Berlin (epd). Das kirchliche Bündnis "United4Rescue" ist bei seinen Plänen für eine eigene Rettungsmission im Mittelmeer einen Schritt weiter. Das Bündnis hat das Kieler Forschungsschiff "Poseidon" erworben, wie es am 31. Januar selbst mitteilte. Am Vortag endete das Bieterverfahren für das Schiff, für das der Verein "Gemeinsam Retten" am Ende den Zuschlag bekam. "United4Rescue" hatte seit Dezember Spenden für den Erwerb eines Schiffes gesammelt, das sich für Rettungseinsätze auf dem Mittelmeer eignet.
Nach Angaben von Vereinssprecher Joachim Lenz hat das Schiff 1,5 Millionen Euro gekostet. 1,1 Millionen Euro hat demzufolge das Bündnis beigesteuert. Den Rest der Summe übernehme die Organisation Sea-Watch, die im Auftrag das Bündnisses das Schiff betreiben soll.
Bevor das frühere Forschungsschiff für seinen künftigen Zweck in See stechen kann, sind noch Umbauten notwendig. So müssen unter anderem eine Krankenstation eingerichtet und Beiboote angeschafft werden. Lenz zufolge wollen sich die Verantwortlichen zunächst einen Überblick über die notwendigen Arbeiten verschaffen. Er hoffe, dass das Schiff etwa von Ostern an für Rettungseinsätze zur Verfügung steht.
Die "Poseidon" war bislang für das Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung im Einsatz. Für den Umbau braucht das Bündnis weitere Spenden, wie aus der Mitteilung von Freitag hervorgeht.
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, der sich persönlich stets hinter die Initiative gestellt hatte, dankte den Spendern. "Ich freue mich, dass das Engagement so vieler Menschen jetzt auch zum Erfolg geführt hat", sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd).
"Seenotrettung ist eigentlich eine staatliche Pflichtaufgabe, die im Mittelmeer schon seit Jahren nicht wirksam wahrgenommen wird", sagte der rheinische Präses Manfred Rekowski. Deshalb sei die Initiative anderer notwendig, ergänzte Rekowski, der auch Vorsitzender der Kammer für Migration und Integration der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist. Der Europa-Abgeordnete Sven Giegold (Grüne), der zu den Mitinitiatoren des Bündnisses gehört, erklärte: "Dieses Schiff wird Leben retten und kann helfen, die europäische Politik zu ändern."
Die Staaten der EU hatten ihre Mittelmeer-Mission "Sophia", in deren Rahmen auch immer wieder Seenotrettungen stattfanden, beendet. Seitdem retten vor allem Organisationen wie Sea-Watch und Sea-Eye schiffbrüchige Migranten, die auf dem Weg nach Europa sind.
Die Idee, dass sich die evangelische Kirche an der Rettung von Flüchtlingen beteiligt, geht auf eine Initiative des evangelischen Kirchentages vom Juni 2019 in Dortmund zurück. Anfang Dezember wurde dann das Bündnis "United4Rescue" gegründet. Es hat derzeit rund 300 Mitglieder. Darunter sind neben der EKD Organisationen wie die AWO, Diakonische Werke und Landeskirchen sowie einzelne Kirchengemeinden und Privatpersonen wie Wim Wenders und die Band Revolverheld.
Mehr als 2.500 Menschen und Organisationen haben bereits für das Projekt gespendet. Die katholische Kirche ist nicht Mitglied des Bündnisses. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Marx, hatte allerdings aus Mitteln seines Bistums 50.000 Euro für das Bündnis zur Verfügung gestellt.
Bonn (epd). Der Friedensbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Renke Brahms, dringt auf eine völkerrechtliche Ächtung automatisierter Waffen. Die Bundesregierung müsse sich für ein verbindliches Verbot einsetzen, erklärte Brahms am 28. Januar in Bonn. Der Bundestag diskutierte am 31. Januar über den Einsatz autonomer Waffensysteme, die durch künstliche Intelligenz gesteuert agieren können. Anträge dazu hatten die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie die Linksfraktion eingebracht.
Diese Waffensysteme stellten eine neue friedensethische Herausforderung dar, fügte Brahms hinzu: "Automatisierte, teilautonome und unbemannte Waffensysteme bergen große Risiken: Sie können zu einem Absinken der Hemmschwelle für einen militärischen Einsatz führen, ebenso zu einer Entgrenzung des Krieges. Und sie hinterlassen viele ungelöste Fragen der Kontrolle und der Verantwortung für die Folgen einer militärischen Aktion."
Brahms befürwortet die Aufnahme von Verhandlungen im Rahmen der "Konvention über bestimmte konventionelle Waffen" über einen verbindlichen Verbotsvertrag sowie den Erlass eines nationalen Moratoriums für die Entwicklung und Anschaffung derartiger Waffen. "Es wäre zu begrüßen, dass der Bundestag dem folgt und die Bundesregierung entsprechend beauftragt", sagte der EKD-Friedensbeauftragte. Die EKD-Synode hatte sich in ihrer Friedenskundgebung vom November vergangenen Jahres für eine Unterstützung der Internationalen Kampagne "Stop Killer Robots" zur Ächtung sogenannter Killerroboter ausgesprochen.
Bonn (epd). Die Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF) und die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für KDV und Frieden (EAK) haben das Nato-Manöver "Defender 2020" kritisiert. Die militärische Großübung, die sich erkenntlich gegen Russland richte, sei ein "falsches Signal und eine überflüssige und falsche militärische Machtdemonstration", erklärten die beiden Friedensverbände. "Ich finde es bedenklich, dass Russland zunehmend nicht mehr als Partner, sondern als Gegner gesehen wird", kritisierte Christine Busch, Vorsitzende der AGDF. Dies sei ein falsches Zeichen der Konfrontation in einer Zeit, in der ein Dialog dringend erforderlich wäre.
"Statt jetzt militärische Stärke zu demonstrieren, sollte nun lieber der Nato-Russland-Rat stärker in den Blickpunkt genommen werden", forderte auch Lutz Krügener, Friedensbeauftragter der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers und einer der Sprecher der EAK. "Gespräche, Verhandlungen und der Aufbau von gegenseitigem Vertrauen müssen die Perspektiven der Sicherheitspolitik sein." Angesichts einer zunehmenden Aufrüstung auf beiden Seiten, der Kündigung von Abrüstungsabkommen und einer beginnenden nuklearen Rüstungsspirale müsse jedoch nun alles unternommen werden, um für eine Entspannung und Deeskalation zu sorgen, fordern die beiden Friedensverbände nachdrücklich.
Mit dem Manöver "Defender 2020", an dem 19 Nato-Länder beteiligt sind, soll nach Angaben der Bundeswehr eingeübt werden, wie ein militärischer Großverband über den Atlantik und quer durch Europa an die Nato-Ostgrenze ins Baltikum und nach Polen verlegt werden kann. Darüber hinaus soll die Belastbarkeit der deutschen Infrastruktur getestet werden, das heißt, ob Straßen und Brücken den schweren Kampfpanzern auf Militärtiefladern standhalten. Deutschland werde dabei als mögliche Basis für Operationen, rückwärtiges Einsatzgebiet und Drehscheibe der Unterstützung dienen. Beteiligt sind den Angaben zufolge 37.000 Soldaten, davon alleine 29.000 US-Amerikaner.
Hannover (epd). Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, und der Leitende Bischof der Vereinigten Evangelisch-lutherischen Kirche Deutschlands, Ralf Meister, haben mit Bedauern auf das britische Austreten aus der EU reagiert. In einem gemeinsamen Schreiben an Erzbischof Justin Welby und Bischof Jonathan Gibbs bekräftigten die beiden ihre tiefe Überzeugung, dass die enge Verbindung als Kirchen in Europa und die geschwisterliche Gemeinschaft in Christus jetzt umso wichtiger seien. Großbritannien hat die EU am 31. Januar verlassen.
"Als Kirchen treten wir für eine Gesellschaft ein, die Vielfalt und unterschiedliche Meinungen erlaubt und respektiert, und die von der Überzeugung lebt, dass alle Mitglieder der Gesellschaft zusammengehören. In unserer konfliktbeladenen Welt sind Gemeinschaft und Zusammenarbeit umso wichtiger, weil sie ein Zeichen von Gottes Gegenwart unter uns im Evangelium sind", hieß es weiter. Die Theologen betonten: "Unsere Kirchen sind Teil Europas und werden Teil Europas bleiben."
Genf (epd). Der Weltkirchenrat und der Lutherische Weltbund (LWB) kritisieren den von der US-amerikanischen Regierung vorgelegten Nahost-Plan. Der Plan sei keine reale, nachhaltige und gerechte Lösung, sondern ein Ultimatum, erklärte der Generalsekretär Weltkirchenrates, Olav Fykse Tveit, am 29. Januar in Genf. Er forderte die Regierungen anderer Staaten auf, dem Konzept nicht zuzustimmen.
Der US-Plan sei ohne eine Beteiligung der betroffenen Palästinenser erstellt worden, und mit ihm würden die Vorgaben Israels verfolgt. Ziel eines nahöstlichen Friedensprozesses müsse eine faire Zweistaaten-Lösung sein, die einen lebensfähigen und unabhängigen Staat Palästina beinhalte.
Der Lutherische Weltbund erklärte, dass Frieden nie einseitig verhängt werden könne. LWB-Präsident Panti Filibus Musa und LWB-Generalsekretär Martin Junge betonten, nachhaltiger Friede entstehe aus respektvollem Dialog, Verhandlungen und Kooperation zwischen den Konfliktparteien.
US-Präsident Donald Trump hatte am 28. Januar seinen lange angekündigten Plan für einen Frieden zwischen Israelis und Palästinensern vorgelegt. Trump zufolge würden beide Seiten von dem Vorschlag profitieren. Zwar ist darin eine Zweistaatenlösung vorgesehen, laut Experten wird in dem Plan allerdings das seit langem geplante Ziel eines vollwertigen Palästinenser-Staates aufgegeben. Die Rede ist unter anderem auch von einer Entwaffnung der Palästinenser. Die palästinensische Führung wies den US-Vorschlag umgehend zurück.
Der Lutherische Weltbund erklärte dazu, der Plan ignoriere fundamentale Prinzipien des internationalen Rechts, der Menschenrechte sowie von Erklärungen der UN-Generalversammlung und des UN-Sicherheitsrates. Damit werde ein gefährlicher Weg für die Zukunft beschritten.
Der LWB rief die Staatengemeinschaft dazu auf, sich weiter für die Achtung internationaler Gesetze, für multilaterale Kooperationen und Verhandlungen einzusetzen. Das sei der einzige Weg zu Sicherheit und einem anhaltenden Frieden. Zudem verlangte der LWB sofortige Maßnahmen, um humanitäres Leid im Westjordanland und im Gazastreifen zu beenden.
Die rund 150 Mitgliedskirchen des Lutherischen Weltbundes wurden dazu aufgerufen, für Frieden im Heiligen Land zu beten und entsprechende Verhandlungen zu unterstützen. Der LWB wurde 1947 gegründet. Ihm gehören mehr als 75,5 Millionen Christinnen und Christen an. Im 1948 gegründeten Weltkirchenrat sind 350 Kirchen vereint, die mehr als 500 Millionen Gläubige repräsentieren.
Hannover (epd). Der rheinische Pfarrer Joachim Lenz wird neuer Propst in Jerusalem. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat die Berufung, die das Kuratorium der Evangelischen Jerusalem-Stiftung ausgesprochen hatte, auf seiner Sitzung in Loccum bestätigt. Der 58-jährige Theologe folgt auf Propst Wolfgang Schmidt, der das Propstamt in Jerusalem von 2012 bis 2019 innehatte. Derzeit wird das Amt von Interimspropst Rainer Stuhlmann wahrgenommen. Lenz beginnt am 1. August.
Der in Wuppertal geborene Lenz war nach seiner ersten Pfarrstelle in Enkirch rund zehn Jahre als Pastor für den Deutschen Evangelischen Kirchentag tätig, bevor er von 2015 bis 2019 die Aufgabe des Theologischen Vorstands und Direktors der Berliner Stadtmission wahrnahm.
Für den Vorsitzenden des Kuratoriums der Jerusalem-Stiftung, den ehemaligen Berliner Bischof Markus Dröge, zeichnet sich Lenz besonders durch seine kommunikativen Fähigkeiten aus: "Die Gabe, Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen, ist an kaum einem anderen Ort so wichtig wie in Jerusalem", sagte Dröge. EKD-Auslandsbischöfin Petra Bosse-Huber hob die diplomatische Erfahrung von Lenz hervor, die für den jüdisch-christlichen Dialog "ein wichtiger Schatz" sei.
Die Aufgaben des Propstes in Jerusalem umfassen neben der pastoralen Versorgung der evangelischen Gemeinden Deutscher Sprache in Israel und Palästina auch die Leitung der Stiftungseinrichtungen der EKD in Jerusalem sowie die Repräsentanz der EKD und der Stiftungen gegenüber Kirchen und öffentlichen Einrichtungen im Heiligen Land.
Detmold, Blomberg (epd). Die Lippische Landeskirche hat den Kreis Lippe aufgefordert, einen abgeschobenen Flüchtling aus Ghana zurückzuholen. Für die Forderung wurden mehr als 1.800 Unterschriften von Unterstützern gesammelt, wie der landeskirchliche Pfarrer für Flucht- und Migration, Dieter Bökemeier, in Detmold mitteilte. Die Unterschriften sollten am 27. Januar im Landratsbüro übergeben werden. Das Leben und die Gesundheit des Flüchtlings Muntari Adams seien in Gefahr, heißt es in der unterzeichneten Erklärung. Die Unterzeichner fordern die zuständigen Entscheidungsträger auf, unverzüglich "alle notwendigen Schritte für eine schnelle Rückkehr von Muntari Adam nach Blomberg zu unternehmen".
Derzeit halte sich der Mann in seiner Herkunftsstadt Yendi in Nordghana auf, aus der er vor 17 Jahren geflohen sei, erklärte Bökemeier. Dort kenne er niemanden mehr. Über eine Partnerkirche in Ghana habe eine vorläufige Unterkunft für den Mann organisiert werden können. Es gehe Muntari Adam aber gesundheitlich schlechter als vorher in Deutschland und seine Zukunft sei sehr unsicher.
Der Mann, der mehr als fünf Jahre in Blomberg wohnte und gut integriert gewesen sei, sei am 21. November ohne Ankündigung von der Ausländerbehörde des Kreises Lippe abgeholt worden, erklärte die Lippische Landeskirche in Detmold. Die Abschiebung am frühen Morgen sei trotz eines positiven Votums der Härtefallkommission des Landes Nordrhein-Westfalen erfolgt. Aufgrund traumatischer Erfahrungen habe der Ghanaer in Blomberg zuletzt eine psychosoziale Tagesbetreuung besucht.
Der Mann sei aus seinem Heimatland geflohen, nachdem seine gesamte Familie in einem lokalen Konflikt ermordet worden sei, hieß es. Über Libyen und Italien kam Adam nach Angaben der Landeskirche nach Deutschland. Eine geplante Abschiebung nach Italien sei im Jahr 2014 durch ein Kirchenasyl in der evangelischen Kirchengemeinde Cappel in Blomberg verhindert worden. Ein späterer Asylantrag Adams sei abgelehnt worden. Die Härtefallkommission des Landes NRW habe sich jedoch aufgrund des persönlichen Schicksals des Mannes für einen weiteren Aufenthalt in Deutschland ausgesprochen.
Gestartet wurde die Unterschriftenaktion von der evangelischen Kirchengemeinde Cappel in Blomberg, in der Adams auch getauft wurde. Die Abschiebung hatte auch der lippische Landessuperintendent Dietmar Arends kritisiert.
Lobetal (epd). Zuerst hatte sich die evangelische Kirche gesträubt. Viermal sei die Bitte an ihn herangetragen worden, den gestürzten DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker und seine Frau Margot in ein kirchliches Haus aufzunehmen, schreibt Bischof Gottfried Forck Anfang 1990. Doch er lehnt ab: Honeckers Unterbringung sei Aufgabe des Staates. Nur wenn dies nicht geht, sei die Kirche bereit - und nur aus Barmherzigkeit.
Doch die staatlichen Bittsteller sind hartnäckig. Die Regierung habe sich um eine Wohnung für den 77-Jährigen bemüht, könne aber nirgends Schutz vor möglicher Lynchjustiz bieten, erklären sie. Am 30. Januar 1990 gibt die Kirche nach: Der krebskranke Honecker, der nach eintägiger Untersuchungshaft in Ost-Berlin als haftunfähig entlassen wird, kommt mit seiner Frau nach Lobetal bei Bernau. Unter dem Dach der Hoffnungstaler Anstalten findet das Ehepaar, das stets auf eine Gesellschaft ohne Kirche gesetzt hat, vorerst eine Bleibe.
"Er war schwach und krank", erinnert sich Pfarrer Uwe Holmer, der damalige Anstaltsleiter und CDU-Bürgermeister von Lobetal, später an die Aufnahme der Honeckers: "Sie haben sich bedankt, sie waren wie ganz normale Gäste."
Doch das haben nicht alle so empfunden. Er sei noch dabei gewesen, den Honeckers die Zimmer zu zeigen, als der erste empörte Anruf einging, hat Holmer die ersten Stunden einmal beschrieben. Ein Mitglied des Gemeindekirchenrates sei es gewesen. Er selbst habe entgegnet: "Wir können nicht jeden Sonntag beten und vom Vergeben der Schuld reden und es dann nicht tun." Und Lobetal sei 1905 als Kolonie für Obdachlose gegründet worden, auch Honecker sei nun obdachlos. Der Gemeindevertreter hat es akzeptiert. Proteste gab es dennoch, am Gartenzaun, im Ort, per Post, selbst Bombendrohungen.
"Herr Honecker befindet sich in Lobetal nicht in einem Asyl, das ihn der strafrechtlichen Verfolgung entzieht", hatte Bischof Forck in seinem Schreiben vorsichtshalber klargestellt. Und das Ehepaar nehme auch niemandem einen Heimplatz weg: Die Holmers hatten für die Honeckers die beiden Kinderzimmer im Pfarrhaus freigeräumt. Das Bad teilten sie sich mit den Kindern.
In Erinnerung blieben dem heute 90-jährigen Holmer, der seit seinem Ruhestand im mecklenburgischen Serrahn lebt, auch die abendlichen Spaziergänge mit Honecker: "Er war deutlich anderer Meinung in politischen Dingen." Ein freundliches und menschliches Verhältnis sei trotzdem entstanden. Dass die SED-Genossen sich von ihm abwandten "und ihn im Regen stehenließen", auch die Anklage wegen Hochverrats, habe Honecker schwer getroffen.
Die ersten freien Wahlen in der DDR am 18. März 1990 erlebte Honecker unter dem Dach der Kirche. Dass die Niederlage für den DDR-Sozialismus dabei so klar ausfiel, erschütterte ihn. Dann hieß es plötzlich, es gebe eine geeignetere Unterkunft. Nach Lindow bei Rheinsberg sollte es gehen. Doch schon am nächsten Tag kam die eilige Bitte um erneute Aufnahme in Lobetal. Denn am neuen Wohnort hatten aufgebrachte Anwohner gedroht, das Haus zu stürmen.
Bis zum 3. April kommen die Honeckers noch einmal im Pfarrhaus unter, danach bei der Sowjetarmee in Beelitz. Im Winter 1990, die DDR gibt es nicht mehr, ergeht Haftbefehl gegen ihn. Das Ehepaar wird von den Russen nach Moskau gebracht. 1992, auch die Sowjetunion gibt es nun nicht mehr, werden sie nach Deutschland ausgeliefert.
Honecker wird wegen des Schießbefehls an der Grenze angeklagt und kommt in Berlin erneut in Untersuchungshaft. Anfang 1993 wird das Verfahren aus gesundheitlichen Gründen eingestellt, das Ehepaar geht nach Chile. Dort stirbt Honecker 1994 mit 81 Jahren an Krebs. Seine Witwe Margot bleibt bis zu ihrem Tod 2016 in dem Land in Südamerika, sie stirbt mit 89 Jahren.
Die Aufnahme Honeckers im Pfarrhaus hat der spätere langjährige Leiter der heutigen Hoffnungstaler Stiftung Lobetal, Johannes Feldmann, trotz der spektakulären Umstände nur als einen von vielen Mosaiksteinen in der Geschichte der Anstalt betrachtet. "Dass ihr mir niemanden abweist", war das Motto des Gründers Friedrich von Bodelschwingh. "Wer Hilfe braucht, für den müssen wir da sein", so hat es auch sein Nachfolger gesehen. Und die beiden Honecker-Zimmer wurden später wieder zu ganz normalen Wohnräumen.
Berlin, Bonn (epd). Zehn Jahre nach der Aufdeckung von sexuellem Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche hat der Missbrauchsbeauftragte Johannes-Wilhelm Rörig die seitdem erfolgten Maßnahmen zum Kinderschutz als nicht ausreichend kritisiert. Jährlich gebe es noch immer mehr als 20.000 Fälle von Kindesmissbrauch, es gebe "Kinderpornografie in Terrabytedimension", sagte der Beauftragte der Bundesregierung am 28. Januar in Berlin: "Die bisherigen Fortschritte reichen überhaupt nicht aus, um sexuelle Gewalt in Deutschland konsequent einzudämmen."
Rörig forderte einen "Pakt gegen sexuellen Missbrauch". Dieser müsse ein großes Ziel haben: "die maximale Reduzierung der sexuellen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche". Dafür werde die Unterstützung aller Bürger benötigt. Rörig forderte vor allem Unterstützung der politischen Spitzen des Landes, namentlich vom "ersten Mann im Staat", Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Er müsse "diesen Abgrund der Gesellschaft in seine Reden aufnehmen" und damit die Priorität erhöhen, sagte Rörig.
Auch von den Parteien forderte er "eine viel stärkere Programmatik". Bislang werde die Bekämpfung von Missbrauch allein dem Kinderschutz zugeordnet ohne konkrete Vorhaben und ohne interdisziplinären Blick. Insgesamt kritisierte der unabhängige Beauftragte zu viel Gleichgültigkeit: "Auch im Jahr 2020 wird zum Thema sexuelle Gewalt ohrenbetäubend geschwiegen, das Thema mit großer Gelassenheit zur Kenntnis genommen von weiten Teilen der Politik, weiten Teilen der Gesellschaft und auch der Bevölkerung."
Ende Januar 2010 hatte der Leiter des Berliner Canisius-Kollegs, Pater Klaus Mertes, Missbrauchsfälle an dem katholischen Internat aus den 70er und 80er Jahren öffentlich gemacht. Der Missbrauchsskandal löste deutschlandweit Erschütterung aus. Zahlreiche weitere Fälle in der katholischen und evangelischen Kirche, an der hessischen Odenwaldschule sowie in Sportvereinen und weiteren Einrichtungen wurden in der Folge bekannt.
Seitdem beobachtet er in der katholischen Kirche grundlegende Veränderungen. Es seien Themen wieder ansprechbar, die früher nicht angesprochen werden konnten, sagte Mertes am 28. Januar im WDR5-"Morgenecho" und verwies beispielhaft auf die katholische Frauenbewegung "Maria 2.0" oder den Synodalen Weg. "Es hat sich aber auch dahingehend verändert, dass eine Spaltung sichtbar geworden ist, und unter der leidet dann auch der weitere Aufarbeitungsprozess, und das ist ein großes Problem."
Kirchliche Amtsträger, die aufklärungswilligen Kirchenvertretern einen "Missbrauch des Missbrauchs" vorwerfen, damit kirchliche Reformen durchgesetzt werden könnten, bezeichnete Mertes als "reaktionäre Verweigerungsfront". Von einem Missbrauch des Missbrauchs zu sprechen, sei nichts anderes als ein "Totschlagargument", um nicht an systemische Fragen herangehen zu müssen.
Matthias Katsch von der Betroffeneninitiative "Eckiger Tisch" kritisierte, dass die Aufklärung und Aufarbeitung des Skandals bis heute zäh verlaufe. Beim damals eingesetzten Runden Tisch habe es drei zentrale Forderungen gegeben: Aufklärung, Hilfe und Entschädigung. "An allen drei Baustellen arbeiten wir immer noch", sagte Katsch.
Insbesondere den Kirchen warf er Verschleppung vor. Die katholische Kirche diskutiere noch immer über Entschädigung. "Die Betroffenen warten und die Bischöfe streiten", sagte Katsch. Zugleich ergänzte er, auch wenn die katholische Kirche zurecht im Fokus stehe, sei bei der evangelischen Kirche noch weniger passiert. "Bei der Entschädigung tun sie so, als wenn sie das gar nichts anginge", sagte Katsch.
