Ein Teil der Hallen, in denen über Jahrzehnte die Erfolge sowjetischer, polnischer oder bulgarischer Bauern und Pflanzenzüchter präsentiert wurden - jedes Bruderland hatte eine eigene Halle und die UdSSR eine etwas größere - wurden abgerissen. Sie machten Platz für die Messe und den Mitteldeutschen Rundfunk, den Kinderkanal und das Kindermedienzentrum. Das in seinen besten Jahren mehr als 100 Hektar große Gelände schrumpfte um mehr als die Hälfte ein - eine Entscheidung, die mancher Verantwortliche aus den Anfangsjahren des Neubeginns heute bereuen dürfte.

Inzwischen steht das verbliebene Ensemble unter dem neuen Namen egapark unter Denkmalschutz und wird von einer Stadtwerke-Tochter bewirtschaftet. Nach schwierigen und zunächst kleineren Sanierungsschritten können nun größere Brötchen gebacken werden - der Bundesgartenschau sei Dank, die 2021 in der Thüringer Landeshauptstadt über die Bühne gehen soll.

Fast an jeder Ecke des Parks stehen große Schilder, die von Bauvorhaben künden. Der Eingangsbereich wird neu gestaltet und die Empfangshalle saniert. Zwei Kräne drehen sich am größten Vorhaben - der Wüsten- und Urwaldanlage "Danekil", zwei Gegensätze unter einem Dach.

Und dies ist nur eine der geplanten Attraktionen, die sicher weiter für viele Besucher in "Thüringens größtem Garten" sorgen werden. Ein halbe Million Gäste zieht es während der Saison - die neue beginnt in knapp zwei Wochen - in den egapark. Mit den ersten warmen Tagen pilgerten am Wochenende bereits Hunderte Familien mit ihrem Nachwuchs auf den großen Spielplatz des Parks - bestimmt nicht zum letzten Mal in diesem Jahr.

Von Dirk Löhr (epd)


Die Grand Tour der Moderne

Das Bauhaus hat drei historische Standorte: Weimar, wo die Kunst- Designschule 1919 gegründet wurde, von 1925 bis 1932 Dessau und schließlich für knapp zwei Jahre Berlin, ehe die Meister und ihre Schüler 1933 unter dem zunehmenden Druck der Nazis aufgeben mussten. Darüber hinaus gibt es in ganz Deutschland herausragende Orte des Bauhauses und der Moderne - wegweisende Architektur, die das Verständnis von Leben, Arbeiten, Lernen und Wohnen in Deutschland und weltweit nachhaltig geprägt hat.

Diesen Orten ist die Grand Tour der Moderne gewidmet. Ziel des vom Bauhaus-Verbund initiierten Projekts ist die Verbindung "der sinnlichen Erfahrung des Reisens mit der Lust an der Entdeckung und dem Verstehen von Geschichte und Gegenwart". 100 ausgewählte Orte - ein jeder steht beispielhaft für eines der 100 Jahre Bauhaus - bilden eine attraktive Reiseroute, die mit der Bahn, dem Auto, aber auch mit dem Fahrrad erkundet werden kann. Aus knapp 500 Vorschlägen für die Grand Tour der Moderne musste eine Fachjury - bestehend aus Experten der Bereiche Baukultur, Denkmalpflege, Architektur, Journalismus, Kulturvermittlung und Tourismus - 400 verwerfen. Die restlichen 100 werden zum Bauhaus-Jubiläum zugänglich gemacht und können besichtigt werden.

Bei ihrer Auswahl ging es der Jury um folgende Kriterien: Das Bauwerk stammt aus dem 20. Jahrhundert, stellt eine besondere Leistung eines wichtigen Architekten dar und bemüht sich um eine Reform von Lebenswelten unter sozialen Aspekten. Weitere Auswahlfaktoren waren technische Innovationen in den Bereichen Konstruktion, Materialien und Herstellungsweisen sowie neue Bauaufgaben, etwa eine Stadthalle, und die städtebauliche Prägnanz des Gebäudes.

Die deutschen Unesco-Welterbestätten des Bauhauses und der Moderne galten hierbei von vornherein als gesetzt. Dazu zählen das Fagus-Werk von Walter Gropius im niedersächsischen Alfeld, Georg Muches "Haus Am Horn” in Weimar oder Hannes Meyers Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbunds (ADGB) im brandenburgischen Bernau. Aber auch die Völklinger Hütte im Saarland, das einzige vollständig erhaltene Eisenwerk aus der Blütezeit der Industrialisierung, zählt zu den ausgewählten 100. Auch die Essener Zeche Zollverein und das Bergwerk Rammelsberg im niedersächsischen Goslar - beide Industriekomplexe der dreißiger Jahre gehen auf das Architektenduo Fritz Schupp und Martin Kremmer zurück - wurden einbezogen.

Abgerundet wird die Grand Tour von Fritz Högers Chilehaus in Hamburg und dem Le Corbusier-Haus in der Stuttgarter Weissenhofsiedlung. Dazu kommen noch das Hauptgebäude der Bauhaus-Universität sowie die ehemalige Kunstgewerbeschule in Weimar von Henry van de Velde, Bruno Tauts Siedlungen der Moderne in Berlin und das Bauhausgebäude und die Meisterhäuser in Dessau.



"Musterbeispiel moderner Baukultur"


Bauhaus Denkmal Bundesschule Bernau bei Berlin
epd-bild / Rolf Zöllner
Das vor 100 Jahren in Weimar gegründete Bauhaus hat auch in Brandenburg Spuren hinterlassen: Die 1930 eröffnete frühere Gewerkschaftsschule in Bernau gilt als wichtiges Architektur-Denkmal. Die Unesco würdigt sie als "Pionierleistung".

Speisesaal mit Glasdach, Aula mit Filmanlage, Seminarräume mit speziellem Lichtkonzept, Internatshäuser, Sporthalle, Freibad: Die 1930 eröffnete Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) bei Bernau gilt als eines der bedeutendsten Werke der Bauhaus-Schule und Inbegriff des "rationalen Funktionalismus" der modernen Architektur. Seit 1977 steht das von Hannes Meyer und Hans Wittwer entworfene Gebäudeensemble unter Denkmalschutz, seit 2017 gehört es zum Unesco-Weltkulturerbe der Bauhaus-Stätten.

Ein "Musterbeispiel moderner Baukultur" wollte der Gewerkschaftsbund Ende der 20er Jahre auf dem zwischen Kiefernwäldern gelegenen Gelände errichten. Der Auftrag ging an den Schweizer Architekten und zweiten Bauhaus-Direktor Hannes Meyer. "Volksbedarf statt Luxusbedarf" war einer der Leitsätze des gelernten Maurers und Bauzeichners, der der Genossenschaftsbewegung und der linken Sozialdemokratie verbunden war. Und im Wald vor den Toren Bernaus entstand eine moderne Bildungsstätte der Arbeiterbewegung.

Mehr als 4.000 Gewerkschafter konnten die ADGB-Bundesschule in den ersten Jahren nach der Eröffnung zur Weiterbildung nutzen. Doch 1933 kam das Aus: Die Gewerkschaften wurden von den Nazis zerschlagen, die Gewerkschaftsschule in eine NS-Einrichtung umgewandelt. Im Sommer 1939 übte die SS dort für angebliche polnische Angriffe auf deutsche Einrichtungen, die als Vorwand für den Überfall der deutschen Wehrmacht auf das Nachbarland und den Beginn des Zweiten Weltkriegs dienen sollten. Architekt Hannes Meyer war als Bauhaus-Chef bereits 1930 aus politischen Gründen entlassen worden. Er ging in die Sowjetunion, verließ sie während der stalinistischen Säuberungen 1936 wieder, arbeitete danach in der Schweiz und in Mexiko.

Mit kleinen Hinweisschildern hilft die Stadt Bernau, den Weg zum "Hannes-Meyer-Campus" zu finden. Neben dem historischen Bau-Ensemble gehören auch ein Oberstufenzentrum und ein Gymnasium in zusätzlich errichteten Gebäuden dazu. Der Weg von der Bushaltestelle "Bauhausdenkmal" führt an einem Kiefernwald und Häusern der Wohnungsbaugenossenschaft "Aufbau" vorbei zum Eingangsgebäude der einstigen Gewerkschaftsschule. Doch das Portal hat mit dem ursprünglichen markanten Gebäude mit seinen drei hohen Schornsteinen nichts mehr gemein.

