Kirchen

Gottes Girl


Youtuberin Jana Highholder
epd-bild/Jörn Neumann
Vor einem Jahr begann mit "Jana" das Experiment eines christlichen Youtube-Kanals. Mittlerweile hat "Jana" fast 14.000 Abonnenten. Die evangelische Kirche will den Kanal vorerst weiterführen. Kritik gibt es an Janas konservativem Familienbild.

Im Video sitzt eine junge, fröhliche Frau mit blonden Locken auf ihrer Couch mit einer Schale Erdbeeren und einer Tasse Kaffee. Die junge Frau ist die 20-jährige Medizinstudentin Jana Highholder, die die Fragen ihrer Follower beantwortet: Es geht um alternative Medizin und um die beste Lerntaktik. Dann spricht Jana plötzlich über ihren Glauben, und es fallen Sätze wie: "Christ sein bedeutet nicht, ich verstecke mich in meinen vier Wänden und bete den ganzen Tag" und "Ich möchte nicht weltfremd sein in meinem Glauben".

Highholder ist das Gesicht des Youtube-Kanals "Jana". Der Kanal ist Teil der Medienstrategie der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). In einer Zeit, in der die Reform der Kirche auch an ihrem Fortschritt in der digitalen Kommunikation gemessen wird, scheint es geboten, junge Menschen im Netz besser zu erreichen.

Eine halbe Million Klicks

Ziel war es, Highholder zur christlichen Influencerin zu machen. Die 20-Jährige wirbt nicht für Beauty- oder Lifestyle-Produkte - sondern für eine gute Beziehung zu Gott. Bei dem Projekt sei es nicht darum gegangen, einen "Kirchenkanal" zu etablieren, sagt Thomas Dörken-Kucharz, einer der Verantwortlichen des Kanals. "Wir wollten ausprobieren, ob Glaube als Thema in den sozialen Medien funktioniert - mit einer Person verbunden, die dafür einsteht."

Vor einem Jahr startete das Experiment. Mittlerweile hat "Jana" 14.000 Abonnenten. Ursprünglich sollte das Projekt ein Jahr lang finanziert werden. Jüngst hat die EKD beschlossen, dass "Jana" mindestens bis Ende 2019 weitere Inhalte liefern soll. Daneben soll ein Konzept entstehen, um weiteren christlichen Influencern eine Plattform zu bieten. Denn die Community der Gläubigen im Netz ist vielfältig. Immer mehr junge Theologen sind auf Youtube und Instagram aktiv, auf Twitter tauschen sich kirchlich Engagierte unter dem Hashtag #digitaleKirche aus.

Verantwortlich für die Inhalte sind im Auftrag der EKD das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) und die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland (aej). Beide Organisationen reden bei der redaktionellen Gestaltung und Auswahl der Themen mit. Sie sehen Jana als Erfolg: Zumindest die Erwartungen habe man übertroffen. Die rund 120 Videos erreichen laut den Machern mehr Menschen als erwartet. Über eine halbe Million Mal wurden die Videos bislang angesehen. Zahlen dazu, was der Kanal kostet, will die EKD nicht veröffentlichen.

"Generation Lobpreis"

Highholder, die für ihre Videos ein Honorar erhält, versteht sich selbst als Künstlerin. Begonnen hat sie mit Poetry-Slam. Ihre Texte und Gedichte handeln von ihrem Glauben. Aufgewachsen ist die 20-Jährige mit zwei Brüdern in einem christlichen Elternhaus. In der Freien evangelischen Gemeinde in Koblenz wurde sie religiös sozialisiert. Bibeltreu und fromm, aber gleichzeitig mitten im Leben und manchmal frech - Highholder ist eine Vertreterin der "Generation Lobpreis". Sie gehört zur Gruppe hochreligiöser Jugendlicher, in deren Alltag der Glaube einen hohen Stellenwert einnimmt, die regelmäßig beten, in der Bibel lesen und Lobpreis-Musik hören - aber kaum Anbindung an kirchliche Institutionen haben.

Einige von Highholders Auffassungen rufen Kritik hervor. Auf ihrem Instagram-Channel spricht sie sich gegen Sex vor der Ehe aus. Nach der Veröffentlichung eines Youtube-Videos zur Rolle der Frau in Bibel und Christentum wurde Highholder vorgeworfen, ein einseitiges Frauenbild zu vertreten. Sie hatte in Anlehnung an ein Bibelzitat die Rolle des Mannes als Oberhaupt der Familie befürwortet. In christlichen Medien entstand danach eine Debatte, ob es richtig ist, dass die EKD einen Kanal finanziert, der jungen Zuschauern ein eingeschränktes Familienbild vermittelt.

Medienpädagogin Maja Götz kann die Kritik nachvollziehen. In den Videos werde aber deutlich, dass Highholder nur für sich spreche und von ihren Followern nicht verlange, so zu denken wie sie, sagt Götz. Weil sie aber gerade für ihre jüngeren Follower als Orientierung diene, solle die EKD an anderer Stelle vielfältigere Positionen ermöglichen.

An Highholder geht die Kritik nicht spurlos vorüber. Dennoch wirkt sie kämpferisch: "Ich werde lieber kritisiert für das, was ich tue, als nicht kritisiert zu werden, weil ich nichts tue", sagt sie. Sie sei an dem Projekt aber auch menschlich gewachsen. Auf dem Kanal sollen als nächstes neue Videos zu gesellschaftlich umstrittenen Themen veröffentlicht werden: Ein Video zum Thema Abtreibung ist derzeit in Planung.

Franziska Hein (epd)


Gott im Ohr


Christlicher Podcast "Hossa Talk"
epd-bild/Heike Lyding
Sie heißen "Offenbart", "Wortkollektiv" oder "Hossa Talk" - christliche Podcasts, in denen die Bibel auch mal gegen den Strich gebürstet wird.

"Ohne Tabus über geistliche Fragen sprechen", das will der christliche Podcast "Hossa Talk". In der vierzehntägig erscheinenden Sendung behandeln der Gemeindepädagoge Jakob Friedrichs und der selbstständige Autor und Musiker Gofi Müller meist "sehr persönlich" ein spezielles Thema, erzählt Friedrichs dem Evangelischen Pressedienst (epd). In den mittlerweile mehr als 120 Folgen beschäftigen sich die beiden Hessen mit Themen zur Sexualität, Fragen zum Bibelverständnis oder zum Glauben. Dies sei auch "durchaus provozierend", sagt Friedrichs.