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hatte bei ihrer Synode im vergangenen September unterstrichen, individuelle Leistungen erbringen zu wollen. Dafür soll ein neues Verfahren entwickelt werden. Die katholischen Bischöfe erklärten am 28. Januar, weiter an dem Thema zu arbeiten, baten aber gleichzeitig für Verständnis, dass Aufarbeitung Zeit brauche. "Aus der Verantwortung werden wir uns nicht nehmen", hieß es in einer Erklärung des Ständigen Rates der katholischen Deutschen Bischofskonferenz.
Rörig appellierte auch an Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD), Geld für eine große Anti-Missbrauchs-Kampagne freizugeben. Zugleich präsentierte sein Team einen neuen Spot für Fernsehen und Kino, der auf das Hilfetelefon für Opfer von Missbrauch und Nahestehende hinweist. 100.000 Anrufe sind nach Angaben der Leiterin Silke Noack in den vergangenen zehn Jahren dort eingegangen.
Frankfurt a.M. (epd). Mühsam ist der Anfang des Synodalen Wegs: Beim ersten Treffen zwischen katholischen Bischöfen, Ordensleuten und Kirchenbasis zeigt sich, wie schwierig es wird, in einen konstruktiven Reformdialog zu kommen. Zu den ersten Wortmeldungen zählt die eines erklärten Skeptikers des Synodalen Wegs. Der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer stellt die Grundlage des Synodalen Wegs infrage, den Zusammenhang zwischen sexuellem Missbrauch und institutionellem Versagen der katholischen Kirche.
Genau das hatten die Autoren der MHG-Studie der Kirche 2018 bescheinigt: Sexueller Missbrauch wird begünstigt durch die Machtstrukturen der Kirche, durch die fast absolute Macht von Priestern, Bischöfen und Ordensvorstehern, die Systeme der Ausbeutung und Unterdrückung einerseits und Vertuschung andererseits möglich gemacht haben.
Doch für Voderholzer ist die Studie unwissenschaftlich, für ihn hat der Missbrauch nichts mit den Strukturen der Kirche zu tun. Der Satzung hatte er im Herbst bei der Vollversammlung der Bischofskonferenz in Fulda nicht zugestimmt, er behielt sich vor, jederzeit aus dem Reformdialog, der die Kirche aus der Krise führen soll, auszusteigen.
Der Synodale Weg als Konsequenz aus den Ergebnissen der Studie wird schon angegriffen, da sitzen Bischöfe und Laien noch keine Stunde im ehemaligen Dominikanerkloster in Frankfurt am Main, unweit des Doms, zusammen.
Der Synodale Weg ist ein innerkatholischer Reformprozess, der von der katholischen Deutschen Bischofskonferenz und der wichtigsten katholischen Laienorganisation, dem Zentralkomitee der Katholiken, initiiert wurde, um über die Lehren aus dem Missbrauch zu sprechen und Veränderungen in vier zentralen Bereichen zu beschließen: der Umgang mit klerikaler Macht, der Ehelosigkeit von Priestern, der katholischen Sexualmoral und die Beteiligung von Frauen in der Kirche. Auch in den ersten Diskussionen der Synodalversammlung geht es um Macht und um Deutung. Und sie zeigen, wie weit auseinander die Positionen liegen und wie viel argumentative Arbeit in den kommenden zwei Jahren vor den Teilnehmern liegt. Denn Beschlüsse über mögliche Reformen müssen mit Zwei-Drittel-Mehrheit abgestimmt werden, die eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Bischöfe enthält.
Die Kirchenbasis ringt um ihre Macht. Das zeigt sich bei der langen Diskussion über die Geschäftsordnung und die Besetzung der Synodalforen, Arbeitsgruppen, die die Beschlussvorschläge für die Synodalversammlung vorbereiten. Auf der Tagesordnung sind dafür eigentlich insgesamt nur eineinhalb Stunden am 31. Januar und 1. Februar vorgesehen, schon am Freitagnachmittag hinkt die Tagesordnung über drei Stunden hinterher. Die inhaltliche Auseinandersetzung mit den vier zentralen Themen hat noch nicht begonnen.
Die Diskussion über die Geschäftsordnung, die mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen werden muss, gerät zur Machtprobe. Die Delegierten debattieren über Änderungsvorschläge: Am Ende wird es möglich, dass bei einzelnen Abstimmungen eine Mehrheit der anwesenden Frauen erforderlich wird. Es soll ein Gegengewicht zu den Stimmen der Bischöfe sein. Die Besetzung der Synodalforen ist ein weiteres Streitthema. In den vier Arbeitsgruppen sollen nur 30 bis 35 Delegierte sitzen, das bedeutet, dass nicht jeder der insgesamt 230 vorgesehenen Delegierten der Synodalversammlung einen vollwertigen Platz in einem Synodalforum erhalten kann. Für viele ist das ein Mangel an Transparenz und Partizipation.
Die erste Synodalversammlung ist auch eine Lektion in Sachen Basisdemokratie. Die Delegierten sitzen alphabetisch geordnet, so sitzen die Bischöfe gut einsortiert zwischen den übrigen Teilnehmern.
Der Kölner Erzbischof, Kardinal Rainer Maria Woelki, beklagt sich zwischendurch, er sei nicht multitaskingfähig und könne der Diskussion nicht zuhören und die Änderungsanträge für die Geschäftsordnung lesen. Deswegen fühle er sich nicht in der Lage ad hoc abzustimmen. Eine Jungdelegierte beschwert sich über die vielen lateinischen Begriffe in den Vorlagen.
Pater Bernd Hagenkord, geistlicher Begleiter des Synodalen Wegs, bringt die Stimmung am ersten Tag auf den Punkt: "Es gibt niemanden, der nur da sitzt, um zu zuhören", sagt er am Freitag vor Journalisten. Seine Kollegin Maria Boxberg spricht von einer "leidenschaftlichen Debatte" im buchstäblichen Sinn: Manches sei leidvoll, doch alles geschehe mit einer großen Liebe zur Kirche.
Köln (epd). Die hierarchische Verfasstheit der Kirche werde durch das Forum infrage gestellt, sagte Woelki am 1. Februar dem Kölner Portal "domradio.de". Durch die Synodalversammlung sei "quasi ein protestantisches Kirchenparlament" ins Werk gesetzt worden. Alle seine Befürchtungen in dieser Hinsicht seien eingetreten.
Das Wesen der katholischen Kirche, die zwischen Geweihten und Nichtgeweihten und deren unterschiedlichen Aufgaben unterscheide, sei in vielen Redebeiträgen ignoriert worden, sagte der Kölner Erzbischof. Schon beim Einzug zum Gottesdienst, als Bischöfe und Laien alle gemeinsam eingezogen seien, sei zum Ausdruck gebracht worden, "dass da jeder gleich ist. Und das hat eigentlich nichts mit dem zu tun, was katholische Kirche ist und meint".
Woelki, der an der Synodalversammlung in Frankfurt teilgenommen hatte, kritisierte auch, dass nicht jede Meinung dort Gehör gefunden habe und nicht alle Rederecht erhalten hätten. So seien nicht alle Redeanträge, die vorher schriftlich eingereicht wurden, berücksichtigt worden.
Der Kardinal appellierte an Delegierte und Kirchenmitglieder, sich auf die lange Tradition der Kirche zu besinnen und nicht nach zweitausend Jahren die Kirche neu erfinden zu wollen. Es gehe darum, erst einmal zu verstehen, "was Glaube und Lehre der Kirche ist", und dann aufgrunddessen Antworten auf die Fragen der Gegenwart zu finden.
Die erste gemeinsame Tagung von Bischöfen und Laien war der Auftakt zu einem Reformprozess, der die katholische Kirche aus der Krise führen soll. Dabei geht es schwerpunktmäßig um die Rolle der Frau in kirchlichen Ämtern, die katholische Sexuallehre sowie um die Macht des Klerus und den Zölibat.
Rom/Augsburg (epd). Bertram Meier ist zum neuen Bischof von Augsburg ernannt worden. Wie der Vatikan am 29. Januar bekanntgab, wird der 59-Jährige Nachfolger des aus Altersgründen zurückgetretenen Konrad Zdarsa. Das Augsburger Domkapitel wählte Meier im vergangenen Juli zum Diözesanadministrator, nachdem der Papst den Rücktritt des 75-jährigen Zdarsa angenommen hatte. Hochrangige Vertreter aus katholischer und evangelischer Kirche würdigten Meiers bisheriges Engagement für die Ökumene.
Der Münchner Erzbischof und Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, sagte: "Das Bistum Augsburg darf sich über einen Bischof freuen, der mit theologischer Tiefe, seelsorglichem Eifer, einer besonderen Gabe der Predigt und starkem organisatorischen Geschick die Verantwortung im Bistum übernehmen wird." Mit seinen verschiedenen Aufgaben im Bischöflichen Ordinariat zu Augsburg, insbesondere den Schwerpunkten Weltkirche, Ökumene und Orden, bringe er gute Voraussetzungen für sein neues Amt mit, fügte Marx hinzu.
Der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm nannte Meier einen großen "Freund der Ökumene". Durch langjährige Zusammenarbeit an ganz unterschiedlichen Stellen der Ökumene genieße er großes Vertrauen bei vielen Menschen in der evangelischen Kirche, sagte Bedford-Strohm, der auch Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist: "Nur ökumenisch können wir als Kirchen wieder neue Ausstrahlungskraft gewinnen."
Bertram Meier, 1960 im bayerischen Buchloe (Ostallgäu) geboren, wurde 1985 nach dem Studium der Theologie und Philosophie in Augsburg und Rom zum Priester geweiht. Danach folgten Stationen als Kaplan, Pfarrer und Stadtdekan im Bistum Augsburg. Nach einer Ausbildung an der Päpstlichen Akademie für den diplomatischen Dienst des Vatikan in Rom leitete Meier zwischen 1996 und 2002 die deutschsprachige Abteilung des Vatikanischen Staatsekretariats.
Als Domkapitular in Augsburg war Meier unter anderem für Ökumene und interreligiösen Dialog zuständig. Seit 2012 war er dort stellvertretender Generalvikar und Domdekan. In einem Interview sagte Meier einmal, dass er die Ökumene "mit der Muttermilch" aufgesogen habe: Sein Vater sei ein sehr engagierter evangelischer Christ gewesen, die Mutter katholisch. Ökumene habe er also von Kindesbeinen an erlebt. Seit Jahren ist Meier in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK) aktiv: von 2002 bis 2011 als Vorsitzender in Augsburg und seit 2013 als Vorsitzender in Bayern.
Paderborn (epd). Der Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Paderborn, Volker Neuhoff, zeigt sich betroffen von Bedrohungen von Kommunalpolitikern durch Extremisten und fordert Solidarität. Zunehmend gerieten öffentlich sichtbare Vertreterinnen und Vertreter aus der Politik in den Fokus von Wut- und Hassbürgern, sagte Neuhoff am 29. Januar in Paderborn. "Es ist erschreckend, wie aus Hetze Gewalt wird." Bildung und Sozialkompetenz entwickelten sich hier immer mehr zum Dreh- und Angelpunkt für mehr Zusammenhalt in der Gesellschaft. "Wir brauchen zudem mehr Stopp-Rufe gegen die Eskalationsexzesse", mahnte Neuhoff.
Der Superintendent verwies auf eine Anregung der westfälischen Präses Annette Kurschus, zum anstehenden Kommunalwahlkampf lokale Bündnisse für Fairness, Respekt und Toleranz zu bilden. "Unser Kirchenkreis steht gern als Moderator zur Verfügung, wenn dies von den politischen Gruppierungen gewünscht wird", sagte Neuhoff vor rund 100 Gästen aus Kirche, Politik, Soziales und Wirtschaft.
Der Theologe beklagte insgesamt eine Verrohung der Gesellschaft. Auch Rettungskräfte, Ärztinnen und Pfleger erlebten zunehmend verbale und körperliche Übergriffe. "Ich bitte Sie darum, sich in Ihrer Menschenfreundlichkeit und Hilfsbereitschaft nicht erschüttern zu lassen", wandte sich Neuhoff an die anwesenden Gäste aus dem diakonisch-caritativen Bereich und dankte für ihren Einsatz.
Der Kirchenkreis Paderborn begeht in diesem Jahr sein 180-jähriges Bestehen. Zudem wurde vor 30 Jahren die Partnerschaft mit dem Kirchenkreis Kusini B in Tansania ins Leben gerufen. Der Kirchenkreis bleibt laut Superintendent seiner Gemeinwesenorientierung treu. So sei unter anderem ein Fachtag Inklusion geplant. Eine Sozialkonferenz am 21. März vom "Bündnis Kirchen und DGB" beschäftigt sich mit Veränderung von Qualifikation und Arbeit in der digitalen Welt, wie es hieß. Die nächste Kreissynode im Herbst widme sich dem Thema Jugendarbeit. Darüber hinaus habe sich der Kirchenkreis das Ziel "Klimaneutralität" gesetzt: "Zu den vielen kleinen Schritten gehört zum Beispiel, für die vielen Dächer, unter denen kirchliches Leben stattfindet, Photovoltaikanlagen zu prüfen", sagte Neuhoff.
Darmstadt (epd). Opernsänger Mark Adler tauscht die Bühne gegen die Kanzel. Der 51-Jährige werde evangelischer Pfarrer, teilte die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau am 28. Januar in Darmstadt mit. Vor kurzem habe Adler die praktische Ausbildung für den Pfarrdienst in der Evangelischen Kirchengemeinde Georgenhausen-Zeilhard im Evangelischen Dekanat Vorderer Odenwald begonnen.
Aufgewachsen in Berlin studierte Mark Adler nach dem Abitur Gesang und arbeitete jahrzehntelang als lyrischer Tenor an verschiedenen Bühnen. Mit dem festen Engagement am Darmstädter Staatstheater zog er 2005 mit Frau und Kindern nach Südhessen. Seit fünf Jahren lebt die Familie in Darmstadt.
Mit Ende 40 habe sich Adler dann entschieden, seinem Leben "eine neue Wendung und mehr Sinn zu geben" und in Heidelberg den berufsbegleitenden Masterstudiengang Theologie zu studieren, sagte Pressesprecher Volker Rahn. "Er wollte das umsetzen, was er sich nach dem Abitur nicht zugetraut hatte."
Inzwischen hat er schon mehrerer Gottesdienste gestaltet. Außerdem hat er das Predigerseminar in Herborn besucht und Religionsunterricht erteilt. "Ich bin super gerne in der Grundschule und es macht mir Riesenspaß", sagte Adler.
Osnabrück (epd). Das Taufbecken quillt über von Müslitüten, Deckeln und Joghurtbechern. Schokoriegel-Verpackungen und zerfetzte Plastikbeutel schweben auf die Köpfe der Gottesdienstbesucher herab. Die Hamburger Künstlerin Swaantje Güntzel hat am 2. Februar Plastikmüll in der Osnabrücker Lutherkirche verteilt. Die Zeit sei reif für solche "Grenzüberschreitungen", sagte die 47-Jährige im Anschluss an den Gottesdienst: "Ich möchte deutlich machen, wie enthemmt wir uns gegenüber der Schöpfung benehmen." Die meisten der rund 150 Besucher reagierten verstört, aber mit viel Zuspruch.
Erstmals hatte sich Güntzel für ihre Kunstaktion eine Kirche ausgesucht. Seit zwölf Jahren arbeite sie mit Performances, Installationen, Fotos und Skulpturen zum Thema Plastikmüll und Verschmutzung von Meer und Umwelt, erläuterte sie, die selbst aus der Kirche ausgetreten ist. Im Rahmen der Reihe "Der andere Gottesdienst" war die Künstlerin in der Südstadtkirchengemeinde zu Gast. Das Format soll mit ungewöhnlichen Impulsen Menschen ansprechen, die traditionellen Gottesdiensten skeptisch gegenüberstehen.
Pastorin Ina von Häfen betonte, für sie habe es einen tieferen Sinn, den Müll in einer Kirche zu verteilen und dabei weder das Taufbecken noch den Altarraum auszusparen: "Es gibt keinen heiligen Ort, der noch frei wäre von Müll. Denn der heilige Ort ist unsere Erde." Sie selbst könne, seitdem sie den Müll, den sie zuvor gemeinsam mit ihrem Team in der unmittelbaren Umgebung der Lutherkirche gesammelt und gereinigt habe, nicht so weitermachen wie zuvor.
Sie hoffe, dass auch andere Menschen aufwachten und mit kleinen Schritten versuchten, ihre Lebensweise zu ändern, betonte von Häfen und ergänzte: "Gott, gib uns die Kraft, uns zu trennen vom Überfluss, vom schönen Schein und dem Gedanken, dass wir alles machen können, was wir wollen."
Pastorin und Künstlerin ernteten viel Zustimmung. "Es sollte ja wohl wehtun. Das ist der Künstlerin gelungen", sagte Joachim Behrens (61). Johannes Tarras (22) sagte, der Müll im Taufbecken und die Predigt hätten ihn sehr nachdenklich gemacht. "Man muss manchmal anstößige Dinge tun, um etwas zu erreichen", fasste eine ältere Dame die Meinung der Umsitzenden zusammen.
Washington (epd). In zahlreichen protestantischen Kirchengemeinden in den USA gehört das Tragen von Schusswaffen laut einer Pastorenbefragung des evangelikalen Instituts LifeWay Research zu den Sicherheitsvorkehrungen. Bewaffnete Gemeindemitglieder seien Teil ihrer vorbeugenden Planung, hätten 45 Prozent der befragten protestantischen Pastoren gesagt, teilte LifeWay am 28. Januar mit. 23 Prozent beschäftigten bewaffnete Sicherheitsdienste.
Nach Angaben des Baptistischen Informationsdienstes haben sich seit dem Jahr 2000 19 tödliche Schießereien in US-Kirchen zutragen. 2017 erschoss ein Mann 26 Menschen in einer Baptistenkirche in Sutherland Springs in Texas. 2015 ermordete ein junger Weißer neun afrikanisch-amerikanische Mitglieder einer Bibelgruppe in Charleston in South Carolina.
Laut LifeWay Research gibt es regionale Unterschiede. Pastoren im Süden und im Westen der USA erklärten eher als Pastoren im Nordosten, in ihren Gemeinden seien manche Mitglieder bewaffnet. 71 Prozent der befragten Pastoren pfingstkirchlicher Gemeinden und 65 Prozent baptistischer Pastoren gaben an, bewaffnete Gemeindemitglieder gehörten zu ihrem Sicherheitsplan. 27 Prozent lutherischer und 32 Prozent methodistischer Pastoren erklärten bei der Erhebung, bewaffnete Mitglieder sorgten bei ihren für Sicherheit. LifeWay Research hat 1.000 Pastoren telefonisch befragt.
Im Dezember 2019 hatte laut Medienberichten ein bewaffnetes Gemeindemitglied der "West Freeway Church of Christ" in dem Ort White Settlement in Texas einen Attentäter erschossen. Der Mann hatte beim Gottesdienst zwei Menschen ermordet.
Düsseldorf (epd). Jacques Tilly setzt ihnen rote Karnevalsnasen auf: Die evangelische Pfarrerin trägt eine grelle Pappnase, der katholische Bischof ebenso. Auch ein jüdischer Rabbiner und ein muslimischer Imam sind vor blauem Hintergrund auf den Seiten des interreligiösen "Toleranzwagens" zu sehen. Die Theologen sind karnevalistisch gut gelaunt.
Zum zweiten Mal zieht beim Rosenmontagszug in Düsseldorf ein Wagen der Religionsgemeinschaften durch die Straßen. Juden, Protestanten, Katholiken und Muslime stellten am 27. Januar den Mottowagen vor. Ihn gestaltete der bundesweit bekannte Wagenbauer Tilly.
Eine Besonderheit ist diesmal: Auf dem Wagen sind Mitglieder des überwiegend aus homosexuellen Muslimen bestehenden Kulturvereins "Orient-Okzident-Express - Engagierte Muslime im Rheinland" vertreten. Nach den Worten seines Vorsitzenden Ataman Yildirim hat der Verein für die Teilnahme die "vollste Unterstützung" des Kreises der Düsseldorfer Muslime (KDDM), der diesmal nicht mehr auf dem Wagen mitfährt.
Yildirim hofft, dass auf diese Weise "Muslime auch zu Playern im Karneval werden und diese gelebte Vielfalt mitgestalten". Er selbst habe beim Karneval erfahren, "dass das Paradies ja schon hier auf der Erde ist und man nicht erst sterben muss, um das zu entdecken", sagt der Sozialarbeiter.
Auf dem "Toleranzwagen" ist deshalb laut Yildirim auch Hodscha Nasreddin als Held humoristischer Geschichten zu sehen. Nasreddin sitzt falsch herum auf einem Esel und will damit zeigen, dass man - egal wie - seinen Weg gehen kann. Nasreddin gilt als Pendant zu Till Eulenspiegel. "Einer muss den Narren spielen", meint Yildirim, dessen Verein "für alle offen da ist, die ein offenes Herz haben".
Der "Toleranzwagen" mit einer Besatzung von insgesamt 32 Närrinnen und Narren der vier Religionsgemeinschaften zeigt auch vier Symbole der Religionen und jeweils eines der Gotteshäuser in Düsseldorf. Über allem schwebt das närrische Sessionsmotto in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt: "Unser Rad schlägt um die Welt", das der Brauchtumsfigur des Düsseldorfer Radschlägers huldigt.
Den Radschläger gab es nach den Worten des kommissarischen Stadtdechanten Frank Heidkamp vom katholischen Gemeindeverband Düsseldorf bereits im Jahr 1288. Damals feierte man in Düsseldorf den Sieg von Graf Adolf über das Heer des Kölner Erzbischofs. "Die Kinder schlugen das Rad vor Freude und Begeisterung über den Frieden", erzählt Heidkamp. Heute solle das Karnevalsmotto deutlich machen, "dass wir uns alle freuen, wenn es auf der ganzen Welt mehr Frieden, Toleranz und Freude gibt". Er sehe den Toleranzwagen auch "als gutes Zeichen dafür, dass wir uns hier in der Stadt auf den Weg dafür machen", betont der katholische Geistliche.
In Zeiten mit zunehmendem Antisemitismus und Islam- und Christenfeindlichkeit wollen die vier Religionsgemeinschaften auch hierzulande "ein Zeichen setzen, dass wir zusammen Karneval feiern und gemeinsam Spaß haben können", erklärt Düsseldorfs Oberbürgermeister Thomas Geisel (SPD). Er wünsche sich, dass die Idee des Toleranzwagens auch in anderen Karnevalsstädten Nachahmer findet.
Erneut sollen wieder rund zwei Tonnen Wurfmaterial vom Wagen der Religionen ins närrische Volk geworfen werden. Darunter auch eine halbe Tonne koschere Kamellen, die die Jüdische Gemeinde bereitstellt.
2021 zieht der "Toleranzwagen" jedoch nicht mehr in Düsseldorf mit, wie Koordinator Walter Schuhen von der Jüdischen Gemeinde sagt: "Dann ist das Projekt offiziell beendet, was im nächsten Jahr passiert, ist noch unklar." Der Superintendent des evangelischen Kirchenkreises Düsseldorf, Heinrich Fucks, will das Thema beim kommenden Rat der Religionen in der Stadt ansprechen. Vielleicht könne man ja auch die Buddhisten, Hinduisten oder orthodoxen Christen zur Teilnahme an einem neuen Projekt gewinnen.
Frankfurt a.M. (epd). Experten und Hilfsorganisationen kritisieren den Plan der griechischen Regierung, eine schwimmende Barriere gegen Flüchtlingsboote auf dem Mittelmeer zu errichten. Aus Sicht des Migrationsforschers Jochen Oltmer hat die Abschottung Europas damit eine weitere "Eskalationsstufe" erreicht: "Das ist eindeutig rechtswidrig und bringt Menschen zusätzlich in Gefahr. Damit wird den Menschen die Möglichkeit genommen, ihr Asylbegehren überhaupt vorzubringen", sagte der Wissenschaftler am 30. Januar dem epd. Der Präsident der Diakonie, Ulrich Lilie, nannte das Vorhaben unmenschlich. "Die Grenzbarrieren halten Flüchtende nicht auf, auch nicht, wenn sie im Meer installiert werden."