In der DDR wurden Gebäude und Gelände verändert. Der DDR-Gewerkschaftsbund FDGB nutzte das Ensemble wieder als Gewerkschaftsschule, ab 1952 als Gewerkschaftshochschule. Ein Gedenkstein für Hermann Duncker steht bis heute vor einem der einstigen mit ockerfarbenen Ziegeln und grauen Bauelementen gestalteten Bauhaus-Lehrerhäuser. "Hier war die letzte Wirkungsstätte des Mitbegründers der KPD", steht auf dem Stein. Und: "Jeder kann alles lernen." 1977 wurde das Bau-Ensemble in der DDR unter Denkmalschutz gestellt. Nach der Wiedervereinigung wurde die Gewerkschaftsschule 1990 geschlossen. Seit 2001 gehört das Hauptgebäude der Berliner Handwerkskammer.

Der "Meyer-Wittwer-Bau" gelte als "einer der bedeutendsten Bauten der Bauhaus-Schule in Europa", hieß es zum Abschluss der Sanierung ein paar Jahre später bei der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Die von Glas und verklinkerten Stahlbetonkonstruktionen geprägte Anlage verbinde "auf ideale Weise modernes Wohnen, das Lernen und die Erholung in der Natur" und sei ein wichtiges Beispiel der verwirklichten sozial-pädagogischen Intentionen des Bauhauses.

Als "Schatz vor den Toren der Hauptstadt", hat der Bernauer Bürgermeister André Stahl (Linke) das Denkmal 2017 bei der Aufnahme in die Unesco-Welterbeliste gewürdigt. Fünf Jahre lang lag der Aufnahmeantrag bei der Unesco, bis im Juli 2017 die Entscheidung fiel. Das Bauhaus habe das künstlerische und architektonische Denken und Arbeiten weltweit revolutioniert, heißt es dazu bei der Kulturorganisation der Vereinten Nationen. Auch die ADGB-Bundesschule stehe für diese "Blüte der Moderne" und sei eine "Pionierleistung in der Geschichte".

Die Berliner Handwerkskammer nutzt das Denkmal nun als "Bildungs- und Innovationszentrum Waldfrieden". Die Weiterbildungsangebote reichen vom Controlling für Kaufleute über Lehrgänge für Holzbearbeitung bis hin zum Drohnen-Pilotenschein und zur "Motorkettensägenbedienungsberechtigung". Im "Meyer-Wittwer-Bau" übernachten jedes Jahr mehrere hundert Gerüstbau-Azubis, heißt es bei der Handwerkskammer. Die Bildungsstätte bleibe damit dem Bauhaus-Grundgedanken verbunden, dass nur das Handwerk, nicht aber die Kunst lehrbar sei.

Von Yvonne Jennerjahn (epd)


Bernauer Bürgermeister sieht Bauhaus-Denkmal als großes Potenzial

Das Bauhaus-Denkmal Bundesschule Bernau erwartet im Bauhaus-Jubiläumsjahr 2019 wachsende Besucherzahlen. Über das zu Jahresbeginn eingeführte Online-Buchungssystem für Führungen sei ein zunehmendes bundesweites und internationales Interesse zu erkennen, sagte der Bürgermeister von Bernau, André Stahl (Linke), dem Evangelischen Pressedienst (epd). So lägen bereits Buchungen unter anderem aus Frankreich, den Niederlanden, Tschechien und Japan sowie aus verschiedenen Bundesländern vor, die bis Ende Oktober reichen.

Das gesteigerte Interesse hänge "ganz stark mit dem Bauhaus-Jubiläum zusammen", sagte Stahl. Genaue Besucherzahlen würden nicht erhoben. Allein am Tag des offenen Denkmals seien jedoch zuletzt rund 350 Interessierte in die rund fünf Kilometer von der Stadt entfernte frühere Gewerkschaftsschule gekommen. Das Bauhaus-Denkmal Bundesschule Bernau sei für die Stadt "das Denkmal mit dem größten Potenzial an internationaler Bekanntheit", betonte Stahl. Als größtes vom Bauhaus gebautes Ensemble und bekanntestes Bauwerk des Architekten Hannes Meyer (1889-1954) stehe es "prototypisch sowohl für das funktionale Bauen als auch für die Schule Bauhaus".

Dass die drei prägenden Schornsteine des Eingangsgebäudes, die zu DDR-Zeiten bei Umbauten abgerissen wurden, später nicht wieder rekonstruiert wurden, folge auch der Bauhaus-Logik, betonte Stahl. Mit der Errichtung einer neuen Heizanlage hätten sie damals keine Funktion mehr gehabt. Ein Wiederaufbau hätte deshalb der Bauhaus-Philosophie, dass die Form der Funktion folgen müsse, widersprochen, weil die nicht mehr notwendigen Schornsteine dann "nur Schmuck gewesen wären".

Dass die Berliner Handwerkskammer 2001 das Hauptgebäude der ehemaligen Gewerkschaftsschule übernommen hat, sei "in jedem Fall eine gute Lösung", sagte Stahl. Dadurch könne das Gebäude nach einer Phase des Leerstands "ganz im Sinne der Architekten" weiter als Bildungsstätte für junge Menschen genutzt werden. Die Handwerkskammer habe zudem "in erheblichem Maße auch in die Sanierung und Rekonstruktion des Hauses investiert" und damit zum Erhalt des unter besonderem Denkmalschutz stehenden Gebäudekomplexes beigetragen.

Die frühere Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) wurde ab 1928 errichtet, 1930 eröffnet und 1933 von den Nazis geschlossen. Das Gebäudeensemble wurde 2017 von der Unesco in das Weltkulturerbe aufgenommen.

epd-Gespräch: Yvonne Jennerjahn


Leipziger Buchmesse blickt nach Osteuropa


Leipziger Buchmesse (Archivfoto)
epd-bild / Andreas Pöge
Die Vorfreude steigt, "das wird schön", sagt der Direktor: In vier Wochen beginnt die Leipziger Buchmesse. Besucher erwarten wieder zahlreiche Preisverleihungen, Tausende Lesungen in der gesamten Stadt und einiges mehr. Gastland ist Tschechien.

Politik, Geschichte, Osteuropa: Das sind einige der Schwerpunkte der diesjährigen Leipziger Buchmesse von 21. bis 24. März. So werde etwa das 30-jährige Jubiläum der friedlichen Revolution in der DDR "ein großes Thema" sein, sagte Buchmesse-Direktor Oliver Zille am 21. Februar in Leipzig. Eine Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung und der Auftritt Tschechiens als Gastland runden die thematische Schwerpunktsetzung ab.

Dabei erwartet der Frühjahrstreff der Branche erneut mehr als 2.500 Aussteller und Verlage aus aller Welt. Die Anmeldefrist laufe noch, hieß es. "Was Stände und Fläche betrifft, wird die Buchmesse weiter wachsen", erklärte Zille: "Wir erwarten wieder 280.000 Besucher." Erstmals vertreten sind demnach unter anderem Estland, Kanada und das Kosovo. 2018 hatte die Buchmesse gut 2.600 Aussteller aus 46 Ländern und 271.000 Besucher begrüßt.

Beim traditionellen Lesefest "Leipzig liest" stehen in der gesamten Stadt wieder rund 3.600 Veranstaltungen an 500 Orten auf dem Programm. Etwa 3.400 Mitwirkende sind beteiligt, etwa zehn Prozent davon aus Mittel- und Osteuropa. Es sei für jeden etwas dabei, betonte Zille. Einzelevents wolle er keine hervorheben. Das beste an "Leipzig liest" sei "die Gesamtheit der Veranstaltungen", erklärte er. Im Rahmen der Buchmesse findet auch wieder die Fachausstellung Manga-Comic-Con statt. Zahlreiche Szenestars etwa aus Japan seien zu Gast, sagte Zille.

Ein neuer Themenschwerpunkt der Messe wurde zusammen mit der Bundeszentrale für politische Bildung erarbeitet. Er steht unter der Überschrift "The Years of Change 1989-1991. Mittel-, Ost und Südosteuropa 30 Jahre danach" und thematisiert die Veränderungen in Europa und der Welt nach dem Ende des Kalten Krieges.

Der Schwerpunkt ist auf drei Jahre angelegt. Bei der Premiere 2019 debattieren Autoren aus Ungarn, Tschechien, Rumänien, Polen, Deutschland und der Slowakei über die Umbrüche jener Jahre und ihre Wirkung bis in die Gegenwart. "Es geht um die Traumata der letzten drei Dekaden, die verhandelt werden", sagte der Direktor der Bundeszentrale, Thomas Krüger.

Aus dem Gastland Tschechien präsentieren den Angaben nach 55 Autorinnen und Autoren in mehr als 130 Veranstaltungen insgesamt etwa 70 Neuerscheinungen. Mit der Präsentation erhoffen sich die Veranstalter eine nachhaltige Etablierung tschechischer Literatur im deutschsprachigen Raum. In den Vorjahren habe die Zahl der auf Deutsch übersetzten Titel aus dem Nachbarland im Schnitt nur bei etwa fünf gelegen, hieß es.

