Bonn, Hannover (epd). Der Mitgliederschwund in der evangelischen und katholischen Kirche beschleunigt sich. Mehr als 800.000 Mitglieder verloren die beiden großen christlichen Kirchen im vergangenen Jahr. Das zeigen die Mitgliederstatistiken der katholischen Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für 2019, die am 26. Juni veröffentlicht wurden. 2018 war es in der Summe ein Verlust von 704.000 Mitgliedern. Doch immer noch gehört mehr als jeder zweite Deutsche einer dieser beiden christlichen Konfessionen an.
An diesen Zahlen sei nichts schönzureden, sagte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Georg Bätzing. Ihn wie auch seinen Amtskollegen, den EKD-Ratsvorsitzenden, Heinrich Bedford-Strohm, schmerzt vor allem die hohe Zahl der Kirchenaustritte. Sie sind neben den Sterbefällen der Grund für den Mitgliederschwund. Mehr als eine halbe Million Menschen, so viele wie nie zuvor, verließen im Jahr 2019 die Kirche.
Auf Basis der gemeldeten vorläufigen Zahlen aus den 20 evangelischen Landeskirchen traten etwa 270.000 Menschen aus der Kirche aus. Das sind rund 22 Prozent mehr als im Vorjahr, teilte die EKD mit. 2014 hatte die Zahl der Austritte schon einmal bei rund 270.000 gelegen. Wie schon 2018 verstarben auch 2019 rund 340.000 Kirchenmitglieder. Die EKD kündigte an, die erhöhten Austrittszahlen vom Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD untersuchen lassen zu wollen.
Noch mehr Menschen traten 2019 aus der katholischen Kirche aus: Mehr als 272.700 annullierten ihre Mitgliedschaft - ein Anstieg von 26,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Austrittsrate stieg auf über 1,2 Prozent. So hoch war sie noch nie, sagte der Münsteraner Religionssoziologe Detlef Pollack dem Evangelischen Pressedienst (epd). Erstmals seit dem Jahr 2010, in dem der Missbrauchsskandal bekanntwurde, gab es wieder mehr Kirchenaustritte bei den Katholiken als bei den Protestanten.
Die Zahl der Austritte und Todesfälle lässt sich nicht durch Taufen oder Wiedereintritte kompensieren. Doch während die Zahl der Taufen (160.000) und Aufnahmen (25.000) sich bei den Protestanten im Vergleich zum Vorjahr in etwa gleichblieb, sanken beide Zahlen bei den Katholiken deutlich. Die Katholiken zählten 2019 rund 159.000 Taufen, 2018 waren es noch mehr als 167.700 gewesen. Auch die Zahl der Eintritte und Wiederaufnahmen sank um rund zwölf Prozent auf insgesamt 7.669.
Rund 20,7 Millionen Menschen waren zum Stichtag 31. Dezember 2019 Mitglied in einer der 20 Landeskirchen der EKD, teilte die EKD mit. Das waren rund zwei Prozent weniger als im Vorjahr (21,1 Millionen). Das entspricht einem Bevölkerungsanteil von rund 24,9 Prozent. Der katholischen Kirche gehörten 2019 22,6 Millionen Menschen in Deutschland an. Sie verlor rund 1,7 Prozent ihrer Mitglieder im Vergleich zu 2018 (23,0 Millionen). 27,2 Prozent der Deutschen sind den Angaben zufolge katholisch.
Auch auf die Kirchensteuereinnahmen wird sich die Zahl der Kirchenmitglieder langfristig auswirken. Bis 2060 könnte sich die Zahl der Kirchenmitglieder einer Prognose von Freiburger Finanzwissenschaftlern aus dem vergangenen Jahr zufolge halbieren. Während in den vergangenen Jahren die Kirchensteuer trotz sinkender Mitgliederzahlen wegen der guten wirtschaftlichen Konjunktur zunahm, erwartet die EKD nun für das laufende Jahr infolge der Corona-Krise einen starken Einbruch. Zwischen zehn und 25 Prozent könnten die Einbußen liegen. Die Bischofskonferenz machte keine Angaben dazu.
Düsseldorf, Bielefeld (epd). Die Kirchen in Nordrhein-Westfalen haben im vergangenen Jahr knapp 214.000 Mitglieder verloren. Hauptgründe sind die Sterbefälle und die deutlich höhere Zahl der Austritte, wie aus den am 26. Juni veröffentlichten Mitgliedszahlen der evangelischen Landeskirche und katholischen Bistümer hervorgeht. Die Entwicklung entspricht dem deutschlandweiten Trend.
Die Mitgliederzahl der Evangelischen Kirche im Rheinland sank insgesamt um gut 1,9 Prozent auf 2,45 Millionen Mitglieder Ende 2019. In der Evangelischen Kirche von Westfalen ging die Zahl der Gläubigen um 2,2 Prozent auf 2,15 Millionen zurück, in der Lippischen Landeskirche um 1,4 Prozent auf 152.400 Mitglieder. Der Zahl der gestorbenen Gemeindemitglieder stünden nur etwa halb so viele Taufen gegenüber, erklärten die drei Landeskirchen.
Ähnlich ist die Entwicklung in der katholischen Kirchen: Die Zahl der Mitglieder sank im Erzbistum Köln um 1,9 Prozent auf 1,9 Millionen, im Ruhrbistum Essen um 2,1 Prozent auf knapp 740.000, im Bistum Aachen um 1,7 Prozent auf eine Million, im Bistum Münster um knapp 1,6 Prozent auf 1,82 Millionen und im Erzbistum Paderborn um 1,7 Prozent auf 1,47 Millionen Mitglieder.
Die Zahl der Kirchenaustritte stieg 2019 drastisch an - bei den fünf NRW-Bistümern zwischen 28,5 Prozent im Erzbistum Paderborn und 31,5 Prozent im Erzbistum Köln. Bei den evangelischen Landeskirchen gab es im Rheinland 23,2 Prozent mehr Kirchenaustritte als 2018, in Westfalen 29,7 Prozent und in Lippe 26 Prozent.
Die westfälische Kirche verwies darauf, dass auch schon höhere Austrittszahlen verzeichnet wurden, etwa nach der Einführung des Solidaritätszuschlags 1992 mit 25.177, ein Viertel mehr als 2019. Im Jahr 2014 traten mutmaßlich im Zusammenhang mit der Abgeltungssteuer 20.096 Mitglieder aus. Die Landeskirche reagiere auf die sinkenden Mitgliederzahlen mit einem "umfassenden und systematischen Prozess der Aufgabenklärung", sämtliche Arbeitsbereiche würden auf den Prüfstand gestellt, und Ausgaben verringert.
Der rheinische Präses Manfred Rekowski betonte: "Die Relevanz des Evangeliums spiegelt sich nicht allein in den Trends und Zahlen." Viele Seiten der Kirche nehme nur derjenige wahr, "der besucht, der persönlich begleitet, mit dem gebetet wird". Die Kirche sei mit ihrer Seelsorge "nah bei den Menschen". Auf neue Wegen sollten zudem künftig Menschen erreicht werden, dies sich "in unseren Angeboten bislang nicht zuhause fühlen". Mit den sogenannten Erprobungsräumen fördert die Landeskirche neue kreative Projekte für Gemeinden.
Die Lippische Landeskirche erklärte, die größter Anteil am Mitgliederrückgang hätten die Altersentwicklung, aber auch Wanderungsbewegungen und Austritte spielten eine Rolle. Die erhöhten Austrittszahlen seien unter anderem auf eine wachsende Entfremdung gegenüber Kirche und Glauben sowie auf die generell abnehmende Bindungskraft von Institutionen zurückzuführen. Die lippische Kirche setzt ebenfalls auf die "Erprobungsräume", in denen neue Formen der Gemeindearbeit ausprobiert und gefördert werden.
Der Münsteraner Bischof Felix Genn erklärte, für viele Menschen spielten die Gemeinschaft der Kirche und ihr Verkündigungsgehalt keine Rolle mehr. "Die Menschen müssen erfahren, dass wir als Christinnen und Christen gerne für sie da sind", betonte er. "Wir sind nicht von gestern, sondern stehen mitten in dieser Welt."
Der Generalvikar des Bistums Aachen, Andreas Frick, zeigte sich erschüttert von den Zahlen. Die Kirche müsse "intensiv arbeiten, wenn wir dem Anspruch gerecht werden wollen, die Freude der Botschaft Jesu für die Menschen sichtbar werden zu lassen".
Bundesweit verloren die beiden großen Kirchen 2019 erheblich mehr Mitglieder als in den vorangegangenen Jahren: Die Zahl der Protestanten ging um knapp 427.390 zurück, die Katholiken verloren rund 401.760 Mitglieder. Auf Basis der gemeldeten vorläufigen Zahlen traten 2019 bundesweit etwa 270.000 Menschen aus der evangelischen Kirche aus, rund 22 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Bei den katholischen Kirche annullierten über 272.700 Menschen ihre Mitgliedschaft - ein Anstieg um 26,2 Prozent.
Bei den Protestanten bewegte sich die Zahl der Taufen (160.000) und Aufnahmen (25.000) in etwa auf dem Vorjahresniveau, während bei den Katholiken beides im Vergleich zu 2018 deutlich abnahm. Nach den jüngsten Zahlen gehören noch 52,1 Prozent der Deutschen einer dieser beiden christlichen Konfessionen an.
Münster (epd). Der Münsteraner Religionssoziologe Detlef Pollack sieht die Ursache der hohen Austrittszahlen der katholischen und evangelischen Kirche in einem Traditionsabbruch und einer mangelnden gesellschaftlichen Relevanz der Kirchen. Beide Faktoren verstärkten sich wechselseitig, sagte Pollack am 26. Juni dem Evangelischen Pressedienst (epd). Zuvor hatten die katholische Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ihre Mitgliederstatistik für das Jahr 2019 veröffentlicht.
Demnach traten 270.000 Menschen aus der evangelischen Kirche aus, 272.770 aus der katholischen. Die Austrittsrate sei so hoch wie nie, sagte Pollack. Normalerweise liege die Kirchenaustrittsrate in der evangelischen Kirche immer höher als in der katholischen - mit Ausnahme des Jahres 2010, als der Missbrauchsskandal öffentlich wurde. Die Kirchenbindung sei bei den evangelischen niedriger als bei den katholischen Kirchenmitgliedern. Doch im Jahr 2019 traten nach 2010 erstmals wieder mehr Menschen aus der katholischen Kirche aus als aus der evangelischen.
Die Weitergabe des Glaubens von der Elterngeneration auf die Kinder funktioniere nicht mehr, sagte Pollack. In repräsentativen Umfragen für Deutschland gäben mehr als 70 Prozent der Über-65-Jährigen an, religiös erzogen worden zu sein. Bei den Unter-25-Jährigen seien es hingegen nicht einmal 30 Prozent. "Das ist ein ganz entscheidender Punkt: Selbst wenn die Menschen nicht aus der Kirche austreten, geben sie den Glauben innerhalb der Familie nicht weiter", sagte Pollack. Es seien vor allem die Jüngeren, die dann austreten.
Dieser Faktor verschränke sich mit einem zweiten: "Die Kirchen haben an sozialer und politischer Relevanz verloren", sagte Pollack. Die Kirchen seien nicht mehr wie noch vor 50 Jahren in der Lage, die politische Diskussion zu beeinflussen. Sie seien zu sekundären Institutionen geworden, die sich zwar noch in der öffentlichen Debatte zu Wort meldeten, etwa zu sozialer Gerechtigkeit oder Migrationspolitik. Sie würden immer mehr zu einer Stimme unter vielen.
Bremen (epd). Nach den neuerlichen Gewaltausbrüchen gegen Polizisten in Stuttgart und Göttingen warnt die Polizeiseelsorge der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) vor einer Eskalation. Angriffe und Respektlosigkeit gegenüber Einsatzkräften erschwerten die Arbeit der Beamten und führten dazu, dass polizeiliche Maßnahmen härter würden, sagte der Vorsitzende der Konferenz der Evangelischen Polizeiseelsorge, der Bremer Pastor Uwe Köster (56), im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Wer persönlich angegriffen und beschimpft werde, reagiere beim ersten oder zweiten Mal noch angemessen: "Aber irgendwann ist die eigene Frustrationsgrenze erreicht."
Attacken auf die Einsatzkräfte wirkten "auf jeden Fall hoch emotional", sagte Köster. "Das verunsichert oder verhärtet: Wenn mir mit Gewalt begegnet wird, werde ich selber auch eher mit Gewalt reagieren." Deshalb sei es wichtig, dass die Einsatzkräfte berufsbegleitend unterstützt würden, um mit solchen Erfahrungen umgehen zu können, etwa durch Gespräche mit Seelsorgern und Psychologen oder durch Supervision. "Insgesamt gibt es das vielleicht noch nicht in ausreichendem Maße."
Zwar zeige eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Forsa, dass ein Anteil von 82 Prozent der Bevölkerung der Polizei vertraute. Gleichzeitig steige aber auch die Zahl der körperlichen und verbalen Attacken gegen die Beamten. Darunter seien Beschimpfungen, Pöbeleien, teilweise sogar Verleumdungen, gerade in sozialen Netzwerken, die zu psychischen und seelischen Schäden führen könnten. "Das sind Kränkungen, die verunsichern."
Vielfach gelinge offensichtlich nicht mehr der gedankliche Transfer, dass Polizisten den Auftrag haben, staatliche Gesetze und Anordnungen durchzusetzen und nicht etwa einem Einzelnen etwas Böses wollen. Und dass Polizisten das Gewaltmonopol hätten, "das können offenbar immer weniger Menschen akzeptieren", ergänzte Köster.
Es müsse gelingen, dass die Polizei "tatsächlich als originärer Teil der Gesellschaft verstanden wird, die das umsetzt, was vorher gemeinsam demokratisch beschlossen wurde", mahnte Köster und fügte hinzu: "Wir brauchen die selbstverständliche Überzeugung, dass der Polizist genau wie ich ein Bürger ist - auch wenn er eine andere Funktion wahrnimmt. Ich bin überzeugt: Demjenigen, dem ich so gesehen auf gleicher Ebene begegne, begegne ich auch mit mehr Respekt."
Zu den Gründen für die steigende Zahl von Gewaltausbrüchen gegenüber Einsatzkräften sagte Köster, dabei spiele auch die Frage eine Rolle, wie die Gesellschaft insgesamt mit Gewalt umgehe. Er glaube außerdem, dass sich Teile der Gesellschaft "von oben" fremdbestimmt und von Entscheidungsfindungs-Prozessen ausgegrenzt fühlten: "Diese Staats- und Demokratiemüdigkeit ist relativ verbreitet, das finde ich sehr schade."
Hannover (epd). Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) will geschlechtergerechte Sprache für ihre öffentliche Kommunikation nutzen. Das beschloss der Rat der EKD , wie das Kirchenamt am 23. Juni in Hannover mitteilte. Je nach Aussageabsicht könnten unterschiedliche Formen angewendet werden, heißt es in der Empfehlung des Rats.
So können zum einen geschlechtsindifferente Personenbezeichnungen wie Fachkraft oder Mitglied und Pluralformen wie Ehrenamtliche oder Mitarbeitende benutzt werden. Zum Anderen empfiehlt die EKD Formen, die geschlechtliche Vielfalt sichtbar machen: zum Beispiel Paarformen (Pfarrerinnen und Pfarrer), wenn die Beteiligung von Frauen hervorgehoben werden soll, und die Verwendung des sogenannten Asterisk (*) als aktuell gebräuchlichster Form, um die Vielfalt der Geschlechter zum Ausdruck zu bringen.
In Gesetzen, Richtlinien, Ordnungen oder Satzungen sollen die Regeln des vom Bundesjustizministeriums herausgegebenen "Handbuchs der Rechtsförmlichkeit" gelten. Derzeit sehe es vor, dass zur sprachlichen Gleichbehandlung vorzugsweise geschlechtsneutrale Formulierungen oder kreative Umschreibungen benutzt werden. Sofern notwendig, könnten auch Paarformen benutzt werden. Die Nutzung des Asterisk ist nach diesen Regeln nicht erlaubt.
Die EKD hatte zusammen mit dem Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung ein Faltblatt "Sie ist unser bester Mann! - Wirklich? Tipps für eine geschlechtergerechte Sprache" herausgegeben, das kürzlich in einer überarbeiteten Neuauflage erschienen ist. Das Personenstandsrecht wurde 2018 um ein drittes Geschlecht ergänzt, seither können Menschen sich als "männlich", "weiblich" oder "divers" bezeichnen.
Freiburg, Berlin (epd). Die katholische Deutsche Bischofskonferenz und der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, haben in Berlin ihre gemeinsame Erklärung zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der Kirche unterzeichnet. "Die Aufarbeitungsprozesse, die mit dem heute unterzeichneten Text angestoßen werden, gehören zu der institutionellen Verantwortung, die die Bischöfe und Diözesen für begangenes Unrecht übernehmen", erklärte der Missbrauchsbeauftragte der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Stephan Ackermann (Trier), am 22. Juni.
Mit der Erklärung, die bereits Ende April veröffentlicht worden war, haben sich die Bischöfe und der Unabhängige Beauftragte der Bundesregierung auf verbindliche Kriterien für die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in den 27 deutschen Bistümern geeinigt. Zu den Kriterien zählt, dass Betroffene institutionell an der Aufarbeitung beteiligt werden sollen.
Rörig betonte, Transparenz, Einheitlichkeit und Betroffenensensibilität würden jetzt verbindlich. "Dafür haben Betroffene lange gekämpft", sagte er. Nach der Veröffentlichung im April hatte er von einer "historischen Entscheidung" gesprochen.
Der Theologe und Jesuit Klaus Mertes hingegen hält die Aufklärung der Missbrauchsfälle innerhalb der katholischen Kirche für gescheitert. "Trotz vieler Bemühungen ist es bisher nicht gelungen, eine unabhängige Aufarbeitung von Missbrauch und dessen Vertuschung so auf den Weg zu bringen, dass sie in der Öffentlichkeit auch als unabhängig anerkannt wird", schreibt der Theologe in der "Herder Korrespondenz" (Juli). Mertes hatte vor zehn Jahren die Missbrauchsfälle am Berliner Canisius-Kolleg öffentlich gemacht und damit den Skandal in der katholischen Kirche ausgelöst.
In der im April veröffentlichten Erklärung ist unter anderem vorgesehen, dass es in allen 27 Bistümern künftig von den Bischöfen eingesetzte Kommissionen zur Aufarbeitung geben soll. Der Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz, Ackermann, sagte, es sei gut, dass in den einzurichtenden Aufarbeitungskommissionen Vertreter der Kirche, unabhängige Experten aus Wissenschaft, Fachpraxis, Justiz und öffentlicher Verwaltung sowie Betroffene zusammenwirkten.
Mertes forderte eine staatliche und unabhängige Kommission zur umfassenden Aufarbeitung von Missbrauch in den Kirchen, aber auch in Sportverbänden und Schulen. Die bisherigen Anstrengungen der Bischofskonferenz und des Missbrauchsbeauftragten reichten nicht aus. Eine wirklich unabhängige Aufarbeitung könne es nur geben, wenn die Bischöfe und Ordensoberen Macht und Kontrolle komplett an eine wirklich unabhängige Kommission abgäben, schreibt Mertes in der "Herder Korrespondenz". Diese müsse eine nicht-kirchliche Kommission sein.
"Ihr würden in der Öffentlichkeit anerkannte Persönlichkeiten und führende Experten angehören. Sie müsste mandatiert werden, das Missbrauchsgeschehen in der katholischen Kirche zu untersuchen, interne Aufarbeitungsprozesse zu begleiten und auch ein Verfahren für Täter-Opfer- Ausgleiche bereitzustellen", betont der Theologe. Die österreichische "Unabhängige Opferschutzkommission", die schon im Frühjahr 2010 errichtet wurde, könne als Vorbild dienen.
Hannover (epd). Ein neues kirchliches Angebot im Internet soll ein Zeichen gegen Rassismus und Diskriminierung setzen. Mit einer Online-Karte biete das ökumenische Netzwerk "Gemeinde auf Augenhöhe" einen Überblick über Kirchengemeinden, in denen Einheimische und Zugewanderte gleichberechtigt miteinander arbeiten, teilte die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) am 24. Juni in Hannover mit. "Wir wollen den Gemeinden Mut machen, sich interkulturell zu öffnen", sagte Oberkirchenrat Bendix Balke, der die Erstellung der Karte koordiniert.
Ende Juni seien auf der Karte mehr als 30 interkulturelle Kirchengemeinden verzeichnet gewesen, die Einheimische und Zugewanderte auf allen Ebenen von Leitung und Mitarbeit beteiligen, hieß es. Balke: "Es gibt mittlerweile eine ganze Reihe von Gemeinden, die sich internationalisiert haben." Sie hätten mit neuen Angeboten auf die große Zahl Geflüchteter der Jahre 2015 und 2016 reagiert. Über diakonische Hilfe und Austausch seien Flüchtlinge zur Gemeindearbeit gekommen. Vor allem unter den evangelischen Landeskirchen seien solche Gemeinden zu finden, aber auch unter Freikirchen, gelegentlich auch unter katholischen und orthodoxen Gemeinden.
"Neben einheimischen Gemeinden gibt es jedoch auch Gemeinden von Migranten, in denen Deutsche auf allen Ebenen mitwirken", sagt Balke. Ein Beispiel auf der sogenannten "Landkarte der Ermutigung" (https://landkarte-der-ermutigung.de/) sei das International Gospel Center in Hannover. Alle Veranstaltungen finden dort auf Deutsch und Englisch statt. Das ökumenische Netzwerk "Gemeinde auf Augenhöhe" ist ein Zusammenschluss von evangelischen Kirchen, Missionswerken, freien Werken und Projekten. An der Umsetzung der Karte sind die Evangelische Kirche in Deutschland, die Hanns-Lilje-Stiftung und die Universität Osnabrück beteiligt.
Bethlehem/Frankfurt a.M. (epd). Der Tourismus im Heiligen Land leidet sehr unter der Corona-Krise: "Für palästinensische Städte wie Bethlehem und Jericho, die völlig auf den Tourismus angewiesen sind, ist die Situation gravierend", sagt Mitri Raheb, lutherischer Pastor und Präsident der Dar-al-Kalima-Universität für Kunst und Kultur in Bethlehem, dem Evangelischen Pressedienst (epd). In Bethlehem zum Beispiel "arbeiten rund 37.700 Menschen in der Tourismus-Branche, sie sind plötzlich von heute auf morgen arbeitslos geworden".
Raheb rief die Staatengemeinschaft zu mehr Unterstützung auf. Der Ausfall des Tourismus in der Region habe katastrophale Folgen, die "Armut nimmt zu". Die erste Infektion in Bethlehem sei am 5. März entdeckt worden, am gleichen Tag wurde alles für rund drei Monate geschlossen. "Der Tourismus wird wahrscheinlich zwei Jahre brauchen, bis er sich wieder erholt", so der Sozialunternehmer: "In dieser Zeit werden die Menschen in Bethlehem und Jericho kein Einkommen haben."
Vor allem für die Christen, die sehr viel in den Tourismus in der Region investiert haben, ziehe das katastrophale Folgen nach sich, fügte Raheb hinzu. Weil die palästinensische Regierung selbst auf Hilfen angewiesen sei, habe der Staat in diesem Monat nicht einmal Geld, die Gehälter der Beamten zu zahlen. Das Eingeschlossensein sei bei uns Palästinensern zudem nicht nur eine Folge der Pandemie, sondern "ein Dauerzustand unter der israelischen Besetzung".
Der 1962 geborenen Raheb hat in Marburg promoviert. Er setzt sich seit Jahrzehnten für einen gerechten Frieden im Nahen Osten und eine Zwei-Staaten-Lösung für Israelis und Palästinenser ein. Für sein Engagement wurde er mehrfach ausgezeichnet, unter anderem 2015 mit dem Olof-Palme-Preis für internationale Verständigung.
Schwerte (epd). Das Evangelische Studienwerk Villigst hat sich besorgt über eine mögliche staatliche Förderung einer AfD-nahen Stiftung geäußert. Nach einem erneuten Einzug der AfD in den Bundestag könne die AfD-nahe "Desiderius-Erasmus-Stiftung" staatlich geförderte politische Stiftung werden und mit staatlichen Fördermitteln Bildungsarbeit und Begabtenförderung finanzieren, erklärte das Studienwerk am 25. Juni in Schwerte. Parteien im Bundestag können ab der zweiten Legislaturperiode finanzielle Mittel für politische Bildungsarbeit erhalten. Die Stiftung, die bereits spendenfinanziert ihre Arbeit aufgenommen habe, leugne überall dort, wo politische Positionen der AfD entgegenstehen, wissenschaftliche Qualitätsstandards, erklärte das Studienwerk in einem am Donnerstag veröffentlichten Positionspapier.
"Wir befürchten, dass sich in der AfD-nahen Stiftung das Gedankengut wiederfindet, das mit der AfD wieder salonfähig geworden ist", sagte die Leiterin des Studienwerkes, Friederike Faß, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es gebe personell viele Überschneidungen, auch mit der Neuen Rechten. Eine Wissenschaftsförderung müsse unabhängig sein. "Das trauen wir nach dem, was wir lesen können, dieser Stiftung so nicht zu", erklärte Faß.
Der Desiderius-Erasmus-Stiftung, die von der AfD als parteinahe Stiftung anerkannt ist, wurde wiederholt vorgeworfen, Verbindungen zu dem inzwischen aufgelösten extremen AfD-Flügel sowie zur Neuen Rechten zu haben. Die Stiftung mit Sitz in Berlin wurde 2017 gegründet, Vorsitzende ist die frühere CDU-Politikerin Erika Steinbach. Stellvertretender Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung ist der Gründer des vom Verfassungsschutz beobachteten Instituts für Staatspolitik (IfS), Karlheinz Weißmann. Zuvor hatte sich die Stiftung von einem IfS-Geschäftsführer getrennt.
"Wir schätzen sehr die Gemeinschaft der bislang 13, sehr unterschiedlichen Begabtenförderungswerke, denn Demokratie braucht Vielfalt", sagte Faß weiter. Diese müsse jedoch immer auf der Grundlage des Grundgesetzes und der Menschenwürde stehen. Dem Evangelischen Studienwerk sei die Ebenbildlichkeit Gottes wichtig, die in jedem Menschen zu finden sei.
"Dem Selbstverständnis des Evangelischen Studienwerks entsprechend werden wir uns allen Formen von Hass, Diskriminierung und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit jederzeit entschieden entgegenstellen", heißt es in dem Positionspapier. Nächstenliebe, Toleranz, Weltoffenheit und die von Gott verliehene unteilbare Würde des Menschen seien im Evangelischen Studienwerk die identitätsstiftenden Bezugspunkte des Denkens und Handelns. Mit dem Einzug der Alternative für Deutschland in den Bundestag 2017 sei erstmals seit der Gründung der Bundesrepublik eine Partei mit in Teilen offen völkischem, rechtsnationalem, islamfeindlichem und antisemitischem Gedankengut in der bundespolitischen Parteienlandschaft vertreten, erklärte das Studienwerk.
Das Studienwerk werde seine Stipendiaten noch besser schulen, mit rechten und populistischen Argumentationen umzugehen, und sich deutlich dagegen in der Öffentlichkeit zu äußern, erklärte Faß. Gemeinsam mit den Mobilen Beratungsstellen gegen Rechtsextremismus bietet das Studienwerk unter dem Titel "Sei stark und mutig" für seine rund 1.400 Stipendiaten unter anderem Workshops mit Argumentationstraining gegen populistische Aussagen an. In digitalen Konferenzen werde zudem das Positionspapier unter den Stipendiaten gemeinsam diskutiert.
