Das Anti-Folter-Komitee des Europarates wirft Deutschland die Misshandlung eines Afghanen während eines Abschiebefluges vor. Ein Bundespolizist habe dem sich massiv wehrenden Mann absichtlich die Genitalien gequetscht, ein anderer ihn mit einem Griff um den Hals beim Atmen behindert, heißt es in einem am 9. Mai in Straßburg veröffentlichten Bericht. Generell gingen die Beamten laut Bericht respektvoll mit den Abzuschiebenden um.

Es geht um einen Flug von München nach Kabul am 14. August 2018. An Bord waren außer der Crew 46 afghanische Männer, 101 Polizisten, ein Arzt und ein Dolmetscher. Eine Delegation des Anti-Folter-Komitees des Europarates, der die Menschenrechte in Europa überwacht, beobachtete den Flug und auch die Maßnahmen davor, darunter Abholungen aus einem Abschiebegefängnis und ärztliche Untersuchungen am Flughafen.

Insgesamt beurteilte die Europarats-Delegation die Abschiebung als "professionell durchgeführt". Die Polizisten werden gelobt. "Die Delegation nahm positiv zur Kenntnis, dass alle Begleitbeamten während der gesamten Abschiebungsmaßnahme professionell und respektvoll mit den ihnen zugewiesenen Rückzuführenden umgingen. Sie blieben ständig mit ihnen im Gespräch und versuchten, sie während der Wartezeit zu beruhigen."

Beißschutz und gefesselt

Zwei Mal hätten die Beamten jedoch Gewalt angewendet, einen Fall davon stuft der Ausschuss als "bedenklich" und "Misshandlung" ein. Im Detail wird geschildert, wie einer der Abzuschiebenden sich im Flugzeug heftig wehrte und von bis zu sechs Polizisten gebändigt wurde. Diese hätten ihm unter anderem einen Beißschutz eingesetzt, einen Helm aufgesetzt, Hände und Beine gefesselt. Ein Beamter habe sich auf Knie und Oberschenkel des Mannes gesetzt. "Nach etwa 15 Minuten griff der sechste Begleitbeamte mit seiner linken Hand die Genitalien des Rückzuführenden und drückte mehrmals länger zu, um den Rückzuführenden dazu zu bringen, sich zu beruhigen."

Später seien dem Mann Fesseln abgenommen worden. Im Zuge dessen habe er jedoch Atemschwierigkeiten bekommen und sei noch stärker in Erregung geraten, als ein Beamter "den Arm um seinen Hals legte, da der dort ausgeübte Druck zu einer vorübergehenden Atemwegsbehinderung führte". So heißt es in der deutschen Übersetzung, die von der Bundesregierung besorgt wurde. Im englischen Original ist von "obstruct" die Rede, was sich mit "behindern", aber auch mit "blockieren" übersetzen lässt.

Das Komitee empfiehlt Deutschland sofortige Maßnahmen, "um die Anwendung dieser beiden Techniken durch begleitende Beamte der Bundespolizei zu unterbinden". Die Bundesregierung reagierte in einer zugleich mit dem Bericht veröffentlichten Stellungnahme an den Europarat: "Die Bundespolizei wurde von der Empfehlung des Ausschusses in Kenntnis gesetzt und hat diese aufgegriffen." Auf eine Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) zu strafrechtlichen oder disziplinarrechtlichen Konsequenzen des Vorfalls antwortete die Regierung zunächst nicht.

Vorwürfe ernst nehmen

Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Bundestag, Gyde Jensen (FDP), erklärte, die Vorwürfe des Komitees seien sehr ernst zu nehmen. "Es ist die Verantwortung des Bundesinnenministers, Polizisten auf solche zwischenmenschlichen Extremsituationen so vorzubereiten, so dass Menschen nicht misshandelt werden."

Das Komitee rügte auch weitere Punkte im Zusammenhang mit der Abschiebung. Unter anderem wurden die Betroffenen demnach nicht darüber informiert, wie sie sich über Misshandlungen beschweren könnten. Ein Teil der Polizeibeamten habe offenbar keine Grundausbildung für Abschiebungen per Flugzeug absolviert. Die Bundespolizei habe sich ferner vor Übergabe der Afghanen in Kabul nicht mehr in Deutschland erkundigt, ob in einem der Fälle eine vorläufige Gerichtsentscheidung ergangen sei, obwohl ein solches "last call-Verfahren" unerlässlich sei.

Auch mit Blick auf die vorhergehende Unterbringung von Abzuschiebenden in der Hafteinrichtung Eichstätt, die die Delegation des Europarats ebenfalls besucht hatte, machte sie Empfehlungen. Darin ging es etwa um mehr Bewegungsmöglichkeiten im Freien und besseren Schutz der Intimsphäre.