Eröffnet wird die Buchmesse wie gewohnt am Vorabend des ersten Messetages mit der Verleihung des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung. Die mit 20.000 Euro dotierte Auszeichnung geht an die US-russische Journalistin und Schriftstellerin Masha Gessen für ihr Buch "Zukunft ist Geschichte. Wie Russland die Freiheit gewann und wieder verlor".

Zahlreiche weitere Preisverleihungen prägen auch in diesem Jahr das Messegeschehen. Zu den Highlights zählt die alljährliche Vergabe des Preises der Leipziger Buchmesse an Tag eins der Großveranstaltung. Für die mit insgesamt 60.000 Euro dotierte Auszeichnung werden aus den 15 Nominierten drei Preisträger in den Kategorien Belletristik, Sachbuch/Essayistik und Übersetzung ausgewählt.

Im Umgang mit rechtsgerichteten Verlagen will die Buchmesse ihrer Linie von 2018 treu bleiben. Die Messe sei Grundwerten wie Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit verpflichtet, sagte Zille. Es gebe jedoch rote Linien, die nicht überschritten werden dürften. Zusammen mit diversen Akteuren werde die Buchmesse "ein klares Zeichen für demokratische Werte setzen mit den Mitteln, die eine Buchmesse eben realisieren kann", erklärte de Direktor.

In den vergangenen Jahren hatten die in Leipzig vertretenen rechtsgerichteten Stände wie etwa des Antaios-Verlags und des "Compact"-Magazins für große Aufregung gesorgt und zahlreiche Debatten auf der Messe und darüber hinaus ausgelöst.



Neue App führt in die Berliner Geschichte

"Hier wurde Geschichte geschrieben" - mit diesem Aufkleber wirbt künftig die neue berlinHistory.app an markanten der Stadt zum Verweilen.

Mit einer neuen App für Smartphones und Tablets können Berliner und Touristen künftig an jedem Ort der Stadt sich über historische Ereignisse informieren. Herzstück der "berlinHistory.app" ist eine digitale Karte, über die sich die geschichtsträchtigen Orte der Stadt erschließen lassen, wie der Vorsitzende des Vereins berlinHistory, Rainer Klemke, am 21. Februar bei der Präsentation in der Gedenkstätte Berliner Mauer sagte. Damit würden bisherige Apps zu einzelnen Orten und Gedenkstätten überflüssig. Klemke, pensionierter Referatsleiter für Museen und Gedenkstätten in der Berliner Senatskulturverwaltung, schwärmte von einem "digitalen Stadtmuseum und Themendepot".

Die neue App wurde in den vergangenen drei Jahren weitgehend ehrenamtlich von Webdesignern, Softwareentwicklern und Historikern erstellt, hieß es. Die Inhalte stellten mehr als 50 Kooperationspartner, darunter Gedenkstätten, Archive und einzelne Unternehmen, kostenlos zur Verfügung gestellt. Die "berlinHistory.app" wurde als native App für iOS (ab Version 11) und Android (ab Version 6) für Smartphone und Tablet programmiert.

Der Direktor der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Johannes Tuchel, zeigte sich begeistert von dem "epochenübergreifenden" Angebot. Damit hätten alle die Chance, sich selbstständig die Geschichte ihres Kiezes zu erarbeiten. Axel Klausmeier, Direktor der Stiftung Berliner Mauer, betonte, die App helfe, die Geschichte der Stadt an den jeweiligen Orten "zu lesen und zu vermitteln".

Über den aktuellen Berliner Stadtplan können beispielsweise eine Vielzahl historischer Stadtpläne und Karten-Layer "passgenau und georeferenziert" gelegt werden. Die Nutzerführung ermögliche aber auch einen Zugang zu Themen wie etwa Biografien, Epochen, Ereignissen oder Institutionen. Die angebotenen Inhalte wie Texte, Bilder, Audios und Videos lassen sich künftig mit sechs zeitlichen Epochenfiltern untergliedern.

Mit der "berlinHistory.app" gehe die "erste offene, partizipative Plattform zur Berliner Geschichte an den Start", hieß es weiter. Der Download benötigt rund 30 MB Speicherplatz. Alle Inhalte würden gestreamt. Als Meta-Plattform für Berliner Stadtgeschichte entwickelt, startet die App mit mehr als 500 "Points of Interest". Bald sollen es mehrere Tausend Einträge sein, hieß es bei der Präsentation. Zudem sollen alle Bilder in verschieden hoher Auflösung angeboten werden, um auch auf hochauflösenden Geräten die optimale Ansicht zu garantieren.

Ein weiteres Feature sind digitale Audio-Touren, die die Nutzer künftig auf Stadtspaziergängen leiten sollen und sie über das Smartphone oder Tablet mit zusätzlichem Bild- und Videomaterial versorgen. In der Anfangsversion ist die "berlinHistory.app" zweisprachig auf Deutsch und Englisch verfügbar, mittelfristig sollen weitere Sprachen hinzukommen.



Brandenburgs Fontane-Jahr lädt zu mehr als 450 Veranstaltungen ein

Von Neuruppin über den Spreewald bis zum Branitzer Schloss in Cottbus: Das Jubiläumsjahr zum 200. Geburtstag von Theodor Fontane lädt zu rund 450 Veranstaltungen in Brandenburg ein. Ende Mai soll erstmals ein neuer Literaturpreis verliehen werden.

Ausstellungen, Kunstprojekte, Festivals, Computerspiele: Das Jubiläumsjahr 2019 zum 200. Geburtstag von Theodor Fontane (1819-1898) nimmt den märkischen Schriftsteller mit einem umfangreichen Veranstaltungsprogramm in den Blick. Das Land Brandenburg und Fontanes Geburtsstadt Neuruppin schreiben zum Jubiläum einen neuen Fontane-Literaturpreis aus, sagte Brandenburgs Kulturministerin Martina Münch (SPD) am 20. Februar bei der Präsentation des Jubiläumsprogramms in Berlin. Mit der mit 40.000 Euro dotierten Auszeichnung sollen begabte zeitgenössische Autoren gefördert werden, die bereits erste Erfolge vorweisen können.

Der Literaturpreis soll zur Eröffnung der Neuruppiner Fontane-Festspiele am 31. Mai erstmals verliehen werden. Das Jubiläumsjahr wird am 30. März in der Kulturkirche von Neuruppin eröffnet, zu der Feier wird auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erwartet. Theodor Fontane, der unter anderem durch Werke wie "Effi Briest", "Der Stechlin" und die "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" bekanntgeworden ist, wurde am 30. Dezember 1819 in Neuruppin geboren und starb am 20. September 1898 in Berlin.

Bis zum 200. Geburtstag Fontanes am Jahresende stehen mehr als 450 Veranstaltungen in verschiedenen Orten Brandenburgs auf dem Programm, sagte Projektleiterin Brigitte Faber-Schmidt von der Brandenburgischen Gesellschaft für Kultur und Geschichte. Dort würden neben bekannten Werken des Schriftstellers auch weniger bekannte Schaffensbereiche beleuchtet wie Fontanes Reise- und Kriegsberichte sowie seine Theaterkritiken, betonte Münch. Bereits vor dem offiziellen Start des Jubiläumsjahres zeichne sich eine "überwältigende Resonanz" ab.

Fontane sei ein "ausgesprochener Vielschreiber" gewesen, dessen Werke bis heute weltbekannt seien, sagte Münch. Der Schriftsteller habe "eindrucksvolle und sehr hintergründige" Werke über die preußische Gesellschaft geschaffen, die bis heute "brandaktuell" seien.

Zum Programm des Jubiläumsjahres gehören unter anderem zwei große Ausstellungen in Neuruppin und Potsdam. In der Neuruppiner Leitausstellung, die vom 30. März bis zum 30. Dezember läuft, werde Fontane als kreativer Schreiber vorgestellt, sagte Kurt Winkler vom Potsdamer Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte. Dabei werde auch ins Bewusstsein gerückt, dass der gelernte Apotheker erst spät als Schriftsteller bekanntgeworden sei und seinen ersten Roman erst mit 57 Jahren verfasst habe. Die Potsdamer Ausstellung, die vom 7. Juni bis zum 30. Dezember gezeigt wird und sich anhand der "Wanderungen" mit Fontanes Reisen befasst, lade dazu ein, "in seinen Texten spazieren zu gehen", sagte Winkler.

Zu den zahlreichen weiteren Veranstaltungen im Fontane-Jahr gehören unter anderem eine Ausstellung über "Fontanes Männlichkeiten" im Filmmuseum Potsdam, ein "fließendes Atelier" des Künstlers Jim Avignon im Spreewald und das bundesweite Computerspiel-Projekt "Dem Wort auf der Spur". Weitere Ausstellungen sind unter anderem in Rheinsberg, Neuruppin, Cottbus, Lübben, Bad Freienwalde und anderen Orten geplant.

