Köln/Duisburg (epd). Gordon L’habitant wird bald Vater. Wovon seine Frau und er die Erstausstattung für das Baby bezahlen sollen, ist ihm schleierhaft. Das Kurzarbeitergeld seiner Frau geht in voller Höhe an die Bank, um den Kredit für das Eigenheim abzuzahlen. Wegen der Corona-Pandemie haben die beiden derzeit für ihren Lebensunterhalt nicht mehr als 600 Euro im Monat. Eigentlich arbeitet L'habitant als Lichtoperator und verdient in der Regel im Monat 2.500 Euro netto. Aber der selbstständige Lichtoperator hat wegen den Veranstaltungsverboten nichts zu tun - und daher auch keinen Umsatz.
Im Mai bezogen nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit mehr als 5,5 Millionen Menschen Grundsicherung. Und für mehr als zwölf Millionen Beschäftigte ist seit März Kurzarbeit angezeigt worden. Auch Katrin Weiss (Name v.d. Red. geändert) wurden die Stunden reduziert. Sie macht bei einem Kölner Start-up die Lohnabrechnung. Die 23-Jährige bekommt statt rund 1.400 Euro netto nun noch knapp die Hälfte. "Für meine Zukunft ist Corona beängstigend."
Von den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie seien besonders Menschen betroffen, die für ihre Arbeit ohnehin weniger Geld als der Durchschnitt erzielen. "Wir sehen jetzt: Niedrige Einkommen sind nicht krisenfest", sagte Anja Piel, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes, dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Quälende Gedanken an Altersvorsorge
Etwa 21,7 Prozent aller abhängig Beschäftigten gehören dem sogenannten Niedriglohnbereich an. Sie arbeiten für unter zwölf Euro brutto die Stunde, erklärt die Wirtschaftswissenschaftlerin Claudia Weinkopf von der Universität Duisburg-Essen. Zum Vergleich: Während Niedriglohn-Beschäftigte in Vollzeit monatlich etwa 1.800 Euro brutto erwirtschaften, liegt das durchschnittliche Monatsbrutto aller Vollzeitbeschäftigten bei 3.800 Euro. "Durch Corona werden sich die Einkommen noch weiter auseinanderentwickeln. Und das Rentenniveau wird in den nächsten Jahren sinken", sagt Weinkopf.
Gedanken an die Altersvorsorge quälen auch Thorsten Meyer. Der 43-Jährige ist Veranstaltungstechniker aus Bremen - derzeit ohne Aufträge. Seine Frau hatte als Betreiberin eines Nagelstudios ebenfalls wochenlang keine Arbeit. Die beiden Selbstständigen hatten in Immobilien investiert, um für später vorzusorgen. "Das fliegt mir jetzt um die Ohren", sagt Meyer. Normalerweise sind es pro Monat etwa 2.500 Euro netto, die er beisteuern kann. Nun musste er "zentimeterdicke Stapel an Unterlagen" beim Jobcenter vorlegen, beklagt er. "Meine Frau sagt, ich soll mir was am Band suchen." Das fühle sich wie ein Berufsverbot an, nach zwei Jahrzehnten in der Eventbranche.
"Rasend vor Wut"
Die finanziellen Folgen der Corona-Krise seien für Selbstständige wesentlich härter als für abhängig Beschäftigte, heißt es in einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Während 15 Prozent der Angestellten in Umfragen von monatlichen Einkommensverlusten von etwa 400 Euro brutto berichten, verlieren 60 Prozent der Selbstständigen mehr als dreimal so hohe Summen. Abhängig Beschäftigte sind bei verkürzter Arbeitszeit durch das Kurzarbeitergeld abgesichert, das bis zu 67 Prozent des Nettolohns ersetzt - nicht selten wird es durch den Arbeitgeber aufgestockt. Selbstständige bekommen Soforthilfen, um Betriebsausgaben zu decken. Um ihren Lebensunterhalt zu sichern, sind viele von ihnen nun auf Grundsicherung angewiesen.
"Die bekomme ich vermutlich eh nicht", sagt Kevin Meler (Name geändert), selbstständiger Tournee-Produktionsleiter aus Nordrhein-Westfalen. Trotz 100 Prozent Auftragsverlust durch die Corona-Bestimmungen und bei 35.000 Euro Umsatzeinbußen: "Weil wir verheiratet und damit eine Bedarfsgemeinschaft sind, muss meine Frau alles zahlen. Vom Staat fühle ich mich komplett im Stich gelassen."
"Rasend vor Wut" mache das viele, gibt Andreas Lutz, Vorstandsvorsitzender des Verbands der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD), ein Stimmungsbild wieder. "Sie wollen nicht als Bittsteller behandelt werden, nachdem ihnen ihre Berufstätigkeit verboten worden ist."