Genf (epd). Professor Joseph Ndiane hat sich im anthrazitfarbenem Anzug und mit roter Krawatte in Schale geworfen, doch vor den Fernsehkameras fühlt er sich noch sichtlich unwohl. Doch je mehr er die gewohnte Haltung vor dem Whiteboard einnimmt und an einem Schaubild den Aufbau von Blütenpflanzen erklärt, umso lockerer wird der Lehrer, der seine Schüler unbedingt durch die Abschlussprüfungen des senegalesischen Schulsystems bringen will. Von Mitte März bis Anfang Juni waren die Schulen in dem westafrikanischen Land geschlossen, Ndianes Unterricht wurde deshalb im Fernsehen übertragen.
Nicht nur im Senegal, überall auf der Welt können Schülerinnen und Schüler wegen der Corona-Pandemie nicht zur Schule gehen. Mehr als eine Milliarde Kinder und Jugendliche, im globalen Vergleich fast zwei Drittel, sind laut der UN-Bildungsorganisation Unesco immer noch von Schulschließungen betroffen. In 122 der 193 Staaten weltweit sind Lerninstitutionen landesweit geschlossen. Vor allem in armen Ländern habe das fatale Folgen, warnt Ed Davis, der bei der Globalen Bildungspartnerschaft (GPE) in Washington, D.C. für Unterrichtsfragen zuständig ist.
Mehr Kinderschwangerschaften
"Die Folgen der Corona-Krise für die Bildung werden vernachlässigt", glaubt Davis. "Gerade diejenigen, die am Verletzlichsten sind, gehen womöglich nicht mehr in die Schule zurück, wenn wir nicht schnell etwas tun." Davis spricht aus Erfahrung. 2014 arbeitete er in Sierra Leone, als auf einmal die Ebola-Epidemie ausbrach. "Die Regierung hat die Schulen geschlossen, und wir mussten aus dem Stand ein Konzept für den Fernunterricht entwickeln."
In einem der ärmsten Länder der Welt, wo Internet, aber auch Fernsehen oder Strom nur wenigen zur Verfügung stehen, setzte man schließlich auf Unterricht über das Radio. Die Bilanz am Ende der Schließungen fiel dennoch ernüchternd aus: Viele Jungen mussten arbeiten, weil die Einkommen in der informellen Wirtschaft um zwei Drittel sanken. "Und die Kinderschwangerschaften sind sprunghaft angestiegen, 16 Prozent der Schülerinnen sind deshalb nicht mehr in den Unterricht zurück gekehrt." Nur in Dörfern, wo sichere Lernorte eingerichtet worden waren, war die Zahl der Schulabbrecher geringer.
Mädchen und junge Frauen in besonders armen Familien seien auch jetzt oftmals gezwungen, Sex gegen Geld anzubieten, um etwas zu essen kaufen zu können, weiß Meggie Mwikali Mwoka vom afrikanischen Forschungszentrum für Bevölkerung und Gesundheit in Nairobi. Sexuelle Gewalt inner- und außerhalb der Familie sei ein weiteres Problem. Zwar habe Kenias Regierung Fernunterricht über Radio, Fernsehen und das Internet organisiert. Doch nur wenige hätten die Chance, dem Unterricht zu folgen.
Bestehende Probleme verschärft
Die Corona-Krise verschärft vorhandene Probleme. In Kenia brachten in den vergangenen zwölf Monaten fast 380.000 Teenager Kinder zur Welt, das entspricht einem Fünftel aller Geburten. Auch ohne Covid-19 waren Millionen Kinder von Bildung ausgeschlossen, weil sie arbeiten mussten oder sich die Schule nicht leisten konnten. In den Sahelstaaten Burkina Faso, Mali und Niger waren Ende 2019 wegen der islamistischen Terrorgefahr 3.300 Schulen geschlossen, mit Auswirkungen auf 650.000 Schülerinnen und Schüler sowie 16.000 Lehrende.
Trotz dieser Tendenzen sei die Lage in den vergangenen Jahren insgesamt aber besser geworden, bilanziert Davis: "Wir hatten gerade deutliche Verbesserungen bei den Schülerzahlen in Afrika südlich der Sahara erreicht." Durch Corona drohe jetzt ein Rückschlag.
500 Millionen US-Dollar hat die Globale Bildungspartnerschaft nach eigenen Angaben in der Corona-Pandemie ausgegeben. Das Geld soll 355 Millionen Kindern zugute kommen, unter anderem durch Unterrichtsmaterialien, Fernunterrichtsprogramme und Fortbildungen. Gebraucht aber werde deutlich mehr, sagt Davis. "Selbst die Kinder, die dem Fernunterricht folgen konnten, haben nicht im gleichen Tempo gelernt, es gibt Defizite - die müssen aufgeholt werden." Wichtig sei es, schnell zu reagieren. "Je länger wir warten, desto schwerer wird es, alle mitzunehmen, und desto teurer wird es auch."