Das Land stelle für das Fontane-Jahr knapp 1,9 Millionen Euro zur Verfügung, sagte Münch. Die Kulturstiftung des Bundes steuere mehr als eine Million Euro bei. Weitere Mittel kämen unter anderem von der Kulturstiftung der Länder, der Ostdeutschen Sparkassenstiftung und den Kommunen.



Brandenburgs Kulturfeste 2019 mit umfangreichem Programm

Die Kulturfeste im Land Brandenburg laden in diesem Jahr zu mehr als 1.000 Veranstaltungen ein. Auf dem Programm stehen unter anderem Theatervorstellungen, Konzerte, Lesungen, Opern und Filmaufführungen von rund 80 Veranstaltern, teilte das Kulturministerium am 22. Februar in Potsdam mit. Die Kulturfeste gehörten zu den Vorreitern beim Aufbau kultureller und kulturtouristischer Netzwerke in Brandenburg und stärkten seit inzwischen 25 Jahren das regionale Kulturleben, betonte Kulturministerin Martina Münch (SPD). Zu den Festivals gehören unter anderem der Choriner Musiksommer, die TanzWoche in Eisenhüttenstadt, der Prignitz-Sommer und die Uckermärkischen Musikwochen.

Die Festivals präsentierten kulturelle Höhepunkte auch an ungewöhnlichen Orten, darunter in Scheunen, auf Seebühnen, in Parks und Kinosälen, betonte Münch. Das Bebersee-Festival in einem früheren Flugzeughangar auf einem ehemaligen Militärflugplatz der DDR feiert in diesem Jahr sein 20-jähriges Bestehen. Die Kulturfeste laden auch zu zahlreichen Veranstaltungen in Kirchen ein, darunter zu den Brandenburger Dommusiken, dem Kirchensommer Brodowin, den Lehniner Sommermusiken und den Sommerkonzerten im Kloster Stift zum Heiligengrabe.

Der Verein Kulturfeste im Land Brandenburg wurde 1994 gegründet. Er hat den Angaben zufolge mehr als 70 Mitglieder, darunter Vereine, Kommunen, kommunale Einrichtungen, Stiftungen und privatwirtschaftliche Unternehmungen, die in den Bereichen Theater, Musik, Literatur, Film und bildende Kunst im gesamten Land Brandenburg tätig sind. Er vertritt seine Mitglieder als Dachverband und organisiert auch selbst Kulturveranstaltungen.

Das Land Brandenburg fördert die Arbeit der Geschäftsstelle der Kulturfeste den Angaben zufolge in diesem Jahr mit rund 260.000 Euro. Die 172-seitige Broschüre "Kulturfeste im Land Brandenburg 2019" ist unter anderem in öffentlichen, touristischen und kulturellen Einrichtungen erhältlich.



Der Ballettrevolutionär: Der Choreograph John Neumeier wird 80

John Neumeier ist einer der weltweit bekanntesten Choreographen. In seiner Wahlheimat Hamburg hat er seine künstlerische Mitte gefunden. Nun wird er 80 Jahre alt und feiert auf der Bühne.

Er ist ein Virtuose, sein Instrument sind die Tänzerinnen und Tänzer. John Neumeier hat das Ballett revolutioniert, erfindet immer wieder neue Formen für die Bühne. In fünf Jahrzehnten choreographierte er rund 160 Ballette, goss sogar Symphonien von Gustav Mahler, die "Matthäuspassion" von Bach und Mozarts "Requiem" in Tanz. Bei allem bleibt sein Hauptziel: "Das, was ich spüre, so zu vermitteln, dass die Menschen berührt sind." Am 24. Februar wird der gebürtige US-Amerikaner 80 Jahre alt.

Seinen Geburtstag erlebe er nicht als Zäsur, sondern als organischen Schritt auf seinem "Weg der Kreativität", so beschreibt Neumeier es dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Ich liebe den Tanz und die Kreativität, die er entstehen lässt. Diese Liebe setzt ungeahnte Kräfte frei."

Mit nur 30 Jahren arbeitet Neumeier 1969 als jüngster Ballettdirektor Deutschlands in Frankfurt am Main. Zuvor hat er seine ersten Choreographien beim Stuttgarter Ballett entwickelt. 1973 schließlich geht er nach Hamburg, wird Ballettdirektor und Chefchoreograph beim Hamburg Ballett, das er zu Weltruhm führt. 1978 gründet er seine eigene Ballettschule, seit 1996 ist er Ballettintendant an der Staatsoper Hamburg.

Wichtig ist ihm die Verbindung zu seiner Tanz-Compagnie. In Frankfurt habe er damals immer am morgendlichen Training teilgenommen, erzählt er. Es sei ihm von Beginn an wichtig gewesen, den Alltag der Tänzerinnen und Tänzer zu teilen. "Ich habe immer gespürt, dass auch die Auftritte in unserem Repertoire das Verhältnis zu meinem Ensemble positiv beeinflussten", erklärt er. "In der Situation der Aufführung waren wir alle gleich - erfuhren dieselbe Verletzlichkeit eines Künstlers im Rampenlicht."

Solange er sich erinnern kann, wollte er Tänzer werden. Seinen ersten Unterricht bekommt er als Kind in seiner Heimatstadt Milwaukee im US-Bundesstaat Wisconsin. Die Ballettlehrjahre verbringt der Kapitänssohn dann in Kopenhagen und London. Doch seine Eltern legen ihm nahe, sein Studium an der heimatlichen Universität zunächst abzuschließen. Er macht also seinen Bachelor of Arts in Englischer Literatur und Theaterwissenschaften.

Für seinen Traum, Tänzer zu werden, hat er sogar geschummelt: Als Neumeier 1962 nach Europa kommt, um seine Ausbildung an der Londoner Royal Ballet School abzuschließen, datiert er kurzerhand sein Geburtsjahr um drei Jahre nach vorn. Er ist zu diesem Zeitpunkt 23 Jahre alt, nach seinen Angaben aber erst 20.

"Ich wollte sichergehen, bei der Registrierung nicht abgewiesen zu werden", begründet er später seine Entscheidung. Spontan habe er sich deshalb zur Änderung entschlossen. Lange Zeit bleibt es ein wohl gehütetes Geheimnis.

Seine künstlerische Vorliebe gilt dem großen russischen Tänzer Vaslav Nijinsky (1889-1950). Als 11-Jähriger habe er ein Buch über ihn entdeckt und verstanden, dass die Figuren auf der Bühne echte Menschen seien, sagte Neumeier einmal. Als Choreograph interessieren ihn Gemütslagen und menschliche Beziehungen, mit dem Tanz spürt er dem nach, was mit Worten nicht gesagt werden kann. Dabei ist der Mann mit dem wachen Blick überzeugt: "Man kann nur aus sich selber wirklich ehrlich schöpfen."

Eines seiner Schlüsselwerke ist die Choreographie zu Johann Sebastian Bachs "Matthäuspassion". Die Idee, die Passion zu tanzen, sei zunächst so ungewöhnlich gewesen, dass er mehrere Anläufe unternehmen musste, bis das Ballett 1981 uraufgeführt werden konnte, erinnert er sich. Die Aufführung wurde sowohl in einem Kirchenraum, der Hamburger Hauptkirche St. Michaelis, als auch in der Hamburger Oper erprobt.

Als Choreograph sei ihm dabei wichtig gewesen, dass "der Tanz als elementare humane Ausdrucksform die Dimension des Glaubens nicht ausschließt", betont Neumeier. Seine "Matthäus-Passion" sei kein missionarisches Werk, sondern bringe jedem einzelnen Zuschauer grundlegende Erfahrungen des Menschseins nahe. Neumeier selbst hat viele Male den Jesus verkörpert. Heute zählt er diese Rolle zu den wichtigsten seiner aktiven Karriere als Tänzer.

Der weltbekannte Choreograph hat außerdem viele klassische Märchen- und Handlungsballette wie "Der Nussknacker", "Romeo und Julia", "Schwanensee" oder "Dornröschen" neu interpretiert. Seinem langjährigen Freund Leonard Bernstein setzt er 1998 mit "Bernstein-Dances" ein Denkmal.

Hamburg ist für Neumeier zur Wahlheimat geworden. Auch privat hat er sein Glück an der Elbe gefunden: 2018 heiratet er seinen langjährigen Lebenspartner, den Hamburger Herzchirurgen Hermann Reichenspurner.

Für seine Arbeit hat er zahllose Preise, Medaillen und das Bundesverdienstkreuz bekommen. Als einer von Wenigen wurde Neumeier schon zu Lebzeiten Ehrenbürger der Stadt Hamburg.

Seinen 80. Geburtstag feiert der Meister gemeinsam mit seinem Hamburger Publikum: In der Oper ist die autobiografisch inspirierte Ballettgala "The World of John Neumeier" zu erleben. Der Choreograph selbst will auf der Bühne stehen und durch das Programm führen. Versprochen sind Schlüsselszenen seiner erfolgreichen Ballette wie "Nussknacker", "Die Kameliendame" und "Matthäuspassion".

