"Helfen Sie mir", tönt es aus einem abgewetzten Ghetto-Blaster am Eingang der Bundeskunsthalle. Wurde das Gerät dort vergessen? Und wem gehört diese Stimme? Natürlich ist es unwahrscheinlich, dass es an der Tür einer Ausstellungshalle Zufälle gibt. Tatsächlich gehört der tragbare CD-Player zu einem Werk des niederländischen Künstlers Dries Verhoeven. Dennoch beschleicht den Besucher ein Unwohlsein. Zu sehr erinnert die Situation an Szenen wie sie jeder aus Fußgängerzonen in Großstädten kennt: Ein Obdachloser bittet Passanten um Geld. Verhoevens Arbeit stimmt die Besucher gleich am Eingang auf das ein, was ihn erwartet: Kunst, die mit dem Publikum spricht und Emotionen erzeugt.

Mit der Ausstellung "State of the Arts. Die Verschmelzung der Künste" rückt die Bundeskunsthalle eine der entscheidenden Entwicklungen in der aktuellen Kunst in den Fokus: Das immer stärkere Zusammenwachsen der bildenden und der darstellenden Künste. Präsentiert werden bis zum 16. August performative Arbeiten von 13 überwiegend in den 80er und 90er Jahren geborenen Künstlerinnen und Künstlern, die Gattungsgrenzen überschreiten und mehrere Medien in ihr Werk integrieren. "Es ist heute gängige Praxis, dass die bildende Kunst sich mit anderen Künsten vereint", erklärt Kuratorin Johanna Adam. Nach Meinung der designierten Intendantin der Bundeskunsthalle, Eva Kraus, die ihr Amt im August antritt, trifft die Ausstellung mit dem Thema den "Nerv der Zeit".

Die präsentierten Werke internationaler Künstlerinnen und Künstler kombinieren unterschiedliche Medien wie Musik, Sprache, Skulptur oder Video und sprechen damit alle Sinne an. Gezeigt werden 13 Werke, die sich spielerisch zwischen den unterschiedlichen künstlerischen Gestaltungsfeldern bewegen, wie etwa performative Skulpturen, Sound-Arbeiten, Installationskunst und Performances. Die junge Künstlergeneration geht nicht nur nonchalant über Gattungsgrenzen hinweg. Auch die Trennung zwischen virtuellem und physischem Raum wird in vielen Werken aufgehoben.

Trennung zwischen Betrachter und Werk aufgehoben

So löst der Besucher in Hannah Weinbergers Installation "we didn't want to leave" mit der Anwesenheit seines physischen Körpers virtuelle Reaktionen aus. Die Künstlerin hat einen Raum eingerichtet, in dem die Besucher durch ihre Bewegungen Klänge erzeugen. Mit Hilfe eines Algorithmus entstehen immer wieder neue Töne, die den Raum jedes Mal anders erklingen lassen. Zugleich wird der Besucher gefilmt und erscheint als Projektion an einer Wand. Dabei setzt sich das Bild wie in einer unendlichen Reihe von Spiegeln immer weiter fort. Weinbergers Installation vollzieht eine weitere Grenzüberschreitung, die charakteristisch für den Großteil der in der Ausstellung präsentierten Arbeiten ist: Die Trennung zwischen Betrachter und Werk wird aufgehoben. Der Besucher arbeitet sogar mit an der Entstehung der Kunst.

Ein ähnliches Konzept verfolgt der dänische Künstler Christian Falsnaes. Er zieht sich noch konsequenter als Akteur zurück und überlässt dem Publikum die Ausführung seiner Performance. Für die eigens für die Bundeskunsthalle entwickelten Arbeit "SOLO" werden Besucher von einem Kunstvermittler angesprochen und gefragt, ob sie eine Performance sehen möchten. In dem Raum, in den sie dann geführt werden, stellen sie aber fest, dass sie selbst der Akteur sind, dessen Bild sich an der Wand spiegelt. Ursprünglich wollte der Künstler eine Arbeit mit mehreren Teilnehmern installieren. Doch wegen der neuen Abstandsregeln musste er umplanen.

Skulpturale Wolkengebilde

Kunst, die Grenzen überschreitet und das Publikum einbezieht, ist in Zeiten von Corona nicht nur für Falsnaes eine Herausforderung. So kann die Arbeit der türkischen Künstlerin Begüm Erciyas wohl erst mit Verspätung in Betrieb genommen werden, weil das städtische Gesundheitsamt sie zunächst noch nicht freigegeben hatte. Ihre "Voicing Pieces" müssen ebenfalls von den Besuchern aktiviert werden, die in skulpturalen Wolkengebilden Texte lesen. Es geht um die Selbstwahrnehmung und die Erfahrung der eigenen Stimme.

Verspäten wird sich auch die 5D-Simulator-Installation des britischen Künstlers Simon Fujiwara. Sie konnte wegen des Corona-Shutdowns nicht rechtzeitig aus New York abgeschickt werden. Doch voraussichtlich ab dem 26. Juni werden Besucher auf einem beweglichen Flugsimulator-Sessel Platz nehmen und dort eine Erfahrung mit allen Sinnen machen können. Fujiwaras 5D- Installation führt jedoch anders als in Freizeitparks üblich nicht durch Fantasy-Welten. Vielmehr lässt der Künstler die Besucher an extrem emotionalen oder körperlichen Erfahrungen teilhaben. Das Videomaterial dazu fand er bei YouTube.

Die Ausstellung hält einen Parcours unterschiedlicher Erfahrungen bereit. Vom zeichnenden Roboter David Shrigleys über ein rotierendes Kaffeebecher-Mühlrad von Gisèle Gonon bis zu den Metallgestängen von Rachel Monosov, die den Nutzer in einer unbequemen Haltung fixieren. Zu sehen sind außerdem Arbeiten von Simnikiwe Buhlungu, Laure Prouvost, Nora Turato, Isabel Lewis & Dirk Bell und Raphaela Vogel.