Gerade konservative Christen hätten sich in der Anfangszeit deshalb sehr über "Hossa Talk" aufgeregt. "Das hat die doch sehr irritiert, dass wir so frei gesprochen haben", sagt Friedrichs. Aber das sei weniger geworden. Nach eigenen Angaben hat "Hossa Talk" mehr als 180.000 Seitenzugriffe pro Monat. "Wir wissen, dass uns eine ganze Menge Leute hören. Das freut uns doch schon sehr."

Podcasts werden immer beliebter, fast jeder dritte Deutsche hört sie mittlerweile regelmäßig, und es gibt kaum noch einen Inhalt, der nicht abgedeckt wird: So verfolgen in Deutschland einer Studie des Marktforschungsinstituts "Splendid Research" von 2018 zufolge etwa acht Prozent der Befragten Podcasts aus dem Themengebiet "Religion".

"Bärtiger Bibelcast"

Wie etwa den Podcast "Offenbart - der bärtigste Bibelcast im Web". Der Hamburger Vikar Lukas Klette und der Berliner Sozialarbeiter Simon Mallow lesen in "Offenbart" das Markus-Evangelium und diskutieren darüber. Die vorgelesenen Textstellen verknüpfen die beiden Anfang 30-Jährigen mit ihrem Alltag und wollen auch "mal gegen den Strich bürsten", sagt Klette. Ziel sei es, "die Bibel in unsere Zeit zu heben, und zwar so richtig und kompromisslos", ergänzt Mallow. Das machen sie seit rund zwei Jahren in nunmehr 97 Folgen.

Wie viele Zuhörer sie genau haben, sei schwer messbar. Grob gehen sie davon aus, dass jede Folge innerhalb der ersten vier Wochen von 150 bis 200 Menschen abgerufen werde. Die Rückmeldungen der Hörer sei meist positiv, sagt Klette. Kritische Feedbacks gebe es ab und an wegen ihrer "derben Sprache", fügt Mallow an - und auch, weil er manchmal Jesus etwas härter angehe. "Ich bin da nicht kritikfrei, und das ist für manche Menschen ganz schön schwierig."

Einen anderen Fokus haben die Schwestern Friederike und Svenja Nordholt gewählt, die seit rund einem Jahr den Podcast "Wortkollektiv" betreiben. "Die Idee war, die Predigt in den Fokus zu rücken", erzählt Svenja Nordholt. Sie studiert Theologie in Leipzig, ihre Schwester in Bonn. In dem Podcast wollen die Studentinnen testen, was für Möglichkeiten es gibt, die Predigt anders zu gestalten.

Dafür laden sie in jeder Folge einen Gast ein, der die Predigt hält und mit dem sie zuvor ein Gespräch führen, "um die Person kennenzulernen und das, was sie sagt, einordnen zu können", sagt Svenja Nordholt. Der Podcast sei für alle, die an Theologie interessiert seien, beschreibt die 27-Jährige. "Aber so ganz offen und nicht festgelegt auf irgendeine Frömmigkeit."

Für theologisch Versierte

Unter den deutschen christlichen Podcasts ein Urgestein ist der Bibel-Podcast "bibletunes". Seit 2010 veröffentlicht der Theologe Detlef Kühlein täglich acht- bis zehnminütige Folgen. In dem Podcast werden Verse aus der Bibel vorgelesen und das Gelesene vertieft. "bibletunes" hören nach Angaben Kühleins mehrere tausend Menschen regelmäßig.

Wie "bibletunes" ist auch der Podcast "Tischgespräche" eher für theologisch Versierte. Die Nordkirchen-Pastoren Malte Detje und Knut Nippe "bearbeiten" Glaubensthemen aus der Perspektive der Reformation, wie Detje sagt. "Tischgespräche" läuft seit zwei Jahren. Die Reichweite schätzt Detje auf 500 Hörer. "Für das Internet mögen 500 regelmäßige Hörer eine kleine Zahl sein, vergleicht man es aber mit der Reichweite einer typischen Sonntagspredigt, ist es sehr viel", findet er.

Die deutsche christliche Podcast-Szene ist noch recht überschaubar. Einige Podcaster kennen sich persönlich, viele seien vor allem auf den sozialen Medien vernetzt, wie sie erzählen. Privat orientieren sich einige an US-amerikanischen Podcasts. Friederike Nordholt von "Wortkollektiv" findet es dabei sehr praktisch, dass beim Thema Kirche in Deutschland alles etwas langsamer laufe: "In den USA ist immer alles zwei Jahre vor allem und bei der Kirche ist immer alles fünf Jahre danach", sagt die 24-Jährige mit einem Schmunzeln. "In Deutschland ist man deshalb jetzt noch am Start, wenn man auf den Podcast-Zug aufspringt."

Johanna Greuter (epd)


Wachen und Beten an den Gorleben-Kreuzen


Beharrlicher Protest an den Gorleben-Kreuzen (Archivbild)
epd-bild / Karen Miether
Sie sind nicht laut in ihrem Protest, aber beharrlich. Jeden Sonntag trifft sich die Initiative "Gorlebener Gebet" in einem Wald. Noch nie, so versichern sie, ist eine Andacht ausgefallen.

Wind streift sanft durch die Birken und Kiefern. Noch tragen die meisten der rund 20 Frauen und Männer im Wald bei Gorleben eine leichte Jacke. Sie haben Kartoffelsäcke mit Polsterung auf die Bank gelegt, auf der sie im Halbkreis sitzen. Doch die Sonne scheint schon wärmend durch die Baumkronen. "Im Winter und bei Regen sind wir manchmal sogar noch mehr", sagt Christa Kuhl. "Niemand will die anderen im Stich lassen." Egal bei welchem Wetter, jeden Sonntag kommen Menschen zu der Andacht im Freien zusammen. Darauf sind sie stolz, denn am 7. Juni feiert die Initiative "Gorlebener Gebet" ihr 30-jähriges Bestehen.

Die Gruppe rechnet sich zur Protestbewegung gegen die Atomanlagen, die am Rande des Ortes an den Wald angrenzen. Schon bald, nachdem der damalige niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) vor 40 Jahren Gorleben als Atomstandort benannt hatte, formierte sich im Wendland der Widerstand. Viele Initiativen zeichnen sich durch Beharrlichkeit aus - so wie das Gorlebener Gebet.