Ob für ihn als Choreographen noch Wünsche offen sind, verrät er nicht. Aber so viel dann doch: "Ich bräuchte ein zweites Leben als Choreograph, um alle Ideen für neue Ballette in die Tat umzusetzen, die in meinem Kopf angelegt sind."

Von Katharina Rögner (epd)


Grips-Theater feiert 50-jähriges Bestehen

Die CDU verbannte das Grips-Theater in den 70er Jahren noch aus den von ihr regierten Bezirken. In diesem Jahr feiert das Ensemble seinen 50. Geburtstag. Geplant ist neben Veranstaltungen mit internationalen Gästen auch die Gründung einer Stiftung.

Das Grips-Theater am Hansaplatz feiert in diesem Jahr sein 50. Gründungsjubiläum mit Gästen aus aller Welt. Unter dem Motto "On the Child's Side" (Auf der Seite des Kindes) seien zahlreiche Veranstaltungen geplant, sagte der künstlerische Leiter des Hauses, Philipp Harpain, bei der Vorstellung des Programmes am Freitag in Berlin. Das 1969 gegründete Theater am Hansaplatz war eines der ersten, das aktuelle und sozialkritische Stücke für Kinder in Deutschland zeigte. Im Jubiläumsjahr plane das Theater nun einen Ausbau und eine Renovierung, wie Harpain ankündigte. "Kinder brauchen mehr Theater als Erwachsene", betonte er.

Zur Eröffnung der Jubiläums-Festwochen am 6. Juni soll "Die Lücke im Bauzaun" von Mehdi Moradpour und Vassilis Koukalani uraufgeführt werden. "Die Lücke im Bauzaun" basiert auf einem der ersten Grips-Theaterstücke "Balle, Malle, Hupe und Artur", das vom Theatergründer und langjährigen Leiter Volker Ludwig geschrieben wurde.

Die Stücke aus dem Grips-Theater funktionierten nicht nur in der deutschen Hauptstadt, sagte Koukalani am 22. Februar. "Obwohl sie berlinspezifisch scheinen, sind sie allgemeingültig für Kinder weltweit", betonte der in Athen lebende Autor mit griechisch-iranischen Wurzeln. Die Aufführungen seien stets Statements zu verschiedenen aktuellen sozialen und politischen Fragen.

Das Theater ist bekannt dafür, öffentliche politische Diskussionen zu entfachen: Grips-Gründer Ludwig erinnert sich in einer Chronik über die Geschichte des Theaters an eine Zeit, in der das Grips in CDU-regierten Stadtbezirken nicht spielen durfte. Den Betreibern sei zudem "kommunistische Indoktrination" vorgeworfen worden. In Griechenland war das Grips-Stück "Mugnog-Kinder" derweil in den 70er Jahren laut Leiter Harpain eines der wichtigsten Stücke für den Widerstand gegen die Militärdiktatur.

Das Theater erlangte aber auch außerhalb Europas Bekanntheit, wie Harpain betonte: In Indien wurde beispielweise in den 80er Jahren die Theaterinitiative "Grips Movement in India" angestoßen, in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul gab es mehr als 4.000 Vorstellungen der musikalischen Revue "Linie 1" - dem bislang erfolgreichsten Stück des "Grips". Beide Länder seien auch bei den Jubiläums-Feiern vertreten, hieß es.

Obwohl das "Grips" schon 50 Jahre alt ist, bemüht es sich laut Harpain stets aktuelle Stücke zu spielen. Auf der Arena-artigen Bühne geht es um Cybermobbing, Inklusion, Leistungsdruck in Schulen, Zwangsverheiratung und schwule Muslime - "Dinge, die Kinder und Jugendliche bewegen", unterstrich er. Bei der Themenfindung spreche sich das Theater mit dem hauseigenen Kinderbeirat, Schulen und Experten ab.

Der Einsatz für Kinder gehe beim "Grips" über die Bühne hinaus, sagte Harpain. Daher soll es im Jubiläumsjahr neben den Vorstellungen und einer Fest-Gala auch ein viertägiges Fachsymposium geben, das sich mit Kinderrechten auseinandersetzen wird. Obwohl Kinder nicht mehr wie zur Gründungszeit des Theaters zur "entrechteten Klasse" gehörten, gebe es in diesem Bereich noch viel Verbesserungsbedarf. Unter anderem setze sich das Theater dafür ein, dass Kinderrechte ins Grundgesetz aufgenommen werden.

Das Grips-Theater spielt seit seinem Umzug vor nunmehr 45 Jahren in einem ehemaligen Kino am Hansaplatz. Das Gebäude zwischen Hochhäusern im Stil der Nachkriegsmoderne ist nicht mehr ganz neu, die Räume für das Ensemble laut Harpain zu eng. Für die Finanzierung einer Renovierung und einer Erweiterung plant das Theater nun, eine Stiftung zu gründen. "Wir wollen weiterhin in der Lage sein, Theater auf dem hohen Niveau zu machen", betonte Harpain.



Kulturstiftung: Museen fehlt Zeit zur Weiterentwicklung

Hortensia Völckers, die künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes, hat auf große Herausforderungen an Museen in der heutigen Zeit hingewiesen. "Sie müssen sich mit der Digitalisierung, kultureller Vielfalt und Diversität auseinandersetzen", sagte sie beim Jahresempfang der Stiftung am 20. Februar in Berlin. Für die Umsetzung radikaler Ideen bleibe da keine Zeit. Mit der Langzeitförderung wolle die Stiftung den Häusern Zeit und Geld geben, um sich weiterzuentwickeln.

Aktuell fördere die Stiftung unter anderen die Initiative "Museum Global", in deren Rahmen mehrere deutsche Kunstmuseen die eigenen Sammlungen kritisch hinterfragen. "Es geht um die Frage, wie anschlussfähig Ausstellungen an die Moderne sind", sagte Völckers. Wichtig sei dabei auch, diese Frage mit den Bürgern zu erläutern. Völckers bezeichnete die Initiative als "interessante Übung, wie man anders ausstellen kann".

Den Angaben nach fördert die Kulturstiftung zudem mit der "Initiative für ethnologische Sammlungen" die zeitgemäße und globale Ausrichtung von Museumssammlungen. Die beteiligten Häuser würden künftig unter anderem neue Wege in der Kooperation mit den Herkunftsländern der Artefakte gehen. "Dekolonisation ist ein großes Thema", sagte Völckers. Museen würden überdenken, wie und mit wem sie die Geschichte erzählen. Das Selbstverständnis vieler ethnologischer Abteilungen sei im Wandel.

In diesem Jahr unterstützt die Stiftung den Angaben zufolge außerdem Institutionen und Einrichtungen, die sich mit dem 100. Jubiläum des Bauhauses beschäftigen. Die 1919 gegründete Schule gilt noch heute als weltweit prägende Stilepoche in den Bereichen Architektur, Kunst und Design. Im Jubiläumsjahr gibt die Stiftung Bauhaus Dessau beispielsweise mit der "Versuchsstätte Bauhaus" Einblicke in den Alltag des Lernens und der Lehre im Bauhaus.

Die Kulturstiftung des Bundes mit Sitz in Halle an der Saale fördert eigenen Angaben zufolge Kunst und Kultur im Rahmen der Zuständigkeit des Bundes. Gegründet wurde die Stiftung am 21. März 2002 durch die Bundesregierung. Jährlich werden der Stiftung 35 Millionen Euro aus dem Haushalt der Staatsministerin für Kultur bereitgestellt.



Dresdner Kunstsammlungen präsentieren vermisstes Gemälde

Nach mehr als 70 Jahren ist ein vermisstes Gemälde des Italieners Pietro Francesco Cittadini (1616–1681) in die Kunstsammlungen in Dresden zurückgekehrt. Das um 1650 entstandene "Stillleben mit einem Hasen" sei zunächst bis Ende März öffentlich zu sehen, teilten die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) am 18. Februar mit. Danach soll es untersucht und - wenn notwendig - restauriert werden.

Das 80 mal 130 Zentimeter große Ölgemälde galt nach dem Zweiten Weltkrieg als vermisst. Es befand sich zuletzt in Privatbesitz in Georgien und wurde im August vom georgischen Premierminister, Mamuka Bakhtadze, an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) übergeben. Das Bild war 1741 für die Gemäldesammlung des sächsischen Kurfürsten Friedrich August II. erworben worden.

