Kirchen

Bielefelder Professorin Beate Hofmann zur Bischöfin gewählt


Beate Hofmann
epd-bild/Christian Schauderna/medio.tv
Nachfolgerin von Bischof Martin Hein in Kassel wird Beate Hofmann aus Bielefeld. Die Synode wählte die Professorin an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel im zweiten Wahlgang. Sie will ihr Amt "mit Demut und Mut" angehen.

An der Spitze der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck wird erstmals eine Frau stehen. Die Synode der Landeskirche wählte die 55-jährige Beate Hofmann am 9. Mai in Hofgeismar zur Nachfolgerin von Bischof Martin Hein, der Ende September in den Ruhestand tritt. Die Professorin für Diakoniewissenschaft an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel erhielt im zweiten Wahlgang 78 Stimmen von den 86 Wahlberechtigten im Kirchenparlament.

Ihre Mitbewerberin, die Herborner Pröpstin Annegret Puttkammer, hatte ihre Kandidatur zurückgezogen, nachdem sie im ersten Wahlgang 25 Stimmen erhalten hatte. Hofmann hatte im ersten Wahlgang 56 Stimmen erreicht und die erforderliche Zweidrittelmehrheit von 58 Stimmen damit nur knapp verfehlt.

Hofmann zeigt sich in einer ersten Reaktion von der Wahl überwältigt. "Sie haben mir den Schlüssel zu einer Tür zu einem neuen Lebensabschnitt anvertraut", sagte sie. Es sei zugleich ein Schlüssel für eine Schlüsselfunktion in der EKKW. "Ich werde das Amt mit Demut und Mut und mit Offenheit für Gottes Geist und seine erneuernde Kraft angehen", erklärte die designierte Bischöfin.

"Große Ohren"

Nach ihren Amtseinführung am 29. September in der Kasseler Martinskirche wolle sie viel Zeit darauf verwenden, die EKKW besser kennenzulernen, kündigte Hofmann an. Es gelte hinzuhören, wo Probleme und wo Ideen und Chancen lägen. "Die Menschen können große Ohren von mir erwarten", sagte sie. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit werde unter anderem die Begleitung des Reformprozesses in der EKKW sowie die Stärkung der Zusammenarbeit von Kirche und Diakonie sein.

Bischof Hein würdigte in einer ersten Stellungnahme das überwältigende Wahlergebnis, mit dem Hofmann im zweiten Wahlgang gewählt worden sei. Dies sei Ausdruck eines großen Vertrauens, sagte er.

Auch der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, gratulierte der ersten Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck. Er habe Hofmann als zupackenden und zugewandten Menschen kennengelernt und freue sich auf die Zusammenarbeit in der EKD, hieß es in einer Mitteilung der EKD.

Von München nach Kassel

Der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung übermittelte der künftigen Bischöfin der benachbarten Landeskirche Glück- und Segenswünsche. "Ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit", sagte Jung. Für die Zukunft sieht Jung es als eine der größten Aufgaben an, die kirchlichen Herausforderungen durch den gesellschaftlichen Wandel gemeinsam zu gestalten. Die Arbeit über Kirchengrenzen hinweg werde dabei weiter an Bedeutung gewinnen.

Beate Hofmann, 1963 in Bad Tölz geboren, wirkte nach Studium und Vikariat zunächst von 1993 bis 1996 als Pfarrerin in München. 1999 promovierte sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität München. 1998 bis 2003 war sie theologische Studienleiterin der Diakonie Neuendettelsau, 2003 bis 2013 Professorin für Gemeindepädagogik an der Evangelischen Hochschule Nürnberg. 2012 erfolgte ihre Habilitation, seit 2013 ist Hofmann Professorin für Diakoniewissenschaft und Diakoniemanagement an der kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel.



Friedrich Kramer wird neuer mitteldeutscher Bischof


Friedrich Kramer
epd-bild/Frank Drechsler
Die mitteldeutsche Synode wählte den Akademie-Direktor Friedrich Kramer zur Nachfolgerin von Ilse Junkermann. Der 54-Jährige freut sich auf ein "spannendes, weil nicht einfaches Amt".

Der 54-jährige Akademie-Direktor Friedrich Kramer wird neuer Bischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM). Die Synode wählte ihn am 10. Mai zum Nachfolger von Ilse Junkermann, die nach zehn Jahren im Sommer zur Universität Leipzig wechselt. Der bisherige Direktor der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt erhielt im Kloster Drübeck (Harz) im dritten Wahlgang 56 von 84 abgegebenen Stimmen und damit die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit.

Kramer nahm die Wahl an und bedankte sich bei den Synodalen für das ihm entgegengebrachte Vertrauen. Er freue sich auf die kommenden zehn Jahre. "Es gibt viel zu tun", sagte er. Er freue sich auf ein "spannendes, weil nicht einfaches Amt". Kramer ist es als Akademie-Direktor nach eigenen Worten aber gewohnt, verschiedene Positionen miteinander ins Gespräch zu bringen.

Vor dem Hintergrund der sinkenden Mitgliederzahlen riet er zur Gelassenheit. Nur weil man weniger werde, sei das noch keine Krise. "Man kann sein Leben so flach halten wie man möchte, wir bieten Tiefe an", erklärte er. Dennoch nehme er sich vor, dass nach Ablauf seiner Amtszeit immer noch mindestens eine halbe Million Menschen der EKM angehören sollten. Aktuell sind es rund 700.000 Mitglieder.

"Viele Überraschungen"

Die scheidende Landesbischöfin Ilse Junkermann gratulierte ihrem Nachfolger "von ganzem Herzen". Sie wisse, "dass das Amt viele Überraschungen, viel Erfüllendes, aber auch manche Anstrengung" bereithalte.

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, bescheinigte dem künftigen mitteldeutschen Bischof eine große Bereitschaft zum Zuhören und zur Diskussion. Auch habe er durch seine langjährige Arbeit als Studentenseelsorger "einen guten Draht zu jungen Menschen, die wir als Kirche ganz gezielt ansprechen möchten". Er freue sich auf die Zusammenarbeit in der EKD, unterstrich Bedford-Strohm.

Die bisherigen Bischöfin wird am 6. Juli in einem Gottesdienst im Magdeburger Dom verabschiedet und von ihrem Dienst entpflichtet. Der Einführungsgottesdienst Kramers ist für den 7. September an gleicher Stelle geplant.

Auf die unterlegene Kandidatin, die Superintendentin des Kirchenbezirks Plauen, Ulrike Weyer, entfielen im dritten Wahlgang 17 Stimmen. Der dritte Bewerber, Pfarrer Karsten Müller aus Halle, hatte seine Kandidatur bereits nach dem ersten Wahlgang zurückgezogen.

Bausoldat

Kramer wurde am 30. Oktober 1964 in Greifswald geboren. Im Alter von zehn Jahren zog seine Familie nach Wittenberg, wo sein Vater das Predigerseminar leitete. Nach dem Abitur diente er von 1983 bis 1985 als Bausoldat in Prora auf Rügen. Nach seinem Studium der Evangelischen Theologie von 1985 bis 1991 an der Humboldt-Universität Berlin war er Pfarrer in Lodersleben und Gatterstädt bei Querfurt sowie mit der Jugendarbeit im Kirchenkreis Querfurt beauftragt.

Von 1997 bis 2008 war Kramer als Pfarrer für Studentenseelsorge in Halle tätig. Seit 2009 ist er Direktor der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt und zugleich Studienleiter für Theologie und Politik. Der 54-Jährige ist verheiratet mit Sabine Kramer, Direktorin des Predigerseminars in Lutherstadt Wittenberg, und hat zwei Töchter. Zudem ist Friedrich Kramer auch Honorardozent an der Evangelischen Hochschule für Kirchenmusik in Halle und in verschiedenen Gremien aktiv.

Die EKM entstand zum 1. Januar 2009 aus dem Zusammenschluss der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen mit der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen. Der mitteldeutschen Kirche gehören etwa 700.000 evangelische Christen an; rund 450.000 davon in Thüringen und etwa 240.000 in Sachsen Anhalt. Die übrigen Mitglieder stellen Gemeinden in den Randgebieten von Brandenburg und Sachsen.



Mahnmal erinnert an "Entjudungsinstitut"


Mahnmal in Eisenach
epd-bild/Sascha Willms

80 Jahre nach Gründung des sogenannten Entjudungsinstituts ist am 6. Mai in Eisenach ein Mahnmal eingeweiht worden. Die Installation nach einem Entwurf des Leipziger Künstlers Marc Pethran sei als ein Schuldbekenntnis für die Gründung des "Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben" sowie zur mahnenden Erinnerung an die Opfer von Antijudaismus und Antisemitismus zu verstehen, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung von acht evangelischen Landeskirchen. Sie stehen in der Rechtsnachfolge von elf Vorgängerkirchen, die das Institut auf Betreiben führender "Deutscher Christen" am 6. Mai 1939 auf der Wartburg gegründet hatten.

Das überlebensgroße Mahnmal besteht aus zwei rostigen Metalltafeln, die an ein Buch erinnern. Teile der angedeuteten Zeilen wurden so entfernt, dass sie einzelnen ausgeschnittenen Worten ähneln. Während auf der hinteren Tafel Informationen zum Institut zu finden sind, steht auf der vorderen mit großen weißem Buchstaben "Wir sind in die Irre gegangen". Das Zitat weist auf das "Darmstädter Wort" hin, mit dem sich evangelische Christen 1947 zu ihrer historischen Mitverantwortung für die Ursachen und Folgen des Nationalsozialismus bekannten.

Anpassung an NS-Ideologie

Der neu geschaffene Erinnerungsort befindet sich etwa 100 Meter unterhalb des an einem steilen Stieg gelegenen früheren Institutsgebäudes. Von der Verlegung verspreche man sich eine bessere öffentliche Wahrnehmung, sagte Ilse Junkermann, die Bischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM). Neben ihr nahmen an der Einweihung des Mahnmals auch Vertreter von fünf weiteren Landeskirchen teil - aus Sachsen und aus Anhalt, von der Nordkirche, der Kirche in Hessen und Nassau (Kassel) sowie der Evangelischen Kirche Augsburgischen und Helvetischen Bekenntnisses in Österreich.

Das "Entjudungsinstitut" hatte zum Ziel, Kirche und christlichen Glauben an die nationalsozialistische Ideologie anzupassen. Den Mitarbeitern ging es unter anderem um eine Abwertung des Alten Testaments und die Tilgung sämtlicher jüdischer Spuren im Neuen Testament. So brachte der Arbeitskreis "Volkstestament" 1941 ein "entjudetes" Neues Testament unter dem Titel "Die Botschaft Gottes" heraus.

Der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen, Reinhard Schramm, der gemeinsam mit Landesrabbiner Alexander Nachama nach Eisenach gekommen war, sprach von einer wichtigen Aufarbeitung der Geschichte. "Das gilt nicht nur für die Protestanten, sondern für die ganze Gesellschaft", sagte Schramm dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Dank an Junkermann

Er bedankte sich ausdrücklich bei der scheidenden Landesbischöfin Junkermann für Ihre Hartnäckigkeit bei dem Thema. Der neue Gedenkort komme auch nicht zu spät. 80 Jahre seien eine lange Zeit, aber - ähnlich wie bei der weiter nötigen Auseinandersetzungen um die fünf Jahrhunderte alten antisemitischen Schriften Martin Luthers - setze das Mahnmal noch lange keinen Schlusspunkt hinter die Debatte um das Institut, erklärte er Landesvorsitzende.

Die Einweihung des Mahnmals ist aus Sicht der Landesbischöfin ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Eröffnung der neuen Sonderausstellung im Eisenacher Lutherhaus am 20. September. Sie trägt den Titel "Erforschung und Beseitigung. Das kirchliche "Entjudungsinstitut" 1939-1945" und soll bis mindestens Ende 2021 zu sehen sein. Der Schwerpunkt der Exposition liegt nach Angaben von Lutherhaus-Leiter Jochen Birkenmeier auf der Herausarbeitung der Gründe, die zur Einrichtung des Instituts führten. Aber auch der Umgang mit diesem "dunklen Teil" der Kirchengeschichte in der DDR werde thematisiert, kündigte er an.



Kirchen kritisieren NPD-Plakat mit Luther scharf


Wahlplakat der NPD
epd-bild/Norbert Neetz

Vertreter aus Kirche und Kultur haben Wahlplakate der rechtsextremen NPD scharf kritisiert. In mehreren Bundesländern wirbt die Partei um Wählerstimmen mit dem Bild des Kirchenreformators Martin Luther (1483-1546), wie die Sprecherin der Stiftung Luthergedenkstätten, Nina Mütze, in Wittenberg am 8. Mai dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagte. Belege dafür gebe es unter anderem aus Bayern, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen, wo das Plakat etwa in Bochum hängt.

Stiftung will gegen rechtsextreme Partei klagen

Wahrscheinlich seien aber bundesweit solche Wahlplakate im Umlauf, "überall dort, wo die NPD plakatiert", sagte die Sprecherin. Zum genauen Zeitpunkt wollte sie sich noch nicht äußern. Aktuell liefen die juristischen Vorbreitungen. Zudem würden weitere Hinweise und Fotos wegen Verstößen gegen das Urheberrecht gesammelt. Der Direktor der Stiftung Luthergedenkstätten, Stefan Rhein, erklärte zudem, es sei "geradezu abstoßend, dass die NPD Martin Luther für ihre Parteizwecke instrumentalisiert".

Auch die Evangelische Kirche von Westfalen und die Evangelische Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz verurteilten das Vorgehen der NPD. Das Plakat sei "ein peinlicher Versuch, Luther vor den eigenen Karren zu spannen", erklärte der westfälische Landeskirchenrat Jan-Dirk Döhling am 8. Mai in Bielefeld. Die von Luther angestoßene Reformation sei eine "sprachen- und völkerübergreifende Bewegung" gewesen, die bis heute Menschen aus verschiedenen Ländern und Kulturen verbinde. "Wer dafür einsteht, kann sich zu Recht auf Luther berufen, die NPD nicht", betonte Döhling.

Auch ein Sprecher der Evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) erklärte, die Landeskirche verurteile "diesen Missbrauch Luthers auf das Schärfste". Die NPD versuche, damit gezielt zu provozieren. "Diese Plakate werden, wie aus verschiedenen Gemeinden der EKBO immer wieder gemeldet wird, bevorzugt in unmittelbarer Nähe von Kirchen oder kirchennahen Einrichtungen aufgehängt, zum Teil direkt vor Wohnsitzen von Pfarrerinnen und Pfarrern", erklärte der Kirchensprecher.

Luther-Zitat

Auf dem Wahlplakat der rechtsextremen Partei ist neben dem Konterfei des Reformators eine Abwandlung seines bekannten Zitates "Hier stehe ich, ich kann nicht anders" zu sehen. Bei der NPD heißt es, "Ich würde NPD wählen - Ich könnte nicht anders". Dabei wird ein Lutherporträt aus dem Jahr 1528 verwendet, das in der Dauerausstellung des Lutherhauses in Wittenberg hängt.

Die Stiftung sieht das Urheberrecht der Fotografin, die alle Nutzungsrechte an die Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt übergeben hat, verletzt. Falls eine andere Fotografie verwendet wurde, wäre auch dies nicht erlaubt, weil die Besucherordnung nur Fotos für den privaten Gebrauch zulässt. Das Urheberrecht des Künstlers Lucas Cranachs d. Ä. kann nicht mehr verletzt werden, da er seit mehr als 70 Jahren tot ist. Das Urheberrecht erlischt 70 Jahre nach dem Tod des Künstlers.

"Parteipropaganda"

Dem Inhalt nach handele es sich hierbei nicht um Wahlplakate, da nicht zu einer bestimmten Wahl aufgerufen werde, erklärte der Sprecher der EKBO. Die Plakate tauchten auch unabhängig von anstehenden Wahlen auf. Es handle sich daher um "reine Parteipropaganda".

"Nach unserem Verständnis sind christlicher Glaube und Nationalismus in keinster Weise vereinbar", betonte der Kirchensprecher. Zugleich rief die Landeskirche ihre Pfarrerinnen und Pfarrer auf, "sich nicht zu unüberlegtem Handeln provozieren zu lassen, sondern mit dem Wort zu reagieren".

Die EKBO reagierte damit auf einen Fall im brandenburgischen Storkow. Die rechtsextreme NPD wirft einer Theologin vor, die umstrittenen NPD-Plakate ihrerseits unter anderem mit den Worten "Garantiert nicht" beschmiert zu haben. Die Partei hat nach eigenen Angaben Strafanzeige gegen die Pfarrerin gestellt.



Berliner Kirchengemeinde legt Namen von Antisemiten ab

Die Evangelische Ernst Moritz Arndt Kirchengemeinde in Berlin hat ihre Umbenennung beschlossen. Die Gemeinde im Südwesten der Bundeshauptstadt wird künftig nicht mehr nach dem Greifswalder Schriftsteller und Historiker Ernst Moritz Arndt (1769-1860) heißen. Das beschloss der Gemeindekirchenrat am 6. Mai mit sechs zu vier Stimmen, wie die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) in Berlin mitteilte. Ausschlaggebend war laut Landeskirche die Tatsache, "dass Arndt bei allen sonstigen Verdiensten wegen seiner militant-nationalistischen und judenfeindlichen Äußerungen als Vorbild und Namenspatron einer christlichen Gemeinde ungeeignet ist".

Der Beschluss zur Umbenennung der Kirchengemeinde betrifft den Angaben zufolge auch die zugehörige Kirche. Die Suche nach einem neuen Namen soll laut dem Beschluss "unter größtmöglicher Beteiligung der Gemeinde stattfinden".

Der Berliner Landesbischof Markus Dröge begrüßte die Entscheidung, "die die Gemeinde nach einem intensiven und ernsthaften Prozess der Auseinandersetzung mit der Geschichte und Tradition ihrer Namensgebung nun getroffen hat". Die Gemeinde habe angesichts der vielschichtigen Fragestellung einen vorbildlich offenen und fairen Diskussionsprozess geführt, Verantwortungsbewusstsein gezeigt und ein gutes Beispiel für eine angemessene kirchliche Entscheidungskultur gegeben, erklärte der Bischof.

Auch Uni umbenannt

Ernst Moritz Arndt war als Namenspatron zuletzt wieder verstärkt in die Diskussion geraten. Anfang 2017 entschied die Universität Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern, seinen Namen abzulegen. Arndt hatte Anfang des 19. Jahrhunderts gegen die Besatzung Deutschlands durch Napoleon gekämpft. Kritiker verweisen auf das nationalistische Gedankengut und die antisemitischen Tendenzen in den Schriften des Professors.

Die Berliner Kirchengemeinde hatte sich den Angaben zufolge 1935 nach Arndt benannt. Dies sei unter dem Druck der Nationalsozialisten geschehen, die das Christentum zu jener Zeit durch ein sogenanntes Neuheidentum hätten ablösen wollen, sagte der Superintendent des Kirchenkreises Teltow-Zehlendorf, Johannes Krug, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Vor diesem Hintergrund sei eine Benennung nach Arndt sinnvoll gewesen, da dieser zwar Judenfeind und bei den Nazis beliebt, aber auch überzeugter evangelischer Christ gewesen sei. Heute sei die Benennung einer Kirche und einer Gemeinde nach Arndt indes "kaum noch vermittelbar", erklärte die Landeskirche.



Westfälische Kirche fordert Stopp der Rüstungsausgaben der EU

Der Friedensbeauftragte der westfälischen Kirche, Heiner Montanus, hat von den Kandidaten zur EU-Wahl ein klares Bekenntnis gegen Rüstungsausgaben gefordert. Mit der kürzlich beschlossenen Ausgabe von 13 Milliarden Euro engagiere sich Europäische Union erstmals in ihrer Geschichte "als Financier der Rüstungsindustrie", kritisierte der Theologe in einer am 9. Mai in Bielefeld veröffentlichten Erklärung. Mit den Geldern sollten bewaffnete Drohnen und Massenvernichtungswaffen entwickelt und produzieren werden. Statt in Waffen solle Europa jedoch lieber in Frieden investieren, mahnte Montanus.

"Rüstungshaushalt bedient sich beim Friedenshaushalt"

Die enormen Summen würden im zivilen Bereich fehlen, warnte der Friedensbeauftragte. Der Rüstungshaushalt bediene sich beim Friedenshaushalt. Ausgaben für die zivile Gewaltprävention seien zugleich drastisch gekürzt worden. Statt Ausgaben für mehr Waffen seien Investitionen in Bildung, in die Kranken- und Altenpflege sowie in die Integration von Flüchtlingen sowie in konsequenten Klimaschutz nötig.

"Als Friedensbeauftragter der Evangelischen Kirche von Westfalen fordere ich die Kandidatinnen und Kandidaten für die Wahl zum Europaparlament auf, sich gegen Rüstungsausgaben zu bekennen", erklärte Montanus. "Und dann nach der Wahl im neu zusammengesetzten Parlament bei der erforderlichen erneuten Abstimmung über den Mehrjährigen Finanzrahmen die Rüstungsausgaben abzuwählen." Am 26. Mai wählen in Deutschland die Bürger die Abgeordneten für das Europäische Parlament.



Kirche kritisiert Verschärfung des Kirchenasyls


Ein iranisches Paar im Kirchenasyl
epd-bild / Stefan Arend

Der Migrationsbeauftragte der westfälischen Landeskirche, Helge Hohmann, hat zunehmende Verschärfungen beim Kirchenasyl kritisiert. Kirchengemeinden erlebten derzeit, dass die Gewährung eines Kirchenasyls auf dem Verwaltungsweg immer mehr erschwert werde, sagte der Theologe in Schwerte dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) lehne selbst bei schwer traumatisierten, suizidgefährdeten Flüchtlingen inzwischen fast durchweg aus rein formalen Gründen ein Bleiberecht ab.

Von den Kirchenasyl-Fällen in Gemeinden der Evangelischen Kirche von Westfalen habe das Bamf in den letzten Monaten lediglich einen Fall als Verfahren angenommen, erklärte Hohmann. Alle anderen seien abgelehnt worden. Nach der Grundsatzvereinbarung von Staat und Kirchen zum Kirchenasyl 2015 habe die Behörde anfangs noch in 80 Prozent der Fälle das Verfahren an sich gezogen.

Kirchenasyle in NRW auf Vorjahrsniveau

Hohmann kritisierte auch die seit August 2018 mögliche Fristverlängerung für Abschiebungen von Flüchtlingen im Kirchenasyl von 6 auf 18 Monate. Diese Heraufsetzung sei inzwischen gängige Praxis, sagte der Experte, obwohl mehrere Verwaltungsgerichte das Vorgehen des Bamf als rechtswidrig angesehen hätten. Die Asylbewerber würden als "flüchtig" eingestuft, obwohl die Kirchengemeinden deren Anschrift den Behörden mitteilten. Kirchengemeinden müssten sich nun überlegen, ob sie einen Flüchtling notfalls auch 18 Monate aufnehmen könnten.

Trotz der Verschärfungen sei in der westfälischen Kirche die Zahl der Kirchenasyle bislang annähernd auf dem gleichen Niveau wie im Vorjahr, erklärte Hohmann. Im April gewährten Gemeinden in 37 Fällen Kirchenasyl, davon seien 20 Fälle erst 2019 begonnen worden. Im Vorjahr habe es in der Landeskirche 63 neue Kirchenasyle gegeben. Nach Angaben des Ökumenischen Netzwerks Asyl in der Kirche geht die Zahl neu begonnener Kirchenasyle in Nordrhein-Westfalen insgesamt leicht zurück - demnach befinden sich derzeit in NRW 194 Menschen in 134 Kirchenasylen. Bundesweit ist die Zahl der Kirchenasyle den Angaben zufolge deutlicher rückläufig. Demnach gab es im April 425 Kirchenasyle für 688 Menschen, im August 2018 seien es noch 552 Asyle für 868 Menschen gewesen.

Bis August 2018 wurden Menschen im Kirchenasyl aufgrund einer Einigung zwischen Staat und Kirchen nicht als "flüchtig" angesehen. Die Innenminister beschlossen jedoch eine Änderung dieser Praxis. Dadurch kann das Bamf die Frist für den sogenannten Selbsteintritt von 6 auf 18 Monate erhöhen. Asylsuchende müssen damit länger mit einer Ausweisung aus Deutschland rechnen. Viele Fälle von Kirchenasyl sind sogenannte Dublin-Fälle, für die ein anderer EU-Staat zuständig wäre. Deutschland kann diese Flüchtlinge binnen sechs Monaten in das andere EU-Land zurückschicken, danach ist die Bundesrepublik für das Verfahren zuständig.

epd-Gespräch: Thomas Krüger


EKD-Institutsleiter Gerhard Wegner verabschiedet sich


Gerhard Wegner
epd-bild/Jens Schulze
Gerhard Wegner hat als Gründungsdirektor das Sozialwissenschaftliche Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland geprägt. Jetzt geht er in den Ruhestand. Doch die soziale Gerechtigkeit und die Zukunft der Kirche treiben ihn weiter um.

Gerhard Wegner nimmt die Micky-Maus-Figur aus dem Regal in seinem Büro. "Sie sitzt da in Denkerpose, wie die Statue des Bildhauers Rodin", sagt der Direktor des Sozialwissenschaftlichen Institutes. "Hat meine Frau mir geschenkt. Ist doch originell. Passt irgendwie", fügt er lachend hinzu. "Das Nachdenken, die Wissenschaft hat uns hier immer umgetrieben." Seit mehr als 14 Jahren leitet der promovierte Theologe das Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Hannover. Am 11. Mai wurde der 65-Jährige in Berlin in den Ruhestand verabschiedet.

Neben Micky haben auch eine Büste des christlichen Sozialreformers Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818-1888) und ein Kreuz vom Kap der Guten Hoffnung ihren Platz in dem Regal, das Wegner dann räumen wird. Die Ökumene, die Sozialpolitik und die Frage nach der Rolle der Kirche in der Gesellschaft waren Themen in den Jahren, in denen er - auch einmal als streitbarer Querdenker - die Arbeit des Institutes an der Nahtstelle zwischen Kirche und Sozialwissenschaften prägte. Wegner führte als Gründungsdirektor das frühere Sozialwissenschaftliche Institut der EKD, das ursprünglich vor 50 Jahren in Bochum gegründet worden war, und das damalige Pastoralsoziologische Institut der hannoverschen Landeskirche zusammen.

Studie über Situation von Langzeitarbeitslosen

Als er im Oktober 2004 die Leitung am neuen Standort Hannover übernahm, steckte Deutschland mitten in den Sozialreformen der Agenda 2010. "Die Kritik daran war sehr stark, und die haben wir geteilt", erinnert er sich. "Doch es bestand auch die Notwendigkeit einer Reform." In einer großen Studie erforschte das Institut später die Situation von Langzeitarbeitslosen.

"Da wurde sehr deutlich, dass sie vor allem Ermutigung brauchen", sagt Wegner. Bis heute lehnt er deshalb Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger ab und hält die Leistungskürzungen, die derzeit vor dem Bundesverfassungsgericht auf dem Prüfstand stehen, für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. "Dadurch rutschen Menschen unter das Existenzminimum. Das darf nicht sein", sagt Wegner, der seit seiner frühen Jugend SPD-Mitglied ist.

Kindheit im Hamburger Arbeiterviertel Wilhelmsburg

Aufgewachsen ist er im Hamburger Arbeiterviertel Wilhelmsburg. "Das prägt bis heute", ist er sich sicher. Der Zusammenhalt sei dort über alle gesellschaftlichen Milieus hinweg groß gewesen. In der christlichen Jugendarbeit, fromm geprägt und straff organisiert, fand er ein Zuhause. "Da habe ich meine erste Freundin kennengelernt und da war ich zum ersten Mal betrunken", erzählt er mit einem Schmunzeln. Vor allem durch die engagierte Arbeit der Diakone und das offene Pfarrhaus sei in ihm damals der Wunsch gereift, Pastor zu werden.

Wegner studierte in Göttingen und dem ostafrikanischen Nairobi Theologie und wurde dann Gemeindepastor in Celle und Springe. 1991 wurde er Gründungsgeschäftsführer der kirchlichen Hanns-Lilje-Stiftung, dann Beauftragter der Kirche für die Expo 2000 und später Leiter des "Kirchlichen Dienstes in der Arbeitswelt" der hannoverschen Landeskirche.

Bis heute strahlen seine Augen, wenn er an die Weltausstellung in Hannover und das Engagement der Kirche denkt. "Da war so viel Fantasie und Begeisterung", schwärmt er. "Es war powervoll und große Klasse." Mit ihrem Christus-Pavillon auf dem Expo-Gelände stand die evangelische Kirche weit vorn in der Zuschauergunst.

Appell zu mehr Mut und Ideen

Mehr Mut und Ideen wie bei der Expo wünscht sich Wegner auch für kirchenleitende Gremien. In mehreren Studien hat das Sozialwissenschaftliche Institut deutlich gemacht, wie die evangelische Kirche an gesellschaftlicher Bedeutung verliert. "Ich bin schon manchmal enttäuscht, wie wenig das auslöst", zieht Wegner Bilanz. "Seid unzufriedener mit eurer Kirche, dazu würde ich gern aufrufen." Doch ein Miesmacher ist der Mann mit dem verschmitztem Humor nicht. "Ich sehe auch eine tolle Chance", ergänzt er: "Die Kirche ist herausgefordert. Sie muss zeigen, was sie kann."