Aus dem Gebet wachse Kraft für Taten

1985 haben Atomkraftgegner erstmals ein Holzkreuz nach Gorleben getragen. Auseinandersetzungen mit den Behörden und mit Kirchenvertretern begleiteten seinen Weg vom Kraftwerk Krümmel bei Hamburg ins Wendland. 1988 beteiligten sich rund 6.000 Menschen an einem Friedensmarsch vom bayerischen Wackersdorf nach Gorleben. Im Anschluss hielten Pastoren und Umweltgruppen erste Andachten in dem Wald der Grafenfamilie von Bernstorff. 1989 waren sich "51 Entschlossene" einig, zu Füßen der Kreuze wollten sie regelmäßig Gebete halten, heißt es im Rückblick der Initiative. Bis heute, so betont Kuhl, sei noch keines ausgefallen. Brüchig geworden steht das Kreuz von 1988 noch, angelehnt und mit Drähten und Schellen befestigt an einen Baum.

Längst ist das "Gorlebener Gebet" anerkannt, sowohl in der Anti-Atom-Bewegung als auch in der Kirche. Neben Initiativen wie Frauengruppen gestalten Laien und Theologen die Andachten. "Wir bringen zur Sprache, was uns beunruhigt, was das Leben auf unserem schönen Planeten bedroht", sagt an diesem Sonntag der frühere Lüneburger Landessuperintendent Hans-Hermann Jantzen. Aus dem Gebet wachse Kraft für Taten, manchmal im Kleinen wie beim Anlegen einer Bienenweide. "Wir gehen getröstet und gestärkt wieder in unseren Alltag zurück." Zwanglos im Pullover steht der evangelische Ruhestandspastor in der Runde. Hinter ihm fällt der Blick auf das Bergwerk in Gorleben, den einzigen Ort, der bisher in Deutschland auf seine Eignung als Endlager für hochradioaktive Abfälle erkundet wurde.

"Bleibet hier, wachet und betet"

Zwar wurden im Zuge des Neustarts bei der Endlagersuche die Erkundungsarbeiten 2013 eingestellt. Zuletzt haben die Betreiber die Mauer rund um das Endlagerbergwerk abgerissen, eine vertrauensbildende Maßnahme, die bei den Aktiven im Wald jedoch abprallt. "Die Gefahr ist noch da, an eine offene Endlagersuche glaubt keiner hier", sagt Wilma Sturm. Ihr Mann Berthold ergänzt: "Gorleben ist als Endlager nicht geeignet. Aber es ist noch im Topf. Und hier wurde schon viel investiert, das lässt uns fürchten."

An der Andachtsstelle flattert ein Banner zwischen den Bäumen, ein Geschenk der Bürgerinitiative Umweltschutz (BI) Lüchow-Dannenberg. "Bleibet hier, wachet und betet", steht darauf. "Wir geben nicht auf", unterstreicht die 80-jährige Christa Kuhl, die seit Jahren die Andachten koordiniert. Zwei weitere Kreuze wurden bei "Kreuzwegen für die Schöpfung" nach Gorleben geschleppt. Eines davon ist schon verwittert.

Zum Jubiläum erwartet die Initiative einen prominenten Festredner, den Autor und früheren Fernsehmoderator Franz Alt (80). Gefeiert wird ausnahmsweise an einem Freitag. Denn dann ist "Gorleben-Tag" bei der "Kulturellen Landpartie". Auch das alljährliche Festival, das von Himmelfahrt bis Pfingsten ein Publikumsmagnet ist, hat seine Wurzeln im Gorleben-Widerstand. Und Franz Alt ist ein Unermüdlicher, der wie das "Gorlebener Gebet" für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung wirbt. Ausdrücklich hat er die Initiative schon in einem seiner Bücher gewürdigt: Jesus wäre heute bei Gruppen wie ihnen.

Karen Miether (epd)


Präses Rekowski nennt Christen "Sand im Getriebe der Welt"


Manfred Rekowski
epd-bild / Stefan Arend

Der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski, appelliert an Christen, sich kritisch und als "schöpferische Nonkonformisten" zu engagieren. "Christenmenschen sind nicht das Schmieröl im Getriebe der Welt, sondern wir sind Sand im Getriebe der Welt", sagte der Theologe laut Predigttext am 19. Mai in der Bonner Kreuzkirche.

Predigt zu 70 Jahre Grundgesetz

In dem Festgottesdienst zu den Bonner Tagen der Demokratie mit Würdigung des 70-jährigen Bestehens des Grundgesetzes betonte er, dass sich Christen als Menschen mit verändertem, erneuerten Sinn nicht zu schade sein dürften, in die schwierigen, kontrovers geführten "Prüfprozesse im politischen und gesellschaftlichen Leben einzusteigen". Bereits der Apostel Paulus fordere Christen dazu auf, unangepasste Zeitgenossen zu werden und sich den Regeln des gesellschaftlichen Egoismus zu verweigern.

Der leitende Geistliche der zweitgrößten Landeskirche verwies in seiner Predigt auf die Aussagen des Vaterunsers. Die Worte "Dein Reich komme! Dein Wille geschehe!" seien eine Ansage und bedeuteten, dass die bestehenden Verhältnisse nie alternativlos seien. Die Bitten des Vaterunsers seien für ihn der stärkste Ausdruck einer Haltung, die auf Distanz zur Welt gehe, sagte Rekowski. "Wir brüllen nicht mit, wenn Egoismus und Antisemitismus sich wieder ausbreiten: in unserem Land, in Europa, in der Welt. Wir schauen nicht weg, wenn fast viereinhalb Millionen Kinder in Deutschland von Armut bedroht sind."

Die freiheitlich-demokratische Grundordnung finde die Unterstützung von Christen, betonte Rekowski. "Hier gehen wir nicht auf Distanz. Aber das sieht anders aus, wenn es um die jeweils konkret gemachte Politik geht." Hier seien auch von Christen immer wieder Abstand, Distanz und Kritik gefordert.

Rekowski äußerte sich dankbar, dass Kirchen und Christen in Deutschland sich zu aktuellen Fragen in Politik und Gesellschaft kritisch äußern und engagieren dürften, ohne negative Konsequenzen zu erfahren. "Für die grundgesetzlich seit 70 Jahren garantierten Freiheitsrechte können wir außerordentlich dankbar sein und ohne Wenn und Aber sagen: Gott sei Dank!" In Freiheit zu leben, sei weltweit betrachtet eine Ausnahme. Nur vier Prozent der Weltbevölkerung genössen uneingeschränkte zivilgesellschaftliche Freiheit und lebten in den 45 Staaten, die die Grundrechte voll respektierten und schützten.