Das Bild aus dem 17. Jahrhundert wird in den nächsten Wochen in der Sonderausstellung "Kunstbesitz. Kunstverlust. Objekte und ihre Herkunft" in der Gemäldegalerie im Zwinger zu sehen sein. Es war in der Lost Art-Datenbank der Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste verzeichnet. Wissenschaftler der Gemäldegalerie Alte Meister und des Georgischen Nationalmuseums konnten wegen charakteristischer und unverwechselbarer Altersspuren zweifelsfrei nachweisen, dass es sich bei diesem Werk um das vermisste Gemälde Cittadinis handelt.



Mehr als 30 Kunstwerke gestohlen oder zerstört

In den zurückliegenden zehn Jahren sind in Berlin mehr als 30 Kunstwerke im öffentlichen Raum gestohlen oder unwiederbringlich zerstört worden. Das geht aus der am 18. Februar in der Hauptstadt veröffentlichten Antwort der Senatskulturverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage der AfD-Fraktion im Abgeordnetenhaus hervor.

Nach Angaben von Staatssekretär Torsten Wöhlert verschwanden seit dem Jahr 2009 insgesamt 32 Kunstwerke von öffentlich zugänglichen Orten wie Plätzen oder Parks. In der Mehrzahl der Fälle betraf dies das Vermögen der einzelnen Bezirke, in einem Fall das sogenannte Fachvermögen des Landes Berlins.

Wie die Senatskulturverwaltung weiter mitteilte, wurden im gleichen Zeitraum mindestens acht Kunstwerke zerstört oder so stark beschädigt, dass sie nicht mehr in der Öffentlichkeit ausgestellt werden konnten. Diese Zahl sei allerdings schon in die 32 verschwundenen Kunstwerke eingerechnet. Wie es weiter hieß, wurden seit dem Jahre 2009 insgesamt drei Kunstwerke auf Grund privater Initiativen wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Grundsätzlich würden die Kunstwerke massiv verankert und gegen einfachen Diebstahl geschützt, hieß es. Einige besonders gefährdete Objekte würden eingezäunt und videoüberwacht. Regelmäßige Begehungen sorgten für zusätzliche Sicherheit der Kunstwerke. Das Grundprinzip der Sicherung von Kunst im öffentlichen Raum bestehe aber vor allem in der sozialen Kontrolle und der einsehbaren Platzierung im öffentlichen Raum, unterstrich die Senatskulturverwaltung.



"Neuer Mensch" im Mittelpunkt der Weimarer Reden

Die 26. Ausgabe der Weimarer Reden steht im Jubiläumsjahr von Weimarer Verfassung und Gründung des Bauhauses unter dem Generalthema "Gesucht: Der neue Mensch". Dazu werden ab 10. März an drei aufeinanderfolgenden Sonntagen der Schriftsteller, Historiker und Journalist Philipp Blom, der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen und die Schriftstellerin Kathrin Schmidt in der Klassikerstadt erwartet. In den Reden soll der Ambivalenz des Begriffs nachgespürt werden, teilte das Deutsche Nationaltheater (DNT) am 18. Februar in Weimar mit.

So sei der "Neue Mensch" nicht nur eng mit der Bauhaus-Bewegung verknüpft. In der Zeit nach dem ersten Weltkrieg habe die Gesellschaft um Fortschritt, Modernität und Gerechtigkeit gerungen, hieß es. Doch auch in der sozialistischen Sowjetunion und 15 Jahre später im faschistischen Deutschland arbeitete man weiter am Bild des "Neuen Menschen" als dem glühenden, enthusiastischen Vertreter der jeweiligen Ideologie und Ordnung.

Der "Neue Mensch" beschäftigte alle - "ob wir wollen oder nicht", sagte Oberbürgermeister Peter Kleine (parteilos). Schlagwörter wie Digitale Zukunft, Fake News oder Social Media ließen Fragen aufkommen, wie sich die Umwälzungen der Zeit auf Denken, Verhalten, das Miteinander und die Zukunft der Gesellschaft auswirkten. Für den Generalintendanten des DNT, Hasko Weber, markieren die Reden inzwischen eine bemerkenswerte Tradition im Sinne des geistigen Austausches und der Aufklärung. Das Thema "Neuer Mensch" schaffe eine Verbindung zwischen den Jubiläen der Weimarer Reichsverfassung und der Gründung des Bauhauses.



Ausstellung im Magdeburger Landtag erinnert an Grenztote

Im Landtag von Sachsen-Anhalt in Magdeburg wird bis zum 27. Februar eine Ausstellung unter dem Titel "An der Grenze erschossen. Erinnerung an die Todesopfer des DDR-Grenzregimes in Sachsen-Anhalt" gezeigt. Die Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Birgit Neumann-Becker, sagte anlässlich der Ausstellungseröffnung am 20. Februar: "30 Jahre nach dem Fall des 'Eisernen Vorhangs' feiern in diesem Jahr die Menschen in Europa die wiedergewonnene Freiheit und gedenken zugleich der Opfer des kommunistischen Grenzregimes. Es ist mir wichtig, mit dieser neuen Ausstellung über die jeweilige Todesursache und die Todesorte der Opfer konkret und namentlich zu informieren."

Zugleich wollte sie mit der Ausstellung in Sachsen-Anhalt "ein Gespräch darüber eröffnen, wie die Schicksale der Opfer durch Erinnerungstafeln und Gedenkkreuze Teil unserer kollektiven Erinnerung werden können", so Neumann-Becker. Auf elf Tafeln informiert die Ausstellung über das Grenzregime an der innerdeutschen Grenze und listet erstmals alle bekannten Todesfälle mit sachsen-anhaltischem Bezug auf. Eine Begleitbroschüre soll Auskünfte über die Methoden der wissenschaftlichen Recherche geben und listet in mehreren Tabellen die mehr als 100 Todesfälle auf. Eine Roll-Up-Variante der Ausstellung soll in den kommenden Monaten an wechselnden Orten in Sachsen-Anhalt gezeigt werden.

Auf 342 Kilometern Länge verlief im Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalt bis 1989 die innerdeutsche Grenze. An der fast 1.400 Kilometer langen innerdeutschen Grenze wurden insgesamt mindestens 300 Männer, Frauen und Kinder getötet.



Ausstellung "Mein Verein" in Leipzig

Von DDR-Kleingärtnern bis zum Kölner Karneval: Mit Vergangenheit und Gegenwart des deutschen Vereinswesens beschäftigt sich ab dem 1. März eine Ausstellung im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig. Sie zeige "den Verein als Ort von Geselligkeit und Gemeinschaft, Tradition und Heimatverbundenheit", wie das Forum am 21. Februar in Leipzig mitteilte. Zu sehen sind demnach rund 300 Exponate und mehr als 20 Medienstationen. Die Ausstellung "Mein Verein" wird bis zum 25. August gezeigt.

Sie beschäftigt sich den Angaben nach unter anderem mit traditionellen Traditionsvereinen etwa aus dem Schützenwesen. Kleingartenvereine dienen als Beispiele für Vereinigungen, die auch in der DDR "ein begrenztes Eigenleben" hätten führen können. Die Kölner Karnevalsgesellschaften belegten indes eindrucksvoll die identitätsstiftende Rolle, die Vereinen zukommen können. Exponate wie ein signierter Ball des ersten Bundesliga-Spiels von RB Leipzig gegen Schalke 04 sollen dagegen moderne Formen von Fangemeinschaften illustrieren.

Auch der Strukturwandel, der sich im deutschen Vereinswesen abzeichne, werde thematisiert, hieß es weiter. Demnach nehmen die Mitgliederzahlen in traditionellen Geselligkeitsvereinen vor allem auf dem Land langsam ab. An Bedeutung gewinnen hingegen seit einiger Zeit projektbezogene Fördervereine. Als Beispiele nannte das Forum die Gesellschaft zur Förderung des Wiederaufbaus der Dresdner Frauenkirche, aber auch die in zahlreichen Kommunen aktiven Lebensmitteltafeln. Insgesamt gibt es in Deutschland demnach mehr als 600.000 Vereine. Etwa 44 Prozent der Deutschen sind in mindestens einem davon Mitglied.



Sachsen gibt eine Million Euro für nichtstaatliche Museen

Der Freistaat Sachsen fördert nichtstaatliche Museen in diesem Jahr mit gut einer Million Euro. Davon können rund 700.000 Euro für Projekte zu Forschung, Gestaltung, Restaurierung und Ankauf beantragt werden, wie das Kunstministerium in Dresden am 19. Februar mitteilte. Weitere 250.000 Euro stehen für Vorhaben im Bereich der Digitalisierung zur Verfügung, 130.000 Euro für Projekte zur Inklusion.

Das Geld wird von der Sächsischen Landesstelle für Museumswesen vergeben, die bei den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden angesiedelt ist. Bewerbungsschluss ist der 24. April.

"Es gibt in Sachsen über 400 nichtstaatlichen Museen, die unser reiches kulturelles Erbe präsentieren und kulturelle Bildung vermitteln", erklärte Kunstministerin Eva-Maria Stange (SPD). "Uns sind diese Häuser sehr wichtig und wertvoll, deshalb helfen wir ihnen, damit sie modernen Besucheransprüchen genügen können", fügte sie hinzu.