Das Evangelische Studienwerk Villigst ist das Begabtenförderungswerk der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), das 1948 in Schwerte eingerichtet wurde. Das Werk vergibt Stipendien für Studenten und Promovierende. Derzeit werden fast 1.200 Studenten und rund 200 Promovierende durch das Studienwerk gefördert. Ein Kriterium bei der Auswahl der Stipendiaten ist ein Engagement im kirchlichen, sozialen oder karitativen Bereich.
Erfurt (epd). Mit einem Festgottesdienst ist die Rosenkirche im Erfurter Augustinerkloster am 28. Juni ihrer Bestimmung übergeben worden. Die Freiluftkirche ist ein Beitrag der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) zur Bundesgartenschau 2021 in der Thüringer Landeshauptstadt. Landesbischof Friedrich Kramer betonte bei dem Festgottesdienst: "Dieser Ort ist der Liebe gewidmet." Er hoffe, dass sich dort Menschen zur Liebe hinwenden und an Gottes Liebe erinnert werden.
Für Kramer war es die erste Kirchweihe in seinem Amt als Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland. Wie die Freiluftkirche, die fast ohne Steine und metallische Werkstoffe auskommt, war auch der Gottesdienst unter freiem Himmel eher ungewöhnlich. Er wurde von Bossa-Nova- und Gospel-Musik begleitet, es gab einen Blüten-Regen und statt eines Schlüssels erhielt der Hausherr, Kloster-Kurator Carsten Fromm, eine Gießkanne.
In der Rosenkirche sollen Menschen jeder Konfession und Religion willkommen sein und sich dort segnen lassen können, sagte Augustiner-Pfarrer Bernd Prigge, der auch die Idee zu dem Projekt hatte. Seit Oktober wurde ein Rosenbogen als Apsis angelegt, Apfelbäume bilden die Säulen und das Blätterdach. So soll der Eindruck eines offenen, erhabenen Raumes erzeugt werden.
Die Arbeiten kosteten nach EKM-Angaben etwa 17.000 Euro. Sie seien auch durch Spenden und Lottomittel zusammengekommen. Das Areal mitten in der Erfurter Altstadt soll auch für vordergründig nicht religiöse Veranstaltungen wie Trauungen, Hochzeitsjubiläen, Feste und Fotoshootings zur Verfügung stehen.
Bonn (epd). Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, ist am 27. Juni zu einem Antrittsbesuch von Papst Franziskus empfangen worden. Thema der Privataudienz im Vatikan war unter anderen die Lage der Kirche in Deutschland, vor allem mit Blick auf die Auswirkungen der Corona-Krise, wie die Bischofskonferenz in Bonn mitteilte. Bätzing habe den Papst ausführlich über den bisherigen Verlauf des katholischen Reformdialogs des sogenannten Synodalen Wegs in Deutschland und die weiteren Planungen informiert.
Er fühle sich durch den Austausch mit Franziskus bestärkt, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen, erklärte Bätzing nach der Audienz. Der Papst schätze das Vorhaben, das er eng mit dem von ihm geprägten Begriff der "Synodalität" verbinde. Es sei ihm ein Anliegen gewesen, deutlich zu machen, "dass die Kirche in Deutschland diesen Weg geht und sich stets an die Universalkirche gebunden weiß, sagte der Limburger Bischof. "Auf dringende Herausforderungen der Kirche, die von der Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen bis hin zu den dramatischen Kirchenaustrittszahlen reichen, müssen wir Antworten finden", betonte er.
Papst Franziskus habe daran erinnert, beim Synodalen Weg und dem Handeln der Kirche in Deutschland, die Armen und Alten, die Geflüchteten und Hilfsbedürftigen nicht aus dem Blick zu verlieren, sagte Bätzing: "Ausdrücklich bat der Papst darum, die Auswirkungen und Erfahrungen angesichts der Corona-Pandemie auf dem weiteren Weg mit zu bedenken." Bei seinem zweitägigen Besuch traf Bätzing mit weiteren Würdenträger zusammen, darunter der Generalsekretär der Bischofssynode, Kardinal Lorenzo Baldisseri und dessen designierter Nachfolger, Erzbischof Mario Grech.
Frankfurt a.M. (epd). Die Untersuchungen zu einem Corona-Ausbruch in einer freien Baptistengemeinde in Frankfurt am Main sind abgeschlossen. Alle an Covid-19 erkrankten Personen seien genesen, sagte die Sprecherin des Frankfurter Gesundheitsdezernats, Kirsten Gerstner, am 23. Juni dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es seien auch keine Bußgelder verhängt worden, da die damals geltende "Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung" weitgehend beachtet worden sei.
Nach einem Gottesdienst am 10. Mai in der Baptistengemeinde, die vor allem russlanddeutsche Mitglieder hat, war es zu einer massenhaften Verbreitung des Coronavirus gekommen. Die Teilnehmer hatten keinen Mund-Nasen-Schutz getragen und während der Feier gesungen. Mehr als 200 Personen aus sieben Landkreisen waren danach positiv getestet worden, neun an Covid-19 Erkrankte wurden in Krankenhäusern behandelt, davon eine Person auf der Intensivstation.
Bielefeld (epd). Die Evangelischen Kirchen in NRW begrüßen, dass auch der konfessionelle Religionsunterricht nach den Sommerferien in allen Schulen wieder in Präsenzform stattfinden kann. Es sei gut, dass der Religionsunterricht "mit seiner orientierenden Funktion seine Aufgabe im Lernort Schule wieder in vollem Umfang erfüllen kann", sagte der Bildungsdezernent der westfälischen Kirche, Fred Sobiech, am 29. Juni in Bielefeld. Die Rückkehr zum Fach Religion im Regelbetrieb sei vor allem deshalb notwendig, weil es Grundfragen menschlicher Existenz in den Mittelpunkt rücke.
Das Fach Religion weiche diesen Fragen und der Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens nicht aus, sondern eröffne einen Raum "gemeinsamen Suchens". Sobiech dankte den Lehrkräften und Schulleitungen für ihre Bemühungen, den Religionsunterricht auch unter Corona-Bedingungen in verschiedenen Formen aufrechtzuerhalten. Aus bisher unerprobten Möglichkeiten sei "in großer Eigenverantwortung und mit viel Kreativität" Wirklichkeit geworden.
Die rheinische Oberkirchenrätin Henrike Tetz hatte zuvor am 25. Juni in Düsseldorf erklärt, die durch die Corona-Pandemie "zum Teil sehr verunsicherten" Schüler könnten mit ihren Religionslehrern und Altersgenossen ihre drängenden Fragen klären. "Das ist gerade jetzt unverzichtbar", betonte die Theologin.
Das Fach Religion habe eine besondere Bedeutung, "weil hier Grundfragen menschlicher Existenz in den Mittelpunkt gerückt werden", unterstrich auch Tetz. "Die Corona-Pandemie hat uns vor Augen geführt, wie fragil das Leben ist und wie dringend wir auf Solidarität untereinander angewiesen sind." Der Religionsunterricht öffne mit seiner besonderen Form der Weltdeutung außerdem einen Gesprächsraum über den Wert von Gerechtigkeit, Freiheit und Verantwortung.
Bielefeld/Schwerte (epd). Der langjährige Leiter des Amtes für Jugendarbeit der Evangelischen Kirche von Westfalen verabschiedet sich: Nach 22 Jahren im Dienst geht der westfälische Landesjugendpfarrer Udo Bußmann (65) zum 1. August offiziell in den Ruhestand, wie das Bielefelder Landeskirchenamt am 26. Juni mitteilte. Über seine Nachfolge sei noch nicht entschieden worden.
Die westfälische Präses Annette Kurschus würdigte den Theologen als "Dolmetscher der jungen Generation". Udo Bußmann stehe für Evangelische Jugendarbeit als Freiraum, in dem Kinder und Jugendliche gestärkt und gefördert werden, selbstbestimmt ihren Glauben zu leben und auszudrücken, erklärte Kurschus. So sei er unter anderem bei der evangelischen Kampagne gegen Kinderarmut "Lasst uns nicht hängen" im Jahr 2008 maßgeblich beteiligt gewesen.
Bußmann stammt aus Hemer im Sauerland. Nach dem Theologie-Studium in Münster war er dort wissenschaftliche Hilfskraft und anschließend wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Evangelische Theologie in Augsburg. 1987 wurde er Gemeindepfarrer in Dülmen und ein Jahr darauf zum Landesjugendpfarrer berufen. Das Amt für Jugendarbeit der Evangelischen Kirche von Westfalen hat seinen Sitz in Schwerte.
Köln (epd). Kirchen haben laut dem Kölner Stadtsuperintendenten Bernhard Seiger eine "Wächteraufgabe". "Christen tragen auch politische Verantwortung", sagte der Theologe am 23. Juni beim Frühlingsgespräch des Evangelischen Kirchenverbands Köln und Region. Wenn politische Repräsentanten zur Zielscheibe von Gewalt würden, sei es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, sie Hass und Angriffen nicht ungeschützt auszuliefern. Auch Kirchen seien hier mitverantwortlich.
Die Hemmschwelle für Hass und Hetze sei in den vergangenen Jahren gesunken. "Auf Aggressivität im Netz folgen früher oder später Taten", sagte Seiger. Als Beispiele nannte er den Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübke 2019 sowie die Angriffe auf die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker im Jahr 2015 und den Bürgermeister von Altena, Andreas Hollstein, im Jahr 2017.
Die Rolle der Kirchen sei es, mitzudenken, die Bedürfnisse der Menschen im Blick zu behalten und einem Abgleiten in extremistische Richtungen entgegenzutreten, erklärte Seiger. Nährboden für extremistisches Gedankengut gebe es auch in Milieus mit kirchlichem Hintergrund. Kirchenvertreter müssten genau hinhören, was Menschen für ein gutes Leben brauchten. Auch die Gemeindestrukturen seien wichtig, um die Mechanismen von Demokratie zu lehren und im Alltag erlebbar zu machen.
Köln (epd). Der Pfarrer Torsten Krall wird neuer Assessor im Evangelischen Kirchenkreis Köln-Rechtsrheinisch. Bei einer Briefwahl-Synode wählten die Abgeordneten des Kirchenkreises ihren neuen stellvertretenden Superintendenten und weitere Personen in verschiedene Ämter, wie der Evangelische Kirchenverband Köln und Region mitteilte. Mehr als 86 Prozent der Synodalen hatten per Brief ihre Stimme abgegeben, dies waren 103 der 119 Delegierten. Krall ist seit Ende 2004 Pfarrer in der Kirchengemeinde Köln-Dünnwald. Er folgt in seinem neuen Amt auf Pfarrer Ralph Knapp.
Der Kreissynodalvorstand hatte im Mai beschlossen, dass aufgrund der Beschränkungen durch die Corona-Pandemie keine Präsenzsynode stattfinden sollte. Auch hatte sich der Vorstand gegen eine Video-Konferenz entschieden, da die rechtlichen Rahmenbedingungen zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Synode noch nicht geklärt waren. Stattdessen wurden die anstehenden Wahlen des Assessors, der Abgeordneten für die Landessynode und die Leitungen mehrerer Ausschüsse per Briefwahl bestimmt. Weitere Wahlen sollen auf der Kreissynode am 14. November erfolgen.
Gütersloh (epd). Der Theologe Walter Hempelmann ist erneut zum Superintendenten des Kirchenkreises Halle gewählt worden. Der 63-jährige Pfarrer leitet bis zu seinem Ruhestand im Jahr 2022 den Kirchenkreis, wie der Kirchenkreis am 24. Juni mitteilte. In einer Briefwahl erhielt Hempelmann 39 von 46 abgegebenen gültigen Stimmen. Hempelmann steht seit 1999 an der Spitze des Kirchenkreises. Die Amtszeit dauert regulär jeweils acht Jahre. Zuletzt war Hempelmann im Juni 2012 wiedergewählt worden.
Wegen der Hygiene- und Abstandsregelungen war die Sommersynode des Kirchenkreises auf den 7. September verschoben worden. Die Synode habe sich jedoch dafür ausgesprochen, schon jetzt alle Ämter, die nach den Presbyteriumswahlen im März neu besetzt werden müssen, per Briefwahl zu berufen, erklärte der Kirchenkreis. Neben dem Amt des Superintendenten wurden unter anderem die Mitglieder des Kreissynodalvorstands berufen. Der Kreissynodalvorstand leitet zusammen mit dem Superintendenten den Kirchenkreis und sorgt unter anderem für die Umsetzung der Beschlüsse der Synoden.
Trier (epd). Die Synode des Evangelischen Kirchenkreises Trier hat Superintendent Jörg Weber für weitere acht Jahre im Amt bestätigt. Es sei wichtig, sich auch in Zukunft auf veränderte Rahmenbedingungen nicht nur im kirchlichen Raum und auf Neues einzulassen, erklärte Weber. "Ich bin gerne bereit, meine Fähigkeit einzubringen, kreative und neue Wege zu suchen und zu finden." Besonders wichtig sei es dabei, mit den Menschen in den Gemeinden, Einrichtungen und Diensten des Kirchenkreises im Gespräch zu sein. Weber ist seit 2013 Superintendent des Trierer Kirchenkreises.
Göttingen (epd). Marius fällt in einem lilafarbenen T-Shirt und einer Trainingshose mit BVB-Logo äußerlich auf. Sein Verhalten aber ist wie in sich gekehrt, während er hinter dem Zaun des Göttinger Hochhauses in der Groner Landstraße 9 einfach wartet. Marius gehört zu den rund 350 Bewohnern, die bis zum 23. Juni zweimal negativ auf das Coronavirus getestet worden sind. Für sie hat die Stadt Göttingen die Quarantäne gelockert. Maximal zu dritt und nur mit Mundschutz dürfen sie nun das Gelände verlassen. Marius geht aber noch nicht raus. "Meine 18 Monate alte Tochter schläft noch", sagt er.
Nach einem Corona-Ausbruch hatte zuvor fünf Tage lang niemand die Wohnungsanlage verlassen dürfen, in der etwa 700 gemeldete Menschen und vermutlich noch mehr in beengten Verhältnissen leben. Am 26. Juni galt die Quarantäne nur noch für Infizierte und deren unmittelbaren Kontaktpersonen. Marius teilt sich mit seiner Frau und dem Baby ein 19 Quadratmeter großes Zimmer. "Es gibt aber auch Familien mit sieben oder acht Kindern", sagt er. Bis zu 37 Quadratmeter groß sind die Ein- und Zweizimmer-Appartements des Komplexes. Dort leben nach Angaben der Stadt Göttingen viele Menschen mit rumänischen Wurzeln.
Auch Marius ist 2011 aus der Nähe von Hermannstadt im Westen Rumäniens nach Deutschland gekommen. Seit 2016 ist er bei einer Reinigungsfirma fest angestellt. Eigentlich hat er Urlaub, erzählt er. Er wollte seine Mutter in Rumänien zu besuchen, nachdem das wieder möglich ist. Die Quarantäne hat ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. "Aber so ist das nun einmal."
Viele in der Groner Landstraße waren und sind in ihrem Alltag eingeschränkt. "Wir fühlen uns wie im Knast", sagt eine Frau. Hinter dem Zaun haben sich zehn bis 15 Frauen, Männer und Kinder in einem Innenhof versammelt. Sie alle wollen - so scheint es - auf einmal erzählen, wie es ihnen geht. Dabei überschlagen sich die Stimmen in ihrer Muttersprache Rumänisch beinahe, als müssten sie jetzt dringend gehört werden.
Zuerst wollen sie den Vorfall erklären, der zu den Ausschreitungen vor einer Woche geführt haben soll. Die Polizei habe Pfefferspray eingesetzt, berichten mehrere aufbracht. "Aber es waren auch Kinder da, weil wir so zeigen wollten, dass wir friedlich protestieren", sagt der 47-jährige Claudiu. Bei den Ausschreitungen wurden acht Polizeibeamte verletzt, drei davon sind nicht mehr dienstfähig. Wie viele Strafverfahren aufgrund der Eskalation eingeleitet werden, wird laut Polizei noch ausgewertet. Claudiu sagt, er habe auch mit dem Bürgermeister gesprochen und am Ende sogar zwischen beiden Lagern vermittelt.
Schlimm sei, dass mit der Quarantäne die Arbeit weggebrochen sei, sagt die 47-jährige Liliana. "Jeden Tag hat die Chefin angerufen und gefragt, wann ich wiederkomme", berichtet die Reinigungskraft in einer Schule. "Wir müssen wieder arbeiten gehen dürfen." Claudiu hat einen Meisterabschluss, wie er erzählt. Seit vielen Jahren arbeite er auf dem Bau und habe mittlerweile eine eigene Firma. "Uns werfen die Leute alle in einen Topf", sagt er. "Aber so wie alle Finger einer Hand verschieden sind, so unterscheiden wir uns auch voneinander."
Der Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Göttingen, Friedrich Selter, sagt: "So ein Haus ist eigentlich wie ein Dorf." Die 700 Menschen, die dort wohnten, seien alle unterschiedlich. Die Diakonie ist eine der Einrichtungen, die die Bewohnerinnen und Bewohner im Hochhaus besucht. Einige von ihnen sind drogenabhängig - während der Quarantäne durften sie nicht mehr zur Betreuung gehen. Deshalb kommen Mitarbeiter der Suchtberatungsstelle ebenso vorbei wie Sozialarbeiter des Migrationszentrums.
Die Enge in dem Gebäude wird auch an Wäscheständern deutlich, die aus den Fenstern hängen. Auch über dem Bauzaun, der das Haus jetzt abriegelt, hängt eine bunt gestreifte Decke zum Trocknen. An den Wohnverhältnissen mehrt sich Kritik. Vor dem Gebäude hat etwa die "Basisdemokratische Linke Göttingen" ein Zelt aufgebaut. Darauf steht: "Shut down den Mietenwahnsinn." Jurastudentin Zoe (22) findet, dass aufgrund der Wohnbedingungen die Menschen im Hochhaus Hygiene-Regeln gar nicht einhalten konnten: "Die Gefahr, sich mit dem Virus anzustecken, ist einfach viel größer, wenn so viele Menschen auf engem Raum leben und auch denselben Fahrstuhl oder dieselben Flure nutzen, die keine Fenster zum Lüften haben."
Auch Göttingens Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler (SPD) hat bemängelt, man zahle in dem Hochhaus genauso viel Miete wie in hochpreisigen Wohnungen. "Unter welchen Umständen die Menschen hausen müssen, scheint den Verantwortlichen oft egal, solange das Geld für die Miete fließt." Auf privat abgeschlossene Mietverträge habe die Stadt aber keinen Einfluss.
Marius erzählt, das Leben mit Kleinkind sei während der Quarantäne nicht einfach gewesen. Aber sie hatten Glück, sagt er leise. Über die im Gebäude tätigen Hilfseinrichtungen wie das Deutsche Rote Kreuz, aber auch über private Spenden, habe die junge Familie Windeln, Taschentücher oder Lebensmittel wie Zucker und Öl bekommen. Er sei damals nach Deutschland gekommen, um ein besseres Leben zu suchen. "Meine Tochter wurde in diesem Land geboren." Vor allem für sie wünscht sich Marius eine bessere Zukunft.
Gütersloh (epd). Im Kreis Gütersloh wächst die Zahl nachgewiesener Corona-Infektionen von Menschen ohne direkten Bezug zu den Beschäftigten der Fleischfirma Tönnies weiter. Binnen sieben Tagen vom 21. bis 27. Juni habe sich die Zahl dieser Fälle auf 107 erhöht, teilte der Kreis am 28. Juni mit. Das sind 32 mehr als für den Vergleichszeitraum am Tag davor (20. bis 26. Juni). Die Mehrzahl der Betroffenen in Gütersloh zeige keine Krankheitssymptome und es sei auch nach wie vor kein Anstieg der Zahl von Erkrankungen zu verzeichnen, erklärte der Kreis in Abstimmung mit dem Robert Koch-Institut (RKI). Die Opposition im NRW-Landtag fordert eine umfangreichere Test-Strategie. Die Kinder- und Jugendärzte kritisierten die ausfallenden Einschulungsuntersuchungen.
Die Opposition im NRW-Landtag forderte von der Landesregierung, in Nordrhein-Westfalen flächendeckende Tests wie in Bayern einzuführen. "Die jüngste Entwicklung im Kreis Gütersloh zeigt, dass es neben allen Sicherheitsvorkehrungen nur ein Credo geben kann: testen, testen, testen", sagte SPD-Oppositionsführer Thomas Kutschaty der Düsseldorfer "Rheinischen Post" (29. Juni). Das sei der beste Weg zur Eindämmung des Virus.
Die Grünen-Fraktionschefin Monika Düker sagte der Zeitung, ihre Partei fordere seit mehreren Wochen eine vorausschauende Test-Strategie, um Infektionsketten frühzeitig zu durchbrechen. Kontaktpersonen von Verdachtsfällen ohne Symptome sollten getestet werden, ebenso wie Menschen in besonders sensiblen Bereichen wie Altenheimen, Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen und Flüchtlingsunterkünften.
Die Präsidentin des CDU-Wirtschaftsrates, Astrid Hamker, sprach sich gegen Schulschließungen bei neuen Corona-Ausbrüchen aus. Stattdessen müssten Behörden und Schulen Krisenpläne aufstellen, sagte Hamker der Düsseldorfer "Rheinischen Post". Es dürfe nicht jeder bedauerliche, größere Einzelausbruch als Anlass genommen werden, Zweifel an einer generellen Rückkehr zu geregelten Verhältnissen zu säen, mahnte Hamker und forderte einen "Plan B" für die Schulen und Kitas nach den Sommerferien im Falle von Infektionen.
Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) kritisiert, dass Untersuchungen zur Einschulung wegen der Corona-Pandemie ausfallen. Besonders für "Kinder mit Behinderung, mit schulischem Förderbedarf, der in solchen Untersuchung festgestellt werden könnte, für Kinder aus schwierigen Sozialverhältnissen ist es dramatisch", sagte Verbandspräsident Thomas Fischbach den Zeitungen der Essener Funke Mediengruppe. Für diese Kinder seien die Untersuchung wichtig, weil sie sonst nicht die Unterstützung bekämen, die sie benötigen.
Nach dem Corona-Ausbruch in einem Schlachtbetrieb der Firma Tönnies in Rheda-Wiedenbrück im Kreis Gütersloh waren mehr als 1.550 Beschäftigte positiv auf das Virus getestet worden. Bund und Länder hatten vereinbart, dass Schutzmaßnahmen gegen die Corona-Pandemie ergriffen werden müssen, wenn sich in einer Stadt oder einem Landkreis binnen sieben Tagen mehr als 50 Menschen pro 100.000 Einwohner infizieren.
Wegen des Ausbruchs in dem Tönnies-Betrieb hatte die Landesregierung einen weitgehenden Lockdown für die Kreise Gütersloh und Warendorf verfügt - dort wohnen viele Mitarbeiter des Schlachtbetriebs. Der Lockdown gilt zunächst bis 30. Juni. Am 29. Juni wollten Ministerpräsident Armin Laschet und Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (beide CDU) gemeinsam mit den Landräten der Kreise über das weitere Vorgehen informieren.
Gütersloh/Berlin (epd). Bundeskanzlerin Angela Merkel hat am 26. Juni in einem Telefonat mit dem Landrat Sven-Georg Adenauer (beide CDU) der Bevölkerung im erneut von Corona-Einschränkungen betroffenen Kreis Gütersloh gedankt und ihnen Mut gemacht. Die Bürgerinnen und Bürger seien unverschuldet in die aktuelle Situation gekommen, erklärte Merkel in dem Telefongespräch nach Angaben des Kreises. Durch den "Lockdown" und die damit verbundenen Beschränkungen leisteten sie einen sehr wichtigen Beitrag, damit sich das Virus nicht über den Kreis Gütersloh hinaus auch in Deutschland ausbreiten könne.
Landrat Adenauer hatte am 24. Juni mit seinem Amtskollegen Olaf Gericke (CDU) aus dem Kreis Warendorf eine Feindseligkeit gegenüber der Region nach dem Corona-Ausbruch in der Großfleischerei Tönnies beklagt. Die zunehmende Stigmatisierung der Bürgerinnen und Bürger sei "eine Unverschämtheit". Der Krisenstab der nah bei Warendorf gelegenen Stadt Münster hatte etwa entschieden, dass Bürger aus den Kreisen in der Öffentlichkeit und am Arbeitsplatz eine Maske tragen müssten, wenn der Mindestabstand nicht eingehalten werden könne. Mehrere Bundesländer haben inzwischen ein Beherbergungsverbot für Gäste aus den Landkreisen mit hohen Infektionszahlen erhoben.
Nachdem mehr als 1.500 Beschäftigte eines Tönnies-Schlachtbetriebes in Rheda-Wiedenbrück positiv auf das Coronavirus getestet worden waren, hatte die Landesregierung erneut Einschränkungen des öffentlichen Lebens bis zum 30. Juni über die Kreise Gütersloh und Warendorf verhängt. Rund 670.000 Menschen sind den Kreisen zufolge von den Beschränkungen betroffen. Die Bürgerinnen und Bürger dürfen in der Öffentlichkeit nur zu zweit oder mit Menschen des eigenen Hausstands unterwegs sein. Sport und Freizeitaktivitäten in geschlossenen Räumen sind ebenso untersagt wie Konzerte und Aufführungen. Restaurants und Geschäfte haben aber geöffnet.
Gütersloh/Warendorf (epd). Nach dem erneuten Lockdown in den nordrhein-westfälischen Kreisen Gütersloh und Warendorf sind evangelische Kirchengemeinden in der Region aufgerufen, freiwillig auf öffentliche Gottesdienste und Feiern bis Ende des Monats zu verzichten. "Angesichts der ungewissen Gesamtsituation spreche ich schweren Herzens die Empfehlung an die Presbyterien auf dem Gebiet der Kreise Gütersloh und Warendorf aus, ihre Gottesdienste am Sonntag abzusagen", erklärte der Gütersloher Superintendent Frank Schneider am 24. Juni. Auch geplante Gottesdienste zum Ende des Kindergartenjahres und zum Schulabschluss sollten seiner Ansicht nach nicht stattfinden.
Schneider rief die Gemeinden zugleich dazu auf, die Kirchen vor Ort für Besucher geöffnet zu halten. "Es sollte jemand vor Ort sein, bereit sein für Gespräch und Beistand. Ein geistliches Wort, ein Segen in ungewisser Zeit", betonte er.
"Selbstverständlich unterstützen wir die Maßnahmen der neuen Verordnung und leisten so unseren Beitrag zum Infektionsschutz und zur Notwendigkeit, Infektionsketten nachvollziehbar zu machen", erklärte der Superintendent Walter Hempelmann des benachbarten Kirchenkreises Halle in Westfalen. Die beiden Superintendenten wiesen darauf hin, dass die bis 30. Juni geltende Coronaregionalverordnung keine Beschränkungen für gottesdienstliche Versammlungen enthalte. Nach wie vor gelten hier die Corona-Schutzbestimmungen der Kirchen vom Mai. Dazu gehören Mindestabstände zwischen den Gottesdienstbesuchern, eine Begrenzung der Teilnehmerzahl sowie Verzicht auf lautes Singen. Zudem sollen ausreichend Desinfektionsmittel bereitgestellt sein.
Mehrere Kirchengemeinden in der Region haben laut Kirchenkreis Gütersloh bereits ihre Gottesdienste abgesagt, darunter die evangelische Versöhnungs-Kirchengemeinde in Rheda-Wiedenbrück. "Den Lockdown für den Kreis haben wir erwartet und doch fällt es uns diesmal schwer, den gemeinschaftlichen Gottesdienst abzusagen", sagte der Vorsitzende des Presbyteriums Martin Wachter. Die Pfarrerinnen und Pfarrer stünden auf Wunsch für das persönliche Gespräch und Gebet zur Verfügung. Im Internet seien verschiedene Online-Gottesdienste der Gemeinde und der Podcast "Glaube aufs Ohr" abrufbar. Zudem sei für ältere Mitglieder eine Telefonandacht geplant.