Streit um AfD-Plakat vor Mindener Kirche


Teilnehmer einer AfD-Demonstration
epd-bild /Rolf Zöllner

Im Streit um ein AfD-Wahlplakat vor einer evangelischen Kirche in Minden hat die westfälische Kirche betont, dass Wahlwerbung eine angemessene Entfernung zu kirchlichen Gebäuden haben solle. Das gelte für alle Parteien, auch für die AfD, sagte Landeskirchenrat Thomas Heinrich am 15. Mai in Bielefeld dem Evangelischen Pressedienst (epd). AfD-Vertreter hatten einem Mindener Pfarrer-Ehepaar Zerstörung eines Wahlplakates vorgeworfen. Diese Behauptung wies der Mindener Superintendent Jürgen Tiemann entschieden zurück. Er erklärte, der Kirchenkreis suche das Gespräch mit dem zuständigen AfD-Ortsverband.

Auslöser des Streits ist ein doppelseitiges Wahlplakat der AfD an einem Laternenpfahl vor der St. Lukas-Kirche in Minden. Örtliche AfD-Vertreter warfen dem dortigen Pfarrer und seiner Frau vor, sie hätten das Wahlplakat zerstören und entfernen wollen. Die AfD-Politiker erstatteten Anzeige wegen Sachbeschädigung, wie die Polizei in Minden dem epd bestätigte. Die Theologen erklärten, dass sie das Schild lediglich so drehen wollten, dass es nicht mehr auf ihr Grundstück rage.

Wie ein Sprecher der Polizei Minden dem epd sagte, sei ein Kabelbinder gelöst gewesen, das Plakat sei aber weder entfernt noch zerstört worden. Ob es weitere zerstörte Wahlplakate gebe, sei weder zu bestätigen noch auszuschließen. Die AfD hatte zuvor den evangelischen Pfarrer in Zusammenhang mit Dutzenden gestohlenen oder zerstörten Wahlplakaten in Verbindung gebracht.

Landeskirche: Wahlwerbung muss Abstand zu Kirche halten

"Wir rufen zur Europawahl auf, sind aber parteipolitisch neutral", erklärte Landeskirchenrat Heinrich. Ziel sei, dass jede Partei bei ihrer Wahlwerbung eine angemessene Distanz zu kirchlichen Gebäuden und Grundstücken wahre. "Wir hoffen, dass wir unser Ziel im Einvernehmen und auf der Grundlage von Vernunft und menschlichen Umgangsformen erreichen. Anzeigen und Rechtsstreitigkeiten gehören nicht dazu." Mit Parteien, die das anders handhabten, werde das Gespräch gesucht.

Der Mindener Superintendent Tiemann betonte, das Pfarrer-Ehepaar habe weder das Plakat an der St. Lukas-Kirche noch andere entfernt. Er habe in einer E-Mail an die AfD-Vertreter, die die Anzeige erstattet haben, den Wunsch nach Deeskalation um des Friedens in der Gemeinde willen geäußert. Darauf habe es bis zum 15. Mai noch keine Reaktion gegeben.

Die Behauptungen von Bundestags-Fraktionschefin Alice Weidel und des AfD-Landessprechers Thomas Röckemann in sozialen Medien, dass die Pfarrer AfD-Plakate zerstört und gestohlen hätten, bezeichnete Tiemann als "unsachlich, verletzend, wenn nicht sogar verleumdend", weil sie nicht den Tatsachen entsprächen.



Kirchengemeinde tauscht "Hitlerglocke" aus

Eine Glocke aus der NS-Zeit ist am 15. Mai in der evangelischen Kirche im rheinland-pfälzischen Mehlingen entfernt worden. Das Presbyterium hatte sich bereits 2017 einstimmig für das Abhängen der Glocke aus dem Jahr 1933 entschieden. Grund war die Inschrift, die mit den Worten beginnt "Ins Dritte Reich hineingeboren / hat man mich für das Wort erkoren." Die Entscheidung der Presbyter für eine neue Glocke habe viel Unruhe aus der Kirchengemeinde genommen, sagte der Dekan des Kirchenbezirks An Alsenz und Lauter, Matthias Schwarz. Pfarrerin Ute Samiec erklärte, sie sei weder auf die vielen Medienanfragen vorbereitet gewesen, noch auf die rechtsradikalen Anrufe, die sie zwischenzeitlich erreichten.

Die Glocke aus der Zeit des Nationalsozialismus geht als Dauerleihgabe an das Historische Museum der Pfalz in Speyer. Die Kosten in Höhe von rund 15.000 trägt die Evangelische Kirche der Pfalz. Das Geld für die neue Glocke stammt aus dem 150.000 Euro starken Fonds, den die Landeskirche im Zuge der Diskussion um die sogenannte Hitlerglocke in Herxheim am Berg für das Austauschen von Glocken aus der NS-Zeit aufgelegt hatte. Bundesweit wird die Zahl von Glocken aus der NS-Zeit in Kirchen beider großer Konfessionen auf etwa zwei Dutzend geschätzt.

Rücktritt

Im Zusammenhang mit Äußerungen zur Glocke musste der damalige Bürgermeister des 800 Einwohner zählenden rheinland-pfälzischen Ortes Herxheim 2017 zurücktreten. Neben Herxheim entschieden sich auch die Presbyterien in Homburg-Beeden (Saarland) und Pirmasens-Winzeln (Rheinland-Pfalz), Glocken aus dieser Zeit hängen zu lassen. In Herxheim wurde die Glocke stillgelegt und eine Mahntafel vor der Kirche errichtet.

In der Wendelinuskapelle im pfälzischen Essingen im Landkreis Südliche Weinstraße soll wie in Mehlingen ebenfalls bald eine neue Glocke klingen. Hier haben Bauarbeiten am maroden Glockenstuhl den anvisierten ursprünglichen Termin am Pfingsten platzen lassen, sagte Pfarrer Richard Hackländer. Die noch im Turm hängende Glocke ist mit einem Hakenkreuz und den Worten "Als Adolf Hitler Schwert und Freiheit gab dem deutschen Volk, goß uns der Meister Pfeifer Kaiserslautern" versehen.



