Alles begann mit einem Streit um einen Schluck Wasser: Vor zehn Jahren, an einem heißen Juni-Tag 2009, holte die Tagelöhnerin Asia Bibi einen Krug Wasser für die Feldarbeiterinnen, die in der Punjab-Provinz in Pakistan Beeren pflückten. Bibi, eine Christin, nahm selbst einen Schluck aus dem Gefäß, das für ihre muslimischen Kolleginnen bestimmt war. Diese erklärten dann, sie habe das Wasser schmutzig gemacht.

Eine Auseinandersetzung zwischen den Frauen führte zu einer Anzeige wegen Gotteslästerung. Der Katholikin wurde unterstellt, bei dem Streit um das Wasser den Propheten Mohammed beleidigt zu haben. Ein Jahr später wurde die fünffache Mutter zum Tode verurteilt. Pakistan hat weltweit eines der strengsten Gesetze gegen Blasphemie. Zwar wurde in dem islamischen Land bislang noch niemand wegen Blasphemie gehängt, doch allein der Vorwurf der Gotteslästerung bringt den Beschuldigten in Lebensgefahr. Lynchmorde und Anschläge auf angebliche Gotteslästerer sind Realität.

Lynchdrohung

Zwei hochrangige Politiker, die sich für die Freilassung Bibis einsetzten, wurden umgebracht. Bibi selbst, die wegen der Gefahr für ihr Leben mehr als acht Jahre in Einzelhaft verbrachte, weil die Gefängnisverwaltung befürchtete, andere Insassen könnten die Frau erschlagen oder ihr Essen vergiften, wurde Ende Oktober 2018 vom Obersten Gericht freigesprochen. Doch dann wurde sie in ein Versteck gebracht. Es schien sogar zu gefährlich, sie auszufliegen.

Kanada hatte ihr und ihrer Familie schon vor längerer Zeit Asyl angeboten. Im Januar lehnte das Oberste Gericht in Pakistan nochmals einen Berufungsantrag gegen den Freispruch von Bibi ab. Dennoch konnte die Tagelöhnerin, die weder lesen noch schreiben kann, und die zehn Jahre unschuldig in Haft saß, nicht in ihr Dorf zurück, wo der Streit um das Glas Wasser und ihr Leidensweg begann. Auch in Kanada, wo sie jetzt offenbar eingetroffen ist, bleibt Bibi gefährdet. Islamisten haben gedroht, sie zu lynchen, egal, wo sie sich aufhalten sollte.

Ironischerweise stammt Pakistans Blasphemie-Gesetz aus britischer Kolonialzeit und diente ursprünglich dem Schutz der zumeist christlichen Kolonialbeamten vor Beleidigungen. In den ersten drei Jahrzehnten nach der Unabhängigkeit Pakistans 1947 spielte das Gesetz so gut wie keine Rolle. Doch mit der fortschreitenden Islamisierung des Landes wurde das Gesetz zu einer Waffe gegen religiöse Minderheiten und liberale Geister. Bis 1986 wurden in Pakistan 14 Blasphemie-Urteile gefällt, seither sind um die 1.300 Menschen wegen Gotteslästerung verurteilt worden, vor allem Angehörige religiöser Minderheiten.

Christliches Paar verbrannt

Anfang der 80er Jahre verschärfte der berüchtigte Militärdiktator Mohammed Zia ul-Haq die Regelungen. Seitdem können Gotteslästerung, Prophetenbeleidigung und die Entweihung des Korans mit dem Tod bestraft werden. Menschenrechtler forderten immer wieder eine Reform, weil das Gesetz für Racheakte an missliebigen Mitmenschen und Behördenwillkür missbraucht wird. Die Beweisführung vor Gericht ist zudem problematisch, weil bereits eine Wiederholung der Vorwürfe gegen die Angeklagten einen Akt der Blasphemie darstellen könnte. 2015 musste sich ein Gericht gar mit der Frage befassen, ob die Kritik an den harschen Blasphemie-Gesetzen bereits Blasphemie darstellt.

Auch außerhalb der Gerichte schafft das Gesetz ein Klima der Angst. Denn wer einmal der Blasphemie beschuldigt wird, riskiert in Pakistan, von Extremisten auf offener Straße getötet zu werden. Die Blasphemie-Gesetze sind daher besonders gut geeignet, Atheisten, Andersdenkende, Islam-Kritiker, Christen und andere religiöse Minderheiten zu verfolgen. Im April 2017 wurde der Student Mashal Khan von Kommilitonen auf dem Universitätscampus der Stadt Mardan gelyncht, weil er angeblich liberale Ansichten vertrat und nicht zum Freitagsgebet ging.

Bisher wurden in Pakistan rund 20 Menschen wegen Blasphemie zum Tode verurteilt. Seit 1990 sind mindestens 60 Menschen in Zusammenhang mit dem Vorwurf ermordet worden, darunter Anwälte und Politiker, wie das Centre for Research and Security Studies (CRSS) in Islamabad herausfand. Im November 2014 wurde ein christliches Ehepaar in der Nähe der Stadt Lahore von einer Menschenmenge lebendig in einem Ziegelofen verbrannt, nachdem Gerüchte aufgekommen waren, das Paar habe den heiligen Koran entweiht.

Versuche, die Blasphemie-Gesetze zu reformieren, scheiterten stets am Widerstand religiöser Hardliner. Zwei prominente Politiker wurden 2011 ermordet, weil sie eine Lockerung forderten: Der liberale Gouverneur Salman Taseer und der Minister für religiöse Minderheiten, der Christ Shahbaz Bhatti. Taseers Mörder stieg über Nacht zum gefeierten Volkshelden auf.