Die Sorge gelte neben den Mitgliedern der Versöhnungsgemeinde auch den größtenteils osteuropäischen Beschäftigten der Großfleischerei Tönnies, hieß es. Nach dem massiven Corona-Ausbruch in dem Schlachtbetrieb in Rheda-Wiedenbrück müssten sie fern der Heimat nun in Quarantäne die Rechnung für ein ungerechtes Arbeitssystem bezahlen. Die westfälische Präses Annette Kurschus hatte zuvor vor Ressentiments der Bevölkerung gegenüber ausländischen Werksarbeitern gewarnt.
Auch in der evangelischen Kirchengemeinde Warendorf im benachbarten Kreis wird vorerst kein öffentlicher Gottesdienst stattfinden. Die Gemeinde der Christuskirche streamt ihre Gottesdienste inzwischen sehr professionell, so dass die Menschen weiter digital Gottesdienst feiern können, wie die Öffentlichkeitsreferentin vom zuständigen Kirchenkreis Münster, Kathrin Neuhaus-Dechow, mitteilte. Zuvor hatten schon der Kirchenkreis Gütersloh und Halle erklärt, dass vorerst größtenteils auf gottesdienstliche Versammlungen verzichtet wird.
Das Erzbistum Paderborn rät seinen katholischen Pfarreien im Dekanat Rietberg-Wiedenbrück nicht grundsätzlich von Gottesdiensten ab. Laut Verordnung des Kreises Gütersloh könnten öffentliche Gottesdienste weiter stattfinden, heißt es in einer Handlungsempfehlung des Erzbistums.
"Es ist auch seitens der Staatskanzlei juristisch und politisch gewollt, Gottesdienste nicht zu verbieten", unterstrich zudem der Generalvikar des benachbarten Bistums Münster, Klaus Winterkamp. Er appellierte an die Gemeindemitglieder, sich an die Hygiene- und Abstandsvorschriften zu halten. Das Bistum akzeptiere aber Entscheidungen von verantwortlichen Gremien der Pfarreien, freiwillig auf die Feier von Gottesdiensten zu verzichten, heißt es in einem Schreiben an die Gemeinden.
Um den Corona-Ausbruch in einem Schlachtbetrieb der Firma Tönnies in Rheda-Wiedenbrück einzudämmen, ist das öffentliche Leben in den Kreisen Gütersloh und Warendorf seit Mittwoch wieder eingeschränkt. Die Bürgerinnen und Bürger dürfen in der Öffentlichkeit nur zu zweit oder mit Menschen des eigenen Hausstands unterwegs sein. Sport und Freizeitaktivitäten in geschlossenen Räumen sind ebenso untersagt wie Konzerte und Aufführungen. Restaurants und Geschäfte haben aber geöffnet.
Bielefeld, Gütersloh (epd). Das Evangelische Johanneswerk kritisiert angesichts des aktuellen Corona-Ausbruchs im Kreis Gütersloh geplante Öffnungen der Altenheime. Eine Anordnung des NRW-Gesundheitsministeriums sehe trotz des anhaltenden Shutdowns sofortige Lockerungen der Besuchsregelungen für Einrichtungen der Altenpflege vor, erklärte der diakonische Träger am 25. Juni in Bielefeld. Das Land habe den Kreis Gütersloh aufgefordert, die neue Allgemeinverfügung für die Altenheime unverzüglich umzusetzen und gegen abweichendes Handeln vorzugehen. Das Johanneswerk betreibt im Kreis Gütersloh vier stationäre Pflegeeinrichtungen.
Neben einer Erhöhung der täglichen Besucherzahl sehen die neuen Vorgaben laut Johanneswerk unter anderem vor, dass Bewohner Besucher in ihren Zimmern bei reduzierten Schutzmaßnahmen empfangen dürfen. "Es ist kaum nachvollziehbar, dass Risiken für Kinder, Schüler und Urlauber im Kreis Gütersloh schnell erkannt und entsprechend behandelt werden, während Schutzmaßnahmen für Risikogruppen in stationären Pflegeeinrichtungen aufgehoben werden", sagte der stellvertretende Vorsitzende der Geschäftsführung des Johanneswerks, Bodo de Vries. Er hoffe, dass angesichts der aktuellen Entwicklungen zeitnah eine Möglichkeit gefunden werde, an den bisherigen Regelungen bis zur Überwindung des Shutdown im Kreis Gütersloh festzuhalten.
Grundsätzlich begrüße das Johanneswerk die neue Verfügung für stationäre Einrichtungen in NRW, hieß es. Bewohner in Pflegeeinrichtungen hätten ein Recht auf Teilhabe und soziale Kontakte. Es sei jedoch unverständlich, dass die Maßnahmen zeitnah auch im Kreis Gütersloh umgesetzt werden sollen. Der diakonische Träger warnte davor, in den betroffenen Einrichtungen durch weitere Lockerungsmaßnahmen den Infektionsschutz zu reduzieren.
Bislang müssen Besuche von Angehörigen in stationären Einrichtungen des Johanneswerks vorher telefonisch abgestimmt werden. Pro Tag und Bewohner ist jeweils nur ein Besucher für maximal eine Stunde erlaubt. Besuche auf dem Zimmer gibt es nur in begründeten Ausnahmefällen.
Köln (epd). Für Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen ist die Corona-Pandemie ein hochinteressanter Versuchsfall. Besonders relevant ist die Frage, welche psychologischen Folgen die Krise für die Bevölkerung hat. Eine der ersten Studien dazu ist eine im April erhobene Umfrage des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) unter 3.600 Bundesbürgern. Das Ergebnis: Die Bevölkerung zeigt eine beachtliche psychische Widerstandskraft. Die Lebenszufriedenheit und das Wohlbefinden haben sich kaum verändert, lautet das Resümee.
Allerdings: Das Gefühl der Einsamkeit ist gestiegen. "Hier haben wir eine sehr substanzielle Verschiebung festgestellt", sagt einer der beiden Autoren der Studie, der Soziologe Hannes Kröger. "Dabei haben wir über alle Bevölkerungsgruppen hinweg einen starken Anstieg festgestellt, aber innerhalb dieses Anstiegs war er bei jungen Leuten und bei Frauen am stärksten ausgeprägt." Bei jungen Menschen vermuten die Forscher, dass sie von allen Bevölkerungsgruppen durch die Corona-Maßnahmen am meisten in der Ausgestaltung ihres Alltags eingeschränkt wurden. "Gruppenveranstaltungen werden vor allem von jungen Leuten besucht, die alle nicht mehr möglich waren."
Warum auch besonders Frauen während der Corona-Pandemie von zunehmender Einsamkeit betroffen sind, liegt für die Dortmunder Psychotherapeutin Cornelia Wien auf der Hand: "Mütter sind einer enormen Doppelbelastung ausgesetzt: dem Homeoffice auf der einen Seite und dem Homeschooling der Kinder."
Wien hat die Erfahrung gemacht, dass keineswegs alle ihre Klienten unter Corona leiden, im Gegenteil, manchen gehe es sogar besser: "Wer vorher sozial nicht integriert war, fühlt sich in seiner Selbstwahrnehmung jetzt besser." Denn durch das vorgegebene Kontaktverbot sei auf einmal jeder sozial eingeschränkt. Unterschiede verschwämmen und soziale Einschränkung werde zur neuen Normalität.
Der Berufsverband deutscher Psychologinnen und Psychologen hat eine bundesweite Corona-Hotline geschaltet. "Die Hotline ist sehr stark frequentiert", sagt die Notfallpsychologin Andrea Heine, die die Gespräche zusammen mit Kollegen entgegennimmt. Die Anrufer haben ganz unterschiedliche Anliegen: "Es gibt Leute, die sich aufgrund ihrer Angst vor Ansteckung gar nicht mehr aus dem Haus trauen. Andere leiden sehr unter der Kontaktsperre. Und es gibt viele, die ihre Therapien unterbrechen mussten, weil auch die Arbeit von Therapeuten zu Beginn des Lockdowns zum Teil sehr eingeschränkt war, und denen es jetzt schlechtgeht", sagt sie.
Es sei im Moment sehr schwierig, eine Grenze zu ziehen, was "normal" sei und wann Menschen professionelle Hilfe suchen müssten: "Corona ist für uns alle eine enorme Belastung, die Stress hervorruft." Die Aufgabe der Hotline sei es, die Anrufer zunächst einmal zu stabilisieren und ihnen konkrete Tipps zu geben, wie sie den Alltag mit Corona überstehen: "Etwa, indem sie nicht den ganzen Tag vor dem Fernseher sitzen und nur Nachrichten gucken, sondern sich selbst etwas Gutes tun."
Hilfe bei niedergelassenen Psychologen und Psychotherapeuten zu finden, ist schwierig. "Wir hatten schon vor Corona Wartelisten von drei bis fünf Monaten, das ist durch Corona natürlich nicht besser geworden", sagt Gerd Höhner, der Präsident der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen.
Höhner glaubt nicht, dass es durch Corona bislang zu mehr Angststörungen gekommen ist. Das könnte sich allerdings mit einer zweiten Infektionswelle ändern: "Alle Menschen reagieren auf eine so enorme Ausnahmesituation wie diese, auch psychisch gesunde Menschen." Langfristig könne es zu "Konditionsproblemen" kommen. "Wir spüren selbst den Wunsch nach Normalität, sehen überall den zunehmend nachlässigen Umgang mit Vorsichtsmaßnahmen. Die großen Herausforderungen kommen erst mit der zweiten Welle, wenn wir sehen, dass nicht alles einfach vorbei ist."
Moers (epd). Im Fall des von einer Corona-Infektionswelle betroffenen Dönerherstellers im niederrheinischen Moers ist die Zahl der Infizierten weiter gestiegen. Wie die Kreisverwaltung Wesel am 26. Juni mitteilte, ist bislang bei 82 der insgesamt etwa 275 Mitarbeitern der Firma eine Corona-Infektion nachgewiesen worden. Am Donnerstag waren noch 79 an Corona infizierte Personen gemeldet worden. Von den bislang untersuchten Tests fielen 169 negativ aus. Der Betrieb wurde bis auf weiteres stillgelegt, rund 250 Beschäftigte und deren Angehörige befinden sich derzeit in Quarantäne.
Bis Mittag am 26. Juni wurden von 260 Mitarbeitern des Betriebes Abstriche genommen, 17 weitere Beschäftigte befinden sich derzeit im Urlaub und werden zügig nachgetestet. Laut dem Kreis läuft die Kontaktnachverfolgung derzeit "auf Hochtouren". Dabei wird auch ermittelt, in welchen Kommunen die positiv Getesteten leben.
Landrat Ansgar Müller (SPD) verwies darauf, dass der Kreis trotz des akuten Corona-Ausbruchs von der kritischen Marke von 50 infizierten Personen pro 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche "aktuell weit entfernt" sei. Liegt eine Kommune oder ein Landkreis über dieser Grenze, müssen dort erneut Einschränkungen im öffentlichen Leben verhängt werden.
Aufgefallen war die Infektionswelle in dem Betrieb, als bei einer Nachtestung bei 17 Mitarbeitern eine Corona-Infektion festgestellt wurde. Der Kreis verwies zudem darauf, dass es sich bei den betroffenen Mitarbeitern um Personen handelt, die direkt beim Unternehmen und nicht über Werkverträge angestellt sind. Sie leben außerdem nicht in Sammelunterkünften.
Das NRW-Gesundheitsministerium geht deshalb auch davon aus, dass es sich in Moers derzeit noch um ein lokal begrenztes Infektionsgeschehen handelt. Man habe in Moers "andere Strukturen als beim Infektionsgeschehen im Kreis Gütersloh", betonte Minister Karl-Josef Laumann (CDU). Es handle sich im Moerser Fall um ein Unternehmen mit fest angestellten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. "Auch die wesentlichen Corona-Vorgaben aus dem Arbeitsschutz wurden nach den uns vorliegenden Informationen zum Zeitpunkt der letzten Überprüfung eingehalten", erklärte der Minister.
Derweil dauern die Ermittlungen zu den Ursachen der Infektionen an. Die Sprecherin der Öztas Dönerproduktion GmbH und Co. KG, Emel Halitoglu, erklärte, dass das Unternehmen sich auch nicht erklären kann, wie die Infektion trotz des Corona-Hygienekonzepts in den Betrieb kam oder wie sie sich verbreitet hat. Derzeit würden die Belüftungsanlagen untersucht. Die Firma prüfe auch den Austausch der Belüftung und den Einsatz von Umluft-Entkeimern.
Düsseldorf (epd). Zeitarbeiter leiden laut der Techniker Krankenkasse deutlich stärker unter ihren Arbeitsbedingungen als andere Beschäftigte. So waren Erwerbstätige in Zeitarbeit 2019 in NRW rund sechs Tage (40 Prozent) länger krankgeschrieben, als andere Versicherte, erklärte die Krankenkasse am 24. Juni in Düsseldorf. Zeitarbeiter seien im Schnitt 21,2 Tage krankgeschrieben gewesen, bei anderen Beschäftigten habe die Zahl bei 15,1 Tagen gelegen.
Arbeiter mit Zeitverträgen sind den Angaben zufolge vor allem in körperlich belastenden Jobs in Lager, Logistik und Transport tätig. Die konkreten Auswirkungen der Arbeitsbedingungen zeigten sich besonders bei Muskel-Skelett-Erkrankungen und Verletzungen: Wegen Rückenschmerzen fehlten nordrhein-westfälische Zeitarbeiter 2019 insgesamt durchschnittlich 4,62 Tage, rund 70 Prozent mehr als anderweitig Beschäftigte (2,7 Tage). Bei Verletzungen liegt die Quote der Zeitarbeiter mit 2,35 Tagen um rund 57 Prozent über anderen Beschäftigten (1,5 Tage). Eine vergleichbare Differenz zeige sich bei psychischen Erkrankungen.
Die Daten basieren auf der Auswertung von Krankschreibungen und Arzneimittelverordnungen der rund 5,3 Millionen der TK-Versicherten, knapp 1,3 Millionen davon aus NRW.
Düsseldorf (epd). Trotz der Corona-Pandemie sind im Mai 2020 in Nordrhein-Westfalen weniger Menschen gestorben als im Vorjahresmonat. Wie das statistische Landesamt in Düsseldorf am 25. Juni auf Basis vorläufiger Ergebnisse mitteilte, starben etwa 16.100 Menschen. Das waren 400 weniger als im Mai 2019.
Den Angaben zufolge steigt die Zahl der Gestorbenen während der Grippesaison von Dezember bis April in der Regel, ab Mai sinkt sie dann wieder. Auch in diesem Jahr verringerte sich im Mai die Zahl der Sterbefälle gegenüber dem Vormonat. So starben im Mai etwa neun Prozent weniger Menschen als im April 2020 (17.700 Todesfälle). Im langjährigen Vergleich seien für das Sterbegeschehen im Mai 2020 "keine Auffälligkeiten zu beobachten", hieß es weiter. Die Zahl der Sterbefälle bewege sich auf einem ähnlichen Niveau wie in den Vorjahren.
Saarbrücken (epd). Saarländische Betriebe halten dem Ministerium für Umwelt und Verbraucherschutz zufolge die Arbeitsschutzstandards bei der Erntearbeit auf den landwirtschaftlichen Feldern ein. Das Landesamt für Umwelt- und Arbeitsschutz (LUA) und das Hauptzollamt Saarbrücken hatten dafür die Arbeit direkt auf dem Feld und den Transport der Arbeiter zu den Feldern überprüft, wie das für Arbeitsschutz zuständige Ministerium am 24. Juni in Saarbrücken mitteilte. Seit Mai würden wegen der Corona-Pandemie Betriebe aus allen Bereichen, die auf Leiharbeiter und Saisonkräfte zurückgreifen, geprüft.
Bei dieser Kontrolle überprüften die Behörden den Angaben zufolge sechs Betriebe und trafen 35 Erntehelfer an, davon 21 Saisonhelfer aus Rumänen und Polen. Wo Felder nicht fußläufig zu erreichen seien, transportierten Kleinbusse oder private Fahrzeuge die Erntehelfer in festen Teams. Auf betriebsfernen Feldern stünden mobile Toilettenkabinen mit Handwaschgelegenheiten bereit, hieß es. Alle Betriebe hielten die Vorgaben ein, in einem Fall habe in einer mobilen Toilette ein Handwaschbecken gefehlt.
Staatssekretär Sebastian Thul (SPD) erklärte, dass die bisherigen Kontrollen optimistisch stimmten. Die Überwachung von Hygiene- und Arbeitsschutzstandards sei ein Dauerthema. "Standards, die wir jetzt setzen, werden wir auch in Zeiten nach Corona nicht mehr herabsenken", betonte er.
Düsseldorf (epd). Die Christdemokraten im Europaparlament wollen den "Green Deal" der EU-Kommission auf Eis legen und Maßnahmen für ein klimaneutrales Europa von der Entwicklung der Wirtschaft abhängig machen. "Wir müssen die Industrie stabilisieren, bevor wir sie in eine klimaneutrale Zukunft führen", sagte der Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber (CSU), den Zeitungen der Funke Mediengruppe (27. Juni). Vertreter von SPD, Grünen und Kommunen kritisierten den Vorstoß und erklärten, Wirtschaftspolitik und Klimaschutz müssten Hand in Hand gehen.
Weber nannte es "Gesetzgebung im Blindflug", den "Green Deal" der EU-Kommission in der Corona-Krise umzusetzen, als wäre nichts geschehen. Die europäische Wirtschaft befinde sich im freien Fall. Angesichts der schwersten Wirtschaftskrise seit den 30er Jahren müsse zunächst bewertet werden, wie es der europäischen Wirtschaft gehe und welche neuen Auflagen sie verkraften könne. "Erst danach sind neue Regelungen zum Klimaschutz denkbar."
Grünen-Chefin Annalena Baerbock kritisierte diese Haltung als unverantwortlich. "Es ist brandgefährlich, wenn wir mitten in einer Krise die Augen vor der nächsten Krise verschließen", sagte sie den Funke-Zeitungen (29. Juni). Die Milliarden, die jetzt angesichts der Corona-Pandemie in Europa in die Hand genommen würden, müssten nachhaltig investiert werden: "Sie müssen die Wirtschaft klimaneutral umbauen, damit Arbeitsplätze krisensicher und zukunftsfest bleiben."
Auch der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans betonte, "zurück in die alte Spur" sei weder für die Wettbewerbsfähigkeit Europas noch für den weltweiten Klimaschutz ein Rezept für die Zukunft. Die wirtschaftlichen Herausforderungen der Corona-Krise müssten als Chance für massive Investitionen in zukunftssichernde Infrastrukturen und einen entschlossenen technologischen Aufholprozess begriffen werden, sagte er den Funke-Blättern.
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund warnte ebenfalls davor, die Klimaschutz-Anstrengungen zurückzustellen. "Der jetzt einsetzende Reform- und Umstrukturierungsprozess der Wirtschaft muss genutzt werden, um mehr Nachhaltigkeit und mehr Klimaschutz in den Unternehmensstrategien umzusetzen", sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg den Zeitungen. "Das ist genau das, was die deutliche Mehrheit der Menschen erwartet."
Die EU-Kommission will Europa mit dem "Green Deal" bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent machen. Das bisherige Ziel von 40 Prozent weniger Treibhausgasen bis 2030 gegenüber 1990 soll nach dem Willen der Kommission zudem auf 50 bis 55 Prozent erhöht werden.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte am 25. Juni bekräftigt, dass der Klimaschutz im Mittelpunkt der sechsmonatigen deutschen EU-Ratspräsidentschaft stehen werde, die am 1. Juli beginnt. Auch in ihrem wöchentlichen Videopodcast nannte sie den Klimaschutz als ein zentrales Thema. Im Pariser Klimaabkommen von 2015 hatten sich die Unterzeichnerstaaten verpflichtet, ihre Ziele zur Minderung von Treibhausgasen in diesem Jahr noch einmal zu verschärfen.
Düsseldorf (epd). Der Regionalverband Ruhr (RVR) erhält 700.000 Euro vom Land für das Projekt "Offensive Grüne Infrastruktur 2030". Ziel des Programms sei es, mit mehr Grün- und Freiräumen die Lebensqualität im Ruhrgebiet zu erhöhen und zum Erhalt der biologischen Vielfalt sowie zur Milderung der Klimafolgen beizutragen, erklärte das nordrhein-westfälische Umweltministerium am 29. Juni in Düsseldorf. Der Regionalverband werde eine entsprechende Strategie für die ganze Metropole Ruhr entwickeln und die einzelnen Bausteine in den kommenden Jahren umsetzen.
Laut Regionaldirektorin Karola Geiß-Netthöfel ist eine grüne Infrastruktur für die Zukunft der Region wichtig, auch weil damit Arbeitsplätze in der Umweltwirtschaft entstehen sollen. "Gleichzeitig helfen wir der Natur, indem wir Lebensräume für Pflanzen und Tiere besser vernetzen", erklärte Geiß-Netthöfel.
Das Programm gehört zu den 74 Vorhaben der Ruhr-Konferenz, die das Ruhrgebiet wirtschaftlich stärken und zu einer lebenswerten Zukunftsregion machen sollen. Für die Biodiversität im Ruhrgebiet soll den Angaben zufolge ebenfalls eine Strategie erarbeitet werden. 2020 sollen beide Vorhaben zunächst konzipiert und in den Folgejahren umgesetzt werden.
Düsseldorf (epd). Der Bund, NRW und Niedersachsen werben für mehr Tierwohl in Ställen sowie höhere Sozial- und Umweltstandards. Dafür brauche es auch bessere Preise, sagte Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) am 26. Juni nach dem "Branchengespräch Fleisch" in Düsseldorf. Die Arbeits- und Landwirtschaftsminister von NRW und Niedersachsen legten zudem ein gemeinsames Zehn-Punkte-Papier für einen besseren Arbeits- und Gesundheitsschutz in der Fleischbranche vor.
Zu dem Branchentreff kamen Klöckner und ihre Amtskolleginnen aus NRW, Ursula Heinen-Esser, und Niedersachsen, Barbara Otte-Kinast (beide CDU) mit Vertretern aus Tierhaltung, Schlachtereien, Ernährungswirtschaft und Lebensmittelhandel zusammen. NRW und Niedersachsen beherbergen mit etwa 12.000 schweinehaltende Betrieben und rund 15,1 Millionen gehaltenen Schweinen rund 60 Prozent der Betriebe und Tiere in Deutschland.
"Der Preis bei Fleisch und Wurst gibt nicht den wahren Wert wieder", sagte Klöckner. "Fleisch soll keine Luxusware für Reiche werden, aber auch keine Alltagsramschware." Wenn der Handel aber beim Einkauf für 100 Gramm Hähnchenfleisch nur 17 Cent zahle, dann könne da "kein Tierwohl und kein Menschenwohl drinstecken". Die Ministerin kündigte an, ein Preiswerbeverbot für Fleisch zu prüfen. Es gehe darum, dass Lockangebote für Fleisch aus ethischen Gründen untersagt werden sollten.
Außerdem wiederholte Klöckner ihre Forderung nach einer Tierwohlabgabe für Fleisch und Fleischverarbeitungsprodukte. Diese solle auch europarechtlich verbindlich sein. Die Ministerin schlug dazu einen Aufpreis von 40 Cent je Kilo Fleisch im Handel vor. Das zusätzliche Geld soll in einen Fonds fließen, aus dem die Landwirte Mittel für Investitionen zum Umbau der Ställe bekommen. Unter den bisherigen Bedingungen seien faire Löhne und Arbeitsbedingungen, hohe Tierwohlstandards und ein auskömmliches Einkommen von Tierhaltern "schwer zu erreichen", betonte Klöckner.
Schätzungen zufolge kostet ein Umbau der Tierhaltung, der mehr Tierwohl berücksichtigt, rund 3,6 Milliarden Euro. Heinen-Esser betonte, dieser Umbau sei nur möglich, wenn er von allen mitgetragen werde. "Hier sind auch die Verbraucher an der Ladentheke gefordert", betonte sie.
Der Deutsche Tierschutzbund äußerte sich enttäuscht von den Ergebnissen des "Branchengesprächs". "Es wurde geredet, es wurde sich ausgetauscht. Aber konkret wurde es nicht", kritisierte der Präsident des Tierschutzbundes, Thomas Schröder. Er forderte ein klares und schärferes Ordnungsrecht, einen starken Vollzug und eine durchgreifende Kontrolle.
NRW und Niedersachsen legten zudem einen gemeinsamen Zehn-Punkte-Plan gegen die Missstände im Arbeits- und Gesundheitsschutz in der Schlachtbranche vor. Darin fordern sie unter anderem ein Verbot von Werkverträgen und Subunternehmerstrukturen, eine Erfassung der Arbeitszeiten, bessere Hygienestandards, menschenwürdige Unterbringung, schärfere und häufigere Kontrollen und deutlich höhere Bußgelder bei Verstößen.
Für einige Betriebe habe zu lange eine "organisierte Verantwortungslosigkeit" gegolten, erklärte NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU). Ein Systemwechsel in der Branche sei überfällig, ergänzte sein niedersächsischer Amtskollege Bernd Althusmann (CDU). Eklatante Missstände bei der Unterbringung vieler Beschäftigter würden "offenbar immer noch nicht ausreichend kontrolliert und sanktioniert". Notwendig seien "konkrete rechtliche Vorgaben und klare Rahmenbedingungen", forderte Niedersachsens Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast (CDU).
Berlin (epd). Der Corona-Ausbruch in der deutschen Fleischindustrie muss nach Ansicht von Diakonie-Chef Ulrich Lilie dazu führen, menschenunwürdigen Arbeitsverhältnissen im Niedriglohnsektor in Europa den Kampf anzusagen. Lilie forderte am 23. Juni in Berlin die Bundesregierung auf, die Probleme anzugehen: "Es kann nicht sein, dass Menschen, die oft aus anderen EU-Ländern kommen, hier unter extrem schlechten Arbeits- und Wohnbedingungen leiden und von Sozialleistungen und arbeitsrechtlichen Standards ausgenommen werden", sagte Lilie. Deutschland übernimmt am 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft.
Ausbeutung von Niedriglohnbeschäftigten in der EU gebe es auch in der Landwirtschaft, der Logistik, im Bau-, Hotel- und Gaststättengewerbe sowie bei der Pflege in Privathaushalten, erklärte der Präsident der Diakonie Deutschland. Er begrüßte, dass Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) undurchsichtige Arbeitsvertragsgestaltungen in der Fleischindustrie verbieten will. Es müssten aber auch andere Branchen auf legale Arbeitsausbeutungsmöglichkeiten überprüft werden, forderte Lilie.
Außer der Abschaffung von Werkverträgen im Niedriglohnsektor spricht sich die Diakonie Deutschland für eine EU-weite Anpassung der sozialen Standards und eine strenge Überwachung von Leiharbeit und der Entsendung von Arbeitnehmern aus.
Karlsruhe (epd). Domenico D'Alessandro hat in der warmen Jahreszeit kurze Nächte. Früh morgens schon steigt er hinab in den Keller seiner Eisdiele. Alle Zutaten sind gerichtet: Die Erdbeeren fein geschnitten, die gerösteten Pistazien gehackt, die selbst gemachten Soßen angerührt. Dann wirft der 56-Jährige seine zwei Eismaschinen an. Eine Stunde lang dauert es, bis die cremige Masse fertig ist. Sechs bis zwölf Stunden muss sie danach reifen. "Bei schönem Wetter halten 200 Liter etwa ein bis zwei Tage", sagt der Eismann. Die Kunden stehen Schlange vor seiner Eisdiele auf dem Marktplatz im badischen Bruchsal-Heidelsheim, auf Abstand und mit Mund-Nasen-Schutz.