Im Ruhestand will Wegner einen Teil seiner Ämter behalten. Er ist unter anderem ehrenamtlicher Vorstandsvorsitzender des Niedersächsischen Bundes für freie Erwachsenenbildung und Vorsitzender des Beirates der Landeszentrale für politische Bildung. Auch privat hat er schon eine Zusage gegeben. In Brünnighausen bei Hameln, wo er seit vielen Jahren mit Frau und Hund lebt, will er im Männergesangverein "Hoffnung" mitsingen. Dort werde er dann zu den Jüngeren gehören, sagt Wegner - wieder mit einem Schmunzeln: "Die brauchen dringend Nachwuchs."

Karen Miether (epd)


50 Jahre Sozialwissenschaftliches Institut

Das Sozialwissenschaftliche Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) wurde 1969 in Bochum gegründet. Ziel war es, soziologische und sozialethische Forschung für die Kirche und die Gesellschaft zu betreiben und der Kirche wissenschaftliche Grundlagen für ihr Handeln zu liefern. Das Institut sollte damit "dem Eintreten der Kirche für Gerechtigkeit und Frieden in der Welt" dienen.

Der Soziologe Klaus Lefringhausen (1934-2009) setzte als erster Leiter einen Schwerpunkt auf "Fortschrittsprobleme der Industriegesellschaft". Bundesweite Bedeutung erhielt das Institut in den 1970er Jahren unter der Leitung des Soziologen Horst Zilleßen mit seinen Forschungen und Veröffentlichungen zum Thema Umwelt. So war das Institut 1972 an der Gründung der "Bundesarbeitsgemeinschaft Umweltschutz" beteiligt. Als sich im selben Jahr der "Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz" gründete, wurde Zilleßen zu dessen Vorsitzendem gewählt.

1983 übernahm der Sozialethiker Günter Brakelmann nebenamtlich die Leitung. Brakelmann war von 1972 bis zu seiner Emeritierung 1996 Professor für Christliche Gesellschaftslehre an der Ruhr-Universität Bochum. Er gilt als engagierter Vermittler zwischen Kirche und Arbeitswelt. Unter anderem wirkte das Institut intensiv an der Vorbereitung des gemeinsamen Sozialwortes mit, das die EKD und die Bonner katholische Deutsche Bischofskonferenz 1997 veröffentlichten. Darin erteilten die Kirchen neoliberalen Tendenzen eine Absage. Schwerpunkte des Sozialwortes waren die Massenarbeitslosigkeit, die Krise des Sozialstaates und die ökologischen Probleme.

Finanzprobleme führten dazu, dass das Institut 2004 an den Standort der EKD nach Hannover verlegt wurde. Dort schloss es sich mit dem Pastoralsoziologischen Institut der hannoverschen Landeskirche zusammen. Unter der Leitung des Theologen Gerhard Wegner nahm es damit einen neuen Anfang. Zu dieser Zeit prägten die Diskussionen um die damalige Sozialgesetzgebung mit der Einführung von Hartz IV und die sich wandelnde Rolle der Kirche in der Gesellschaft die Forschungsanliegen.

In den Folgejahren mit insgesamt rund 150 wissenschaftlichen Projekten veröffentlichte das Institut unter anderem Studien zur Situation von Langzeitarbeitslosen, zum zivilgesellschaftlichen Engagement für Flüchtlinge oder zur Wahrnehmung der Kirche in und um Hannover sowie im Osten Deutschlands.

Mit einer Tagung in Berlin feierte das Institut am 10. Mai sein 50-Jähriges Bestehen. Am 11. Mai wurrde ebenfalls in Berlin Gerhard Wegner in einem Gottesdienst in den Ruhestand verabschiedet.



Stadion-Pfarrer: Liverpool-Sieg ist für viele ein Wunder


Jürgen Klopp (bei der Verleihung des Mainzer Medienpreises 2018 in der Mainzer Christuskirche)
epd-bild / Kristina Schaefer

Für den Frankfurter Stadion-Pfarrer Eugen Eckert stärkt der Sieg von Liverpool gegen Barcelona im Champions-League-Halbfinale den Glauben an Wunder. "Aus Sicht vieler Fußball-Fans ist der Einzug von Liverpool ins Champions-League-Finale ein Wunder, von dem sie ein Leben lang erzählen werden", sagte Eckert dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Der 4:0-Sieg sprach gegen jede Wahrscheinlichkeit. Genau deswegen aber gehen die Menschen ins Stadion: Sie hoffen, das Unerwartete, das Wunderbare zu erleben."

Der englische Fußballclub Liverpool hatte am 7. Mai nach einem Rückstand von drei Toren aus dem Hinspiel mit 4:0 gegen den spanischen Verein FC Barcelona gewonnen und war damit ins Finale der Champions League eingezogen. "Hinter dem Sieg steckt die Haltung 'Never give up'. Man hat zwar keine Chance, nutzt sie aber trotzdem. Zum Wunder gehört immer so eine Haltung", sagte Eckert.

Reformationsbotschafter

Liverpools Trainer Jürgen Klopp hatte das Spiel schon vor dem Anpfiff als göttliche Fügung bezeichnet. "Wenn der liebe Gott mich dafür braucht, um zu zeigen, dass jemand sechs Endspiele in Folge verliert und er es auch noch ein siebtes Mal versucht, dann bin ich die perfekte Person dafür", hatte Klopp gesagt. 2018 scheiterte der FC Liverpool mit Trainer Klopp im Champions-League-Finale an Real Madrid.

Klopp ist bekennender Christ. Er hatte sich 2017 als prominenter Botschafter an einer Kampagne beteiligt, die für das 500. Reformationsjubiläum warb.



"Frieden ist möglich"


Friedrich Schorlemmer
epd-bild/Jens Schlüter
Sein Name ist eng mit der friedlichen Revolution verbunden, die sich in diesem Jahr zum 30. Mal jährt. Bis heute mischt sich Friedrich Schorlemmer politisch ein, seine Meinung ist gefragt. Nun wird er 75 Jahre alt.

Friedrich Schorlemmer schlägt das Buch auf und zeigt auf das Bild eines Holzschnittes, der auf den kritischen Zustand der DDR 1989 verweist. Nach 40 Jahren SED-Herrschaft kam sie damals an ihren Endpunkt; die friedliche Revolution führte zum Fall der Mauer und zur Wiedervereinigung. 30 Jahre ist das nun her. Schorlemmer spricht von einem "großen Erbe und historisch einmaligen Ereignis von nicht zu unterschätzender Bedeutung". Der Publizist und evangelische Theologe war einer der bekanntesten DDR-Bürgerrechtler. Für Frieden und Gerechtigkeit hat er sich zu allen Zeiten engagiert - und ist bis heute nicht still. Am 16. Mai wird Friedrich Schorlemmer 75 Jahre alt.

Geboren wurde Friedrich Schorlemmer am 16. Mai 1944 im brandenburgischen Wittenberge und wuchs als eines von sechs Geschwistern in Werben in der Altmark auf, einer kleinen, idyllischen Ortschaft an der Elbe. Seit mehr als 40 Jahren lebt er inzwischen in der Lutherstadt Wittenberg in Sachsen-Anhalt. Wenn er sich dort an den Schreibtisch in seiner großen Altbauwohnung setzt und den Computer anschaltet, erscheint als Hintergrundbild die Silhouette des heimatlichen Werben, die St. Johanniskirche ragt heraus. Schorlemmer zeigt auf einen Baum daneben, den er mit seinem Vater pflanzte. Weil er aus einem christlichen Elternhaus stammte, sein Vater war Pfarrer, blieb ihm das Abitur an der Erweiterten Oberschule verwehrt, doch legte er es an der Volkshochschule ab.

Liebe zur Literatur

Die Bücherregale in seiner Wohnung sind bis unter die Decke gefüllt: Hilde Domin, Christa Wolf, Wolfgang Borchert, Volker Braun, Heinrich Böll. Bücher stapeln sich wie auch Schallplatten, Aktenordner und die vielen Erinnerungsstücke auf den Schränken. Seine Liebe zur Literatur führt Schorlemmer vor allem auf seinen Vater zurück, der ihm nicht nur Geschichten erzählte, sondern ihm auch Bücher gab, die ihn zu einem aktiven Pazifisten werden ließen, wie er sagt. Das einzige Machtwort seiner Mutter, an das er sich erinnert, hing mit der Überlegung zusammen, in den Westen zu gehen: "Entweder wir gehen alle oder keiner" soll sie dem Jungen gesagt haben. Schorlemmer blieb, verweigerte den Wehrdienst und engagierte sich.

Von 1962 bis 1967 studierte er Theologie in Halle, arbeitete erst in den Franckeschen Stiftungen und danach als Studentenpfarrer in Merseburg. Seit 1978 lebt er in Wittenberg, war Dozent am Evangelischen Predigerseminar und Prediger an der Schlosskirche, von 1992 bis 2007 Studienleiter an der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt. Noch immer beteiligt sich Schorlemmer an Diskussionen, mischt sich wortgewaltig ein. Auch während der großen Feierlichkeiten zum 500. Reformationsjubiläum 2017 hielt er mit seiner Kritik nicht zurück. Zum Tag der deutschen Einheit, am 3. Oktober 2019, wird Schorlemmer im Berliner Dom predigen. "Ich bin gefragt worden," sagt er und lächelt.

Zwei politische Ereignisse haben ihn nach eigenen Worten besonders geprägt, der Prager Frühling 1968 und einige Jahre zuvor vor allem der 13. August 1961, der Tag des Mauerbaus. "Jetzt bist Du eingesperrt. Wie richtest Du Dein Leben ein, wenn Du keine Alternative mehr hast? Das ist mir sehr nah gegangen", sagt er rückblickend Seit den 1970er Jahren engagierte er sich in der Friedens- und Umweltbewegung in der DDR.

Schwert zu Pflugschar

International bekannt wurde der Pfarrer 1983 mit der symbolträchtigen Umschmiedung eines Schwertes zu einer Pflugschar in Wittenberg. Bei der Großdemonstration am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz gehörte auch Schorlemmer zu den Rednern. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter die Carl-von-Ossietzky-Medaille, den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und das Bundesverdienstkreuz.

Was ihn heute noch antreibt? "Dass wir es verpasst haben, ein wirklich vereintes Europa zu schaffen." Europa sei ein großes Friedensprojekt, sagt er. "Wir müssen alles dafür tun, dass nur demokratische Parteien Mehrheiten bekommen." Der Frieden in Europa könne aber nur dauerhaft gewonnen werden, wenn Russland nicht außen vor bleibe. Beim Aufschlagen der Zeitung springt ihn ein Bericht über den Rückgang der Artenvielfalt an. "Ökologisch sitzen wir alle in einem großen Schuldtanker", sagt er. Er kann sich schnell in Rage reden, wenn er etwas betonen möchte, schlägt er mit Nachdruck mit der Hand auf den Tisch.

Schorlemmer sieht sich als Sozialdemokrat und als Christ, nicht vorrangig als Mitglied einer politischen Organisation. "Ich trage eine Überzeugung mit mir, die mich orientiert, die mich fordert, die mich stärkt, die mich kritisch und selbstkritisch macht." Daraus kommt auch seine Überzeugung, dass "immer mehr erreichbar ist als wir denken, wenn wir Zuversicht und den Mut zum Dafür behalten", sagt Schorlemmer mit Verweis auf Willy Brandt. Schorlemmer will sich auch künftig einmischen. Denn er ist überzeugt: "Frieden ist möglich."

Romy Richter (epd)


Missbrauch: Papst ordnet Meldestellen in allen Diözesen an


Papst Franziskus beim Missbrauchs-Gipfel im Vatikan im Februar
epd-bild/Cristian Gennari/Agenzia Romano Siciliani
Papst Franziskus hat mit seinem Dekret zum Umgang mit Missbrauchsfällen eingelöst, worauf viele Kritiker gewartet haben: Endlich sollen in allen Diözesen auf der ganzen Welt dieselben Grundsätze zum Umgang mit Missbrauch gelten.

Papst Franziskus hat als Reaktion auf die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche angeordnet, dass binnen eines Jahres in allen Diözesen weltweit Meldestellen für solche Fälle eingerichtet werden müssen. Nach einem am 9. Mai im Vatikan veröffentlichten Dekret müssen Priester und Ordensmitglieder künftig jeden Verdachtsfall dem zuständigen Bischof oder der jeweiligen zuständigen kirchlichen Instanz melden. Die neuen Bestimmungen gelten ab dem 1. Juni.

Die katholische Deutsche Bischofskonferenz kündigte an, Auswirkungen des Dekrets auf ihre eigenen Leitlinien zu prüfen. Mit seinem Erlass setze Papst Franziskus den Kampf gegen den sexuellen Missbrauch durch kirchliche Amtsträger noch konsequenter und präziser als bisher fort, sagte der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, Stephan Ackermann, in Bonn.

Das Dekret erweitert bisherige Straftatbestände des kirchlichen Rechts. Außerdem weitet der Erlass die Gruppe der Opfer auf "schutzbedürftige Personen" aus. Damit sind nicht nur Minderjährige geschützt, sondern auch Menschen, die sich aus unterschiedlichen Gründen nicht gegen Übergriffe zur Wehr setzen können. Der Papst verfügte auch, dass Betroffenen künftig medizinische, therapeutische und psychologische Betreuung angeboten werden muss.

Rörig begrüßt Meldepflicht

Die Vertuschung von Missbrauchsfällen und die Verhinderung der straf- oder kirchenrechtlichen Aufklärung der Fälle soll konsequenter verfolgt werden. Wird wegen Missbrauch oder Vertuschung gegen einen Bischof, Kardinal oder Ordensoberen ermittelt, müssen die Untersuchungen zudem nach drei Monaten abgeschlossen sein und die Akten an die Glaubenskongregation im Vatikan übermittelt werden. Damit geht der Papst auf die Kritik von Betroffenen ein, die Verfahren dauerten zu lange. Der in der Glaubenskongregation für Missbrauchsfälle zuständige Erzbischof, Charles Scicluna, nannte die päpstliche Anordnung "epochal".

Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, begrüßte die Meldepflicht. "Das ist eine weitere wichtige Maßnahme zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der Verleugnung und Vertuschung solcher Taten innerhalb der Kirche", sagte Rörig auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd). Der Missbrauchsbeauftragte lobte, dass mit den neuen Regeln zum Umgang mit Missbrauchsfällen für viele Diözesen in der ganzen Welt neue Standards gesetzt würden.

Barley fordert Pflicht zur Anzeige

In dem päpstlichen Dokument wird betont, dass sich die einzelnen Diözesen, was die staatliche Verfolgung von Missbrauchsfällen angeht, an die jeweiligen nationalen Gesetze zu halten hätten. "Ich kann gut nachvollziehen, dass der Papst nicht für jedes Land festlegt, dass Missbrauchsfälle auch staatlichen Strafverfolgungsbehörden gemeldet werden müssen, da in einigen Ländern der Welt keine rechtsstaatlichen Grundsätze gelten", sagte Rörig. "In Ländern, wo die Todesstrafe gilt oder menschenwürdige Haftbedingungen nicht garantiert sind, muss die Kirche an anderen Sanktions- und Aufarbeitungsmöglichkeiten arbeiten."

Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) forderte, dass die Kirche bei jedem Hinweis auf sexuellen Missbrauch unmittelbar Strafanzeige stellen müsse. "‎Die schrecklichen Missbrauchstaten sind keine interne Angelegenheit der katholischen Kirche", heißt es in einer Stellungnahme des Ministeriums. In Deutschland gelten seit 2014 die Leitlinien zum Umgang mit sexuellem Missbrauch Minderjähriger und Schutzbefohlener im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz. Deutsche Bistümer müssen demnach strafrechtlich relevante Fälle an die staatlichen Strafverfolgungsbehörden weitergeben. Damit gebe es in Deutschland bereits hohe Standards, was die Meldung und Untersuchung solcher Fälle betreffe, sagte der Missbrauchsbeauftragte Rörig.



Katholische Frauen starten Kirchenstreik

Katholische Frauen fordern mehr Rechte in der Kirche ein, etwa den Zugang zu allen Ämtern. Aus Protest gegen mangelnden Reformwillen betreten sie eine Woche lang kein Gotteshaus. Die Initiatorinnen berichten von einer riesigen Resonanz.

Katholische Frauen haben am Wochenende einen einwöchigen Kirchenstreik begonnen, um Reformen innerhalb der Kirche anzustoßen. Bei einem Gottesdienst vor dem St. Paulusdom in Münster sagte die Mitinitiatorin Elisabeth Kötter von der Frauenbewegung "Maria 2.0" am 12. Mai: «Es ist eine ernste Sache, dass wir heute hier draußen stehen. Es ist uns ernst mit unserer Kirche.» Wer Frauen verachte, der verachte die Hälfte der geliebten Kinder Gottes. Mehrere hundert Menschen nahmen an der zentralen Aktion der in Münster ins Leben gerufenen Bewegung teil.

"Maria 2.0" tritt unter anderem für den Zugang von Frauen zu allen Ämtern der Kirche, die Aufhebung des Pflichtzölibats und eine umfassende Aufklärung von sexuellem Missbrauch durch Priester ein. Bis zum 18. Mai wollen die Streikenden keine Kirche betreten und auch keine ehrenamtlichen Dienste verrichten.

Die Resonanz auf die Initiative ist nach Angaben der Initiatorinnen Andrea Voß-Frick und Elisabeth Kötter riesig. Mehr als hundert Gemeinden hätten sich der Bewegung angeschlossen. Da die Kampagne sich hauptsächlich über soziale Medien wie Facebook organisiert und mit Online-Petitionen um Unterschriften wirbt, haben sich die Organisatorinnen den Namen «Maria 2.0» gegeben.

«Der Kirche entgeht so viel an Kreativität und Spiritualität, die wollen wir unserer Kirche endlich zukommen lassen», betonte Kötter auf einer Holzkiste stehend bei dem Gottesdienst am Sonntag im Freien. Zum Ende des Aktion, in deren Zentrum ein großes «Maria 2.0»-Konterfei stand, zogen die Gottesdienstbesucher singend zum nahen Sitz des Münsteraner Bischofs Felix Genn.

Bischof Bode: "Ich finde die Aktion gut"

Der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode unterstützt die Frauenbewegung. "Ich finde die Aktion gut, um ein Zeichen zu setzen für mehr Beteiligung von Frauen in der katholischen Kirche", sagte Bode, der auch Vorsitzender der Frauenkommission in der Deutschen Bischofskonferenz ist, dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Bode betonte, er tue sich zwar schwer damit, wenn Frauen am Sonntag auch die Eucharistiegemeinschaft aufkündigen und in Pfarrsälen eigene Feiern abhalten. "Aber die Ungeduld vieler Frauen in der katholischen Kirche muss man sehr wahrnehmen. Dahinter steckt eine ganz tiefe Verletzung, dass sie sich in Kirche nicht so angenommen fühlen, wie es ihrem Einsatz entspricht."

Eine Möglichkeit, auch Weiheämter für Frauen zu öffnen, könnte eine Weihe zu Diakoninnen sein, erklärte Bode. Das werde derzeit in der Bischofskonferenz ernsthaft diskutiert. Bislang können in der katholischen Kirche verheiratete Männer zu Diakonen geweiht werden. Sie taufen, beerdigen, predigen und assistieren in der Eucharistiefeier und bei Trauungen. Bode sieht allerdings in absehbarer Zeit noch keine Chance, dass das Priesteramt für Frauen geöffnet wird.



Erzbistum Köln distanziert sich von Ausbildungsleiter

Das Erzbistum Köln hat sich von seinem Ausbildungsleiter für die Priesteramtskandidaten distanziert, der mit umstrittenen Äußerungen zur Homosexualität für Aufmerksamkeit gesorgt hatte. "Die von Pater Romano Christen geäußerten Ansichten entsprechen nicht der Auffassung des Kölner Erzbischofs, Kardinal Woelki", sagte Generalvikar Markus Hofmann am 10. Mai in Köln. Christen hatte im Bonner Collegium Albertinum vor Priesteranwärtern Homosexualität als "Folge einer psychologischen (Fehl)Entwicklung" bezeichnet, die in Kindheit und Jugend stattfinde. Homosexuelle Beziehungen seien "eine narzisstische Suche" und bedeuteten eine "Fixierung auf die Lust". Zudem gebe es Therapien für homosexuelle Männer, die erfolgreich absolviert werden könnten.

Generalvikar Hofmann erklärte, dass sich Erzbischof Rainer Maria Woelki derzeit als Präsident des Heilig-Land-Vereins in Israel aufhalte. Nach seiner Rückkehr werde er ein Gespräch mit Pater Romano Christen führen und "dabei seinen Standpunkt deutlich machen".

Das Erzbistum Köln lege "großen Wert darauf", Fragen der Sexualität in der Priesterausbildung "intensiv und vorurteilsfrei zu thematisieren und dabei den neuesten Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse darzustellen", betonte der Generalvikar. Man sei dabei, mit Hilfe externer Spezialisten neue Bausteine der Ausbildung zu schaffen, die den Kandidaten für das Priesteramt eine offene und klare Reflexion über ihre eigene Sexualität und sexualwissenschaftliche Fragen ermöglichten.

Pater Romano Christen entschuldigte sich für seine Aussagen: "Es war nicht meine Absicht, homosexuelle Menschen zu verletzen. Sofern das doch geschehen ist, bitte ich um Entschuldigung." Er halte homosexuelle Menschen nicht für "krank", was er im Vortrag auch nicht gesagt habe. Zudem sei in der medialen Berichterstattung untergegangen, dass er Standpunkte Dritter referiert habe. "Aber wichtiger ist mir klarzustellen, dass nach meiner Überzeugung jeder Mensch Respekt verdient und niemand wegen seiner sexuellen Orientierung herabgewürdigt werden darf", erklärte er. "Dass durch meine Äußerungen ein anderer Eindruck entstanden ist, tut mir leid".



Katholikentag kommt 2024 nach Erfurt

Der 103. Deutsche Katholikentag wird im Jahr 2024 in Erfurt stattfinden. Das beschloss die Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) am 10. Mai in Mainz einstimmig. Zu dem Christentreffen vom 29. Mai bis 2. Juni 2024 hat der Bischof der Diözese Erfurt, Ulrich Neymeyr, eingeladen.

"Die Teilnehmer des Katholikentages können erleben, wie wir Christen in der schönsten Stadt Deutschlands, im heidnischen, aber turmgekrönten Erfurt fröhlich unseren Glauben feiern", erklärte Neymeyr. In fünf Jahren werde allen bewusst sein, dass nicht nur der Osten Deutschlands entkonfessionalisiert sei, "sondern dass wir alle nach Wegen suchen müssen, wie wir die Wahrheit über Gott und die Welt unter die Menschen bringen". "Dazu haben wir im Osten etwas zu sagen", betonte der Erfurter Bischof.

Der letzte Katholikentag hatte im Mai vergangenen Jahres im westfälischen Münster stattgefunden. Im Mai 2021 wird das ZdK den 3. Ökumenischen Kirchentag in Frankfurt am Main mitorganisieren. Der 102. Deutsche Katholikentag wird ein Jahr später in Stuttgart veranstaltet. Der Katholikentag ist ein Treffen von überwiegend katholischen Laien und das Pendant zum evangelischen Kirchentag.



Schweriner Bischof Maltzahn aus dem Amt verabschiedet

Mit einem Gottesdienst im Schweriner Dom hat die evangelische Nordkirche am 11. Mai Bischof Andreas von Maltzahn (57) aus dem Amt verabschiedet. Der promovierte Theologe ist bereits seit Mai 2019 als Studienleiter am Prediger- und Studienseminar der Nordkirche in Ratzeburg tätig. Er war im September 2007 als mecklenburgischer Landesbischof eingeführt worden. Seit der Gründung der Nordkirche zu Pfingsten 2012 leitete er gemeinsam mit Bischof Hans-Jürgen Abromeit (Greifswald) den Sprengel Mecklenburg und Pommern. Abromeit (64) scheidet im September 2019 aus dem Amt und tritt einige Monate später in den Ruhestand.

Zu ihrem gemeinsamen Nachfolger mit Sitz in Greifswald hat die Landessynode bereits Tilman Jeremias (Rostock) gewählt. Die Reduzierung der Bischofssitze war bei Gründung der Nordkirche festgelegt worden. Jeremias (53) wird am 31. Oktober im Greifswalder Dom in sein Amt eingeführt. Zum Sprengel Mecklenburg und Pommern gehören zwei Kirchenkreise mit insgesamt knapp 247.000 Christen.

Maltzahn sagte in seiner Predigt am Samstag, dass Gottes Herz groß genug für die Menschen aller Konfessionen und Religionen sei. Diese Weite sollten sich Menschen zur Richtschnur für ihr Denken und Handeln machen. Dies bedeute auch, Verantwortung wahrzunehmen und achtsam zu sein für jene, die sich von niemandem gesehen fühlten.

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, bezeichnete Maltzahn als wunderbaren Menschen sowie als hochkarätigen Theologen und Kirchenpraktiker, der sich nie in den Vordergrund gedrängt habe. Maltzahn höre viel zu. Und wenn er etwas sage, habe das immer Gewicht.

Der Mecklenburger sei für die Christen immer auch ein Mutmacher gewesen, sagte Bedford-Strohm. Nach der Veröffentlichung der Studienergebnisse zur Entwicklung der Kirchenmitgliedschaft bis zum Jahr 2060 werde der Rat der ostdeutschen Kirchen erst recht benötigt. "Wir brauchen eure Ideen. Wir brauchen eure Zuversicht als Kirche in der Minderheit."

Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD), sagte beim anschließenden Empfang, dass die Zusammenarbeit mit Maltzahn fruchtbar gewesen sei. "Klar in der Haltung, konstruktiv und zugänglich haben wir Sie erlebt. Ich danke Ihnen für Ihren Dienst als mecklenburgischer Landesbischof und Bischof der Nordkirche."



Hauptredner von "ProChrist live 2021" stehen fest

Eine aus Südkorea stammende Theologin und ein im Sudan geborener Integrationsexperte werden Hauptredner der europaweiten "ProChrist"-Live-Übertragung aus Dortmund im Jahr 2021. Mit den Hauptrednern Mihamm Kim-Rauchholz und Yassir Eric werde die "Internationalität der christlichen Botschaft" deutlich gemacht werden, erklärte der Verein "ProChrist" am 8. Mai in Kassel. Moderator der Evangelisationsveranstaltung werde Nicolai Hamilton sein.

Die in Südkorea geborene Mihamm Kim-Rauchholz ist Professorin für Neues Testament und Griechisch an der Internationalen Hochschule Liebenzell. Nach ihrem Theologiestudium in Seoul, Tübingen und Heidelberg war sie an verschiedenen Orten im In- und Ausland als Lehrbeauftragte und Missionarin unterwegs. Sie ist Mitglied im Vorstand des Arbeitskreises für evangelikale Theologie und in der Deutschen Gesellschaft für Missionswissenschaft.

Mehrwöchiger Aktionszeitraum

Yassir Eric ist Leiter des Europäischen Instituts für Migration, Integration und Islamthemen an der "Akademie Welt Mission" (AWM) Korntal bei Stuttgart. Als Redner tritt der gebürtige Sudanese in Deutschland, Europa und im Naher Osten auf. Er war einige Jahre Gemeindeleiter von Migrationsgemeinden, Referent und Seelsorger. Ein theologisches Studium absolvierte er an der AWM und der kirchlichen Hochschule Ludwigsburg.

Nicolai Hamilton ist Pfarrer in Halle (Westfalen) und seit 2018 Vorsitzender des Westfälischen Gemeinschaftsverbandes. Er moderierte bereits die ProChrist-Live-Abende 2012 in Bielefeld.

ProChrist-Live vom 13. bis 19. Juni 2021 wird nach den Angaben der Veranstalter in einen mehrwöchigen Aktionszeitraum eingebettet sein. Wie bereits 2018 könnten Gemeinden zwischen zwei Veranstaltungsvarianten wählen. Angeboten werde die Live-Übertragung aus Dortmund oder die Möglichkeit einer regionalen Veranstaltung mit eigenem Redner vor Ort.

ProChrist wurde 1991 mit dem Ziel gegründet, den christlichen Glauben in Deutschland und Europa zu fördern. Die erste ProChrist-Woche fand 1993 in Essen mit dem US-amerikanischen Evangelisten Billy Graham statt. Seither haben nach Vereinsangaben rund 10,6 Millionen Menschen in Europa die alle zwei Jahre stattfindenden Veranstaltungen, die per Satellit übertragen wurden, besucht.



Theologinnen aus Bochum gewinnen Hanns-Lilje-Stiftungspreis

Die Theologinnen Claudia Jahnel und Rebekka Klein sind am 9. Mai in Hannover mit dem Hanns-Lilje-Stiftungspreis 2019 ausgezeichnet worden. Die beiden Professorinnen der Universität Bochum teilen sich den mit 10.000 Euro dotierten Wissenschaftspreis, wie die evangelische Hanns-Lilje-Stiftung mitteilte.

