Frankfurt a.M. (epd). Anja erinnert sich noch gut an den Tag ihrer Scheidung. Und das nicht, weil es ein besonders scheußlicher Tag war, sondern weil er das gerade nicht war. Die 35-Jährige postete nach dem Gerichtstermin sogar ein Selfie gemeinsam mit ihrem Ex-Mann in den sozialen Netzwerken. Ihr Ex-Mann grinst, beide halten halbgefüllte Sektflöten und ein Schild in Schönschrift: "Just divorced" (frisch geschieden). Ein Foto, das eher die Anmutung einer Eheschließung hat.
Wie es zu diesem Foto kam, erzählt Anja ein paar Tage später am Telefon. Es ist die Geschichte einer Trennung, einer "guten" Trennung, wie sie sagt. Anja, die ein Faible für Handlettering hat, malte das Schild am Vorabend. Die 35-Jährige schrieb ihrem Ex-Mann außerdem eine Nachricht: "Bleibt es dabei? Du die Gläser, ich den Sekt?" Zwölf Jahre lang waren die beiden ein Paar, zwei Söhne bekamen sie gemeinsam, sie sind heute zehn und zwölf Jahre alt.
Ihren Ex-Mann lernte sie kennen, als sie 19 und er 28 Jahre alt war. Fünf Tage vor dem ersten Hochzeitstag kam ihr erster Sohn zur Welt. Das Paar entschied sich für das "klassische" Familienmodell, wie Anja es nennt. Sie blieb zu Hause, er ging arbeiten. Lange funktionierte das gut, bis Anja eine Leere spürte. Sie verzog sich abends in ihr Nähzimmer, er spielte Computerspiele. "Es fühlte sich irgendwann an, wie in einer WG zu leben. Wir hatten nicht mehr viel gemeinsam", sagt sie. Irgendwann bat sie ihren Ehemann um ein offenes Gespräch. "Danach stand für uns beide fest, dass wir uns trennen", sagt sie. Das war im Herbst 2017.
Umgang mit dem Thema "Schuld"
Doch erst behielt das Ehepaar seine Trennung noch für sich. An Weihnachten fuhr die ganze Familie noch zu Anjas Familie. "Es war alles wie immer, nur dass wir wussten, wir sind nicht mehr zusammen." Erst ein halbes Jahr nach dem Trennungsgespräch sagten sie es den Kindern. "Nach der Trennung haben wir intensiver gesprochen als in den letzten Jahren unserer Ehe", sagt Anja.
Gute Trennungen: Was wie ein Paradox klingt, kommt häufiger vor, sagen Expertinnen wie Antje Biehler-Eckardt, die als systemische Therapeutin seit zwölf Jahren Paare in ihrer Hanauer Praxis berät. Denn immer mehr Eltern kümmerten sich nach der Trennung gemeinsam weiter um die Kinder. Seit 1998 ist das gemeinsame Sorgerecht nach einer Scheidung die Regel. "In meiner Praxis sehe ich Paare, denen es zwar nicht ganz leicht fällt, sich einvernehmlich zu trennen, die aber sehr motiviert sind, im Interesse der Kinder einen guten Umgang zu finden", sagt sie.
Aus ihrer Sicht kommt es bei guten Trennungen vor allem auf drei Faktoren an. Eltern müssten für sich einen Umgang mit dem Thema "Schuld" finden. Viele Eltern hätten Schuldgefühle, weil sie ihren Kindern mit der Trennung wehtun. Außerdem müsste die materielle Situation geklärt sein und schließlich müssten Eltern die Fähigkeit entwickeln, zwischen der Paarbeziehung und der Elternfunktion zu trennen. Dafür hat sie das sogenannte Kollegen-Modell entwickelt.
Wenn Eltern sich als "Kollegen" betrachten, könnten sie oft leichter anerkennen, dass beide Elternteile dieselben Qualifikationen haben, aber Unterschiede in der Betreuung durchaus gut sind. Immer mehr Väter seien außerdem mittlerweile keine reinen Wochenend-Besuchs-Väter mehr, sagt die Therapeutin, sondern kümmerten sich gleichberechtigt um die Kinder - und hätten damit auch dieselben Alltagsprobleme.
Von der Liebes- zur "Arbeitsbeziehung"
Anja und ihr Ex-Mann klärten zunächst untereinander, wie sie ihre finanziellen Verhältnisse und die Kinderbetreuung regeln. Anja zog aus, in eine kleine Wohnung, machte eine Ausbildung zur Mediengestalterin. Die beiden Söhne blieben bei ihrem Ex-Mann im Haus wohnen. Der Moment, in dem sie mit den Kindern sprachen, sei sehr traurig gewesen, erzählt Anja. "Wir haben uns danach gefragt, ob wir das Richtige machen, weil wir den Kindern so wehtun", sagt sie. "Aber es wäre auch nicht das Beste für unsere Kinder gewesen, wenn wir zusammen geblieben wären. Wir hätten irgendwann angefangen zu streiten."
Ehemalige Partner können zueinander eine tiefer reichende Beziehung haben als zu einem zukünftigen neuen Partner, sagt der Familientherapeut Christof Latendorf, der für die Caritas in Berlin-Mitte Paare bei Trennungen begleitet. Vor ihm sitzen oft Akademikerpärchen, die sich einvernehmlich trennen möchten und nach Tipps fragen. Latendorf rät den Elternteilen auch, ihre Liebesbeziehung in eine Art "Arbeitsbeziehung" umzubauen. Dafür brauche es viel Diplomatie und auch Zurückhaltung. Latendorf spricht von drei Stufen: Klarheit, Beruhigung, Kooperation. Das sei eine Entwicklungsaufgabe und könne oft auch Jahre dauern.
Die Frankfurter Scheidungsanwältin Cornelia Staechelin wirkt in ihren Beratungsgesprächen auf ihre Mandanten ein, sich nicht zu verkämpfen. Sehr wichtig sei es, die wirtschaftliche Situation nach der Trennung zu klären. "Wirtschaftliche Nöte und Zwänge, Unterhaltsfragen, verstellen nicht selten den Blick auf eine gute Elternkooperation", sagt sie.
Anja und ihr Ex-Mann haben eine gute Lösung für die Familie gefunden, wie sie sagt. Ihre Söhne kommen sie jedes zweite Wochenende besuchen. Und wenn der Vater sie sonntags wiederabholt, wird noch gemeinsam gekocht und gegessen.