D'Alessandro ist einer von rund 5.500 Inhabern einer Eisdiele in Deutschland. Noch immer sind die meisten fest in italienischer Hand. Der Nordbadener mit italienischen Wurzeln hält die handwerkliche Kunst des Eismachens stolz hoch. "Ich stelle so viele Zutaten wie möglich selbst her und verwende nur natürliche Rohstoffe", versichert er. Seit 33 Jahren betreibt er sein Eiscafé gemeinsam mit seiner Frau Andrea, die drei Töchter helfen zeitweise mit.
Das kleine Café mit den Bistrotischen ist ein typischer Familienbetrieb, so wie Tausende Eisdielen, die ab den 1960er Jahren im ganzen Land von Italienern gegründet wurden. Doch viele der alteingesessen Betriebe befinden sich in einem existenzbedrohenden Wandel, ihre Zahl sinkt seit Jahren: Die erste und zweite Generation der "Gelatieri" geht in den Ruhestand, oft fehlt der Nachwuchs.
Viele Jüngere wollen sich den aufreibenden und oft wenig rentablen Job nicht antun und verkaufen die Betriebe, etwa an große Eisdielen-Ketten. Auch gibt es immer mehr Eisdielen, die nicht mehr selbst Speiseeis produzieren, sondern es von großen Herstellen einkaufen - designtes Masseneis, das geschmacklich kaum an handgemachtes Speiseeis herankommt.
Für den gelernten Bäcker Domenico D'Alessandro, dessen Großvater in der 1960er Jahren aus der Apeninnenregion Molise nach Deutschland kam, ist das Eismachen ein Lebenswerk. "Man muss Idealist sein", sagt er. Rohstoffe wie Milch kauft er im Großmarkt, das frische Obst bezieht er von einem regionalen Landwirtschaftsbetrieb. In seiner Sieben-Tage-Woche stehen Domenico und Andrea D'Alessandro bis abends an der Theke ihres Eiscafés.
Es sind die "Klassiker", die Jung und Alt bis heute besonders schmecken, sagt D'Alessandro und zählt auf: Erdbeer, Vanille, Schokolade, Nuss, Zitrone, Joghurt. "Diese Geschmacksrichtungen haben sich von klein auf bei uns eingeprägt." Anregungen für neue Eiskreationen oder zur Produktionstechnik holt sich der Eismacher wie viele seiner Kollegen bei der alle zwei Jahre in Stuttgart im Frühjahr stattfindenden Fachmesse "Gelatissimo". Dort können das Fachpublikum, aber auch private Eisliebhaber manch abgedrehte Geschmacksrichtung selbst probieren: Speiseeis mit Gorgonzola-Walnuss-Feige-Geschmack oder Rote Bete mit schwarzem Pfeffer etwa.
Die Kunden bestellten mehr mit "Schnickschnack" wie mit Schokostreuseln garniertes Eis, nennt D'Alessandro einen Trend der vergangenen Jahre. Verstärkt werde aus gesundheitlichen Gründen auch gluten- und laktosefreies Eis nachgefragt. Ob er sich die auf der "Gelatissimo" präsentierten biologisch abbaubaren Eisbecher anschafft, um Plastikabfall zu verringern, überlegt er noch: "Die sind sehr teuer."
Der Eismann Luca Graziano Frignani, der aus dem norditalienischen Ferrara kommt und zwei Eiscafés in Graben-Neudorf und Oberhausen im Landkreis Karlsruhe besitzt, lässt sich auch durch religiöse Feiertage zu neuen Eissorten inspirieren. Von Zeit zu Zeit bietet der 58-Jährige Speiseeis an, das auf Rezepten von Desserts beruht, die Gläubige an christlichen oder muslimischen Festtagen zubereiten.
Zum Beispiel Baklava-Eis: Die Nuss-Honig-Schnitten sind bei vielen Muslimen besonders in der Zeit des Ramadan beliebt. Kunden aus Russland wiederum hätten sich begeistert gezeigt von seinem Pascha-Eis, erzählt er. Die Süßspeise, die auch als "Russischer Osterquark" bekannt ist, gönnen sich orthodoxe Christen üblicherweise nur einmal im Jahr zur Osterzeit.
Bis zu 18 Stunden täglich ist Frignani auf den Beinen, um sein Eis herzustellen und es zu verkaufen. Bis auf Aushilfen im Eisverkauf macht er alles selbst. Eigentlich, so merkt Frignani an, müsste der gängige Preis von einem Euro pro Eiskugel deutlich höher sein. In sechs Monaten müsse er Geld genug verdienen, um mit seiner Familie über das ganze Jahr zu kommen: "Die Kosten für Material, Strom, Pacht steigen immer weiter." Dennoch will er die Tradition des guten Eismachens so lange weiterführen, wie es geht. "Es bringt dem Herzen etwas", sagt er.
Und was ist Frignanis persönlicher Favorit unter den mehr als 30 Sorten in seiner Eisdiele? Der Eismacher muss nicht lange nachdenken: "Rocher-Eis."
Düsseldorf (epd). Mit einem Investitionspaket von mehr als 8,5 Milliarden Euro will die NRW-Landesregierung die Folgen der Corona-Pandemie abfedern. "Die Pandemie und ihre Bekämpfung haben Nordrhein-Westfalen in die größte Wirtschaftskrise seit Bestehen unseres Landes geführt", sagte Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) am 24. Juni im Düsseldorfer Landtag. Das "Nordrhein-Westfalen-Programm" solle deshalb "ein wichtiges Zeichen" setzen und für Wachstumsimpulse sorgen.
3,2 Milliarden Euro fließen nach Laschets Worten aus dem Konjunkturpaket des Bundes nach NRW. Das Land wolle diese Mittel um weitere 5,3 Milliarden Euro ergänzen. Zusätzlich werden 300 Millionen Euro für Arbeitsschutz und Hygienemaßnahmen in öffentlichen Einrichtungen bereitgestellt.
Profitieren sollen vor allem Krankenhäuser und die Kommunen. Universitätskliniken, Krankenhäuser und Pflegeschulen erhalten zwei Milliarden Euro aus dem Investitionsprogramm sowie weitere 900 Millionen Euro aus dem "Zukunftsprogramm Krankenhäuser" des Bundes.
Um Städten und Gemeinden zu helfen, wollten Bund und Land jeweils zur Hälfte Gewerbesteuerausfälle in Höhe von 2,8 Milliarden Euro kompensieren, hieß es weiter. Wegen der Corona-Pandemie fehlende Einnahmen im Öffentlichen Personennahverkehr sollen mit 700 Millionen Euro ausgeglichen werden, von denen der Bund 500 Millionen beisteuert. Mit 400 Millionen Euro will das Land zudem kommunale Investitionen in Städte- und Straßenbau sichern.
In die Digitalisierung der Schulen sollen 381 Millionen Euro fließen, davon 260 Millionen aus Landesmitteln. Unter anderem sollen davon Laptops oder Tablets für alle Lehrerinnen und Lehrer sowie für bedürftige Schülerinnen und Schüler finanziert werden. Damit werde Chancengleichheit geschaffen werden, betonte Laschet. Kein Kind müsse mehr ohne Computer dastehen, wenn die finanzielle Situation der Familie keine Eigenanschaffung erlaube. Außerdem soll die digitale Weiterbildung der Lehrkräfte verstärkt werden.
Auch andere Bereiche des Bundeskonjunkturpakets will NRW den Angaben zufolge aufstocken. Für den Sektor Kunst und Kultur etwa stelle das Land 185 Millionen Euro bereit. Laschet kündigte für die nächsten Tage zudem einen Kultur-Gipfel NRW an. "Für das Zusammenleben der Menschen in Nordrhein-Westfalen sind Kunst und Kultur von großer Bedeutung", sagte der Ministerpräsident.
Mit 300 Millionen Euro sollen von der Corona-Krise besonders betroffene Solo-Selbständige und Freiberufler unterstützt werden, die vom Bund keinerlei Gelder erhalten. 180 Millionen Euro stehen für Investitionen in Klimaschutz und Umweltwirtschaft bereit. Gefördert werden auch Auszubildende, Ausbildungsbetriebe und überbetriebliche Ausbildungsstätten.
Berlin (epd). Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Überwindung der Corona-Pandemie und ihrer Folgen als zentrale Aufgabe der bevorstehenden deutschen EU-Ratspräsidentschaft bezeichnet. Zunächst müsse vor allem die Verbreitung des Virus weiter eingedämmt werden, sagte sie am 27. Juni in ihrem wöchentlichen Video-Podcast. Hier sei neben der Politik jeder Einzelne gefragt: "Nehmen Sie es ernst, denn es ist ernst - und die von dem Virus ausgehende Gefahr ist weiterhin ernst", betonte die Kanzlerin.
Die sich aktuell rasant ausbreitenden Corona-Ausbrüche zeigten, dass die Gefahr nicht gebannt sei, erklärte Merkel. Sie rief die Menschen in Deutschland auf, weiter die Sicherheitsmaßnahmen wie Mindestabstand, Mund-Nasen-Schutz im öffentlichen Raum und Händewaschen einzuhalten und die neue Corona-Warn-App zu nutzen. Die Pandemie habe gewaltige gesundheitliche, wirtschaftliche und soziale Auswirkungen und schon mehr als 100.000 Menschen in Europa das Leben gekostet. "Und auch zentrale europäische Errungenschaften wie die Freizügigkeit und die offenen Grenzen waren und sind zum Teil noch eingeschränkt", sagte sie.
Merkel verwies auf das Motto der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, "Gemeinsam. Europa wieder stark machen. "Genau dafür werde ich mit aller Kraft arbeiten", erklärte sie. Im Mittelpunkt der sechsmonatigen Ratspräsidentschaft, die am 1. Juli beginnt, stünden der Klimaschutz, die Digitalisierung und die Stärkung der Handlungsfähigkeit Europas nach außen.
Berlin (epd). Zum Start der deutschen EU-Ratspräsidentschaft am 1. Juli dringen evangelische Hilfswerke auf eine grundlegende Reform des EU-Asylrechts. Die Bundesregierung müsse ihrer Ankündigung Taten folgen lassen, erklärten Diakonie Deutschland und "Brot für die Welt" am 26. Juni in Berlin.
"Wenn Menschen in Europa Schutz suchen, haben sie das Recht auf ein ordentliches Asylverfahren. Eine Vorprüfung an den EU-Außengrenzen ist verfassungsrechtlich bedenklich und menschenrechtlich nicht hinnehmbar", sagte Cornelia Füllkrug-Weitzel, Präsidentin von "Brot für die Welt". Was dies in der Praxis bedeute, zeigten die unwürdigen und gesundheitsgefährdenden Lebensbedingungen von Flüchtlingen auf den griechischen Inseln.
Füllkrug-Weitzel kritisierte auch die Rückführung von Bootsflüchtlingen nach Libyen. "Außerdem dürfen Deutschland und die EU ihre Entwicklungszusammenarbeit nicht weiter davon abhängig machen, ob ein Land Flüchtlinge aus Europa zurücknehmen will oder Migrationsrouten zum Teil mit Gewalt kontrolliert", fügte sie hinzu.
Diakoniepräsident Ulrich Lilie sagte: "Das größte Armutszeugnis für die vielbeschworene Wertegemeinschaft aber ist, dass Europa es weiter zulässt, dass Menschen, die aus Krisenregionen fliehen, im Mittelmeer ertrinken." Lilie forderte Deutschland und die EU auf, die staatlich organisierte Seenotrettung wieder aufzunehmen und Schutzsuchenden zu ermöglichen, legal und sicher nach Europa zu gelangen.
Einem Zeitungsbericht zufolge verschiebt die EU-Kommission die Reform der sogenannten Dublin-Verordnung, die die Aufnahme von Flüchtlingen in Europa regelt. Gesetzespläne sollen offenbar erst Ende des Jahres vorgelegt werden. EU-Migrationskommissarin Ylva Johansson hatte vor wenigen Tagen erklärt, viele EU-Staaten wollten erst eine vorläufige Einigung auf den langjährigen EU-Haushalt erreichen, bevor Vorschläge für eine Reform der Asyl- und Migrationspolitik kämen.
Berlin (epd). Mit einer Mahnwache protestieren seit dem 26. Juni Vertreter von "Eltern ohne Grenzen" und den NaturFreunden in Berlin gegen die Zustände in den griechischen Flüchtlingslagern. Dafür wurde vor dem Kanzleramt ein Zelt situationsgetreu nachgebaut, in dem etwa Kinder in den Lagern über Monate oder gar Jahre leben müssen: unter Plastikplanen, auf Pappkartons schlafend und unter unwürdigen hygienischen Bedingungen. Die 24-Stunden-Mahnwache soll bis Samstagvormittag auf die Situation in den griechischen Lagern aufmerksam machen und die fehlende Wasser-, Sanitär- und Gesundheitsversorgung anprangern.
Ziel der Aktion ist, dass die Bundesregierung den Weg frei macht, um sofort alle Kinder und Familien aus dem Elendslager Moria auf Lesbos zu holen. Heike Dierbach von "Eltern ohne Grenzen" sagte, mit der Mahnwache solle die Politik an ihre Verantwortung für alle Kinder in Moria erinnert werden. "Es ist eine kleine Hilfe, wenn Deutschland nun einige kranke Kinder aufnimmt - doch den Tausenden Kindern, die zurückbleiben, geht es ebenfalls nicht gut", sagte sie.
Nach Angaben der beiden Organisationen leben in Moria 8.000 Kinder unter katastrophalen Bedingungen. Hilfsorganisationen berichteten, dass Zehnjährige versuchten sich umzubringen, weil sie so nicht weiterleben wollten. "Die Eltern im Lager haben kaum Möglichkeiten, ihren Kindern auch nur die grundlegendsten Bedürfnisse zu erfüllen", erklärten die Initiatoren der Mahnwache.
Vor einer Woche hatten die Innenminister nach ihrer Konferenz in Erfurt erklärt, 243 kranke Kinder und ihre Angehörigen aus den griechischen Flüchtlingslagern aufzunehmen.
Bad Nauheim (epd). Der Regisseur der Oberammergauer Passionsspiele, Christian Stückl, erhält die Buber-Rosenzweig-Medaille 2021. Christian Stückl stehe "ein gegen Antisemitismus und Rassismus und für eine offene und plurale Gesellschaft", teilte der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit am 22. Juni im hessischen Bad Nauheim mit. Die Medaille ist nach den jüdischen Philosophen Martin Buber (1878-1965) und Franz Rosenzweig (1886-1929) benannt.
Die weltberühmten Passionsspiele von Oberammergau sind wegen der Corona-Pandemie um zwei Jahre auf den 21. Mai 2022 verschoben worden. Die undotierte Auszeichnung soll im Rahmen der Eröffnung der Woche der Brüderlichkeit am 7. März 2021 in der Liederhalle in Stuttgart überreicht werden. In diesem Jahr ging die Medaille an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
Stückl habe sich als Regisseur der Festspiele von Anfang an dem Vorwurf des christlichen Antijudaismus gestellt und mit Geduld und Ausdauer Zug um Zug die Aufführung entsprechend überarbeitet, hieß es weiter. Er halte Kontakt zu jüdischen Organisationen und arbeite immer wieder neu am Text. Zudem fahre er mit den Hauptdarstellern vor Beginn der Probenarbeit ins Heilige Land, um die Umwelt und das Leben Jesu besser zu verstehen und besuche gemeinsam die internationale Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem.
Die Ehrung wird seit 1968 jährlich von den deutschen Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit an Personen, Institutionen oder Initiativen vergeben, die sich in besonderer Weise für die Verständigung zwischen Christen und Juden einsetzen. Bisherige Preisträger waren unter anderen der Erziehungswissenschaftler und Publizist Micha Brumlik, der Schriftsteller Navid Kermani, der Architekt Daniel Libeskind, der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nikolaus Schneider, und der Musiker Peter Maffay.
Der Deutsche Koordinierungsrat vertritt als bundesweiter Dachverband die mehr als 80 Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Deutschland auf nationaler und internationaler Ebene. Er ist größtes Einzelmitglied im Internationalen Rat der Christen und Juden (ICCJ), in dem 32 nationale Vereinigungen für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit vertreten sind.
Düsseldorf (epd). Mit den Stimmen aller Fraktionen hat der nordrhein-westfälische Landtag am 25. Juni die Aufstockung des Hilfsfonds für die Opfer des Loveparade-Unglücks von Duisburg um fünf Millionen Euro beschlossen. Das Geld solle nun so schnell wie möglich überlebenden Opfern und den Angehörigen der 21 Toten zugutekommen, sagte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) vor der Abstimmung im Parlament in Düsseldorf. Der Abstimmung lag ein Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und Grünen zugrunde.
Am 24. Juli 2010 waren bei dem Musikfestival in der Ruhrgebietsstadt durch eine Massenpanik im Gedränge vor dem Veranstaltungsgelände 21 Menschen ums Leben gekommen und über 500 Personen teils schwer verletzt worden. Die Katastrophe von Duisburg gilt als eines der schlimmsten Unglücke in der Geschichte Nordrhein-Westfalens. Der Prozess um die juristische Aufarbeitung war am 4. Mai dieses Jahres ohne ein Urteil eingestellt worden.
Der Landtag beschloss zudem die Einrichtung eines Opferschutzfonds für Opfer von Katastrophen und Gewalttaten in NRW sowie die Einsetzung einer Kommission, die die Bedingungen für Großveranstaltungen im Freien untersucht. Das Gremium soll dabei die Erkenntnisse zum Loveparade-Unglück berücksichtigen und externe Fachleute einbeziehen. Außerdem sollen die Möglichkeiten und Grenzen von komplexen gerichtlichen Prozessen analysiert und Vorschläge für eine zukünftige bessere Aufarbeitung erarbeitet werden.
Landtagspräsident André Kuper (CDU) betonte, das Parlament zeige mit dem Beschluss aller Fraktionen, dass niemals diejenigen vergessen seien, "die im Zusammenhang mit der Loveparade 2010 in Duisburg ihr Leben verloren haben oder seitdem ein anderes Leben führen müssen". Auch der Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion, Bodo Löttgen, betonte, man werde weiter an der Seite der Opfer sein.
Die zum Zeitpunkt der Loveparade in Duisburg gerade zehn Tage amtierende damalige NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) nannte das die nicht geschlossen sei. Als einen Alptraum bezeichnete ihr Amtsnachfolger Laschet das Loveparade-Unglück. Der Ministerpräsident dankte zudem Kraft für ihre Worte bei der damaligen Trauerfeier, mit denen sie "ein Stück des Vertrauens in den Staat und das Land" zurückgebracht habe.
Fehler sowohl bei der Vorbereitung als auch Durchführung des Massenevents sowie der Aufarbeitung des Unglücks bemängelte der FDP-Abgeordnete Henning Höne. "Es wäre unverzeihlich, aus dieser Katastrophe nichts zu lernen", sagte er. Der Grünen-Abgeordnete Matthi Bolte-Richter sagte, man werde dafür sorgen, das große Feiern mit ihrer Leichtigkeit, Unbeschwertheit und ihrem Genuss wieder stattfinden können. "Es ist öffentliche Aufgabe, dabei die Sicherheit zu gewährleisten", betonte er.
Zur Einstellung des Loveparade-Verfahrens hatte das Gericht erklärt, dass am Ende "das Zusammenwirken einer Vielzahl von Umständen" zu "dem Gedränge mit dem tödlichen Verlauf" geführt hatte. Gleichzeitig hatte das Gericht angeregt, vor dem Hintergrund der Erkenntnisse aus dem Prozess eine weitergehende Fachdebatte darüber zu führen, wie die Sicherheit bei Großveranstaltungen bestmöglich gewährleistet werden kann.
Berlin (epd). Die gebürtige Somalierin Fadumo Korn weiß um die Wirkung ihrer Worte, wenn sie ihre eigene Beschneidung schildert. Korn ist Vorsitzende des Vereins "Nala - Bildung statt Beschneidung" und überreichte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) am 25. Juni in Berlin eine Petition mit 125.000 Unterschriften zur Bekämpfung der genitalen Verstümmelung. Das Problem ist nicht klein, Giffey präsentierte die Zahlen.
Die Zahl der Frauen in Deutschland, deren Genitalien verstümmelt wurden, ist in den vergangenen drei Jahren auf knapp 68.000 gestiegen. Giffey begründete den starken Anstieg um 44 Prozent damit, dass mehr Frauen aus Ländern zuwandern, in denen die genitale Verstümmelung weiter praktiziert wird. Dazu zählen Eritrea, Somalia, Indonesien, Nigeria und Ägypten. Es werde aber auch genauer hingeschaut, sagte die Ministerin. Im Jahr 2017 ging man noch von 44.000 verstümmelten Frauen aus.
Fadumo Korn, die seit 40 Jahren in Deutschland lebt, ist eine von ihnen. In der Steppe Somalias, festgehalten von zwei Frauen und ohne Betäubung wurde sie, als sie sieben Jahre alt war, ihrer Weiblichkeit beraubt, sagt sie. Ohne medizinische Versorgung, zeitweilig im Koma und gegen alle Wahrscheinlichkeit habe sie überlebt: "Es gibt kein Wort, das diesen Schmerz beschreiben kann. Eine Frau nimmt die Klitoris in die Hand, nimmt eine Rasierklinge und schabt sie bis zu den Knochen herunter."
Die traditionelle Beschneidung, die als "Reinigung" von der gefährlichen Klitoris oder Ritual an der Schwelle zum Frausein praktiziert wird, zählt zu den schwersten Menschenrechtsverletzungen. Mädchen und jungen Frauen wird die Klitoris weggeschnitten, oft auch die kleinen Schamlippen. Weltweit sind der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge rund 200 Millionen Frauen auf diese Weise verstümmelt. Jedes Jahr werden weitere zwei bis drei Millionen Mädchen Opfer dieser Gewalt. Die Frauen tragen lebenslange, häufig sehr schwere Behinderungen davon.
Fadumo Korn sagt, ihre eigene Behinderung habe sie vor die Wahl gestellt: zu leiden oder zu kämpfen. Frauen wie sie, die die Traditionen kennen und den direkten Zugang zu Einwanderern haben, die ihre Töchter beschneiden lassen wollen, könnten tatsächlich Verhaltensänderungen bewirken, sagt sie. Korns Verein fordert auf seiner Website aber auch alle anderen auf, Anzeichen für eine bevorstehende Beschneidung der Polizei und dem Jugendamt zu melden und "sich nicht von Gedanken an 'Tradition', 'Kultur', 'Religion' oder aus Angst davor, als 'rassistisch' zu gelten, abhalten zu lassen".
In Deutschland ist Giffey zufolge die Bedrohungslage nur schwer zu einzuschätzen, weshalb die Spanne zwischen 2.800 und fast 15.000 gefährdeten Mädchen liegt. Die geringere Zahl ergibt sich, wenn in der zweiten Einwanderergeneration keine genitalen Verstümmelungen mehr vorkämen, die höhere, wenn hier geborene Mädchen weiter als bedroht angesehen werden müssen.
Genitalverstümmelung ist eine Straftat, die aus Deutschland auch dann verfolgt wird, wenn sie im Ausland geschieht. Zu Verurteilungen kommt es aber kaum. Die Zahlen bewegten sich Giffey zufolge in den Jahren von 2016 bis 2018 jeweils im einstelligen Bereich.
Giffey sagte, zur Abwendung weiterer Fälle sei es ihr besonders wichtig, mit Nichtregierungsorganisationen zusammenzuarbeiten, da diese es schafften, "Aufklärung und präventive Maßnahmen in die jeweiligen Communities hineinzubringen". Sie stellte in Aussicht, dass Organisationen wie "Nala", die sich bisher allein aus Spenden finanzieren, besser unterstützt werden. Die in Deutschland arbeitenden Vereine haben sich im "Netzwerk zur Überwindung weiblicher Genitalverstümmelung 'Integra'" zusammengeschlossen.
Düsseldorf (epd). Die Zahl der Empfänger von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in NRW ist 2019 weiter zurückgegangen. Wie das statistische Landesamt am 26. Juni in Düsseldorf mitteilte, erhielten 87.355 Menschen diese Leistungen zur Deckung des täglichen Bedarfs. Das waren 11.125 Personen oder 11,3 Prozent weniger als ein Jahr zuvor. Die Bruttoausgaben für Sozialleistungen für Asylbewerber in NRW seien dadurch um 7,2 Prozent auf rund 844 Millionen Euro gesunken.
Mehr als jeder zweite Empfänger von Asylbewerberleistungen in NRW stammte 2019 den Angaben zufolge aus Asien (54,9 Prozent). Die größte Gruppe bildeten dabei Iraker (12,3 Prozent), gefolgt von Afghanen (7,9 Prozent). Rund ein Viertel der Empfänger kamen aus einem europäischen Staat außerhalb der Europäischen Union, etwa aus Serbien (5,1 Prozent) oder Russland (vier Prozent).
Zwei Drittel (62,4 Prozent) der Regelleistungsempfänger waren den Statistikern zufolge im erwerbsfähigen Alter von 18 bis 64 Jahren, ein Drittel (36,6 Prozent) waren Kinder und Jugendliche. Sie lebten in insgesamt 47.612 Haushalten. Davon waren fast die Hälfte (47,6 Prozent) in Gemeinschaftsunterkünften, 42 Prozent dezentral in angemieteten Wohnungen und gut zehn Prozent in Aufnahmeeinrichtungen untergebracht.
Düsseldorf (epd). An der Spitze der Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen gibt es einen Wechsel. Guido Hitze hat am 1. Juni die Leitung der Landeszentrale übernommen und damit die Nachfolge von Maria Springenberg-Eich angetreten, wie das NRW-Kulturministerium am 25. Juni in Düsseldorf mitteilte. Als Historiker und Politikwissenschaftler "mit jahrelanger Erfahrung im politischen Bildungsbereich" bringe Hitze die besten Voraussetzungen mit, sagte der Parlamentarische Staatssekretär Klaus Kaiser.
Hitze war nach Stationen unter anderem bei einer politischen Stiftung und in der Landesverwaltung zuletzt im Landtag sowie als Lehrbeauftragter tätig. Die Landeszentrale für politische Bildung hat die Aufgabe, die demokratische Kultur im Land zu stärken. Zudem fördert sie die Einrichtungen der politischen Bildung in Nordrhein-Westfalen. Die bisherige Leiterin Springenberg-Eich war zum 1. März dieses Jahres in den Ruhestand gegangen.
Münster/Bochum (epd). Kundenkontaktdaten dürfen nach einer Gerichtsentscheidung zufolge von Gastronomie, Friseuren und Fitnessstudios weiterhin auf Grundlage der Coronaschutzverordnung erhoben werden. Die Regelungen des Landes Nordrhein-Westfalen zur Rückverfolgbarkeit möglicher Infektionsketten sei rechtmäßig, beschloss das Oberverwaltungsgericht am 23. Juni in Münster in einem Eilverfahren (AZ: 13 B 695/20.NE). Mit der vorsorglichen Erhebung der Daten solle sichergestellt werden, dass bei Nachweis einer Neuinfektion die Kontaktpersonen des Betroffenen leichter durch die Gesundheitsämter identifiziert werden könnten. Der Beschluss ist unanfechtbar.
Die Coronaschutzverordnung des Landes NRW sieht für bestimmte Wirtschaftsbereiche vor, dass Kundinnen und Kunden ihren Namen, Adresse, Telefonnummer sowie Zeitraum des Aufenthalts schriftlich hinterlassen muss. Die Kontaktdaten müssen vier Wochen aufbewahrt und danach vernichten werden. Eine Weitergabe an die für die Nachverfolgung zuständige Behörde erfolgt nur auf deren Verlangen.