Claudia Jahnel forscht zu afrikanischer Theologe vor dem Hintergrund globaler Veränderungen und aktueller politischer Herausforderungen. Die Jury lobte ihren "scharfsinnigen Brückenschlag" zwischen Kulturwissenschaft und Theologie. Ihr gelinge es, Anregungen für Migrationsdebatten und Diskussionen in der Entwicklungspolitik zu geben. Sie beschreibe die politische Bedeutung der afrikanischen Theologie und decke zudem "höchst sensibel und versiert" koloniale Denkmuster und abwertende Fremdzuschreibungen in der europäischen Kultur auf.

Rebekka Klein überzeugte die Jury durch ihre Habilitationsschrift, in der sie die politischen Philosophen Claude Lefort (1924-2010) aus Frankreich und Slavoj Zizek (70) aus Slowenien ins Gespräch mit dem Theologen Karl Barth (1886-1968) bringe. Barth gilt als einer der wichtigsten evangelischen Theologen des 20. Jahrhunderts. Kleins Arbeit sei "hoch relevant" für das gesellschaftliche Zusammenleben in vielen Ländern, in denen Rufe nach einem starken Staat durch nationalistische und rechtspopulistische Bewegungen die Demokratie auszuhöhlen drohten.

Der "Hanns-Lilje-Stiftungspreis Freiheit und Verantwortung" wird seit 2010 alle zwei Jahre zu wechselnden Themen verliehen. Er ist nach Angaben der Initiatoren der höchst dotierte Preis, den kirchliche Stiftungen an Nachwuchswissenschaftler vergeben. Prämiert werden herausragende Doktorarbeiten und Habilitationen. In diesem Jahr stand die Zukunft von Politik und Gesellschaft im Zentrum.

Der Preis wurde am Abend bei einer Feierstunde mit rund 200 Gästen in der Marktkirche überreicht. Rebekka Klein konnte dabei aus gesundheitlichen Gründen nicht selbst anwesend sein. Die Hanns-Lilje-Stiftung gehört nach eigenen Angaben zu den größten fördernden kirchlichen Stiftungen in Deutschland. Sie erinnert an den früheren hannoverschen Landesbischof Johannes (Hanns) Lilje (1899-1977).



Westfälische Kirche prämiert Gewinner ihres Schülerwettbewerbs

Die Evangelische Kirche von Westfalen hat fünf Schulen als Gewinner des diesjährigen Schülerwettbewerbes ausgezeichnet. Westfälische Preisträger sind das Gelsenkirchener Gaußgymnasium, das Arnoldinum aus Steinfurt, die Sekundarschule aus Olpe-Drolshagen sowie eine Förderschule aus Lengerich, wie das Pädagogische Institut der westfälischen Kirche am 9. Mai in Schwerte mitteilte. Die Deutsche Schule in Tokyo und Yokohama wurde ebenfalls als Siegerschule ausgezeichnet. Die fünf ersten Preise waren mit jeweils 600 Euro dotiert.

Einen Sonderpreis in Höhe von 300 Euro erhält eine Schule des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) in der Universitätsklinik in Hamm. An dem Wettbewerb hatten sich den Angaben zufolge 18 Schulen mit 34 Beiträgen beteiligt. Aufgabe war, zu dem Motto "Vertraue deinem Nächsten wie Dir selbst" einen Film zu erstellen.

Der seit 1990 jährlich vergebene Preis soll Schüler anregen, sich im Religionsunterricht intensiv mit dem Jahresmotto auseinanderzusetzen. Gleichzeitig sollen Freude am Lesen der Bibel und Kreativität geweckt werden. Für das nächste Schuljahr macht der Schülerwettbewerb unter dem Motto "verschieden glauben - zueinander gehören" den interreligiösen Dialog zum Thema.



Lippischer Gemeindepreis würdigt innovative Kirchenprojekte

In der Lippischen Landeskirche sind fünf evangelische Projekte mit dem Gemeindepreis 2019 ausgezeichnet worden. Der erste mit 1.000 Euro dotierte Preis würdigte ein alternatives Gottesdienstformat einer "Sommerkirche" in Lemgo unter freiem Himmel, wie die Lippische Landeskirche am 9. Mai in Detmold mitteilte. Den zweiten Preis in Höhe von 750 Euro erhielt eine Fotoausstellung der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Detmold. Der dritte mit 500 Euro dotierte Preis der Evangelischen Gemeindestiftung Lippe ging an die evangelisch-reformierte Kirchengemeinde Talle für ein Projekt neuer Wege in der Konfirmandenarbeit.

Außerdem wurden zwei Sonderpreise zu 1.000 und 500 Euro vergeben. Geehrt wurden eine Veröffentlichung des Arbeitskreises der evangelisch-reformierten Kirchengemeinde Varenholz zur Heimatgeschichte sowie ein Sozialprojekt der Grundschule Eben-Ezer.

Bei dem mit dem ersten Preis prämierten Projekt feierten die Kirchengemeinden in Bad Salzuflen und Lemgo gemeinsame Sommergottesdienste im Lemgoer Strandcafé "A'RhieBa". Die mit dem zweiten Preis ausgezeichnete Detmolder Kirchengemeinde habe bei ihrer Fotoausstellung Gemeindemitglieder nicht nur als Besucher, sondern als aktive Teilnehmer eingebunden, hieß es. Die dritte Preisträgerin, die evangelisch-reformierte Kirchengemeinde Talle, beziehe Konfirmanden unter dem Motto "Konfirmanden erkunden Gottesdienst, Konfirmanden feiern Gottesdienst" jeweils einmal im Monat aktiv in die Gestaltung des Gottesdienstes mit ein.

Mit dem Gemeindepreis zeichnet die Evangelische Gemeindestiftung Lippe seit 2010 jährlich Projekte und Gruppen aus, die neue Akzente setzen und anderen Gemeinden als Beispiel dienen können, wie es hieß. Die Evangelische Gemeindestiftung Lippe unterstützt Kirchengemeinden in den Bereichen Kinder- und Jugendarbeit, Diakonie und Kirchenmusik.



Rheinische Kirche verlost 20 Karten für Benefiz-Gala im Zirkuszelt

Die Evangelische Kirche im Rheinland verlost zehn mal zwei Karten für eine Benefiz-Gala zugunsten der "Schule für Circuskinder NRW". Mit der Veranstaltung am 8. Juli feiert die Schule ihr 25-jähriges Bestehen, wie die Landeskirche am 10. Mai in Düsseldorf mitteilte. Einsendeschluss für die Verlosung ist der 31. Mai.

Bei der Benefiz-Gala im Zirkus Traber in Düsseldorf-Eller treten unter anderem Stars aus dem Zirkus Roncalli auf, kündigte die Landeskirche an. Star-Gast des Abends sei der Kabarettist, Tischtennis-Paralympics-Sieger und Pfarrer Rainer Schmidt, der als Zirkusdirektor des Tages durch das Programm führen soll. Außerdem werden den Angaben zufolge zwei Kunstobjekte aus der Werkstatt von Jacques Tilly versteigert.

Die "Schule für Circuskinder NRW" begleitet seit 1994 mit rollenden Klassenzimmern Zirkusunternehmen und stellt für Kinder aus Zirkusfamilien Schulunterricht auf Reisen sicher. 30 Lehrkräfte unterrichten heute den Angaben zufolge mehr als 200 Kinder aus 108 Zirkusfamilien. Die Evangelische Kirche im Rheinland ist Trägerin der Schule.




Gesellschaft

Nahbare Royals


Prinz Charles und Herzogin Camilla in der Thomaskirche
epd-bild/Jens Schlüter/Stadt Leipzig
Prinz Charles und Herzogin Camilla sind sehr angetan vom Leipziger Thomanerchor, der Prinz erweist sich als großer Liebhaber des musikalischen Erbes der Stadt. In der Innenstadt bereiten den Royals Tausende Bürger einen warmen Empfang.

"Nice to meet you", stammelt die Jugendliche. Dann wendet sie sich ab, wischt sich Tränen aus den Augen. Prinz Charles ist da schon wieder weg, schüttelt die Hand der nächsten Leipzigerin. "Das war super", sagt die Frau im Anschluss beseelt und strahlt. "Er hat mir die Hand gegeben und auf Deutsch 'Guten Tag' gesagt."

Einen halben Tag verbringt das royale Paar am 8. Mai in Leipzig - Sachsens größte Stadt ist nach Berlin die zweite Station des viertätigen Deutschlandbesuchs. Vor allem der 70-jährige Sohn von Königin Elisabeth II. gibt sich dabei locker, fröhlich und entspannt. Er scherzt und schüttelt Hände, lächelt, geht auf die Menschen zu.

Besonders auf dem kurzen Fußweg von der Thomaskirche zum Alten Rathaus auf dem Marktplatz kommt das richtig gut an bei den Menschen. Zu Hunderten drängen sie sich am Straßenrand, um einen Blick auf die Royals zu werfen und möglichst auch ein Foto zu schießen. Die Atmosphäre ist gelöst, immer wieder bleibt der Thronfolger stehen und wechselt lächelnd ein paar Worte mit den Wartenden.

Thomaner-Privatkonzert

Angereist mit dem ICE, wurden Charles und Camilla zuvor von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) vor der Thomaskirche empfangen. Schon dort brandet Jubel auf.

Im Inneren der Kirche nehmen die Royals auf zwei Stühlen im Chorraum Platz und lauschen zusammen mit rund vier Dutzend geladenen Mitarbeitern von Chor und Pfarramt einem Exklusivkonzert: Nach einem Orgelvorspiel gibt der weltbekannte Thomanerchor Johann Sebastian Bachs Motette "Der Geist hilft unser Schwachheit auf" und Felix Mendelssohn Bartholdys Vertonung von Psalm 2 ("Warum toben die Heiden") zum Besten. Charles und Camilla sind von der Darbietung sichtlich beeindruckt, nehmen sich im Anschluss viel Zeit, um mit den Chorknaben zu sprechen.

Thomaskirchenpfarrerin Britta Taddiken erzählt hinterher, der Prinz habe sie gefragt, ob die Thomaner nicht auch einmal nach Großbritannien kommen könnten. Auch bei der anschließenden Kirchenführung interessiert sich der Thronfolger, wie Taddiken erzählt, vor allem für das reiche musikalische Erbe der Stadt. Er habe sich nach den Verbindungen zwischen Bach und Mendelssohn erkundigt, die beide in Leipzig wirkten, und Bachs in der Kirche gelegenes Grab besichtigt. "Ganz begeistert" war Prinz Charles dann laut Taddiken über den Eintrag im Kirchenbuch, dass Komponist Richard Wagner (1813-1883) in der Thomaskirche getauft wurde. "Er ist ja Wagner-Fan", erklärt die Pfarrerin.

Insgesamt, resümiert Taddiken, sei der Besuch der Royals in "sehr lockerer Atmosphäre" verlaufen. Bei manch vorherigem Besuch in der berühmten Kirche - etwa von Botschaftern oder Außenministern - sei das durchaus anders gewesen. Und auch Prinz Charles, ist sich Taddiken sicher, nimmt etwas mit von seinem Besuch in Stadt und Kirche - genau wie die vielen Schaulustigen in der Innenstadt.

Gespräch mit Bürgerrechtlern

Nach dem entspannten Spaziergang zum Marktplatz stand für die Royals zunächst ein Eintrag ins Goldene Buch der Stadt Leipzig im Alten Rathaus auf dem Programm. Danach war ein Gespräch mit Schülern aus Leipzig und der Partnerstadt Birmingham geplant. Zum Abschluss ging es in die benachbarte Nikolaikirche. Am Ausgangspunkt der historischen Leipziger Montagsdemonstrationen unterhielten sich Charles und Camilla unter anderem mit den früheren DDR-Bürgerrechtlern Regine Schild, Uwe Schwabe und Stephan Bickhardt über die friedliche Revolution von 1989.

Johannes Süßmann (epd)


Aachener Friedenspreisträger soll Auszeichnung nicht erhalten

Seit einigen Tagen steht der diesjährige Träger des Friedenspreises fest: Ruslan Kotsaba. Jetzt soll der ukrainische Journalist doch nicht ausgezeichnet werden, fordert der Vorstand des Trägervereins. Kotsaba wird Antisemitismus vorgeworfen.

Der ukrainische Journalist und designierte Träger des Aachener Friedenspreises, Ruslan Kotsaba, soll wegen antisemitischer Aussagen die Auszeichnung nicht erhalten. Der Vorstand des gleichnamigen Trägervereins entschied am 10. Mai auf einer Sitzung, dem 52-Jährigen den Preis nicht zu überreichen, wie eine Sprecherin mitteilte. Allerdings müsse die Entscheidung noch von der Mitgliederversammlung des Vereins bestätigt werden. Das Gremium soll sich am 14. Juni treffen und dann über die Verleihung des Preises an Kotsaba entscheiden.

Kotsaba hatte die gegen ihn erhobenen Vorwürfe des Antisemitismus bedauert und zurückgewiesen. Er bestätigte in einer Erklärung die in einem Video getätigten Aussagen und erklärte zugleich, dass sich seine Ansichten in der Sache verändert hätten. "Ich habe durch meine Politisierung im Kontext des Krieges in der Ostukraine viele meiner Einstellungen überdacht und geändert", betonte er. "Dazu gehört auch die Aussage von 2011, die in nicht akzeptabler Weise den Juden Verantwortung für den Aufstieg des Faschismus in Deutschland und des Kommunismus in Osteuropa gibt", sagte Kotsaba. Er bedaure diese Aussagen heute und bitte diejenigen, die sich durch sie verletzt gefühlt haben, um Verzeihung.

Zugleich verwies der 52-Jährige darauf, dass er die Aussage bereits vor mehreren Jahren aus dem Video entfernt habe. "Auch wenn sie eine für die Westukraine typische Sicht darstellt, ist sie falsch", unterstrich Kotsaba.

Von Linken-Abgeordnetem vorgeschlagen

Kotsaba war von dem Linken-Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko und dessen Mitarbeiter Darius Dunker für den Aachener Friedenspreis vorgeschlagen worden. Die beiden verteidigten in einem Statement ihren Vorschlag und erklärten, bislang nichts von dem Video gewusst zu haben. Auch wenn die Aussagen von Ruslan Kotsaba "völlig inakzeptabel" seien, habe sich der ukrainische Journalist davon mittlerweile distanziert, erklärten Hunko und Dunker. Seine Erklärung sei glaubwürdig, daher habe der ukrainische Journalist nach wie vor die Auszeichnung verdient.

Der Vorstand des Vereins Aachener Friedenspreis sah das anders und entschied sich gegen eine Preisverleihung an den Ukrainer. Die Sprecherin begründete dies mit der "Schwere der Vorwürfe".

Der Aachener Friedenspreis wollte Kotsaba für sein Eintreten für Frieden, Versöhnung und Dialog zwischen den Konfliktparteien in der Ostukraine auszeichnen. Der Verein hatte den Preisträger erst am Mittwoch bekanntgegeben. Ukraine-Experten hatten daraufhin die Entscheidung mit Verweis auf die antisemitischen Aussagen Kotsabas kritisiert.

Majdan-Proteste unterstützt

Kotsaba stammt aus der Westukraine. Er unterstützte die Majdan-Proteste in Kiew vor fünf Jahren. Nach Ausbruch des Krieges zwischen ukrainischen Truppen und von Russland unterstützten Milizen in der Ostukraine sei Kotsaba als einziger Journalist seines Landes auf beiden Seiten der Front akkreditiert gewesen, hieß es.

Der Aachener Friedenspreis wird seit 1988 jedes Jahr an Initiativen oder Persönlichkeiten verliehen, die sich für Frieden und Dialog zwischen Konfliktparteien einsetzen. Der Trägerverein entscheidet über Vorschläge aus der Bevölkerung. Weitere Preisträger in diesem Jahr sind zwei deutsche Initiativen gegen Atomwaffen aus dem rheinland-pfälzischen Büchel, der "Initiativkreis gegen Atomwaffen in Büchel" und die Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt". Die Preisverleihung findet dann auf einem Festakt in Aachen am 1. September statt, dem Internationalen Antikriegstag. Die Preise sind mit jeweils 2.000 Euro dotiert.



Antisemitismusbeauftragter: Erinnerung ist mehr als Bewältigung

Erinnerungsarbeit ist nach den Worten des saarländischen Antisemitismusbeauftragten Roland Rixecker "keine endlose Vergangenheitsbewältigung". "Das, was wir da tun, ist eine Maßnahme zur Sicherung unserer Gegenwart und unserer Zukunft und der Zukunft unserer Kinder und Enkel", sagte er am 6. Mai in Saarbrücken bei der Konferenz der Kirchen am Rhein. "Wir gedenken an die Vergangenheit und versuchen zu verstehen, wie sich so etwas entwickeln konnte." Dabei gehe es nicht um Schuldzuweisung.

"Antisemitismus ist Teil der modernen Menschheitsgeschichte", betonte der Beauftragte des saarländischen Landtags für jüdisches Leben im Saarland und gegen Antisemitismus. Es sei irrelevant, in welchem prozentualem Maße antisemitische Straftaten zunähmen. "Wichtig ist: Deutschland hat ein Problem", sagte Rixecker. Das genüge, um nach Lösungen zu suchen.

Checkliste für Antisemitismus

In Zusammenarbeit mit Staatsanwaltschaft, Verfassungsschutz und Polizei setze er sich für eine Art Checkliste für Antisemitismus ein. So sollten die Sicherheitsbehörden die Definition der International Holocaust Remembrance Alliance übernehmen, um antisemitische Straftaten besser zu erfassen. In Kooperation mit der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus sollten zudem antisemitische Vorfälle nach wissenschaftlichen Kriterien online veröffentlicht werden.

Langfristig sei dem Antisemitismus nur über Wissensvermehrung über das Judentum entgegenzutreten, sagte Rixecker. Bildungsarbeit sei auch an den Universitäten weiterhin nötig. Juristen und Mediziner müssten beispielsweise anhand der konkreten Geschichte mehr über die Verführbarkeit ihrer Professionen und den Missbrauch von Macht lernen.

Rabbiner: Gesellschaftliche Unsicherheit befördert Vorurteile

Der Rabbiner Alexander Grodensky betonte wiederum, im Kampf gegen Antisemitismus müssten zunächst aktuelle Gesellschaftsprobleme gelöst werden. "Um Antisemitismus wirksam zu bekämpfen, muss man den Menschen erst Angst vor ihrer Zukunft nehmen", sagte der Rabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde von Luxemburg. Es brauche beispielsweise Antworten auf steigende Mieten, Globalisierung oder Migration.

"Aufklärungskampagnen helfen wenig, wenn sich in der Gesellschaft allgemeine Verunsicherung verbreitet", betonte er. "Juden, Homosexuelle und andere Minderheiten sind oft die ersten Ziele der blinden Wut in unruhigen Zeiten."

"Judentum ist vielfältige lebensbejahende Kultur"

Zugleich betonte der Rabbiner, die Geschichte der Juden in Deutschland dürfe nicht auf die Jahre der NS-Herrschaft reduziert werden. "Gedenken ist nicht alles", unterstrich er. Das Judentum sei mehr als Gedenken, und zwar eine vielfältige lebensbejahende Kultur. In diesem Zusammenhang kritisierte er eine Flut von Gedenkveranstaltungen. Zu diesen kämen meist nur diejenigen, die ohnehin anwesend sein müssten: Amtsträger und Schüler, die mit ihrer Schule dort seien. "Was gedenken wir, wie gedenken wir, wozu gedenken wir?", müssen laut Grodensky Fragen für die Erinnerungsarbeit sein.

Die Konferenz der Kirchen am Rhein wurde 1961 auf dem Liebfrauenberg bei Woerth im Elsass als Instrument der Versöhnung und des Friedens gegründet. Seit 2008 ist sie eine Regionalgruppe der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa. Zurzeit arbeiten dort nach eigenen Angaben protestantische Kirchen aus Lichtenstein, der Nordschweiz, Österreich, Elsass-Lothringen, Baden, Pfalz, Württemberg, Hessen-Nassau, Rheinland und Luxemburg zusammen. Die Konferenz tagte am Sonntag und Montag in Saarbrücken mit einen inhaltlichen Schwerpunkt zum Thema Antisemitismus.



Jüdische Gemeinden in Deutschland verlieren Mitglieder


Mann mit Kippa
epd-bild/Barbara Frommann

Die Mitgliederzahl der jüdischen Gemeinden und Landesverbände in Deutschland ist im vergangenen Jahr wieder leicht gesunken. Die Zahl der Mitglieder sei binnen Jahresfrist von 97.791 auf 96.195 zurückgegangen, teilte die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland am 9. Mai in Frankfurt am Main mit. Dies ist ein Rückgang um 1,6 Prozent. Damit hat sich der allmähliche Mitgliederrückgang der jüdischen Gemeinden im zwölften Jahr in Folge fortgesetzt. Hierbei nicht erfasst sind säkulare Juden, die nicht Mitglied einer jüdischen Gemeinde sind.

Nahezu alle Landesverbände und Großstadtgemeinden haben im vergangenen Jahr Mitglieder verloren. Der größte Landesverband Nordrhein schrumpfte von 16.512 auf 16.044 Mitglieder, im Landesverband Westfalen-Lippe sank die Mitgliederzahl von 6.222 auf 6.133. Gegen den Trend gewachsen ist dagegen die Synagogen-Gemeinde Köln, deren Mitgliederzahl von 3.970 auf 4.100 binnen Jahresfrist zunahm.

Die jüdischen Gemeinden in Deutschland haben eine stürmische Entwicklung ihrer Mitgliederzahlen hinter sich. Ende 1989 zählten sie noch rund 27.700 Mitglieder. Die Zahl stieg nach Öffnung der Berliner Mauer im November 1989, der Auflösung der Sowjetunion im Dezember 1991 und der Aufnahme jüdischer Einwanderer aus deren Nachfolgestaaten rasant an. Den Höhepunkt erreichte die Entwicklung Ende 2006 mit 107.800 Mitgliedern. Seither sinkt die Zahl leicht von Jahr zu Jahr. Vornehmlicher Grund ist die Überalterung.

Nach Angaben der Zentralwohlfahrtsstelle macht die Altersgruppe zwischen 61 und 80 Jahren gut ein Drittel der Mitglieder aus. Diejenigen, die älter als 50 Jahre sind, stellen 60 Prozent aller Mitglieder. Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre machen hingegen nur neun Prozent der Mitglieder jüdischer Gemeinden aus.



Zahl der Binnenflüchtlinge weltweit auf höchstem Stand

Rund 41 Millionen Menschen waren Ende 2018 vor Gewalt und Konflikten im eigenen Land auf der Flucht. Dies geht aus dem Jahresbericht des Beobachtungszentrums für interne Vertreibung und des Norwegischen Flüchtlingsrates hervor. Die Zahl der Binnenflüchtlinge sei damit auf einen historischen Höchststand gestiegen, heißt es in der am 10. Mai in Genf veröffentlichten Studie. Elf Millionen interne Vertriebene sind demnach allein von Ende 2017 bis Ende 2018 neu registriert worden. Grund dafür seien die vielen anhaltenden bewaffneten Konflikte wie in Syrien und dem Kongo.

Der Generalsekretär des Norwegischen Flüchtlingsrates, Jan Egeland, verlangte von den Politikern mehr Einsatz für friedliche Lösungen von Konflikten. Binnenflüchtlinge müssten besser geschützt werden.

Naturkatastrophen

Im vergangenen Jahr konnten den Angaben nach zwar Millionen Vertriebene wieder in ihre Heimatgebiete zurückkehren, etwa im Irak oder in Nigeria. Viele Häuser der Heimkehrer, ihr Eigentum und die Infrastruktur seien jedoch zerstört. Eine ärztliche Versorgung und andere grundlegende öffentliche Dienste seien in den angestammten Gebieten nicht mehr vorhanden.

Von Binnenflüchtlingen sind laut Völkerrecht Flüchtlinge zu unterscheiden. Flüchtlinge suchen in fremden Ländern Schutz vor Gewalt und Unterdrückung in ihrem Heimatland.

Vor Naturkatastrophen flohen im vergangenen Jahr mehr als 17 Millionen Menschen. Stürme, Überschwemmungen, Feuersbrünste und Erdbeben hätten die Frauen, Männer und Kinder zum Verlassen der Heimat gezwungen.



Bund startet neues Aufnahmeprogramm für Flüchtlinge

Als 2015 viele Flüchtlinge nach Deutschland kamen, wollten viele Bürger privat mit Unterkunft helfen. Rechtlich stieß das an Grenzen. Jetzt wird ein Pilotprogramm aufgelegt.

Der Bund startet in Kooperation mit Wohlfahrtsverbänden und Kirchen ein neues Programm zur Aufnahme besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge. Das am 6. Mai in Berlin vorgestellte Pilotprogramm "Neustart im Team (NesT)" sieht vor, dass Mentorengruppen einem Flüchtling den Weg nach Deutschland ebnen, indem sie sich zu finanzieller und ideeller Unterstützung verpflichten. Ziel sei es, privates Engagement mit den staatlichen Komponenten zu koppeln, erklärte das Bundesinnenministerium, das gemeinsam mit der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge das Projekt begleitet.

Es sei eine Ergänzung humanitärer Aufnahmeprogramme, sagte der parlamentarische Staatssekretär im Innenministerium, Stephan Mayer (CSU). Ohne ehrenamtliche Akteure wäre Integration nicht zu schaffen, sagte die Integrationsbeauftragte Annette Widmann-Mauz (CDU). Sie äußerte sich erfreut darüber, dass die Hilfsbereitschaft bei Aufnahme und Integration Schutzsuchender immer noch enorm hoch sei. Nach ihren Angaben gibt es schon mehrere Interessensbekundungen für das Programm.

Zu den Pflichten der Mentoren innerhalb des Programms wird es gehören, angemessenen Wohnraum zu finden und über zwei Jahre die Nettokaltmiete zu finanzieren. Die Mentoren sollen auch bei Behördengängen, Stellensuche oder Zugang zu Sprachkursen unterstützen. Das Pilotprojekt umfasst zunächst 500 Plätze. Die ersten Einreisen sollen den Angaben zufolge ab dem Sommer stattfinden. Koordiniert werden soll das Programm über eine zentrale Stelle, die von der Bertelsmann und der Mercator Stiftung sowie der Evangelischen Kirche von Westfalen finanziert wird.

Befristete Bürgschaften

Bereits 2015, als viele Flüchtlinge nach Deutschland kamen, gab es zahlreiche Forderungen, Schutzsuchende nach Deutschland zu lassen, wenn Bürgen für sie aufkommen. Damals wurde dies über Aufnahmeprogramme vor allem der Bundesländer möglich gemacht. Die Bürgschaften hatten teilweise aber erhebliche finanzielle Konsequenzen. Das neue Programm ist in diesem Punkt zeitlich für die Beteiligten befristet.

Unterstützt wird das Projekt unter anderem vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR), den beiden großen Kirchen und ihren Wohlfahrtsverbänden Diakonie und Caritas, der AWO und dem Paritätischen Wohlfahrtverband. Es ist Teil der deutschen Zusagen für das sogenannte, vom UNHCR organisierte Resettlement, bei dem besonders schutzbedürftige Flüchtlinge wie Frauen, Kinder oder Kranke in ein sicheres Land umgesiedelt werden. Mayer sagte mit Verweis auf Zahlen des UNHCR, etwa 1,4 Millionen der weltweit mehr als 68 Millionen Flüchtlinge würden als besonders schutzbedürftig gelten.

Die Bundesregierung hatte im vergangenen Jahr zugesagt, bis Ende 2019 insgesamt 10.200 Menschen im Rahmen von Resettlement-Programmen aufzunehmen. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums wurden bislang rund 3.200 Flüchtlinge aus der Türkei und 276 Menschen, die in Libyen gestrandet waren und nach Niger zurückgingen, in die Bundesrepublik geholt. Auf ihrer Afrika-Reise hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kürzlich zugesagt, für dieses Programm noch einmal 300 Plätze zur Verfügung zu stellen. In Vorbereitung ist nach Angaben des Ministeriums zudem ein Resettlement-Programm für Ägypten, Äthiopien, Jordanien und Libanon mit 2.900 Plätzen.



Anti-Folter-Komitee kritisiert Polizeigewalt bei Abschiebung

Das Anti-Folter-Komitee des Europarates wirft Deutschland die Misshandlung eines Afghanen während eines Abschiebefluges vor. Ein Bundespolizist habe dem sich massiv wehrenden Mann absichtlich die Genitalien gequetscht, ein anderer ihn mit einem Griff um den Hals beim Atmen behindert, heißt es in einem am 9. Mai in Straßburg veröffentlichten Bericht. Generell gingen die Beamten laut Bericht respektvoll mit den Abzuschiebenden um.