Das griechische Verteidigungsministerium will nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" den Bau einer 2,7 Kilometer langen schwimmenden Barriere in Auftrag geben. Sie soll Flüchtlinge daran hindern, von der Türkei aus auf griechische Inseln überzusetzen.
Die EU-Kommission will die griechischen Behörden kontaktieren, um die Maßnahme und deren Ziel besser zu verstehen, sagte ein Kommissionssprecher am Donnerstag in Brüssel. Das Errichten von Barrieren an den EU-Grenzen verstoße zwar nicht per se gegen das EU-Recht, machte er klar. Auf der anderen Seite dürften derartige Barrieren Menschen aber nicht daran hindern, Asyl zu beantragen. Auch der Grundsatz der Nicht-Zurückweisung (Non-refoulement) müsse beachtet werden.
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen bezeichnete das Vorhaben als "Offenbarungseid": Solche Barrieren seien bislang nur gegen Ölteppiche eingesetzt worden. Der Friedensnobelpreisträger EU verliere mit dieser Politik jede Berechtigung, sich als "Hort der Menschenrechte" aufzuspielen, sagte Geschäftsführer Kai Weber. Weil die EU sich nicht auf eine gemeinsame Flüchtlingsaufnahmepolitik einigen könne, gehe Griechenland immer rabiater gegen Flüchtlinge vor. Auf den griechischen Inseln würden die Flüchtlinge "wie der letzte Dreck" behandelt.
Diakonie-Präsident Lilie sagte: "Die Bundesregierung und die EU- Länder drücken sich seit Monaten um Lösungen für die überfüllten Flüchtlingslager auf den griechischen Inseln." Der Hilferuf des griechischen Migrationsministers im Herbst sei unbeantwortet geblieben. "Dabei wäre es weder finanziell noch logistisch ein Problem, die dort in menschenunwürdigen Zuständen gestrandeten Menschen hier in Deutschland aufzunehmen", betonte Lilie. "Abschottung ist nicht die richtige Antwort, sie vergrößert nur die Unmenschlichkeit."
Oltmer erläuterte, der Europäische Gerichtshofs für Menschenrechte habe klar geurteilt, dass ein "Push back", also ein Zurückweisen von potenziell Asylberechtigten, grundsätzlich nicht zulässig sei. Der Historiker, der am Institut für Migrationsforschung der Universität Osnabrück lehrt, betonte, es werde schon seit einigen Jahren versucht, die Grenzen Europas vorzuverlagern und etwa in "Hotspots" in Afrika über Asylanträge zu entscheiden. So solle die libysche Küstenwache im Auftrag der EU Menschen daran hindern, sich auf den Weg nach Europa zu machen. Die Seenotrettung auf dem Mittelmeer werde behindert.
Dortmund (epd). Der Verwaltungsvorstand der Stadt Dortmund will 20 bis 30 Menschen aus griechischen Flüchtlingslagern aufnehmen. Der Rat werde am 13. Februar über den Vorschlag entscheiden, teilte die Stadt am 28. Januar mit. Gemeinsam mit den anderen Städten des Bündnisses "Sichere Häfen" fordere man den Bund auf, die von den Kommunen angebotenen Aufnahmeplätze auch in Anspruch zu nehmen und Griechenland ein entsprechendes Angebot unterbreiten. Über die Aufnahme Geflüchteter entscheidet letztendlich die Bundesregierung. Die Kommunen könnten lediglich Aufnahmebereitschaft signalisieren.
Im Mai 2019 hatte Dortmund sich mit der Initiative "Seebrücke" solidarisiert und die Stadt zu einem "Sicheren Hafen" für Geflüchtete erklärt. Vertreter der 29 NRW-Städte und Gemeinden des Bündnisses trafen sich Mitte Januar in Bielefeld, um Forderungen an Land und Bund zu formulieren. So bieten die NRW-Kommunen auch an, unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge aufzunehmen. Jede Kommune soll dafür eigene Kontingente festlegen. Sie bitten das Land dabei um finanzielle Unterstützung.
Unabhängig von der Initiative fordern die NRW-Kommunen weiterhin von der Landesregierung, für eine auskömmliche Refinanzierung der Flüchtlingskosten der Kommunen zu sorgen. Die Refinanzierung durch das Land NRW liege bezogen auf alle Flüchtlinge bei 38 Prozent. Andere Bundesländer refinanzierten die Kosten vollständig.
Die zivilgesellschaftliche Initiative "Seebrücke" und die Städte des Bündnisses "Sichere Häfen" stellen sich nach eigenen Angaben gegen "die Abschottungspolitik Europas" und will mehr Menschen ein sicheres Ankommen ermöglichen.
Washington (epd). Mit Empörung haben Menschenrechtsverbände auf US-Präsident Donald Trumps Beschluss reagiert, Vorschriften gegen den Einsatz von Landminen aufzuheben. Die Neuerung zeige, dass die Regierung internationale Normen komplett missachte, sagte ein Direktor der "Ärzte für Menschenrechte", Michael Payne. Landminen töteten und verwundeten unterschiedslos und zerstörten Nutzland und Vieh.
Das Weiße Haus teilte am 31. Januar mit, Trump habe die Vorschriften seines Vorgängers Barack Obama von 2014 gegen den Einsatz von Antipersonenminen aufgehoben. Allein auf der zwischen Nord und Süd gespaltenen koreanischen Halbinsel hatte Obama den Einsatz erlaubt. Trump begründete, er wolle seinen Streitkräften "Flexibilität und die nötigen Kapazitäten zum Siegen" geben.
Landminen werden unter der Erdoberfläche verlegt und bleiben häufig noch viele Jahre nach einem Konflikt gefährlich. In Dutzenden Ländern verbleiben diese Minen. Als besonders stark minenverseucht gelten Afghanistan, Mosambik und Angola. Der Verband "Human Rights Watch" wies Trumps Begründung der militärischen Notwendigkeit zurück. Seit 1991 hätten die USA keine Antipersonenminen verwendet.
Der 1997 geschlossene "Ottawa-Vertrag" verbietet Herstellung, Lagerung und Einsatz von Antipersonenminen. Mehr als 160 Nationen sind diesem Vertrag beigetreten, jedoch nicht die USA, Russland und China. Der demokratische US-Senator Patrick Leahy kritisierte Trumps Entscheidung. Die USA hätten "Milliarden von Dollars" ausgegeben für Minenräumung. Das habe den USA "riesengroßes Wohlwollen gebracht auch von früheren Feinden".
US-Verteidigungsminister Mark Esper rechtfertigte Trumps Beschluss. Landminen seien ein wichtiges Werkzeug zum Erfolg, und um das Risiko für die eigenen Soldaten zu verringern, sagte Esper laut Rundfunksender NPR. Die Streitkräfte wollten auch auf die "Sicherheit der Zivilisten" Rücksicht nehmen.
Essen, Köln (epd). Die Menschenrechtsorganisation Urgewald und der Dachverband der Kritischen Aktionäre haben den Essener Stahlkonzern Thyssenkrupp dazu aufgerufen, Rüstungsexporte in die Türkei sowie nach Ägypten und Brasilien zu unterlassen. Die Lieferung von Kriegsschiffen könne die Lage in Kriegs- und Krisengebieten weiter eskalieren lassen, erklärten die Organisationen am 30. Januar. Am 31. Januar müsse sich auch der Aufsichtsrat von Thyssenkrupp auf der Hauptversammlung in Bochum damit beschäftigen, wenn die Kritischen Aktionäre entsprechende Gegenanträge einbringen.
"Thyssenkrupp setzt seinen Kurs fort, Schiffe auch an kriegführende Staaten und solche mit verheerenden menschenrechtlichen Bilanzen zu liefern", kritisierte Barbara Happe von Urgewald im nordrhein-westfälischen Sassenberg. Christian Russau von den Kritischen Aktionären in Köln warnte vor der Aufrüstung der Pulverfässer dieser Welt.
Thyssenkrupp baut nach Angaben der Organisationen gemeinsam mit türkischen Unternehmen sechs U-Boote mit Materiallieferungen aus Deutschland. Damit werde das Ziel der Türkei unterstützt, rüstungstechnisch unabhängig zu werden, kritisierten Urgewald und die Kritischen Aktionäre. Sie erinnerten zudem an den türkischen Einmarsch in Syrien Anfang 2018 und im Herbst 2019.
Das Essener Unternehmen plane außerdem, weitere Schiffe nach Ägypten zu exportieren. Das Land gehe harsch gegen jede Art von Opposition vor und unterstütze die von Saudi-Arabien geführte Militärkoalition im Krieg im Jemen.
Verhandlungen über vier Korvetten mit Brasilien seien zudem fast abgeschlossen. Diese Pläne nannte Russau unverantwortlich: Brasiliens rechtsextremer Präsident Jair Bolsonaro trete völlig unberechenbar auf. Auch sei in den vergangenen Monaten das Konfliktszenario zwischen Venezuela und Brasilien spürbar gestiegen.
Bonn (epd). Friedensinitiativen, Menschenrechtsorganisationen und kirchliche Gruppen haben den sofortigen Stopp der Rekrutierung Minderjähriger durch die Bundeswehr gefordert. Die Zahl 17-jähriger Rekruten sei im vergangenen Jahr erneut gestiegen, kritisierte die Kampagne "Unter 18 nie!" in Bonn. Im Jahr 2019 traten 1.706 Minderjährige ihren Dienst bei der Bundeswehr an, 27 mehr als im Vorjahr. Das geht aus dem aktuellen Bericht des Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels (SPD) hervor.
Die in dem Bericht dokumentierten Missstände wie zahlreiche Fälle von verbaler und physischer Gewalt, sexuelle Übergriffe, Mobbing, Alkoholismus oder rechtsextreme Propaganda verdeutlichten einen mangelnden Jugendschutz bei der Bundeswehr, erklärte Sarah Gräber, Sprecherin der Kampagne. Sie forderte eine Informationspflicht, bei wie vielen solcher Vorfälle Minderjährige betroffen sind. Bisher veröffentlichten die Bundeswehr und das Verteidigungsministerium keine expliziten Zahlen über Vorfälle, die minderjährige Soldatinnen und Soldaten betreffen.
In der Kampagne "Unter 18 nie! Keine Minderjährigen in der Bundeswehr" haben sich zehn Organisationen aus den Bereichen Kinderrechte, Kirche, Gewerkschaften und Friedensbewegung zusammengeschlossen. Dazu zählen das Kinderhilfswerk Terre des Hommes (Osnabrück), das Netzwerk Friedenskooperative, die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK), Pax Christi sowie die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Sie fordern, das Rekrutierungsalter für den Militärdienst auf 18 Jahre anzuheben sowie ein Verbot jeglicher Bundeswehrwerbung bei Minderjährigen.
Münster/Düsseldorf (epd). Der NRW-Verfassungsgerichtshof hat am 28. Januar sieben AfD-Landtagsabgeordneten recht gegeben, die in einem Organstreitverfahren auf Auskunftspflicht der Düsseldorfer Landesregierung geklagt hatten. Eine parlamentarische Anfrage der AfD zu sogenannten gefährlichen Orten in Nordrhein-Westfalen sei nur unzureichend beantwortet worden, heißt es in dem veröffentlichten Urteil (AZ: VerfGH 5/18). Auch eine für den Fall des Bekanntwerdens befürchtete Stigmatisierung oder eine Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung rechtfertigten eine Geheimhaltung einzelner Orte nicht, erklärte die Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs, Ricarda Brandts, in der mündlichen Verhandlung.
Der Fall reicht über zwei Jahr zurück. Die sieben AfD-Politiker wollten im November 2017 in einer großen parlamentarischen Anfrage wissen, welche Stadtteile, Straßen und Plätze von der Polizei im Zeitraum zwischen 2010 und 2017 als "gefährlich" eingestuft wurden. In ihrer Antwort vom 2. Mai 2018 weigerte sich die Landesregierung, die 44 Orte zu benennen, sondern gab nur eine Übersicht nach dem Zuständigkeitsbereich der jeweiligen Kreispolizeibehörde heraus. Sie argumentierte, dass neben einer Stigmatisierung der betroffenen Bewohner auch die Polizeiarbeit durch eine Veröffentlichung erschwert werden könnte. Außerdem hätten die begehrten Informationen nur begrenzte Aussagekraft, weil solche Einstufungen stets von der täglichen Lagebeurteilung abhingen, also nur auf Momentaufnahmen beruhten.
Laut dem Urteil des Verfassungsgerichtshofes hätte die Landesregierung die Auskunft nicht pauschal verweigern dürfen. Damit habe sie den gesetzlichen Informationsanspruch der Antragsteller verletzt, erklärte Brandts. Zwar gehörten die Funktions- und Arbeitsfähigkeit der Polizei zu den Belangen des Staatswohls, die grundsätzlich eine Geheimhaltung der einzelnen Orte rechtfertigen könnten. Die Landesregierung wäre jedoch verpflichtet gewesen, die Geheimhaltungsbedürftigkeit für jeden der Orte zu prüfen und mit dem Informationsanspruch der Antragssteller sorgfältig abzuwägen.
Oswiecim (epd). "Lebendige Leichen" haben zwei US-Soldaten Menschen wie ihn 1945 bei der Befreiung genannt. Pavel Taussig hatte das NS-Konzentrationslager Auschwitz überlebt, das am 27. Januar vor 75 Jahren von der Roten Armee erreicht wurde. Seine eigene Rettung erlebte Taussig erst am 4. Mai in Gunskirchen in Österreich. Er sei damals dem Tode geweiht gewesen, erzählt der 86-Jährige heute. Die Häftlinge waren geschwächt - von Auschwitz, dem Todesmarsch und dem KZ Mauthausen als Zwischenstation.
Jetzt gab es gar nichts mehr zu essen. Im Wasserfass des Lagers entdeckte Taussig eine Frauenleiche und stellte auch das Trinken ein. Die Schreckensorte verlassen ihn bis heute nicht. In Auschwitz selbst war er vor fünf Jahren zuletzt. "Eigentlich dachte ich, das reicht jetzt", erzählte er am Montag - als er erneut dorthin aufbrach.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte Taussig eingeladen, ihn zur Gedenkveranstaltung zum 75. Jahrestag der Befreiung dorthin zu begleiten. Taussig willigte ein: "So weit habe ich es noch nie gebracht." Am Ende freute er sich auch, dass er Menschen wiedersehen würde, die er seit dem gemeinsamen Transport an den deutschen Schreckensort nicht mehr gesehen hatte.
Rund 200 Holocaust-Überlebende erwartete die Gedenkstätte zum 75. Jahrestag der Befreiung. Die Zeitzeugen werden weniger. Rund 300 waren es noch vor fünf Jahren. Doch ihre Worte über das Erlebte sind noch immer am wirkungsvollsten, um die Dimension der nationalsozialistischen Verbrechen zu begreifen. Bei der Gedenkfeier stehen sie im Mittelpunkt - vier Überlebende halten dort am Montag Reden.
"Wir ringen um Worte, wenn wir das Ausmaß beschreiben wollen", sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am historischen Ort. Auch deshalb ließ er bei seiner ersten Reise in die Gedenkstätte von drei Überlebenden begleiten. Gemeinsam mit ihnen, seiner Frau Elke Büdenbender und Vertretern des Zentralrats der Juden besichtigte Steinmeier das Lager am 75. Jahrestag der Befreiung.
In den Morgenstunden des 27. Januar 1945 erreichten Sowjettruppen den Lagerkomplex, in dem die Nationalsozialisten mehr als 1,1 Millionen Menschen umgebracht haben. 7.000 Menschen konnten sie befreien aus dem mit Stacheldrahtzaun umrundeten Gelände nahe der Ortschaft Oswiecim zwischen Katowice und Krakau.
Bei der Führung werden Details der Geschichte wieder wachgerufen: Das Giftgas Zyklon B wurde in Auschwitz erstmals eingesetzt, Instrument des industrialisierten Massenmords der Nazis. Rund 80 Prozent der Menschen, die mit Zügen hierhin deportiert wurden, wurden in den Gaskammern unmittelbar ermordet. Krematorien wurden geplant, die 12.000 Menschenleichen pro Tag verbrennen sollten.
Sichtlich berührt legt Steinmeier einen Kranz an der Todeswand, der Exekutionsstätte neben dem lagereigenen Gefängnis ab. Minutenlang hält er mit geneigtem Kopf davor inne.
"Auschwitz ist ein Ort des Grauens und ein Ort deutscher Schuld", schreibt Steinmeier nach seiner Führung in das Gästebuch der Gedenkstätte. "Wer den Weg in die Barbarei von Auschwitz kennt, der muss den Anfängen wehren", heißt es weiter in dem Eintrag. Das sei Teil der Verantwortung, "die keinen Schlussstrich kennt".
Auschwitz sei "auch die Mahnung, dass wir erinnern, um im Hier und Jetzt vorbereitet zu sein", sagt Steinmeier danach vor Journalisten und geißelt völkisches Denken, Rassenhass und "nationale Raserei". Wie schon in Israel in der vergangenen Woche schlägt er den Bogen zur Gegenwart - die Zunahme antisemitischer Taten, Tendenzen nationaler Abschottung. Auch die Überlebenden ziehen Parallelen. Bat-Sheva Dagan sagt bei der Gedenkfeier, die Opfer und Überlebenden des Holocaust dürften nie vergessen werden. Ihnen sei man es schuldig, dass Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus nie wieder eine Chance haben.
Und auch Pavel Taussig, der 1968 aus seiner tschechischen Heimat in die Bundesrepublik ausreiste, ist alarmiert. Angesprochen auf heutigen Antisemitismus in Deutschland sagt er, es gebe ja Menschen, die sich dabei weniger Sorgen machen würden. "Ich mache mir mehr Sorgen", sagt er.
Berlin (epd). In der Gedenkstunde des Bundestags für die Opfer des Holocaust haben Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der israelische Präsident Reuven Rivlin Widerstand gegen völkisches Denken und Fremdenhass gefordert. Wer das Andenken der Opfer des Holocaust ehren wolle, müsse Demokratie und Rechtsstaat schützen, sagte Steinmeier am 29. Januar in seiner Rede in Berlin. Rivlin äußerte sich besorgt darüber, dass Europa von den "Geistern der Vergangenheit heimgesucht" werde. Er appellierte an die besondere Verantwortung Deutschlands gegen Nationalismus, Fremdenhass und Antisemitismus - und dafür, die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten.
"Die bösen Geister der Vergangenheit zeigen sich heute in neuem Gewand", sagte Steinmeier. "Ich fürchte, auf all das waren wir nicht genügend vorbereitet." Diese Prüfung müsse Deutschland bestehen. "Das sind wir der Verantwortung vor der Geschichte, den Opfern und auch den Überlebenden schuldig", sagte er.
Für Steinmeier und Rivlin war die Gedenkstunde im Bundestag der Schlusspunkt mehrerer gemeinsamer und symbolträchtiger Erinnerungsveranstaltungen innerhalb der vergangenen Woche. Steinmeier redete am 23. Januar als erstes deutsches Staatsoberhaupt in der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Rivlin und Steinmeier besuchten zudem am 27. Januar gemeinsam das frühere Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz und gingen dort gemeinsam durch das berühmte Tor mit der Inschrift "Arbeit macht frei". Gemeinsam flogen sie danach nach Berlin.
Mit ihrem freundschaftlichen Verhältnis demonstrierten beide auch immer wieder die Verbindung zwischen Israel und Deutschland. "Die Versöhnung ist eine Gnade, die wir Deutsche nicht erhoffen konnten oder gar erwarten durften", sagte Steinmeier im Bundestag. Rivlin lobte Deutschland als "Leuchtturm" für die Verteidigung liberaler Werte in Europa. Wenn Juden dort heute nicht frei leben könnten, könnten sie es auch nicht woanders auf der Welt, sagte er.
"Wir vergessen nicht, was geschehen ist! Wir vergessen auch nicht, was geschehen kann", versprach Steinmeier Rivlin. Zugleich forderte er, neue Formen des Gedenkens für junge Menschen zu finden und wandte sich gegen jede Instrumentalisierung der Vergangenheit. Geschichte dürfe nicht zur Waffe werden, sagte Steinmeier. Rund 30 Minuten redete Rivlin nach Steinmeier, betonte die Verantwortung Deutschlands, übte aber auch scharfe Kritik am Iran und begrüßte die Überlegungen von US-Präsident Donald Trump für Frieden im Nahen Osten.
Mehr als eine Million Menschen hatten die Nationalsozialisten in der "Todesfabrik" Auschwitz - so formulierte es Steinmeier - ermordet. Am 27. Januar 1945 befreiten sowjetische Truppen das Lager. 1996 wurde der Tag vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus proklamiert. Die Gedenkstunde des Bundestags hat seitdem Tradition.
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble wandte sich in seiner Ansprache gegen jedes Kleinreden oder Umdeuten der Nazi-Verbrechen heute. "Es gibt kein heilsames Schweigen über Auschwitz", sagte Schäuble mehrfach: "Es gehört zum gesellschaftlichen Grundkonsens, diese historische Verantwortung anzunehmen."
Bielefeld, Düsseldorf (epd). Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) erhält den Israel-Jacobson-Preis der Union progressiver Juden in Deutschland. Der undotierte Preis würdige Laschets Verdienste für das liberale Judentum sowie die Stärkung des jüdischen Lebens in Nordrhein-Westfalen, teilte die Union progressiver Juden in Deutschland (UpJ) am 28. Januar in Bielefeld mit.
In der Begründung wurden auch der persönliche Einsatz des CDU-Politikers für die Begegnung zwischen Religionen und Kulturen sowie sein engagiertes Auftreten gegen Antisemitismus genannt. Die Preisverleihung findet am 2. März in der Neuen Synagoge - Centrum Judaicum in Berlin statt. Die Laudatio hält der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Abraham Lehrer.
Vor einem Jahr habe Laschet mit einer Gruppe von jungen Juden, Christen und Muslimen die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau besucht, hieß es weiter. Als Folge sei die Initiative zur Gründung des Vereins "begegnen e.V." entstanden, mit dem interreligiöse Begegnung in Nordrhein-Westfalen unterstützt wird. Ebenso setze sich der nordrhein-westfälische Ministerpräsident für das Themenjahr "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" ein. Ausgehend von Köln werde im Jahr 2021 deutschlandweit eine Vielzahl von Programmen auf das Jubiläum der ersten verbürgten Nennung einer jüdischen Gemeinde nördlich der Alpen im Jahr 321 verweisen.
Die Auszeichnung ist nach dem Begründer des liberalen Judentums in Deutschland, Israel Jacobson (1768-1828), benannt. Er wird seit 2001 alle zwei Jahre verliehen. Preisträger im Jahr 2018 war der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke). Die Union progressiver Juden in Deutschland mit Hauptsitz in Bielefeld wurde 1997 gegründet und vertritt derzeit nach eigenen Angaben bundesweit 26 liberale jüdische Gemeinden und Organisationen.
Münster (epd). Antisemitismus und Ausgrenzung von Juden aus der Gesellschaft geht nach den Worten der NRW-Antisemitismusbeauftragten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger alle an. Entscheidend sei, das Bewusstsein dafür in der Gesellschaft zu stärken, sagte sie am 31. Januar in Münster. Erinnern und aus der Geschichte zu lernen reiche nicht. In den vergangenen Jahren hätten antisemitische Pöbeleien, verbale Übergriffe und Gewalttaten zugenommen, betonte Leutheusser-Schnarrenberger.
Die Straftaten seien nicht nur als Angriffe auf jüdische Mitbürger zu werten, sondern als Angriff auf die demokratische Grundordnung insgesamt. Der erste Paragraf des Grundgesetzes, "Die Würde des Menschen ist unantastbar," treffe keinerlei Unterscheidung, betonte die frühere FDP-Bundesjustizministerin. Zum Thema Antisemitismus brauche es zudem feste Bausteine, die in keiner Aus-, Fort- und Weiterbildung von Lehrern, Polizei- und Justizbeamten egal welcher Laufbahn fehlen dürften.
Dorsten/Münster (epd). Eine neue Informationsbroschüre soll über Judenfeindlichkeit heute aufklären. Das pädagogische Pilotprojekt "Antisemi…was? Reden wir darüber!" sei vor allem für den Schulunterricht entwickelt worden, um Jugendliche zur Auseinandersetzung mit dem Thema anzuregen, teilte das Jüdische Museum am 29. Januar in Dorsten mit. Das 23 Seiten umfassende Heft liefere Antworten auf sieben antisemitische Stereotype.
Dabei gehe um Fragen wie "Warum ist 'Du Jude' ein Schimpfwort?", "Ist Antisemitismus eine Form von Rassismus?" oder "Darf man Israel kritisieren?". Diese würden in kurzen Texten beantwortet, die neben Hintergrundinformationen auch Argumentationshilfen zur Entkräftung von Vorurteilen bereithielten.