Ein Bochumer Rechtsanwalt hielt die Regelungen für unverhältnismäßig und wollte dagegen vorgehen. Er argumentierte, die Datenerhebung auf Papier verletze sein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und verstoße gegen datenschutzrechtliche Vorgaben.
Das Oberverwaltungsgericht lehnte seinen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung jedoch ab. Angesichts der inzwischen weitgehenden Öffnung des sozialen und wirtschaftlichen Lebens sei es nicht zu beanstanden, wenn der Verordnungsgeber die Kontaktdatenerhebung in bestimmten kontaktintensiven Bereiche als milderes Mittel nutze, um Infektionsketten aufzudecken und zu unterbrechen, heißt es in dem Eil-Beschluss. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung trete deshalb gegenüber dem Schutz von Leben und Gesundheit vorübergehend zurück. Der sichere Umgang mit den erhobenen personenbezogenen Daten werde durch die zu beachtenden Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung voraussichtlich gewährleistet, erklärten die Richter.
Köln/Duisburg (epd). Gordon L’habitant wird bald Vater. Wovon seine Frau und er die Erstausstattung für das Baby bezahlen sollen, ist ihm schleierhaft. Das Kurzarbeitergeld seiner Frau geht in voller Höhe an die Bank, um den Kredit für das Eigenheim abzuzahlen. Wegen der Corona-Pandemie haben die beiden derzeit für ihren Lebensunterhalt nicht mehr als 600 Euro im Monat. Eigentlich arbeitet L'habitant als Lichtoperator und verdient in der Regel im Monat 2.500 Euro netto. Aber der selbstständige Lichtoperator hat wegen den Veranstaltungsverboten nichts zu tun - und daher auch keinen Umsatz.
Im Mai bezogen nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit mehr als 5,5 Millionen Menschen Grundsicherung. Und für mehr als zwölf Millionen Beschäftigte ist seit März Kurzarbeit angezeigt worden. Auch Katrin Weiss (Name v.d. Red. geändert) wurden die Stunden reduziert. Sie macht bei einem Kölner Start-up die Lohnabrechnung. Die 23-Jährige bekommt statt rund 1.400 Euro netto nun noch knapp die Hälfte. "Für meine Zukunft ist Corona beängstigend."
Von den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie seien besonders Menschen betroffen, die für ihre Arbeit ohnehin weniger Geld als der Durchschnitt erzielen. "Wir sehen jetzt: Niedrige Einkommen sind nicht krisenfest", sagte Anja Piel, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes, dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Etwa 21,7 Prozent aller abhängig Beschäftigten gehören dem sogenannten Niedriglohnbereich an. Sie arbeiten für unter zwölf Euro brutto die Stunde, erklärt die Wirtschaftswissenschaftlerin Claudia Weinkopf von der Universität Duisburg-Essen. Zum Vergleich: Während Niedriglohn-Beschäftigte in Vollzeit monatlich etwa 1.800 Euro brutto erwirtschaften, liegt das durchschnittliche Monatsbrutto aller Vollzeitbeschäftigten bei 3.800 Euro. "Durch Corona werden sich die Einkommen noch weiter auseinanderentwickeln. Und das Rentenniveau wird in den nächsten Jahren sinken", sagt Weinkopf.
Gedanken an die Altersvorsorge quälen auch Thorsten Meyer. Der 43-Jährige ist Veranstaltungstechniker aus Bremen - derzeit ohne Aufträge. Seine Frau hatte als Betreiberin eines Nagelstudios ebenfalls wochenlang keine Arbeit. Die beiden Selbstständigen hatten in Immobilien investiert, um für später vorzusorgen. "Das fliegt mir jetzt um die Ohren", sagt Meyer. Normalerweise sind es pro Monat etwa 2.500 Euro netto, die er beisteuern kann. Nun musste er "zentimeterdicke Stapel an Unterlagen" beim Jobcenter vorlegen, beklagt er. "Meine Frau sagt, ich soll mir was am Band suchen." Das fühle sich wie ein Berufsverbot an, nach zwei Jahrzehnten in der Eventbranche.
Die finanziellen Folgen der Corona-Krise seien für Selbstständige wesentlich härter als für abhängig Beschäftigte, heißt es in einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Während 15 Prozent der Angestellten in Umfragen von monatlichen Einkommensverlusten von etwa 400 Euro brutto berichten, verlieren 60 Prozent der Selbstständigen mehr als dreimal so hohe Summen. Abhängig Beschäftigte sind bei verkürzter Arbeitszeit durch das Kurzarbeitergeld abgesichert, das bis zu 67 Prozent des Nettolohns ersetzt - nicht selten wird es durch den Arbeitgeber aufgestockt. Selbstständige bekommen Soforthilfen, um Betriebsausgaben zu decken. Um ihren Lebensunterhalt zu sichern, sind viele von ihnen nun auf Grundsicherung angewiesen.
"Die bekomme ich vermutlich eh nicht", sagt Kevin Meler (Name geändert), selbstständiger Tournee-Produktionsleiter aus Nordrhein-Westfalen. Trotz 100 Prozent Auftragsverlust durch die Corona-Bestimmungen und bei 35.000 Euro Umsatzeinbußen: "Weil wir verheiratet und damit eine Bedarfsgemeinschaft sind, muss meine Frau alles zahlen. Vom Staat fühle ich mich komplett im Stich gelassen."
"Rasend vor Wut" mache das viele, gibt Andreas Lutz, Vorstandsvorsitzender des Verbands der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD), ein Stimmungsbild wieder. "Sie wollen nicht als Bittsteller behandelt werden, nachdem ihnen ihre Berufstätigkeit verboten worden ist."
Düsseldorf (epd). Nein, zu Hause bleiben war nichts für Sabine Grüter. Zwei Monate lang, als in der Werkstatt für Angepasste Arbeit (wfaa) in Düsseldorf "Betretungsverbot" herrschte, durfte sie die Drehbank für Aluminiumteile nicht bedienen. Sie durfte niemanden treffen und, trauriger noch, keinen Besuchern die weitläufigen Arbeitsräume zeigen. Das gefiel der 58-Jährigen mit den raspelkurzen Haaren gar nicht. Wegen ihrer Lernschwäche arbeitet sie in der Werkstatt für Menschen mit Behinderung und ist froh, wieder täglich mit der S-Bahn von Mülheim an der Ruhr nach Düsseldorf zu fahren.
Etwa die Hälfte der 1.520 Beschäftigten arbeiten hier wieder, bauen Kinderfahrräder zusammen oder verpacken täglich bis zu 7.000 Bestecksets für die Uniklinik, sagt Geschäftsführer Thomas Schilder. Für alle wurden individuelle Lösungen der Organisation, Arbeitszeiten und Anfahrt gefunden.
Dagegen haben viele Menschen, die in Wohnheimen oder anderen Einrichtungen leben, ihre Tätigkeit noch nicht wieder aufgenommen, oft gegen ihren Wunsch. Die Einrichtungen wägen das Risiko der Ansteckung im Einzelfall individuell ab. "Höchste Priorität hat, dass kein Virus in die Wohngruppen gelangt", sagt ein Betreuer.
Bevor die Werkstatt für Angepasste Arbeit Mitte Mai wieder öffnete, nahm das Team Kontakt zu allen Beschäftigten auf. "Wir haben alle 1.520 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ihre Eltern oder Betreuer angerufen, um zu klären, wie, wann und ob sie an ihren Arbeitsplatz in einem unserer zehn Standorte in Düsseldorf kommen", sagt der Geschäftsführer. Für Sabine Grüter kein Problem. Sie konnte fahren wie all die Jahre zuvor, auch mit Mundschutz. "Und ich bin immer pünktlich. Zu spät kommen, das gibt es bei mir nicht", sagt sie.
Während des Betretungsverbots für die behinderten Mitarbeiter musste das Team der Werkstatt - Handwerkern vom Metallbetrieb bis zur Gärtnerei sowie Betreuerinnen - selbst die Aufträge erledigen, auf die Kunden sich verlassen: etwa für die Uniklinik, die weiterhin verpacktes Besteck für Frühstück, Mittag- und Abendessen ihrer Patienten brauchte.
Arbeiten, die auch an anderen Orten hygienisch einwandfrei gemacht werden konnten, brachten Werkstatt-Mitarbeiter in die Wohnheime. Wohnzimmertische wurden zu Arbeitsplatten. Das machten auch andere Werkstätten in NRW: "Unsere Gruppen waren auf diese Weise sinnvoll beschäftigt, ihre Tage hatten Struktur und sie waren zusammen", erzählt ein Betreuer aus Witten.
Manche Beschäftigte zogen, zum Teil nach Jahren, zu ihren Eltern zurück. "Das war für die Familien anstrengend," berichtet wfaa-Geschäftsführer Schilder. Deshalb seien einige seiner Mitarbeiter stundenweise zur Entlastung in diese Familien gekommen. "Das geschieht auch jetzt noch", sagt Schilder.
Obwohl die Werkstätten seit Mitte Mai wieder in Betrieb sind, arbeiten längst nicht alle, die das möchten. Ein Engpass ist etwa der Transport: Aus Wohnheimen werden Menschen mit Behinderung in Minibussen in die Werkstätten gefahren. Wenn auf neun Plätzen neun Personen sitzen, die alle einen Mundschutz tragen, sei das möglich, sagt Thomas Schilder. Das NRW-Gesundheitsministerium habe das auch ausdrücklich gestattet, selbst bei geringem Abstand zwischen den Personen.
Manche Behinderungen lassen aber keinen Mundschutz zu. Sei es, weil die Haut zu empfindlich ist, sei es, weil Menschen mit spastischen Bewegungen ihn aus dem Gesicht zögen. "Auch da sind Lösungen für den Einzelfall notwendig", erklärt Schilder. Zwei oder drei Leute könnten in einem Minibus auch ohne Mundschutz gefahren werden.
Nicht überall kümmern sich Wohnheime um diese Möglichkeit. "Mein 45-jähriger Sohn hat seit Mitte März, mit Ausnahme einer Woche bei uns, seine Gruppe mit acht Mitbewohnern nur ein einziges Mal in Begleitung eines Betreuers verlassen", berichtet der Vater und gesetzliche Betreuer des Mannes aus Wuppertal. Der Sohn sei geistig soweit eingeschränkt, dass er nicht alleine zu seiner Werkstatt fahren könne.
Weil es keine allgemeinen, politisch verordneten Regeln geben kann, bleibt allen Beteiligten weiterhin nur die Suche nach Lösungen für jeden Einzelfall. Thomas Schilder erwartet, dass das einstweilen so bleiben wird: "So lange es keinen Impfstoff gibt, werden wir in der Werkstatt nicht mit 1.500 Personen an allen Plätzen arbeiten können."
Gütersloh (epd). Der Ausbau des gemeinsamen Unterrichts von Schülern mit und ohne Behinderung kommt laut einer neuen Studie nur schleppend voran. Der Anteil der Kinder, die an Förderschulen unterrichtet werden, sei in den letzten zehn Jahren kaum gesunken und in manchen Bundesländern sogar gestiegen, erklärte die Bertelsmann Stiftung bei der Vorstellung der Untersuchung am 25. Juni in Gütersloh. Während im Schuljahr 2008/09 4,8 Prozent der Mädchen und Jungen der ersten bis zehnten Klassen Förderschulen besuchten, waren es demnach 2018/19 immer noch 4,2 Prozent. Der Verband Bildung und Erziehung erklärte, Versprechungen der Politik reichten nicht aus, an Schulen müssten auch die Voraussetzungen geschaffen werden.
Der Blick in die Bundesländer zeige beim Abbau des "exklusiven" Lernens große Unterschiede, heißt es in der Studie: Die Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg sowie das Flächenland Schleswig-Holstein machten demnach in dem Zehn-Jahres-Zeitraum deutliche Fortschritte. In Ländern wie Baden-Württemberg, Bayern oder Rheinland-Pfalz sei der Anteil der Kinder und Jugendlichen auf Förderschulen jedoch noch gestiegen. Diese sogenannte "Exklusionsquote" liegt den Angaben zufolge derzeit zwischen 0,9 Prozent in Bremen und 6,1 Prozent in Sachsen-Anhalt. In Nordrhein-Westfalen beträgt sie 4,6.
Mehr als zehn Jahre nach dem Beitritt zur UN-Behindertenrechtskonvention tue sich Deutschland trotz "punktueller Fortschritte" bei der Annäherung an deren Vorgaben schwer, beklagte die Stiftung. Mit einer Trendwende sei laut einer Vorausberechnung der Kultusministerkonferenz auch in den kommenden Jahren nicht zu rechnen.
Dabei befürworten der Studie zufolge mit 94 Prozent nahezu alle Eltern schulpflichtiger Kinder das gemeinsame Lernen von Schülerinnen und Schülern mit und ohne körperliche Beeinträchtigung. Auch der inklusive Unterricht mit Kindern mit Sprach- oder Lernschwierigkeiten stößt mit 71 beziehungsweise 66 Prozent auf breite Zustimmung, wie eine von der Stiftung in Auftrag gegebene Umfrage ergab.
Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf erzielten in inklusiven Klassen durchschnittlich bessere Resultate und erreichten öfter den Hauptschulabschluss als jene in Förderschulen, heißt es in der Untersuchung weiter. Der "nachweisliche Lernerfolg" und die positiven Einstellungen der Eltern zeigten, dass mehr Inklusion möglich sei, sagte der Vorstand der Bertelsmann Stiftung, Jörg Dräger. Die Politik solle sich diesen Rückenwind zunutze machen und in den nächsten Jahren deutlich mehr Mut zur Inklusion zeigen, meinte Dräger.
Mütter und Väter inklusiv lernender Kinder seien zudem laut der Umfrage insgesamt zufriedener mit den Schulen, Klassen und Lehrkräften. Demgegenüber äußerten sich Eltern, deren Söhne und Töchter eine nicht inklusive Schule besuchten, verhalten zu den Potenzialen von Inklusion. Kritische Rückmeldungen habe es vor allem zur Raum- und Personalausstattung inklusiver Schulen gegeben - sowohl von Eltern als auch von Lehrern. Aktuelle Befragungen unter Lehrkräften zeigen laut Bertelsmann Stiftung zudem, dass sich ein Drittel bis die Hälfte für die Arbeit in inklusiven Klassen "unzureichend vorbereitet und schlecht begleitet" fühle.
Der Verband Bildung und Erziehung mahnte mehr Unterstützung für die Schulen an. Das beginne bei den schulbaulichen Voraussetzungen, reiche über eine inklusionsfreundliche Schulkultur und müsse die Fortbildung der Lehrkräfte unbedingt im Blick haben, erklärte der Bundesvorsitzende Udo Beckmann. Die Schulschließungen wegen der Corona-Pandemie hätten zudem gezeigt, "dass wir insbesondere für die Kinder mit Förderbedarfen kaum Lösungen anbieten können und sie gleichzeitig nur sehr eingeschränkt von ihren Eltern unterstützt werden können". Auch bei den Schulöffnungen werde an diese Kinder kaum gedacht.
Für die vorgelegte Studie hat die Bertelsmann Stiftung nach eigenen Angaben aktuelle Dokumentationen der Kultusministerkonferenz ausgewertet. Zudem seien im Sommer 2019 rund 4.000 Eltern schulpflichtiger Kinder repräsentativ zu ihrer Sichtweise auf schulische Inklusion befragt worden.
Bonn (epd). Das Projekt "Kommune Inklusiv" der Aktion Mensch öffnet sich für alle Städte und Gemeinden in Deutschland. Die Hilfsorganisation hat dazu Informationen und praxisnahe Tipps zur Umsetzung von eigenen Projekten auf ihre Homepage gestellt, wie Aktion mensch am 22. Juni in Bonn mitteilte. Mit dem nun veröffentlichten digitalen Praxishandbuch will die Förderorganisation Kommunen motivieren und unterstützen, Inklusion im Alltag zu fördern. Das Modell "Kommune Inklusiv" läuft den Angaben zufolge seit rund zwei Jahren in fünf Städten.
Das "Praxishandbuch Inklusion" soll Projekte mit Leitfäden, Checklisten, Arbeitsblättern und Beispielen aus der Praxis begleiten. Die Materialien seien nutzungsorientiert aufbereitet, so dass Interessierte sofort damit arbeiten könnten, hieß es. Mit dem Aufruf zu mehr Inklusion ist auch ein Fortbildungsangebot verknüpft: Wer Inklusionsprojekte leitet oder daran mitarbeitet, kann über die Aktion Mensch das ganze Jahr an kostenfreien Schulungen teilnehmen.
Im Projekt "Kommune Inklusiv" begleitet die Aktion Mensch derzeit fünf Städte auf ihrem Weg zu mehr Inklusion. Sie bekommen professionelle Beratung und Begleitung, Lehrgänge und pro Kommune bis zu 600.000 Euro Fördergeld. Ziel sei eine Gesellschaft, in der alle, unabhängig von Alter, Geschlecht, Ethnie, Herkunft, sexueller Orientierung oder Behinderung selbstbestimmt teilhaben können, erklärt die Hilfsorganisation. Das Projekt werde wissenschaftlich begleitet.
Die Aktion Mensch e.V. ist die größte private Förderorganisation im sozialen Bereich in Deutschland. Seit ihrer Gründung im Jahr 1964 hat sie mehr als vier Milliarden Euro an soziale Projekte weitergegeben. Zu ihren Mitgliedern gehören ZDF, Arbeiterwohlfahrt, Caritas, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonie, Paritätischer Gesamtverband und die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland.
Düsseldorf (epd). Mit 600.000 Euro fördert der Landschaftsverband Rheinland Selbsthilfeprojekte ehemaliger Heimkinder. Initiativen können bis zu 65.000 Euro pro Kalenderjahr erhalten, teilte der Verband am 23. Juni in Düsseldorf mit. "Der LVR sieht sich in der Verantwortung für die Menschen, die im Rheinland in Heimen der Jugend- und Behindertenhilfe und in Psychiatrien in den Jahren von 1949 bis 1975 leben mussten und dort Leid und Unrecht erfahren haben."
Die Selbsthilfeinitiativen und -projekte trügen dazu bei, die Folgen der unwürdigen Unterbringungen zu mildern. Um sie langfristig zu stabilisieren, werde nun das Förderprogramm "Ehemalige Heimkinder stärken - Förderung von Selbsthilfeprojekten" gestartet. Das Programm soll laut LVR bis 2022 laufen. Ein Förderantrag kann schriftlich und formlos unter "anerkennung-hilfe@lvr.de" gestellt werden. Geld für das Jahr 2020 kann noch bis zum 31. Dezember 2020 beantragt werden.
Die Höchstsumme für die Förderung ohne besonderen Verwendungsnachweis liegt den Angaben zufolge bei 5.000 Euro pro Jahr und Initiative. Zusätzlich können Initiativen mit bis zu 60.000 Euro pro Kalenderjahr gefördert werden, die eine Kostenkalkulation und Verwendungsnachweise einreichen.
Frankfurt a.M. (epd). Zu wenig, zu spät, nicht hilfreich - der geplante Familienbonus des Bundes stößt nicht bei jedem auf Gegenliebe. Gezahlt werden soll der Bonus in Höhe von 300 Euro pro Kind in zwei Raten zusammen mit dem Kindergeld im September und im Oktober. Bei besserverdienenden Haushalten wird er mit dem Kinderfreibetrag verrechnet. Die umstrittene Zahlung reiht sich in eine Vielzahl verschiedener Maßnahmen ein, mit denen der Staat Familien finanziell unterstützt. An ihnen gibt es immer wieder Kritik.
In Deutschland gibt es verschiedene steuerliche Entlastungen und Transferleistungen, mit denen Eltern unterstützt werden sollen. Zusammengefasst ist ein Großteil dieser Hilfen unter dem Familienleistungsausgleich. Ein Kernbestandteil dieses Ausgleichs ist das Kindergeld. Die Transferleistung ist nach der Zahl der Kinder gestaffelt. Sie beträgt für das erste und zweite Kind monatlich 204 Euro, für das dritte Kind 210 Euro und für das vierte und jedes weitere Kind monatlich 235 Euro.
Eine weitere Hilfe ist der Kinderfreibetrag. Er wird am Ende des Jahres vom zu versteuernden Einkommen abgezogen. Der Kinderfreibetrag ist an das Kindergeld gekoppelt und lohnt sich nicht für alle Eltern: Nur wenn die durch den Freibeitrag gesparten Steuern über der Summe des ausgezahlten Kindergeldes liegen, ist eine Anrechnung sinnvoll. Dies wird vom Finanzamt automatisch geprüft.
Einen speziellen Entlastungsfreibeitrag gibt es für Alleinerziehende. Auch diese Hilfe wird am Ende des Jahres von der Summe der zu versteuernden Einkünfte abgezogen. Der Betrag wird zusätzlich zu den anderen Freibeträgen gewährt und demnach nicht gekürzt. Alleinerziehende können zudem einen Vorschuss in Anspruch nehmen, wenn sie keinen oder nicht regelmäßig Unterhalt erhalten.
Eltern, die mit ihrem Einkommen für sich, aber nicht für ihre Kinder sorgen können, können bei der Familienkasse einen Kinderzuschlag beantragen. Voraussetzung ist, dass auch Kindergeld bezogen wird. Die Höhe des Zuschlags ist abhängig vom Einkommen und Vermögen der Eltern, meist wird er für sechs Monate ausgezahlt.
Speziell für Familien mit kleinen Kindern gibt es das Elterngeld. Die Transferleistung soll fehlendes Einkommen ausgleichen, wenn Eltern nach der Geburt ihr Kind betreuen. Die Höhe der Zahlung ist vom Nettoeinkommen des betreuenden Elternteils abhängig.
Viele Kritiker stören sich an der Höhe der Hilfen - obwohl zum Beispiel das Kindergeld regelmäßig angepasst wird. Nach Ansicht des Deutschen Kinderhilfswerkes führen auch Erhöhungen nicht zu einer maßgeblichen Reduzierung der Kinderarmut. Bei Bezug von Hartz IV werde das Kindergeld zum Beispiel komplett auf den Regelsatz angerechnet, die Kinder gingen also leer aus. Viele Menschen durchschauten zudem das System nicht und beantragten daher nicht alle Leistungen.
Eine Studie des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung zeigt, dass eine Erhöhung des Kindergeldes unterm Strich "weitgehend wirkungslos" ist, da Mütter mit Partnern dann weniger arbeiteten. Die Kindergelderhöhung werde also durch das niedrigere Einkommen der Mutter ausgeglichen.
Die Kritik am Familienbonus ähnelt in vielen Fällen der am Kindergeld: So hält es der VdK Sozialverband für zielgenauer, nur arme und bedürftige Familien zu unterstützen. Auch der Paritätische Wohlfahrtsverband fordert eine andere Verteilung des Geldes, um armen Familien speziell in der Corona-Krise besser zu helfen.
Auch der Verwaltungsaufwand gerät regelmäßig in die Kritik. Zunächst muss den Eltern bekannt sein, welche Hilfen sie überhaupt beantragen können, dazu müssen sie wissen, wie. Einige Anträge verlangen besondere Nachweise, zum Beispiel. wenn Kindergeld an volljährige Kinder ausgezahlt werden soll. So empfahl der Bundesrechnungshof 2009 eine vereinfachte Prüfung in solchen Fällen, um Behörden und Eltern zu entlasten.
Düsseldorf (epd). Nordrhein-Westfalen setzt im Kampf gegen Kinderpornografie im Internet und Kindesmissbrauch künftig auf Unterstützung durch die Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen (ZAC NRW). Die Straftaten in diesem Bereich stellten eine große Herausforderung an die Justiz dar, weil die Auswertung der Beweismittel oft schwierig sei und unter hohem Zeitdruck stattfinden müsse, sagte NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) am 29. Juni in Düsseldorf. Deshalb habe man sich zur Gründung einer Task Force durch die ZAC NRW entschieden, die am 1. Juli ihre Arbeit aufnehmen soll.
Es gehe darum, die Strukturen und technischen Voraussetzungen bei den Ermittlungen zu optimieren und die Schnittstelle zwischen der technischen Auswertung und der Strafverfolgung zu verbessern, betonte der Minister. Damit schaffe man bundesweit eine "der ersten Gruppen" mit solch einer Vernetzung.
Dass sich im Zusammenhang mit dem Ermittlungskomplex Bergisch Gladbach Spuren auf bislang 30.000 unbekannte Tatverdächtige ergeben hätten, zeige, wie notwendig ein entschiedeneres Vorgehen gegen die Szene sei, betonte Biesenbach. Erschreckend sei zudem die "Selbstverständlichkeit", mit der sich Vertreter der Szene zum Teil auch in offen zugänglichen Bereichen des Internets über ihre Taten austauschten.
Der Leiter des ZAC NRW, Oberstaatsanwalt Markus Hartmann erklärte, es gebe einen "intensiven Resonanzraum", in dem Teilnehmer andere Personen ausdrücklich dazu aufforderten, Kinder zu missbrauchen, oder ihnen Tipps gäben, wie Jungen und Mädchen mit Beruhigungsmitteln gefügig gemacht werden könnten. Dadurch würden die Hemmschwellen, sich an Kindern zu vergehen, deutlich gesenkt.
Bislang ist die ZAC NRW vornehmlich für die Bekämpfung von kriminellen Hackern, Cyberterroristen und Drogendealern zuständig. Seit Ende vergangenen Jahres ist sie auch in Ermittlungen zu Sexualstraftaten gegen Kinder eingebunden. Bei den Ermittlungen gehe es primär darum, Kindesmissbrauch zu entdecken und zu unterbinden, die Pseudonyme der Beteiligten zu entschlüsseln und Straftaten zu verfolgen, betonte Hartmann. Delikte wie Kinderpornografie träten dagegen zunächst in den Hintergrund - sofern es keine Hinweise darauf gebe, dass zur Produktion dieses Materials aktuell ein Kind missbraucht werde.
Laut Justizminister Biesenbach handelt es sich bei Kinderpornografie und Kindesmissbrauch um ein "sehr dynamisch sich entwickelndes und änderndes Deliktsphänomen". Neue technische Auswertungsmöglichkeiten etwa im Bereich der Künstlichen Intelligenz sollen die Möglichkeit schaffen, noch gezielter Hinweisen auf Kinderpornografie im Internet nachzugehen. In der zweiten Juli-Hälfte sollen nach Angaben des Ministers dazu Ergebnisse bekanntgegeben werden.
Zugleich unterstrich Biesenbach die Notwendigkeit, bei Ermittlungen die Verbindungsdaten von Tatverdächtigen vorübergehend speichern zu können. Diese Vorratsdatenspeicherung sei nötig, weil die bestehenden Instrumente zumeist nicht ausreichten, der Täter "habhaft" zu werden. Der Justizminister kündigte ein Gutachten an, das auf Grundlage aktueller Rechtsprechung den Handlungsspielraum ausloten soll. Dabei müsse geklärt werden, welche rechtlichen Möglichkeiten Ermittlungsbehörden im Kampf gegen Kindesmissbrauch eingeräumt werden kann. Bei der Verwaltung der Daten könnte auch ein "Treuhänder" eingesetzt werden, der den rechtsstaatlichen Umgang mit den von den Providern zur Verfügung gestellten Daten sichern soll.
Osnabrück, Dortmund (epd). Simon Jakobi (42) wählt vor den rund 20 Drittklässlern der Widey-Grundschule in Dortmund klare Worte. Der Schauspieler will wissen, was die Schülerinnen und Schüler tun würden, wenn ein Mann ihnen im Bus seinen Penis zeigen würde. "Da muss man Stopp sagen", ruft ein Junge. Ein anderer meint: "Da hätte ich ein Nein-Gefühl." Jakobi bringt es auf den Punkt: "Wenn jemand dich zwingt, seinen Penis anzuschauen oder dir sagt, du sollst seinen Penis anfassen, ist das sexueller Missbrauch." Er und seine Kollegin Cordula Hein (48) sind mit dem interaktiven Theaterstück "Mein Körper gehört mir" das erste Mal seit dem Corona-Lockdown wieder in einer Schulklasse zu Gast.