Es geht um einen Flug von München nach Kabul am 14. August 2018. An Bord waren außer der Crew 46 afghanische Männer, 101 Polizisten, ein Arzt und ein Dolmetscher. Eine Delegation des Anti-Folter-Komitees des Europarates, der die Menschenrechte in Europa überwacht, beobachtete den Flug und auch die Maßnahmen davor, darunter Abholungen aus einem Abschiebegefängnis und ärztliche Untersuchungen am Flughafen.

Insgesamt beurteilte die Europarats-Delegation die Abschiebung als "professionell durchgeführt". Die Polizisten werden gelobt. "Die Delegation nahm positiv zur Kenntnis, dass alle Begleitbeamten während der gesamten Abschiebungsmaßnahme professionell und respektvoll mit den ihnen zugewiesenen Rückzuführenden umgingen. Sie blieben ständig mit ihnen im Gespräch und versuchten, sie während der Wartezeit zu beruhigen."

Beißschutz und gefesselt

Zwei Mal hätten die Beamten jedoch Gewalt angewendet, einen Fall davon stuft der Ausschuss als "bedenklich" und "Misshandlung" ein. Im Detail wird geschildert, wie einer der Abzuschiebenden sich im Flugzeug heftig wehrte und von bis zu sechs Polizisten gebändigt wurde. Diese hätten ihm unter anderem einen Beißschutz eingesetzt, einen Helm aufgesetzt, Hände und Beine gefesselt. Ein Beamter habe sich auf Knie und Oberschenkel des Mannes gesetzt. "Nach etwa 15 Minuten griff der sechste Begleitbeamte mit seiner linken Hand die Genitalien des Rückzuführenden und drückte mehrmals länger zu, um den Rückzuführenden dazu zu bringen, sich zu beruhigen."

Später seien dem Mann Fesseln abgenommen worden. Im Zuge dessen habe er jedoch Atemschwierigkeiten bekommen und sei noch stärker in Erregung geraten, als ein Beamter "den Arm um seinen Hals legte, da der dort ausgeübte Druck zu einer vorübergehenden Atemwegsbehinderung führte". So heißt es in der deutschen Übersetzung, die von der Bundesregierung besorgt wurde. Im englischen Original ist von "obstruct" die Rede, was sich mit "behindern", aber auch mit "blockieren" übersetzen lässt.

Das Komitee empfiehlt Deutschland sofortige Maßnahmen, "um die Anwendung dieser beiden Techniken durch begleitende Beamte der Bundespolizei zu unterbinden". Die Bundesregierung reagierte in einer zugleich mit dem Bericht veröffentlichten Stellungnahme an den Europarat: "Die Bundespolizei wurde von der Empfehlung des Ausschusses in Kenntnis gesetzt und hat diese aufgegriffen." Auf eine Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) zu strafrechtlichen oder disziplinarrechtlichen Konsequenzen des Vorfalls antwortete die Regierung zunächst nicht.

Vorwürfe ernst nehmen

Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Bundestag, Gyde Jensen (FDP), erklärte, die Vorwürfe des Komitees seien sehr ernst zu nehmen. "Es ist die Verantwortung des Bundesinnenministers, Polizisten auf solche zwischenmenschlichen Extremsituationen so vorzubereiten, so dass Menschen nicht misshandelt werden."

Das Komitee rügte auch weitere Punkte im Zusammenhang mit der Abschiebung. Unter anderem wurden die Betroffenen demnach nicht darüber informiert, wie sie sich über Misshandlungen beschweren könnten. Ein Teil der Polizeibeamten habe offenbar keine Grundausbildung für Abschiebungen per Flugzeug absolviert. Die Bundespolizei habe sich ferner vor Übergabe der Afghanen in Kabul nicht mehr in Deutschland erkundigt, ob in einem der Fälle eine vorläufige Gerichtsentscheidung ergangen sei, obwohl ein solches "last call-Verfahren" unerlässlich sei.

Auch mit Blick auf die vorhergehende Unterbringung von Abzuschiebenden in der Hafteinrichtung Eichstätt, die die Delegation des Europarats ebenfalls besucht hatte, machte sie Empfehlungen. Darin ging es etwa um mehr Bewegungsmöglichkeiten im Freien und besseren Schutz der Intimsphäre.



Grüne wollen unabhängigen Polizeibeauftragten für NRW


NRW-Polizeibeamte führen einen Mann ab.
epd-bild/Friedrich Stark

Die Grünen im Düsseldorfer Landtag fordern für das Land Nordrhein-Westfalen einen unabhängigen Polizeibeauftragten. Ein entsprechender Gesetzentwurf, den die Oppositionsfraktion am 9. Mai vorlegte, versteht sich als Kritik an der von der schwarz-gelben Landesregierung geschaffenen Stelle eines Polizeibeauftragten. Sie ist seit Februar beim Innenministerium angesiedelt.

"Das ist ein Etikettenschwindel", rügte die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Verena Schäffer. Die mit dem langjährigen Dortmunder Polizeibeamten und ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Thorsten Hoffmann besetzte Stelle sei eben nicht unabhängig, weil Hoffmann vom Kabinett berufen worden sei. Zudem sei er ausschließlich ein interner Ansprechpartner für die Belange der rund 50.000 Beschäftigten bei der NRW-Polizei. Darüber hinaus fehle eine Rechtsgrundlage für seine Aufgaben, Rechte und Pflichten.

Nach dem Gesetzentwurf der Grünen soll ein unabhängiger Polizeibeauftragte dagegen vom Landesparlament berufen und auch Ansprechpartner für Beschwerden und Belange der Bürger in Sachen Polizei sein. Entsprechend soll die Stelle beim Landtag angesiedelt sein. "Der Polizeibeauftragte agiert damit vergleichbar dem Wehrbeauftragten für die Beschäftigten der Bundeswehr", so Schäffer. Die Grünen wollen den unabhängigen Polizeibeauftragten mit einem neunköpfigen Stab sowie einem Jahresetat von 850.000 Euro ausstatten.

Nach Vorschlag der Grünen soll der Beauftragte eigenständig Fälle von Fehlern, Fehlverhalten und Fehlentwicklungen bei der Polizei untersuchen können. Dazu soll er das Recht auf Akteneinsicht sowie auf Anhörung von Personen erhalten. Ziel sei es, ein niedrigschwelliges Angebot für Bürger und Polizisten zu schaffen, um jenseits von Straf- und Disziplinarverfahren Konflikte mit oder innerhalb der Polizei zu lösen, heißt es in dem Gesetzentwurf der Fraktion. Ein jährlicher Tätigkeitsbericht an den Landtag solle zudem Handlungsempfehlungen für das Parlament liefern, um erkannte Defizite bei der Polizei zu beheben.

Der Forderung der Grünen vergleichbare unabhängige Polizeibeauftragte gibt es bereits in den Bundesländern Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Allein in Schleswig-Holstein wurden laut Medienberichten im ersten Jahr seit Einführung im Oktober 2016 mehr als 300 eingegangene Fälle gezählt. "Der Bedarf ist auch in NRW da", zeigte sich Schäffer überzeugt.



Breites NRW-Bündnis zur Teilnahme an Europawahl auf

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hat die Bürger zusammen mit Religionsgemeinschaften, Gewerkschaften und der Wirtschaft zur Teilnahme an der Europawahl aufgerufen. "Stimmen Sie ab und stimmen Sie für ein starkes Europa", heißt es in dem gemeinsamen Appell, den die nordrhein-westfälische Staatskanzlei am 8. Mai in Düsseldorf veröffentlichte. "Nutzen Sie Ihre Stimme und machen Sie diese Wahl zu einem Referendum für ein demokratisches, ein soziales und starkes Europa."

Kirchen beteiligen sich

Unterzeichnet haben den Aufruf neben Laschet die leitenden Geistlichen der drei evangelischen Landeskirchen in NRW, der rheinische Präses Manfred Rekowski, die westfälische Präses Annette Kurschus und der lippische Landessuperintendent Dietmar Arends, sowie die Bischöfe der fünf katholischen Bistümer Aachen, Essen, Köln, Münster und Paderborn. Auch jüdische und muslimische Verbände sowie Gewerkschaften, Unternehmer, Industrie und Handwerk unterstützen den Aufruf.

Die Unterzeichner warnen vor zunehmendem Populismus und Nationalismus, die Solidarität und Zusammenhalt in Europa gefährdeten. "Nicht die Ideologie 'Mein-Land-First' macht uns stark, sondern gemeinsame Lösungen für eine gerechtere Welt", betonen sie. Nur gemeinsam könne man Herausforderungen wie Migration und Integration, äußere und innere Sicherheit, soziale Gerechtigkeit und fairer Welthandel sowie dem drohenden Brexit erfolgreich begegnen. Nordrhein-Westfalen sei ökonomisch, ökologisch und kulturell mit Regionen und Ländern in allen Teilen Europas verbunden, heißt es in dem Aufruf. "Unser Anspruch und Auftrag als Bürgerinnen und Bürger dieses Landes ist es deshalb, diese Erfolgsgeschichte fortzuschreiben."

Europahymne erklingt täglich vom Kölner Rathausturm

Um die Bürgerinnen und Bürger in Köln auf die Europawahl einzustimmen, lässt die Stadt die Europahymne vom Glockenspiel am Turm des Historischen Rathauses erklingen. Zum ersten Mal ist Beethovens "Ode an die Freude" am Donnerstag zu hören, wie die Stadt am 8. Mai ankündigte. Bis zum Wahltag am 26. Mai wird sie dann täglich um 11.55 Uhr von den 48 bronzenen Glocken im Ratsturm gespielt. Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) setze auf alle Sinne, um die Kölnerinnen und Kölner auf Europa einzuschwören, hieß es weiter. Europa solle "Musik in den Ohren der Menschen" sein.



Verein kritisiert Hürden für Volksbegehren in NRW

Der Verein Mehr Demokratie beklagt zu hohe Hürden für direkte Demokratie in Nordrhein-Westfalen. Während Volksbegehren und -initiativen in Deutschland hoch im Kurs stünden, bleibe NRW wegen zu hoher gesetzlicher Hürden bei den Volksbegehren hinter seinen Möglichkeiten zurück, erklärte der NRW-Landesgeschäftsführer von Mehr Demokratie, Alexander Trennheuser, am 7. Mai in Düsseldorf bei der Vorstellung des Volksbegehrensberichts 2019. So müssen für ein Volksbegehren in NRW acht Prozent der Unterschriften der Bürger eingeholt werden, das entspricht rund 1,1 Millionen Menschen.

"Das ist viel zu hoch", kritisierte Trennheuser. "Wir halten eine Unterschriftenquote von zwei bis drei Prozent für ausreichend." Ohne Nachbesserungen sei das Volksbegehren als "kraftvollstes direktdemokratisches Verfahren" kaum nutzbar. In den vergangenen zehn Jahren fand in NRW den Angaben zufolge nur ein Volksbegehren statt, "G9-jetzt-NRW", das 2017 die Rückkehr zur neunjährigen Gymnasialzeit forderte. Mit 630.000 Unterschriften wurde zwar nur etwas mehr als die Hälfte des notwendigen Quorums erreicht, die Kernforderung aber von der im gleichen Jahr gewählten schwarz-gelben Landesregierung umgesetzt.

Zahlreiche Volksinitiativen

Verbessert wird die NRW-Bilanz dem Verein zufolge durch die zahlreichen Volksinitiativen. Mit 20 solcher Verfahren seit 1950 stehe NRW im Ländervergleich an der Spitze. Bei einer Volksinitiative muss sich der Landtag inhaltlich mit dem Anliegen befassen. Die derzeit laufende Volksinitiative "Straßenbaubeitrag abschaffen" sei dabei mit mehr als 450.000 Unterschriften die bislang erfolgreichste. Eine weiter Volksinitiative "Aufbruch Fahrrad" fordert aktuell eine bessere Fahrrad-Infrastruktur für NRW.

Doch anders als in anderen Bundesländern folgt in NRW auf eine Volksinitiative kein Volksbegehren. Wenn sich der Landtag mit der Initiative befasst hat, ist das Verfahren abgeschlossen. Doch nur über ein Volksbegehren kann schlussendlich ein von der Bevölkerung initiierter Volksentscheid herbeigeführt werden, wenn das Parlament das Begehren ablehnt. "Die gesetzlichen Hürden für Volksbegehren in NRW müssen deshalb unbedingt erneut auf den Prüfstand", sagte Trennheuser.

Bundesweit wurden 2018 insgesamt 17 direktdemokratische Verfahren von den Bürgern gestartet. Das waren doppelt so viele wie 2017 und der vierthöchste Wert in der Geschichte der Bundesrepublik, wie Mehr Demokratie mitteilte. In den vergangenen zehn Jahren gab es bundesweit 124 Anträge auf Volksbegehren. Daraus folgten 28 Volksbegehren und sechs Volksentscheide. Inhaltlich stehen derzeit nach Angaben des Vereins vor allem soziale und ökologische Themen im Vordergrund. So lief in Bayern zuletzt das erfolgreiche Volksbegehren "Rettet die Bienen", das die notwendige Zahl der Unterschriften übertraf. Den Gesetzentwurf des Begehrens will die bayerische Landesregierung nun mittragen.



Alice Schwarzer beklagt "Sprechverbot" für Kopftuch-Kritiker

Die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer hat ein "Sprechverbot" für kritische Stimmen gegen den politisierten Islam beklagt. Jeder, der das Kopftuch kritisiere, werde angefeindet, sagte Schwarzer am 8. Mai auf einer Tagung zum muslimischen Kopftuch an der Frankfurter Goethe-Universität. Das spiele Rechtspopulisten in die Karten. In Deutschland habe sich eine "falsche Toleranz" und eine "verordnete Fremdenliebe" entwickelt. Der sogenannte Dialog mit Islamisten und Verbänden verrate die Mehrheit der Muslime. Schwarzer sprach sich zudem für ein Kopftuch-Verbot für Kinder, in Schulen und im öffentlichen Dienst aus. Das Kopftuch sei die "Flagge des politischen Islams".

"Wir reden nicht über die kopftuchtragende Frau, sondern über ein System", sagte die Frankfurter Islam-Expertin Susanne Schröter, die die Tagung organisierte. Vor allem aus salafistischen Kreisen gebe es zum Beispiel Kinderkopftuch-Kampagnen. In einigen Schulen würden Mädchen gemobbt, die kein Kopftuch tragen. Gleichzeitig sagte die Professorin: "Niemand hat das Recht eine Frau mit Kopftuch zu beleidigen." Es gebe viele individuelle Gründe, ein Kopftuch zu tragen. "Man kann Feministin sein und auch ein Kopftuch tragen", sagte Schröter.

Shitstorm

Schröter hatte bewusst Referentinnen und Referenten mit unterschiedlichen Positionen eingeladen. Sie bedankte sich bei ihrer Universität für die Unterstützung. Im Vorfeld der Veranstaltung hatte es einen Shit-Storm gegen die Wissenschaftlerin gegeben. Einige Studierende hatten ihr in den sozialen Netzwerken anti-muslimischen Rassismus vorgeworfen. Schröter bezeichnete ihre Universität als "Leuchtturm" auch für internationale Diskussionen um die Freiheit der Wissenschaft.

Die Publizistin Khola Maryam Hübsch forderte mehr Toleranz im Umgang mit kopftuchtragenden Frauen. Sie seien keine Opfer einer männerdominierten Religion, sagte das Mitglied der Ahmadiyya-Gemeinde. Viele Muslima verhüllten sich freiwillig. Der Schleier sei "Ausdruck ihres Glaubens". Ein Kopftuch-Verbot sei verfassungswidrig. Obwohl die Mehrzahl der Referentinnen und Referenten anderer Meinung sei, habe sie sich zur Teilnahme an der Tagung entschlossen, sagte Hübsch. Es sei wichtig, "sich außerhalb der eigenen Blase zu bewegen".

Das Kopftuch sei keine religiöse Pflicht, betonte Necla Kelek, Vorstandsmitglied von Terre des Femmes. Es sei nicht mit dem christlichen Kreuz gleichzusetzen. Frauen trügen den Schleier aus Angst vor dem Mann. Gleichzeitig zeigte Kelek Verständnis für Frauen, die etwa beim Beten oder bei Beerdigungen freiwillig ein Kopftuch tragen. Die Frauenrechtsorganisation hat eine Petition zum Kinderkopftuchverbot in Schule und Ausbildungsstätten gestartet. In Schulen und Kindergärten verschleierten sich Mädchen vermehrt, sagte die in der Türkei geborene Soziologin.

Aufklärung gefordert

Dina El-Omari, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Islamische Theologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, sowie der Freiburger Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi forderten mehr Aufklärung über das Kopftuch in Kindergärten, Schulen sowie muslimischen Gemeinden und Familien. Ein Kopftuch-Verbot etwa für Grundschulkinder halten beide für wenig sinnvoll. Es löse das eigentliche Problem nicht, sagte El-Omari. Ein Verbot könne zu einer Trotz-Haltung führen.

Die Tagung fand unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen statt. Polizisten überwachten das Gebäude. Die Taschen der angemeldeten Gäste wurden kontrolliert. Größere Proteste blieben aber aus. Nur wenige junge Frauen hatten sich am Vormittag vor dem Eingang versammelt. Aufgrund der hohen Nachfrage bot die Universität einen Livestream auf ihrer Internetseite an. Es gab 700 Anmeldungen. Der Saal fasst aber nur 150 Menschen.

Im Frankfurter Museum Angewandte Kunst wird derzeit die Ausstellung "Contemporary Muslim Fashions" gezeigt. Die Schau steht in der Kritik, das Kopftuch zu verharmlosen. Die Tagung hatte Schröter als Reaktion auf die Debatte organisiert.



Ist Ramadan nicht der Monat des Friedens?


Beim "Festi Ramazan" feiern in Dortmund einen Monat lang täglich Tausende Besucher zwischen Fussballstadion und Westfalenhallen das abendliche Fastenbrechen. Hier zeigt ein Koran-Händler seine Auslage.
epd-bild/Friedrich Stark
Im Fastenmonat Ramadan sollen sich Muslime von ihrer besten Seite zeigen. Doch was bedeutet das für Kampfhandlungen in den Kriegen in Afghanistan, dem Jemen, in Libyen oder Syrien?

Am 6. Mai hat der Ramadan begonnen, doch es sieht nicht nach einer Waffenruhe aus. Die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) hat in der Vergangenheit sogar explizit zu Anschlägen im Fastenmonat aufgerufen - die Extremisten bezeichnen sie dann als besonders verdienstvoll.

Kriege sind im Fastenmonat Ramadan nicht verboten. Nach Überlieferungen aus der Zeit des Propheten schlug Mohammed sogar einige der wichtigsten Schlachten im Islam im Ramadan. Dazu gehört die erste große Schlacht zwischen den Muslimen und ihren Feinden in Mekka - die Schlacht von Badr (624 nach Christus). Die Eroberung von Mekka erfolgte ebenfalls im Ramadan sechs Jahre später. Es war auch Ramadan, als im Jahr 711 die Mauren, geführt von Tarik ibn Sijad, die iberische Halbinsel erreichten - wo sie Westgotenkönig Roderich unterwarfen und etwa 800 Jahre bleiben sollten.

Geschützte Monate

In der jüngeren Geschichte trug der im Fastenmonat gestartete Überraschungsangriff ägyptischer und syrischer Truppen auf Israel am 6. Oktober 1973 in Anlehnung an die Schlacht des Propheten den Decknamen "Operation Badr" - in Europa ist er besser bekannt als Jom-Kippur-Krieg. Im ersten Golfkrieg attackierte der Iran 1982 den Irak nahe Basra im Ramadan - bei der gleichnamigen "Operation Ramadan". Den islamischen Überlieferungen zufolge sind Soldaten vor einem Kampf nicht zum Fasten verpflichtet.

Indes legt der Koran vier heilige, geschützte Monate im islamischen Kalender fest. In dieser Zeit sollten Muslime das Kämpfen unterlassen. Es handelt sich dabei nicht um den Ramadan, sondern um die drei Monate Dhul Kadah, Dhul Hidscha und Muharram in deren Zentrum der Hadsch steht sowie die Vor- und Nachbereitung der Pilgerfahrt nach Mekka. Darüber hinaus gilt der Monat Radschab als heilig, auch dann ist Krieg untersagt. Eine Ausnahme gilt für Muslime dann, wenn sie sich gegen Angriffe verteidigen müssen. Die geschützten Monate gaben auch Händlern einst die Gelegenheit, ohne Furcht vor Angriffen mit ihren Karawanen durch Arabien zu ziehen.

Mey Dudin (epd)


Internetseite der Erinnerungsarbeit im Saarland online

Die Internetseite der Landesarbeitsgemeinschaft Erinnerungsarbeit im Saarland ist am 8. Mai offiziell gestartet. Die rund 90 Mitglieder des Zusammenschlusses informieren unter www.erinnerungsarbeit-saarland.de über ihre aktuellen Veranstaltungen und ständigen Angebote, wie die Arbeitsgemeinschaft in Saarbrücken mitteilte. Zur Vernetzung der Arbeit zur Erinnerung an die NS-Zeit hatten sich im vergangenen September Vereine, Organisationen und Schulen im Saarland zusammengeschlossen.

Nach den Worten des Sprechers der Landesarbeitsgemeinschaft, des evangelischen Kirchenrats Frank-Matthias Hofmann, verwirklicht sich mit der gemeinsamen Internetplattform ein Grundgedanke der Zusammenarbeit: Den fachlichen Austausch der Mitglieder zu fördern, neue Formen des Erinnerns auszuloten, aber auch die Leistung der Engagierten noch stärker bekanntzumachen. "Dieses reicht von Forschungsarbeiten und wissenschaftlichen Vorträgen bis zu Gedenkfeiern, Ausstellungen oder Workshops in der ehrenamtlichen Jugendarbeit", betonte der Beauftragte der Evangelischen Kirchen für das Saarland.



Mahnmal erinnert an Zwangsarbeiter im KZ-Außenlager in Bochum

Am neuen Zentralen Betriebshof der Technischen Betriebe Bochum erinnert künftig ein Mahnmal an das ehemalige Außenlager Brüllstraße des KZ Buchenwald an diesem Standort. Das vom Bochumer Künstler Marcus Kiel gestaltete Mahnmal wurde am 8. Mai der Öffentlichkeit übergeben, wie die Stadt Bochum mitteilte. Auf dem Gelände wurden den Angaben zufolge während des Nationalsozialismus Rüstungsgüter produziert. Dabei wurden auch mehr als 1.700 Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge eingesetzt.

Das Mahnmal besteht nach Angaben der Stadt aus einem Betonrohr auf einem gemauerten Sockel. Es erinnere an den Bericht eines Überlebenden des Lagers, hieß es: Rolf Abrahamsohn überlebte nach eigenen Worten in einem solchen Rohr versteckt einen Bombenangriff am 4. November 1944. Auf dem Rohr ist ein Zitat von ihm zu finden.



Umfrage: Schlechte Noten für digitale Ausstattung an Schulen

Um die Digitalisierung an Schulen in Nordrhein-Westfalen ist es einer Umfrage zufolge schlecht bestellt. An 90 Prozent aller Schulen in Nordrhein-Westfalen fehlen den Lehrkräften dienstliche Computer, bundesweit trifft dies auf 81 Prozent zu, wie der Verband Bildung und Erziehung am 6. Mai in Dortmund ein zentrales Ergebnis einer Umfrage mitteilte. Im Auftrag des VBE befragte das Meinungsforschungsinstitut Forsa bundesweit in telefonischen Interviews 1.232 Schulleitungen, darunter 259 aus Nordrhein-Westfalen.

Auch die Ausstattung im Schulunterricht ist unzureichend. Um nicht auf moderne Geräte verzichten zu müssen, nutzen an 15 Prozent der Schulen in NRW die Lehrkräfte die Methode "Bring your own device", bei der Schülerinnen und Schüler ihr eigenes Tablet oder Smartphone im Unterricht nutzen. Bundesweit trifft dies auf 18 Prozent der befragten Schulen zu.

Es fehlt an Tablet-PCs, Internet nicht immer problemlos zugänglich

Mit 91 Prozent sehen fast alle Schulleitungen Nachteile darin, wenn Schüler eigene Geräte nutzen. Zu hoch sei die Anforderung an Lehrkräfte, wenn sie dieselbe Funktion auf unterschiedlichen Geräten und Systemen erklären müssen, lautet ein Befund der Umfrage. Und zu hoch sei die Gefahr des Mobbings unter Schülern, wenn nicht jeder ein Gerät in den Unterricht mitbringen könne oder veraltete Modelle nutze.

Klassensätze an Tablet-PCs und Smartphones fehlen der Umfrage zufolge an zwei Drittel der Schulen in Nordrhein-Westfalen und bundesweit (66 Prozent). Selbst dort, wo Geräte vorhanden sind, könnten Schülerschaft und Lehrkräfte nicht an allen Standorten problemlos auf das Internet zugreifen, hieß es. 69 Prozent der nordrhein-westfälischen Schulleitungen geben an, dass sowohl schnelles Internet als auch W-Lan nicht in allen Klassen- und Fachräumen zur Verfügung steht. Im Bundesdurchschnitt trifft dies auf 63 Prozent zu.

Für die Betreuung und Verantwortung der IT-Ausstattung ist an 62 Prozent der nordrhein-westfälischen Schulen IT-Fachpersonal im Einsatz. An 64 Prozent der Schulen übernehmen dies einzelne Lehrkräfte. Die Schulträger kommen in diesem Bereich nur an zehn Prozent der Schulen zum Einsatz.

Die Erwartung an den Digitalpakt sei viel zu hoch, erklärte der VBE-Landesvorsitzende Stefan Behlau. "Der Digitalpakt ist eine verspätete Starthilfe. Unsere Schulen brauchen regelmäßige und nachhaltige Investitionen." Die Gewerkschaft verwies auch auf eine Untersuchung der Bertelsmann Stiftung, wonach jährlich rund 2,8 Milliarden Euro bundesweit in die digitale Infrastruktur von Grund- und weiterführenden Schulen investiert werden müssten.

Der "Digitalpakt Schule" ist ein bundesweites Vorhaben. Der Bundesrat stimmte im März einer entsprechenden Grundgesetzänderung zu. Dadurch kann der Bund die Länder nun finanziell bei der Digitalisierung der Schulen unterstützen. Insgesamt will der Bund fünf Milliarden Euro investieren.



Land NRW lobt Preise für vorbildliche Hochschullehre aus

Um vorbildliche Formen der Hochschullehre zu würdigen, schreibt das Land Nordrhein-Westfalen einen Landeslehrpreis aus. Mit der in diesem Jahr erstmals verliehenen Auszeichnung sollen herausragende und innovative Leistungen in der Hochschullehre gewürdigt und sichtbar gemacht werden, wie das NRW-Wissenschaftsministerium am 9. Mai in Düsseldorf mitteilte. Der Preis wird in fünf Kategorien vergeben und ist mit insgesamt 250.000 Euro dotiert. Die Bewerbungsfrist läuft bis zum 30. Juni.

"Gute Lehre ist entscheidend für den Studienerfolg. An den Hochschulen in Nordrhein-Westfalen gibt es viele engagierte Lehrende, die Studierende mit besonderen Formaten und neuen Ideen begeistern - und wichtige Impulse zur Weiterentwicklung der Hochschullehre geben", sagte Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos). Deshalb wolle die Landesregierung hervorragende Leistungen in der Lehre auszeichnen und damit Vorbilder für den wissenschaftlichen Nachwuchs schaffen. Die Auszeichnungen werden in den Kategorien Universitäten, Fachhochschulen sowie Kunst- und Musikhochschulen vergeben. Zudem gibt es zwei Sonderpreise: für "Lehre digital" und "Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements von Studierenden".

Über die Vergabe der Preise entscheidet eine Jury aus Dozenten, Studenten und Hochschuldidaktikern. Die Preise werden am 19. November in der Akademie der Wissenschaften und der Künste in Düsseldorf vergeben. Das Preisgeld in Höhe von jeweils 50.000 Euro soll für die Weiterentwicklung der Lehre der Preisträger eingesetzt werden.



NRW-Hochschulen überzeugen beim Hochschulranking

Beim diesjährigen Hochschulranking haben nordrhein-westfälische Hochschulen erneut gut abgeschnitten. Aktualisiert wurden die Bewertungen für 18 Fächer, wie das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) am 7. Mai in Gütersloh mitteilte. Darunter waren Anglistik und Amerikanistik, Bau- oder Umweltingenieurwesen, Chemie, Energietechnik, Erziehungswissenschaft sowie Germanistik, Psychologie und Romanistik.

Sehr gute Bewertungen für Stanort Bochum

In NRW wurden die Studienbedingungen an 41 Hochschulstandorten von der Rheinisch-Westfälischen Technische Hochschule (RWTH) in Aachen über die Universitäten Düsseldorf und Paderborn bis zur Hochschule Bonn-Rhein-Sieg in Sankt Augustin verglichen. Gut schneiden laut Ranking etwa die zwei Hochschulstandorte in Bochum ab: Die Ruhr-Universität zum Beispiel erzielt bei der Umfrage fächerübergreifend gute Ergebnisse unter anderem in den Kategorien "Unterstützung am Studienanfang", "Internationale Ausrichtung" und "Kontakt zur Berufspraxis". Die Technische Hochschule in Köln kommt hier ebenfalls auf sehr gute Werte in fünf Fächern, darunter Elektro- und Informationstechnik sowie interdisziplinäre Ingenieurswissenschaften.