Das Präventionsprojekt ist eine Kooperation des Jüdischen Museums mit dem NS-Geschichtsort Villa ten Hompel in Münster und dem Kreis Recklinghausen. Die Broschüre ist Teil des Handlungskonzeptes gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus des Kreises und wurde im Rahmen des Landesprogramms "NRWeltoffen" finanziert, wie es hieß.
Die Broschüre kann in digitaler Form heruntergeladen werden auf den Homepages: www.jmw-dorsten.de, www.antisemi-was.de, www.kreis-re.de/ki
Bielefeld (epd). Islamistische und rechtsextreme Gruppen agieren im Internet offenbar ähnlich. "Sowohl islamistische als auch rechtsextremistische Gruppen nutzen teilweise identische Strategien im Netz, um Aufmerksamkeit zu generieren und den extremistischen Diskurs zu normalisieren", sagte der Extremismusforscher Andreas Zick am 28. Januar in Bielefeld. So gelinge es ihnen, durch Kampagnen in den sozialen Medien zu polarisieren und solche Ideologien zu emotionalisieren, die anschlussfähig seien für nicht-extremistische Menschen und Gruppen, erklärte Zick, Leiter eines Forschungsverbundes, der das Online-Verhalten extremistischer Gruppen untersucht.
Extremistische Gruppen würden soziale Medien sehr strategisch nutzen, sagte die Soziologin Kerstin Eppert. Die Verbreitung gewaltverherrlichender und rassistischer Botschaften sei jedoch nur ein Teil der Strategie. Ebenso wichtig sei die Mobilisierung in den verdeckten und bekannten Unterstützungsnetzwerken. Dazu gehöre ein freies Angebot, sich in die Bewegung einzubringen, angepasst an die Möglichkeiten jedes Einzelnen. Extremistische Netzwerke funktionierten nicht nur als Radikalisierungsmaschinen, ergänzte Zick, sie benötigten auch Unterstützung, etwa für die Verbreitung der Ideologie oder Beschaffung von Geldern.
Der Forschungsverbund X-Sonar erforschte nach Angaben der Universität in einem dreijährigen Projekt, wie extremistische Gruppen online und offline Unterstützungsnetzwerke aufbauen. Dabei arbeiteten die Forscher unter anderem Online-Inhalte und Lebensläufe aus der extremistischen Szenen auf. Ziel sei es, künftig frühzeitige Intervention und Vorbeugung zu ermöglichen. Zum Abschluss des Projektes fand am 30. Januar eine Konferenz statt, bei der Vertreter aus Wissenschaft, Sicherheitsbehörden, Justiz und ziviler Präventionspraxis zusammenkamen. Das Forschungsprojekt wurde vom Bundesbildungsministerium mit drei Millionen Euro gefördert.
Berlin, Düsseldorf (epd). Die Bundesregierung bringt das Gesetz zum Kohleausstieg auf den Weg und löst damit Proteste aus. Am 29. Januar beschloss das Kabinett den Entwurf, der vorsieht, dass die Stein- und Braunkohlekraftwerke in Deutschland bis spätestens 2038 abgeschaltet werden - wenn möglich schon bis 2035. Kraftwerksbetreiber sollen Entschädigungen in Höhe von bis zu 4,35 Milliarden Euro erhalten. In die betroffenen Regionen fließen rund 40 Milliarden Euro Finanzhilfen. Klimaschützer üben massiv Kritik: an dem Zeitplan, an den Entschädigungen und am geplanten Start eines neuen Kraftwerks.
Der erste Braunkohle-Kraftwerksblock soll noch in diesem Jahr im Rheinland stillgelegt werden. Im Jahr 2032 soll zudem überprüft werden, ob der Kohleausstieg auch schon im Jahr 2035 abgeschlossen werden kann. Die letzten Kraftwerke sollen laut Entwurf bis zum 31. Dezember 2038 von Netz gehen. Während bei der Braunkohle der Terminplan für die Stilllegung der Kraftwerke schon im Entwurf steht, muss er bei den Steinkohlekraftwerken noch festgelegt werden.
Kritik an "Datteln 4"
Umweltorganisationen beanstanden indes, dass das Steinkohlekraftwerk "Datteln 4" in Nordrhein-Westfalen trotz der Ausstiegspläne noch ans Netz gehen soll. Der Zeitplan weiche zudem von den im Kohlekompromiss vor einem Jahr vereinbarten Terminen ab: Kraftwerke gingen zu spät vom Netz, wodurch deutlich mehr Treibhausgase ausgestoßen würden. Die Kritiker hoffen, dass der Entwurf im Bundestag diesbezüglich noch einmal geändert wird. Auch im Bundesrat muss das Gesetz noch beraten werden, bevor es Inkrafttreten kann. Das Gesetzgebungsverfahren soll nach Willen der Regierung im ersten Halbjahr 2020 abgeschlossen werden.
Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) verteidigte den Entwurf. Damit werde "die Kohleverstromung in Deutschland rechtssicher, wirtschaftlich vernünftig und sozial ausgewogen" beendet, erklärte er. Er erläuterte, dass die Inbetriebnahme von "Datteln 4" nicht verhindert werde, weil dies "eine sehr teure Entschädigung geworden" wäre. Er verwies darauf, dass dies das modernste Kraftwerk sei: Es könne jederzeit die Produktion herunterfahren, "wenn die Sonne scheint und der Wind weht".
Im Gegenzug sollten alte Kohlekraftwerke früher stillgelegt werden. Einige Steinkohlekraftwerke, die das betreffe, würden in den kommenden Wochen benannt, kündigte Altmaier an. "Dann wird jeder ausrechnen können, dass wir unterm Strich nicht mehr, sondern weniger CO2 emittieren."
Die saarländische Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD) appellierte an das Bundeswirtschaftsministerium, nun schnell über Investitionen in die wirtschaftliche Zukunft des Saarlandes zu entscheiden, etwa mit dem verstärkten Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft in der Region. Auch sei eine Entschuldung der Kommunen durch den Bund dringend notwenig. Auch die Wettbwerbsfähgikeit der Stahlindustrie bedürfe deutlich größerer Anstrengungen durch die Bundesregierung und die EU. "Unter dem Strich sind die Impulse aus Strukturstärkungs- und Kohleausstiegsgesetz ein wichtiger Schritt für unser Land, im Vergleich zu den Regelungen für die Braunkohle aber unzureichend", kritisierte sie.
"Verursacherprinzip ausgehebelt"
Umweltorganisationen hatten während der Kabinettssitzung am Morgen vor dem Kanzleramt protestiert. Vertreter der Klimabewegung kündigten weitere Protestaktionen an. "Wir werden nicht zulassen, dass in Deutschland weitere 18 Jahre Kohle verstromt wird", hieß es auf einer gemeinsamen Pressekonferenz von Greenpeace, Fridays for Future, Grüner Liga, Campact, "Ende Gelände" und "Alle Dörfer bleiben". Dass mit dem Gesetz der Kohlekompromiss eins zu eins umgesetzt werde, sei eine "dreiste Lüge".
Der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Ottmar Edenhofer, kritisierte die Entschädigung der Kraftwerksbetreiber für das Abschalten von Anlagen. "Sie hebeln das Verursacherprinzip aus, demzufolge derjenige, der emittiert, entsprechend zahlen soll." Nun bekämen diejenigen Geld, die den Schadstoffausstoß einstellen. Deswegen hätten die Betreiber einige Kraftwerke länger als wirtschaftlich darstellbar am Netz gelassen, "um nun Entschädigungszahlungen zu erhalten".
Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) forderte Nachbesserungen im parlamentarischen Verfahren, um die Absicherung von Beschäftigten in der Steinkohle abzusichern. Bundesvorstandsmitglied Christoph Schmitz mahnte: "Unbillige soziale Härten und betriebsbedingte Kündigungen müssen im Kohleausstieg verhindert werden."
Datteln, Recklinghausen (epd). Auf dem Kraftwerksgelände von Datteln 4 haben Demonstranten am 2. Februar für einen sofortigen Ausstieg aus der Kohle und gegen den von der Bundesregierung beschlossenen Ausstiegsplan bis 2038 protestiert. Rund 120 Menschen hätten sich gewaltsam Zugang zum Betriebsgelände des Steinkohlekraftwerks verschafft und Anlagenbereiche besetzt, sagte eine Pressesprecherin der Polizei Recklinghausen dem Evangelischen Pressedienst (epd) auf Anfrage. Dabei handele es sich um eine Straftat.
Der Kraftwerksbetreiber habe gegen alle Eindringlinge einen Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs gestellt. In Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft Bochum habe sich die Polizei am Sonntag zum Ende der Aktion vor allem um die Feststellung der Personalien gekümmert und gegen einige Demonstranten ein Bereichs- und Betretungsverbot erlassen.
Polizeipräsidentin Friederike Zurhausen (Recklinghausen) betonte, dass die Versammlungs- und Meinungsfreiheit auf Grundlage des Grundgesetzes ein hohes Gut sei. "Doch wenn jemand meint, über dem Gesetz zu stehen und seinen Protest durch die Begehung von Straftaten zu verleihen, hat das nichts mehr mit freier Meinungsäußerung zu tun."
Das Aktionsbündnis "Ende Gelände" sprach selbst von 150 Aktivisten, die das Betriebsgelände von Datteln 4 und zwei sogenannte Portalkratzer und ein Förderband blockierten. Zeitgleich fand eine Mahnwache vor dem Betriebsgelände statt. Eine Sprecherin erklärte: "Heute haben wir Datteln 4 besetzt, um der Politik und dem Konzern Uniper in aller Deutlichkeit zu sagen: Wir werden nicht dulden, dass im Jahr 2020 ein neues Steinkohlekraftwerk ans Netz geht." Das Kohlegesetz der Bundesregierung sei ein Desaster, "mit dem wir auf eine vier bis sechs Grad heißere Welt zu steuern".
Das Bundesumweltministerium von Svenja Schulze (SPD) erklärte in Berlin, dass die Mehremissionen von Datteln 4 ausgeglichen würden. Schulze hatte die Inbetriebnahme des neuen Kraftwerks vor kurzem als "schmerzhaften" Teil des Kohlekompromisses bezeichnet. Für Datteln 4 würden jedoch mehrere alte Kraftwerke abgeschaltet, erklärte ihr Haus am 2. Februar. Dies sei letztlich entscheidend für die Klimabilanz.
Die Kraftwerksgegner erklärten indes: "Wir werden gegen Datteln 4 kämpfen, so, wie wir um den Hambacher Forst gekämpft haben." Der Hambacher Forst, ein Waldstück zwischen Köln und Aachen, gilt als Symbol des Widerstands gegen den Braunkohle-Abbau. Es kam dort zu monatelangen teilweise gewalttätigen Auseinandersetzungen der Umweltschützer mit der Polizei. Nachdem sich die von der Bundesregierung eingesetzte Kohlekommission für sich den Erhalt des Hambacher Forsts aussprach, kündigte der Essener Energiekonzern RWE als Tagebaubetreiber an, bis 2020 keine weiteren Bäume zu fällen.
Ende Januar hatte das Bundeskabinett das Gesetz zum Kohleausstieg auf den Weg gebracht. Der Entwurf sieht vor, dass die Stein- und Braunkohlekraftwerke in Deutschland bis spätestens 2038 abgeschaltet werden, wenn möglich schon bis 2035. Das Gesetzgebungsverfahren soll noch im ersten Halbjahr 2020 abgeschlossen sein. Umweltorganisationen kritisieren, dass dann noch weitere 18 Jahre in Deutschland Kohle verstromt würde. Zudem beanstanden sie, dass trotz der Ausstiegspläne das Steinkohlekraftwerk Datteln 4 in Nordrhein-Westfalen noch ans Netz gehen soll. Die Bundesregierung verteidigt dies mit dem Argument, dass Datteln 4 das modernste Kraftwerk sei. Drei alte Blöcke des Steinkohlekraftwerks des Konzerns Uniper Kraftwerke aus den 1960er Jahren sind stillgelegt.
Hamburg (epd). Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg demonstriert ab sofort permanent in Hamburg. Das Panoptikum an der Reeperbahn in St. Pauli enthüllte die Wachsfigur unter erheblicher öffentlicher Aufmerksamkeit am 29. Januar. Es sei nach ihrer Recherche weltweit die erste Wachsfigur der 17-jährigen schwedischen Schülerin, sagte Panoptikum-Chefin Susanne Faerber. Eine weitere Besonderheit sei, dass sie die erste Wachsfigur im Panoptikum sein wird, die je nach Jahreszeit verschiedene Kleidung tragen soll. Derzeit ist es eine wärmende Ski-Hose mit Wollmütze und dickem Schal.
Greta sei für viele Menschen zum Vorbild für klimaschonendes Handeln geworden, sagte Faerber. Daher habe sie einen Platz im Panoptikum verdient. Immerhin habe das "Time"-Magazin sie zur Person des Jahres 2019 gekürt. Greta soll im Panoptikum unmittelbar im Zentrum des Eingangsbereiches stehen - die Blicke der Besucher werden zuerst auf sie fallen.
Die aufwendige Herstellung der Wachsfigur übernahm ein Team um Bildhauer Gottfried Krüger, der bereits seit mehr als 30 Jahren für das Panoptikum arbeitet. Eigentlich sollte er an der Figur von Bill Gates arbeiten, verriet Faerber. Dass er Greta modellierte, sei für sie selbst überraschend gewesen: Sie habe "von nichts gewusst", als die Figur Mitte Januar verhüllt im Panoptikum eintraf. "Aber Greta hatte sofort meine volle Zustimmung", sagte sie.
Die wächserne Greta wird nach Ansicht des Künstlers im Panoptikum "vorläufig sicher" stehen. Die von ihm verwendete Modelliermasse schmelze erst ab etwa 70 Grad Celsius - das sei selbst angesichts düsterster Klima-Prognosen nicht zu erwarten, sagte Krüger dem Evangelischen Pressedienst (epd). Größere Vorsicht sei daher mit zu heißen Scheinwerfern geboten.
Das Hamburger Panoptikum besteht seit 140 Jahren und ist damit nach eigenen Angaben das älteste Wachsfigurenkabinett Deutschlands. Auf vier Etagen werden mehr als 120 Persönlichkeiten aus Kunst und Kultur, Sport und Politik, Gesellschaft und Geschichte gezeigt.
Hamm (epd). Das Oberlandesgericht Hamm befasst sich zunehmend mit Klagen gegen Windkraftanlagen. Dabei berufen sich die Kläger auf mögliche gesundheitsbeeinträchtigende Wirkungen von Infraschall, niedrigfrequenten Schallwellen, die für das menschliche Ohr nicht mehr wahrnehmbar sind, wie das Gericht am 29. Januar mitteilte. "Die Existenz dieser Schallwellen ist nicht streitig", sagte der Vorsitzende Richter des 24. Zivilsenats, Hans Funke. Gesundheitsgefährdende Folgen seien aber bislang nicht erwiesen. Auf dieser Grundlage habe der Senat in einem Fall auch abgelehnt, eine Einstweilige Verfügung zu erlassen.
Allerdings lägen dem Senat zwischenzeitlich auch zwei Hauptsachenverfahren vor. In den Fällen müsse nun geklärt werden, ob es den Klägern zuzumuten sei, auf die Ergebnisse eines noch zu erteilenden Forschungsauftrags zu warten. Sofern es sich um ordnungsgemäß genehmigte Anlagen handele, könnten die Zivilgerichte im Fall einer erheblichen Beeinträchtigung zwar keine Stilllegung anordnen, aber das Ergreifen geeigneter Vorkehrungen oder Schadensersatz, erklärte Funke.
Weiterhin beschäftigen Klagen im sogenannten VW-Abgasskandal das Oberlandesgericht Hamm. Zwar spiele die Musik vor allem in Braunschweig, sagte Pressesprecher Martin Brandt. Aber auch das OLG Hamm habe einige Entscheidungen mit unterschiedlichem Ausgang für Kläger und Beklagte getroffen. Zurzeit lägen dem zuständigen Senat drei weitere Fälle zur Entscheidung vor. Aufgrund der hohen Erledigungsquote ohne Urteil sei davon auszugehen, dass sich Kläger und Beklagte in den meisten Fällen gütlich einigten.
Das Oberlandesgericht in Hamm feiert in diesem Jahr seinen 200. Geburtstag. Dazu wird am 1. Juli ein Festakt stattfinden, wie OLG-Präsident Johannes Keders ankündigte. Geplant ist zudem die Herausgabe einer zweibändigen Festschrift zum Jubiläum. Keders wird im August altersbedingt ausscheiden. Das Oberlandesgericht Hamm ist nach eigenen Angaben das größte in Deutschland. Zu seinem Geschäftsbereich gehören zehn Landgerichte und 77 Amtsgerichte. 2019 waren die Zivil- und Strafsenate mit 20.0000 neu eingehenden Verfahren beschäftigt. NRW-Oberlandesgerichte gibt es noch in Düsseldorf und Köln.
Brüssel (epd). Der Ansatz des geplanten europäischen Green Deal ist von Vertretern aus Religion und Philosophie begrüßt worden. Es brauche eine radikale Veränderung, sagte der katholische Geistliche Augusto Zampini Davies als Vertreter des Vatikans am 28. Januar in Brüssel mit Blick auf Klimawandel und Umweltzerstörung. Religion könne dafür ein starker Treiber sein.
Die meisten Menschen änderten sich schließlich nicht, einfach weil sie einen Bericht läsen, sondern aufgrund von tiefverwurzelten Werten und Glaubensüberzeugungen, erklärte Zampini Davies bei der Veranstaltung im Europaparlament. Umgekehrt könne man sich nicht leisten, für einen neuen Umgang mit der Umwelt auf die Religion zu verzichten, da sich 80 Prozent der Menschen weltweit als religiös verstünden.
Der von der EU-Kommission unter Ursula von der Leyen vorgeschlagene Green Deal ist eine Strategie zum klima- und umweltfreundlichen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft. Ein Hauptziel ist die Klimaneutralität der EU bis 2050.
Der Orthodoxe Costas Papastavros machte darauf aufmerksam, dass die Folgen des Klimawandel vor allem Arme beträfen. Die Diskussion über Klimapolitik kreise noch zu sehr um Themen wie Energie, Technologie und Finanzen und zu wenig um soziale Belange, urteilte Papastavros im Namen des Komitees der Vertreter der Orthodoxen Kirche bei der EU.
Aus Sicht des Humanismus rief Marc Davidson die EU bei ihrer Klima- und Umweltpolitik zu Transparenz und Beteiligung der Betroffenen auf. Aus humanistischer Sicht sei eine paternalistische Politik nicht akzeptabel.
Der Europaabgeordnete Pascal Canfin beschrieb die Problematik des Klimawandels als eine, die mit grundlegenden Fragen von Religion und Philosophie zu tun habe. Hier wie dort gehe es Grenzen, etwa die Grenzen des Menschen, sich die Umwelt zunutze zu machen und sie zu zerstören, und die Beziehungen zum Beispiel zu anderen Arten, erläuterte der Vorsitzende des Umweltausschusses.
Düsseldorf (epd). In den Wintermonaten gibt es in Nordrhein-Westfalen offenbar immer weniger typische Wintervögel. Andererseits bleiben dank des milden Winterwetters immer mehr Zugvögel im Land, bilanzierte der Naturschutzbund (Nabu) am 28. Januar in Düsseldorf aus den Ergebnissen der Zählung "Stunde der Wintervögel" für NRW. Das Trio aus Haussperling beziehungsweise Spatz sowie Kohlmeise und Blaumeise führt wieder die Rangliste an und legte zwischen 15 und 17 Prozent zu. Auch die Zunahme aller Spechtarten nannte der Nabu erfreulich.
Die sonst üblichen Schwarmvögel der Wintermonate machten sich allerdings den Zählungsergebnissen zufolge rar. Aus den Meldungen der winterlichen Garten- und Parkzählungen durch Freiwillige machte der Nabu für NRW nach eigenen Angaben einen Rückgang bei Buchfinken um 17 Prozent gegenüber dem Vorjahr aus, bei Bergfinken sogar um 74 Prozent. Erlenzeisige wurden um 44 Prozent weniger gesichtet, die Wacholderdrossel verzeichnet einen Rückgang um 61 Prozent.
"Auffällig waren auch die Meldungen von Zugvögeln wie Zilpzalp, Mönchgrasmücke, Hausrotschwanz und Rotmilan, die eigentlich erst im Frühjahr und Sommer in NRW wieder anzutreffen sind", erklärte der Nabu-Vogelexperte Heinz Kowalski. Diese Vögel ersparten sich dank des milden Winterwetters die mühevolle und gefährliche Reise in südliche Winterquartiere.
Die allmähliche Zunahme von Altholz in den Wäldern sowie Totholz durch Dürre und "Borkenkäferkalamitäten" hat sich offenbar positiv ausgewirkt. Fast alle Spechtarten wie Buntspecht, Mittelspecht, Schwarzspecht sowie Grün- und Grauspecht hätten wegen der reichlichen Käfernahrung zugelegt, hieß es. Auch Eichelhäher (plus 86 Prozent), Star (plus 35 Prozent) und Amsel (zehn Prozent) konnten im Vergleich zum Vorjahr deutlich zulegen. Auch verbesserte sich der Trend bei "Jägern" wie Turmfalke (plus 80 Prozent) und Mäusebussard (plus 27 Prozent).
Insgesamt zeige die Wintervogelzählung deutlich eine starke Abhängigkeit vieler Vogelarten vom Wetter in Mitteleuropa, hieß es. Mittel- und langfristig erwarteten sich die Ornithologen des Nabu von den Daten der jährlichen Zählungen Rückschlüsse auf die Veränderung des Klimas und dessen Wirkungen auf die heimische Vogelwelt sowie deren Anpassungsstrategien. In diesem Jahr zählten vom 10. bis 12. Januar über 26.000 Freiwillige in NRW über 3,5 Millionen Vögel.
Düsseldorf (epd). Umweltorganisationen in Nordrhein-Westfalen wollen ein Volksbegehren für den Artenschutz starten. Trotz eines dramatischen Rückgangs vieler Insekten-, Vogel- und Pflanzenarten zeige die Landesregierung "keinerlei Ansätze für eine konsequente Naturschutzpolitik", kritisierten der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), die Landesgemeinschaft Naturschutz und Umwelt (LNU) und der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) am 27. Januar in Düsseldorf. Der Einsatz für Insektenschutz und Artenvielfalt müsste deutlich verstärkt werden.
Um den Druck zu erhöhen, wolle man im Frühjahr eine Volksinitiative starten, kündigten die Organisationen an. Ziel sei es, konkrete Handlungsvorschläge zur Verbesserung der biologischen Vielfalt in den NRW-Landtag einzubringen. "Ob Klimaschutz, Rohstoffabbau, Land- oder Forstwirtschaft und ein nicht naturverträglicher Umgang mit unseren Gewässern - NRW muss an vielen Stellschrauben drehen, um den Verlust der Artenvielfalt zu stoppen", sagte die Nabu-Landeschefin Heide Naderer. Die Vorschriften und Gesetze zum Schutz von Arten und Lebensräumen dürften nicht aufgeweicht werden.
In Bayern hatte es im Februar 2019 mit dem Volksbegehren Artenvielfalt "Rettet die Bienen!" eine ähnliche Initiative gegeben. Daraufhin wurde im Juli ein entsprechendes Naturschutzgesetz verabschiedet. Demnach soll etwa die ökologische Landwirtschaft stärker ausgebaut, Pestizide reduziert und Lebensräume besser geschützt werden.
Düsseldorf (epd). Das NRW-Landwirtschaftsministerium hat Grundlagen für eine nachhaltigere Haltung von Schweinen und anderen Nutztieren vorgestellt. So soll etwa ein "Stall der Zukunft" Erfahrungen liefern, wie Schweine tier- und umweltgerechter gehalten werden können, teilte das Ministerium am 29. Januar in Düsseldorf mit. Zudem soll eine Tiergesundheitsdatenbank soll als Frühwarnsystem dienen. Der Fokus soll erst auf der Schweinehaltung liegen, danach werde die Strategie auf andere Tierarten ausgeweitet.