Seit mehr als 20 Jahren schickt die Theaterpädagogische Werkstatt mit Sitz in Osnabrück speziell ausgebildete Schauspielpaare wie Jakobi und Hein mit "Mein Körper gehört mir" bundesweit in die Schulen. Sie spielen und schildern Szenen, in denen die körperlichen Grenzen von Kindern überschritten und verletzt werden und thematisieren sexuelle Gewalt. Die Schauspieler arbeiten an drei Tagen jeweils eine Stunde mit den Schülern einer Klasse. "Nur aufgeklärte Kinder haben überhaupt die Chance, sich vor sexuellem Missbrauch schützen", sagt Hein, die schon seit 20 Jahren dabei ist.
Gemeinsam mit ihrem Partner stimmt sie den "Körper-Song" an: "Nein zu sagen, stark zu bleiben, ist oft sehr schwer." Die Kinder kennen ihn schon vom letzten Treffen und stimmen beim Refrain gleich mit ein: "Mein Körper, der gehört mir allein." Simon Jakobi bremst: "Wegen Corona dürft ihr leider nicht mitsingen", sagt er und macht ein trauriges Gesicht. "Aber Summen geht", ergänzt er grinsend und schlägt in die Saiten seiner Gitarre.
Die Stärkung des Körpergefühls ist ein zentraler Aspekt des Stückes. Es ermutigt die Kinder, ihrem "Nein-Gefühl" zu vertrauen, sagt Anna Pallas, Gründerin und Chefin der Theaterpädagogischen Werkstatt. "Wir sagen ihnen: Dein Gefühl ist echt. Dein Gefühl hat immer recht." Das ist der erste Schritt für Kinder, dem sexuellen Missbrauch durch einen Erwachsenen vorzubeugen oder ihm zu entkommen.
Kinder bekämen schwere Fälle, die durch die Medien gingen, wie jüngst in Münster, durchaus mit, sagt Hein. "Aber niemand spricht mit ihnen darüber in kindgerechter Form." Auch die Eltern seien häufig verklemmt, wenn es um sexuelle Themen gehe. Ein Kind könne sich aber im Ernstfall nur Hilfe holen, wenn es weiß, dass das, was ein Erwachsener mit ihm macht, falsch und sogar verboten ist. "Dazu wollen wir sie ermutigen und ihnen Wege aufzeigen."
Die Schauspielerin verschwindet hinter der roten Stoffwand und kommt kurz darauf mit Zopfspangen in den Haaren wieder hervor. Stockend beginnt sie vom Kindertreff zu erzählen, in dem ein "sehr netter" Betreuer sie eines Tages gebeten habe, sich nackt auszuziehen. "Er hat dann Fotos von mir gemacht. Das wollte ich eigentlich gar nicht. Und er hat gesagt, ich darf es niemandem erzählen", sagt sie leise.
Dann wendet Cordula Hein sich direkt an die Kinder: "Was hättet ihr an meiner Stelle gemacht?" - "Den Eltern erzählen", schallt es aus dem Publikum. "Genau das hab ich auch gemacht", sagt Hein. "Und es hat funktioniert. Die haben sich sofort um alles gekümmert. Das war toll."
Dass es nicht immer so glatt läuft, weiß Theaterchefin Anna Pallas. Das liege auch daran, dass die Gesellschaft insgesamt nicht ausreichend aufgeklärt und sensibilisiert sei für sexuellen Missbrauch an Kindern. "Und wenn es für mich unvorstellbar ist, dass in meiner Nachbarschaft so etwas stattfindet, dann sehe ich das natürlich auch nicht." Sie fordert Missbrauchsbeauftragte für jede Kommune, die eine Diskussion in Gang bringen könnten.
Schulleiterin Katrin Multmeier ist froh, dass die Stadt Dortmund und der Förderverein der Widey-Grundschule "Mein Körper gehört mir" seit mehr als zehn Jahren finanzieren. Eltern, Lehrer und Kinder seien immer wieder begeistert. Sie wisse von Kollegen in Nachbarschulen, dass Kinder nachher von Missbrauchsfällen berichtet hätten. "Es ist bedrückend zu wissen, dass es rein prozentual auch an unserer Schule betroffene Kinder geben muss."
Im Klassenraum wird es ganz still, als Simon Jakobi in die Rolle eines Jungen schlüpft, der erzählt, dass er von seinem 16-jährigen Bruder missbraucht wird. "Der macht immer so blöde Spiele mit mir. Er fasst mich überall an, auch da, wo ich es nicht mag", stammelt er. "Er sagt, ich muss das mitmachen. Das ist nur ein Spiel. Und wenn das rauskommt, darf ich nicht mehr bei Mama und Papa bleiben."
Der Junge will sich Hilfe holen. Aber weder die Mutter, noch der Fußballtrainer oder der Vater eines Freundes glauben ihm. Schließlich wendet er sich an seine Lehrerin. Die Pädagogin, gespielt von Hein, reagiert besonnen, zeigt Mitgefühl und bietet ihm Hilfe an: "Ich bin stolz auf Dich, dass Du so mutig warst, mir das zu sagen."
Jakobi beendet die Szene. "Ihr habt gesehen, das war nicht einfach für den jüngeren Bruder", sagt er und ergänzt: "Denkt daran: Nicht jeder Erwachsene kann euch helfen. Aber gebt nicht auf. Sucht so lange, bis ihr jemanden gefunden habt." Zum Abschluss verteilen die beiden Schauspieler kleine Kärtchen mit der bundesweiten "Nummer gegen Kummer": "Die könnt ihr immer anrufen, bei allen Problemen. Da sitzen immer Menschen, die euch helfen können."
Frankfurt a.M. (epd). Anja erinnert sich noch gut an den Tag ihrer Scheidung. Und das nicht, weil es ein besonders scheußlicher Tag war, sondern weil er das gerade nicht war. Die 35-Jährige postete nach dem Gerichtstermin sogar ein Selfie gemeinsam mit ihrem Ex-Mann in den sozialen Netzwerken. Ihr Ex-Mann grinst, beide halten halbgefüllte Sektflöten und ein Schild in Schönschrift: "Just divorced" (frisch geschieden). Ein Foto, das eher die Anmutung einer Eheschließung hat.
Wie es zu diesem Foto kam, erzählt Anja ein paar Tage später am Telefon. Es ist die Geschichte einer Trennung, einer "guten" Trennung, wie sie sagt. Anja, die ein Faible für Handlettering hat, malte das Schild am Vorabend. Die 35-Jährige schrieb ihrem Ex-Mann außerdem eine Nachricht: "Bleibt es dabei? Du die Gläser, ich den Sekt?" Zwölf Jahre lang waren die beiden ein Paar, zwei Söhne bekamen sie gemeinsam, sie sind heute zehn und zwölf Jahre alt.
Ihren Ex-Mann lernte sie kennen, als sie 19 und er 28 Jahre alt war. Fünf Tage vor dem ersten Hochzeitstag kam ihr erster Sohn zur Welt. Das Paar entschied sich für das "klassische" Familienmodell, wie Anja es nennt. Sie blieb zu Hause, er ging arbeiten. Lange funktionierte das gut, bis Anja eine Leere spürte. Sie verzog sich abends in ihr Nähzimmer, er spielte Computerspiele. "Es fühlte sich irgendwann an, wie in einer WG zu leben. Wir hatten nicht mehr viel gemeinsam", sagt sie. Irgendwann bat sie ihren Ehemann um ein offenes Gespräch. "Danach stand für uns beide fest, dass wir uns trennen", sagt sie. Das war im Herbst 2017.
Doch erst behielt das Ehepaar seine Trennung noch für sich. An Weihnachten fuhr die ganze Familie noch zu Anjas Familie. "Es war alles wie immer, nur dass wir wussten, wir sind nicht mehr zusammen." Erst ein halbes Jahr nach dem Trennungsgespräch sagten sie es den Kindern. "Nach der Trennung haben wir intensiver gesprochen als in den letzten Jahren unserer Ehe", sagt Anja.
Gute Trennungen: Was wie ein Paradox klingt, kommt häufiger vor, sagen Expertinnen wie Antje Biehler-Eckardt, die als systemische Therapeutin seit zwölf Jahren Paare in ihrer Hanauer Praxis berät. Denn immer mehr Eltern kümmerten sich nach der Trennung gemeinsam weiter um die Kinder. Seit 1998 ist das gemeinsame Sorgerecht nach einer Scheidung die Regel. "In meiner Praxis sehe ich Paare, denen es zwar nicht ganz leicht fällt, sich einvernehmlich zu trennen, die aber sehr motiviert sind, im Interesse der Kinder einen guten Umgang zu finden", sagt sie.
Aus ihrer Sicht kommt es bei guten Trennungen vor allem auf drei Faktoren an. Eltern müssten für sich einen Umgang mit dem Thema "Schuld" finden. Viele Eltern hätten Schuldgefühle, weil sie ihren Kindern mit der Trennung wehtun. Außerdem müsste die materielle Situation geklärt sein und schließlich müssten Eltern die Fähigkeit entwickeln, zwischen der Paarbeziehung und der Elternfunktion zu trennen. Dafür hat sie das sogenannte Kollegen-Modell entwickelt.
Wenn Eltern sich als "Kollegen" betrachten, könnten sie oft leichter anerkennen, dass beide Elternteile dieselben Qualifikationen haben, aber Unterschiede in der Betreuung durchaus gut sind. Immer mehr Väter seien außerdem mittlerweile keine reinen Wochenend-Besuchs-Väter mehr, sagt die Therapeutin, sondern kümmerten sich gleichberechtigt um die Kinder - und hätten damit auch dieselben Alltagsprobleme.
Anja und ihr Ex-Mann klärten zunächst untereinander, wie sie ihre finanziellen Verhältnisse und die Kinderbetreuung regeln. Anja zog aus, in eine kleine Wohnung, machte eine Ausbildung zur Mediengestalterin. Die beiden Söhne blieben bei ihrem Ex-Mann im Haus wohnen. Der Moment, in dem sie mit den Kindern sprachen, sei sehr traurig gewesen, erzählt Anja. "Wir haben uns danach gefragt, ob wir das Richtige machen, weil wir den Kindern so wehtun", sagt sie. "Aber es wäre auch nicht das Beste für unsere Kinder gewesen, wenn wir zusammen geblieben wären. Wir hätten irgendwann angefangen zu streiten."
Ehemalige Partner können zueinander eine tiefer reichende Beziehung haben als zu einem zukünftigen neuen Partner, sagt der Familientherapeut Christof Latendorf, der für die Caritas in Berlin-Mitte Paare bei Trennungen begleitet. Vor ihm sitzen oft Akademikerpärchen, die sich einvernehmlich trennen möchten und nach Tipps fragen. Latendorf rät den Elternteilen auch, ihre Liebesbeziehung in eine Art "Arbeitsbeziehung" umzubauen. Dafür brauche es viel Diplomatie und auch Zurückhaltung. Latendorf spricht von drei Stufen: Klarheit, Beruhigung, Kooperation. Das sei eine Entwicklungsaufgabe und könne oft auch Jahre dauern.
Die Frankfurter Scheidungsanwältin Cornelia Staechelin wirkt in ihren Beratungsgesprächen auf ihre Mandanten ein, sich nicht zu verkämpfen. Sehr wichtig sei es, die wirtschaftliche Situation nach der Trennung zu klären. "Wirtschaftliche Nöte und Zwänge, Unterhaltsfragen, verstellen nicht selten den Blick auf eine gute Elternkooperation", sagt sie.
Anja und ihr Ex-Mann haben eine gute Lösung für die Familie gefunden, wie sie sagt. Ihre Söhne kommen sie jedes zweite Wochenende besuchen. Und wenn der Vater sie sonntags wiederabholt, wird noch gemeinsam gekocht und gegessen.
Düsseldorf (epd). Eltern in Nordrhein-Westfalen haben im Jahr 2019 in 2.214 Fällen das Sorgerecht für ihre Kinder verloren. Damit stieg die Zahl der Sorgerechtsentziehungen im Vergleich zum Vorjahr von damals 2.026 um 9,3 Prozent, wie das statistische Landesamt am 24. Juni in Düsseldorf mitteilte. In 2.557 weiteren Fällen entzogen die Gerichte Eltern das Sorgerecht teilweise.
Bei einem teilweisen Entzug verlieren die Eltern beispielsweise das Aufenthaltsbestimmungsrecht oder die Vermögenssorge für ihr Kind. Das Sorgerecht wird eingeschränkt oder entzogen, wenn eine Gefahr für das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen besteht.
Frankfurt a.M. (epd). Die früheren Führungskräfte des Kreisverbandes der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Frankfurt am Main haben nach einem vorläufigen Bericht der neuen Leitung einen Schaden von 4,5 Millionen Euro angerichtet. In dem Zeitraum 2015 bis 2019 seien allein an überhöhten Gehältern und überteuerten Dienstwagen 1,6 Millionen Euro verschwendet worden, teilte Pressesprecher Johannes Frass am 26. Juni mit. An den AWO-Kreisverband Wiesbaden seien ungerechtfertigte Spenden in Höhe von 900.000 Euro geflossen. In Frankfurt war Jürgen Richter Geschäftsführer gewesen, in Wiesbaden seine Frau Hannelore, gefolgt von Sohn Gereon.
Im Zusammenhang mit dem Betrieb zweier Flüchtlingsheime in Frankfurt wurde nach bisherigen Kenntnissen ein Schaden in Höhe von zwei Millionen Euro angerichtet. Der Schaden durch die 2017 gegründete Firma AWO Protect gGmbH, die im vergangenen Frühjahr Insolvenz anmeldete, sei noch nicht ermittelt. Die früheren Führungskräfte hätten die AWO Frankfurt "ausgeplündert und sich bereichert", zitierte Frass die Präsidiumsvorsitzende Petra Rossbrey. Wenn der neue Vorstand im vergangenen März nicht sofort gehandelt hätte, wäre der AWO-Kreisverband von der Insolvenz bedroht gewesen, so Rossbrey.
Als Verantwortliche benennt der Bericht die frühere Geschäftsführung und die von ihr eingesetzten Führungskräfte, aber auch den früheren Vorstand und das frühere Präsidium. Der Ex-Vorstand habe die Geschäftsführung nicht kontrolliert, sondern sei ein "Abnick-Gremium" gewesen. Die neue Leitung habe für dieses Jahr bereits Sparmaßnahmen in Höhe von rund 1,5 Millionen Euro veranlasst. Gegenüber den früheren Verantwortlichen würden Schadensersatzansprüche geprüft. Die Zahlungsfähigkeit für dieses Jahr sei gesichert.
Gegenüber Forderungen des Sozialdezernats der Stadt Frankfurt, die AWO solle rund 600.000 Euro im Zusammenhang mit dem Betrieb der zwei Flüchtlingsheime zurückzahlen, gab sich die neue Leitung abweisend. Die Stadt hatte der AWO vorgeworfen, weniger Personal eingesetzt zu haben als abgerechnet. Der Wohlfahrtsverband hielt dagegen, dass es keinen gültigen Vertrag gebe, so dass zu hohe Abrechnungen nicht bestätigt werden könnten. Auch bei dem Betrieb der 18 Kindertagesstätten habe es keine Doppelabrechnung von Personal gegeben, die Darstellung in den Verwendungsnachweisen sei fehlerhaft gewesen. Das Bildungsdezernat bereite derzeit auch ein Rückforderungsverfahren vor, sagte ein Sprecher der Stadt.
Leipzig (epd). Ressourcenverbrauch, Abfall, Recycling - all das sind keine neuen Themen. Und so verwundert es wenig, dass sich auch viele der rund 20 Künstlerinnen und Künstler, deren Arbeiten derzeit im Leipziger Bildermuseum ausgestellt werden, schon seit vielen Jahren mit genau diesen Themen beschäftigen.
Etwas jüngere Phänomene sind da schon Nachhaltigkeit oder Minimalismus, also das aktive Hinterfragen des eigenen Konsumverhaltens. Die Ausstellung "Zero Waste", die aus der Programmreihe "Kunst und Umwelt" des Umweltbundesamtes in Dessau-Roßlau entstand, möchte beide Bereiche zusammenbringen - und dabei auch Lösungen aufzeigen.
Um die globale Bedeutung des Themas zu verdeutlichen, sei es den Machern besonders wichtig gewesen, "dass die Künstler Verschiedenes mitbringen und ihren Lebens- und Arbeitsmittelpunkt in verschiedenen Ländern der Welt haben", erklärt Kuratorin Hannah Beck-Mannagetta. Denn: "Immer mehr Menschen verstehen, dass ihr Handeln auch Auswirkungen auf Menschen auf anderen Kontinenten hat."
Zum Beispiel bei Verpackungsmüll und Plastikverbrauch - denn da steht Deutschland, wenn auch bei Recyclingtechniken weltweit führend, im Vergleich ziemlich mies da, wie Bettina Rechenberg vom Umweltbundesamt erklärt. Um das zu verdeutlichen, hat der Künstler Raul Walch die Plastikfetzen, die in Südspanien jeden Tag von Gemüseplantagen ins Meer geweht werden, gesammelt und daraus ein Mobile gebaut. Es weht nun für die nächsten Monate auf einer Terrasse des Museums. Swaantje Güntzel indes hat Plastikteile aus den Mägen verendeter Albatrosse in durchsichtige Plastikkugeln gepackt: In der Ausstellung werden sie in einem Spielzeugautomaten präsentiert.
Erik Sturm beschäftigt sich mit Luftverschmutzung: Er kratzt den Feinstaub von den Fensterbänken an stark befahrenen Straßen und stellt daraus die Malfarbe für seine Bilder her. Vibha Galhotra nähert sich dem Thema ähnlich plastisch und macht den Smog in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi als "Black Cloud" sichtbar: eine Wolke aus schwarzen Papierdrachen. Der Fotograf Tue Greenfort indes will mit Abbildungen der Großfeuer in Verbrennungsanlagen den Prozess der Müllentsorgung hinterfragen.
Auch Konsumverhalten und Ressourcenverbrauch sind Themen der Ausstellung. So hat sich der Südafrikaner Alexander Oelofse mit Fotografien von Großplantagen der Frage genähert, warum ein Apfel vom anderen Ende der Welt in hiesigen Märkten günstiger angeboten werden kann als ein heimischer. Die Leipziger Künstlerin Klara Meinhardt fertigt Betonabdrücke der Styroporverpackungen von Haushaltsgeräten.
Dani Ploeger wiederum hat ein "Labor der Obsoleszenz" ins Museum gestellt: einen motorgetriebenen Blechkasten, der unentwegt von einem Ende aufs andere gedreht wird, drinnen poltert ein Rasierapparat herum. Mit solchen Maschinen testet die Industrie, nach dem wievielten Herunterfallen ein Gerät kaputt ist - oder kaputt sein soll.
Nicht zuletzt werfen die Ausstellungsmacher auch einen kritischen Blick auf den eigenen Ressourcenverbrauch. Bei der Entstehung von "Zero Waste" habe man versucht, den Materialaufwand zu reduzieren, weite Transporte und Anreisen allein zur Eröffnung seien vermieden worden. Über die kommenden Monate soll zudem der CO2-Fußabdruck errechnet werden, den die Ausstellung selbst verursacht. Diesen wollen die Macher dann über Baumpflanzungen kompensieren.
So bietet die Ausstellung eine Reihe interessante und individuelle Blickwinkel auf ein weltumspannendes Thema - und verfolgt damit nicht zuletzt auch einen erzieherischen Ansatz. Immerhin sei ein Arbeitsfeld des Bundesamtes, das Bewusstsein zu schärfen und für einen anderen Umgang mit Produkten zu werben, sagt Mitarbeiterin Rechenberg. Für das Verständnis der einzelnen Werke hätte dabei indes eine klarere Zuordnung der jeweiligen Texte nicht geschadet.
Die Ausstellung ist bis zum 8. November zu sehen.
Bonn (epd). "Helfen Sie mir", tönt es aus einem abgewetzten Ghetto-Blaster am Eingang der Bundeskunsthalle. Wurde das Gerät dort vergessen? Und wem gehört diese Stimme? Natürlich ist es unwahrscheinlich, dass es an der Tür einer Ausstellungshalle Zufälle gibt. Tatsächlich gehört der tragbare CD-Player zu einem Werk des niederländischen Künstlers Dries Verhoeven. Dennoch beschleicht den Besucher ein Unwohlsein. Zu sehr erinnert die Situation an Szenen wie sie jeder aus Fußgängerzonen in Großstädten kennt: Ein Obdachloser bittet Passanten um Geld. Verhoevens Arbeit stimmt die Besucher gleich am Eingang auf das ein, was ihn erwartet: Kunst, die mit dem Publikum spricht und Emotionen erzeugt.
Mit der Ausstellung "State of the Arts. Die Verschmelzung der Künste" rückt die Bundeskunsthalle eine der entscheidenden Entwicklungen in der aktuellen Kunst in den Fokus: Das immer stärkere Zusammenwachsen der bildenden und der darstellenden Künste. Präsentiert werden bis zum 16. August performative Arbeiten von 13 überwiegend in den 80er und 90er Jahren geborenen Künstlerinnen und Künstlern, die Gattungsgrenzen überschreiten und mehrere Medien in ihr Werk integrieren. "Es ist heute gängige Praxis, dass die bildende Kunst sich mit anderen Künsten vereint", erklärt Kuratorin Johanna Adam. Nach Meinung der designierten Intendantin der Bundeskunsthalle, Eva Kraus, die ihr Amt im August antritt, trifft die Ausstellung mit dem Thema den "Nerv der Zeit".
Die präsentierten Werke internationaler Künstlerinnen und Künstler kombinieren unterschiedliche Medien wie Musik, Sprache, Skulptur oder Video und sprechen damit alle Sinne an. Gezeigt werden 13 Werke, die sich spielerisch zwischen den unterschiedlichen künstlerischen Gestaltungsfeldern bewegen, wie etwa performative Skulpturen, Sound-Arbeiten, Installationskunst und Performances. Die junge Künstlergeneration geht nicht nur nonchalant über Gattungsgrenzen hinweg. Auch die Trennung zwischen virtuellem und physischem Raum wird in vielen Werken aufgehoben.
So löst der Besucher in Hannah Weinbergers Installation "we didn't want to leave" mit der Anwesenheit seines physischen Körpers virtuelle Reaktionen aus. Die Künstlerin hat einen Raum eingerichtet, in dem die Besucher durch ihre Bewegungen Klänge erzeugen. Mit Hilfe eines Algorithmus entstehen immer wieder neue Töne, die den Raum jedes Mal anders erklingen lassen. Zugleich wird der Besucher gefilmt und erscheint als Projektion an einer Wand. Dabei setzt sich das Bild wie in einer unendlichen Reihe von Spiegeln immer weiter fort. Weinbergers Installation vollzieht eine weitere Grenzüberschreitung, die charakteristisch für den Großteil der in der Ausstellung präsentierten Arbeiten ist: Die Trennung zwischen Betrachter und Werk wird aufgehoben. Der Besucher arbeitet sogar mit an der Entstehung der Kunst.
Ein ähnliches Konzept verfolgt der dänische Künstler Christian Falsnaes. Er zieht sich noch konsequenter als Akteur zurück und überlässt dem Publikum die Ausführung seiner Performance. Für die eigens für die Bundeskunsthalle entwickelten Arbeit "SOLO" werden Besucher von einem Kunstvermittler angesprochen und gefragt, ob sie eine Performance sehen möchten. In dem Raum, in den sie dann geführt werden, stellen sie aber fest, dass sie selbst der Akteur sind, dessen Bild sich an der Wand spiegelt. Ursprünglich wollte der Künstler eine Arbeit mit mehreren Teilnehmern installieren. Doch wegen der neuen Abstandsregeln musste er umplanen.
Kunst, die Grenzen überschreitet und das Publikum einbezieht, ist in Zeiten von Corona nicht nur für Falsnaes eine Herausforderung. So kann die Arbeit der türkischen Künstlerin Begüm Erciyas wohl erst mit Verspätung in Betrieb genommen werden, weil das städtische Gesundheitsamt sie zunächst noch nicht freigegeben hatte. Ihre "Voicing Pieces" müssen ebenfalls von den Besuchern aktiviert werden, die in skulpturalen Wolkengebilden Texte lesen. Es geht um die Selbstwahrnehmung und die Erfahrung der eigenen Stimme.
Verspäten wird sich auch die 5D-Simulator-Installation des britischen Künstlers Simon Fujiwara. Sie konnte wegen des Corona-Shutdowns nicht rechtzeitig aus New York abgeschickt werden. Doch voraussichtlich ab dem 26. Juni werden Besucher auf einem beweglichen Flugsimulator-Sessel Platz nehmen und dort eine Erfahrung mit allen Sinnen machen können. Fujiwaras 5D- Installation führt jedoch anders als in Freizeitparks üblich nicht durch Fantasy-Welten. Vielmehr lässt der Künstler die Besucher an extrem emotionalen oder körperlichen Erfahrungen teilhaben. Das Videomaterial dazu fand er bei YouTube.
Die Ausstellung hält einen Parcours unterschiedlicher Erfahrungen bereit. Vom zeichnenden Roboter David Shrigleys über ein rotierendes Kaffeebecher-Mühlrad von Gisèle Gonon bis zu den Metallgestängen von Rachel Monosov, die den Nutzer in einer unbequemen Haltung fixieren. Zu sehen sind außerdem Arbeiten von Simnikiwe Buhlungu, Laure Prouvost, Nora Turato, Isabel Lewis & Dirk Bell und Raphaela Vogel.
Berlin (epd). Die Autorin der umstrittenen "taz"-Kolumne "All cops are berufsunfähig" wird einem "Focus"-Bericht zufolge massiv bedroht. Die Chefredaktion der "tageszeitung" bestätigte dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 28. Juni in Berlin, dass Justiziariat und Redaktionsleitung Kontakt zur Berliner Polizei aufgenommen haben. Laut "Focus" wurde um Hilfe für die bedrängte Journalistin gebeten. Dies sei aber nicht wie in dem Magazinartikel dargestellt, im Auftrag von Hengameh Yaghoobifarah geschehen, betonte die Chefredaktion der "taz".
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat unterdessen am Wochenende sein Vorgehen gegenüber der Autorin verteidigt. Sein Ziel sei gewesen, "über diesen unsäglichen Artikel in der 'taz' auch eine öffentliche Debatte" in Gang zu setzen, sagte er der "Augsburger Allgemeinen" (27. Juni). Dieses Ziel habe er erreicht. Seehofer hatte zunächst eine Strafanzeige gegen die Kolumnistin angekündigt, in der vergangenen Woche dann aber schließlich darauf verzichtet.
Yaghoobifarah hatte in ihrer Kolumne Überlegungen angestellt, wo Polizisten arbeiten könnten, wenn die Polizei abgeschafft würde. Sie kommt zu dem Schluss, dass es nur "eine geeignete Option" gebe, "die Mülldeponie". Der am Schluss des Textes formulierte Vergleich von Polizisten mit Abfall sorgte für Empörung und auch für Diskussionen innerhalb der "taz".
Laut "Focus" wurde die Berliner Polizei um ein Beratungs- und Sicherheitsgespräch im Zusammenhang mit der Kolumne gebeten. Das Nachrichtenmagazin berief sich auf Informationen aus Berliner Polizeikreisen vom 28. Juni. In der Redaktion seien zu diesem Zeitpunkt zahlreiche Telefonate und E-Mails eingegangen, von denen einige als direkte Gefährdung für das körperliche Wohl der Journalistin eingestuft werden könnten.