Frauenhilfe fordert Umdenken in EU-Flüchtlingspolitik


Flüchtlinge auf einem Rettungsschiff im Mittelmeer
epd-bild/Danilo Campailla/Mission Lifeline

Die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen appelliert an die Bundesregierung, sich für eine humane Flüchtlingspolitik in der Europäischen Union einzusetzen. Noch immer fehle eine vernünftige europäische und deutsche Flüchtlingspolitik, heißt es in einem am 14. Mai in Soest veröffentlichten offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Trotz des anhaltenden Sterbens im Mittelmeer und der katastrophalen Lage von Flüchtlingen in Libyen seien menschenrechtsfreundliche Lösungen immer noch nicht in Sicht.

Der kirchliche Verband mahnte ein Umdenken an: So sollten ein Notfallplan für Bootsflüchtlinge entwickelt, "sichere Häfen" ermöglicht und die Rückführung nach Libyen gestoppt werden, hieß es.

Der Evangelische Frauenhilfe schließt sich damit der Forderung von mehr als 250 zivilgesellschaftlichen Organisationen an. "Wir sind erschüttert angesichts der gegenwärtigen europäischen Politik, die immer stärker auf Abschottung und Abschreckung setzt - und dabei tausendfaches Sterben billigend in Kauf nimmt", heißt es in dem Anfang April veröffentlichten Schreiben, das unter anderem von "Ärzte ohne Grenzen", Amnesty International, Diakonie und Caritas sowie dem evangelischen Hilfswerk "Brot für die Welt" unterzeichnet wurde.

Die EU hatte mit der Entscheidung, für die Mittelmeer-Mission "Sophia" keine Schiffe mehr einzusetzen, für Empörung bei Flüchtlingshelfern gesorgt. Schiffe der Mission retteten auch regelmäßig gekenterten Migranten das Leben.



Hannoversche Kirche öffnet Homosexuellen Weg zum Traualtar

Die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers öffnet homosexuellen Paaren den Weg zur kirchlichen Trauung. Die Synode beschloss am 15. Mai in Hannover einstimmig eine schriftliche Handreichung, nach der gleichgeschlechtliche Paare vor dem Traualtar künftig genauso behandelt werden wie Beziehungen von Frau und Mann. Beide Formen der Trauung sind in Deutschlands größter evangelischer Landeskirche damit völlig gleichgestellt.

Mit der liturgischen Handreichung reagiert die Landeskirche auf die Entscheidung des Bundestages zur "Ehe für alle" vom 20. Juni 2017. Die Trauung gleichgeschlechtlicher Paare ist unter den 20 Mitgliedskirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) unterschiedlich geregelt. In acht Landeskirchen gilt bereits die "Trauung für alle", darunter Oldenburg, Bremen und die Evangelisch-reformierte Kirche sowie die Kirchen in Hessen. Andere Landeskirchen sehen Segnungen in öffentlichen Gottesdiensten vor. In Württemberg und Schaumburg-Lippe sind nichtöffentliche Segnungen möglich.



Fraueninitiative "Maria 2.0" macht weiter

Frauen würden überall auf der Welt die Kirchen tragen, müssten sich aber den Männern unterordnen, kritisierte die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann. Sie begrüßte daher den Kirchenstreik der katholischen Frauen-Initiative "Maria 2.0".

Der Kirchenprotest der katholischen Fraueninitiative "Maria 2.0" soll weitergehen. So ist für den 6. Juli eine große Kundgebung auf dem Prinzipalmarkt in Münster geplant, wie die Vorstandsvorsitzende des Diözesanleitungsteams der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) im Bistum Münster, Judith Everding, dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Wochenende sagte. Dann wolle man lautstark für mehr Gleichberechtigung in der katholischen Kirche werben.

Eine Woche lang hatten Frauen in vielen deutschen Bistümern ihre ehrenamtliche Tätigkeit in Einrichtungen der katholischen Kirche eingestellt und keine Kirche mehr betreten. Betroffen waren unter anderem die Kommunionsvorbereitung oder die Flüchtlingsarbeit. Auch Gemeindebibliotheken oder Kleiderkammer mussten geschlossen bleiben. Mit einem Wortgottesdienst vor der Heilig-Kreuz-Kirche in Münster endete am 18. Mai die erste Protestaktionswoche von "Maria 2.0".

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer unterstützt den Kirchenprotest von "Maria 2.0". Diese Aktion sei "ein öffentlicher Aufschrei: So kann es nicht weitergehen", sagte Dreyer der "Frankfurter Rundschau". Diejenigen, die "Maria 2.0" gestartet hätten, "sind keine radikalen Frauen am Rande, sondern sie kommen aus der Mitte der Gemeinden". Dreyer gehört dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) an.

Sie sei überzeugt, "dass die gleiche Teilhabe von Frauen an Diensten und Ämtern mit darüber entscheiden wird, ob die katholische Kirche auch in Zukunft Menschen für das Evangelium gewinnen kann", fügte Dreyer hinzu. Sie erlebe, "dass die Argumente, die die Frauen ausschließen, niemanden mehr überzeugen. Hier muss sich die Kirche bewegen".

Käßmann lobt: "Respekt, Schwestern"

Die evangelische Theologin Margot Käßmann erklärte in der "Bild am Sonntag" ihre Sympathie für die katholische Aktion: "Ich kann nicht anders, als mich daran zu freuen. Respekt, Schwestern! Und: Das wurde auch Zeit". Die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) betonte, die evangelische Kirche habe viele Jahre diskutiert, ob Frauen Pfarrerinnen werden könnten. Am Ende sei klar gewesen: Es gebe keine theologischen Gründe, die dagegen sprächen, allenfalls die Tradition.

Käßmann: "Tradition ist gut, wenn sie Menschen beheimatet. Aber sie muss verändert werden, wenn sie Menschen ausgrenzt! Es wird Zeit, dass Frauen endlich öffentlich die Kirchen repräsentieren, aber auch die anderen Religionsgemeinschaften, das Judentum, den Islam. Wenn uns angeblich die Hälfte des Himmels gehört, können wir das ja hier auf Erden schon mal einüben."