Brandenburgs Freie Theater erhalten Millionen-Förderung

Freie Theater in Brandenburg erhalten in diesem Jahr rund 1,3 Millionen Euro Förderung vom Land. Darüber habe eine externe Experten-Jury in Abstimmung mit dem Landesverband Freier Theater Brandenburg und dem Kulturministerium entschieden, teilte Kulturministerin Martina Münch (SPD) am 24. Februar in Potsdam mit. Nach ihren Worten gibt es in der Mark mehr als 30 professionelle Freie Theater, von Oper, über Kinder- und Jugendtheater bis hin zu zeitgenössischem Tanz, Ballett, Puppentheater und experimentellem Theater.

Insgesamt 765.000 Euro werden an die sechs Theater fabrik Potsdam, das Ton und Kirschen Wandertheater aus Werder, das T-Werk Potsdam, das Kanaltheater Eberswalde, das theater 89 in der Uckermark und das Theater des Lachens in Frankfurt (Oder) ausgereicht. Weitere 275.000 Euro kommen Projekten von zwölf weiteren Bühnen zugute. Nochmals 252.000 Euro fließen in die Internationalen Tanztage Potsdam und das Tanzpakt-Projekt der fabrik Potsdam sowie in das Theaterfestival Unidram Potsdam.

Nach Angaben des Kulturministeriums finden Aufführungen Freier Theater im Land Brandenburg jährlich in rund 80 Städten und Gemeinden statt. Die etwa 2.000 Vorstellungen zogen demnach in der letzten Spielzeit 2017/18 mehr als 200.000 Besucher an.



Brandenburg bekommt bessere Theater- und Orchester-Finanzierung

Brandenburg hat als erstes Bundesland eine verlässliche Finanzierung für die überwiegend kommunalen Theater und Orchester im Bundesland eingeführt. Damit könnten sieben herausragende Einrichtungen und Kulturträger mit jährlich mehr als 400.000 Besuchern abgesichert werden, sagte Brandenburgs Kulturministerin Martina Münch (SPD) am 21. Februar in Potsdam. Die sieben Kultureinrichtungen bekämen damit 2019 rund 28 Millionen Euro aus dem neuen Vertrag, sieben Millionen Euro mehr als zuvor. Insgesamt erhielten die großen Theater und Orchester in Brandenburg 34 Millionen Euro direkt vom Land und zusätzliche Mittel über das Finanzausgleichsgesetz. Der Vertrag gilt zunächst bis 2022.

Die Änderungen betreffen das Brandenburgische Staatsorchester und das Kleist-Forum in Frankfurt an der Oder, die Brandenburgische Kulturstiftung und das Piccolo-Theater in Cottbus, das Brandenburger Theater und Orchester in Brandenburg an der Havel, die neue Bühne Senftenberg und die Uckermärkischen Bühnen Schwedt.

Das Land übernehme "ab sofort" 50 Prozent der Finanzierung der sieben Kultureinrichtungen, sagte Münch. 30 Prozent kommen aus der Theater- und Orchesterpauschale des Finanzausgleichsgesetzes, auf die Kommunen entfällt nur noch ein Anteil von 20 Prozent. Bisher habe es zwar Fördermittel für alle Einrichtungen, aber keinen einheitlichen Finanzierungsschlüssel gegeben, betonte Münch. Mit der Neuregelung gelinge es gemeinsam mit den Kommunen, nahezu alle Theater und Orchester an den Flächentarif heranzuführen und die Beschäftigten besser zu bezahlen.

Für 2020 sei ein weiterer Aufwuchs um rund 8,5 Millionen Euro, für 2021 um rund 10,3 Millionen Euro und für 2022 um rund zwölf Millionen Euro geplant, sagte Münch. Die Kommunen würden die dadurch frei werdenden Mittel zum Teil erneut für kulturelle Zwecke einsetzen. Mit der Neuregelung werde der Weg fortgesetzt, herausragende Einrichtungen in Brandenburg abzusichern und damit auch die kulturelle Teilhabe vor Ort zu sichern.

Die Deutsche Orchestervereinigung (DOV), die Gewerkschaft Verdi und weitere Verbände begrüßten die Vereinbarung "im Grundsatz", erklärte die DOV am Donnerstag. Am Brandenburgischen Staatstheater Cottbus fehlten jedoch weiter mehr als eine Million Euro, um eine tarifliche Bezahlung der Künstler zu erreichen.

Auch in den Kommunen und den Kultureinrichtungen wurde die Neuregelung begrüßt. Das Land "hält aus unserer Sicht hier Wort", sagte der Oberbürgermeister von Frankfurt an der Oder, René Wilke (Linke). Damit werde eine nachhaltige Absicherung der Kultureinrichtungen und zugleich eine Entlastung der Kommunen erreicht. Für die Stadt sei der Vertrag ein "kulturpolitischer Wendepunkt". Bisher sei die Existenz einiger Kulturträger wegen anhaltenden Finanzproblemen immer wieder infrage gestellt worden, sagte Wilke: "Dieses endet jetzt."



Sachsen erstmals mir mehr als 20 Millionen Übernachtungen

Negative Schlagzeilen über Rechtsextremismus und Ausschreitungen in Sachsen halten Touristen offenbar nicht von einem Besuch im Freistaat ab: Die Zahl der Übernachtungen in sächsischen Unterkünften mit mehr als zehn Betten hat 2018 erstmals die 20-Millionen-Marke überschritten. Auch die Zahl an Gästen stieg auf einen Höchststand von knapp 8,2 Millionen, wie das sächsische Wirtschaftsministerium am 19. Februar in Dresden mitteilte. Im Vergleich zu 2017 hätten beide Werte um etwa vier Prozent zugelegt.

Die Zahl der ausländischen Besucher stieg auf knapp über eine Million. Diese Gäste zeichneten für knapp 2,2 Millionen Übernachtungen verantwortlich, was einem Anstieg von 6,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspreche und damit ebenfalls einen neuen Rekordwert bedeute, erklärte das Ministerium. Auch habe der Zuwachs an Besuchern aus dem Ausland damit erneut über dem bundesweiten Durchschnitt gelegen.

Die insgesamt größte Steigerung bei den Gästeankünften verzeichnete den Angaben zufolge die Sächsische Schweiz mit einem Plus von 9,4 Prozent. Die Übernachtungen stiegen um 6 Prozent. Auch Sachsens größte Stadt Leipzig habe seine hohen Zuwächse der zurückliegenden Jahre fortgesetzt und 7,5 Prozent mehr Gäste sowie 6,5 Prozent mehr Übernachtungen gezählt. Das Vogtland kam auf ein Plus von 5,9 Prozent bei den Besuchern und von 3 Prozent bei den Übernachtungen.

Die in absoluten Zahlen meisten Gäste verzeichnete demnach die Landeshauptstadt Dresden mit rund 2,24 Millionen sowie 4,6 Millionen Übernachtungen. Dies habe Zuwächsen von 3,4 beziehungsweise 3,9 Prozent entsprochen, erklärte das Ministerium.



Leichter Rückgang bei Thüringer Gästezahlen

Nach dem hohen Gäste- und Übernachtungsaufkommen in Thüringen im Jahr des Reformationsjubiläums 2017 gingen die Zahlen im vergangenen Jahr leicht zurück. In den Hotels, Pensionen und auf den Campingplätzen mit mindestens zehn Schlafgelegenheiten wurden 2018 fast 9,9 Millionen Übernachtungen gezählt, teilte das Landesamt für Statistik am 22. Februar in Erfurt mit. Das waren etwa 70.000 (0,7 Prozent) weniger als 2017. Die Zahl der Gästeankünfte betrug im vergangenen Jahr 3,8 Millionen (ein Rückgang um 30.000 oder minus 0,8 Prozent). Die Verweildauer pro Gast sei mit durchschnittlich 2,6 Tagen dagegen auf einem konstanten Niveau geblieben.

Besser schneide die Thüringer Hotellerie bei einem Vergleich des Vorjahres mit 2016 ab. Danach habe es 2018 sowohl mehr Gäste als auch mehr Übernachtungen als vor zwei Jahren gegeben, so die Zahlenbehörde. Die ungefähr 64.000 Gästebetten, die 2018 in den Thüringer Beherbergungsstätten durchschnittlich angeboten wurden, hätten im Jahresdurchschnitt eine Auslastungsrate von fast 40 Prozent erreicht. Zwischen den einzelnen Reisegebieten gebe es dabei Unterschiede. So habe die Auslastung der Gästebetten zwischen 49 Prozent im Saaleland und 30,9 Prozent im Thüringer Vogtland geschwankt, ermittelte das Statistische Landesamt für 2018.