Fachhochschulen jenseits großer Städte gut ausgestattet

Auch die vergleichsweise kleinen Hochschulen in NRW haben laut Umfrage einiges zu bieten: Die Fachhochschule Südwestfalen mit Standorten in Iserlohn und Meschede punktet demnach mit guter Raum- und Laborausstattung sowie IT-Infrastruktur. Die FH Münster und die FH Aachen am Campus Jülich kommen hier in einzelnen Fächern auf ähnlich gute Bewertungen. Die Technische Hochschule Ostwestfalen-Lippe in Lemgo überzeugt etwa in der Rubrik "Forschungsgelder pro Wissenschaftler" die befragten Studierenden. Bei der Fachhochschule Bielefeld am Standort Minden werden die allgemeine Studiensituation oder die Verzahnung von Theorie und Praxis gelobt.

Für das Ranking wurden fast 300 Universitäten und Fachhochschulen in Deutschland verglichen. Rund 150.000 Studierende und 9.000 Professoren gaben ihre Bewertung für fast 40 Fächer ab. Dabei wurden verschiedene Kriterien abgefragt, etwa gute Betreuung, Studienorganisation und Ausstattung oder Vermittlung von Fachkompetenzen. Auch sollten die Studentinnen und Studenten Auskunft über die Wohnsituation und Verkehrsmittel am jeweiligen Hochschul-Standort geben.

Das 1998 erstmals erhobene Hochschulranking gilt als der umfassendste und detaillierteste Leistungsvergleich bundesweit. Das Hochschulranking des CHE ist am 7. Mai im "Studienführer" der Wochenzeitung "Die Zeit" erschienen.



Mehr als 17.000 Gaststudierende in NRW

Im Wintersemester 2018/19 ist die Zahl der Gaststudierenden in Nordrhein-Westfalen auf 17.138 gestiegen. Das waren 7,5 Prozent mehr als im Vorjahr, wie das statistische Landesamt am 13. Mai in Düsseldorf mitteilte. 1.708 Gasthörer kamen aus dem Ausland, die meisten von ihnen aus Österreich (333) und Syrien (275).

Im Durchschnitt waren die Gaststudierenden laut Statistik etwa 49 Jahre alt. 38 Prozent von den Gasthörern waren älter als 59 Jahre. Die meisten Studierenden (96 Prozent) schrieben sich als Gast an einer der 16 Universitäten in NRW ein. Vor allem die Fernuniversität Hagen war bei ihnen beliebt: Die Zahl der Gasthörer stieg dort um zehn Prozent auf 7.442.

Gaststudenten benötigen kein Abitur, um zu den Lehrveranstaltungen zugelassen zu werden. Sie können keine Prüfungen ablegen und damit keinen Abschluss erhalten.




Umwelt

Kirchentag erwartet kontroverse Klima-Debatten


Studienleiterin Stefanie Rentsch stellte am 8. Mai eines der Lastenräder vor, die beim Dortmunder Kirchentag zum Einsatz kommen.
epd/Friedrich Stark
Klima und Umwelt sind herausragende Themen des Deutschen Evangelischen Kirchentages im Juni in Dortmund. Neu im Programm sind etwa geführte "Wege zur Nachhaltigkeit" mit aktiven Umweltschützern der gastgebenden Stadt.

Das Zentrum "Stadt und Umwelt" werde mit zahlreichen Podien, Workshops und Präsentationen eines der größten Zentren des Kirchentages sein, teilte der Kirchentag am 8. Mai in Dortmund mit. Kontroverse Diskussionen seien zum Beispiel über die Rolle der Landwirte beim Klima- und Umweltschutz oder zum Kohleausstieg zu erwarten, kündigte die Studienleiterin des Kirchentages, Stefanie Rentsch, an. So treffen etwa der Grünen-Bundesvorsitzende Robert Habeck und der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, aufeinander. Außerdem werden den Angaben zufolge im Zentrum "Stadt und Umwelt" unter anderem die Klimaforscher Hans-Joachim Schellnhuber und Uwe Schneidewind, Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) und die Klima-Aktivistin Luisa Neubauer von "Fridays for Future" erwartet.

Gefragt werden solle auch nach der Rolle der Städte für die künftige soziale und ökologische Entwicklung, hieß es weiter. Mit der westfälischen Präses Annette Kurschus und dem EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm werde debattiert, was die Kirche als Grundbesitzerin für eine gesunde und gerechte Stadtentwicklung leiste.

Insgesamt 44 Dortmunder Vereine, Organisationen, Kirchengemeinden und Initiativen engagieren sich laut der Mitteilung bei den lokalen "Wegen zur Nachhaltigkeit". An der Kooperation sind demnach auch die Stiftung Umwelt und Entwicklung Nordrhein-Westfalen sowie die Evangelische Kirche von Westfalen mit ihrem Institut für Kirche und Gesellschaft und dem Amt für Mission, Ökumene und kirchliche Weltverantwortung beteiligt.

Der Kirchentag wolle auch "den eigenen ökologischen Fußabdruck" möglichst klein halten, erklärten die Veranstalter. Er sei in den letzten 20 Jahren zu einer der umweltfreundlichsten Großveranstaltungen europaweit geworden. So könnten die Teilnehmer etwa im "Gläsernen Restaurant" Umwelt- und Klimaschutz sinnlich mit leckeren Mahlzeiten erleben, hieß es weiter. Dabei solle es in Dortmund vorrangig darum gehen, wie die Lebensmittelverschwendung in der Großküche reduziert werden könne.

Zum 37. Deutschen Evangelischen Kirchentag vom 19. bis 23. Juni in Dortmund werden bis zu 100.000 Dauerteilnehmer und viele tausend Tagesbesucher erwartet. Das Protestantentreffen steht unter der Losung "Was für ein Vertrauen". Auf fast 2.400 Veranstaltungen sollen neben Glaubensfragen auch gesellschaftliche Themen wie Migration, Umwelt und Frieden in den Blick gerückt werden.



Expertenbericht: Eine Million Arten vom Aussterben bedroht


Der Heinz-Sielmann-Weiher am Bodensee soll bestandsgefährdeten Vögeln wie Kiebitz und Braunkehlchen neue Lebensräume bieten.
epd-bild/Hanspeter Walter/ Sielmann-Stiftung
Experten warnen vor einem beschleunigten Aussterben von Tier- und Pflanzenarten. Verantwortlich dafür sei größtenteils ein fataler Umgang mit der Natur. Die positive Nachricht ist, dass der Mensch die Entwicklung noch beeinflussen kann.

Rund eine Million Tier- und Pflanzenarten weltweit könnten nach Einschätzung von Experten aussterben. Menschliche Eingriffe gefährden laut eines am 6. Mai in Paris veröffentlichten Berichts des Weltbiodiversitätsrates immer stärker die natürlichen Lebensräume und die Artenvielfalt. Die Natur befinde sich in einem historisch beispiellosen Niedergang, und das Artensterben beschleunige sich, hieß es. NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) rief zu gemeinsamen Anstrengungen gegen das Artensterben auf.

Viele der bedrohten Arten werden dem Report zufolge schon in den kommenden Jahrzehnten verschwinden. Mehr als 40 Prozent der Amphibienarten und mehr als ein Drittel aller Meeressäugetiere seien in Gefahr. Weiter sei zu befürchten, dass zehn Prozent aller Insektenarten nicht überleben werden.

Das zusammenhängende Netz des Lebens auf der Erde werde immer kleiner und schwächer, warnte Josef Settele, einer der Autoren des Berichtes. Der Verlust sei ein direktes Ergebnis menschlicher Handlungen, betonte er.

Ökologischer Kollaps

Der deutsche Biologe und Umweltforscher Settele trug mit mehr als 140 weiteren Experten aus 50 Ländern in den vergangenen drei Jahren das weltweite Wissen über das Artensterben zusammen. Weitere 310 Forscher beteiligten sich an dem Projekt. Die Fachleute geben den Politikern Empfehlungen, wie der Verlust der Ökosysteme zu stoppen ist. Der Weltbiodiversitätsrat hat seinen Sitz auf dem Campus der Vereinten Nationen in Bonn. Dem 2012 gegründeten Rat gehören 132 Regierungen an.

Als Reaktion auf den Bericht mahnten Umweltverbände eine Kehrtwende in der Lebensweise der Menschen an. "Die Zerstörung der biologischen Vielfalt bedroht die Menschheit mindestens so sehr wie die Klimakrise", sagte Hubert Weiger vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Die Bundesregierung müsse schnelle und wirksame Maßnahmen umsetzen, um den ökologischen Kollaps zu verhindern. Funktionierende Ökosystemen seien Grundlage des menschlichen Lebens. Die Bundesregierung müsse schnelle und wirksame Maßnahmen umsetzen, um den ökologischen Kollaps zu verhindern.

Der Naturschutzbund (Nabu) betonte, dass der Bericht gerade für Europa die intensive Landnutzung als Ursache für den Verlust benenne. Die Verknappung natürlicher Lebensräume und ihre Belastung ließen Schutzbemühungen häufig ins Leere laufen. Subventionen böten fatale Anreize für eine immer stärkere Bewirtschaftung von Feldern und Wäldern.Der Naturschutzbund (Nabu) kritisierte, dass Schutzbemühungen durch die Verknappung und Belastung natürlicher Lebensräume häufig ins Leere liefen.

NRW-Umweltministerin: Bericht ist "lauter Weckruf"

NRW-Umweltministerin Heinen-Esser bezeichnete den Bericht als "lauten Weckruf". "Wir müssen massiv gegensteuern und das Ausmaß und die Geschwindigkeit des globalen Artensterbens stoppen", mahnte sie. Zwischen biologischer Vielfalt und Klimawandel gebe es eine enge wechselseitige Beziehung. Nur durch gemeinsames Handeln auf verschiedenen Ebenen könne dem Klimawandel und dem Artenschwund erfolgreich begegnet werden.

Am 3. Juni veranstaltet das Umweltministerium im Düsseldorf den Angaben nach eine Konferenz, um über die Ursachen zu diskutieren und Gegenmaßnahmen zu beraten. Die Veranstaltung, an der auch Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) teilnehmen soll, richtet sich an Naturschutzverbände, Biologische Stationen, Landwirtschafts- und Wirtschaftsverbände, Waldbauern, Kommunale Spitzenverbände, sowie Vertreter aus Wissenschaft und Forschung.



Müntefering fordert internationale Tribunale gegen Öko-Verbrecher


Franz Müntefering
epd-bild / Rolf Zöllner

Ex-Bundesminister Franz Müntefering (SPD), wirbt für internationale Tribunale gegen Menschen, die ökologische und soziale Verbrechen begangen haben. Bislang ende die Gesetzgebung an der Landesgrenze, sagte Müntefering am 9. Mai in Stuttgart bei der Mitgliederversammlung der Evangelischen Senioren in Württemberg. Wie bei Kriegsverbrechen müssten auch bei Verbrechen gegen die Umwelt alle Länder an einem Strang ziehen, um die globale Katastrophe zu verhindern.

Müntefering, der Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft Senioren-Organisationen in Deutschland (BAGSO) mit Sitz in Bonn ist, lobte die "Agenda 2030" der Vereinten Nationen. Sie sei ein "Weltzukunftsvertrag", dessen Umsetzung es ermöglichen würde, die ökologischen Schäden zu begrenzen. Für eine zukunftsfähige Erde brauche es zudem einen besseren Zugang zu Bildung, insbesondere in Afrika, und mehr internationalen Einsatz für die soziale Gerechtigkeit.



BUND kritisiert "Campingplatz-Atmosphäre" im Hambacher Wald

Umweltschützer kritisieren eine "Campingplatz-Atmosphäre" im Hambacher Forst durch die Errichtung neuer Baumhäuser. Die Besetzer seien auch in bislang unberührte Bereiche des Waldes vorgedrungen, sagte der Geschäftsleiter des Umweltverbandes BUND in NRW, Dirk Jansen, der Essener "Neue Ruhr/Neue Rhein Zeitung" (online). "Da herrscht teilweise richtig Campingplatz-Atmosphäre." Er fürchte eine neuerliche Räumung durch die Polizei, bei der der Wald wie im vergangenen September Schaden nehmen könne.

Im Hambacher Forst hatten Demonstranten nach Angaben der Polizei Aachen im April wieder etwa 40 Baumhäuser errichtet. Zähle man Plattformen hinzu, komme man auf 50 bis 55 Strukturen, bestätigte ein Polizeisprecher am Mittwoch dem Evangelischen Pressedienst (epd). Aktuellere Zahlen liegen zurzeit nicht vor.

Jansen nannte die Situation skurril. Man habe einen Rodungsstopp und den auf Bundesebene vereinbarten Kohleausstieg erreicht. "Wir waren der endgültigen Rettung des Hambacher Forstes noch nie so nahe - und trotzdem wächst die Waldbesetzung", sagte der BUND-Geschäftsleiter. Jansen forderte von der nordrhein-westfälischen Landesregierung und dem Energiekonzern RWE, der den Tagebau Hambach betreibt, Klarheit zu schaffen. Der Wald müsse zur Ruhe kommen.

Der Hambacher Wald im Kreis Düren gilt als Symbol des Widerstands gegen den Kohle-Abbau. Nachdem sich die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission "Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung" Ende Januar für den Erhalt des Waldes ausgesprochen hatte, schloss sich auch NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) der Einschätzung an. RWE kündigte daraufhin an, bis 2020 keine weiteren Bäume zu fällen. Ursprünglich hatte das Unternehmen ab Mitte Oktober 2018 die Hälfte des noch stehenden Waldes roden wollen.



Saar-Ministerpräsident offen für eine CO2-Steuer

Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) hält eine CO2-Steuer für ein Element zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes. "Der Vorschlag, einfach nur die Mineralölsteuer um eine CO2-Komponente zu erhöhen, kann sicherlich nicht die alleinige Lösung sein", sagte er den Zeitungen der Essener "Funke Mediengruppe" (8. Mai). Als alleinige Lösung sei die Belastung für Menschen im ländlichen Raum, die ihr Auto nutzen müssten, zu groß.

"Wir brauchen keinen Schnellschuss, sondern einen umfassenden Umbau unseres Abgaben- und Umlagensystems", betonte der saarländische Ministerpräsident. Wichtig sei, dass Bürger finanzielle Vorteile hätten, wenn sie CO2 einsparten. "Umgekehrt gilt: wer die Umwelt stark belastet, muss mit höheren Kosten rechnen", sagte Hans.




Soziales

"Organspende soll freiwillige Entscheidung bleiben"


Spenderorganentnahme an einem hirntoten Menschen (Archivbild)
epd-bild / Annette Zoepf
In der Debatte um eine Reform der Organspende liegt der zweite Vorschlag vor: Eine Gruppe um Grünen-Chefin Baerbock will die bisherige Regelung um ein Online-Register ergänzen. Entscheiden soll der Bundestag nach der Sommerpause.

In der Diskussion um eine Erhöhung der Zahl der Organspender in Deutschland liegt ein zweiter konkreter Vorschlag auf dem Tisch. Eine Gruppe um die Parteivorsitzenden und Bundestagsabgeordneten Annalena Baerbock (Grüne) und Katja Kipping (Linke) stellte in Berlin ihren Entwurf vor, nach dem die Bürger künftig regelmäßig um eine Entscheidung zur Organspende gebeten werden sollen und dies in einem Online-Register festhalten können. Am derzeitigen Grundsatz, dass eine Organspende nur mit bewusster Zustimmung möglich sein soll, wollen sie festhalten.

Die von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Karl Lauterbach (SPD) in die Debatte eingebrachte Widerspruchsregelung lehnt die Gruppe ab. Nach deren bereits Anfang April präsentierten Plänen soll künftig jeder Organspender sein, der zu Lebzeiten nicht einen gegenteiligen Wunsch dokumentiert oder seinen Angehörigen mitgeteilt hat.

Zahl der Organspenden erhöhen

Beide Gruppen teilen dabei das Ziel, die Zahl der Organspenden zu erhöhen. Beide verweisen auch gleichermaßen auf Umfragen, wonach zwar mehr als 80 Prozent der Deutschen Organspenden befürworten, aber nur mehr als ein Drittel einen Organspendeausweis ausgefüllt haben. Die fraktionsübergreifenden Gruppen sind aber uneins in der Frage, wie aus den potenziellen auch tatsächliche Spender gemacht werden sollen: Durch fehlenden Widerspruch oder Ermutigung zum Zuspruch.

Die Gruppe um Baerbock will dabei auf die aufgeklärte Einwilligung der Deutschen setzen. Organspende solle eine bewusste und freiwillige Entscheidung bleiben, sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Karin Maag (CDU). Diese Entscheidung dürfe nicht auf ein Veto reduziert werden.

Baerbock nannte den Vorschlag ihrer Gruppe "verfassungsschonender", weil das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper stärker Beachtung finde. Kipping fasste den Unterschied der Gruppen so zusammen: Ihre Gruppe wolle, dass sich möglichst viele Menschen bewusst für ein "Ja" entschieden, während Spahn wolle, dass möglichst wenige "Nein" sagten. Neben Baerbock, Kipping und Maag gehören der Gruppe weitere Parlamentarier aus Union, SPD, Linken und FDP an. Mit dem Ziel "Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende" ist ihr Entwurf überschrieben.

Keine Pflicht zur Entscheidung

Er sieht vor, dass beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information ein Online-Register eingeführt wird, in das jeder Bürger PIN- und TAN-geschützt seinen Willen zur Organspende analog zum jetzigen Organspendeausweis selbst eintragen kann. Behörden sollen bei der Beantragung des Personalausweises darauf hinweisen und Informationsmaterial aushändigen. Auch die Hausärzte sollen regelmäßig ergebnisoffene Beratungsgespräche anbieten. Eine Pflicht zur Entscheidung soll es dabei nicht geben. Daran will die Gruppe festhalten und unterscheidet sich damit von der Gruppe um Spahn: Nach deren Plänen müsste man widersprechen oder wäre automatisch Organspender. Eine Nicht-Entscheidung wäre also nicht möglich.

Der Bundestag hatte über die Organspende im vergangenen Jahr bereits in einer Orientierungsdebatte beraten. Die konkreten Entwürfe sollen Maag zufolge nun noch vor der Sommerpause ins Parlament eingebracht werden. Die Abstimmung ist für den Herbst geplant. Die Evangelischen Frauen in Deutschland begrüßten am Montag den Vorschlag von Baerbock und anderen Parlamentarierinnen. Voraussetzung einer Spende sei Freiwilligkeit, erklärte deren Vorsitzende Susanne Kahl-Passoth. Die evangelische und katholische Kirche hatten sich jeweils kritisch zur Widerspruchsregelung geäußert. Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz erklärte, der Entwurf von Baerbock und anderen gehe "in die richtige Richtung". Welcher Entwurf im Parlament mehr Zustimmung erfährt, ist bislang nicht absehbar.

Corinna Buschow (epd)


Ethikrat fordert Moratorium für Eingriffe ins menschliche Erbgut

Mukoviszidose vermeiden, Malaria ausrotten, Brustkrebs-Risiko senken: Die Heilsversprechen der Verfahren zur Gen-Veränderung sind groß. Ihre Erforschung steht aber noch am Anfang. Der Ethikrat warnt daher vor Experimenten mit dem Erbgut von Menschen.

Knapp ein halbes Jahr nach Berichten über die Geburt Gen-veränderter Zwillinge in China hat der Deutsche Ethikrat eine Stellungnahme zu Eingriffen in die menschliche Keimbahn vorgelegt. Das nationale Gremium, das Bundesregierung und Bundestag berät, lehnt Experimente wie den des Forschers He Jiankui, dessen Versuch nach wie vor nicht veröffentlich ist, ab. Wegen ihrer unabsehbaren Risiken seien solche Eingriffe derzeit ethisch unverantwortlich, heißt es in einer am 9. Mai in Berlin vorgestellten Stellungnahme des Ethikrats.

Die Experten sind sich dabei aber auch einig, dass sie solche Eingriffe nicht grundsätzlich und für alle Zeit ausschließen. Die menschliche Keimbahn sei nicht unantastbar, heißt es in der ersten von insgesamt sieben einstimmig beschlossenen Empfehlungen des Ethikrats. Wegen der derzeit nicht absehbaren Risiken wird darin aber ein internationales Moratorium gefordert. Wissenschaftler wie He würden dann eine "rote Linie" überschreiten, wie es die Medizin-Ethikerin Alena Buyx, die die Arbeitsgruppe im Ethikrat leitete, formulierte. Sie stünden dann außerhalb eines Konsenses über Forschungsstandards.

Grundwerte berücksichtigen

Hintergrund der Stellungnahme des Ethikrats sind die noch recht jungen Entdeckungen im Bereich des sogenannten "Genome Editing". Mit dem Verfahren lässt sich die DNA in Lebewesen verändern, präzise und im Vergleich zu früheren Verfahren einfacher und kostengünstiger. Forscher hoffen durch die neuen Methoden auf Fortschritte bei der Vermeidung schwerer Erbkrankheiten wie Mukoviszidose oder gegen Krankheiten wie Malaria oder Aids.

Die bisherigen Verfahren gelten nach mehrheitlicher Auffassung noch nicht als präzise und sicher genug, um die Anwendung beim Menschen zu rechtfertigen. Sie sind zudem ethisch umstritten, weil der Eingriff tiefgreifend ist: Veränderungen in der Keimbahn würden an die nächste Generation weitervererbt, also dauerhaft festgeschrieben. Mehrfach hatten daher auch Wissenschaftler selbst in den vergangenen Jahren ein Moratorium für Eingriffe, die das menschliche Erbgut verändern, gefordert. Ein entsprechendes Abkommen gibt es aber bis heute nicht.

Der Ethikrat forderte nun Bundesregierung und Bundestag erneut dazu auf, sich für eine Debatte darüber einzusetzen. Dabei schlägt er vor, nicht nur eine reine Nutzen-Risiko-Analyse zu führen, sondern Grundwerte wie Menschenwürde, Wohltätigkeit, Gerechtigkeit und Verantwortung zum Maßstab von Entscheidungen zu machen. Zudem fordert er zu berücksichtigen, zu welchem Zweck solche Eingriffe erfolgen sollen: für die Forschung, die Vermeidung genetisch bedingter Krankheiten oder für "Verbesserungen" des Menschen.

Der Stellungnahme beigefügt hat der Ethikrat erstmals einen sogenannten Entscheidungsbaum, eine Art Labyrinth mit Wegmarken an ethisch umstrittenen Fragen, deren Beantwortung mit "Ja" oder "Nein" zur Entscheidung über Erbgut-Eingriffe führen kann. An dieser Grafik endete aber auch im Ethikrat die Einhelligkeit. Das Spektrum weltanschaulicher Überzeugungen sei groß, die Debatte daher intensiv, sagte Buyx.

Streitpunkt Forschung an Embryonen

Keine Einstimmigkeit gibt es nach ihren Worten beispielsweise für die Frage, ob auch in Deutschland Forschung an Embryonen möglich sein sollte. Der Ethikrat legt in seiner Stellungnahme nahe, dass die Möglichkeiten der sogenannten Genom-Chirurgie für eine klinische Anwendung am Menschen weiter erforscht werden sollten, weil sie Chancen für die Vermeidung schwerer Erbkrankheiten bergen können. In Deutschland ist dies durch das strenge Embryonenschutzgesetz aber nicht möglich.

Eine Mehrheit im Gremium sei dafür, dies möglich zu machen, sagte Buyx. Forderungen nach einer Öffnung der Forschungsmöglichkeiten zumindest an "verwaisten", also an bei künstlichen Befruchtungen übrig gebliebenen Embryonen, hatte es zuletzt auch von der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina gegeben.

Nach Auffassung des Ethikrats-Vorsitzenden Peter Dabrock zeigt die kontroverse Debatte innerhalb des Ethikrats, wie wichtig die Debatte in der Gesellschaft ist. Mit den Möglichkeiten des "Genome Editing" passiere etwas Grundlegendes. Mit der Möglichkeit zu Eingriffen in die Keimbahn könne die Menschheit an einer neuen Schwelle stehen, sagte der evangelische Theologe. Die Debatte müsse dringend geführt werden, um sich nicht hinterher zu wundern, wenn erfolgte Eingriffe nicht mehr rückgängig gemacht werden können.



Wohlfahrtsverbände würdigen pflegende Angehörige

Um Pflegebedürftige kümmern sich in NRW vor allem Familie, Freunde oder Nachbarn. Auf ihre Arbeit weisen Wohlfahrtsverbände zum Tag der Pflege hin. Doch auch pflegende Angehörige brauchen Pausen - und daher mehr Angebote der Kurzzeitpflege.

Die Wohlfahrtsverbände in Nordrhein-Westfalen machen zum Internationalen Tag der Pflege am 12. Mai auf das Engagement von pflegenden Angehörigen aufmerksam. "Es wird leicht übersehen, dass die überwiegende Mehrheit von Menschen, die auf pflegerische Hilfen angewiesen sind, von den eigenen Angehörigen zu Hause betreut wird, vor allem von Frauen", erklärte Christian Heine-Göttelmann, Vorsitzender der Freien Wohlfahrtspflege NRW, am 9. Mai in Düsseldorf. Der Landesverband der Alzheimer Gesellschaften NRW forderte einen deutlichen Ausbau der Kurzzeitpflege, damit sich pflegende Angehörige auch einmal erholen könnten.

Die Freie Wohlfahrtspflege erklärte, die Angehörigen brauchten gute Beratung, vielfältige Unterstützung und gesellschaftliche Anerkennung. In NRW gibt es nach Angaben der Verbände rund 770.000 Pflegebedürftige. Etwa 417.000 von ihnen, also mehr als zwei Drittel, würden von Angehörigen, Nachbarn oder Freunden gepflegt, hieß es. Um diese zu entlasten, seien Beratungsangebote und Selbsthilfegruppen wichtig. Für eine bessere Vereinbarkeit von Pflege und Beruf müssten zudem Angebote der Kurzzeitpflege, Tages- und Nachtpflege ausgebaut werden, fordern die Wohlfahrtsverbände.

Alzheimer Gesellschaften kritisieren fehlende Kurzzeitpflegeplätze

Dieser Forderung schlossen sich auch die Alzheimer Gesellschaften in NRW an. "Wir brauchen dringend weitere Bemühungen der Landespolitik und der Pflegekassen, die Heime zu einer Aufstockung ihrer festen Kurzzeitpflegeplätze zu bewegen", erklärte die Verbandsvorsitzende Regina Schmidt-Zadel am 9. Mai in Düsseldorf. Pflegende Angehörige von Demenzkranken hätten vielerorts größte Schwierigkeiten, selbst Monate im voraus einen Pflegeplatz zu finden, wenn sie selbst einmal Urlaub machen wollten.

Pflegende Familienmitglieder seien stark auf Unterstützung und Entlastung angewiesen, um angesichts der hohen Belastung nicht selbst zu erkranken, unterstrich Schmidt-Zadel. Deshalb unterstützten die Pflegekassen pro Jahr bis zu vier Wochen sogenannte Verhinderungspflege, wenn der pflegende Angehörige krank wird, Urlaub oder eine Reha braucht, sowie maximal vier Wochen Kurzzeitpflege. Es sei schlimm, wenn diese notwendige und gesetzlich zustehende Entlastung an fehlenden Kurzzeitpflegeplätzen scheitere.

"Die Situation der Angehörigen ist ja schon dadurch angespannt, dass sie wegen des fehlenden Pflegepersonals häufig auch keinen ambulanten Pflegedienst finden, der sie bei der häuslichen Betreuung ihrer Demenzkranken unterstützt", beklagte die ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Schmidt-Zadel. "Auch hier werden weitere Initiativen der Politik nötig sein."



Diakonie für soziale Mindeststandards in Europa

Diakonie-Präsident Ulrich Lilie sieht in einer hohen Wahlbeteiligung bei den Europawahlen die Chance für eine sozial gerechtere EU. "Nur wenn viele Menschen wählen gehen, wird Europa stark sein", sagte Lilie am 9. Mai bei der Vorstellung des "Sozial-O-mats" der Diakonie. Der Online-Fragebogen soll Wählern anhand der Positionen der sechs im Bundestag vertretenen Parteien eine Entscheidungshilfe für die Wahl zum Europaparlament am 26. Mai geben. Lilie betonte, nur ein soziales Europa werde die Zustimmung der Menschen finden.

Nutzer des "Sozial-O-mats" können zu zwölf Thesen mit Zustimmung, Ablehnung oder Enthaltung antworten. Dabei geht es um die Bereiche faire Lebensbedingungen, Lernen und Arbeiten, Wirtschaft sowie Flucht und Migration. Der "Sozial-O-mat" errechnet dann den Grad der Übereinstimmung. Anhand beispielhafter Porträts von Menschen wird zudem gezeigt, welche Auswirkungen die verschiedenen politischen Ansätze haben.