Die katholische Laienbewegung "Wir sind Kirche" bezeichnete den Protest von "Maria 2.0" als "Weckruf". Die Organisation dankte den Initiatorinnen der Münsteraner Gemeinde Heilig Kreuz für ihre neue Aktionsform des Streiks "als vorletztes Mittel vor dem Kirchenaustritt, um endlich Bewegung in die Frauenfrage zu bringen". Die bisherigen theologischen Argumentationen, Gebete, Aufrufe und Mahnwachen hätten zwar einen "Bewusstseinswandel im Kirchenvolk, aber immer noch keine wesentlichen Änderungen in der Struktur der römisch-katholischen Kirche gebracht". Diese schließe "in unbiblischer Weise immer noch Frauen von allen Weiheämtern aus".

Mit-Initiatorin Everding sagte, auch wenn die Aktionen der Fraueninitiative vermutlich nicht überall Zustimmung gefunden hätten, so habe man mit den Protesten doch ein wichtiges Zeichen gesetzt und dafür gesorgt, dass die Frauen in der katholischen Kirche ihre Stimme einbringen konnten und "diskussionsfähiger" wurden. Zudem sei sie positiv überrascht von der großen Resonanz, die die Aktionen in ganz Deutschland und auch im Ausland gefunden hätten.

Wie hoch die Beteiligung in den Bistümern ausfiel, könne derzeit noch nicht gesagt werden. Dazu sollen in den kommenden Tagen noch Auswertungen folgen.

Die deutschen Bistümer hatten sehr unterschiedlich auf die Proteste von "Maria 2.0" reagiert. Viele zeigten sich zurückhaltend oder gar ablehnend, einige wenige begrüßten den Kirchenstreik ausdrücklich. Das ergab eine Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) von Mitte Mai unter den 27 deutschen Diözesen, die zur Deutschen Bischofskonferenz gehören.



Der Kölner Dom öffnet sich


Hedi Michels (von links), Andrea Petzenhauser, Susanne Rückes, Claudia Drolshagen sind die neuen Domschweizerinnen.
epd-bild/Guido Schiefer
Im Kölner Dom fällt eine Männer-Bastion: Zum allerersten Mal seit Jahrhunderten nehmen nun auch vier Frauen ihre Tätigkeit als Domschweizerinnen auf und achten künftig auf gutes Benehmen der Besucher.

"Die Kirche öffnet sich, das war für mich der entscheidende Punkt", sagt Andrea Petzenhauser. Die 35-jährige gebürtige Bayerin hat eine volle Stelle als Wirtschaftsjuristin in einem Kölner Unternehmen. Und arbeitet jetzt zusätzlich 24 Stunden im Monat als Domschweizerin. "Ich möchte Teil der Entwicklung sein, die gerade im Gang ist. Die Tür geht gerade ein Stück weit auf", sagt sie. Das hier sei ihr kleiner Beitrag, daran teilzuhaben. Der Kölner Dom nimmt damit eine Vorreiterposition in Deutschland ein: "Uns sind keine weiteren Domschweizerinnen bekannt", sagt Dom-Sprecher Markus Frädrich.

Frauen zum Amt der Domschweizer zuzulassen, sei ein richtiger und wichtiger Schritt, sagt Dompropst Gerd Bachner. Das Domkapitel habe allein darüber entscheiden können: "Wir unterstützen das Anliegen der Frau in Führungspositionen. Dies ist eine Bereicherung für alle Besucher." Aber auch der Kölner Erzbischof, Rainer Maria Kardinal Woelki, halte diesen Schritt für absolut richtig, betont der Dompropst: "Wir waren uns da ganz einig."

Lange rote Roben mit schwarzem Samtbesatz

Genau wie ihre männlichen Kollegen tragen die neuen Domschweizerinnen, die zwischen 35 und 58 Jahre alt sind, lange rote Roben mit schwarzem Samtbesatz und im Winter dazu noch schwarze Mützen. Zur Ausstattung gehört zudem ein Holzkasten mit einem Schlitz für Spenden für den Dom. Andrea Petzenhauser tritt ihren Dienst samstags um 5.40 Uhr an. Denn um 6.00 Uhr öffnet die Kathedrale ihre Pforten für die Besucher.

"Ich finde es wunderschön, die Sonne durch die Fenster aufgehen zu sehen", sagt sie. Statt in der Freizeit einem Hobby nachzugehen, gehe sie zum Arbeiten in den Dom. Sie freue sich darauf, auf ganz unterschiedliche Menschen zu treffen. "Und das wird sicherlich auch die größte Herausforderung sein", sagt die Domschweizerin.

Für Ruhe und Ordnung sorgen

Die wichtigste Aufgabe der insgesamt 30 Domschweizer ist es, den bis zu 30.000 Besuchern täglich als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen. Sie beantworten Fragen, etwa, wo sich denn das Gerhard-Richter-Fenster oder der Dreikönigsschrein befinden. Außerdem haben sie für Ruhe und Ordnung zu sorgen. So achten sie darauf, dass sich die Besucher an die Vorschriften halten: Männer dürfen keinen Hut und keine Baseball-Kappen tragen, Hunde dürfen nicht mit rein. Und es reicht nicht aus, im Sommer nur mit einem Bikini bekleidet zu sein.

Bevor sie den Dom abends abschließen, müssen sie sicher stellen, dass sich niemand mehr im Gebäude befindet. "Etwa einmal im Jahr verstecken sich ein paar Jugendliche im Dom", sagt Marco Felgenheuer (27), der seit rund drei Jahren hauptberuflich Domschweizer ist. Ab und zu müsse man auch schon mal alkoholisierte Besucher hinausbegleiten, wenn sie andere störten. "Ich sage immer: Köln hat so viele Quadratmeter. Da kann man sich wenigsten hier würdevoll verhalten."

"Ich bin stolz und glücklich, hier zu sein"

Je nach Stoßzeiten arbeiten die Domschweizer in Gruppen von vier bis acht Menschen. "Wenn Probleme auftreten, können wir die Kollegen per Funk zu Hilfe holen", sagt Felgenheuer. Aber das sei sehr selten nötig. Allerdings werde es auch nie langweilig. Der Kölner Dom ist mit sechs Millionen Besuchern im Jahr der meist besuchte Ort Deutschlands. Vor allem an schönen Sommertagen ist der Andrang groß.