So sollen bis 2022 neue Ställe entstehen, die innovative Arten der Tierhaltung ausprobieren und aufzeigen sollen. Als wichtige Eckpunkte für neue Systeme werden die Verbesserung des Stallklimas, mehr Platz und mehr Beschäftigung sowie getrennte Funktions- und Klimabereiche genannt. "Ziel ist es, Landwirtinnen und Landwirten neue und bereits erprobte Praktiken anzubieten, die Tierschutz und Umweltschutz nicht gegeneinander ausspielen", sagte Staatssekretär Heinrich Bottermann.
In der geplanten Gesundheitsdatenbank sollen Daten der Tiere, etwa aus amtlichen Kontrollen, Schlachtbefunde und Daten zur Arzneimittelanwendung, zusammengeführt werden und als Frühwarnsystem zur Verbesserung der Tiergesundheit dienen. Nach Angaben des Ministeriums soll das Informationssystem ermöglichen, jederzeit ein umfassendes Bild über die Tiergesundheit der Nutztiere in Nordrhein-Westfalen zu erhalten. Die Datenbank soll ab 2020 schrittweite eingeführt werden.
Auch der Lebensmitteleinzelhandel stehe in der Verantwortung, den anstehenden Transformationsprozess etwa durch die Preisgestaltung mit zu gestalten, sagte Bottermann. "Ziel muss es ein, die mit höheren Produktionsstandards verbundenen Mehrkosten langfristig über den Markt zu decken", betonte der Staatssekretär.
Essen, Berlin (epd). Bundesbeamte können jetzt für Dienstreisen auch dann die Bahn nutzen, wenn ein Flug billiger wäre. Neben dem Kriterium der Wirtschaftlichkeit würden nun auch umweltbezogene Aspekte wie ein geringer CO2-Ausstoß berücksichtigt, wie das Bundesinnenministerium dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 28. Januar mitteilte. Seit dem 21. Januar gelte eine neue Regelung, wonach bei Dienstreisen der Bundesverwaltung die Bahnnutzung immer möglich ist - auch wenn dadurch höhere Kosten entstehen. Damit griff das Ministerium einer Änderung des Bundesreisekostengesetzes (BRKG) vor.
"Damit wird allen Bundesbediensteten die Möglichkeit eingeräumt, CO2-Emissionen aus Flügen einzusparen und so einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten", hieß es aus dem Ministerium. Zuerst hatten die Zeitungen der Essener Funke Mediengruppe (28. Januar) darüber berichtet. Die Regelung gelte für Inlandsdienstreisen, Reisen im grenznahen Raum sowie für gut angebundene europäische Großstädte wie Paris oder Brüssel. Bislang hätten Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit überwogen. Die Bundesbediensteten könnten jedoch weiterhin fliegen: Die Inanspruchnahme der Regelung ist den Angaben zufolge freiwillig.
Der Bund war im vergangenen Jahr kritisiert worden, weil Ministerialbeamte laut den Funke-Zeitungen für Dienstreisen zwischen Berlin und Bonn mehr als 200.000 Hin- und Rückflüge angehäuft hatten. Ministerien hatten das mit dem Bundesreisekostengesetz begründet, das Wirtschaftlichkeit als oberstes Auswahlkriterium für die Wahl des Verkehrsmittels festgelegt hatte.
Im Rahmen des Klimaschutzprogramms 2030 beschäftigt sich die Bundesregierung damit, wie die Bundesverwaltung klimaneutral werden kann. Dabei geht es auch um Dienstreisen, die durch den verstärkten Einsatz von Video- und Telefonkonferenzen vermieden werden sollen. Zudem ist geplant, das Bundesreisekostengesetz zu ändern und die Nutzung der Bahn auch bei höheren Kosten zu ermöglichen.
Berlin (epd). Tag für Tag saß der Mann stumm im Vorraum der Berliner Postfiliale und beobachtete das geschäftige Treiben an den Geldautomaten. Auf der Sitzfläche seines Rollators lag seine umgedrehte Mütze. Hin und wieder legte einer der Postkunden eine Münze hinein. Dann nickte der Mann und sagte ein leises "Danke".
Wenn die Nacht einbrach, streckte er sich auf einem der breiten Fensterbretter über den Heizkörpern aus. Es sei in Kroatien geboren und in den 1970er Jahren nach Deutschland gekommen, erzählte er einmal. Auf der Straße lebe er seit zehn Jahren.
Später wurden es dann immer mehr Menschen, mit denen er sich den Platz in dem beheizten Vorraum nachts teilen musste. Zuletzt lagen bis zu acht Menschen zwischen den Geldautomaten, es roch ungewaschen und nach Bier, aus einer kleinen Box plärrten polnische Schlager.
Die Postfiliale reagierte und sperrte den Vorraum nachts ab. Die nächtlichen Gäste verschwanden und mit ihnen auch der Mann mit dem Rollator. Viele Kunden hätten sich beschwert, sagte eine Postangestellte: "Bei einem konnten wir hinwegsehen, aber zuletzt wurden es gefühlt immer mehr."
Die Zahl der Obdachlosen in Berlin hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen, soviel ist sicher. Menschen, die unter Brücken, in Parks und vor Hauseingängen schlafen, gehören längst zum Stadtbild. Nicht sicher ist bislang, wie viele es sind. Schätzungen gehen von 6.000 bis 10.000 Obdachlosen aus, die auf den Berliner Straßen leben.
Um Klarheit zu bekommen, hat Berlin nun die bundesweit erste Obdachlosenzählung durchgeführt. Vorbilder gibt es unter anderem in New York und Paris. Nach fünfmonatiger Vorbereitungszeit in der Senatssozialverwaltung zogen in der Nacht zum 30. Januar mehr als 3.700 freiwillige Helfer bekleidet in blauen Westen in mehr als 600 Teams zwischen 22 und ein Uhr durch die Stadt, um Obdachlose zu zählen und zu befragen. Die Fragebögen in acht Sprachen thematisierten zum Beispiel wie lange die Menschen auf der Straße leben und aus welchen Ländern sie kommen. Die Beantwortung war freiwillig. Wer nicht antworten wollte, wurde nur gezählt.
"Mit dem Zählen wollen wir das angestrengte Wegschauen bei Obdachlosen durchbrechen, und wir verlassen den Raum der groben und weit auseinandergehenden Schätzungen", sagte die Berliner Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) zum Auftakt am Mittwochabend. Von den konkreten Zahlen aus der "Nacht der Solidarität", so der Name der Aktion, erhoffen sich Sozialverwaltung und Sozialverbände, die Hilfsangebote für wohnungslose und auf der Straße lebende Menschen verbessern zu können.
Die Zählteams durchstreiften auf festgelegten Routen und Karrees die zwölf Berliner Bezirke. Jedes Team hatte einen eigens geschulten Leiter, der vorab Instruktionen gab, wie vorzugehen ist. "Begegnen sie bitte den Menschen mit Respekt", hieß es da. Auch ein auf der Straße lebender Mensch habe eine Recht auf Achtung seiner Privatsphäre. Bitte auch keinen körperlichen Kontakt, wenn das nicht gewünscht werde. "Und verzichten Sie auf individuelle Beratung der Menschen. In dieser Nacht geht es nur ums Zählen."
An den sogenannten Hotspots von Obdachlosen wie dem Bahnhof Zoo und Bahnhof Lichtenberg, der Rummelsburger Bucht oder dem Kottbuser Tor wurden die Zählteams durch Straßensozialarbeiter verstärkt. "Damit wollen wir möglichen Eskalationen vorbeugen", sagte Klaus-Peter Licht, Referent für Bürgerschaftliches Engagement in der Sozialverwaltung und Koordinator der "Nacht der Solidarität".
Wissenschaftlich ausgewertet werden die Zahlen unter anderem an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin unter Leitung der Armutsforscherin Susanne Gerull. Valide Daten zur Wohnungslosigkeit fordern Wohlfahrtsverbände und Wissenschaft von der Politik schon seit Jahrzehnten. Deshalb dürfe die Zählung auch kein einmaliges Ereignis bleiben, sagte die Professorin für die Soziale Arbeit. Ihr schweben regelmäßige Zählungen im Winter und im Sommer vor. Zudem müssten bei weiteren Erhebungen auch diejenigen Menschen erfasst werden, die wohnungslos sind, aber nicht auf der Straße leben. "Aus Daten müssen dann Taten werden", sagte Gerull. Die Ergebnisse der ersten Zählung werden am 7. Februar bekanntgegeben.
Düsseldorf (epd). Das Diakonische Werk Rheinland-Westfalen-Lippe hat mehr Unterstützung für junge Wohnungslose angemahnt. Junge Menschen ohne Wohnung dürften nicht allein gelassen werden, erklärte Tim Rietzke, Leiter des Geschäftsfelds "Familie und junge Menschen" in der Diakonie RWL am 31. Januar in Düsseldorf. "Bei wohnungslosen Menschen zwischen 18 und 21 Jahren fühlt sich im Regelfall kein Kostenträger zuständig." Diese Lücke im Sozialsystem müsse geschlossen werden.
Junge Wohnungslose seien in keinem Sozialgesetzbuch so richtig vorgesehen, beklagte der evangelische Wohlfahrtsverband anlässlich des Tags der Straßenkinder. Mit dem 18. Geburtstag ende meist abrupt die Jugendhilfe. Wer es dann nicht schaffe, regelmäßig Anträge auf Wohngeld zu stellen, könne schnell obdachlos werden. Erst ab 21 sei der jeweilige Landschaftsverband zuständig.
Die Jugendlichen blieben häufig unsichtbar, erklärte die Diakonie: Sie kämen so lange bei Freunden und Bekannten unter, bis es nicht mehr geht. Die Wohnungslosigkeit sei dann die Folge von weiteren Problemen, darunter psychische Erkrankungen, Drogensucht, Bildungslücken.
In Nordrhein-Westfalen waren laut Wohnungslosenstatistik 2018 11.000 Kinder und junge Erwachsene bis 21 Jahren wohnungslos.
Düsseldorf (epd). Das Diakonische Werk Rheinland-Westfalen-Lippe hat eine Benachteiligung von Heimkindern in der Schule bemängelt. Zwölf Prozent der Kinder, die in Nordrhein-Westfalen in Heimen und Wohngruppen der Diakonie leben, besuchten weniger als 15 Stunden wöchentlich die Schule, erklärte die Diakonie RWL am 28. Januar in Düsseldorf. Das gehe aus einer Umfrage der Diakonie unter ihren rund 140 Einrichtungen mit rund 10.000 Plätzen hervor. Hochgerechnet sind demnach mehr als 7.800 Schüler in NRW betroffen.
Viele von ihnen müssten Ende der Woche mit schlechten Noten auf ihren Halbjahreszeugnissen rechnen, erklärte der Vorstand der Diakonie RWL, Christian Heine-Göttelmann. "Damit wird diesen Kindern und Jugendlichen, die ohnehin benachteiligt sind, die Chance auf einen Schulabschluss, einen Beruf und soziale Teilhabe genommen."
Besonders betroffen sind laut dem evangelischen Wohlfahrtsverband Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich "Emotionale und soziale Entwicklung". Sie würden regelmäßig vom Unterricht "beurlaubt", weil die Lehrkräfte zunehmend überfordert seien. Erzieherinnen und Erzieher in den Heimen und Wohngruppen bemühten sich, ihnen Ersatzangebote zur Bildung zu gestalten. Doch ihnen fehle die Expertise, dies regelmäßig zu tun - und das sei nicht ihre Aufgabe, kritisierte Heine-Göttelmann.
Berlin (epd). In Deutschland wird jeder dritte Wohnungssuchende mit Migrationshintergrund auf dem Wohnungsmarkt diskriminiert. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die am 29. Januar in Berlin vorgestellt wurde. Der kommissarische Leiter der Behörde, Bernhard Franke, sprach sich für eine Gesetzesänderung aus, um Diskriminierung zu vermeiden. Ausnahmeregelungen im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) seien offen für Missbrauch und könnten Rechtfertigungen für rassistische Diskriminierungen bieten, sagte er.
Laut einem Rechtsgutachten des Bonner Juraprofessors Gregor Thüsing im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle verstoßen die Ausnahmen vom Diskriminierungsverbot gegen Europarecht und sind EU-weit einzigartig. Zuletzt war Mitte Januar in Berlin ein großes Wohnungsunternehmen wegen Diskriminierung eines türkeistämmigen Bewerbers bei der Wohnungsvergabe von einem Gericht zu einer Entschädigung in Höhe von 3.000 Euro verurteilt worden.
Franke sagte: "Oft reicht schon ein fremd klingender Name aus, um gar nicht erst zur Wohnungsbesichtigung eingeladen zu werden." Laut Umfrage machten rund 15 Prozent aller Befragten, die in den vergangenen zehn Jahren auf Wohnungssuche waren, Diskriminierungserfahrungen aus rassistischen Gründen, wegen der Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe oder der Herkunft aus einem anderen Land. Besonders betroffen waren Menschen mit Migrationshintergrund (35 Prozent). Die Studie beruht auf einer telefonischen Befragung von 1.041 zufällig ausgewählten deutschsprachigen Personen ab 16 Jahren in Privathaushalten in der zweiten Oktoberhälfte 2019.
Dabei kam heraus, dass fast zwei Drittel der von Diskriminierung Betroffenen (64 Prozent), in der Folge keine Beratung eingeholt oder den Vorfall gemeldet haben. Deutlich wurde auch, dass knapp die Hälfte (47 Prozent) das gesetzliche Diskriminierungsverbot gar nicht kennt. Vier von fünf Befragten (83 Prozent) waren der Ansicht, dass Diskriminierungen bei der Wohnungssuche eher häufig vorkommen. Zugleich hatten 29 Prozent der Befragten nach eigenen Angaben große oder sehr große Bedenken gegenüber Einwanderern als Nachbarn, bei potenziellen Vermietern sogar 41 Prozent.
Franke empfahl "rechtliche Schlupflöcher" zu schließen. So gelte das Diskriminierungsverbot im AGG bislang nicht, wenn ein besonderes "Nähe- oder Vertrauensverhältnis" eingegangen werde, etwa bei Nutzung von Wohnraum auf demselben Grundstück. Diese Regelung war den Angaben nach besonders für kleine Vermieter in das Gesetz eingefügt worden und ließ den Diskriminierungsschutz hinter den Schutz der Privatsphäre zurücktreten. Künftig müssten an diese Regelung hohe Anforderungen gestellt werden, hieß es.
Außerdem dürften laut AGG Wohnungsbaugesellschaften zur Vermeidung sogenannter Ghettobildung Wohnungssuchende unterschiedlich behandeln. Gutachter Thüsing sagte, dies sei zwar ein legitimes Interesse, sollte aber künftig nur noch gelten, um bislang diskriminierte Gruppen besser zu stellen. Franke betonte, die Ausnahmeregelungen böten bislang die Gefahr des Missbrauchs und könnten Rechtfertigungen für rassistische Diskriminierungen bieten.
Düsseldorf (epd). Bei einer Sachverständigenanhörung im zuständigen Sozialausschuss des NRW-Landtags haben die Experten am 29. Januar einen Antrag der Grünen-Fraktion zur Weiterentwicklung der Inklusion von Menschen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt begrüßt. Zugleich forderten sie die CDU/FDP-Koalition auf, die Kooperationsstrukturen der beteiligten Verbände und Behörden in diesem Bereich voranzutreiben.
Bislang sei es so, dass die einzelnen beteiligten Leistungsträger, Verbände und Behörden "nur über das eigene Angebot in Sachen Inklusion Behinderter auf dem Arbeitsmarkt Kenntnis haben", kritisierte etwa der Bonner Diplom-Psychologe und Projektberater Manfred Becker. "Da müssen wir raus. Die Zusammenarbeit und Beratung der Reha-Träger muss dringend verbessert werden." Becker plädierte unter anderem für die Einrichtung regionaler Arbeitsgemeinschaften.
Claudia Rustige von der Bundesarbeitsgemeinschaft Inklusionsfirmen betonte, es gebe "noch großes Potenzial" bei der Zusammenarbeit im Hinblick auf die Schaffung von Zugängen behinderter Menschen in den Arbeitsmarkt. Die Vergabestellen von Auftraggebern müssten zudem dafür sensibilisiert werden, Inklusionsfirmen bevorzugt zu berücksichtigen. Auch die Gründung neuer Inklusionsfirmen müsse weiter gefördert werden.
Andere Sachverständige plädierten für mehr Förderung durch die Jobcenter, eine deutliche Anhebung der Lohnkostenzuschüsse auch bei Inklusionsbetrieben und vermehrte Anstrengungen bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze von Menschen mit Behinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Thorsten Schmitz von der gemeinnützigen Qualifizierungs- und Beschäftigungsgesellschaft der Arbeiterwohlfahrt sprach sich für ein personenzentriertes Angebot zur Teilnahme am Arbeitsleben Behinderter aus. Nur so erhielten die Betroffenen Möglichkeiten, das eigene Arbeitsleben selbstbestimmt zu gestalten.
Ein Vertreter des Landesbehindertenrates NRW wies darauf hin, dass die Arbeitsmarktsituation für behinderte Menschen "schon sehr lange prekär ist und auf hohem Niveau stagniert". Unerlässlich sei die Einhaltung der gesetzlichen Beschäftigungspflicht durch öffentliche und vor allem durch private Arbeitgeber, hieß es in der Stellungnahme. Anderenfalls liefen alle Bemühungen in diesem Bereich "ins Leere".
Thomas Tenambergen von der Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege NRW forderte etwa beim Übergang aus einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung in den allgemeinen Arbeitsmarkt eine "Vereinfachung und Flexibilisierung des Übergangs sowie eine anschließende Förderung und Begleitung." Das Modell der Teilhabe am Arbeitsleben in den Werkstätten für schwerstmehrfach behinderte Menschen in NRW müsse auf jeden Fall gesichert werde, hieß es.
Hamburg (epd). Arbeitnehmer sind nach Angaben der Techniker Krankenkasse (TK) noch nie so häufig wegen psychischer Leiden krankgeschrieben worden wie im vergangenen Jahr. Wie eine am 31. Januar in Hamburg veröffentlichte Vorabauswertung des Gesundheitsreports 2020 der Techniker zeigt, fehlten die Versicherten im Schnitt an 2,89 Tagen wegen eines psychischen Leidens wie zum Beispiel einer Depression. Im Jahr zuvor seien es noch 2,77 Arbeitsunfähigkeitstage gewesen, im Jahr 2017 2,71 Tage.
"Psychische Erkrankungen sind für rund 19 Prozent aller Fehlzeiten verantwortlich, das ist der höchste Wert im Vergleich zu anderen Diagnosen - noch vor Rückenbeschwerden und Erkältungskrankheiten", sagte Albrecht Wehner von der TK zu den Daten.
Insgesamt seien die Fehltage jedoch leicht rückläufig. So seien Arbeitnehmer im vergangenen Jahr im Schnitt 15,37 Tage krankgeschrieben gewesen. Im Jahr zuvor waren es den Angaben nach 15,49 Tage. Ein Grund für den Rückgang ist laut der Krankenkasse die 2019 weniger stark ausgeprägte Erkältungswelle.
Auffällig blieben weiterhin die regionalen Unterschiede. Mit 12,6 Fehltagen ist Baden-Württemberg dem Bericht zufolge nach wie vor das Bundesland mit den geringsten Fehlzeiten, gefolgt von Bayern (13,3). Die höchsten Fehlzeiten gibt es, wie auch in den Vorjahren, im Osten: Mecklenburg Vorpommern (19,8), Sachsen-Anhalt (19,5) und Brandenburg mit durchschnittlich 19,3 Fehltagen je Versichertenjahr.
Düsseldorf (epd). Wer seine Arbeit von zu Hause aus erledigt, kann laut einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung davon deutlich profitieren. "Die bisherige Forschung zeigt, dass Beschäftigte, die im Homeoffice arbeiten, einsatzbereiter und zufriedener mit ihrem Job sind", erklärte Yvonne Lott vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Stiftung am 31. Januar in Düsseldorf. Die Arbeit zu Hause erhöhe Zufriedenheit und Produktivität, weil durch diese Art der Beschäftigung das Vertrauen zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten gestärkt werde.
Allerdings komme es bei der Arbeit im Homeoffice stark auf die betrieblichen Rahmenbedingungen an. Arbeitsgeber und Vorgesetzte müssten die richtigen Voraussetzungen schaffen, damit die positiven Effekte des Homeoffice auch zum Zuge kämen, hieß es. Führungskräfte sollten für ein Arbeitsumfeld sorgen, das von Fairness geprägt ist. Sie sollten Beschäftigte, die in Heimarbeit tätig sind, als gleichwertige Mitarbeiter anerkennen.
Wer zu Hause arbeitet, werde oft als "Minderleister" stigmatisiert und müsse negative Bewertungen fürchten. Häufig seien davon Frauen betroffen, bemängelte die Wissenschaftlerin. Wichtig sei es daher, dass für alle Beschäftigten im Betrieb allgemeingültige Kriterien gelten, nach denen die Arbeit beurteilt wird. Betriebsvereinbarungen und ein gesetzliches Recht auf Homeoffice könnten helfen, die Akzeptanz zu steigern.
Die WSI-Forscherin hatte sich in ihrer Arbeit auf Befragungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung aus den Jahren 2014 und 2015 zu dem Thema konzentriert. Die Vorteile der Heimarbeit lägen auf der Hand: Wer Kinder betreuen oder einen Angehörigen pflegen muss, erhalte durch diese Art der Arbeit mehr Zeit dafür. Auch für Weiterbildung und Ehrenämter vergrößerten sich die Spielräume.
Der Studie zufolge gaben 52 Prozent der Beschäftigten an, dass sich die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben durch Homeoffice verbessert. Zugleich könne die Heimarbeit aber auch zusätzlichen Druck erzeugen.
Ob die positiven oder negativen Erfahrungen überwiegen, ist laut Lott deshalb in hohem Maße von den betrieblichen Voraussetzungen und der Unternehmenskultur abhängig. In Betrieben, die sich durch eine Reihe von Maßnahmen aktiv für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf einsetzen, profitierten Beschäftigte stärker von der Heimarbeit. Ähnliches gelte für Unternehmen, die den Frauenanteil in Führungspositionen durch flexible Arbeitszeiten förderten.
Düsseldorf (epd). NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) sieht Nordrhein-Westfalen im Umgang mit dem Coronavirus gut aufgestellt. Im bevölkerungsreichsten Bundesland seien die Krankenhäuser, Gesundheitsämter, niedergelassenen Ärzte und Apotheker "gut sensibilisiert" für das Thema, sagte der Minister am 29. Jnauar in Düsseldorf. Dennoch erklärte Laumann vor Journalisten, er gehe davon aus, dass es auch bald Fälle in NRW gebe. Der Minister betonte, von den rund 90 aus dem chinesischen Wuhan nach Frankfurt/Main gebrachten Deutschen sei "vermutlich jeder vierte aus NRW". Insgesamt stünden an Rhein und Ruhr 1.500 Infektionsbetten in Krankenhäusern zur Verfügung.
Gleichzeitig warnte der Gesundheitspolitiker vor Panikmache. In den Apotheken und Krankenhäusern seien ausreichend Medikamente etwa zur Fiebersenkung vorhanden. Nach den Worten von Laumann gibt es eine tägliche ministeriumsinterne Frühkonferenz in NRW. Zudem stehe das Ministerium in engem Kontakt mit den 54 Gesundheitsämtern an Rhein und Ruhr sowie dem Robert -Koch-Institut in Berlin, das bundesweit für die Koordination in Sachen Coronavirus zuständig ist. Darüber hinaus tauschen sich die Gesundheitsminister aller 16 Bundesländer und dem Bund eng über mögliche Verdachts- und Infektionsfälle aus. "Wir sind wachsam gelassen und behalten das Virus im Auge", sagte Laumann.
Alle 90 Deutschen, die aus Wuhan ausgereist sind müssten sich zudem "zu einer etwa zweiwöchigen häuslichen Quarantäne verpflichten". Der Weitertransport in ihre Heimatorte werde auf jeden Fall so geregelt, "dass wir eine mögliche Infektionskette so klein wie möglich halten", sagte der NRW-Gesundheitsminister. An die Bürger, die in der letzten Zeit Kontakt zu Menschen aus dem chinesischen Wuhan hatten, appellierte Laumann, nicht den Arzt in der Praxis aufzusuchen, sondern zunächst mit dem zuständigen Gesundheitsamt zu telefonieren.
Auf einen Verdachtsfall im Raum Siegen angesprochen, sagte Laumann: "Es ist besser, einen zuviel in ein Isolierzimmer zu tun, als einen zu wenig." Die dortigen Behörden hätten alles richtig gemacht. Laumann würdigte ausdrücklich die Arbeit des Berliner Robert-Koch-Instituts als bundesweite Koordinationsstelle. "Die machen einen Bombenjob."