Demos am 19. Mai

Lilie rief bei einem Treffen mit Vertretern zivilgesellschaftlicher Organisationen zur Teilnahme an den Demonstrationen "Ein Europa für alle: Deine Stimme gegen Nationalismus" auf. Sie finden am 19. Mai europaweit in zahlreichen Städten statt, in Deutschland in Berlin, Frankfurt, Hamburg, Leipzig, München, Köln und Stuttgart.

Diakonie-Vorstand Maria Loheide sprach sich für einen Ausbau sozialpolitischer Mindeststandards in der EU aus. "Europäische Integration ist ohne soziale Gerechtigkeit nicht zu haben." Dies gelte aber auch umgekehrt: Ohne europäische Integration keine soziale Gerechtigkeit.

Loheide betonte, diese Europawahl werde darüber entscheiden, "wie die europäische Geschichte weitergeht". Mit Blick auf rechtspopulistische und nationalistische Strömungen in manchen europäischen Staaten sagte Loheide, das Engagement für Demokratie, für die Schwachen der Gesellschaft und gegen Diskriminierung werde zunehmend erschwert. Die Gewährung von Menschenrechten werde zunehmend an Bedingungen geknüpft und demokratische Institutionen gezielt geschwächt.

Dabei sei das Fremdeln mit der europäischen Idee auch eine Folge "der sehr realen Spaltung in unseren Gesellschaften", sagte Loheide weiter. Wo dauerhaft Angst um die eigene Zukunft besteht, könne sich kein Gefühl der Zugehörigkeit einstellen. Mindeststandards seien nötig etwa beim Mindestlohn, bei der Grundsicherung, beim Elterngeld und der Arbeitslosenhilfe.

Dröge für offensiven Umgang mit Rechten

In Österreich könne derzeit sehr genau beobachtet werden, "was passiert, wenn mit Angstmacherei und Abschottung ganz konkrete Politik gemacht wird", sagte Loheide. Es gebe eine Rhetorik der Abschreckung, der Diskriminierung und Betonung der nationalen Identität.

Neue Verordnungen und Gesetze würden ausdrücklich zum Nachteil von Zugewanderten eingeführt. Auch alleinerziehende Mütter und Behinderte müssten Kürzungen von Zuschüssen hinnehmen. Zudem versuche die Regierung die Arbeit von Wohlfahrtsverbänden, Nichtregierungsorganisationen und Menschenrechtsaktivisten einzuschränken.

Die Direktorin der Diakonie Österreich, Maria Katharina Moser, warnte auf der Veranstaltung mit einem Zitat von Friedrich Hebbel: "Österreich ist eine kleine Welt, in der die große ihre Probe hält". Die Entwicklungen in Österreich seien von gesamteuropäischer Relevanz.

Der Berliner Bischof Markus Dröge forderte dazu auf, offensiver im Umgang mit Rechtspopulisten zu sein. Dazu müssten nicht nur "die eigenen Leute" etwa in Kirchengemeinden gestärkt werden. Die Erfolge der EU, wie etwa die friedliche Konfliktlösung untereinander, müssten aktiv gegenüber Rechtspopulisten verteidigt werden.



Studie: Die Einkommen steigen - die Ungleichheit wächst

Die Einkommen steigen, die allgemeine Zufriedenheit wächst - und gleichzeitig nimmt seit der Finanzkrise die Ungleichheit wieder zu. Die Einkommen der Gutverdiener steigen viel stärker als die aller anderen. Besonders stark profitieren die Reichsten.

Die Einkommenszuwächse der vergangenen Jahre sind bei den Gutverdienern viel höher ausgefallen als bei allen anderen. Insgesamt sind die Menschen in Deutschland aktuell mit ihren Nettoeinkommen zwar zufriedener als früher, doch sie nehmen auch die wachsende Ungleichheit wahr, wie aus einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hervorgeht, die am 7. Mai in Berlin vorgestellt wurde.

Danach stiegen die realen Haushaltsnettoeinkommen zwischen 1991 und 2016 im Durchschnitt um 18 Prozent. Alle, auch die Niedrigverdiener, waren deshalb 2017 mit ihrem Haushaltseinkommen zufriedener als noch 2007. Gleichzeitig schätzt aber eine knappe Mehrheit der Bevölkerung (55 Prozent) ihren eigenen Nettoverdienst als zu niedrig ein. Studien-Mitautor Markus Grabka erläuterte, trotz der Zufriedenheit mit dem eigenen Einkommen fielen die Werte bei der Frage nach der Gerechtigkeit des Verdienstes schlechter aus.

Flüchtlinge fangen bei null an

Die Zahlen sprechen für sich: Das reichste Zehntel der deutschen Haushalte steigerte sein Einkommen zwischen 1991 und 2016 um 35 Prozent. In den Einkommensgruppen darunter liegen die Zuwächse zwischen acht Prozent im mittleren Spektrum und 19 Prozent bei den Gutverdienern. Dass beim ärmsten Zehntel der Bevölkerung die Einkommen seit 2010 sogar sinken, liegt laut DIW-Studie auch an der Zuwanderung. Die Zahl der Ausländer sei zwischen 2010 und 2016 um 3,3 Millionen auf zehn Millionen Menschen gestiegen. Flüchtlinge fingen in aller Regel bei null an, so Grabka.

Für das zweitärmste Zehntel der Haushalte verzeichnet die Studie stagnierende geringe Einkommen. Sie stiegen in dem langen Zeitraum bis 2016 nur um zwei Prozent. Die Niedrigeinkommensquote sinke trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs nicht, sondern bleibe mit 16,6 Prozent hoch, bilanziert die Studie. Die Schwelle, ab der man von einem Armutsrisiko oder einem Niedrigeinkommen spricht, liegt nach DIW-Angaben bei 1.120 Euro im Monat für einen Single-Haushalt.

Haushalte mit nur einem Verdiener sind heute doppelt so stark armutsgefährdet wie noch vor 20 Jahren. Als neue, besonders gefährdete Gruppe haben die Forscher die Berufseinsteiger ausgemacht. Das Armutsrisiko der 25-bis 34-Jährigen ist von allen Altersgruppen am stärksten gestiegen. Die DIW-Forscher machen dafür vor allem den großen Niedriglohnsektor verantwortlich. Insgesamt nehme die Ungleichheit seit der Finanzkrise wieder deutlich zu.

Städtisches Armutsrisiko

Einmal mehr zeigt die DIW-Erhebung auch die problematische Lage in den Großstädten. Dort ist die Armutsrisikoquote stärker gestiegen als auf dem Land. Zusammen mit den explodierenden Mieten eine besorgniserregende Entwicklung, resümieren die Studien-Autoren und fordern mehr sozialen Wohnungsbau.

Die Not der einen ist indes der Profit der anderen: Das reichste Zehntel aller Haushalte in Deutschland steigerte seine Einkünfte aus Vermietungen und Verpachtungen zwischen 2010 und 2016 um knapp 40 Prozent.

Die Studie beruht auf Daten der größten und am längsten laufenden Langzeitstudie in Deutschland (SOEP), für die seit 35 Jahren jedes Jahr eine Befragung Zehntausender Haushalte erfolgt.



Studie: Mütter erleiden erhebliche Einbußen beim Lohn


Angebot für berufstätige Mütter: Mitarbeiterinnen der evangelischen Landeskirche in Berlin können bei Betreuungsengpässen ihre Kinder mit zur Arbeit bringen.
epd-bild/Rolf Zöllner

Wenn Frauen Kinder bekommen und danach wieder in den Job zurückkehren, müssen sie einer Studie zufolge mit erheblichen Lohneinbußen rechnen. Auch Gleitzeit könne den geringeren Verdienst nicht verhindern, heißt es in einer am 9. Mai veröffentlichten Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Um diese Nachteile von Müttern wirksam zu reduzieren, brauche es neben einem weiteren Ausbau der Kinderbetreuung Reformen bei der Elternzeit, im Steuerrecht und einen Mentalitätswechsel, schreiben die Verfasserinnen.

Die Untersuchung geht auch der Frage nach, ob flexible Arbeitszeiten dazu beitragen können, Nachteile beim Einkommen auszugleichen. Das Ergebnis: Mütter, die Elternzeit genommen haben und in Gleitzeit wechseln, verdienen im Schnitt sogar noch weniger als vorher.

Die von den Forscherinnen beobachteten Frauen, die nach einer Elternzeit von bis zu einem Jahr in den Beruf zurückkehren, verdienen im Schnitt 6,5 Prozent weniger pro Stunde. Wer mehr als ein Jahr pausiert, bekommt danach pro Stunde fast zehn Prozent weniger bezahlt. Anderen Studien zufolge verdienen Mütter von zwei Kindern bis zum Alter von 45 Jahren bis zu 58 Prozent weniger als kinderlose Frauen.

Verlust von "Humankapital"

Als mögliche Gründe nennen die Forscherinnen den angeblichen Verlust von "Humankapital": Durch die längeren Auszeiten, die viele Frauen nach der Geburt nehmen, werde ihre Qualifikation in den Augen vieler Arbeitgeber entwertet. Das ist vor allem für höher qualifizierte Beschäftigte ein Problem. Zudem gebe es "negative Signalwirkungen", weil viele Arbeitgeber Mutterschaft als Ausdruck fehlender Karriereorientierung betrachteten.

Die Expertinnen empfehlen flexible Arbeitszeiten, die helfen könnten, Familie und Beruf besser unter einen Hut zu bekommen. Sie verweisen auf US-amerikanische Studien, die zeigten, dass dort erwerbstätige Mütter in Gleitzeit finanziell profitieren.

Um eine partnerschaftliche Arbeitsteilung zu befördern und so die offenbar stark ausgeprägten Vorurteile gegenüber erwerbstätigen Müttern abzubauen, empfehlen sie der Politik, das Ehegattensplitting abzuschaffen, die Partnermonate bei der Elternzeit zu verlängern und ein Recht auf Familienarbeitszeit einzuführen, bei der beide Partner ihre Arbeitszeit reduzieren.



Kommunen: Kibiz-Reform beendet jahrelanges Finanzdefizit


Garderobe einer Kindertagesstätte
epd-bild/Kathrin Döpner

Die geplante Reform der Kita-Finanzierung in NRW stößt auf unterschiedliche Resonanz. Der Städtetag NRW begrüßte die Pläne der Landesregierung. "Mit der neuen Regelung wird ein jahrelanges strukturelles Finanzdefizit in der Kinderbetreuung in Nordrhein-Westfalen beendet", sagte Geschäftsführer Helmut Dedy am 8. Mai in Düsseldorf. Der am 7. Mai von Familienminister Joachim Stamp (FDP) vorgestellte Entwurf zur Reform des Kinderbildungsgesetzes (Kibiz) verspreche eine verlässliche und dauerhaft auskömmliche Finanzierung der Kinderbetreuung in Nordrhein-Westfalen. Er ermögliche allen Kita-Trägern, die Betreuungsqualität zu verbessern.

Ver.di: Gesetzesnovelle beseitigt Fachkräftemangel nicht

Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di hält den Gesetzentwurf dagegen für nicht ausreichend. Ohne Lösung des Fachkräftemangels könne es keine Verbesserung der Situation geben, erklärte Ver.di-Landesfachbereichsleiterin Gabriele Maahn am Mittwoch in Düsseldorf. Mit zu wenig Personal lasse sich etwa die geplante Flexibilisierung der Öffnungszeiten nicht umsetzen. "In vielen Einrichtungen ist die Arbeit aufgrund des Personal- und Fachkräftemangels schon mit den aktuellen Öffnungszeiten kaum zu leisten", kritisierte Maahn. "Neue Kitas können zum Teil nicht eröffnet werden, da nicht genug Personal zur Verfügung steht."

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die landesweit rund 8.000 Kitas ab dem Kindergartenjahr 2020/21 mit zusätzlich rund 1,3 Milliarden Euro pro Jahr unterstützt werden. Insgesamt stehen damit jährlich rund 6,8 Milliarden Euro zur Verfügung. Die zusätzlichen Mittel sollen unter anderem in mehr Personal, flexiblere Öffnungszeiten und eine bessere Sprachförderung investiert werden. Zudem führt Nordrhein-Westfalen ab 2020/21 ein zweites beitragsfreies Kita-Jahr ein. Die entsprechenden Einnahmeausfälle der Kommunen in Höhe von 200 Millionen Euro will das Land komplett ausgleichen.

Den Großteil der Zusatzsumme teilen sich mit 750 Millionen Euro je zur Hälfte Land und Kommunen. Dazu kommen unter anderem noch Landesmittel in Höhe von jährlich mindestens 115 Millionen Euro für Investitionen. Der Restbetrag in Höhe von 430 Millionen Euro kommt im Rahmen des Gute Kita-Gesetzes zunächst vom Bund.

Der Städtetag erklärte, den Kommunen verlange ihr zusätzlicher Beitrag einiges ab. "Sie übernehmen trotz vielerorts angespannter Haushaltslage Verantwortung für eine gesellschaftspolitisch besonders wichtige Aufgabe", erklärte Dedy. Deshalb erwarteten die Städte, dass die Reform ohne weitere Belastung für sie im Landtag verabschiedet werde. Besonders wichtig sei auch, dass das Land seine Zusage einhalte, den Kommunen ausreichende Investitionsmittel für jeden notwendigen Kita-Platz bereitzustellen, betonte Dedy. Laut Stamps Entwurf soll künftig jeder notwendige Betreuungsplatz in Kitas vor Ort bewilligt und finanziell gefördert werden.



Studie: Kitas brauchen mehr Unterstützung bei Inklusion

Die Kindertagesstätten im Rheinland wünschen sich laut einer Studie des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) mehr Unterstützung bei der Inklusion behinderter Kinder. "Kindertagesstätten wünschen sich vor allem mehr Personal und mehr Kooperationsmöglichkeiten mit Frühförderzentren und Therapeuten", sagte der Projektleiter der Rheinland-Kita-Studie, der Erziehungswissenschaftler Rüdiger Kißgen, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Knapp zwei Drittel der befragten Kitas, die bereits behinderte Kinder betreuen, gaben an, dass es ihnen an Personal und der Zusammenarbeit mit Fachleuten mangele.

An der bundesweit größten Studie zum Stand der Inklusion in Kitas, die am 7. Mai in Köln vorgestellt wurde, hatten sich rund 1.700 der 5.500 Einrichtungen im Rheinland beteiligt. 58 Prozent von ihnen betreuen bereits behinderte Kinder, 42 Prozent bislang nicht. Das nordrhein-westfälische Kinderbildungsgesetz (Kibiz) sieht die wohnortnahe Versorgung behinderter Kinder in Regel-Einrichtungen vor.

Pädagogische Konzepte unausgereift

Viele Kitas sind nach den Erkenntnissen der Studie noch nicht ausreichend auf die Betreuung behinderter Kinder vorbereitet. "Was die Auseinandersetzung der Einrichtungen mit dem Thema angeht, gibt es noch einen gewissen Nachholbedarf", sagte Kißgen, der Professor für Erziehungswissenschaften an der Universität Siegen ist. 20 Prozent der Kitas, die behinderte Kinder betreuen, haben der Studie zufolge in ihrem pädagogischen Konzept keinerlei Angaben zur Inklusion. Von den Einrichtungen, die bislang noch keine behinderten Kinder aufgenommen haben, hat sich mehr als die Hälfte noch keine konzeptionellen Gedanken über das Thema gemacht.

Raumprobleme

Einer der Gründe für Kitas, keine behinderten Kinder aufzunehmen, sind laut Studie fehlende Räume. "Nur acht Prozent der Kitas, die bislang keine behinderten Kinder betreuen, haben einen separaten Raum, der für Einzel- oder Kleingruppenarbeit genutzt werden kann", stellte Kißgen fest. Ein solcher Raum werde aber vor allem für behinderte Kinder gebraucht, die zum Beispiel Physiotherapie oder Logopädie benötigen. Selbst in 64 Prozent der inklusiven Einrichtungen fehle ein solcher Therapieraum. Kißgen forderte, die räumlichen Voraussetzungen für die Betreuung behinderter Kinder müssten bei künftigen Betriebszulassungen von Kitas berücksichtigt werden.

Die Leitungen der befragten Kitas wünschten sich laut Kißgen darüber hinaus mehr Fortbildung zum Thema Inklusion sowie weniger Bürokratie bei der Beantragung der Zuschüsse für die Betreuung behinderter Kinder. "Die Einrichtungen fühlen sich oft auch von ihren Trägern nicht optimal unterstützt", beobachtete Kißgen.

Bei der Umsetzung der Inklusion in Kitas gibt es nach Ansicht des Forschers noch ein großes Entwicklungspotenzial. "Das liegt darin, Kitas, die noch keine Kinder mit Behinderung betreuen, zu motivieren und zu unterstützen." Das könne unter anderem durch eine bessere räumliche Ausstattung der Einrichtungen und mehr Geld für langfristige Fortbildungen erreicht werden, schlug der Pädagoge vor.

epd-Gespräch: Claudia Rometsch


Unicef-Projekt "Theater der 10.000" in rund 80 Städten

Bei dem Projekt "Theater der 10.000" des UN-Kinderhilfswerks Unicef haben nach Angaben der Veranstalter am 11. Mai Tausende Menschen in rund 80 Städten in Deutschland teilgenommen. "Über eine Audio-Datei und Kopfhörer erfuhren die Teilnehmenden die Story des ihnen vorher unbekannten Stücks und erhielten überall simultan die gleichen Regie-Anweisungen", teilte das Kinderhilfswerk in Köln mit. Die Menschen hätten beispielsweise vor dem Kölner Dom, auf dem Berliner Arkonaplatz oder vor der Trierer Porta Nigra gleichzeitig die Arme gehoben, einen Kreis gebildet oder einen Schritt nach vorne gemacht.

In dem Stück wurden die Teilnehmer zu Zeitreisenden, deren Aufgabe es war, ins Jahr 2019 zurückzukehren und die Zukunft zu verändern. Ansonsten drohte die Erde zu einem unbewohnbaren Ort zu werden. "Wir möchten mit der Theateraktion kreativ auf ein ernstes Thema aufmerksam machen: Schon heute wachsen Millionen von Kindern in einem Kriegs- oder Krisengebiet auf", sagte der Geschäftsführer von Unicef Deutschland, Christian Schneider. Es sei höchste Zeit zu handeln, damit jedes Kind eine friedliche und lebenswerte Zukunft vor sich habe.



Sehbehinderte in NRW können bei Europawahl eigenständig abstimmen

Für die rund 145.000 wahlberechtigten blinden und sehbeeinträchtigten Menschen in Nordrhein-Westfalen gibt es bei der Europawahl vom 26. Mai spezielle Stimmzettel. Die Stimmzettel, deren obere rechte Ecke abgetrennt ist, können in Verbindung mit einer Schablone und einer CD von Blinden und Sehbeeinträchtigten eigenständig und ohne fremde Hilfe ausgefüllt werden, wie der Landeswahlleiter Wolfgang Schellen am 9. Mai in Düsseldorf mitteilte.

Die Schablone hat die Form einer Mappe, in die der Stimmzettel anhand seiner Markierung eingelegt wird. Durch runde Öffnungen über den zu markierenden Kreisen können blinde und sehbeeinträchtigte Wähler ihr Kreuz machen. Die zu jeder Schablone gehörende CD enthält eine Anleitung und den Text des Stimmzettels. Landeswahlleiter Schellen begrüßte die Möglichkeit, dass blinde und sehbeeinträchtigte Personen ohne fremde Hilfe ihre Stimme abgeben können. Zugleich rief er die betroffenen Wähler auf, ihre Stimmzettelschablone und CD möglichst bald anzufordern.

Die Arbeitsgemeinschaft der Blinden- und Sehbehindertenvereine in Nordrhein-Westfalen stellt die Schablonen und CDs her und übernimmt die Verteilung. Die Kosten werden vom Bund erstattet.



Rheinischer Präses würdigt Gefängnisseelsorge

Der rheinische Präses Manfred Rekowski hat die Arbeit der Gefängnisseelsorge als wichtigen und herausfordernden Dienst der Kirche bezeichnet. In der Seelsorge geschehe Wesentliches für denjenigen, der begleitet werde, aber auch für die Angehörigen und die Gesellschaft als Ganzes, sagte der leitende Theologe der Evangelischen Kirche im Rheinland am 9. Mai bei der zurzeit laufenden Jahrestagung der evangelischen Gefängnisseelsorge in Trier. Die Teilnehmer setzten sich in Gesprächen und Vorträgen mit dem Thema "In der Welt habt ihr Angst" auseinander.

"Seelsorge ist ein starkes Stück Kirche", sagte Rekowski. Nicht nur in den Gefängnissen würden Menschen lebensnah und ganzheitlich begleitet. Da diese Arbeit nichtöffentlich geschehe, werde sie seltener als kirchliches Aufgabengebiet wahrgenommen.

Die Evangelische Konferenz für Gefängnisseelsorge in Deutschland ist der Zusammenschluss von fast 300 evangelischen Seelsorgern in 200 Justizvollzugsanstalten in ganz Deutschland. Gefängnisseelsorger begleiten Inhaftierte, führen seelsorgerliche Gespräche und feiern mit den Gefangenen Gottesdienste. Sie machen Gesprächs-, Meditations- und andere Freizeitangebote und unterstützen die Kontaktaufnahme zu Angehörigen. Als Seelsorger unterliegen sie der Schweigepflicht.



Mehr Menschen in NRW auf Grundsicherung angewiesen

Immer mehr Menschen in Nordrhein-Westfalen sind auf Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsminderung angewiesen, weil ihre Rente nicht reicht oder sie dauerhaft nicht arbeiten können. 2018 erhielten 282.186 Frauen und Männer Grundsicherungsleistungen, wie das statistische Landesamt am 9. Mai in Düsseldorf mitteilte. Das waren 5.845 oder 2,1 Prozent mehr als im Jahr davor. Der nordrhein-westfälische Sozialverband VdK kritisierte diese Entwicklung. Seit Dezember 2013 sei die Zahl der über 65-Jährigen, die am Existenzminimum lebten, sogar um knapp 14 Prozent gestiegen.

Mehr als die Hälfte der Betroffenen waren nach Angaben der Statistiker älter als 65 Jahre, also im Rentenalter. 45 Prozent der Leistungsempfänger waren zwischen 18 und 65 Jahre alt. Sie erhielten staatliche Unterstützung aufgrund ihrer dauerhaften, vollen Erwerbsminderung etwa wegen einer Behinderung oder Krankheit. Jeder sechste Bezieher von Grundsicherung lebte in stationären Einrichtungen wie Alten- oder Pflegeheimen.

Verband fordert Erhöhung von Mindestlohn und Renten

Der NRW-Landesvorsitzende des VdK, Horst Vöge, erklärte am 9. Mai, viele Menschen im Rentenalter gingen weiterhin einer Arbeit nach, um über die Runden zu kommen. Geringe Renten müssten daher aufgewertet werden. Zudem forderte der Verband eine Erhöhung des Mindestlohns auf 12,80 Euro. Das Beispiel des Ruhrgebiets zeige, dass Minijobs, Befristungen sowie Zeit- und Leiharbeit eingedämmt werden müssten, betonte Vöge. Prekär Beschäftigte seien sonst im Alter zwangsläufig auf staatliche Leistungen angewiesen, wenn sie wegen Erziehungs- oder Pflegezeiten aufhörten zu arbeiten.




Medien & Kultur

Vermeer übermalte "Brieflesendes Mädchen" nicht selbst


Das "Brieflesende Mädchen"
epd-bild/Matthias Rietschel
Es ist eine kunsthistorische Überraschung: Der Hintergrund im berühmten Gemälde "Brieflesendes Mädchen" von Vermeer wurde nicht vom Künstler selbst übermalt, sondern erst nach seinem Tod. Die "falsche" Schicht wird nun sorgfältig abgetragen.

Das weltbekannte "Brieflesende Mädchen am offenen Fenster" von Johannes Vermeer (1632-1675) wird derzeit in Dresden von einer Übermalung befreit. Nach Angaben der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden ist das Gemälde künftig nahezu wieder so zu sehen, wie es das Atelier des holländischen Künstlers vor mehr als 350 Jahren verließ. Bei Restaurierungsarbeiten sei jetzt entdeckt worden, dass der Hintergrund nicht von Vermeer stamme, sagte der Direktor der Gemäldegalerie Alte Meister, Stephan Koja, am 7. Mai in Dresden. Nach Beratung mit einer internationalen Expertenkommission hätten sich die Kunstsammlungen daher entschieden, diese Schicht abzunehmen.

Für sein Alter sei das Gemälde in einem guten, konservatorisch stabilen Zustand, sagte der Dresdner Restaurator Christoph Schölzel, der mit den Arbeiten betraut wurde. Eine völlige Rückführung in die Entstehungszeit sei allerdings nur theoretisch möglich.

"Wie unter einer Sonnenbrille"

Schon die Abnahme des stark nachgedunkelten Firnisses habe das gewohnte Erscheinungsbild des Werkes "grundlegend geändert". Zuvor seien die Farben "wie unter einer Sonnenbrille" nur gedämpft sichtbar gewesen. Jetzt erscheine das Bild wieder in der vom Maler beabsichtigten kühlen, fein abgestimmten Farbigkeit. Die Entfernung der Übermalung im Bildhintergrund bedeute zudem "eine völlig neue Realität".

Der Hintergrund sei vermutlich einige Jahrzehnte nach Entstehung des Bildes (um 1657 bis 1659) und damit deutlich nach Vermeers Tod übermalt worden, sagte Schölzel. Dass der Hintergrund verändert wurde, war bereits bei früheren Röntgenuntersuchungen bekanntgeworden. Jetzt belegten Laboruntersuchungen zweifelsfrei, dass diese Malschicht nicht von Vermeer stammt, sagte der Restaurator. Als das Gemälde 1742 nach Dresden kam, sei der Hintergrund des Bildes bereits verändert gewesen. Er zeigt ein Gemälde von einem nackten Knaben.

Ein Teil der Übermalung wurde bereits entfernt. Dabei hat Schölzel unter einem Mikroskop mit einem feinen Skalpell mechanisch die Schicht abgetragen. Kopf und Schulter des Knaben sind jetzt wieder zu sehen. Die komplette Restaurierung des Bildes wird nach Angaben der Dresdner Kunstsammlungen aber noch mindestens ein weiteres Jahr brauchen.

Das Forschungs- und Restaurierungsprojekt zum Vermeer-Gemälde hatte im Frühjahr 2017 begonnen. Der Zwischenstand der Arbeiten wird von Mittwoch an in der Galerie Alte Meister gezeigt. Bis zum 16. Juni präsentiert eine Ausstellung neben dem teilrestaurierten Bild auch die Ergebnisse der Forschungen.

"Bild im Bild" mit nacktem Knaben

Bei dem Projekt waren Röntgen- und Infrarotreflektografie-Aufnahmen sowie Mikroskopuntersuchungen erneut ausgewertet worden. Dazu seien eine genaue Analyse der Bildträgerleinwand und Recherchen zur Restaurierungsgeschichte gekommen, erklärte Schölzel. Mehrere Farbproben wurden ihm zufolge aus Vermeers Gemälde entnommen und im Labor an der Hochschule für Bildende Künste Dresden hinsichtlich ihrer Schichtung und Konsistenz analysiert.

Die Übermalung habe ein wichtiges Element des Gemäldes verdeckt, sagte Arthur Wheelock, Mitglied der Expertenkommission und früherer Kurator an der National Gallery in Washington. Schon nach der teilweisen Entfernung werde dieses Kunstwerk "mit gänzlich anderen Augen" betrachtet, ganz in der Bewunderung für Vermeers Gespür für Licht, Farbe und eine Harmonie des Bildes, betonte er.

Das Bild war für die Sammlung des sächsischen Kurfürsten Friedrich August II. in Paris erworben worden. Im 19. und 20. Jahrhundert wurde die "Briefleserin" in Dresden bereits mehrfach restauriert. Seit einer 1979 angefertigten Röntgenaufnahme des Bildes war bekannt, dass sich an der Wand im Hintergrund des Zimmers ein vollständig übermaltes "Bild im Bild" mit einem nackten Knaben befindet. Die Forschung ging aber bisher davon aus, dass Vermeer die Rückwand des Raumes selbst übermalte.

Das Gebäude der Gemäldegalerie Alte Meister im Semperbau wird derzeit grundlegend saniert und ist nur zum Teil zugänglich. Die Wiedereröffnung ist für Dezember geplant. Das "Brieflesende Mädchen" wird dann aber noch nicht zu sehen sein. Es ist gemeinsam mit dem Bild "Bei der Kupplerin" eines von zwei Werken des Delfter Künstlers Vermeer in der Dresdner Gemäldegalerie.



Historiker: Religion wird in Weltpolitik immer wichtiger

Der britische Kirchenhistoriker Diarmaid MacCulloch sieht Religion weltweit auf dem Vormarsch. Die vor 50 Jahren unter westlichen Akademikern beliebte These, dass sich die Welt säkularisieren werde, habe sich nicht bestätigt, sagte MacCulloch am 7. Mai laut Redemanuskript bei einem Festvortrag in Tübingen. Der Wissenschaftler erhielt dort an der Universität den mit 50.000 Euro dotierten Leopold-Lucas-Preis der Evangelisch-Theologischen Fakultät.