Die Domschweizer blicken auf eine lange Tradition zurück: "Sie sind seit dem 17. Jahrhundert am Kölner Dom belegt", erzählt Dom-Sprecher Frädrich, es habe sie aber vermutlich schon im Mittelalter gegeben. Der Begriff hat tatsächlich mit dem Alpenland zu tun. Denn ursprünglich handelte es sich bei den Dom- oder Kirchenschweizern um ehemalige Soldaten aus der Schweiz, die ins Ausland gingen, um dort als Leibgardisten oder Wachpersonal ihr Geld zu verdienen.

Für Domschweizerin Hedi Michels (58) geht mit dem Amt ein Kindheitstraum in Erfüllung: "Im Dom spüre ich, dass ich in meinem Glauben angekommen bin." Sie hat ihren Dienst als Krankenschwester in einem Krankenhaus in Bergisch-Gladbach reduziert, um das Amt anzunehmen. Sie tritt damit in die Fußstapfen ihres Urgroßvaters, der als Kirchenschweizer in Oberhausen tätig war. "Ich bin stolz und glücklich, hier zu sein. Vielleicht gelingt es mir, etwas von dieser Begeisterung weiterzutragen."

Barbara Driessen (epd)


Rheinische Kirche unterstützt den Schutz der Bienen

Immer mehr Kirchenkreise und Gemeinden in der Evangelischen Kirche im Rheinland starten nachhaltige Projekte für den Schutz der Bienen. "Die Bewahrung der Schöpfung ist Christinnen und Christen nicht nur zum Weltbienentag eine Verpflichtung", sagte der rheinische Vizepräsident Johann Weusmann am 16. Mai in Düsseldorf. Denn Bienen leisteten durch die Bestäubung der Pflanzen einen unverzichtbaren Beitrag zum Erhalt von Artenvielfalt und Ökosystem.

"Die nachhaltige Gestaltung unserer Lebenswelt beginnt mit kleinen Schritten vor der eigenen Haustür", betonte Weusmann. So hat zum Beispiel der Kirchenkreis Kleve 100 Samentüten zum Anlegen von Blühstreifen auf Kirchengrundstücken an seine 19 Gemeinden sowie alle Pfarrerinnen und Pfarrer verschickt. Daraus sollen bunte Wiesenstreifen wachsen, die Bienen und anderen Insekten neuen Lebensraum geben. Auch rund um das Landeskirchenamt der rheinischen Kirche in Düsseldorf blüht und summt es in der warmen Jahreszeit: Bereits 2015 wurden dort vier Bienenvölker auf dem Gelände angesiedelt.

Die Vereinten Nationen (UN) haben den 20. Mai zum Weltbienentag ausgerufen. Er wird in diesem Jahr zum zweiten Mal begangen. Die UN möchten damit die Bedeutung der Bienen für die weltweite Ernährung unterstreichen. Außerdem sollen die Bedrohungen, unter denen Honigbienen, Wildbienen und andere Insekten leiden, stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken. Nach Angaben des Weltrats für Biologische Vielfalt sorgen Bienen und andere Insekten mit ihrer Bestäubung jedes Jahr weltweit für Nahrungsmittel im Wert von bis zu 500 Milliarden Euro.



Pfadfinder wollen Nachhaltigkeitsziele vermitteln

Die Mitgliedsgruppen des Verbandes Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder (VCP) wollen die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen noch stärker als bisher durch ihre Arbeit an junge Menschen vermitteln. Dieses Ziel setzte sich die 50. Bundesversammlung des VCP, die am 19. Mai auf Burg Rieneck in Unterfranken endete. Die Nachhaltigkeitsziele seien eng verbunden mit den Grundsätzen des Pfadfindens, hieß es in der Mitteilung des VCP.

Im Verband Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder sind bundesweit rund 47.000 Mädchen und Jungen, Frauen und Männer aktiv. Rund 5.000 junge Menschen engagieren sich ehrenamtlich. Erziehung zu Toleranz und Demokratiefähigkeit, Schutz von Natur und Umwelt, die Orientierung am Evangelium, Internationalität, aber auch Spaß am Abenteuer sind Schwerpunkte der Arbeit im VCP.



Papst fährt mit Flüchtlingskindern Papamobil

Papst Franziskus hat bei der Generalaudienz am 15. Mai mehrere Flüchtlingskinder auf der Fahrt durch die Menge im Papamobil mitgenommen. Vatikansprecher Alessandro Gisotti zufolge waren einige von ihnen mit Flüchtlingsbooten, andere über einen humanitären Korridor von Libyen nach Italien gelangt. Die in einem kirchlichen Zentrum in der Nähe von Rom untergebrachten Kinder stammen demnach aus Syrien, Nigeria und dem Kongo.

Der Umgang mit Flüchtlingen ist eines der zentralen Themen des Pontifikats von Franziskus. Kurz nach seiner Wahl zum Kirchenoberhaupt wählte er 2015 als erstes Reiseziel die Insel Lampedusa, um dort Überlebende eines verheerenden Bootsunglücks mit bis zu 1.000 Toten zu treffen. Ein Jahr später besuchte er den Hotspot auf der griechischen Insel Lesbos und nahm auf dem Rückflug mehrere syrische Familien nach Rom mit.



Ticketverkauf für Kirchentag gestartet

Gut fünf Wochen vor dem Kirchentag in Dortmund hat der Vorverkauf für die Großveranstaltung begonnen. An 43 Verkaufsstellen in ganz Deutschland können ab sofort Dauer-, Tages- oder Abendkarten sowie Tagungsmappen mit dem Kirchentagsprogramm gekauft werden, wie die Geschäftsstelle am 13. Mai in Dortmund mitteilte.

Eine Dauerkarte für das Protestantentreffen vom 19. bis 23. Juni kostet zum Normalpreis ohne Übernachtung 108 Euro, eine Tageskarte 35 Euro und eine Abendkarte 16 Euro. Außerdem gibt es vergünstigte Karten unter anderem für Familien, Studenten und Senioren. Die Karten enthalten einen Fahrausweis für das gesamte Tarifgebiet des Verkehrsverbunds Rhein-Ruhr und für das Gebiets des Westfalentarifs.

Unter den Verkaufsstellen sind den Angaben zufolge viele christliche Buchhandlungen und Weltläden. In Dortmund können Interessierte an fünf Orten Eintrittskarten erwerben: im Reinoldiforum, in der Buchhandlung Bonifatius, bei Dortmund Tourismus, im Kundencenter des Verkehrsbetriebs DSW 21 und in der Geschäftsstelle des Kirchentages in der Kronenburgallee 7. Besucher können zudem Tickets online bestellen und sie während des Kirchentages direkt auf dem Veranstaltungsgelände erwerben.