Sollte an einer Schule in NRW ein Coronavirus-Verdachtsfall auftreten, wird Laumann zufolge das örtliche Gesundheitsamt engere Kontakte des betroffenen Schulkinds ermitteln und dafür sorgen, dass auch diese Kinder nicht zur Schule gehen, sondern zu Hause bleiben. Dann würde kontrolliert, ob die Krankheit in den folgenden 20 Tagen ausbricht. Laumann gab zu bedenken: "Es gibt schlimmere Viren mit größeren Gefahren für die Menschen."
Das neuartige Coronavirus, das noch keinen eigenen Namen hat, kann eine Lungenkrankheit auslösen. Erstmals aufgetreten ist es in China, dort sind bereits mehr als 100 Menschen daran gestorben. Größtenteils waren dies ältere Patienten mit Vorerkrankungen. Die Zahl der weltweit bekannten Erkrankungen liegt inzwischen bei mehr als 4.500 Fällen. Am 27. Januar wurde die erste Erkrankung mit dem Virus in Deutschland nachgewiesen. Ein 33-jähriger Mann aus Bayern hat sich nach Angaben der dortigen Behörden offenbar während eines Meetings an seinem Arbeitsplatz im Kreis Starnberg angesteckt, an dem auch eine Kollegin aus China teilgenommen hatte. Drei weitere Kollegen sind ebenfalls infiziert. Mittlerweile stieg die Zahl auf zehn Patienten in Deutschland.
Rödental, München (epd). Daniel ist an beiden Armen bis zum Handgelenk tätowiert. Durch seine Nase trägt er einen Ring. Auch Luise ist gepierct, hat ihre Haare weißblond gefärbt. Die beiden jungen Erwachsenen arbeiten in der Pflege. Und sie sind seit neuestem Teil des Instagram-Accounts "Pflegehelden" von Dustin Struwe.
Knapp 8.000 Abonnenten hat die Seite des 28-jährigen Altenpflegers aus dem oberfränkischen Rödental. Fast jeden Tag postet Dustin ein neues Bild. Zu sehen sind junge Menschen, die in einem Pflegeberuf arbeiten. Im vergangenen Sommer hat der gebürtige Berliner damit angefangen. Sein Ziel: den Leuten zeigen, wie vielfältig der Beruf und die Menschen dahinter sind. Oftmals herrschten Klischees wie "Alle Alten- und Krankenpfleger sind dick", erklärt Dustin. Unter Hashtags wie "altenpflegerinmitherz" finden sich auf Instagram Tausende Beiträge von Pflegepersonal.
Viele der Fotos und Videos zeigen glückliche Mitarbeiter. Ein wenig Werbung also für die Branche. Mit Blick auf die Zahlen ist das dringend nötig. Nach Angaben des Deutschen Pflegerats werden bis 2030 fast 500.000 Vollzeitkräfte fehlen, wenn sich die derzeitigen Trends fortsetzen.
Die Idee der Pflege-Influencer findet der Münchner Pflege-Experte Claus Fussek gut. Vorausgesetzt, die Personen treten authentisch auf. Wenn sie auf ihren Profilen nur Positives zeigten, fühlte sich der Nachwuchs spätestens nach den ersten Tagen im Beruf veräppelt, warnt Fussek. Plattformen wie die "Pflegehelden" seien zudem eine gute Möglichkeit, dass sich Pflegende miteinander solidarisieren. Im Berufsalltag sehe das meist anders aus. Regelmäßig erhalte er Anrufe von verzweifelten Pflegekräften, die über Mobbing im Team klagen.
Die Stimmung ist angespannt auch unter den Einrichtungen, weiß Anne Ertel. Die Pflegedirektorin der Krankenhaus GmbH Landkreis Weilheim-Schongau in Oberbayern berichtet von teilweise aggressivem Versuchen anderer Kliniken, Fachkräfte abzuwerben.
Ertel und ihr Team entwickeln verschiedene Formate, um junges Personal für den Beruf zu begeistern. In den sozialen Netzwerken seien die Einrichtungen unter dem Titel "Mia san Krankenpflege" aktiv, sagen Ertel und ihre Kollegin Sandra Buchner.
Ihre neuesten Projekte: ein Candlelight-Dinner und eine Halloween-Party für potenzielle Bewerber. Allein beim Candlelight-Dinner im September hätten noch am selben Abend neun Besucher einen Vertrag unterschrieben, berichten Ertel und Buchner stolz. In den darauffolgenden Tagen seien noch vier weitere dazugekommen.
Damit die auch langfristig bleiben, bietet das Haus seinen Mitarbeitern günstige Wohnungen in der unmittelbaren Umgebung an, wie Ertel erklärt. Auch im Schichtdienst erprobt das Team neue, individuelle Modelle.
Dustin geht noch einen anderen Weg, Altersgenossen auf seinen Pfleger-Job aufmerksam zu machen: Der junge Mann rappt über die Höhen und Tiefen des Berufs. Seine Videos haben bis zu 60.000 Aufrufe auf YouTube.
Mittlerweile habe ihm bereits ein Kollege aus der Pflegebranche Geld geboten, wenn er in seinen Beiträgen Werbung für das Unternehmen macht. Dustin lehnte ab. Er habe sich mit dem Angebot nicht identifizieren können. Grundsätzlich könne er sich aber Kooperationen mit Heimen zum Beispiel für Stellenanzeigen vorstellen.
Essen (epd). Die Sozialgerichte in Nordrhein-Westfalen müssen sich wegen Streitigkeiten im Gesundheitswesen mit einer wachsenden Zahl von Klagen befassen. "Die Sozialgerichtsbarkeit des Landes Nordrhein-Westfalen sieht sich einer Klageflut gegenüber, die das Potenzial hat, zu einer der größten Herausforderungen zu werden, der sich die Gerichtsbarkeit je zu stellen hatte", sagte der Präsident des Landessozialgerichtes NRW, Martin Löns, am 30. Januar in Essen. In zwei großen Wellen wurden zwischen Ende 2018 und Ende 2019 etwa 15.000 Behandlungsfälle vor die Sozialgerichte gebracht, in denen Krankenkassen und Krankenhäuser um die Höhe der Kosten für die stationäre Behandlung der Versicherten streiten. Die Verfahren seien sehr arbeitsintensiv, hieß es.
Ausgelöst wurde die Klagewelle durch das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz, das eine Verkürzung der Verjährungsfristen vorsah, und das MDK-Reformgesetz. Zudem seien die Sozialgerichte schon vorher zunehmend mit Abrechnungsstreitigkeiten befasst gewesen, in denen es etwa um die Frage ging, ob die Verweildauer in einem bestimmten Behandlungsfall zu lang war oder die medizinischen Voraussetzungen für eine höhere Gebühr gegeben waren. In diesem rechtlich schwierigen und medizinisch komplexen Arbeitsfeld ließen sich beide Seiten überdies durch hoch spezialisierte Fachanwälte vertreten.
Die Abrechnungsstreitigkeiten absorbierten einen Teil der gerichtlichen Arbeitszeit. Versicherte und Bedürftige in Rentenverfahren oder in Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende müssten deshalb länger auf die Klärung ihrer Ansprüche und Leistungen warten, hieß es. "Eine wirkliche, auch zukunftsfähige Lösung erfordert den Willen und das Handeln des Gesetzgebers und der Akteure im Gesundheitssystem, um ein weiteres 'Outsourcen' des Konfliktmanagements an die Sozialgerichte zu verhindern", betonte Löns.
Dabei ist die Zahl der Gerichtsverfahren, die im vergangenen Jahr bei den acht Sozialgerichten in NRW eingingen, leicht rückläufig: Sie sank um 3,6 Prozent auf fast 93.400. Die Zahl der unerledigten Verfahren lag Ende 2019 bei knapp 101.100. Das waren 0,5 Prozent weniger als zum Vorjahreszeitpunkt. In 30 Prozent der Fälle ging es um Fragen der Grundsicherung für Arbeitssuchende (Hartz IV), auf den weiteren Plätzen folgten die Streitigkeiten um die Krankenversicherung (26 Prozent) und um das Schwerbehindertenrecht (14 Prozent).
Düsseldorf (epd). In den ländlichen Regionen Nordrhein-Westfalens gibt es deutlich weniger Fachärzte als in den Städten. Wie das statistische Landesamt am 30. Januar in Düsseldorf mitteilte, liegen in diesen dünn besiedelten Gebieten nur zwei Prozent aller Facharztpraxen. So kommen in den ländlichen Gebieten statistisch gesehen fast achtmal so viele Menschen auf eine Facharztpraxis wie in den Städten. Bei den Arztpraxen für Allgemeinmedizin kommen in ländlichen Gebieten etwa doppelt so viele Menschen auf eine Praxis wie in den städtischen Gebieten. Als Reaktion auf die Zahlen warnte der Landkreistag NRW vor Lücken bei der Ärzteversorgung im ländlichen Raum.
Die Statistiker nutzten für die Erhebung ein neues digitales Format namens "Stadt, Land, Arzt", mit dem Interessierte die Verteilung von Arztpraxen in den kreisfreien Städten und Kreisen ermitteln können. Die Dichte der Arztpraxen unterscheidet sich dabei teilweise deutlich: So entfallen beispielsweise in den dünn besiedelten Gebieten des Kreises Paderborn zwanzigmal so viele Menschen auf eine Facharztpraxis wie in den dicht besiedelten Gebieten. Die höchste Dichte an Arztpraxen gibt es in Bonn, die niedrigste im Kreis Olpe.
Um für alle Bürger in NRW eine wohnortnahe medizinische Versorgung zu gewährleisten, forderte der Landkreistag NRW eine ausgewogenere Ärzteverteilung. "Diese Zahlen belegen, dass in NRW dringender Handlungsbedarf für eine funktionierende ärztliche Versorgung im kreisangehörigen Raum besteht", sagte der Hauptgeschäftsführer des kommunalen Spitzenverbandes, Martin Klein. Er forderte die Kassenärztlichen Vereinigungen, mehr dafür zu tun, um gleichwertige Lebensverhältnisse in NRW dauerhaft zu gewährleisten. Der ländliche Raum habe einen Anspruch darauf, medizinisch genauso gut versorgt zu werden wie die Ballungszentren.
Bochum, Dortmund (epd). Das in Bochum und Dortmund erscheinende Straßenmagazin "Bodo" feiert in diesem Jahr sein 25-jähriges Bestehen. Das von Wohnungslosen auf der Straße verkaufte Blatt erschien erstmals im Februar 1995, wie der gemeinnützige Verein "Bodo e.V." als Herausgeber am 31. Januar in Dortmund mitteilte. "Bodo" erscheint monatlich und wird von rund 200 Menschen in sozialen Notlagen im östlichen Ruhrgebiet auf der Straße verkauft, die die Hälfte des Verkaufspreises von 2,50 Euro behalten können.
Die Jubiläumsausgabe enthalte unter anderem Berichte über die Arbeit des Bochumer Obdachlosenarztes Hans-Gerd Schmitz und über die Vorbereitungen für die Neueröffnung des Dortmunder Naturkundemuseums, hieß es. Bei den "Bodo"-Geburtstagsfeiern am 28. Februar im Union-Gewerbehof Dortmund und am 29. Februar im Zeitmaul-Theater Bochum werde der Autor und ehemalige Obdachlose Dominik Bloh aus seinem Buch "Unter Palmen aus Stahl" lesen.
Der Verein "Bodo" betreibt Beratungsstellen für Wohnungslose in Bochum und Dortmund, eine Kleiderkammer, einen Buchladen, Qualifizierungs- und Beschäftigungsprojekte und das Straßenmagazin. Außerdem bietet er soziale Stadtführungen und Vorträge an.
Gent (epd). Unter dem Titel "Van Eyck - eine optische Revolution" zeigt das Museum der Schönen Künste Gent seit dem 1. Februar 13 der 23 weltweit noch vorhandenen Gemälde des spätmittelalterlichen flämischen Malers. Voller Stolz bezeichnen die Veranstalter dieses außergewöhnliche Kunst-Angebot als die "größte van Eyck-Ausstellung aller Zeiten". Sie umfasst insgesamt mehr als 100 Bilder, Zeichnungen und Skulpturen aus dem Umfeld Jan van Eycks (ca. 1390 - 1441). Im Mittelpunkt aber stehen die Tafeln des weltberühmten Genter Altars, bekannt unter dem Titel "Die Anbetung des Lamm Gottes".
Seit 2012 wird dieser Flügelaltar Bild für Bild restauriert. 2,5 Millionen Euro wurden bislang für diese Arbeit investiert, die Kunstexperten teils Jan van Eyck allein, teils ihm und seinem Bruder zuschreiben. In vier Jahren soll die Restaurierung endgültig abgeschlossen sein.
Das Besondere der jetzt beginnenden Ausstellung ist, das wohl niemals mehr Besucher ähnlich nah an Tafel-Bilder des Genter Altars treten können, der ansonsten seit 1986 nur auf Abstand und durch dickes Panzerglas in der St. Bavo-Kathedrale zu bewundern ist. Während der Schau werden die originalen Innentafeln überwiegend in St. Bavo, die originalen Außentafeln sowie die Innentafeln Adam und Eva aber im Museum zu sehen sein. Entsprechend werden in der flämischen Metropole mehr als 250.000 Besucher erwartet. Bis zum 30. April ist die Ausstellung geöffnet.
Die "optische Revolution", auf die die Ausstellung aufmerksam machen will, bezieht sich auf drei wesentliche Talent-Facetten des Künstler-Genies und Begründers der altniederländischen Malerei: Erstens hat Jan van Eyck die Ölfarbe mit selbst entwickelten Trocknungstechniken quasi für seine Zeit "salonfähig" gemacht. Zweitens wurde er für seine detailgenauen Natur- und Menschenbetrachtungen schon zu Lebzeiten begeistert gefeiert. Und drittens gelten seine Wiedergabe optischer Lichtphänomene auf den Bildern von perfekter Brechung bis zu verblüffend stimmigen Reflexionen als unbedingt wegweisend weit über seine kunsthistorische Zeit hinaus.
"Oh mein Gott! - Jan van Eyck war hier" ist das komplette Genter Kunst- und Kulturjahr überschrieben. Dazu gehört neben der durchaus als epochal einzustufenden Ausstellung auch ein neues Besucherzentrum samt gläsernem Aufzug an und in der Kathedrale von Gent, das Anfang Oktober eröffnet wird. Mit einem Aufwand im deutlich zweistelligen Millionenbereich soll es allen logistischen und vor allem sicherungstechnischen Anforderungen für die kommenden Jahrzehnte genügen.
Die Genter St. Nikolaus-Kirche präsentiert vom 28. März bis 1. November eine computergesteuerte Licht- und Klang-Installation, die die berühmtesten Werke von van Eyck buchstäblich in ein neues Licht rückt und auch akustisch für einen Gänsehaut-Faktor sorgen will. In einem eigens geschaffenen Kunst-Laden setzen sich derweil mehr als 70 belgische Designer und Kunsthandwerker mit dem kreativen Vermächtnis van Eycks auseinander und bieten dazu hochwertige Souvenirs in Form von Taschen, Hüten, Stoffen, Keramiken und anderem mehr an.
Im Rahmen einer "Sieben-Sinne-Tour" können die Besucher Gents ab Ende April zu Fuß oder per Boot auf den Kanälen die Stadt im Zeichen Jan van Eycks entdecken. Schokoladenmanufakturen haben besondere Geschmacksvarianten ihrer Produkte entwickelt; es gibt van Eyck-Bier, in vielen Restaurants besonders kreierte Menü-Varianten nach Rezept-Vorgaben des Mittelalters, Duft-Angebote mit Kerzen und Seifen. Geplant sind zudem eine im Sinne van Eycks farblich abgestimmte Sonderausstellung im Genter Design-Museum sowie am 22. September die Welturaufführung eines Werkes des zeitgenössischen Komponisten Arvo Pärt - über das Lamm Gottes in thematischer Anlehnung an den Genter Altar.
Frankfurt a.M. (epd). Bunt bemalte griechische und römische Skulpturen der Antike sind ab dem 30. Januar in der Liebieghaus-Skulpturensammlung in Frankfurt am Main zu sehen. Die Wanderausstellung "Bunte Götter - Golden Edition" präsentiere in einer erweiterten Fassung neue Erkenntnisse zur Farbigkeit antiker Statuen, sagte der Museumsdirektor Philipp Demandt am 29. Januar. Mehr als 100 Objekte aus internationalen Museumssammlungen und dem Bestand des Liebieghauses sind zu sehen, darunter 60 Rekonstruktionen, sowie 22 Grafiken. Die Ausstellung ist bis zum 30. August geöffnet.
Die Exponate, Originale wie farbige Rekonstruktionen, sind in die gesamte Skulpturensammlung des Liebieghauses vom alten Ägypten über die Antike, das Mittelalter bis in die Neuzeit integriert. Zu den Originalen behört die "Bikini-Venus" aus Pompeji. Das Exponat aus dem Archäologischen Nationalmuseum Neapel stellt eine Aphrodite mit Erosknaben aus Marmor dar. Die nackte Frauenfigur ist mit Verzierungen und einem geflochtenen Bustier aus Gold bemalt.
Der Ausstellungstitel "Golden Edition" verweise darauf, dass Gold aufgrund der Untersuchungsbefunde eine bedeutende Rolle als Farbe auch für die jüngsten Rekonstruktionen spiele, sagte der Begründer der Rekonstruktionen und Leiter der Liebieghaus-Antikensammlung, der Klassische Archäologe Vinzenz Brinkmann. Neuere Untersuchungen hätten auch die farbige Rekonstruktion der "besten und schönsten griechischen Figuren" möglich gemacht, der Bronzekrieger von Riace mit goldenem Helm und Schild.
Die von Brinkmann aufgrund seiner Forschungserkenntnisse gefertigten ersten Rekonstruktionen wurden 2003 in München ausgestellt. 2008 wurde die Ausstellung "Bunte Götter" bereits einmal im Frankfurter Liebieghaus gezeigt, danach wanderte sie in 30 Städte um die Welt. Drei Millionen Besucher haben nach Demandts Angaben die Skulpturen bisher besichtigt. Die durch die fortlaufende Forschung weiter gewachsene Ausstellung soll nach den Worten von Brinkmann wieder reisen, als nächstes Ziel sei Neapel im Blick, danach New York und Sydney.
Essen (epd). Die Dauerausstellung des Essener Museum Folkwang ist nun dauerhaft kostenfrei zu sehen. Die Krupp-Stiftung verlängert ihre Unterstützung für das Kunstmuseum bis Ende 2021 mit zusätzlichen 300.000 Euro, wie das Museum Folkwang gemeinsam mit der Stadt Essen und der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung am 3. Februar in Essen ankündigte. Danach übernehme die Stadt die Kosten von jährlich rund 200.000 Euro auf unbestimmte Zeit. Damit werde das Museum Folkwang das erste große deutsche Kunstmuseum mit einem solchen dauerhaften Angebot, hieß es.
Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) sagte, es sei gelungen, alle Schichten und Altersgruppen für das Folkwang Museum zu begeistern. Das Museum sei ein internationales Aushängeschild für die Stadt. Deshalb werde zum 100. Jubiläum des Museums 2022 "der Staffelstab von der Krupp-Stiftung an die Stadt Essen übergeben". Kufen sicherte eine unbegrenzte Finanzierung zu. Inspiriert von der Folkwang-Idee "Kunst für alle" gehe es darum, niedrigschwellige kulturelle Bildungsangebote zu schaffen.
Die Kuratoriumsvorsitzende der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, Ursula Gather, erinnerte an das ursprüngliche Anliegen der Projektförderung finanzielle Hürden wegzunehmen, um das Museum Folkwang zu einem Begegnungsort zu machen. Alle Erwartungen seien erfüllt worden.
Museumsdirektor Peter Gorschlüter sprach von einer richtigen und wegweisenden Entscheidung mit Vorbildcharakter. Mittlerweile gebe es eine bundesweite Debatte darüber, Museumsbesuche für die ständige Ausstellung wie in Essen kostenlos zu machen. Dortmund habe bereits nachgezogen und in Leipzig gebe es Planungen für 2021.
Zwei wissenschaftliche Studien belegten den Erfolg und die Auswirkungen auf unterschiedlichen Ebenen. Nach Angaben Gorschlüters ist die Besucherzahl 2019 im Vergleich zu 2014 vor dem freien Eintritt um 216 Prozent gestiegen. Bei Kindern und Jugendlichen, vielfach Schulklassen und Gruppen, seien es sogar bis zu 500 Prozent gewesen. Signifikant auch die Gruppe der 16 bis 34-Jährigen, von denen fast die Hälfte angab, wegen des freien Eintritts gekommen zu sein. Hinzu komme auch ein allgemeiner "emotionaler Effekt": Viele Menschen, vor allem in Essen, fühlten sich dem Museum stärker verbunden und es werde normaler, das Museum zu besuchen, sagte Gorschlüter.
Das Museum Folkwang bietet seit Sommer 2015 den freien Eintritt in die Sammlung an. Die Initiative startete den Angaben zufolge zunächst mit einem freien Samstag im Monat, der von Essener Unternehmen gefördert wurde. Noch im gleichen Jahr startete die Krupp-Stiftung ihre Förderung in Höhe von einer Million Euro. Dieses Geld ermöglicht bis Mitte 2020 einen freien Eintritt in die Sammlung an allen Tagen.
Hamburg (epd). Mit einer umfangreichen Retrospektive widmet sich das Hamburger Bucerius Kunst Forum dem britischen Maler und Zeichner David Hockney (82). Bis zum 10. Mai werden rund 100 Werke aus sechs Jahrzehnten gezeigt, von denen die meisten aus der Londoner Tate stammen. In seinen Werken zeige sich Hockneys Forschergeist und seine neugierige Auseinandersetzung mit technischen Neuerungen, sagte Andrea Schlieker, Ausstellungsdirektorin der Tate, am 30. Januar. Die Ausstellung war bereits in Seoul und in Peking zu sehen.
Empfangen werden die Besucher von dem monumentalen Gemälde "In the Studio" von 2017, das nach Angaben des Museums erstmals in einer Ausstellung präsentiert wird. Es zeigt den Maler in seinem Atelier inmitten seiner eigenen Werke. Trotz seines hohen Alters ist Hockney immer noch künstlerisch tätig.
Die Ausstellung ist weitgehend chronologisch aufgebaut. Von 1954 stammt eine Druckgrafik mit seiner Mutter Laura Hockney, die er häufiger portraitiert hat. Nach dem Studium in London folgten längere Reisen in die USA, nach Mexiko, Beirut und auch nach Deutschland, wo er Berlin, München und den Rhein besuchte. In einer Zeichnung stellt er augenzwinkernd einen Berliner und einen Bayer gegenüber.
Farbenfrohe naturalistische Phasen wechseln sich bei Hockney ab mit abstrakter Malerei. Immer wieder thematisiert er in seinen Männerdarstellungen auch seine eigene Homosexualität. So inspirierten ihn die Gedichte des ägyptisch-griechischen Dichters Kavafis zu zarten homoerotischen Zeichnungen. In "Man in Shower" hält er den nackten Männerkörper im Augenblick des Duschens fest. Sehr naturalistisch ist eines seiner bekanntesten Gemälde "Mr. and Mrs. Clark and Percy" von 1970/71, das das Ehepaar mit ihrer Katze zeigt. Das Doppelportrait "My Parents" von 1977 ziert das Ausstellungsplakat.
Mehrere Werke widmen sich dem Innenhof des mexikanischen Hotels Acatlan, wo er zufällig mit seinem Auto liegengeblieben war. Wie auch mit anderen Gemälden versucht Hockney hier durch eine Abkehr von der traditionellen Zentralperspektive die Betrachter in seine Bilder hineinzuziehen. Es sei ein "demokratisches Element", betonte Kuratorin Kathrin Baumstark. Der Betrachter werde damit Teil des Bilds. Abschluss der Ausstellung ist das über sieben Meter breite Monumentalgemälde "A Closer Grand Canyon" von 1998.
Recklinghausen (epd). Die diesjährigen Ruhrfestspiele mit Theater, Lesungen, Ausstellungen und Tanz drehen sich um Macht und Mitgefühl. Auch heute sei ein politischer Blick auf die Welt mit den Mitteln der Kunst wichtig, erklärte Intendant Oliver Kröck am 28. Januar in Recklinghausen bei der Programmvorstellung. Dabei erinnerte er an die Gründungsgeschichte der Ruhrfestspiele, die mit ihrem Akt der Solidarität vor über 70 Jahren eine außergewöhnliche Verbindung von Kunst und Arbeit, von Kultur und Gesellschaft geschaffen habe. "Mit unserem diesjährigen Programm wollen wir die verschiedenen Aspekte des Politischen und Privaten in ein Verhältnis bringen."
