Köln (epd). Für Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen ist die Corona-Pandemie ein hochinteressanter Versuchsfall. Besonders relevant ist die Frage, welche psychologischen Folgen die Krise für die Bevölkerung hat. Eine der ersten Studien dazu ist eine im April erhobene Umfrage des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) unter 3.600 Bundesbürgern. Das Ergebnis: Die Bevölkerung zeigt eine beachtliche psychische Widerstandskraft. Die Lebenszufriedenheit und das Wohlbefinden haben sich kaum verändert, lautet das Resümee.
Allerdings: Das Gefühl der Einsamkeit ist gestiegen. "Hier haben wir eine sehr substanzielle Verschiebung festgestellt", sagt einer der beiden Autoren der Studie, der Soziologe Hannes Kröger. "Dabei haben wir über alle Bevölkerungsgruppen hinweg einen starken Anstieg festgestellt, aber innerhalb dieses Anstiegs war er bei jungen Leuten und bei Frauen am stärksten ausgeprägt." Bei jungen Menschen vermuten die Forscher, dass sie von allen Bevölkerungsgruppen durch die Corona-Maßnahmen am meisten in der Ausgestaltung ihres Alltags eingeschränkt wurden. "Gruppenveranstaltungen werden vor allem von jungen Leuten besucht, die alle nicht mehr möglich waren."
Doppelbelastung für Mütter
Warum auch besonders Frauen während der Corona-Pandemie von zunehmender Einsamkeit betroffen sind, liegt für die Dortmunder Psychotherapeutin Cornelia Wien auf der Hand: "Mütter sind einer enormen Doppelbelastung ausgesetzt: dem Homeoffice auf der einen Seite und dem Homeschooling der Kinder."
Wien hat die Erfahrung gemacht, dass keineswegs alle ihre Klienten unter Corona leiden, im Gegenteil, manchen gehe es sogar besser: "Wer vorher sozial nicht integriert war, fühlt sich in seiner Selbstwahrnehmung jetzt besser." Denn durch das vorgegebene Kontaktverbot sei auf einmal jeder sozial eingeschränkt. Unterschiede verschwämmen und soziale Einschränkung werde zur neuen Normalität.
Der Berufsverband deutscher Psychologinnen und Psychologen hat eine bundesweite Corona-Hotline geschaltet. "Die Hotline ist sehr stark frequentiert", sagt die Notfallpsychologin Andrea Heine, die die Gespräche zusammen mit Kollegen entgegennimmt. Die Anrufer haben ganz unterschiedliche Anliegen: "Es gibt Leute, die sich aufgrund ihrer Angst vor Ansteckung gar nicht mehr aus dem Haus trauen. Andere leiden sehr unter der Kontaktsperre. Und es gibt viele, die ihre Therapien unterbrechen mussten, weil auch die Arbeit von Therapeuten zu Beginn des Lockdowns zum Teil sehr eingeschränkt war, und denen es jetzt schlechtgeht", sagt sie.
Große Herausforderung zweite Welle
Es sei im Moment sehr schwierig, eine Grenze zu ziehen, was "normal" sei und wann Menschen professionelle Hilfe suchen müssten: "Corona ist für uns alle eine enorme Belastung, die Stress hervorruft." Die Aufgabe der Hotline sei es, die Anrufer zunächst einmal zu stabilisieren und ihnen konkrete Tipps zu geben, wie sie den Alltag mit Corona überstehen: "Etwa, indem sie nicht den ganzen Tag vor dem Fernseher sitzen und nur Nachrichten gucken, sondern sich selbst etwas Gutes tun."
Hilfe bei niedergelassenen Psychologen und Psychotherapeuten zu finden, ist schwierig. "Wir hatten schon vor Corona Wartelisten von drei bis fünf Monaten, das ist durch Corona natürlich nicht besser geworden", sagt Gerd Höhner, der Präsident der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen.
Höhner glaubt nicht, dass es durch Corona bislang zu mehr Angststörungen gekommen ist. Das könnte sich allerdings mit einer zweiten Infektionswelle ändern: "Alle Menschen reagieren auf eine so enorme Ausnahmesituation wie diese, auch psychisch gesunde Menschen." Langfristig könne es zu "Konditionsproblemen" kommen. "Wir spüren selbst den Wunsch nach Normalität, sehen überall den zunehmend nachlässigen Umgang mit Vorsichtsmaßnahmen. Die großen Herausforderungen kommen erst mit der zweiten Welle, wenn wir sehen, dass nicht alles einfach vorbei ist."