Die "taz" widersprach aber der Aussage, dass der Kontakt zur Berliner Polizei im Auftrag der Kolumnistin Yaghoobifarah zustande gekommen sei. Vielmehr gehe die Initiative dafür auf Justiziar und Chefredaktion der Tageszeitung zurück. Nach "Focus"-Informationen werden sich Beamte eines benachbarten Polizeiabschnitts um die Sicherheit der Redaktion kümmern. Die Berliner Polizei wollte sich laut dem Magazin nicht zu dem Fall äußern.
Bundesinnenminister Seehofer betonte in der "Augsburger Allgemeinen": "Ich habe in meinem ganzen politischen Leben keinen Artikel gelesen mit einer so menschenverachtenden Sprache gegenüber Polizisten." Auch in der Demokratie habe die Meinungs- und Pressefreiheit ihre Grenzen. Niemand habe das Recht, andere Menschen, egal welcher Gruppe sie angehörten, mit menschenverachtender Sprache herabzusetzen. Er bleibe bei seiner Überzeugung, dass Straftatbestände durch den von ihm kritisierten Artikel erfüllt seien, betonte der Minister. Dies zu prüfen, liege jetzt in der Hand der Ermittlungsbehörden.
Bei der Staatsanwaltschaft Berlin gingen zahlreiche Anzeigen zu der Kolumne ein. Der Deutsche Presserat leitete ein Verfahren wegen des Textes ein.
Köln (epd). Wissen und Information sind in diesem Jahr die Top-Themen beim Grimme Online Award. "Das Coronavirus-Update" mit dem Berliner Virologen Christian Drosten wurde bei der Preisverleihung am 25. Juni in Köln gleich zweimal ausgezeichnet, wie das Grimme-Institut mitteilte. Der Podcast über neueste wissenschaftliche Erkenntnisse zum Coronavirus ist Preisträger in der Kategorie Information und bekam zudem auch noch den Publikumspreis.
Der Youtuber Rezo, der durch das Video "Die Zerstörung der CDU" bekanntwurde, wurde in der Kategorie Spezial ausgezeichnet. Weitere Preisträger sind das Weblog "NSU-Watch", das Online-Projekt "RomArchive", die Webdoku "Eigensinn im Bruderland", die Talkshow "Karakaya Talk", die Online-Reportage "Die Spende" sowie das investigative Video-Reportageformat "STRG_F".
Die Verleihung der acht undotierten Preise in vier Kategorien wurde in diesem Jahr per Livestream übertragen. Auch die Vertreterinnen und Vertreter der 28 nominierten Online-Angebote waren nicht vor Ort, sondern wurden zugeschaltet.
"In diesem Jahr wird an den Entscheidungen der Jury der intensive Blick auf Informationen und wissensgetriebene Formate deutlich", sagte die Direktorin des Grimme-Instituts, Frauke Gerlach. Die Auszeichnungen für "RomArchive", "NSU-Watch" und "Eigensinn im Bruderland" zeigten auch, dass das Internet zunehmend als Erinnerungs- und Archivraum entdeckt werde.
Gleich drei Preise vergab die Jury in der Kategorie Information. Der NDR-Podcast "Das Coronavirus-Update" verweise mit seinen hohen Abrufzahlen auf das Potenzial der Wissensvermittlung via Podcast, erklärte die Jury. Ebenfalls in dieser Kategorie siegte "STRG_F". Das Video-Reportageformat kläre mit einer ganz eigenen, aber stets journalistisch-seriösen Herangehensweise eine junge Zielgruppe über brisante Themen auf, hieß es zur Begründung. "NSU-Watch" wiederum habe den langen Atem bewiesen, nicht nur die Prozesse rund um die Morde der Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) zu beobachten und zu dokumentieren, sondern auch weiter auf das Problem des anhaltenden rechten Terrors aufmerksam zu machen.
Ebenfalls drei Preisträger gibt es in der Kategorie Wissen und Bildung. Mit dem Online-Reportage-Projekt "Die Spende" zeige die Zeitschrift "Stern", wie eine zeitgemäße, journalistisch anspruchsvolle Darstellung des heiklen Themas Organspende gelingen könne, urteilten die Jurorinnen und Juroren. Die Webdoku "Eigensinn im Bruderland" dokumentiere die weitgehend vergessene Geschichte der Migrantinnen und Migranten in der DDR. Sie zeige, dass die DDR diverser gewesen sei, als allgemein bekannt. Das ebenfalls ausgezeichnete "RomArchive" gebe der Kultur der Sinti und Roma eine virtuelle Heimstatt. Das sei nicht nur "ein Geschenk an diese Volksgruppe, sondern an die Welt", lobte die Jury.
In der Kategorie Unterhaltung gibt es mit "Karakaya Talk" in diesem Jahr nur einen einzigen Preisträger. "Wohl auch unter dem Eindruck der Coronakrise haben sich in diesem Jahr eher Formate durchgesetzt, die sich durch Ernsthaftigkeit und Inhaltsstärke auszeichnen", sagte Gerlach.
Die Entscheidung für die Talkshow "Karakaya Talk", die auf Funk läuft, dem Content-Netzwerk von ARD und ZDF, begründete die Jury damit, dass diese nicht nur ein Forum für Menschen mit Migrationshintergrund biete. Das Format schaffe auch die Möglichkeit, untereinander ins Gespräch zu kommen, "ohne sich um die gängigen Konventionen herkömmlicher Talkshows scheren zu müssen".
Der Youtuber Rezo wurde in der Kategorie Spezial für sein Video "Die Zerstörung der CDU" ausgezeichnet. Er habe einer breiten Öffentlichkeit vorgeführt, dass die Videoplattform nicht nur für Schminktipps und Game-Rezensionen tauge, sondern auch politisch-publizistisch für Gesprächsthemen sorgen könne, erklärte die Jury.
Der Grimme Online Award ist eine Auszeichnung für publizistische Qualität im Internet. Das Grimme-Institut in Marl verleiht den undotierten Preis seit 2001 jährlich an jeweils maximal acht Preisträger. In diesem Jahr hatte es rund 1.000 Einreichungen gegeben, aus denen 28 Nominierungen ausgewählt wurden.
Düsseldorf (epd). Die Produktion "Audio.Space.Machine - Ein Bauhaus-Konzeptalbum" ist mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden ausgezeichnet worden. Die Vergabe des renommierten Preises für Radiokunst fand wegen der Corona-Pandemie erstmals als Podcast statt, wie die Film- und Medienstiftung Nordrhein-Westfalen am 24. Juni in Düsseldorf mitteilte. Die Produktion von Deutschlandfunk, NDR und SWR nach einem Konzept des Duos Wittman Zeitblom basiere auf gründlichen Recherchen und erzähle den komplexen Gründungsmythos der Moderne frei von verklärender Nostalgie, urteilte die Jury.
"Mit Humor und ohne in einer allwissenden Belehrungsperspektive zu erstarren, machen die Künstler konsequent erlebbar, wie viel der hochfliegenden Bauhauskonzeption im Heute zu finden ist", hieß es in der Begründung der Jury.
In insgesamt 18 Tracks beleuchten die Autoren 100 Jahre Maschine-Mensch-Beziehung, das idealistisch-utopische Denken der Bauhaus-Bewegung sowie ihre Mythen und Manien. Dafür seien Texte von Oskar Schlemmer, Wassily Kandinsky und anderen Bauhaus-Künstlern der 20er-Jahre mit Zitaten von John Cage, Bazon Brock und dem KI-Experten Martin Rees kombiniert worden. Mit ihren Kompositionen hätten die Hörspielmacher dazu ein "mechanistisch-digitales Klanguniversum" erschaffen.
Die renommierte Auszeichnung wird getragen von der Film- und Medienstiftung NRW und seit diesem Jahr auch vom Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV). Über die Vergabe entscheiden blinde und sehende Jurorinnen und Juroren. Nominiert waren auch die Hörspiele "Das Ende von Iflingen" (SWR) von Wolfram Lotz und "Die Entgiftung des Mannes" (MDR) von Holger Böhme.
Köln (epd). Das Publikum hat nach Angaben der ARD die Bildungsangebote des Senderverbunds in der Corona-Krise sehr gut genutzt. Besonders Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene hätten sich in der Zeit zwischen dem 16. März und dem 18. Mai stark für die Online-, Radio- und Fernsehangebote interessiert, teilte die ARD am 28. Juni mit.
Der ARD-Vorsitzende Tom Buhrow sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), er freue sich sehr, dass auch viele Jüngere die Angebote der ARD entdeckt hätten: "Die Abrufzahlen waren enorm. Viele Menschen haben uns als Begleiter durch die Krise genutzt. Für uns war wichtig, dass wir den Familien und den Schülerinnen und Schülern trotz des Abstands sehr nahe gekommen sind."
Das Angebot "Planet Schule" erzielte nach Angaben der ARD in der Zeit von März bis Mai 4,3 Millionen Visits in der Mediathek. Der Kinderkanal von ARD und ZDF bietet nach Angaben der ARD seit dem 16. März unter dem Hashtag "#Gemeinsamzuhause" Orientierung für Kinder aller Altersgruppen und deren Eltern an. Mit fast 21 Millionen Visits hätten die Digitalangebote des Kika Spitzenwerte erreicht.
Auch in den Sozialen Netzwerken seien die Angebote der ARD sehr gefragt gewesen. Die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim erzielte beim Jugendangebot Funk mit dem Video "Corona geht gerade erst los" 6,2 Millionen Sichtungen (sogenannte Views). Ein Facebook-Video der WDR-Wissenschaftssendung Quarks, in dem erklärt wurde, warum Einmalhandschuhe nicht notwendig sind, kam auf 3,76 Millionen Views.
In der ARD-Audiothek war nach Angaben der ARD nicht nur der soeben mit dem Grimme Online Award ausgezeichnete Podcast mit Christian Drosten sehr beliebt, auch der "After Corona Club" mit Anja Reschke vom NDR und "Kekules Corona-Kompass" vom MDR seien sehr gut angekommen.
Die ARD stellte in der Mediathek unter dem Titel "Schule zu Hause" bundesweite Lernangebote für Kinder aller Altersgruppen zur Verfügung. Dies sei "eine Dienstleistung für die Gesellschaft" gewesen, sagte Buhrow: "Wir konnten in der Corona-Phase so schnell so viel anbieten, weil wir über gute Fachredaktionen verfügen und sie nicht erst aufbauen mussten. Wir haben Wissensangebote und Wissenschaftsangebote für alle Altersgruppen. Von der 'Maus' für die Kleinsten bis hin zu Wissenschaftsangeboten für Ältere."
Die Bildungsangebote der ARD seien nicht nur im Internet gut genutzt worden, sagte der ARD-Vorsitzende: "Es gab eine Renaissance des linearen Fernsehens und Hörfunks. Wir haben unser Vormittagsprogramm in vielen Dritten Programmen umgestellt auf Ersatz-Schulfernsehen. In dieser Zeit war das lineare Angebot ganz wichtig - es sorgte für ein wenig Struktur im Corona-Alltag und erreichte auch die Kinder, die keinen Laptop und kein Smartphone besitzen." Die bekannten Bildungsangebote der ARD - beispielsweise "Quarks" beim WDR - würden auch in Zukunft eine wichtige Bedeutung haben, sagte Buhrow.
Die kurzfristig während der Corona-Pandemie angesetzte tägliche "Sendung mit der Maus" erzielte im WDR Fernsehen montags bis freitags um 11.30 Uhr im Schnitt 8,6 Prozent Marktanteil in Nordrhein-Westfalen, 52 Prozent in der Gruppe der 3 bis 13-Jährigen.
Auch beim Bildungskanal ARD-Alpha war nach Angaben der ARD im März und April, während der Zeit der restriktivsten Corona-Einschränkungen, ein deutlicher Anstieg des Publikumszuspruchs erkennbar: Im März wurden täglich im Schnitt 1,68 Millionen Zuschauer gezählt, im April 1,75 Millionen. 2019 waren es im Schnitt 1,36 Millionen Zuschauer.
Mainz (epd). SWR-Intendant Kai Gniffke hat Fehler seines Senders beim Umgang mit der kurzfristig abgesetzten China-Dokumentation "Wuhan - Chronik eines Ausbruchs" eingeräumt, aber zugleich die Nutzung von Filmmaterial staatlicher chinesischer Organisationen verteidigt. "Bei uns waren Abläufe nicht optimal", sagte er am 26. Juni in Mainz. Nach Kritik an der Dokumentation habe der SWR kurzfristig Einblick in die Verträge zwischen der vom Sender beauftragten Produktionsfirma und dem chinesischen Informationsbüro CCIC nehmen wollen. Bis zum Vorabend der geplanten Ausstrahlung sei dies nicht gelungen.
Weil unklar gewesen sei, ob der SWR überhaupt alle nötigen Rechte zur Ausstrahlung des Beitrags besitze, habe er als Intendant entschieden: "Dieses Risiko ist mir zu hoch." Auf die Frage, ob mittlerweile alle Unklarheiten ausgeräumt seien und die Dokumentation über Chinas Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie zu einem späteren Zeitpunkt gesendet werde, antwortete Gniffke ausweichend: "Wir sind im Prozess der Aufarbeitung." Im Rückblick habe der SWR sich zu spät dafür interessiert, ob es einen gültigen Vertrag der Produktionsfirma mit CCIC gab und ob dieser problematische Passagen enthielt. Eine solche Einsichtnahme sei normalerweise unüblich.
Gniffke wies zugleich Vorwürfe zurück, der SWR hätte allein durch die Nutzung von Filmmaterial des CCIC chinesische Propaganda verbreitet. In dem Film werde mehrfach unmissverständlich auf die Problematik hingewiesen, dass Aufnahmen von einer staatlichen Stelle kämen: "Größer hätte der Hammer kaum noch sein können." Die Vorstellung, Fernsehberichterstattung aus Ländern wie China ausschließlich mit selbst gedrehtem Material zu bebildern, sei ohnehin unrealistisch. Auch andere führende TV-Sender griffen auf Aufnahmen von CCIC oder des chinesischen Staatsfernsehens zurück.
Die Dokumentation "Wuhan - Chronik eines Ausbruchs" hätte am 15. Juni in der Reihe "Story im Ersten" im ARD-Fernsehen gezeigt werden sollen. Eine Woche vor der Ausstrahlung hatte die "Süddeutsche Zeitung" dem für die Produktion verantwortlichen SWR vorgeworfen, CCIC-Material zu verwenden. Kurzzeitig war der Film bereits im virtuellen "Presse-Vorführraum" der ARD zu sehen gewesen.
Frankfurt a.M./Köln (epd). In den Sommermonaten läuft das Fernsehen traditionell auf Sparflamme, Premieren eigenproduzierter Filme und Serien sind Mangelware. Das liegt nicht nur an der Ferienzeit: ARD und ZDF könnten es sich gar nicht leisten, auf den Fernsehfilmsendeplätzen jede Woche Erstausstrahlungen zu zeigen. Aber auch ein privates Programm wie Sat.1 muss seine Eigenproduktionen mehrmals wiederholen, bis die Werbeeinnahmen die Produktionskosten ausgleichen.
Deshalb zeigen die Sender in den nächsten Wochen - wie jeden Sommer - das Beste von gestern: "Ausgesuchte Produktionen, die bei der Erstausstrahlung besonders erfolgreich waren", sagt Andrea Wich, Leiterin der Programmplanung für das Erste. Sonntagskrimis zum Beispiel erreichten als erste Wiederholung mitunter mehr als sechs Millionen Zuschauer.
Bei der Auswahl der Filme spielen laut Florian Kumb, Leiter der ZDF-Programmplanung, mehrere Faktoren eine Rolle: "Ganz wichtig ist gerade im Sommer die Frage: Was passt zur Jahreszeit?" Das Ziel sei eine gute Mischung: "Dazu zählen einerseits Produktionen, die bei ihrer Premiere noch nicht ihr volles Potenzial ausgeschöpft haben. Kaum jemand hat alle Filme eines Jahres gesehen. Andererseits zeigen wir auch Publikumserfolge, von denen wir überzeugt sind, dass sie bei der Wiederholung ebenfalls gut funktionieren werden."
Als Beispiel nennt er "Mein Freund, das Ekel" (2019): "Die Komödie mit Dieter Hallervorden lebt von ihrer Situationskomik; solche Filme haben das Zeug zum Evergreen, weil man sie sich immer wieder anschauen kann."
Allerdings besteht das Sommerprogramm keineswegs nur aus Wiederholungen. Das Erste ersetzt die Werktags-Talkshows durch Dokumentarfilme und zeigt außerdem zwei Spielfilmreihen: Am 29. Juni eröffnet die Ehekomödie "Und wer nimmt den Hund?" mit Martina Gedeck und Ulrich Tukur das diesjährige "Sommerkino". Und ab 18. August folgt zum 20. Mal die Reihe "Filmdebüt im Ersten". Den Auftakt macht das vielfach ausgezeichnete Drama "Alles ist gut" aus dem Jahr 2018, in dem es um sexuelle Gewalt geht. Die deutschen Kinokoproduktionen beginnen allerdings erst um 22.45 Uhr.
Das ist immerhin etwas früher als die Sendetermine der ZDF-Reihe "Shooting Stars - Junges Kino im Zweiten": Sie beginnen ab 16. Juli jeweils um 23.15 Uhr; den Auftakt macht "Glück ist was für Weicheier", 2018 Eröffnungsfilm der Hofer Filmtage. Dabei könnten gerade ARD und ZDF den Sommer nutzen, um anspruchsvollen Werken um 20.15 Uhr ein größeres Publikum zu bescheren. Den Film "Der Mann aus dem Eis", einen Steinzeit-Western mit Jürgen Vogel, zeigt das ZDF gar erst um 23.45 Uhr.
Kumb sagt dazu: "Als Programmplaner ist man eine Mischung aus kühlem Rechner, Spürnase und Orakel, und in diesem Punkt prallen Wunsch und Wirklichkeit aufeinander. Einen kleinen Film montags um 20.15 Uhr zu zeigen, hieße, ihn ungeschützt einem starken Konkurrenzprogramm auszusetzen; er hätte keine Chance." Außerdem: Gerade jüngere Nutzer würden solche Angebote ohnehin unabhängig von der Sendezeit in der Mediathek nutzen.
Ältere Zuschauer fragen sich allerdings, warum ARD und ZDF nicht auch mal Klassiker aus ihrer Kindheit und Jugend wiederholen, etwa Rainer Werner Fassbinders Arbeiterserie "Acht Stunden sind kein Tag" (1972/73, WDR) oder die spannenden ZDF-Mehrteiler "Die Schatzinsel" (1966) und "Der Seewolf" (1971). Laut Kumb liegen die entsprechenden Rechte jedoch oft gar nicht mehr bei den Sendern.
Für das Erste kämen solche Produktionen laut Andrea Wich nicht infrage, weil sie sich "an eine sehr überschaubare Zielgruppe richten." Im Hauptprogramm habe man zudem den Anspruch, zeitgemäße Produktionen anzubieten. "Archivschätze" seien in den Dritten Programmen, in den Spartenprogrammen One (ARD) und ZDF Neo sowie bei den Kulturkanälen 3sat und Arte besser aufgehoben.
Tatsächlich zeigt 3sat dieses Jahr im "Krimisommer" neun alte Edgar-Wallace-Filme. Der BR wiederholt regelmäßig bayerische Kultserien, aktuell zum Beispiel "Die Hausmeisterin" (1987 bis 1992) mit Veronika Fitz und Helmut Fischer. MDR und ORB würdigen wöchentlich die "Polizeiruf"-Tradition des Fernsehens der DDR, und Arte bringt ohnehin immer wieder Schwarzweiß-Klassiker.
Die ARD hat sich für das diesjährige Jubiläum "50 Jahre Tatort" etwas Besonderes einfallen lassen: Bis Ende August können die Zuschauer selbst bestimmen, welche Krimis sonntags um 20.15 Uhr im Ersten wiederholt werden; die Abstimmung startet nach jeder Ausstrahlung wieder neu. Auch hier wird jedoch enttäuscht, wer auf Frühwerke aus der Geschichte der Traditionsreihe hofft. Zur Auswahl stehen die jeweils erfolgreichsten Episoden der einzelnen ARD-Sender (www.DasErste.de/tatort-voting), aber die ältesten Filme stammen aus dem Jahr 1999.
Man habe auf frühere Produktionen verzichtet, erläutert ein Sprecher der ARD-Programmdirektion, um jüngere Zuschauer nicht zu verschrecken. Tatsächlich dürften Menschen unter 30 den Mythos Schimanski (Götz George) allenfalls vom Hörensagen kennen. Die Erzählweise der Filme aus den 80er Jahren würden sie höchstwahrscheinlich als altbacken empfinden. Am ersten Septemberwochenende endet die Sommerpause, dann zeigen ARD und ZDF wieder neue Samstags- und Sonntagskrimis.
Frankfurt a.M. (epd). Der Markt der TV-Rechte an der Fußball-Bundesliga wird nicht durch Amazon oder die Deutsche Telekom aufgemischt: Der Bezahlfernsehsender Sky und die Sport-Streamingplattform DAZN behalten auch ab der Saison 2021/22 die wichtigsten Live-Rechte an der Liga. Während Sky die Samstagsspiele überträgt, zeigt DAZN künftig die Freitags- und Sonntagspartien, wie die Deutsche Fußball-Liga (DFL) am 22. Juni in Frankfurt mitteilte. Sky wird zudem weiterhin die Konferenz der Samstagsspiele zeigen. Die frei empfangbare Highlight-Erstberichterstattung am frühen Samstagabend bleibt bei der "Sportschau" der ARD.
Die Erlöse werden für die DFL leicht zurückgehen: Sie nimmt in den vier Spielzeiten ab 2021/22 durchschnittlich 1,1 Milliarden Euro pro Saison aus Inlands-Medienrechten ein, in der laufenden Periode sind es 1,16 Milliarden Euro. DFL-Geschäftsführer Christian Seifert sprach von einem "ordentlichen Ergebnis", das in diesen Zeiten sehr gut sei und Planungssicherheit gebe. Das Gesamtsystem Fußball werde nach der Corona-Phase jedoch ein anderes sein und sich vor allem finanziell nach unten korrigieren müssen.
Sky verlor zwar die Sonntagsspiele an den Konkurrenten DAZN, sicherte mit dem Rechtekauf aber trotzdem wohl sein Überleben. Nach dem Verlust der Champions-League-Rechte ab 2021/22 galt der Kauf wenigstens eines Teils der Bundesliga-Rechte als überlebenswichtig für den Pay-TV-Sender. Seifert wollte keine Angaben dazu machen, welche Player für die Live-Rechte hoch mitgeboten haben. Amazon hatte sich im vergangenen Jahr Champions-League-Rechte gesichert, während die Telekom die Rechte an der Fußball-EM 2024 in Deutschland erwarb.
Eine weitere Neuerung in der kommenden Periode ist, dass Sat.1 pro Saison neun Live-Spiele im Free-TV zeigen darf, darunter die Erstliga-Partien am 1., 17. und 18. Spieltag, die noch bis Ende der kommenden Saison beim ZDF laufen. Die in den 90er Jahren entwickelte Marke "ran" steige damit erneut in die Bundesliga-Berichterstattung ein, erklärte der Privatsender.
Die Highlight-Berichterstattung vom Bundesliga-Topspiel am Samstagabend um 18.30 Uhr bleibt beim "Aktuellen Sportstudio" des ZDF. Die ARD darf von den Spielen am Freitag und Sonntag jeweils abends Free-TV-Zusammenfassungen zeigen. Sowohl ARD als auch ZDF erwarben das Recht, ab Montag 0 Uhr auch Highlight-Clips im Internet zu zeigen, etwa in ihren Mediatheken. Dieses Recht sicherte sich daneben auch der Privatsender Sport1.
Kostenpflichtige Highlight-Clips direkt nach Spielende darf in Zukunft der Medienkonzern Axel Springer auf seinen Internetseiten anbieten. Springer erwarb auch das erstmals ausgeschriebene Paket "Digitale Außenwerbung". Damit können Betreiber digitaler Außenwerbeflächen etwa in Bahnhöfen Clips von Bundesliga-Spielen zeigen, sobald die Erstverwertung im frei empfangbaren Fernsehen vorbei ist.
Alle Spiele der 2. Liga werden live bei Sky laufen, die neu eingeführten Zweitliga-Partien am Samstagabend um 20.30 Uhr parallel auch im Free-TV bei Sport1. Neu ist, dass sich die ARD die Zusammenfassung der 2. Bundesliga auch für Freitag und Sonntag sichern konnte, eine Verwertung ist laut DFL nach jetzigem Stand unter anderem beim Sender One geplant.
Auch bei den Audio-Verwertungsrechten hat die ARD umfangreich zugeschlagen: Neben den UKW/DABplus-Rechten, die sie traditionell hält, erwarb sie auch das Paket für "Web/Mobile", das derzeit noch von Amazon gehalten wird.
Frankfurt a.M. (epd). Anne Weber wird neue Stadtschreibern des Frankfurter Stadtteils Bergen-Enkheim. Das teilte die Pressestelle der Stadt Frankfurt am Main mit. Sie sei "gleichzeitig eine deutsche und ein französische Schriftstellerin", hieß es in der Begründung der Jury vom 26. Juni: "Sie schreibt in beiden Sprachen, und sie übersetzt in beiden Richtungen."
Die Jury zählte dazu die Autoren Wilhelm Genazino und Peter Handke sowie Marguerite Duras und Pierre Michon auf. Weber öffne "den Raum für ein dezidiert gegenwärtiges Verständnis von Literatur". Herausragend sei ihr Essay "Ahnen" von 2015, eine Recherche über ihren Urgroßvater.
Der Literaturpreis wird am 30. August vergeben. Als 47. Trägerin tritt Weber die Nachfolge von Anja Kampmann an und darf für ein Jahr im Stadtschreiberhaus wohnen und arbeiten. Zudem erhält sie ein Preisgeld von 20.000 Euro.
Bergen-Enkheim nimmt für sich in Anspruch, das Amt des Stadtschreibers als Literaturpreis erfunden zu haben. Der Bergen-Enkheimer Stadtschreiberpreis wird seit 1974 jedes Jahr von dem Frankfurter Stadtteil und der dortigen Kulturgesellschaft verliehen. Die Jury besteht aus Bürger- und Fachjuroren. Früherer Bergen-Enkheimer Stadtschreiberinnen und Stadtschreiber waren nach Wolfgang Koeppen unter anderen Peter Härtling, Jurek Becker, Eva Demski, Robert Gernhardt, Herta Müller, Katharina Hacker und Marcel Beyer.
Münster (epd). Der Schriftsteller Michael Roes erhält den diesjährigen mit 12.800 Euro dotierten Annette-von-Droste-Hülshoff-Preis. Eine neunköpfige Jury unter dem Vorsitz von LWL-Direktor Matthias Löb habe dem Berliner Autoren den "Westfälischen Literaturpreis 2020" zuerkannt, teilte der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) am 24. Juni in Münster mit. Tag, Ort und Rahmen der Preisverleihung stünden wegen der Corona-Pandemie noch nicht fest. Der Landschaftsverband verleiht den Literaturpreis seit 1953 alle zwei Jahre im Wechsel mit dem Konrad-von-Soest-Preis (Kunst) und dem Hans-Werner-Henze-Preis (Musik).
Der gebürtige Westfale Roes habe mit seinen 13 Romanen, aber auch mit seinen Film- und Theaterarbeiten die Literatur um neue Themen bereichert, heißt es in der Jury-Begründung. Mit seinen Texten bringe er den Lesern fremde Lebens- und Kulturkreise auf eindringliche Art und Weise nahe. Hierfür habe er offene, multiperspektivische Erzählformen gefunden, die nahezu alle literarischen Gattungen vom Roman bis zur Reportage einschließen.