Als Beispiele nannte MacCulloch, dass sich US-Präsidenten inzwischen als "wiedergeboren" bezeichneten und dass in der islamischen Welt religiöse Führer die Politik kontrollierten. Europa sei in dieser Entwicklung aus globaler Perspektive eine Ausnahme. Historiker müssten Religion ernstnehmen, forderte der Preisträger.

Deprimierend ist es nach MacCullochs Ansicht, dass sich viele Teile der Christenheit eng mit den Mächtigen einließen. Er kritisierte die Unterstützung des Moskauer Patriarchats für den russischen Präsidenten Wladimir Putin, die Gemeinschaft katholischer Bischöfe mit südamerikanischen Diktatoren, Wahlaufrufe von Pfingstkirchen für den brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro oder Gebetsveranstaltungen von Megakirchen-Pastoren im Weißen Haus in Washington. Hier werde eine "Theologie des Ruhms" gelebt, die Böses gut und Gutes böse nenne, während der Reformator Martin Luther von der Kirche eine "Theologie des Kreuzes" gefordert habe.

Der Austritt der Briten aus der EU hat nach Einschätzung MacCullochs kein historisches Vorbild in der englischen Reformation im 16. Jahrhundert. Die Behauptung, die englische Reformation sei durch den Bruch mit Rom der "erste Brexit" gewesen, halte einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht stand, sagte er vor der Preisverleihung vor Journalisten. Tatsächlich hätten die englischen Reformatoren einen neuen Internationalismus mit anderen europäischen Reformatoren schaffen wollen, unterstrich er.

Toleranzgedanke

Der Dekan der Evangelisch-Theologischen Fakultät, Michael Tilly, lobte den Beitrag des Preisträgers zum Toleranzgedanken. Der Historiker habe herausgearbeitet, dass die Reformation in Europa keine national-deutsche Bewegung gewesen sei, sondern erst in ihren internationalen Beziehungen einen "kulturellen Fortschritt" ausgelöst habe, sagte Tilly im Pressegespräch. MacCulloch haben zudem wissenschaftliche Ideen einem breiteren Publikum zugänglich gemacht. "Wenn sich Universität auf den Elfenbeinturm beschränkt, ist das eine Problemanzeige und keine Auszeichnung", sagte der Theologe.

MacCulloch ist seit 1997 Professor für Kirchengeschichte an der Universität Oxford und Spezialist für die Reformation in England. Für die BBC hat er historische Dokumentarfilme begleitet. Der 67-Jährige hat bereits mehrere Auszeichnungen für seine wissenschaftlichen Arbeiten erhalten und wurde 2011 in den Ritterstand erhoben.

Der Lucas-Preis würdigt hervorragende Leistungen auf den Gebieten der Theologie, Geistesgeschichte, Geschichtsforschung und Philosophie. Die Preisträger müssen sich auch um die Verbreitung des Toleranzgedankens verdient gemacht und die Beziehungen zwischen Menschen und Völkern erkennbar gefördert haben. Den Nachwuchspreis erhielt in diesem Jahr die Historikerin Alexa von Winning für eine Arbeit über russische Adelsfamilien und ihre europäischen Netzwerke.

Die Auszeichnung wurde gestiftet vom Sohn des 1943 im Konzentrationslager Theresienstadt gestorbenen jüdischen Gelehrten und Rabbiners Dr. Leopold Lucas. Unter den bisherigen Preisträgern sind Schalom Ben-Chorin, Karl Rahner, Karl Popper, Moshe Zimmermann, der Dalai Lama sowie die früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker und Joachim Gauck. Verliehen wird die Auszeichnung von der Evangelisch-Theologischen Fakultät gemeinsam mit der Universität und dem Universitätsbund.



Türkei weist Yücels Foltervorwürfe zurück


Deniz Yücel im März 2018
epd-bild/Christian Ditsch

Die türkische Regierung hat den Vorwurf des "Welt"-Korrespondenten Deniz Yücel zurückgewiesen, er sei in türkischer Haft gefoltert worden. Die türkische Generalstaatsanwaltschaft habe den Vorwurf bereits geprüft und daraufhin das Verfahren eingestellt, erklärte ein Sprecher des Außenministeriums am 12. Mai in Ankara. Er betonte, dass die Türkei "null Toleranz" bei Folter zeige. Das Land halte sich an alle seine internationalen Verpflichtungen zum Kampf gegen Folter.

Die im Zusammenhang mit dem Fall Yücel geäußerte Mahnung des deutschen Auswärtigen Amtes, die Türkei solle sich an die Anti-Folter-Konvention halten, entbehre jeder Grundlage, betonte der Sprecher. Die Vorwürfe zielten darauf ab, die Türkei zu verunglimpfen.

Yücel saß von Ende Februar 2017 an knapp ein Jahr lang in türkischer Untersuchungshaft. Seit Juni 2018 wird ihm in der Türkei in Abwesenheit der Prozess gemacht. In seiner Verteidigungsschrift, die er am 10. Mai dem Berliner Amtsgericht Tiergarten vorlegte, berichtete er von wiederholten Tritten, Schlägen und Drohungen in der Haft.

Das Berliner Gericht nahm die Verteidigungsschrift im Rahmen eines Rechtshilfeabkommens zwischen den beiden Ländern entgegen. Yücel wird von der türkischen Justiz unter anderem Terrorpropaganda vorgeworfen. Der Journalist hatte seit 2015 für die "Welt" aus der Türkei berichtet und sich in einigen seiner Artikel kritisch über den Kurdenkonflikt und den Putschversuch im Juli 2016 geäußert.



Myanmar: Reuters-Journalisten nach über 500 Tagen Haft frei

Erleichterung über die Freilassung der Reuters-Reporter Wa Lone und Kyaw Soe Oo in Myanmar. Menschenrechtler mahnten aber, dass dies nichts an den repressiven Gesetzen ändere, Journalisten und Aktivisten weiter mit Verfolgung rechnen müssten.

Die beiden in Myanmar inhaftierten Journalisten der Nachrichtenagentur Reuters sind nach mehr als 500 Tagen in Haft freigelassen worden. Die Reporter Wa Lone (33) und Kyaw Soe Oo (29) verließen am 7. Mai umringt von Unterstützern und weiteren Medienvertretern das Gefängnis, wie Reuters mitteilte. Die beiden waren im September 2018 wegen Verrats von Staatsgeheimnissen zu je sieben Jahren Haft verurteilt worden. Sie kamen im Zuge einer staatlichen Amnestie für insgesamt mehr als 6.000 Gefangene frei. Noch Ende April hatte das Oberste Gericht eine Revision der Journalisten gegen ihre Gefängnisstrafe abgelehnt.  

Er sei wirklich glücklich und begeistert, seine Familie und Kollegen wiederzusehen, sagte Wa Lone beim Verlassen des Insein-Gefängnisses in der früheren Hauptstadt Rangun. Auch danke er allen, die sich für seine Freilassung und die seines Kollegen eingesetzt hätten. Reuters-Chefredakteur Stephen J. Adler erklärte, man freue sich riesig, "dass Myanmar unsere mutigen Reporter Wa Lone und Kyaw Soe Oo freigelassen hat". Seit ihrer Verhaftung vor 511 Tagen seien sie zu Symbolen der Wichtigkeit von Pressefreiheit weltweit geworden. UN-Generalsekretär António Guterres habe sich ebenfalls erleichtert über die Freilassung gezeigt, sagte dessen Sprecher.

Wa Lone und Kyaw Soe Oo waren im Dezember 2017 bei Recherchen über ein Massaker an Angehörigen der muslimischen Rohingya-Volksgruppe verhaftet worden. Ihnen wurde vorgeworfen, Geheimdokumente und eine Karte des Staates Rakhine im Westen von Myanmar bei sich gehabt zu haben. Von dort flohen wegen einer brutalen Militäroffensive Ende August 2017 mehr als 700.000 Rohingya nach Bangladesch.

"Justiz-Farce"

Der Vize-Asienchef von Human Rights Watch, Phil Robertson, erklärte, die beiden mutigen investigativen Journalisten hätten erst gar nicht verhaftet oder gar eingesperrt werden dürfen. Zugleich verwies er darauf, dass die Krise der Pressefreiheit in dem südostasiatischen Land nicht vorbei sei: Dutzende weitere Journalisten und Blogger sähen sich mit grundlosen Anklagen wegen ihrer Berichterstattung über Militär oder Regierung konfrontiert.

"Dass diese tragische Justiz-Farce endlich ein Ende hat, ist seit langem die erste gute Nachricht für die Pressefreiheit in Myanmar", sagte der Geschäftsführer der deutschen Sektion von Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr. Der Prozess gegen die beiden Reporter sei ein Testfall für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gewesen. "Und Myanmars Institutionen haben den Test nicht bestanden."

Ähnlich äußerte sich Amnesty International. Es sei Realität, dass Myanmar eine Reihe repressiver Gesetze beibehalte, um Journalisten, Aktivisten und andere mutmaßliche Kritiker zu inhaftieren, erklärte der Regionalchef für Ost- und Südostasien, Nicholas Bequelin. Der Vorsitzende der Organisation der Burmesischen Rohingya in Großbritannien, Tun Khin, sagte, es gehörten diejenigen hinter Gitter, die den Völkermord an den Rohingya zu verantworten hätten und nicht die, die geholfen hätten, ihn aufzudecken.

Das Gesetz gegen Geheimnisverrat in Myanmar stammt noch aus der britischen Kolonialzeit. Im Prozess hatte ein Polizist ausgesagt, Wa Lone und Kyaw Soe Oo seien in eine Falle gelockt worden. Ein Vorgesetzter habe die Übergabe der Dokumente lanciert, um sie unter diesem Vorwand festzunehmen. Die beiden Reporter erhielten für ihre Recherchen den Pulitzer-Preis.



Gericht: Kein Einblick für DJV in Akten des Bundeskartellamtes

Ihr Recht aus Auskunft können Journalisten einklagen, doch der Weg durch die Instanzen ist lang. Eine Klage des Journalistenverbands in NRW scheiterte nun vor dem Bundesverwaltungsgericht. Das Kartellamt muss nicht über Fusionsberatungen informieren.

Der Deutsche Journalistenverband (DJV) darf nach einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes während laufender Beratungen keine amtlichen Informationen des Bundeskartellamtes einsehen. Ein Anspruch auf Zugang zu diesen Informationen sei ausgeschlossen, wenn und solange die Beratungen von Behörden dadurch beeinträchtigt würden, begründete das Gericht in Leipzig seine Entscheidung am 9. Mai. Vermerke der Berichterstatter des Bundeskartellamts in Bonn unterliegen demnach dem Vertraulichkeitsschutz für Beratungen von Behörden nach dem Informationsfreiheitsgesetz (AZ: BVerwG 7 C 34.17). Der vor Gericht unterlegene nordrhein-westfälische Journalistenverband bedauerte am Freitag das Urteil.

Der Verband begehrte Einsicht in Akten, die die kartellrechtliche Beurteilung eines Fusionsvorhabens von zwei Zeitungsverlagen betrafen. Der DJV verlangte unter anderem Zugang zu dem Votum des Berichterstatters der zuständigen Beschlussabteilung. Widerspruch, Klage und Berufung gegen die ablehnende Entscheidung blieben ohne Erfolg. Das Bundesverwaltungsgericht wies die Revision des Klägers zurück. Auch das Verwaltungsgericht in Köln und das Oberverwaltungsgericht in Münster hatten die Klagen des Journalistenverbands abgewiesen.

Der vom Gesetz geschützte Beratungsprozess zeichne sich durch einen offenen Meinungsaustausch aus, der durch Besprechung, Beratschlagung und Abwägung geprägt sei, teilte das Gericht zur Begründung mit. Der Prozess der Meinungsbildung wäre gefährdet, wenn das schriftliche Votum als Diskussionsbeitrag eines Mitglieds der Beschlussabteilung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht würde und der getroffenen Entscheidung gegenüber gestellt werden könnte.

Der Journalistenverband widersprach dieser Argumentation nach dem Urteil. Das Bekanntwerden von Meinungsunterschieden zeige nur, dass das System funktioniere, erklärte der Verband am Freitag in Düsseldorf. "Wir halten das jetzige Verfahren für intransparent und undemokratisch", kritisierte der nordrhein-westfälische DJV-Vorsitzende Frank Stach. Er forderte transparentere Entscheidungen des Kartellamts. Der Journalistenverband könne ohne die Informationen nicht nachvollziehen, wie das Bundeskartellamt Entscheidungen über Verlagsfusionen treffe.



Dreyer: Öffentlich-rechtlicher Nachrichtenkanal "herzlich willkommen"


Malu Dreyer
epd-bild/Andrea Enderlein
Nach dem Brand von Notre-Dame wurden erneut Forderungen nach einem öffentlich-rechtlichen Nachrichtenkanal laut. Die Vorsitzende der Rundfunkkommission der Länder, Malu Dreyer (SPD), unterstützt den Vorschlag.

Die Ministerpräsidentin von Rheinland Pfalz, Malu Dreyer, befürwortet einen öffentlich-rechtlichen Nachrichtensender. Ein solcher Kanal sei "herzlich willkommen", sagte die SPD-Politikerin, die auch Vorsitzende der Rundfunkkommission der Länder ist, dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Mainz. "Wir haben mit Phoenix, ZDFinfo und tagesschau24 öffentlich-rechtliche Informationssender, die aber nicht auf Breaking News ausgerichtet sind." Dreyer verwies darauf, dass die Medienpolitik derzeit über eine Flexibilisierung der Beauftragung der Rundfunkanstalten diskutiert. Dies bedeute, "dass die Sender mehr Entscheidungsfreiheit mit ihren Gremien bekommen, wie sie den Auftrag erfüllen".

"Wir waren in der Vergangenheit sehr kleinteilig bei der Beauftragung, was die Spartensender betrifft", sagte Dreyer. "Ich kann mir vorstellen, dass wir uns darauf verständigen, dass die großen Programme im Staatsvertrag klar abgebildet sind und man den Sendern die Möglichkeit gibt, über die Sparten flexibler zu entscheiden."

Nach dem Brand der Pariser Kathedrale Notre-Dame Mitte April hatten Kritiker den öffentlich-rechtlichen Anstalten vorgeworfen, nicht in ausreichendem Maße live von der Katastrophe berichtet zu haben. Verbunden wurde dies mit der Forderung nach einem öffentlich-rechtlichen Nachrichtenkanal. Der ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm hatte dazu gesagt, er würde sich ja gerne dafür starkmachen, aber leider zögen die Bundesländer nicht mit. Ohne Auftrag der Politik könne er da nichts machen.

Programme zusammenlegen

Sachsen-Anhalts Staatsminister für Kultur und Medien, Rainer Robra, äußerte sich im Interview mit dem Internetportal "medienpolitik.net" ebenfalls zu der Möglichkeit eines öffentlich-rechtlichen Nachrichtenkanals. Die Beauftragung zusätzlicher linearer Programme halte er nicht für den richtigen Weg, sagte der CDU-Politiker. "Auch ohne die Beauftragung eines öffentlich-rechtlichen Nachrichtenkanals ist aus meiner Sicht die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags möglich."

Die Rundfunkkommission der Länder prüfe derzeit, wie bei gleichzeitiger Profilschärfung des Auftrages den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten eine größere Verantwortung für ihre Angebote übertragen werden kann. Nach Auffassung einiger Länder sei dabei vorstellbar, dass bestimmte staatsvertraglich beauftragte lineare Programme von den Rundfunkanstalten unter Beteiligung ihrer Gremien verändert, ersetzt oder aufgegeben werden können, sagte Robra. "Ich vermag dem allerdings wenig abzugewinnen", betonte er.

Klar müsse jedoch sein, dass der öffentlich-rechtliche Auftrag weiterhin erfüllt wird und dass die Veränderungen im Rahmen der zu Verfügung stehenden Mittel umgesetzt werden. "Eine Zusammenlegung von Programmen halte ich, auch mit Blick auf mögliche Einsparungen, für durchaus wünschenswert", sagte Robra.



Aufbruch in die Moderne


Die Mathildenhöhe mit Platanenfeld, Hochzeitsturm und Russischer Orthodoxer Kirche Hl. Maria Magdalena
epd-bild/Norbert Neetz
Mit Weltstädten wie Brüssel und Wien wird Darmstadt eher selten in einem Atemzug genannt - außer beim Thema Jugendstil. Die vor 120 Jahren gegründete Künstlerkolonie auf der Darmstädter Mathildenhöhe war eines seiner Zentren.

Die Mathildenhöhe ist der Stolz Darmstadts: Ein einzigartiges Jugendstil-Ensemble aus Architektur und Kunst. In diesem Jahr wurde die Bewerbung als Unesco-Weltkulturerbe eingereicht, die Stadt hat dazu öffentlichkeitswirksam einen Vertrag mit dem örtlichen Pharma- und Chemiekonzern Merck über eine "Partnerschaft" geschlossen - er wurde per Drohne auf die Mathildenhöhe geflogen und landete zu Füßen der dort versammelten Honoratioren. 2020 entscheidet nun die Unesco, ob der Darmstädter Hausberg zum Touristen verheißenden Weltkulturerbe geadelt wird.

Zu verdanken ist das Ensemble dem letzten Darmstädter Großherzog Ernst Ludwig (1868-1937). Vor 120 Jahren, im Jahr 1899, hat er auf der Mathildenhöhe eine Künstlerkolonie ins Leben gerufen und bis zu ihrer Auflösung mit Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 finanziell großzügig unterstützt. Von der Verbindung von Kunst, Gewerbe und Handwerk erhoffte er sich eine wirtschaftliche Belebung für sein ganzes Land: "Mein Hessenland blühe und in ihm die Kunst."

Den Architekten, Designern und Künstlern ging es um die Verbindung von Funktionalität und Ästhetik auf dem Weg in die Moderne. Auch Dinge des täglichen Gebrauchs sollten künstlerisch gestaltet werden. Seinen Ursprung hatte der Jugendstil - auch Art Nouveau genannt - in der britischen "Arts and Craft"-Bewegung.

Finanzielles Desaster

Zu den ersten Malern, Bildhauern und Architekten, die Ernst Ludwig nach Darmstadt holte, zählten Joseph Maria Olbrich, Peter Behrens, Ludwig Habich, Rudolf Bosselt, Paul Bürck und Hans Christiansen. Ihre Aufgabe war es, in der parkähnlichen Anlage des Hügels im Osten der Stadt Ateliers und Künstlerhäuser zu errichten und einzurichten, einige als provisorische Bauten, andere auf Dauer angelegt.

Es entstanden prächtige Villen für das gehobene Bürgertum mit eigenwilligen Fassaden, gerundeten Fenstern, Erkern und Verzierungen. Auch Mobiliar und Geschirr - deren Serienproduktion Gewerbe und Handel ankurbeln sollten - stammten aus künstlerischen Entwürfen.

Mit der Ausstellung "Ein Dokument deutscher Kunst" trat die Künstlerkolonie 1901 erstmals ins Licht der Öffentlichkeit und präsentierte acht fertig eingerichtete Wohnhäuser. Hinzu kamen, zum Teil erst in späteren Jahren, große Ausstellungsgebäude. Finanziell war das Projekt allerdings ein Desaster, weshalb die zweite Ausstellung 1904 überwiegend mit preiswerten Provisorien bestückt wurde.

Viele der im Lauf von 15 Jahren auf der Mathildenhöhe errichteten Bauten existieren noch heute. Im Glückert-Haus, finanziert von einem Möbelfabrikanten und von Olbrich entworfen, residiert heute die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung. Das Haus Deiters, ebenfalls ein Entwurf Olbrichs und für den Geschäftsführer der Ausstellung errichtet, und Olbrichs eigenes Haus beherbergten bis 2016 das Deutsche Polen-Institut. Im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs wurde viele Gebäude auf der Mathildenhöhe allerdings schwer beschädigt und nur zum Teil - und nicht immer originalgetreu - wiederhergestellt.

Die Künstler bauten zwar zu Vorzugskonditionen, doch nur Olbrich, Christiansen, Habich und Behrens konnten sich eigene Häuser auch leisten. Für Normalbürger waren sie unerschwinglich. Ein Riegel Mehrfamilienhäuser zeigte allerdings zur dritten Ausstellung 1908, dass modernes Wohnen auch mit geringen Mitteln möglich war. Die Gebäude wurden im Krieg zerstört und nicht wiederaufgebaut. Drei Arbeiterhäuser aber waren nach der Ausstellung abgetragen und vor den Toren der Stadt wieder errichtet worden, wo sie den Krieg überstanden.

Heiraten im Fünf-Finger-Turm

Zwei Gebäude wirken wie Fremdkörper: Der Hochzeitsturm, wegen seiner charakteristischen Dachform auch Fünf-Finger-Turm genannt, ist das Wahrzeichen der Stadt. Teil der Künstlerkolonie aber war er nicht, auch wenn er ihre Formensprache aufgreift. Er wurde von Olbrich entworfen und 1908 errichtet - als Geschenk der Stadt an den Großherzog anlässlich dessen zweiter Ehe mit Prinzessin Eleonore zu Solms-Hohensolms-Lich. Heute kann jeder in dem Turm heiraten - das Standesamt hat darin eine Außenstelle errichtet.

Das zweite ist die Russische Kapelle mit ihren goldenen Zwiebeltürmchen. Sie entstand ebenfalls wegen einer Hochzeit: 1894 hatte Ernst Ludwigs Schwester Alix den russischen Thronfolger Nikolaus II. geheiratet. Der Zar wollte während seiner Besuche bei der Darmstädter Verwandtschaft nicht auf orthodoxe Gottesdienste verzichten. Also ließ er russische Erde nach Südhessen bringen und darauf eine Kapelle errichten. Architekt war Leon Benois, der Großvater des britischen Schauspielers Peter Ustinov.

Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, der zum Abbruch der vierten Ausstellung führte, war das Kapitel Darmstädter Künstlerkolonie faktisch beendet, auch wenn sie erst 1929 formal aufgelöst wurde. Geblieben ist ein architektonisches Ensemble, das seinesgleichen sucht.

Wolfgang Weissgerber (epd)


Verleger Friedrich Hänssler stirbt mit 92

Der evangelische Verleger Friedrich Hänssler ist am 7. Mai nach kurzer Krankheit im Alter von 92 Jahren gestorben. Er sei im Frieden eingeschlafen, teilte die Familie in Holzgerlingen bei Böblingen dem Evangelischen Pressedienst (epd) mit. Hänssler hatte dem Verlag mit der Einspielung des kompletten Werks von Johann Sebastian Bach auf 172 CDs zu internationalem Ruhm verholfen.

Hänssler studierte nach dem Zweiten Weltkrieg evangelische Theologie und Musikwissenschaft. 1951 trat er in den Verlag ein, den sein Vater 1919 in Stuttgart gegründet hatte. Die Leitung übernahm der Sohn dann 1958 und führte das Haus 13 Jahre lang als reinen Musikverlag weiter. Erst dann kamen profiliert evangelische Bücher hinzu. Großen Erfolg hatte der Verlag mit den Liederbuchserien "Jesu Name nie verklinget" und "Feiert Jesus", die jeweils Millionenauflagen erreichten.

Der verheiratete Vater von sechs Kindern musste allerdings nach Problemen in einer Vertriebsanlage in Holzgerlingen an seinem 75. Geburtstag Insolvenz anmelden. Die Firma wurde von der Stiftung Christliche Medien übernommen, in deren Besitz sie sich bis heute befindet. Im April feierte der Hänssler-Verlag sein 100-jähriges Bestehen. An der Festveranstaltung in Sindelfingen konnte Friedrich Hänssler aufgrund seiner Krankheit aber nicht mehr teilnehmen.



Lars Eidinger beim deutsch-französischen Festival Perspectives

Der Schauspieler Lars Eidinger wird am 7. Juni im Stück "Soll mir lieber Goya den Schlaf rauben als irgendein Arschloch" von Rodrigo Garcia beim deutsch-französischen Festival Perspectives auftreten. Garcia habe meist gesellschaftskritische Texte und zusammen mit Eidinger sei die Mischung "explosiv", sagte Festivalleiterin Sylvie Hamard am 9. Mai in Saarbrücken bei der Vorstellung weiterer Programmpunkte. Die 42. Festivalausgabe findet vom 6. bis zum 15. Juni statt.

In dem Stück will sich den Angaben zufolge ein von Schlaflosigkeit gepeinigter Familienvater mit seinen Kindern nach Madrid absetzen. Seine Ersparnisse reichten gerade aus, "um in ein Taxi zu steigen, sich mit Bier, Tortilla, Drogen, Serranoschinken und Whisky einzudecken, dem berühmten Philosophen Peter Sloterdijk ein Rückflugticket zu bezahlen und ihm eine Nacht lang zuzuhören, bevor man dann in den Prado einsteigt und dort ganz still die Malereien von Goya, Bosch und Velazquez betrachtet", hieß es. Die Kinder hätten wiederum lieber nach Disneyland Paris gewollt.

Tanzperformance, Zirkus und Synthpunk

Zu den weiteren neuen Stücken gehört die Tanzperformance Nirvana der Künstler Nadine Fuchs und Marco Delgado. Sie tanzten inspiriert von Sportdisziplinen, um dann jede Szene mit einer Stellung aus dem Kama Sutra zu beenden, erklärte Hamard. Ernster Tanz wechsele sich somit ständig mit Humor ab.

Der von dem europäischen Zirkuslabel circusnext ausgezeichnete Künstler Andrea Salustri präsentiere sein Stück Materia aus dem Bereich "Neuer Zirkus" in einem neuen Format als "Work in Progress" (laufende Arbeit). Mit Hilfe von Ventilatoren lasse er hauchdünne Styroporplatten, Kügelchen und Bälle in einem hypnotischen Lufttanz auftreten, sagte die Festivalleiterin. Nach der Vorführung gebe es eine Diskussion über den Schaffensprozess bei neuen Stücken.

Das Musikprogramm bilden den Angaben zufolge die französischen Bands Ernest (Chanson, Rock, Folk), Camp Claude (Pop, Rock), La Maison Tellier (Pop, Folk Rock), Potochkine (Synthpunk) und Grand Blanc (Electro, Pop, Cold Wave, Post Punk). Französisches Chanson werde wiederum die Sängerin Léopoldine HH im Funkhaus des Saarländischen Rundfunks (SR) präsentieren. "Es braucht kein französisches Popfestival im Saarland, denn das passiert bei den Perspectives", sagte SR-Moderator und "Monsieur Chanson" Gerd Heger. "Wenn man wissen will, was heute in Frankreich an Popmusik läuft, dann kann man sich das anhören und dann ist man auf dem Laufenden."

Bereits Anfang April hatte Hamard den ersten Teil des Programms vorgestellt. Insgesamt 20 Stücke zwischen Zirkus, Objekttheater und Filmperformance setzen sich in den Spielstätten in Deutschland und Frankreich auf ernste oder lustige Weise mit den unterschiedlichsten Themen auseinander.

Das Festival Perspectives wurde 1978 als "Woche des jungen französischen Theaters" gegründet. Träger des Festivals sind die Stiftung für die deutsch-französische kulturelle Zusammenarbeit, das französische Département Moselle, die saarländische Landesregierung und die Landeshauptstadt Saarbrücken.



Sturmschäden: Bundesmittel für Sanierung der Stadtkirche Unna

Der Bund unterstützt die Wiederherstellung der Stadtkirche Unna, die bei einem Sturm im Januar 2018 stark beschädigt worden war. Für die Sanierung des Turmes seien jetzt 368.000 Euro aus dem Denkmalschutz-Sonderprogramm bereitgestellt worden, teilte der Evangelische Kirchenkreis Unna am 10. Mai mit. Nach der Förderzusage des Landes in gleicher Höhe im vergangenen Monat sei dies ein bedeutender weiterer Baustein für die anstehenden Arbeiten.

Die Gesamtkosten der Sanierung werden den Angaben nach zurzeit auf rund 3,4 Millionen Euro geschätzt. Abzüglich der bereits erhaltenen Fördermittel und Spenden rechne die Gemeinde weiterhin mit einem Eigenanteil von rund 1,1 Millionen Euro.




Entwicklung

Vom kleinen Hilfswerk zur weltweiten Anwältin der Kinder


Plakat der Kindernothilfe
epd-bild/Kindernothilfe
Die Geschichte der Kindernothilfe beginnt 1959 mit fünf Patenschaften in Indien. Mehr als sieben Millionen Kinder und Jugendliche unterstützt das christliche Hilfswerk in den folgenden 60 Jahren.

Wenn der kenianische Rapper Peter Mweke seine Songs vorträgt, erzählt er auch aus seinem eigenen Leben: Wie er mit fünf Jahren auf den Straßen Nairobis landete, klaute und Klebstoff schnüffelte oder mit zwölf für drei Jahre ins Gefängnis musste. Dann die Wende: Der Sozialarbeiter eines von der Kindernothilfe unterstützten kirchlichen Zentrums nimmt ihn auf. Er geht zur Schule, lernt Gitarre spielen und schreibt eigene Texte.

