Gegen den ehemaligen Arzt der Sektensiedlung Colonia Dignidad, Hartmut Hopp, wird in Deutschland nicht mehr ermittelt. Die Staatsanwaltschaft Krefeld teilte am Dienstag mit, dass sie nach über siebeneinhalb Jahren die "umfangreichen und langwierigen Ermittlungen" einstelle. (Az: 3 Js 753/11) "Nach Ausschöpfung aller erfolgsversprechender Ermittlungsansätze haben wir einen hinreichenden Tatverdacht unter keinen rechtlichen Gesichtspunkten begründen können", sagte Oberstaatsanwalt Axel Stahl dem Evangelischen Pressedienst (epd). Menschenrechtler warfen der deutschen Justiz Untätigkeit bei der Aufarbeitung der Verbrechen der ehemaligen deutschen Sektensiedlung in Chile vor.

Schäfer galt als zweitmächtigster Mann der Sekte

Ermittelt wurde gegen Hopp wegen der Tatvorwürfe der Beihilfe zum sexuellen Missbrauch, der Beteiligung an der Tötung von drei Oppositionellen und der nicht medizinisch indizierten Abgabe von Psychopharmaka. Der heute 75-Jährige war in Chile wegen Beihilfe zur Vergewaltigung und zum sexuellen Missbrauch Minderjähriger zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Die Taten wurden laut dem chilenischen Urteil zwischen 1993 und 1997 vom Gründer der Sektensiedlung, Paul Schäfer (1921-2010), begangen.

Hopp, der nach Schäfer als mächtigster Mann der Colonia Dignidad galt, war nach seiner Verurteilung 2011 nach Deutschland geflohen und lebt in Krefeld. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hatte 2018 eine Vollstreckung des chilenischen Urteils in Deutschland abgelehnt. Die Staatsanwaltschaft Krefeld prüfte ihrerseits, ob Hopp nach deutschem Recht angeklagt werden kann.

Das verneinte die Behörde nun. Sie hatte unter anderem Unterlagen aus den chilenischen Ermittlungsverfahren und aus dem Geheimarchiv der Colonia Dignidad ausgewertet, die sie im Rahmen einer Delegationsreise nach Chile im April 2018 erstmals einsehen konnte. Zudem seien Geschädigte vernommen worden, hieß es.

Mit Blick auf die Ermordungen erklärte die Staatsanwaltschaft, zwar sei davon auszugehen, dass die drei Studenten wegen ihrer Gegnerschaft zum Pinochet-Regime im Jahr 1976 entführt und getötet wurden. Jedoch könne nicht festgestellt werden, wann genau, wo und durch wen das mutmaßlich geschah. Der Angeklagte selbst bestreite eine Beteiligung. Auch für die Beihilfe zum sexuellen Missbrauch und die rechtswidrige Abgabe von Psychopharmaka gebe es keinen hinreichenden Tatverdacht. Die Staatsanwaltschaft verwies auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf, wonach das von den chilenischen Richtern festgestellte Verhalten von Hopp nicht ausreicht, um ihm nach deutschen Recht eine Beihilfe an den Straftaten von Paul Schäfer nachzuweisen (AZ: III-3 AR 158/17).

Menschenrechtler: "Die Betroffenen sind fassungslos"

Die Menschenrechtsorganisation European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) kritisierte die Einstellung des Verfahrens und will eine Beschwerde prüfen. "Die Betroffenen sind fassungslos, ihr Vertrauen in die deutsche Justiz ist erschüttert", erklärte Andreas Schüller vom ECCHR zusammen mit Jan Stehle vom Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile Lateinamerika und der Rechtsanwältin Petra Schlagenhauf, die 2011 mit dem ECCHR die Strafanzeige gegen Hopp eingereicht hatte.

Die Menschenrechtler warfen der Staatsanwaltschaft vor, etliche Betroffene und Zeugen, die in Deutschland und Chile leben, nicht befragt zu haben. Dazu erklärte Oberstaatsanwalt Stahl, man habe alle "erfolgsversprechenden" Zeugen befragt. Nur weil jemand damals Mitglied der Colonia Dignidad gewesen sei, könne er nicht unbedingt etwas zu den Tatvorwürfen sagen.

Der Anwalt von Hartmut Hopp, Helfried Roubicek, begrüßte die Verfahrenseinstellung und erklärte im Namen seines Mandanten, die Ermittlungen seien "der größte Einschnitt in meinem Leben" gewesen. Zugleich verurteilte er die Grausamkeiten in der Colonia Dignidad, die er "niemals vermutet" habe.

Die Colonia Dignidad diente während der Militärdiktatur in Chile (1973-1990) als Folterzentrum des Geheimdienstes. Seit Jahrzehnten sorgt die Sektensiedlung wegen weiterer dort begangener Verbrechen wie sexuellem Missbrauch und illegalem Waffenhandel für Schlagzeilen. Ihr Gründer Paul Schäfer starb 2010 in chilenischer Haft.