Deutschlandweit seien 2018 in den Beherbergungsbetrieben 477,6 Millionen Übernachtungen in- und ausländischer Gäste gezählt worden. Wie das Statistische Bundesamt mitteilte, bedeutet dies ein Plus von vier Prozent gegenüber 2017. Damit sei bei der Zahl der Übernachtungen ein neuer Rekordwert erreicht worden. Die Zahl der Übernachtungen von Gästen aus dem Ausland habe sich 2018 im Vergleich zum Vorjahr auf 87,7 Millionen (plus fünf Prozent) erhöht. Die ebenfalls gestiegene Zahl der Übernachtungen deutscher Gäste erreichte nach den Angaben des Bundesamtes einen Wert von 389,9 Millionen (plus vier Prozent).



Hans Joachim Schädlich mit Erich-Loest-Preis geehrt

Der sächsische Schriftsteller Hans Joachim Schädlich ist mit dem diesjährigen Erich-Loest-Preis der Medienstiftung der Sparkasse Leipzig ausgezeichnet worden. Der 83-Jährige nahm die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung am 24. Februar in der Messestadt entgegen. Die Laudatio hielt Tilmann Spreckelsen von der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Schädlich wurde 1935 im vogtländischen Reichenbach geboren. Er lebt und arbeitet in Berlin.

Schädlichs Art zu schreiben verbinde einen wachen, kritischen Geist mit erzählerischer Fantasie und male wirkmächtige Bilder der jüngeren deutschen Geschichte, begründete die Jury ihre Entscheidung. Auch habe man Schädlich insbesondere für seinen Anfang 2018 erschienenen Roman "Felix und Felka" würdigen wollen. Das Buch über die letztlich vergebliche Flucht des deutsch-jüdischen Malers Felix Nussbaum und dessen Lebensgefährtin Felka vor den Nazis sei eine meisterliche literarische Verdichtung, hieß es.

Der Erich-Loest-Preis wird seit 2017 alle zwei Jahre vergeben. Erster Preisträger war der Schriftsteller Guntram Vesper. Der Preis würdige Autoren, die die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in Deutschland beschreiben und mit ihrer Stimme den demokratischen Diskurs mitgestalteten, hieß es. Der Preis ist nach dem 2013 verstorbenen Leipziger Schriftsteller und Ehrenbürger Erich Loest benannt.



Indonesisches Künstlerkollektiv leitet documenta 15


Der Installationskünstler, Kurator und Direktor von Ruangrupa, Ade Darmawan, und der Architekt Farid Rakun.
epd-bild/Andreas Fischer

Das indonesische Künstlerkollektiv Ruangrupa ist zur künstlerischen Leitung der Weltkunstausstellung documenta 15 berufen worden. Wie die Generaldirektorin der documenta, Sabine Schormann, am 22. Februar in Kassel bekanntgab, folge der Aufsichtsrat mit der Ernennung dem Vorschlag der Findungskommission, die die zehnköpfige Gruppe von Künstlern und Journalisten aus Jakarta einstimmig nominiert habe. Es ist das erste Mal in der Geschichte der documenta, dass die künstlerische Leitung einem Kollektiv anvertraut wird. Die documenta 15 findet vom 18. Juni bis 25. September 2022 in Kassel statt.

Der Kurator und Direktor von Ruangrupa, Ade Darmawan, kündigte an, bei der Gestaltung der Ausstellung experimentell und auf Erfahrungsebene vorgehen zu wollen. Wichtig sei der Gruppe auch eine alternative Praxis. Einen zweiten Standort wie bei der documenta 14 solle es zwar nicht geben, dafür aber eine Kooperation mit Partnern an unterschiedlichen Orten.

Etat erhöht

"Wir haben kein Ausstellungskonzept im klassischen Sinn vorgelegt", ergänzte Gruppenmitglied Farid Rakun. Vieles wisse man noch nicht. "Wir wollen mit dem Kontext, in dem wir in Kassel leben, etwas aufbauen", sagte er. Philippe Pirotte, Mitglied der achtköpfigen Findungskommission, erklärte, dieses Konzept, an dem alle teilhaben könnten, habe letztlich überzeugt. Ruangrupa sei in der Lage, verschiedene Gruppen anzusprechen, sei unkompliziert und humorvoll. "Ihre Grundidee heißt Zusammenarbeit", sagte er.

Der Aufsichtsratsvorsitzende der documenta, der Kasseler Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD), kündigte an, dass die Findungskommission die documenta 15 auch nach der Nominierung der künstlerischen Leitung als eine Art Beirat weiterhin begleiten werde. Dies sei ebenfalls ein Novum in der Geschichte der Kunstausstellung.

Da der Etat erhöht wurde, sei die documenta 15 "sehr auskömmlich" ausgestattet, sagte Geselle. Eine konkrete Summe nannte er nicht. Der Etat der documenta 14 lag bei 34 Millionen Euro. Vor allem bedingt durch den zweiten Standort Athen hatte die documenta 14 ein Defizit von 7,6 Millionen Euro verursacht.



Filme der Woche

The Hate U Give

Der Jugendroman „The Hate U Give“ von Angie Thomas war 2017 ein Bestseller und bekam auch den Deutschen Jugendliteraturpreis. George Tillman jr. hat aus der Geschichte eines schwarzen Mädchens, das zwischen einem schwarzen Problembezirk und einer weißen Eliteschule ein „Doppelleben“ führt und politisch erwacht, als sein Freund von einem Polizisten erschossen wird, einen kraftvollen, umsichtigen Film gemacht. „The Hate U Give“ vermittelt in größtmöglicher Nuanciertheit ein Bild davon, wie struktureller Rassismus eine Gesellschaft vergiftet.

The Hate U Give (USA 2018). R: George Tillman jr. B: Audrey Wells (nach dem Roman von Angie Thomas). Da: Amandla Stenberg, Regina Hall, Russell Hornsby, Algee Smith, Anthony Mackie. 133 Min.

Asche ist reines Weiß

Jia Zhangke, der einst als unabhängiger Regisseur unter dem Radar der Zensur arbeitete, hat sich zwar längst etabliert im chinesischen Filmgeschäft. Aber sein neuer Film zeigt, dass er ein hellsichtiger, kritischer und fantasievoller Chronist der gesellschaftlichen Verwerfungen geblieben ist. In einer Mischung aus Krimi, Liebes- und Sozialdrama erzählt „Asche ist reines Weiß“ von der Gangsterbraut Qiao (Zhao Tao), die für ihren Mann, einen Provinz-Mafioso aus Shanxi, fünf Jahre ins Gefängnis geht. Als sie zurückkehrt, auf dem Weg über den großen Jangtse-Fluss, hat sich viel verändert.

Asche ist reines Weiß (China/Frankreich 2018). R u.B: Jia Zhangke. Da: Zhao Tao, Liao Fan, Zheng Xu, Casper Liang. 141 Min.

Ein könglicher Tausch

Nach „The Favourite“ und „Maria Stuart“: ein weiteres Königinnendrama mit starken Frauen. Jetzt allerdings verhaltener im Ton. Marc Dugains Film erzählt, nah an den Fakten, von einer dynastischen Verschlingung im Jahr 1721. Um den Frieden zu sichern, sollen die jungen Erben des französischen und spanischen Throns mit Prinzessinnen aus dem jeweils anderen Staat verheiratet werden – und die spanische Infantin ist gerade mal vier Jahre alt. In prächtigen Bildern, mit hervorragenden jugendlichen Darstellern beschreibt der Film die Gefühlslage der politischen „Geiseln“ – und bedenkt unseren heutigen, befremdeten Blick auf solche Gebräuche mit.

Ein könglicher Tausch (Frankreich/Belgien 2017). R u. B: Marc Dugain (nach einem Roman von Chantal Thomas). Da: Lambert Wilson, Anamaria Vartolomei, Olivier Gourmet, Catherine Mouchet, Kacey Mottet Klein. 100 Min.

Kommissar Gordon & Buffy

Die Schweden sind Meister des Krimigenres. Hier kommt aber keine düstere Geschichte aufs Publikum zu: Die Helden des Kinderfilms sind ein fürsorglicher Kröterich und eine junge Maus. Nach einer humorvollen schwedischen Bilderbuchserie erzählt Linda Hambäck, wie der Kommissar Gordon und seine kleine Assistentin im Wald einen Nussdiebstahl aufklären und zwei verschwundene Tierkinder ausfindig machen. Alles in schön gestalteten animierten Bildern, mit Charme, Herz und feiner Ironie.

Kommissar Gordon & Buffy (Schweden 2017). R: Linda Hambäck. B: Janne Vierth (nach den Kinderbüchern von Ulf Nilsson und Gitte Spee). Sprecher: Sven Brieger, Lotta Doll. 65 Min.

www.epd-film.de