Heute kann der 25-Jährige von seiner Musik leben und fördert andere Kinder, damit sie nicht auf der Straße landen, der "Hölle auf Erden". Mwekes Erfahrung ist eine von vielen Erfolgsgeschichten, die durch das weltweite Engagement der Kindernothilfe möglich wurden. Vor 60 Jahren, am 11. Mai 1959, entstand die Idee der Patenschaften für notleidende Kinder in anderen Ländern, die schließlich zur Gründung des christlichen Hilfswerk führten.

Heute arbeitet die Kindernothilfe mit fast 400 Organisationen in 33 Ländern in Afrika, Asien, Lateinamerika und Europa zusammen, um Mädchen und Jungen auf ihrem Weg in ein selbstbestimmtes Leben zu unterstützen. In den 60 Jahren ihres Bestehens förderte sie nach eigenen Angaben etwa 7,1 Millionen Kinder und Jugendliche in 5.300 Projekten lokaler Partner. Aktuell sind es 1,9 Millionen Kinder in fast 700 Projekten. Hinter den Zahlen verbergen sich bewegende Einzelschicksale.

"Gottes Kind"

Das Spektrum der Hilfe reicht vom Schulbesuch über Ernährung und Gesundheit in Dörfern und Armenvierteln bis zum Schutz vor Gewalt, Ausbeutung und sexuellem Missbrauch. Humanitäre Unterstützung leistet das Hilfswerk auch bei Erdbeben oder Überschwemmungen. "Für mich hat jedes Kind als Gottes Kind ein Recht darauf, in stabilen und geschützten Verhältnissen aufzuwachsen", sagt die Leiterin der Kindernothilfe, Katrin Weidemann. "Dafür setzen wir uns ein."

Im Jahr 2017 sammelte das Hilfswerk gut 68 Millionen Euro aus Spenden, Patenschaften und weiteren Zuwendungen. Davon flossen knapp 83 Prozent direkt in Projekte und gut 17 Prozent in Werbung und Verwaltung. Ihre seriöse Haushaltsführung brachte der Kindernothilfe einen Ruf als "Hilfswerk mit gläsernen Taschen" ein, seit 1992 erhielt sie jedes Jahr das begehrte Spendensiegel des Zentralinstituts für soziale Fragen.

Kontinuität und Wachstum waren nur möglich, weil die Arbeit immer weiterentwickelt wurde. Die konkrete Hilfe begann, als engagierte Christen 1959 in einem Duisburger Wohnzimmer die ersten fünf Patenschaften auf den Weg brachten, um armen Kindern in Indien einen Platz im Schülerwohnheim zu finanzieren. "Was ich gemacht habe, war mir von Gott zugedacht", sagt einer der Gründerväter, der 92-jährige Lüder Lüers.

Er gab damals seinen Gartenbaubetrieb auf und ging nach Indien. Heute freut er sich darüber, dass viele Patenkinder von einst Ärzte, Lehrer oder Anwälte wurden und nun selbst Verantwortung für andere Kinder übernehmen. "Dadurch multipliziert sich die Hilfe", sagt Lüers.

Kritik an Paternalismus

Ausgerechnet die Patenschaften, das Herzstück der Hilfsarbeit, gerieten in den 80er Jahren in die Kritik: In der linken entwicklungspolitischen Szene galten sie als "paternalistisch" und überholt. Als 1989 die UN-Kinderrechtskonvention verabschiedet wurde, erweiterte die Kindernothilfe ihr Spektrum und wandelte sich in den 90er Jahren mit dem Aufbau einer Lobby- und Advocacy-Arbeit zur Kinderrechtsorganisation, die sich als "Anwältin der Kinder" auf allen Ebenen versteht.

"Kinder sollen nicht nur Zielgruppe, sondern Akteure sein, die selbst Projekte mit entwickeln," sagt Vorstandschefin Weidemann. So fragte das Hilfswerk 2017 in einer Kampagne mit anderen Organisationen 2.000 arbeitende Kinder weltweit, wie sie selbst ihr Leben sehen und was sich ändern soll.

"Kinderrechte dürfen keine Träume bleiben", lautet das Motto des Jubiläumsjahres. Neben einer Beteiligung der Betroffenen setzt die Kindernothilfe auch auf Selbsthilfegruppen zur Armutsbekämpfung. Dabei lernen Frauen, durch selbst angesparte Kleinstkredite eigene Einkommen zu erwirtschaften, etwa durch Brotbacken oder eine Hühnerzucht. Sie verbessern so das Leben der ganzen Familie und auch der Dorfgemeinschaft.

Bettina von Clausewitz (epd)


Südafrika: ANC bleibt trotz Verlusten an der Macht

In Südafrika hat die Regierungspartei ANC die Parlamentswahl gewonnen, dabei jedoch ihr schlechtestes Ergebnis seit dem Ende der Apartheid eingefahren. Zum ersten Mal bekam die Partei von Präsident Ramaphosa weniger als 60 Prozent der Stimmen.

In Südafrika kann die Regierungspartei Afrikanischer Nationalkongress (ANC) trotz deutlicher Verluste weiterregieren. 57,5 Prozent der Wähler stimmten laut dem am 11. Mai veröffentlichten Endergebnis bei der Parlamentswahl am 8. Mai für den ANC, das waren knapp fünf Prozentpunkte weniger als 2014. Zum ersten Mal seit dem Ende der Apartheid bekam die einstige Befreiungsbewegung damit weniger als 60 Prozent der Stimmen. Die größte Oppositionspartei, die Demokratische Allianz (DA), verlor ebenfalls etwas an Zustimmung und errang 20,8 Prozent.

Damit gilt als sicher, dass der amtierende Präsident, ANC-Chef Cyril Ramaphosa, vom Parlament wiedergewählt wird. Ramaphosa erklärte nach der Bekanntgabe der Ergebnisse, die Wahl zeige die Lebendigkeit der Demokratie in Südafrika. 25 Jahre nach den ersten demokratischen Wahlen hätten Demokratie und Freiheit gesiegt. Die Wahlbeteiligung lag bei 66 Prozent.

Der DA-Vorsitzende Mmusi Maimane sagte, er sei froh, dass der ANC erneut Stimmen verloren habe. "Wir hoffen, diese Entwicklung hält an." So könne sich die Demokratie in Südafrika von der Dominanz einer einzigen Partei lösen. Der ANC ist seit den ersten demokratischen Wahlen 1994 an der Macht und bekam in der Vergangenheit fast 70 Prozent der Stimmen.

Die Partei des Freiheitskämpfers und Friedensnobelpreisträgers Nelson Mandela (1918-2013) büßte in den vergangenen Jahren jedoch viel Zustimmung ein, vor allem wegen mehrerer Korruptionsskandale unter Präsident Jacob Zuma. Der 77-Jährige regierte von 2009 bis 2018, als er vorzeitig von Ramaphosa abgelöst wurde. Den zunehmenden Verlust an Zustimmung konnte Ramaphosa jedoch nicht stoppen.

Bei der Wahl für das Regionalparlament in der wichtigen Industrieprovinz Gauteng mit den Metropolen Johannesburg und Pretoria, die ebenfalls am Mittwoch stattfand, sicherte sich der ANC eine hauchdünne Mehrheit von 50,2 Prozent. Die "Economic Freedom Fighers" (EEF) des früheren ANC-Funktionärs Julius Malema wurden bei der Parlamentswahl am Mittwoch mit 10,8 Prozent drittstärkste Partei nach ANC und DA.

Dass der ANC weniger Stimmen verlor als erwartet, liegt Beobachtern zufolge an Ramaphosa. Sie sehen in dem Ergebnis eine Bestätigung für dessen Reformkurs. In Südafrika herrscht auch 25 Jahre nach dem Ende der Rassentrennung eine hohe Arbeitslosigkeit. Stromausfälle, Wassermangel und eine hohe Kriminalitätsrate tragen zur Kritik am ANC bei, der die Probleme in den vergangenen Jahren nicht lösen konnte.



Bei Blasphemie-Verdacht droht in Pakistan der Tod

Pakistan hat drakonische Blasphemiegesetze, die heftig kritisiert werden. Denn sie wurden zu einer Waffe gegen religiöse Minderheiten und liberale Geister. Aber auch der bloße Verdacht der Gotteslästerung ist eine tödliche Gefahr.

Alles begann mit einem Streit um einen Schluck Wasser: Vor zehn Jahren, an einem heißen Juni-Tag 2009, holte die Tagelöhnerin Asia Bibi einen Krug Wasser für die Feldarbeiterinnen, die in der Punjab-Provinz in Pakistan Beeren pflückten. Bibi, eine Christin, nahm selbst einen Schluck aus dem Gefäß, das für ihre muslimischen Kolleginnen bestimmt war. Diese erklärten dann, sie habe das Wasser schmutzig gemacht.

Eine Auseinandersetzung zwischen den Frauen führte zu einer Anzeige wegen Gotteslästerung. Der Katholikin wurde unterstellt, bei dem Streit um das Wasser den Propheten Mohammed beleidigt zu haben. Ein Jahr später wurde die fünffache Mutter zum Tode verurteilt. Pakistan hat weltweit eines der strengsten Gesetze gegen Blasphemie. Zwar wurde in dem islamischen Land bislang noch niemand wegen Blasphemie gehängt, doch allein der Vorwurf der Gotteslästerung bringt den Beschuldigten in Lebensgefahr. Lynchmorde und Anschläge auf angebliche Gotteslästerer sind Realität.

Lynchdrohung

Zwei hochrangige Politiker, die sich für die Freilassung Bibis einsetzten, wurden umgebracht. Bibi selbst, die wegen der Gefahr für ihr Leben mehr als acht Jahre in Einzelhaft verbrachte, weil die Gefängnisverwaltung befürchtete, andere Insassen könnten die Frau erschlagen oder ihr Essen vergiften, wurde Ende Oktober 2018 vom Obersten Gericht freigesprochen. Doch dann wurde sie in ein Versteck gebracht. Es schien sogar zu gefährlich, sie auszufliegen.

Kanada hatte ihr und ihrer Familie schon vor längerer Zeit Asyl angeboten. Im Januar lehnte das Oberste Gericht in Pakistan nochmals einen Berufungsantrag gegen den Freispruch von Bibi ab. Dennoch konnte die Tagelöhnerin, die weder lesen noch schreiben kann, und die zehn Jahre unschuldig in Haft saß, nicht in ihr Dorf zurück, wo der Streit um das Glas Wasser und ihr Leidensweg begann. Auch in Kanada, wo sie jetzt offenbar eingetroffen ist, bleibt Bibi gefährdet. Islamisten haben gedroht, sie zu lynchen, egal, wo sie sich aufhalten sollte.

Ironischerweise stammt Pakistans Blasphemie-Gesetz aus britischer Kolonialzeit und diente ursprünglich dem Schutz der zumeist christlichen Kolonialbeamten vor Beleidigungen. In den ersten drei Jahrzehnten nach der Unabhängigkeit Pakistans 1947 spielte das Gesetz so gut wie keine Rolle. Doch mit der fortschreitenden Islamisierung des Landes wurde das Gesetz zu einer Waffe gegen religiöse Minderheiten und liberale Geister. Bis 1986 wurden in Pakistan 14 Blasphemie-Urteile gefällt, seither sind um die 1.300 Menschen wegen Gotteslästerung verurteilt worden, vor allem Angehörige religiöser Minderheiten.

Christliches Paar verbrannt

Anfang der 80er Jahre verschärfte der berüchtigte Militärdiktator Mohammed Zia ul-Haq die Regelungen. Seitdem können Gotteslästerung, Prophetenbeleidigung und die Entweihung des Korans mit dem Tod bestraft werden. Menschenrechtler forderten immer wieder eine Reform, weil das Gesetz für Racheakte an missliebigen Mitmenschen und Behördenwillkür missbraucht wird. Die Beweisführung vor Gericht ist zudem problematisch, weil bereits eine Wiederholung der Vorwürfe gegen die Angeklagten einen Akt der Blasphemie darstellen könnte. 2015 musste sich ein Gericht gar mit der Frage befassen, ob die Kritik an den harschen Blasphemie-Gesetzen bereits Blasphemie darstellt.

Auch außerhalb der Gerichte schafft das Gesetz ein Klima der Angst. Denn wer einmal der Blasphemie beschuldigt wird, riskiert in Pakistan, von Extremisten auf offener Straße getötet zu werden. Die Blasphemie-Gesetze sind daher besonders gut geeignet, Atheisten, Andersdenkende, Islam-Kritiker, Christen und andere religiöse Minderheiten zu verfolgen. Im April 2017 wurde der Student Mashal Khan von Kommilitonen auf dem Universitätscampus der Stadt Mardan gelyncht, weil er angeblich liberale Ansichten vertrat und nicht zum Freitagsgebet ging.

Bisher wurden in Pakistan rund 20 Menschen wegen Blasphemie zum Tode verurteilt. Seit 1990 sind mindestens 60 Menschen in Zusammenhang mit dem Vorwurf ermordet worden, darunter Anwälte und Politiker, wie das Centre for Research and Security Studies (CRSS) in Islamabad herausfand. Im November 2014 wurde ein christliches Ehepaar in der Nähe der Stadt Lahore von einer Menschenmenge lebendig in einem Ziegelofen verbrannt, nachdem Gerüchte aufgekommen waren, das Paar habe den heiligen Koran entweiht.

Versuche, die Blasphemie-Gesetze zu reformieren, scheiterten stets am Widerstand religiöser Hardliner. Zwei prominente Politiker wurden 2011 ermordet, weil sie eine Lockerung forderten: Der liberale Gouverneur Salman Taseer und der Minister für religiöse Minderheiten, der Christ Shahbaz Bhatti. Taseers Mörder stieg über Nacht zum gefeierten Volkshelden auf.

Von Agnes Tandler (epd)


Brasilianischer Präsident lockert Waffengesetz weiter

Der rechtsextreme brasilianische Präsident Jair Bolsonaro hat das Waffenrecht weiter gelockert. Künftig können demnach Besitzer von Waffen je nach Waffenschein bis zu 5.000 Stück Munition pro Jahr kaufen, wie es in dem am 7. Mai unterzeichneten Dekret laut einem Bericht der Tageszeitung "Folha de São Paulo" heißt. Zuvor waren 50 Stück Munition erlaubt. Militärs dürfen nach zehn Jahren im Dienst auch privat Waffen tragen. Gleichzeitig wurden die Registrierung von Waffen erleichtert und das bislang bestehende Importverbot für Waffen sowie Munition aufgehoben.

Bolsonaro nannte das Dekret einen Beitrag für mehr öffentliche Sicherheit. Er kritisierte gleichzeitig die Kampagnen zur Abgabe von Waffen, die 2003 durch die linksgerichtete Regierung unter Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva in Gang gesetzt worden waren. Experten befürchten dagegen infolge des neuen Erlasses mehr Gewalt und ein Ansteigen der Mordrate. Im vergangenen Jahr wurden nach Angaben des Forums Öffentliche Sicherheit in Brasilien mehr als 60.000 Menschen ermordet.

Künftig könnten sich noch mehr Menschen bewaffnen, erklärte das Forum. Damit werde die Gesetzgebung, die generell das Tragen von Waffen verbietet, außer Kraft gesetzt. Solch eine Änderung könne nur der Kongress vornehmen. Mehr als 225.000 Menschen könnten nach dem Dekret jetzt öffentlich Waffen tragen, hieß es.

Als eine seiner ersten Amtshandlungen hatte Bolsonaro im Januar das Waffenrecht liberalisiert und damit den Besitz von Schusswaffen erleichtert. Es sei das legitime Recht eines jeden Bürgers, eine Waffe zu besitzen, betont er immer.



Colonia Dignidad: Ermittlungen gegen Ex-Sektenarzt eingestellt

Hartmut Hopp galt als zweitmächtigster Mann der deutschen Sektensiedlung Colonia Dignidad in Chile. Von den dort begangenen Verbrechen will der heute 75-Jährige nichts gewusst haben. Jetzt wurden die Ermittlungen gegen ihn eingestellt.

Gegen den ehemaligen Arzt der Sektensiedlung Colonia Dignidad, Hartmut Hopp, wird in Deutschland nicht mehr ermittelt. Die Staatsanwaltschaft Krefeld teilte am Dienstag mit, dass sie nach über siebeneinhalb Jahren die "umfangreichen und langwierigen Ermittlungen" einstelle. (Az: 3 Js 753/11) "Nach Ausschöpfung aller erfolgsversprechender Ermittlungsansätze haben wir einen hinreichenden Tatverdacht unter keinen rechtlichen Gesichtspunkten begründen können", sagte Oberstaatsanwalt Axel Stahl dem Evangelischen Pressedienst (epd). Menschenrechtler warfen der deutschen Justiz Untätigkeit bei der Aufarbeitung der Verbrechen der ehemaligen deutschen Sektensiedlung in Chile vor.

Schäfer galt als zweitmächtigster Mann der Sekte

Ermittelt wurde gegen Hopp wegen der Tatvorwürfe der Beihilfe zum sexuellen Missbrauch, der Beteiligung an der Tötung von drei Oppositionellen und der nicht medizinisch indizierten Abgabe von Psychopharmaka. Der heute 75-Jährige war in Chile wegen Beihilfe zur Vergewaltigung und zum sexuellen Missbrauch Minderjähriger zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Die Taten wurden laut dem chilenischen Urteil zwischen 1993 und 1997 vom Gründer der Sektensiedlung, Paul Schäfer (1921-2010), begangen.

Hopp, der nach Schäfer als mächtigster Mann der Colonia Dignidad galt, war nach seiner Verurteilung 2011 nach Deutschland geflohen und lebt in Krefeld. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hatte 2018 eine Vollstreckung des chilenischen Urteils in Deutschland abgelehnt. Die Staatsanwaltschaft Krefeld prüfte ihrerseits, ob Hopp nach deutschem Recht angeklagt werden kann.

Das verneinte die Behörde nun. Sie hatte unter anderem Unterlagen aus den chilenischen Ermittlungsverfahren und aus dem Geheimarchiv der Colonia Dignidad ausgewertet, die sie im Rahmen einer Delegationsreise nach Chile im April 2018 erstmals einsehen konnte. Zudem seien Geschädigte vernommen worden, hieß es.

Mit Blick auf die Ermordungen erklärte die Staatsanwaltschaft, zwar sei davon auszugehen, dass die drei Studenten wegen ihrer Gegnerschaft zum Pinochet-Regime im Jahr 1976 entführt und getötet wurden. Jedoch könne nicht festgestellt werden, wann genau, wo und durch wen das mutmaßlich geschah. Der Angeklagte selbst bestreite eine Beteiligung. Auch für die Beihilfe zum sexuellen Missbrauch und die rechtswidrige Abgabe von Psychopharmaka gebe es keinen hinreichenden Tatverdacht. Die Staatsanwaltschaft verwies auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf, wonach das von den chilenischen Richtern festgestellte Verhalten von Hopp nicht ausreicht, um ihm nach deutschen Recht eine Beihilfe an den Straftaten von Paul Schäfer nachzuweisen (AZ: III-3 AR 158/17).

Menschenrechtler: "Die Betroffenen sind fassungslos"

Die Menschenrechtsorganisation European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) kritisierte die Einstellung des Verfahrens und will eine Beschwerde prüfen. "Die Betroffenen sind fassungslos, ihr Vertrauen in die deutsche Justiz ist erschüttert", erklärte Andreas Schüller vom ECCHR zusammen mit Jan Stehle vom Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile Lateinamerika und der Rechtsanwältin Petra Schlagenhauf, die 2011 mit dem ECCHR die Strafanzeige gegen Hopp eingereicht hatte.

Die Menschenrechtler warfen der Staatsanwaltschaft vor, etliche Betroffene und Zeugen, die in Deutschland und Chile leben, nicht befragt zu haben. Dazu erklärte Oberstaatsanwalt Stahl, man habe alle "erfolgsversprechenden" Zeugen befragt. Nur weil jemand damals Mitglied der Colonia Dignidad gewesen sei, könne er nicht unbedingt etwas zu den Tatvorwürfen sagen.

Der Anwalt von Hartmut Hopp, Helfried Roubicek, begrüßte die Verfahrenseinstellung und erklärte im Namen seines Mandanten, die Ermittlungen seien "der größte Einschnitt in meinem Leben" gewesen. Zugleich verurteilte er die Grausamkeiten in der Colonia Dignidad, die er "niemals vermutet" habe.

Die Colonia Dignidad diente während der Militärdiktatur in Chile (1973-1990) als Folterzentrum des Geheimdienstes. Seit Jahrzehnten sorgt die Sektensiedlung wegen weiterer dort begangener Verbrechen wie sexuellem Missbrauch und illegalem Waffenhandel für Schlagzeilen. Ihr Gründer Paul Schäfer starb 2010 in chilenischer Haft.



Südwind-Institut fordert bessere Löhne bei Adidas-Zulieferern

Das entwicklungspolitische Südwind-Institut fordert vom Sportartikel-Hersteller Adidas mehr Einsatz für existenzsichernde Löhne in seinen Produktionsländern. Die Südwind-Mitarbeiterin Sabine Ferenschild werde diese Kritik, autorisiert durch den Dachverband der kritischen Aktionärinnen und Aktionäre, auf der Adidas-Hauptversammlung am 9. Mai in Fürth thematisieren, teilte Südwind am 8. Mai in Bonn mit. "Da die Adidas AG seit vielen Jahren ihre selbst gesteckten Ziele, den Beschäftigten in der Adidas-Wertschöpfungskette eine faire Entlohnung zu zahlen, verfehlt, kann ich Vorstand und Aufsichtsrat nicht meine Stimme zur Entlastung geben", sagte Ferenschild. Das Unternehmen selbst betonte dagegen, Adidas setze auf faire Arbeitsstandards in seiner globalen Lieferkette.

Die Südwind-Mitarbeiterin Ferenschild verwies darauf, dass Adidas Mitglied im Bündnis für nachhaltige Textilien ist, das sich für existenzsichernde Löhne in den Wertschöpfungsketten der Mitgliedsunternehmen einsetzt. Konkret kritisiert Südwind vor allem die Situation in Kambodscha, wo Adidas den Angaben nach fast ein Viertel seiner Kleidung produzieren lässt. Der dortige Mindestlohn von umgerechnet 158 Euro im Monat reiche zum Leben nicht aus, erklärte das Institut. Eine typische vier- bis fünfköpfige Familie bräuchte monatlich 274 Euro. Dennoch beteilige sich Adidas nicht an der ACT-Initiative für existenzsichernde Löhne.

Die Initiative, in der Textilunternehmen und Gewerkschaften zusammengeschlossen sind, bemühe sich im Gespräch mit kambodschanischen Gewerkschaften, der Regierung und Arbeitgebern um Tarifverhandlungen für den Textilsektor. Der kambodschanische Arbeitgeberverband habe aber im März zum Ausdruck gebracht, dass er keine Verhandlungen beginnen werde ohne weitere Zusagen großer Marken, trotz steigender Löhne weiter in dem südostasiatischen Land produzieren zu lassen. "Adidas' Passivität in dieser Lage ist ein Schlag ins Gesicht aller Beschäftigten, die von ihren Löhnen nicht leben können", sagte Ferenschild.

Südwind forderte Adidas auf, der ACT-Initiative beizutreten und sich über das Textilbündnis für bessere Löhne in Kambodscha sowie im Produktionsland Indonesien einzusetzen. Über die Zahlung existenzsichernder Löhne müsse das Unternehmen in einem Stufenplan öffentlich Rechenschaft ablegen.

Adidas wies die Kritik zurück. Die Adidas-Arbeitsplatzstandards verpflichteten Zulieferer dazu, die Vergütung der Arbeiter unter anderem durch Entlohnungssysteme, Zusatzleistungen und Sozialprogramme fortschreitend zu steigern. "Der jeweils gültige gesetzliche Mindestlohn ist dabei das absolute Minimum", sagte ein Unternehmenssprecher dem Evangelischen Pressedienst (epd). In Kambodscha liege das durchschnittliche Monatseinkommen von Arbeitern in Zulieferbetrieben inklusive gesetzlich zulässiger Überstunden bei 290 US-Dollar, umgerechnet knapp 260 Euro. Adidas fördere zudem in seinen Produktionsländern freie Tarifverhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern, erklärte der Sprecher und verwies auf ein Protokoll für Vereinigungsfreiheit, das Adidas in Indonesien mit Hilfsorganisationen wie Oxfam etabliert hat.



FDP kritisiert Verlagerung von Ackerflächen in Entwicklungsländer

Die Ackerflächen in Europa nehmen kontinuierlich ab, in Entwicklungsländern wachsen sie dagegen. Die FDP sieht einen Widerspruch zur Klimaschutzpolitik und fordert ausgewiesene "Ernährungsschutzgebiete" in der EU.

Die FDP warnt vor den Klimafolgen einer Verschiebung von Ackerflächen in Entwicklungsländer. Während das Ackerland in Deutschland seit der Wiedervereinigung um 451.000 Hektar geschrumpft sei, habe es in afrikanischen Ländern im selben Zeitraum um 68 Millionen Hektar zugenommen, heißt es in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP-Fraktion, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt. "Die Agrarindustrie in den Dritte-Welt-Staaten ist der größte Zerstörer des Waldes", sagte der FDP-Entwicklungsexperte Christoph Hoffmann der Düsseldorfer "Rheinischen Post" (7. Mai), die zuerst über das Thema berichtete.

Die Prognose der Bundesregierung, die auf einer Studie der Welternährungsorganisation FAO beruht, geht dem Dokument zufolge davon aus, dass zwischen 2020 und 2050 die Ackerflächen in Industrieländern um weitere 29 Millionen Hektar abnehmen. Dagegen würden die Flächen in Entwicklungsländern um hundert Millionen Hektar zunehmen.

Hoffmann sagte der Zeitung, die Landwirtschaftspolitik stehe in einem "dramatischen Widerspruch" zur Klimaschutzpolitik. Halte die Abholzung zur Nahrungsmittelerzeugung in Entwicklungsländern in diesem Umfang an, sei der Klimawandel nicht mehr zu stoppen. Er forderte die EU auf, "Ernährungsschutzgebiete" auszuweisen, um den Druck für weitere Abholzungen in Afrika, Asien und Südamerika zu vermindern. In Entwicklungsländern brauche es zudem dringend neue Pflanzenzüchtungen, die mehr Ertrag brächten und resistenter gegen Schädlinge seien, erklärte der FDP-Politiker.



KfW Entwicklungsbank wirbt für Investitionen in Afrika

Die staatliche KfW Bankengruppe will die wirtschaftlichen Potenziale in Afrika erschließen helfen und damit zur Bekämpfung der Armut beitragen. Im vergangenen Jahr sagten die KfW Entwicklungsbank und die KfW-Tochter DEG mit Sitz in Köln 10,6 Milliarden Euro für Entwicklungsprojekte weltweit zu. Damit wurde ein Höchstwert erreicht, nach 9,8 Milliarden im Jahr 2017, wie die KfW am 9. Mai in Frankfurt am Main mitteilte. Knapp die Hälfte aller Neuzusagen ging 2018 nach Afrika und in den Nahen Osten, 60 Prozent flossen in Klima- und Umweltschutz.

KfW-Vorstandsmitglied Joachim Nagel versprach mehr Transparenz. Ab Juli werde die Entwicklungsbank im Internet über die Risiken bei allen neuen Vorhaben informieren, besonders in den Bereichen Umwelt, Soziales und Klima. Man habe bei Transparenz womöglich etwas Nachholbedarf, orientiere sich nun etwa an der Weltbank, wolle aber auch vorpreschen. "Wir gehen noch einen richtig großen Schritt weiter", betonte Nagel. Bis Jahresende werde die Bank auch ihre Maßnahmen offenlegen, mit denen sie den Risiken begegnen wolle.

Mit der Blockchain-Technologie erprobt die KfW laut Nagel mit Erfolg die digitale und transparente Steuerung von Entwicklungsprojekten im westafrikanischen Burkina Faso. Die Plattform Trubudget werde als Open Source IT-Entwicklern kostenlos zur Verfügung gestellt. Sie ermögliche eine gleichzeitige Offenlegung sämtlicher Finanzströme eines Projekts für alle Beteiligten, die bisher nicht möglich gewesen sei.

Die KfW finanziert im Auftrag des Bundes und mit eigenen Mitteln Projekte in Entwicklungs- und Schwellenländern. 2,9 Milliarden Euro stammten 2018 aus dem Bundeshaushalt, die zu 70 Prozent nach Afrika flossen. Unter den Zusagen waren 1,9 Milliarden Euro, die die DEG aus eigenen Mitteln für unternehmerische Investitionen bewilligte. Die geförderten Firmen beschäftigen laut DEG 1,7 Millionen Menschen, fast 500.000 Arbeitsplätze seien neu geschaffen worden.

Nagel hob hervor, dass das Interesse an nachhaltigen Investitionen in Deutschland groß sei. Bei Finanzfonds komme der KfW oft die Rolle eines Ankerinvestors zu, der auch institutionelle Anleger wie etwa die Evangelische Bank für eine Kooperation gewinnen könne. "Afrika bietet meines Erachtens in den nächsten Jahrzehnten erhebliche Potenziale", sagte Nagel. Die deutsche Wirtschaft sei dort noch nicht so gut vertreten und sollte nach Chancen Ausschau halten.