Den Bühnenauftakt der Festspiele macht am 3. Mai die Deutschlandpremiere des Bühnenstücks "Tao of Glass" von Philip Glass und Phelim McDermott in Zusammenarbeit mit dem Manchester International Festival. Insgesamt wartet das Programm vom 1. Mai bis 13. Juni mit 90 Produktionen auf. In rund 220 Veranstaltungen sind unter anderem eine Weltpremiere, drei Uraufführungen und sieben Deutschlandpremieren zu sehen.
Zu den Höhepunkten der diesjährigen Ruhrfestspiele mit über 760 Künstlern aus 20 Ländern zählt Intendant Kröck die Deutschlandpremieren "Why?", die neue Arbeit von Peter Brook aus dem Théâtre des Bouffes du Nord in Paris, "Die Jakobsbücher" nach dem Roman der Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk in der Regie von Ewelina Marciniak vom Teatr Powszechny in Warschau, und die neue choreographische Arbeit von Dimitris Papaioannou, eine Koproduktion mit Onassis Stegi, Athen.
In der Sparte Literatur sind in diesem Jahr Sasa Stanisić, Christoph Ransmayr und Judith Schalansky eingeladen. Mit Lesungen sind die Schauspieler Barbara Nüsse, Caroline Peters, André Jung und Devid Striesow zu Gast. Die Kunstausstellung der Ruhrfestspiele 2020 präsentiert die Bildende Künstlerin Mariechen Danz in der Kunsthalle Recklinghausen.
Als Weltpremiere präsentieren die Ruhrfestspiele im Rahmen des Genres Neuer Zirkus die neue Arbeit des Circa Contemporary Circus aus Australien mit dem Titel "Sacre". Außerdem gehen die Ruhrfestspiele eine Kooperation mit Fidena, dem Figurentheaterfestival aus Bochum, ein und präsentieren drei Produktionen.
Unter dem Titel "Nie wieder! Erinnern für heute und morgen" gedenken die Ruhrfestspiele am 7. Mai zusammen mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund dem 75. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus. Auf einem "Festspielcampus" begleiten in der Pfingstwoche Studierende und Lehrende das Programm der Ruhrfestspiele. Auf einen längeren Zeitraum angelegt ist zudem das Projekt "Lernpark" mit Schülern aus Recklinghäuser Schulen.
Die Ruhrfestspiele wurden vor über 70 Jahren unter dem Motto "Kunst gegen Kohle" gegründet. Hamburger Theaterleute waren im Winter 1946/47 ins Ruhrgebiet gereist, um Kohle für ihre Spielstätten zu besorgen. Nachdem die Bergleute halfen, die Kohle an der englischen Besatzung vorbei nach Hamburg zu schleusen, bedankten sich die Künstler im folgenden Sommer mit Gastspielen.
Berlin (epd). Die Hilfsorganisation Care beklagt mangelnde Aufmerksamkeit der Medien für humanitäre Krisen in Afrika. Neun der zehn vergessenen Krisen im vergangenen Jahr seien auf dem afrikanischen Kontinent geschehen, heißt es in dem Bericht "Suffering in Silence" (Leiden in Stille), der am 28. Januar in Berlin veröffentlicht wurde. Ganz oben auf Platz 1 der Liste steht Madagaskar, wo 2,6 Millionen Menschen durch klimatische Veränderungen hungern.
Es folgt die Zentralafrikanische Republik, wo wegen eines brutalen Bürgerkriegs 2,6 Millionen Menschen auf Hilfe angewiesen sind. Sambia landete auf dem dritten Platz, weil dort wegen wiederholter Ernteausfälle etwa 2,3 Millionen Menschen dringend Nahrungsmittelhilfe brauchen.
"Wir beobachten seit langem einen Zusammenhang zwischen der vom Menschen verursachten globalen Erwärmung und der Länge und Komplexität von humanitären Krisen", erklärt Karl-Otto Zentel, Generalsekretär von Care Deutschland. "Obwohl das gesteigerte öffentliche Bewusstsein für die Klimakrise Mut macht, ist es gleichzeitig schockierend, wie wenig über ihre Auswirkungen im globalen Süden berichtet wird."
Für Krisen, über die am wenigsten berichtet werde, gebe es auch oft die geringste Finanzierung. "Das müssen wir ändern", sagte Peter Felten, Leiter des Referats für Multilaterale Gestaltung der Humanitären Hilfe im Auswärtigen Amt. "Es ist unsere Aufgabe, auch dorthin zu schauen, wo es keine Medienschlagzeilen und keine einfachen Antworten gibt."
Laut den Vereinten Nationen werden im Jahr 2020 insgesamt rund 26 Milliarden Euro benötigt, um humanitäre Hilfe für knapp 109 Millionen Menschen in Krisenregionen weltweit zu leisten.
Auf der Liste der zu wenig beachteten Krisen stehen auch Hunger in Burundi, Eritrea, Nordkorea, Kenia sowie die Gewalt in Burkina Faso. Es folgen Naturkatastrophen, Mangelernährung und Vertreibung in Äthiopien und in der Tschadseeregion. Care hat für die Liste das internationale Medienbeobachtungsunternehmen Meltwater beauftragt.
Dafür wurden den Angaben mehr als 2,4 Millionen Online-Meldungen in englischer, deutscher, französischer, spanischer und arabischer Sprache im Zeitraum vom 1. Januar bis 15. November 2019 ausgewertet. Im Blick waren 40 Krisen und Katastrophen, die mehr als eine Million Menschen betreffen. Davon wurden die zehn Krisen ermittelt, über die am wenigsten berichtet wurde.
Berlin/Leipzig (epd). "Reporter ohne Grenzen" und Vertreter der Linkspartei sehen in der Bestätigung des Verbots gegen den mutmaßlichen Betreiberverein der linksextremistischen Internetseite "linksunten.indymedia.org" eine Niederlage für die Pressefreiheit. Das Bundesverwaltungsgericht habe durch sein Urteil eine gute Gelegenheit verstreichen lassen, den hohen Stellenwert der Pressefreiheit zu verdeutlichen, sagte "Reporter ohne Grenzen"-Vorstandssprecher Michael Rediske am 30. Januar in Berlin. Das Bundesinnenministerium sieht sich derweil in seinem Vorgehen bestätigt.
Rediske erklärte, die Pressefreiheit müsse weiterhin auch für unbequeme, ja selbst für schwer erträgliche Veröffentlichungen gelten. Selbstverständlich habe es strafwürdige Inhalte auf "linksunten.indymedia.org" gegeben. Das Gericht habe am 29. Januar in Leipzig jedoch offengelassen, ob diese Inhalte ein pauschales Verbot der ganzen Plattform rechtfertigen.
Die innenpolitische Sprecherin der Linken-Bundestagsfraktion, Ulla Jelpke, erklärte, das Verbot bleibe "ein durch nichts gerechtfertiger Schlag gegen die Pressefreiheit". Weil der frühere Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) zur Schließung der Plattform im August 2017 "einen wohl nur in seinem Kopf existierenden Verein verbieten ließ", könne nun laut Urteil auch nur dieser Verein gegen das Verbot klagen, erklärte Jelpke. Dieses Verfahren erscheine "nachgerade als juristisch-politische Farce", da es die Plattform-Betreiber zwinge, sich selbst zu belasten.
Das Bundesinnenministerium erklärte auf Twitter: "Vereinsverbote sind ein scharfes Schwert." Wenn jedoch öffentlich zu Straftaten aufgerufen werde, müsse der Staat handeln. Das Bundesverwaltungsgericht habe das Vorgehen des Ministeriums am Mittwoch bestätigt. "Keine Toleranz für #Extremismus und #Gewalt, egal aus welcher Richtung", schrieb das Ministerium.
Ähnlich äußerte sich der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Mathias Middelberg. Es sei gut, dass "linksunten.indymedia" verboten bleibe, sagte er. Auf der Plattform sei immer wieder zu Gewalttaten etwa gegen Polizisten aufgerufen worden. Das könne der Rechtsstaat nicht dulden. Die Verbote von "linksunten.indymedia" oder der rechtsextremen Plattform "Altermedia" 2016 zeigten, dass der Staat auch im Internet wehrhaft gegenüber seinen Feinden sei.
Das Bundesinnenministerium hatte den Weiterbetrieb der Seite im August 2017 verboten. Zur Begründung hieß es, es handele sich um die wichtigste Plattform gewaltorientierter Linksextremisten in Deutschland. Das Verbot zielte auf den nach Auffassung des Ministeriums hinter der Plattform stehenden Verein "linksunten.indymedia".
Fünf mutmaßliche Betreiber der Plattform, denen der Verbotsbescheid zugegangen war, waren dagegen als Privatpersonen, nicht aber als Verein, vor das erstinstanzlich zuständige Bundesverwaltungsgericht gezogen. Dieses wies die fünf Klagen ab. Nur ein Verein selbst sei befugt, ein Verbot gegen sich anzufechten, nicht jedoch einzelne Personen oder Mitglieder, urteilten die Richter. Die inhaltlichen Gründe für das Verbot und damit die Frage nach der Meinungs- und Pressefreiheit in Artikel 5 des Grundgesetzes hatte das Gericht nicht behandelt.
Die Klägeranwälte hatten in der Verhandlung argumentiert, für das Verbot der Seite wäre nicht das Vereinsrecht anzuwenden gewesen, sondern Rundfunkstaatsvertrag oder Telemediengesetz. Auf dieser Grundlage hätten auch die strafrechtlich relevanten Inhalte auf der Plattform geprüft werden müssen, die ohnehin nur einen sehr geringen Teil des Gesamtangebots der Seite ausgemacht hätten.
Klägeranwalt Sven Adam sagte nach dem Urteil, das Gericht habe sich um die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Presse- und Meinungsfreiheit im Internet gedrückt. Die Kläger würden nun vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, kündigte Adam an.
Frankfurt a.M. (epd). Billie Eilish ist an diesem Morgen in aller Munde. Die 18-jährige US-Sängerin hat bei den Grammys abgeräumt. Wie sich ihr Name ausspricht, wissen wohl alle aus der Branche. Doch beim Bruder Finneas O'Connell, der gleich noch den Grammy als bester Produzent einfährt, kommen Zweifel auf: Wird dieser Finneas nun auf der ersten oder auf der zweiten Silbe betont? Ein Fall für das Team der ARD-Aussprachedatenbank, die beim Hessischen Rundfunk in Frankfurt am Main angesiedelt ist.
Bei Katharine Schröder klingelt das Telefon. Ein Sender im Süden der Republik bittet um Hilfe. Für die Sprachwissenschaftlerin ist der Fall Finneas schnell gelöst. Sie findet auf Anhieb eine Audio-Aufnahme im Netz, auf der sich der Singer-Songwriter und Musikproduzent selbst vorstellt. An den Sender geht eine Mail, in die Datenbank kommt ein neuer Eintrag. "Ou'kahnell, 'Finneäss (ss=scharf)", lässt sich nun dort lesen in einfacher Umschrift mit den entsprechenden Betonungszeichen. Die passende Audiodatei hat Schröder dazu natürlich aufgenommen und mit hinterlegt.
Nicht alles aber ist so einfach. "Es hat etwas Detektivisches", sagt Roland Heinemann, Leiter und Gründer der mittlerweile fast 23 Jahre alten Datenbank. Im Zeitalter des Internets gilt ein erster Blick zwar dem Netz, aber bis zum endgültigen Ergebnis braucht es oft trotzdem noch viel Gespür. Gibt es schon einmal eine regionale Zuordnung, ist viel gewonnen. Manchmal aber müssen Heinemann und seine Crew selbst da rätseln und kombinieren.
Weiß man Ort oder Sprache, greifen Wissen, Regeln und weitere Recherche ineinander. So manche Sprache lasse sich sehr regelgemäß verlautlichen, erklärt Heinemann. Da sind dann etwa Wörterbücher oder intern erstellte Eindeutschungsgrammatiken wichtige Hilfsmittel.
Außerdem hat das ARD-Datenbankteam "Einflüsterer" in aller Welt, beispielsweise an Unis und Botschaften. Ungefähr 1.500 Aussprache-Informanten sind es. Und nicht zuletzt die Korrespondenten vor Ort sind selbstverständlich eine wichtige Quelle. Wenn die dann vielleicht noch eine kurze Aufnahme einspielen können, in der sich die Person mit dem gesuchten Namen selbst vorstellt - eine sogenannte akustische Visitenkarte -, ist das ein perfekter Treffer. Das gilt vor allem bei Sprachen, die nur von wenigen Menschen oder nur an einem bestimmten Ort gesprochen werden.
Als nächstes müssen die Wörter lautlich so aufbereitet werden, dass sie deutschen Sprechern ohne großes Stolpern oder Peinlichkeiten über die Lippen kommen. "Das Wort wird so original wie möglich ausgesprochen, aber so deutsch wie nötig", fasst Heinemann zusammen. Der isländische Vulkan Eyjafjallajökull etwa, der vor zehn Jahren für Flugausfälle in Europa sorgte, wird von Einheimischen anders ausgesprochen als er letztlich in der Datenbank auftaucht. Die schwierigsten Laute sind hier eingedeutscht, die Empfehlung lautet nun "'Äijjaffjaddlajjöhküddl".
Auch Tonhöhen, die in manchen Sprachen über die Bedeutung eines Wortes entscheiden, bleiben außen vor. "Das müssen wir in Kauf nehmen", räumt Heinemann ein. Ein Versuch, die Tonhöhen zu berücksichtigen, sei nach hinten losgegangen: "Das war die reine Lachnummer."
Pragmatik und Wiedererkennbarkeit sind denn auch Leitgedanken für die Macher der Datenbank. Wie im Fall Khashoggi: Der ermordete saudische Journalist wird, obwohl die Lautung etwas anders sein müsste, in den deutschen Medien überwiegend "Ka'schoggi" genannt - so wie es auch in der ARD-Datenbank empfohlen wird. Dabei handelt es sich aber um einen Rückgriff auf Kashoggis Onkel Adnan, der in den 1970er Jahren mit dieser Aussprache in den deutschen Ohren blieb. "Man muss es auch nicht übertreiben mit der Authentizität", sagt Heinemann.
Richtig oder falsch gibt es für die Hüter von mittlerweile mehr als 400.000 Einträgen daher auch nicht. Nur empfehlenswert und weniger empfehlenswert. Und: "Wir sind nicht die Sprachpolizei", betont Heinemann.
Dass die Hilfestellungen geschätzt werden, zeigen schon die zahlreichen Anfragen. Wöchentlich kommen rund 250 neue Einträge hinzu. Und wenn Großereignisse wie Olympia oder Fußball-WM anstehen, werden es noch mehr. Dann arbeitet das Ausspracheteam schon in den Wochen vorher auf Hochtouren und speist nicht nur alle Spieler ein, sondern auch Schiedsrichter, Mannschaftsärzte, Ortschaften, Sehenswürdigkeiten oder beliebte Gerichte im Gastland.
"Wir gucken ziemlich weit rechts und links der Fahrbahn", sagt Heinemann. "Zur Fußball-WM in Brasilien haben wir einiges an brasilianischen Spezialitäten aus den Kochtöpfen gefischt." Zum Beispiel die Batatas ao Murro, die "Faustschlag-Kartoffeln", die mit dem Hinweis "Ba'tahtass (ss=scharf) au 'murru" in der Liste gelandet sind. Oder der Bohneneintopf Feijoada, gesprochen "Fäischu'ahda".
Zur Krönung seiner Datenbankzeit wünscht sich Heinemann, dass künftig auch Interessenten außerhalb der Sender den Deckel zu den lautsprachlichen Kochtöpfen heben können. Eine Öffnung der Aussprachedatenbank für die Öffentlichkeit möchte er gerne noch auf den Weg bringen, bevor er im Herbst in Rente geht: "Es ist doch wünschenswert, dass dieses kleine hilfreiche Tool der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird." Damit alle mit "Fäischu'ahda" und "'Äijjaffjaddlajjöhküddl" punkten können.
Berlin (epd). Drei Wochen vor der 70. Berlinale hat das neue Leitungsduo Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek die Wettbewerbsfilme bekanntgegeben. Mit Burhan Qurbanis Neuverfilmung des Romans "Berlin Alexanderplatz" und der Liebesgeschichte "Undine" von Christian Petzold gehen zwei deutsche Produktionen über die Hauptstadt in das Rennen um den goldenen und die silbernen Bären. Im Wettbewerb des Festivals vom 20. Februar bis 1. März werden insgesamt 18 Filme zu sehen sein, etwas weniger als bisher.
Anders als sein Vorgänger Dieter Kosslick wollte der künstlerische Leiter Chatrian kein Motto ausgeben. Drei Merkmale des Wettbewerbs seien jedoch, dass Regisseure wie Sally Potter, Qurbani, Hong Sangsoo oder Benoit Delépine erneut vertreten seien und dass es vier Regie-Duos gebe. Alle Filme offenbarten zudem "einen Blick auf die dunkle Seite des Menschen", weil sie eher illusionslos auf die Gegenwart blickten und dem Publikum die Augen öffnen wollten, sagte Chatrian.
Im Wettbewerb gezeigt wird Potters "The Roads Not Taken" mit Javier Bardem, Elle Fanning und Salma Hayek. Der Koreaner Sangsoo präsentiert "The Woman Who Ran", der Franzose Delépine "Effacer l'historique (Delete History)". In der Schweizer Produktion "Schwesterlein" von Stéphanie Chuat und Véronique Reymond sind Nina Hoss und Lars Eidinger zu sehen. Erstmals dabei ist der Iraner Mohammad Rasoulof mit "There Is No Evil". "Wir hoffen, dass seine Regierung ihm erlauben wird, nach Berlin zu kommen", sagte Chatrian. "Irradiés (Irradiated)" von Rithy Panh aus Kambodscha ist der einzige Dokumentarfilm.
Die Bären werden am 29. Februar im Berlinale Palast vergeben. Den Vorsitz der Internationalen Jury hat der britische Schauspieler Jeremy Irons, die weiteren Mitglieder werden in den kommenden Wochen verkündet.
Eröffnet wird die Berlinale mit "My Salinger Year" von Philippe Falardeau. Die Coming-of-Age-Geschichte schildert die New Yorker Literaturszene der 1990er und porträtiert die junge Schriftstellerin Joana, die als Assistentin der Literaturagentin Margaret (Sigourney Weaver) die Fanpost von Kultautor J.D. Salinger beantwortet. Der Film läuft nicht im Wettbewerb, sondern als Special Gala. Die neue Festivalleitung schaffte die Kategorie "außer Konkurrenz” ab und zeigt Beiträge, die bisher dort liefen, jetzt als Berlinale Special Gala.
In dieser Sektion läuft die dokumentarische Serie "Hillary" über die US-Politikerin Hillary Clinton. Johnny Depp spielt in "Minamata" den US-Fotografen W. Eugene Smith (1918-1978). Der Dokumentarfilm "The American Sector" erzählt von in den USA verteilten Berliner Mauerteilen. "Persian Lessons" mit Lars Eidinger zeigt den Holocaust aus ungewöhnlicher Perspektive: Ein Gefangener entgeht dem Tod, indem er schwört, kein Jude, sondern Perser zu sein. Um im Lager zu überleben, muss er Farsi unterrichten, ohne es zu beherrschen.
Berlinale Series präsentiert acht Serienpremieren, darunter "Stateless" von Oscar-Preisträgerin Cate Blanchett. In der neuen, kompetitiven Sektion Encounters mit 15 Filmen laufen drei deutsche Beiträge: "Orphea" von Alexander Kluge und Khavn, "Die letzte Stadt" von Heinz Emigholz und das Langfilmdebüt "Nackte Tiere" von Melanie Waelde. Encounters soll nach Worten von Chatrian aufzeigen, wie sich das Kino derzeit verändere und unkonventionelle Filme entstünden. Im Panorama sind das #MeToo-Drama "The Assistant" und ein Porträtfilm über den verstorbenen Künstler Christoph Schlingensief zu sehen.
Den Goldenen Ehrenbären für ihr Lebenswerk bekommt die britische Schauspielerin und Oscar-Preisträgerin Helen Mirren ("The Queen"), der auch die Hommage gewidmet ist. Eine Berlinale Kamera geht an die Regisseurin Ulrike Ottinger. Der US-Regisseur, Produzent und Drehbuchautor King Vidor (1894-1982) steht im Zentrum der Retrospektive.
Insgesamt sind bei den 70. Internationalen Filmfestspielen Berlin 340 Produktionen zu sehen. Der Ticketvorverkauf startet am 17. Februar.
Berlin (epd). Die Berliner "tageszeitung" (taz) verliert ihren Chefredakteur Georg Löwisch: Der 45-Jährige wechselt im Sommer zur "Zeit", wie beide Unternehmen am 30. Januar mitteilten. Bei der Wochenzeitung amtiert Löwisch demnach ab Juli als Chefredakteur der Beilage "Christ und Welt", zudem wird er "Zeit"-Autor. Sein Amt als taz-Chefredakteur gibt Löwisch bereits Ende April ab.
Über Löwischs Nachfolge bei der taz ist den Angaben zufolge noch nicht entschieden. "Zum Glück stehen wir nicht unter Zeitdruck, denn mit Katrin Gottschalk und Barbara Junge haben wir zwei stellvertretende Chefredakteurinnen", sagte taz-Geschäftsführer Andreas Marggraf. Laut Redaktionsstatut ist der fünfköpfige taz-Vorstand für die Berufung der Chefredaktion zuständig.
Löwisch hatte sein Amt als Chefredakteur der taz im September 2015 angetreten. Zuvor war er Textchef des Debattenmagazins "Cicero". Bei der taz folgte er auf Ines Pohl, die zur Deutschen Welle wechselte. Löwisch hatte 1998 bereits bei der taz volontiert und war 2001 nach einem Studium in Leipzig Redakteur der Reportageseite geworden. Später arbeitete er als Inlandsreporter. Von 2009 an war er Ressortleiter der neu gegründeten "sonntaz", der Wochenendbeilage der "tageszeitung".
Die "Zeit"-Beilage "Christ und Welt" trat Ende 2010 an die Stelle der katholischen Wochenzeitung "Rheinischer Merkur" und wurde zunächst im Katholischen Medienhaus Bonn von einer Tochterfirma der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) produziert. Seit 2016 wird die sechsseitige Beilage von der "Zeit" selbst über die Tochtergesellschaft Zeit Credo erstellt, die Redaktion hat ihren Sitz seitdem in Berlin. Der bisherige Redaktionsleiter Raoul Löbbert wird künftig Chefkorrespondent und Mitglied der "Christ und Welt"-Chefredaktion, teilte die Wochenzeitung am Donnerstag mit.
Stellvertretender Chefredakteur der "Zeit" ist künftig Holger Stark, wie das Blatt ebenfalls bekanntgab. Stark ist bislang bereits Mitglied der Chefredaktion und werde weiterhin gemeinsam mit Karsten Polke-Majewski das Ressort Investigatives und Daten von "Zeit" und "Zeit Online" leiten.
Frankfurt a.M. (epd). Carsten Knop (50) tritt am 1. April in den Kreis der Herausgeber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ) ein. Der Chefredakteur Digitale Produkte der FAZ werde dort die Aufgaben von Werner D'Inka (65) übernehmen, der am 31. März in den Ruhestand gehe, teilte die Zeitung am 28. Januar mit. D'Inka war seit 2005 Herausgeber für die Rhein-Main-Zeitung. Knop werde im Herausgebergremium zudem die digitalen Aktivitäten des Hauses koordinieren. Der Posten des Chefredakteurs Digitale Produkte entfalle.
Die politische, wirtschaftspolitische und kulturelle Linie der FAZ wird nicht von einem Chefredakteur, sondern von dem Herausgebergremium bestimmt. Ihm gehören schon Gerald Braunberger, Jürgen Kaube und Berthold Kohler an. Mit der Berufung Knops werde die strategisch große Bedeutung unterstrichen, die sowohl die digitale Transformation als auch die Präsenz in der Rhein-Main-Region für die Zeitung hätten, hieß es.
