Erinnerungsarbeit ist nach den Worten des saarländischen Antisemitismusbeauftragten Roland Rixecker "keine endlose Vergangenheitsbewältigung". "Das, was wir da tun, ist eine Maßnahme zur Sicherung unserer Gegenwart und unserer Zukunft und der Zukunft unserer Kinder und Enkel", sagte er am 6. Mai in Saarbrücken bei der Konferenz der Kirchen am Rhein. "Wir gedenken an die Vergangenheit und versuchen zu verstehen, wie sich so etwas entwickeln konnte." Dabei gehe es nicht um Schuldzuweisung.

"Antisemitismus ist Teil der modernen Menschheitsgeschichte", betonte der Beauftragte des saarländischen Landtags für jüdisches Leben im Saarland und gegen Antisemitismus. Es sei irrelevant, in welchem prozentualem Maße antisemitische Straftaten zunähmen. "Wichtig ist: Deutschland hat ein Problem", sagte Rixecker. Das genüge, um nach Lösungen zu suchen.

Checkliste für Antisemitismus

In Zusammenarbeit mit Staatsanwaltschaft, Verfassungsschutz und Polizei setze er sich für eine Art Checkliste für Antisemitismus ein. So sollten die Sicherheitsbehörden die Definition der International Holocaust Remembrance Alliance übernehmen, um antisemitische Straftaten besser zu erfassen. In Kooperation mit der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus sollten zudem antisemitische Vorfälle nach wissenschaftlichen Kriterien online veröffentlicht werden.

Langfristig sei dem Antisemitismus nur über Wissensvermehrung über das Judentum entgegenzutreten, sagte Rixecker. Bildungsarbeit sei auch an den Universitäten weiterhin nötig. Juristen und Mediziner müssten beispielsweise anhand der konkreten Geschichte mehr über die Verführbarkeit ihrer Professionen und den Missbrauch von Macht lernen.

Rabbiner: Gesellschaftliche Unsicherheit befördert Vorurteile

Der Rabbiner Alexander Grodensky betonte wiederum, im Kampf gegen Antisemitismus müssten zunächst aktuelle Gesellschaftsprobleme gelöst werden. "Um Antisemitismus wirksam zu bekämpfen, muss man den Menschen erst Angst vor ihrer Zukunft nehmen", sagte der Rabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde von Luxemburg. Es brauche beispielsweise Antworten auf steigende Mieten, Globalisierung oder Migration.

"Aufklärungskampagnen helfen wenig, wenn sich in der Gesellschaft allgemeine Verunsicherung verbreitet", betonte er. "Juden, Homosexuelle und andere Minderheiten sind oft die ersten Ziele der blinden Wut in unruhigen Zeiten."

"Judentum ist vielfältige lebensbejahende Kultur"

Zugleich betonte der Rabbiner, die Geschichte der Juden in Deutschland dürfe nicht auf die Jahre der NS-Herrschaft reduziert werden. "Gedenken ist nicht alles", unterstrich er. Das Judentum sei mehr als Gedenken, und zwar eine vielfältige lebensbejahende Kultur. In diesem Zusammenhang kritisierte er eine Flut von Gedenkveranstaltungen. Zu diesen kämen meist nur diejenigen, die ohnehin anwesend sein müssten: Amtsträger und Schüler, die mit ihrer Schule dort seien. "Was gedenken wir, wie gedenken wir, wozu gedenken wir?", müssen laut Grodensky Fragen für die Erinnerungsarbeit sein.

Die Konferenz der Kirchen am Rhein wurde 1961 auf dem Liebfrauenberg bei Woerth im Elsass als Instrument der Versöhnung und des Friedens gegründet. Seit 2008 ist sie eine Regionalgruppe der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa. Zurzeit arbeiten dort nach eigenen Angaben protestantische Kirchen aus Lichtenstein, der Nordschweiz, Österreich, Elsass-Lothringen, Baden, Pfalz, Württemberg, Hessen-Nassau, Rheinland und Luxemburg zusammen. Die Konferenz tagte am Sonntag und Montag in Saarbrücken mit einen inhaltlichen Schwerpunkt zum Thema Antisemitismus.