Dabei stelle Roes kulturell tradierte Wahrnehmungsweisen in Frage und erkunde die Grenzregionen der Sprache neu. "Die Begegnung mit dem Fremden, etwa mit einer Gruppe gehörloser Jugendlicher im Jemen, nutzt er, um zu lernen, wie wir miteinander reden und einander zuhören können", so die Jury.
Roes wurde am 7. August in Rhede bei Bocholt geboren. Sein Studium der Philosophie, Psychologie und Germanistik schloss er mit Promotion ab Sein Romandebüt gab der Schritsteller 1996 mit "Rub al-Khali - Leeres Viertel", für das er zuvor ein Jahr lang im Jemen recherchiert hatte. Weitere Bücher von ihm spielen unter anderem in der saudischen Wüste, in Mali, am Mississippi, in Afghanistan oder in Albanien. Zuletzt erschienen seine Romane "Zeithain" (2017) und "Herida Duro" (2019).
Der Schriftsteller, Stückeschreiber und Filmemacher wurde mehrfach für sein Werk ausgezeichnet, darunter mit dem Else-Lasker-Schüler-Preis, dem Literaturpreis der Stadt Bremen und dem Alice-Salomon-Poetik-Preis. Ende Mai war bekanntgegeben worden, dass Roes in diesem Jahr ebenfalls den Margarete Schrader-Preis für Literatur der Universität Paderborn mit einem Preisgeld von 8.000 Euro erhält.
Lichtenau (epd). Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) hat ein neues Finanzkonzept für das Kloster Dalheim in Lichtenau (Kreis Paderborn) verabschiedet. Demnach wird der LWL von 2022 bis 2026 weitere 375.000 Euro jährlich für sein Museum der Klosterkultur aufbringen, wie der LWL-Landschaftsausschuss am 26. Juni in Münster beschlossen hat.
Nötig ist die Aufstockung aufgrund steigender Personalkosten und schwindender Erträge der Trägerstiftung, betonte die LWL-Kulturdezernentin Barbara Rüschoff-Parzinger: "2022 müssen wir zwei Drittel des Stiftungskapitals neu anlegen. Und von den gut vier Prozent Zinsen, die wir bisher bekommen haben, können wir nur träumen." Man wolle aber den Status von Kloster Dalheim halten, das sich als erfolgreicher Museums- und Veranstaltungsort etabliert habe. Immerhin 100.000 Besucher kämen pro Jahr dorthin.
Der LWL werde darum in den nächsten Jahren insgesamt über eine Million Euro im Jahr zur Unterstützung des Museums ausgeben, geplant sei auch der Ausbau zu einem "Kompetenzzentrum für Klosterkultur", hieß es. Der Kreis Paderborn und private Stifter hätten weitere finanzielle Unterstützung in Aussicht gestellt.
Engelskirchen (epd). Zum 200. Geburtstag von Friedrich Engels (1820-1895) in diesem Jahr widmet das LVR-Industriemuseum in Engelskirchen dem Unternehmer und Revolutionär einen neuen Ausstellungsraum. Seit dem 28. Juni können sich Besucher dort auf knapp 100 Quadratmetern über die Geschichte der Fabrik Ermen & Engels sowie die Person Friedrich Engels junior informieren, wie das Museum mitteilte. Im Zentrum steht ein interaktives Fabrikmodell, das mittels kurzer Videos einen Blick hinter die Mauern der damaligen Produktion von Baumwollgarn erlaubt.
Die Schau erläutere auch die ambivalenten Sichtweisen von Vater und Sohn Engels auf die Chancen und Nachteile der Industrialisierung für Arbeiterschaft und Unternehmer, hieß es. Friedrich Engels senior hatte 1837 gemeinsam mit seinem niederländischen Geschäftspartner P. A. Ermen Baumwollspinnereien in Engelskirchen und in Manchester gegründet. Sein Sohn absolvierte in den 1840er Jahren eine kaufmännische Ausbildung in der englischen Fabrik.
Die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Textilarbeiter dort verarbeitete er in seinem 1845 erschienenen Buch "Die Lage der arbeitenden Klasse in England", in dem er die sozialen Missstände der Industrialisierung anprangerte. Gemeinsam mit seinem Freund Karl Marx schrieb er das "Kommunistische Manifest" und "Das Kapital" und begründete die internationale Arbeiterbewegung mit.
Parallel sei Engels aber auch Unternehmer geblieben, heißt es in der Ankündigung des Museums. 1850 stieg er in die Fabrik in Manchester ein. Einerseits habe er sich mit Geschäftspartnern umgeben und eine repräsentative Wohnung unterhalten, andererseits habe er kommunistische Artikel verfasst und sich in der Arbeiterbewegung engagiert. Mit seinem Einkommen habe Engels zudem zeitlebens die Familie Marx und weitere Freunde unterstützt.
Dortmund (epd). Eine Corona-Skulptur aus Stahl ziert ab sofort den Eingangsbereich der Dasa Arbeitswelt Ausstellung in Dortmund. Das Werk stammt von dem heimischen Künstler Sebastian Wien und besteht aus rostigen Schrauben und Stahl, wie die Dasa mitteilte. Die Corona-Skulptur sei so groß wie ein Fußball und ergänze die aktuelle Ausstellung zum Infektionsschutz in der Dasa-Rotunde. Im kommenden Jahr erhält sie einen Platz im dann neu eröffneten Bereich "Heilen und Pflegen", den die Dasa zum Jahresbeginn 2021 in Betrieb nimmt.
Wien ist gelernter Metallbauer und seit 30 Jahren in Dortmund als Bildhauer tätig. Die aktuelle Corona-Krise habe ihn zu der Arbeit "kreativ infiziert", erklärte er.
Genf (epd). Professor Joseph Ndiane hat sich im anthrazitfarbenem Anzug und mit roter Krawatte in Schale geworfen, doch vor den Fernsehkameras fühlt er sich noch sichtlich unwohl. Doch je mehr er die gewohnte Haltung vor dem Whiteboard einnimmt und an einem Schaubild den Aufbau von Blütenpflanzen erklärt, umso lockerer wird der Lehrer, der seine Schüler unbedingt durch die Abschlussprüfungen des senegalesischen Schulsystems bringen will. Von Mitte März bis Anfang Juni waren die Schulen in dem westafrikanischen Land geschlossen, Ndianes Unterricht wurde deshalb im Fernsehen übertragen.
Nicht nur im Senegal, überall auf der Welt können Schülerinnen und Schüler wegen der Corona-Pandemie nicht zur Schule gehen. Mehr als eine Milliarde Kinder und Jugendliche, im globalen Vergleich fast zwei Drittel, sind laut der UN-Bildungsorganisation Unesco immer noch von Schulschließungen betroffen. In 122 der 193 Staaten weltweit sind Lerninstitutionen landesweit geschlossen. Vor allem in armen Ländern habe das fatale Folgen, warnt Ed Davis, der bei der Globalen Bildungspartnerschaft (GPE) in Washington, D.C. für Unterrichtsfragen zuständig ist.
"Die Folgen der Corona-Krise für die Bildung werden vernachlässigt", glaubt Davis. "Gerade diejenigen, die am Verletzlichsten sind, gehen womöglich nicht mehr in die Schule zurück, wenn wir nicht schnell etwas tun." Davis spricht aus Erfahrung. 2014 arbeitete er in Sierra Leone, als auf einmal die Ebola-Epidemie ausbrach. "Die Regierung hat die Schulen geschlossen, und wir mussten aus dem Stand ein Konzept für den Fernunterricht entwickeln."
In einem der ärmsten Länder der Welt, wo Internet, aber auch Fernsehen oder Strom nur wenigen zur Verfügung stehen, setzte man schließlich auf Unterricht über das Radio. Die Bilanz am Ende der Schließungen fiel dennoch ernüchternd aus: Viele Jungen mussten arbeiten, weil die Einkommen in der informellen Wirtschaft um zwei Drittel sanken. "Und die Kinderschwangerschaften sind sprunghaft angestiegen, 16 Prozent der Schülerinnen sind deshalb nicht mehr in den Unterricht zurück gekehrt." Nur in Dörfern, wo sichere Lernorte eingerichtet worden waren, war die Zahl der Schulabbrecher geringer.
Mädchen und junge Frauen in besonders armen Familien seien auch jetzt oftmals gezwungen, Sex gegen Geld anzubieten, um etwas zu essen kaufen zu können, weiß Meggie Mwikali Mwoka vom afrikanischen Forschungszentrum für Bevölkerung und Gesundheit in Nairobi. Sexuelle Gewalt inner- und außerhalb der Familie sei ein weiteres Problem. Zwar habe Kenias Regierung Fernunterricht über Radio, Fernsehen und das Internet organisiert. Doch nur wenige hätten die Chance, dem Unterricht zu folgen.
Die Corona-Krise verschärft vorhandene Probleme. In Kenia brachten in den vergangenen zwölf Monaten fast 380.000 Teenager Kinder zur Welt, das entspricht einem Fünftel aller Geburten. Auch ohne Covid-19 waren Millionen Kinder von Bildung ausgeschlossen, weil sie arbeiten mussten oder sich die Schule nicht leisten konnten. In den Sahelstaaten Burkina Faso, Mali und Niger waren Ende 2019 wegen der islamistischen Terrorgefahr 3.300 Schulen geschlossen, mit Auswirkungen auf 650.000 Schülerinnen und Schüler sowie 16.000 Lehrende.
Trotz dieser Tendenzen sei die Lage in den vergangenen Jahren insgesamt aber besser geworden, bilanziert Davis: "Wir hatten gerade deutliche Verbesserungen bei den Schülerzahlen in Afrika südlich der Sahara erreicht." Durch Corona drohe jetzt ein Rückschlag.
500 Millionen US-Dollar hat die Globale Bildungspartnerschaft nach eigenen Angaben in der Corona-Pandemie ausgegeben. Das Geld soll 355 Millionen Kindern zugute kommen, unter anderem durch Unterrichtsmaterialien, Fernunterrichtsprogramme und Fortbildungen. Gebraucht aber werde deutlich mehr, sagt Davis. "Selbst die Kinder, die dem Fernunterricht folgen konnten, haben nicht im gleichen Tempo gelernt, es gibt Defizite - die müssen aufgeholt werden." Wichtig sei es, schnell zu reagieren. "Je länger wir warten, desto schwerer wird es, alle mitzunehmen, und desto teurer wird es auch."
Bonn, Berlin (epd). Mehr als eine Viertelmilliarde Kinder und Jugendliche haben den UN zufolge keinen Zugang zu Bildung. Millionen weitere Schülerinnen und Schüler würden aufgrund ihrer Herkunft, Identität oder Behinderung innerhalb des Bildungssystems ausgegrenzt, heißt es in dem am 23. Juni vorgestellten Unesco-Weltbildungsbericht 2020. Für sie seien zudem die Folgen der Corona-Pandemie besonders schlimm. Die frühere neuseeländische Premierministerin Helen Clark bezeichnet die Covid-19-Pandemie als größte Herausforderung für den Bildungssektor in der Geschichte.
Im April waren wegen der Corona-Krise nach Angaben der Unesco weltweit über 90 Prozent der Schülerinnen und Schüler von Schulschließungen betroffen, heute seien es immer noch zwei Drittel. 40 Prozent der ärmsten Länder hätten benachteiligte Schülergruppen während der Corona-Krise überhaupt nicht erreichen können, beklagte Clark, die Vorsitzende des Beirats für den Weltbildungsbericht ist.
Die größte Hürde für den Zugang zu Bildung ist laut der UN-Bildungsorganisation nach wie vor die Armut: In allen Ländern, außer denen mit hohem Einkommen in Europa und Nordamerika, schlössen im Verhältnis zu 100 der reichsten Jugendlichen nur 18 der ärmsten die Sekundarschule ab, heißt es in dem Bericht "Inklusion und Bildung: Für alle heißt für alle". In mindestens 20 Ländern, vor allem in Afrika südlich der Sahara, komme kaum ein armes Mädchen aus dem ländlichen Raum bis zum Sekundarschulabschluss.
Doch auch aus zahlreichen anderen Gründen werden Kinder und Jugendliche demnach von inklusiver und chancengerechter Bildung ausgeschlossen. So sei in einem Viertel aller Länder weltweit die getrennte Bildung von Kindern mit und ohne Behinderung gesetzlich vorgeschrieben.
Durch die Schulschließungen während der Pandemie sei für benachteiligte Mädchen und Jungen auch soziale Unterstützung etwa durch Schulspeisungen oder Dienste für Schulkinder mit Behinderungen weggefallen, berichtete Unesco-Generalsekretärin Audrey Azoulay. Sie hätten zudem aufgrund fehlender Endgeräte, schlechtem Internetzugang oder einer wenig förderlichen Lernumgebung zu Hause kaum Nutzen aus Angeboten des Online-Lernens ziehen können.
Minderheiten und Geflüchteten hätten in vielen Ländern der Welt keinen hinreichenden Zugang zu hochwertiger Bildung, kritisieren die Autoren der Studie. Auch sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität könnten zu Ausschluss führen. So hätten junge Homo-, Bi-, Trans- und Intersexuelle in den USA fast drei Mal häufiger als ihre Klassenkameradinnen und -kameraden angegeben, der Schule fernzubleiben, weil sie sich dort nicht sicher fühlten.
Die Covid-19-Pandemie habe die Ungleichheiten weiter verstärkt und die Zerbrechlichkeit der Gesellschaften erneut offengelegt, erklärte Azoulay. Die Krise könne nun den Anstoß geben, "resilientere und effektivere Bildungssysteme für morgen zu bauen".
Der Unesco-Weltbildungsbericht untersucht jährlich die Fortschritte bei der Umsetzung des globalen Nachhaltigkeitsziels vier. Darin heißt es, dass "bis 2030 für alle Menschen inklusive, chancengerechte und hochwertige Bildung sowie Möglichkeiten zum lebenslangen Lernen" sichergestellt werden sollen.
Berlin (epd). UN-Generalsekretär António Guterres fordert angesichts der Corona-Pandemie mehr internationale Zusammenarbeit, um künftige und womöglich noch gefährlichere Seuchen zu verhindern. "Stellen Sie sich vor, eines Tages bricht ein Virus aus, das sich so schnell verbreitet wie Corona, aber so tödlich ist wie Ebola", sagte Guterres der Tageszeitung "Welt" (27. Juni). "Ich hoffe, dass die Krise ein Weckruf ist. Dass sie uns zeigt: Wir können Herausforderungen wie Pandemien nur gemeinsam bewältigen."
Guterres verteidigte zugleich die Weltgesundheitsorganisation (WHO), der US-Präsident Donald Trump eine zu große Nähe zu China vorwirft. "Wir werden uns genau ansehen müssen, wie sich das Virus so schnell ausbreiten konnte und wie die WHO und andere Organisationen reagiert haben", sagte er. "Ja, vielleicht gab es Fehler." Aber er glaube nicht, dass die WHO China helfen wollte, die Realität zu verschleiern. "Ich kenne die Leute bei der WHO", erklärte Guterres. "Sie werden sicher nicht von irgendeinem Staat kontrolliert."
Der UN-Generalsekretär betonte, die Vereinten Nationen versuchten alles, um die Pandemie zu stoppen. "Wir haben seit dem Ausbruch des Virus 250 Millionen Masken, Kittel und Handschuhe verteilt", sagte er. Die Hilfe erreiche 110 Millionen Menschen in 64 Ländern. Zugleich gehe der reguläre Kampf gegen Krankheit, Hunger und Armut auf der Welt weiter. "Wir mögen bürokratische Probleme haben und hier und da veraltete Strukturen", sagte Guterres, "aber unsere humanitäre Unterstützung funktioniert".
Genf (epd). Die Corona-Krise stürzt laut der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) Dutzende Millionen Migranten in tiefe Armut. Nach einem Verlust des Jobs in den Gastländern drohe nach der Rückkehr in die Heimatländer ebenfalls Arbeitslosigkeit, warnte die ILO am 24. Juni in Genf. Nach der Lockerung der Reisebeschränkungen in vielen Ländern würden nun viele arbeitslos gewordene Migranten die Heimreise antreten.
Viele der Migranten, die in den Gastländern blieben, rutschten nach dem Jobverlust im Zuge der Krise ebenso in die Armut ab. Sie hätten kaum eine soziale Absicherung und kaum Geld für Unterkunft und Essen. Andere Migranten müssten gekürzte Löhne akzeptieren.
Die Familien der Migranten in den Heimatländern müssten unterdessen mit einem starken Rückgang der Geld-Überweisungen leben. Die Vereinten Nationen rechnen mit einem Minus um gut 110 Milliarden US-Dollar (etwa 97 Milliarden Euro) im Vergleich zu 2019. Damit schrumpften die weltweiten Rücküberweisungen um etwa ein Fünftel. Die UN beziehen sich dabei auf Schätzungen der Weltbank.
Im Jahr 2019 hatten demnach 200 Millionen Migranten die Rekordsumme von 554 Milliarden US-Dollar (489 Milliarden Euro) aus reicheren Ländern in die Heimat überwiesen. Rund 800 Millionen Familienangehörige der Migranten seien von den Geldern abhängig. Die ILO ist eine Sonderorganisation der UN mit Sitz in Genf.
Detmold (epd). Die Lippische Landeskirche ruft angesichts verheerender sozialer Auswirkungen der Corona-Pandemie im globalen Süden zu Spenden für das evangelische Hilfswerk "Brot für die Welt" auf. "Unsere Solidarität darf nicht an Grenzen haltmachen", sagte der Lippische Landessuperintendent Dietmar Arends am 29. Juni in Detmold. Sie gelte den von Covid-19 Betroffenen in Lippe genauso wie an anderen Orten der Welt.
In den Ländern des Südens gebe es oft nur wenig Testmöglichkeiten, kaum Schutzausrüstung, schlechten Zugang zu Wasser für regelmäßiges Händewaschen und kaum Abstandsmöglichkeiten in den dicht besiedelten Slumgebieten, erklärte die Landeskirche. Strenge Lockdowns verschärften Armut und Hunger. Bauern könnten ihre Ernte nicht verkaufen, Straßenverkäufer und Tagelöhner verdienten wegen der Schließungen nichts mehr, hieß es.
In einem Schreiben an die Kirchengemeinden warb Landessuperintendent Arends für Spenden und Kollekten zugunsten von "Brot für die Welt". Kirchen, Religionsgemeinschaften und kirchennahe Organisationen hätten bei der Bewältigung der Krise im Süden eine Schlüsselrolle. "Brot für die Welt" unterstütze mit Projektmitteln unter anderem Aufklärungsarbeit über Covid-19, die Bereitstellung von Schutzkleidung und -masken sowie Desinfektionsmittel für die ärmsten Menschen und die Weiterbildung medizinischen Personals.
Spendenkonto von "Brot für die Welt": IBAN DE10 1006 1006 0500 5005 00
Houmt Souk (epd). Die Insel Djerba im Südosten Tunesiens ist eine Wüstenlandschaft mit langen Stränden. Hier trafen der Legende nach die Gefährten des griechischen Helden Odysseus auf ein friedliches Volk und aßen vom süßen Lotos, wonach sie nicht wieder in ihre Heimat zurückwollten. Heute ist Djerba ein beliebtes Urlaubsziel, vor allem für Strandurlauber. "Aber wir finden, dass die Insel, die nur durch Strand und die Sonne bekannt ist, auch für ihre Kultur bekannt sein sollte", sagt Farhat Ben Tanfous vom "Verein zum Schutz der Insel Djerba", der gleichzeitig auch Hotelier ist.
Sieben typische und besonders gut erhaltene Orte hat der Verein der UN-Kulturorganisation Unesco vorgeschlagen: Denn Djerba möchte Weltkulturererbe werden. Im kommenden Jahr wird über den Antrag Tunesiens entschieden. Die frei stehenden weiß getünchten Gehöfte auf Djerba sind einzigartig. Noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein hatte jede Großfamilie ihren eigenen abgeschirmten Hof. Die Bewohner trafen sich nur zum Handel und zum Gottesdienst in den Siedlungen.
Neben der kleinen muslimischen Religionsgemeinschaft der Ibaditen leben auf der Insel auch Juden und Christen, auf Djerba steht eine der ältesten Synagogen der Welt. "Diese Schönheit, diese Harmonie möchten wir bewahren. Und gleichzeitig wollen wir den Ruf unserer Insel verbessern", sagt Farhat Ben Tanfous.
Mit mehr als neun Millionen Besuchern hatte Tunesien im vergangenen Jahr trotz der Thomas-Cook-Pleite einen Besucherrekord aufgestellt. Dieses Jahr hat die Corona-Pandemie den Tourismus stillgelegt. Auch bei Farhat Ben Tanfous sind zurzeit nur Langzeiturlauber und tunesische Gäste zu Besuch, wie er erzählt. Die Tourismusbranche hofft aber, doch noch ein paar Sommerurlauber anlocken zu können.
Auf Djerba war im vergangenen Sommer kein Bett frei. Eine Tendenz, die Ben Tanfous freut. "Aber wir glauben, dass wir unsere Insel als Reiseziel noch besser verkaufen können", sagt er.
Es tut sich einiges: Im Februar gab es zum zweiten Mal einen Halbmarathon, der auch Läufer und Läuferinnen aus Europa anlockte. Im Dorf Erriadh ist nicht nur die La-Ghriba-Synagoge zu besuchen, die älteste auf dem afrikanischen Kontinent, sondern auch das Projekt "Djerbahood" mit großformatigen Graffiti auf den Hauswänden des Dorfes. Seit 2019 laden Street-Art-Mosaike zu einer virtuellen Schatzsuche auf der Insel ein.
Sehenswürdigkeiten wie diese zeigt Anis Mchaya von der Fahrrad-Initiative "Solibikes" den Besuchern am liebsten bei einer Radtour. "Viele interessante Orte sind auf keiner Karte verzeichnet. Wir gehen rein in die Viertel abseits der Hauptstraßen und öffnen Türen", wirbt der 25-jährige Leiter des Fahrradverleihs, der von dem Verein "Djerba Insolite" getragen wird.
Die Radtouren führen über Wirtschaftswege durch Palmenhaine zu traditionellen Werkstätten von Teppichwebern und Korbflechtern, die das Kunsthandwerk der Insel bewahren. Mittagessen gibt es in der Nähe von Lehmöfen, in denen wie früher frisch duftendes Fladenbrot gebacken wird. Das Ziel: ein nachhaltiger Tourismus, bei dem die Gäste die Bräuche der Insel kennenlernen und mehr sehen als nur Hotel, Strand und die immer gleichen Souvenirs.
Houmt Souk - wörtlich übersetzt "Markt-Siedlung" - ist mit rund 65.000 Einwohnern der größte Ort der Insel. Auf dem Fischmarkt kann man sich aus dem frischen Fang Fisch oder Meeresfrüchte auswählen und in einem der vielen kleinen Restaurants daneben gleich grillen lassen. Einige Schritte weiter hat Sabrine Ben Abdallah einen winzigen Laden eröffnet, den sie "El Houch" genannt hat, wie die traditionellen Häuser auf Djerba heißen. In einem Seitensträßchen zwischen einer alten Karawanserei und einer Kirche verkauft sie handgemachte, tunesische Keramikskulpturen, Tücher und Schmuck von jungen Designern.
Hotelier und Kulturvereinsaktivist Farhat Ben Tanfous ist überzeugt, dass die Zivilgesellschaft viel dazu beiträgt, die Insel attraktiver zu machen und neue Entwicklungen anzustoßen. Auch der Unesco-Antrag wäre sonst nie zustande gekommen: "Wir meistern ganz viel gemeinsam."
Wuppertal (epd). Die Vereinte Evangelische Mission (VEM) hat sich besorgt über den Rassismus gegen die indigene Papua geäußert. Gemeinsam mit dem Westpapua-Netzwerk forderte die Organisation am 23. Juni in Wuppertal, die indonesische Regierung müsse wirksame Maßnahmen gegen Rassismus in Westpapua ergreifen, die Menschenrechte der Papuas fördern und schützen. Unter dem Hashtag "#PapuanLivesMatter" würden aktuell Beiträge und Forderungen nach einem Ende der rassistisch motivierten Polizei- und Militärgewalt in Westpapua veröffentlicht.
In Westpapua führe Rassismus gegen indigene Papua seit vielen Jahrzehnten zu täglicher Gewalt und Ungleichbehandlung, erklärte die VEM. Die Menschen würden regelmäßig Opfer von physischer Polizei- und Militärgewalt, unrechtmäßig inhaftiert und in ihrem international geschützten Recht auf freie Meinungsäußerung massiv eingeschränkt. Aufgrund ihrer dunkleren Hautfarbe würden Papua beschimpft und diskriminiert. Laut VEM kommt es jedes Jahr zu mehreren Tötungen unbewaffneter Papua-Zivilisten durch indonesische Sicherheitskräfte.
Laut VEM sind aktuell mehr als 50 unrechtmäßig inhaftierte Papua in Haft. Zwar fordere die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, politische Gefangene während der Corona-Krise frühzeitig zu entlassen. Die Zentralregierung in Jakarta unter Präsident Joko Widodo komme dieser Forderung allerdings nicht nach.
Berlin, Aachen (epd). Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hat an die Bundesregierung appelliert, auch den Umweltschutz in ein Lieferkettengesetz einzubeziehen. "Freiwillig nehmen nur wenige deutsche Konzerne ihre umweltbezogenen und menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten in globalen Lieferketten wahr", sagte der Vorsitzende Olaf Brandt am 25. Juni. "Deshalb muss endlich ein Lieferkettengesetz her." Es müsse aber Umwelt- und Menschenrechte enthalten.
Brandt begrüßte die Initiative von Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Nach Medienberichten haben sich die beiden Minister auf Eckpunkte eines Gesetzes geeinigt, in denen allerdings die Haftung deutscher Unternehmen bei Menschenrechtsverletzungen im Ausland entschärft werden soll. Demnach soll das Risikomanagement "verhältnismäßig und zumutbar" sein. Haften soll ein Unternehmen den Berichten zufolge nur, wenn bei Erfüllung der Sorgfaltspflicht Schäden "vorhersehbar und vermeidbar" gewesen seien.
Ziel eines Lieferkettengesetzes ist vor allem, ausbeuterische Arbeitsbedingungen bei Zulieferern im Ausland zu verhindern. Nach einem Bericht der "Frankfurter Rundschau" (25. Juni/online) soll das künftige Gesetz rund 7.300 Unternehmen betreffen. Die Firmen müssten dann prüfen, "ob sich ihre Aktivitäten nachteilig auf Menschenrechte auswirken und angemessene Maßnahmen zur Prävention und Abhilfe ergreifen", zitierte die Zeitung aus dem Eckpunktepapier. Dabei gehe es um zum Beispiel um Kinderarbeit, Diskriminierung, Hungerlöhne, Landkonflikte oder Umweltverschmutzung.
Das katholische Hilfswerk Misereor begrüßte die Initiative für ein Lieferkettengesetz, forderte aber ebenfalls ökologische Aspekte. "Ein solches Gesetz wäre ein wichtiger Schritt zum Schutz von Menschenrechten und Umwelt in der globalen Wirtschaft", sagte Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel am 25. Juni in Aachen. "Die Missachtung von Menschenrechten ist kein Kavaliersdelikt und darf nicht folgenlos bleiben." Mit Sorge bemerkte Spiegel allerdings, dass die Teilnahme an einer Brancheninitiative wie dem Textilbündnis zu einer Haftungsbegrenzung führen solle.
Union und SPD hatten im Koalitionsvertrag ein Lieferkettengesetz vereinbart, sollten nicht mindestens 50 Prozent der größeren Firmen freiwillige Selbstverpflichtungen vorlegen. Ende 2019 hatte in einer Befragung erst ein Fünftel der Betriebe angegeben, akribisch auf die Arbeitsbedingungen bei Zulieferern im Ausland zu achten. Das Resultat einer zweiten Umfrage soll Mitte Juli präsentiert werden.