Andreas Barner, Vorsitzender des FAZ-Aufsichtsrats, lobte D'Inka für die hohe Qualität seiner Beiträge und die "stets vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit". Er habe die Zeitung mit großem Engagement, Klugheit und Geschick über viele Jahre mitgestaltet. Knop wünschte Barner einen "guten Start in seiner neuen Position".
Carsten Knop absolvierte von 1993 an sein Volontariat bei der FAZ, 1996 trat er in die Wirtschaftsredaktion ein. Von 1999 bis 2003 berichtete er als Wirtschaftskorrespondent aus Amerika und verfolgte das Geschehen im Silicon Valley. Nach der Rückkehr in die Frankfurter Zentrale verantwortete er die Unternehmens- und drei Jahre lang bis Ende 2017 auch die Wirtschaftsberichterstattung. Seit Anfang 2018 ist er Chefredakteur Digitale Produkte.
Werner D'Inka kam 1980 zur FAZ. Bis 1986 war er im Ressort "Tele-FAZ" tätig, an der ersten Nachrichtensendung im deutschen Privatfernsehen arbeitete er 1984 als Redakteur mit. Nach dem Wechsel zur gedruckten Zeitung wurde er 1991 deren Chef vom Dienst. Am 1. März 2005 folgte die Berufung in das Herausgebergremium.
Frankfurt a.M. (epd). Denis Krick wird Leiter Digitale Kommunikation im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP). Der 47-jährige Journalist aus Hannover wechselt vom "RedaktionsNetzwerk Deutschland" der Verlagsgruppe Madsack nach Frankfurt am Main, wie das GEP am 27. Januar mitteilte. Kricks 37 Jahre alter Vorgänger Hanno Terbuyken wechselt nach zehn Jahren im GEP zum Software-Unternehmen ChurchDesk in Berlin und übernimmt dort die Position Head of Communications.
Krick war beim "RedaktionsNetzwerk Deutschland" als Regio-Koordinator und in der Team-Leitung des Digital Hubs beschäftigt, wo unter anderem die Koordination der Online-Aktivitäten von zwölf Regional- und Lokalzeitungen der Madsack-Mediengruppe zu seinen Aufgaben gehörte. Zuvor war er als Chef vom Dienst und Mitglied der Chefredaktion bei der "Nordwest-Zeitung" unter anderem mit der strategischen Führung der Online-Redaktion betraut.
Das GEP ist mit seinen angeschlossenen Unternehmen die zentrale Medieneinrichtung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der evangelischen Landeskirchen, der Diakonie sowie der Vereinigung evangelischer Freikirchen. Das GEP trägt unter anderem die Zentralredaktion des Evangelischen Pressedienstes (epd), das Onlineportal "evangelisch.de", das Monatsmagazin "chrismon", die Rundfunkarbeit der EKD und die Fastenaktion "7 Wochen Ohne".
Dresden (epd). Nach Drohungen wegen der Übernahme der Moderation des Semperopernballs in Dresden hat nun auch Mareile Höppner dem Event eine Absage erteilt. Der Trägerverein des Opernballs sei "schockiert über die Hetze und den Hass", der die MDR-Moderatorin in den vergangenen Tagen getroffen habe, erklärte der Vereinsvorsitzende Hans-Joachim Frey am Wochenende in Dresden. Höppner habe Strafanzeige erstattet, sehe sich jedoch außerstande, ihre Moderationszusage zu erfüllen.
Zuvor hatte die Tagesschau-Sprecherin Judith Rakers die Moderation des 15. Semperopernballs abgesagt, weil der Opernballverein dem ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi einen Orden verliehen hat. Al-Sisi kam 2013 nach einem Militärputsch an die Macht und wurde 2014 als Präsident vereidigt. Seitdem geht er mit harter Hand gegen Oppositionelle und Kritiker vor, Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind nach Einschätzung von Beobachtern stark eingeschränkt. Der Orden wurde ihm vorzeitig übergeben.
Nach der Absage von Rakers war Höppner kurzfristig als Moderatorin des Balls eingesprungen. Frey hatte die Wahl des Preisträgers damit gerechtfertigt, dass der Ball eine Kultur- und keine politische Veranstaltung sei. Al-Sisi sorge in Ägypten für Stabilität, Kultur und Bildung und sei als Präsident der Afrikanischen Union die Stimme Afrikas, hieß es. Inzwischen hat sich der Verein für die Ehrung entschuldigt und sich davon distanziert. Der 15. Semperopernball soll am 7. Februar begangen werden.
Saarbrücken (epd). Der Rundfunkrat des Saarländischen Rundfunks (SR) hat am 27. Januar Gisela Rink (CDU) zur neuen Vorsitzenden gewählt. Als alleinige Kandidatin erhielt sie 33 der 37 möglichen Stimmen - bei zwei Enthaltungen und zwei ungültigen Stimmen. Rink folgt auf Wolfgang Krause, der seit 2014 Vorsitzender des Rundfunkrates war. Sie ist von den saarländischen Familienverbänden in das Gremium entsendet.
Ziel müsse es sein, "dass wir eine gute Zukunft für unseren SR im Land haben", sagte die frühere CDU-Landtagsabgeordnete in ihrer Bewerbungsrede. Das gelte sowohl inhaltlicher als auch finanzieller Art. Rink, die nach eigenen Angaben 20 Jahre einen Kinderhort leitete, war seit 2004 im Rundfunkrat, seit 2014 auch stellvertretende Vorsitzende. Die Arbeit sei sehr interessant, betonte sie.
Der Rundfunkrat wählte außerdem Thorsten Schmidt vom Deutschen Gewerkschaftsbund Saar/Bezirk West zu Rinks Stellvertreter. 30 Mitglieder stimmten für ihn, drei gegen ihn, zwei enthielten sich und es gab zwei ungültige Stimmen.
Das Augenmerk müsse darauf liegen, den "wundervollen Sender mit tollen Mitarbeitern erhalten" zu können, betonte der 40-jährige gelernte Industriemechaniker. Er wolle den Sender kritisch sowie konstruktiv begleiten, um mit dafür zu sorgen, dass der SR in Zukunft auch ein junges Publikum anspricht. Der SR sei "über alle gesellschaftlichen Zwänge hinweg das Identifikationsmerkmal nach außen".
Der SR-Rundfunkrat hat insgesamt 38 Mitglieder. Der Rundfunkrat gilt als das wichtigste Kontrollorgan einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt. Seine Mitglieder sollen die Vielfalt der Meinungen der Bevölkerung widerspiegeln. Er berät den Intendanten in der Programmgestaltung und wacht darüber, dass der SR seine Aufgaben entsprechend den rechtlichen Aufgaben erfüllt. Auch wählt der Rundfunkrat den Intendanten oder die Intendantin. Der nun neu konstituierte Rundfunkrat ist bis zum 31. Dezember 2023 im Amt.
Unna (epd). Die nordrhein-westfälische Literaturdatenbank "LITon" ist nach einem Relaunch wieder online. Die Sammlung beinhaltet Porträts von Autorinnen und Autoren, literarischen Einrichtungen, Verlagen, Bibliotheken und Projekten und ist unter neuem Namen, im neuen Design unter der neuen Webadresse "www.liton.nrw" zu finden, wie das Westfälische Literaturbüro Unna mitteilte. Zudem gebe es in der Datenbank nun mehr Filtermöglichkeiten.
Auf der Webseite werden etwa Pressebilder und Kontaktdaten von Literaturschaffenden, Informationen zu einzelnen Literatureinrichtungen, Weiterbildungen oder Festivals gebündelt. Das Portal besteht seit 16 Jahren und war bisher unter "www.nrw-literatur-im-netz.de" abrufbar. Es beinhaltet den Angaben zufolge mittlerweile mehr als 1.000 Profile. Eine Aufnahme in die Datenbank kann kostenlos beantragt werden. Das Projekt wird vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW gefördert.
Berlin, São Paulo (epd). Brasilien hat eines der ungerechtesten Bildungssysteme weltweit. Wer Geld hat, zahlt eine teure Privatschule für sein Kind. Der Rest - immerhin mehr als 80 Prozent der Bevölkerung - muss die oftmals prekären öffentlichen Schulen nutzen. Dabei wird die Kluft immer größer. Denn die Regierung des rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro kürzte den Etat für Kitas, Schulen, Universitäten und staatliche Forschung um 30 Prozent - mit verheerenden Folgen.
Staatliche Schulen in Brasilien hatten schon immer einen schlechten Ruf. Die Gebäude sind marode, Lehrer fehlen und werden schlecht bezahlt. "Ich habe seit zwei Jahren keinen Mathematikunterricht gehabt", erzählt beispielsweise die zwölfjährige Marisa Ramos aus dem Süden der Metropole São Paulo. Für viele Unterrichtsfächer habe sie keine Bücher, einen Kopierer gebe es aber auch nicht. Auf dem Land ist die Situation noch kritischer: Zunehmend würden Grundschulen geschlossen, weil die Regierung die Mittel gekürzt habe, beklagt die Landlosenbewegung MST. Laut offizieller Statistik waren in den ländlichen Gebieten im vergangenen Jahr 145.000 Kinder weniger eingeschult als im Vorjahr.
"Das Problem ist, dass die Regierung Bolsonaro das Bildungswesen strategisch zerstören will", sagt der Politikwissenschaftler Daniel Cara von der Nationalen Kampagne für das Recht auf Bildung. Die Kürzungen von 7,6 Milliarden Reais (rund 1,6 Milliarden Euro) lastet Bolsonaro der schlechten wirtschaftlichen Lage an und verweist dabei regelmäßig auf die "Vorreiterposition" von Brasilien in Bildungsausgaben. Rund sechs Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) gibt das Land für Bildung aus. Der Anteil sei damit höher als im Durchschnitt der OECD-Staaten, die nur 5,5 Prozent des BIP in die Bildung stecken, argumentiert die Regierung.
Augenwischerei nennt Cara solche Statistiken: "Brasilien investiert nur etwa ein Viertel von dem, was die am meisten entwickelten Länder pro Schüler ausgeben." Das sei umso schwerwiegender, weil der Zugang zu Bildung in Brasilien viel komplizierter sei als in westlichen Ländern. Hinzukomme der schlechte Zustand von Schulen, oftmals ohne Elektrizität und Abwassersystem.
Nicht verwunderlich ist deshalb, dass bei den PISA-Umfragen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) die brasilianischen 15-Jährigen regelmäßig mit einigen anderen Ländern das Schlusslicht in Mathematik, Lesen und Schreiben bilden. Der Kreislauf setzt sich fort: Nur wenige der Absolventen von öffentlichen Schulen schaffen die Aufnahmetests zu den staatlichen gebührenfreien Elite-Unis.
Dazu kommt die rechtsextreme Agenda des Präsidenten. Nicht nur ruft er dazu auf, kritische Lehrer zu denunzieren, auch greifen evangelikale Christen und die Militärs zunehmend nach den Lehrplänen. Als Projekt der Zukunft feiert Bolsonaro öffentlich-militärische Schulen. Diese Kooperation gibt es zwar bereits seit 20 Jahren, Bolsonaro will sie aber massiv ausbauen. Öffentliche Schulen geben dabei einen Teil ihrer Kompetenz an das Militär ab. Ursprünglich wurden diese "Modellschulen" in sozialen Brennpunkten errichtet und sollten für mehr Sicherheit der Kinder sorgen.
Bei Bolsonaro gehe es aber um Ideologie, sagt Bildungsforscher Cara. In solchen Schulen herrscht seit seinem Amtsantritt nicht nur Drill und militärische Disziplin, die 20 Jahre währende Militärdiktatur wird neu interpretiert. Kritische Debatten über brasilianische Geschichte, Regenwaldabholzung oder Rassismus haben keinen Platz. "Bolsonaro will Pädagogen durch Militärs mit autoritärer Disziplin ersetzen", sagt Cara. Diese Einrichtungen erhalten mehr Geld als andere öffentliche Schulen und sind deshalb bei vielen Eltern beliebt, die sich eine bessere Bildung für ihre Kinder erhoffen. Offiziell darf das Militär zwar nicht in den Lehrplan eingreifen, doch viele Lehrer fühlen sich überwacht.
Die sozialdemokratische Regierung von Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva schuf 2006 zusammen mit Städten und Gemeinden einen Fonds für die Finanzierung der Grundbildung, an dem sich der Bund mit zehn Prozent beteiligt. Abgeordnete wollten jüngst die staatliche Beteiligung auf 40 Prozent erhöhen. Das Bildungsministerium schmetterte den Vorschlag umgehend ab.
Berlin (epd). Der Klimawandel verschärft nach Einschätzung von Hilfsorganisationen die Schuldenkrise in vielen Ländern. Wirbelstürme, Starkregen und Dürren seien für hoch verschuldete Länder eine besondere Gefährdung, weil ihnen im Katastrophenfall Geld fehle, um schnelle und effektive Hilfe leisten zu können, heißt es in dem am 27. Januar in Berlin veröffentlichten Schuldenreport 2020. Der Bericht zur Verschuldungssituation von Entwicklungs- und Schwellenländern wird jährlich vom deutschen Entschuldungsbündnis Erlassjahr und dem Werk für Entwicklungszusammenarbeit Misereor erstellt. Beide Organisationen fordern eine Entschuldungsinitiative für Länder, die durch den Klimawandel immer stärker von Naturkatastrophen betroffen sind.
Demnach sind 124 der 154 untersuchten Entwicklungs- und Schwellenländer kritisch verschuldet. Besonders problematisch sei die Verschuldungssituation in Bhutan, der Mongolei, Sri Lanka, Dschibuti, Kap Verde, Mosambik, Sudan, Argentinien, El Salvador, Jamaika, Libanon und Kirgisistan. Absolut betrage die Auslandsverschuldung aller betrachteten Länder rund 7,08 Billionen Euro.
19 Staaten hätten aktuell die Zahlungen an ihre ausländischen Gläubiger ganz oder teilweise einstellen müssen, heißt es in dem Bericht. "In den vergangenen Jahren waren kleine Staaten wie Somalia, Eritrea oder der Sudan zahlungsunfähig. Es ist ein weiteres Warnzeichen, dass sich mit Argentinien nun auch das erste wirtschaftliche Schwergewicht im teilweisen Zahlungsausfall befindet", sagte Jürgen Kaiser, Politischer Koordinator bei Erlassjahr.
Schwerpunkt des diesjährigen Schuldenreports sei die doppelte Verwundbarkeit von Ländern, die an klimabedingten Naturkatastrophen und einer zunehmenden Schuldensspirale leiden. Erlassjahr und Misereor verwiesen darauf, dass das südliche Afrika aktuell von einer Hungerkrise bedroht sei, darunter hoch verschuldete Länder wie Mosambik, Sambia und Simbabwe.
Bei klimabedingten Naturkatastrophen müsse es einen automatischen Zahlungsstopp der laufenden Schuldenzahlungen gebe, sagte Kaiser. Danach müsse es mit allen Gläubigern Neuverhandlungen geben mit dem Ziel, die Verschuldung auf ein tragfähiges Maß zu senken. Die Bundesregierung sollte sich bei den Klimaverhandlungen ebenso wie im Financing-for-Development-Prozess der Vereinten Nationen und im Internationalen Währungsfonds für eine Entschuldungsoption zugunsten von Ländern einsetzen, die besonders vom Klimawandel betroffen sind.
Für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung betonte der Referatsleiter Klimapolitik, Martin Kipping, dass auch die langfristigen Folgen des Klimawandels wie der Anstieg des Meeresspiegels und die Versalzung des Grundwassers in den Blick genommen werden müssten. Er mahnte eine Debatte zur Klimagerechtigkeit an. So sei der globale Norden der Hauptverursacher des Klimawandels und habe somit "ökologische Schulden" beim globalen Süden. Das müsse finanziell ausgeglichen werden.
Frankfurt a.M., Dhaka (epd). Die Regierung von Bangladesch hat angekündigt, Rohingya-Flüchtlingskindern aus Myanmar eine offizielle Schul- und Weiterbildung zu ermöglichen. Amnesty International begrüßte diese Entscheidung am 28. Januar und sprach von einer "wichtigen und sehr positiven Zusage". Demnach werden Kinder bis zu 14 Jahren eine Schuldbildung erhalten, während Jugendliche ab 14 Jahren eine weiterführende Ausbildung gemäß ihrer jeweiligen Fähigkeiten bekommen sollen.
Dafür bräuchten die Einrichtungen ausgebildete Lehrer, die mit den in Myanmar geltenden Lehrplänen vertraut und in der Lage seien, in birmanischer Sprache zu unterrichten. Ein Pilotprojekt unter Schirmherrschaft des UN-Kinderhilfswerks Unicef und der Regierung in Dhaka ist auf zunächst 10.000 Kinder ausgelegt.
"Die Kinder und Jugendlichen haben bereits zwei Schuljahre verloren und können es sich nicht leisten, noch mehr Zeit außerhalb des Klassenzimmers zu verbringen", sagte der für Südasien zuständige der Amnesty-Mitarbeiter Saad Hammadi. Wegen einer brutalen Militäroffensive in Myanmar waren seit Ende August 2017 mehr als 740.000 muslimische Rohingya ins benachbarte Bangladesch geflohen. Dort harren sie unter prekären Bedingungen in überfüllten Camps im Distrikt Cox's Bazar aus.
Wiederholt hatte auch Unicef gefordert, den 500.000 Rohingya-Flüchtlingskindern und auch den bangladeschischen Kindern in Cox's Bazar einen regelmäßigen Schulbesuch oder eine Ausbildung zu ermöglichen. Zwar erhielten 280.000 Rohingya zwischen 4 und 14 Jahren provisorischen Unterricht in sogenannten Lernzentren. Aber 97 Prozent der 15- bis 18-Jährigen bekämen keine formale Bildung mehr, hieß es im August. Kritiker sprachen bereits von einer "verlorenen Generation".
Genf, Banjul (epd). Menschenrechtler haben die brutale Niederschlagung von Protesten in Gambia verurteilt. Das gewaltsame Vorgehen der Sicherheitskräfte und die Festnahme von 137 oppositionellen Demonstranten am 26. Januar erinnere auf fatale Weise an das autoritäre Regime des 2016 abgewählten Yahya Jammeh, erklärte die Direktorin von Amnesty International für die Region, Marta Colomer. Sie forderte die Regierung von Präsident Adama Barrow auf, den mutmaßlichen Tod von drei Demonstranten aufzuklären und Schuldige zur Verantwortung zu ziehen. Die Regierung hatte erklärt, es habe keine Toten gegeben.
Demonstranten, die sich nichts zuschulde kommen ließen, müssten freigelassen, zwei von den Behörden wegen ihrer Berichterstattung geschlossene Radiostationen umgehend wieder zugelassen werden, forderte Colomer. Hintergrund des harten Durchgreifens der Polizei sind Proteste einer Bewegung, die den 2017 auf internationalen Druck ins Amt gekommenen Barrow dazu bringen wollen, nach drei Jahren im Amt als Präsident abzutreten. Das hatte Barrow selbst bei Amtsantritt versprochen. Inzwischen will er die reguläre Amtszeit von fünf Jahren ausfüllen.
Barrow hatte nach seiner Wahl zunächst als Hoffnungsträger in dem westafrikanischen Land gegolten, das zu den ärmsten der Welt gehört. Inzwischen sind Ungeduld und Unzufriedenheit gewachsen. Außer der Bewegung "Drei Jahre sind genug", die Neuwahlen fordert, demonstrieren auch Anhänger des abgewählten Ex-Diktators Jammeh für dessen Rückkehr aus dem Exil in Äquatorialguinea. Amnesty International hatte Barrow 2019 bei einem Treffen öffentlich für menschenrechtliche Fortschritte gelobt, aber weitergehende Schritte angemahnt.
Nairobi (epd). Die Straße könnte als Friedenszeichen gewertet werden. Sie verbindet die über Jahrzehnte verfeindeten Nachbarländer Eritrea und Äthiopien. Doch die Strecke auf eritreischer Seite, die jetzt mit EU-Geld wiederhergestellt wird, verdeutlicht die Grausamkeit der Diktatur in dem Land: Sie entsteht vor allem durch Zwangsarbeit.
Insgesamt 80 Millionen Euro hat die EU-Kommission dafür bewilligt. Die Mittel stammen aus dem EU-Treuhandfonds für Afrika, der 2015 aufgesetzt wurde, um Fluchtursachen zu bekämpfen. Sehr viele der Flüchtlinge, die nach Deutschland und Europa kommen, stammen aus Eritrea. Jedes Jahr fliehen Zehntausende Menschen aus dem ostafrikanischen Land. Anfang 2019 zahlte die Kommission 20 Millionen Euro für den Straßenbau, Ende 2019 bewilligte sie weitere 60 Millionen.
Laut EU-Kommission soll das Projekt den Frieden zwischen Äthiopien und Eritrea fördern und Arbeitsplätze schaffen. Doch Menschenrechtler kritisieren die EU-Hilfe scharf. "Uns beunruhigt vor allem, dass die EU zum ersten Mal eingeräumt hat, dass es im Zusammenhang mit dem Projekt Zwangsarbeit geben könnte", sagt Laetitia Bader von Human Rights Watch. "Und zwar durch Nationaldienstleistende in Eritrea."
Eritrea gilt als eine der härtesten Diktaturen der Welt. In dem Fünf-Millionen-Staat sind Männer und Frauen lebenslang zum Nationaldienst verpflichtet. Nach der militärischen Ausbildung werden sie beliebig eingesetzt, beispielsweise in der Armee, als Lehrer, im Straßenbau oder als Landarbeiter. Einen freien Arbeitsmarkt gibt es praktisch nicht, weil die gesamte Bevölkerung zum Dienst gezwungen ist.
Die Regierung unter Präsident Isayas Afewerki hat den Dienst lange mit einem drohenden Krieg zwischen Eritrea und Äthiopien begründet. Doch in Äthiopien haben sich die politischen Verhältnisse stark verändert, seit Abiy Ahmed im April 2018 Ministerpräsident wurde. Im Juli desselben Jahres unterzeichneten Abiy und Afewerki einen Friedensvertrag. Die Grenze zwischen den Ländern wurde geöffnet, allerdings nach wenigen Monaten von Eritrea aus nach und nach wieder geschlossen.
Abiy wurde 2019 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet, Afewerki aber nicht mit bedacht, weil in Eritrea alles beim Alten blieb. Auch die Zahl der Fliehenden ging nicht zurück. Nach Einschätzung Baders hat sich die Lage sogar verschlimmert. Im September 2019 wurden sieben konfessionelle Schulen beschlagnahmt, nachdem zuvor laut der katholischen Kirche bereits fast 30 kirchliche Kliniken und Apotheken enteignet worden waren.
Trotz des Friedensvertrages mit Äthiopien hält die eritreische Regierung am lebenslangen Nationaldienst fest. Er bringe die Bevölkerung in Arbeit, heißt es zur Begründung. Diese Perspektive scheint sich die EU-Kommission zu eigen zu machen. Kommissionssprecherin Ana Pisonero erklärte Mitte Januar vor Journalisten in Brüssel: "Sie wissen ja selbst, dass die Schaffung von ausreichend Jobs eine der Bedingungen dafür sein wird, dass wir Eritrea dabei helfen können, den unbegrenzten Charakter seines Nationaldienstes zu reformieren."
Zwar verurteile die EU Menschenrechtsverletzungen grundsätzlich und werte den zeitlich unbegrenzten Nationaldienst als Verstoß gegen die Konvention der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, sagte Pisonero. "Aber wir müssen auch deutlich sagen, dass die Politik der Isolierung, die wir in der Vergangenheit verfolgt haben, nicht funktioniert hat."
Menschenrechtlerin Bader sieht aber zudem das Problem, "dass es keine Möglichkeit gibt, die Verwendung der EU-Mittel durch eine unabhängige Stelle zu überwachen". Schließlich genehmige die eritreische Regierung Fahrten außerhalb der Hauptstadt Asmara nur äußerst widerwillig. Dem widersprach eine EU-Sprecherin: Die EU mache sich regelmäßig ein Bild von der Lage, durch den Dialog mit ihren eritreischen Partnern und die Inspektion des gelieferten Baumaterials, teilte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd) mit. Im vergangen Jahr seien außerdem drei Ortsbesuche gemacht worden, "ohne dass unnormale Arbeitsbedingungen beobachtet worden wären".
Die EU hat dafür gesorgt, etwas Abstand zwischen sich und das Projekt zu bringen: Umgesetzt wird es vom Büro für Projektdienste der Vereinten Nationen (Unops). Auf die Kritik von Menschenrechtsaktivisten betonte die EU denn auch, sie zahle nicht für die Arbeit, sie zahle nur für Ausrüstung und technische Geräte.