Zum 37. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dortmund werden bis zu 100.000 Dauerteilnehmer und viele tausend Tagesbesucher erwartet. Das Protestantentreffen steht unter der Losung "Was für ein Vertrauen". Auf fast 2.400 Veranstaltungen sollen neben Glaubensfragen auch gesellschaftliche Themen wie Migration, Umwelt und Frieden in den Blick gerückt werden.



Kirchentag verlost BVB-Tickets unter privaten Gastgebern

Wer ein Privatquartier für Gäste des Kirchentages in Dortmund zur Verfügung stellt, kann Tickets für Heimspiele von Borussia Dortmund gewinnen. Unter sämtlichen Gastgebern würden je zehn VIP- und Tribünenkarten verlost, teilte der Kirchentag am 14. Mai in Dortmund mit. Das Ziel für die Anzahl der Privatquartiere für Kirchentagsbesucher sei fast erreicht.

Unterkünfte für private Gäste könnten noch bis zum 22. Mai angeboten werden. Die Organisatoren suchen den Angaben zufolge nicht nur Gästezimmer. Ein Bett, ein Sofa oder eine Liege und ein kleines Frühstück am Morgen reichten völlig aus. Der 37. Deutsche Evangelische Kirchentag findet vom 19. bis 23. Juni in Dortmund statt. Erwartet werden bis zu 100.000 Dauerteilnehmer und Tausende Tagesgäste.



Lieder-App "Cantico" erscheint zum Kirchentag

Eine App mit Liedern des Evangelischen Gesangsbuchs veröffentlicht die Evangelische Landeskirche in Württemberg zum Deutschen Evangelischen Kirchentag (19. bis 23. Juni) in Dortmund. Die kostenlose App "Cantico" enthalte 33 Lieder, weitere könnten über InApp-Käufe erworben werden, teilte die Landeskirche am 14. Mai mit. Bis Ende 2020 solle in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) das komplette Evangelische Gesangbuch mit allen Regionalteilen als InApp-Kauf abrufbar sein.

"Das Smartphone und die Apps sind der heutige Kommunikationsweg Nummer eins", sagte Landeskirchenmusikdirektor Matthias Hanke. Ziel sei es, dass "Cantico" die Anlaufstelle für christliches und geistliches Liedgut werde. Den Nutzern stehen zu allen Liedern Texte und Noten zur Verfügung. Zudem lassen sich die Noten und der Text mit Hilfe farblicher Markierungen verfolgen, so dass die richtige Stelle des Liedes immer im Blick bleibt. Außerdem können Gesang und Melodie einzeln abgespielt werden. Die App sei auch offline nutzbar.

Weitere Funktionen sind in Planung. So solle die App zukünftig für Kirchengemeinden eine Beamer- und Liedplanungsfunktion beinhalten. Die App sei zunächst für Apple-Geräte mit dem Betriebssystem iOS verfügbar, in Kürze werde sie auch für Android-Geräte erscheinen. Die erste Liedsammlung, die es den Angaben zufolge für 7,99 Euro zu erwerben gibt, ist das Kirchentagsliederbuch #lautstärke.



Zweite westfälische Vesperkirche startet 2020 in Bielefeld

Die Neustädter Marienkirche in Bielefeld wird im Februar 2020 zur zweiten Vesperkirche in Westfalen. Drei Wochen lang sollen täglich 400 Menschen in der Kirche eine kostengünstige Mittagsmahlzeit erhalten, teilte der Sprecher der Vesperkirche, Uwe Moggert-Seils, am 13. Mai mit. Neben dem gemeinsamen Essen werde es vom 3. bis 24. Februar 2020 jeden Tag einen kurzen geistlichen Impuls sowie ein Kulturprogramm geben.

Ziel sei, dass bei den Mahlzeiten ganz unterschiedliche Menschen miteinander ins Gespräch kommen, hieß es weiter. "Wir möchten eine würdevolle Begegnung von Menschen im spirituellen Raum einer Kirche ermöglichen", sagte die Pfarrerin der Neustädter Mariengemeinde, Christel Weber. Die Gemeinde habe sich gefragt, wie sie dem diakonischen Auftrag als Kirche mitten in der Stadt gerecht werden könne und den Impuls für das Projekt gegeben, erklärte Weber.

Freiwillige gesucht

Für die Essensausgabe und weitere organisatorische Aufgaben werden nach Veranstalter-Angaben täglich rund 35 Freiwillige benötigt. Ab September können sich Einzelpersonen, Gruppen, Vereine, Belegschaften oder Schulklassen dafür auf der Homepage der Vesperkirche eintragen, kündigte Moggert-Seils an. Finanziert werde das Projekt zu 100 Prozent aus Spendenmitteln, veranschlagt sei ein hoher fünfstelliger Betrag.

Träger der Vesperkirche ist der Vorstand des Evangelischen Kirchenkreises Bielefeld. Mit der Vesperkirche werde zum ersten Mal in Bielefeld ein so großes gemeinsames Projekt von Diakonie und verfasster Kirche auf den Weg gebracht, erklärte der Geschäftsführer der Diakonie für Bielefeld, Marc Korbmacher, der die Organisationsleitung übernommen hat.

Das aus Süddeutschland stammende Konzept der Vesperkirche wurde im westfälischen Raum erstmals 2018 in der Gütersloher Martin-Luther-Kirche umgesetzt. In NRW kamen in diesem Jahr Kirchen in Velbert und Wülfrath hinzu.




Gesellschaft

Zehntausende demonstrieren für solidarisches Europa


Demonstrantin vor der Alten Oper in Frankfurt am Main
epd-bild/Heike Lyding
Unter dem Motto "Ein Europa für Alle" haben in sieben deutschen Großstädten Menschen für eine EU der Menschenrechte, der sozialen Gerechtigkeit und des ökologischen Wandels demonstriert. Die Veranstalter sprachen von über 150.000 Teilnehmern.

Eine Woche vor der Europawahl sind in ganz Deutschland am 19. Mai Zehntausende Menschen gegen Rechtspopulismus und für ein soziales Europa auf die Straße gegangen. Aufgerufen hatte das Bündnis "Ein Europa für alle - Deine Stimme gegen Nationalismus". Auf Plakaten und Transparenten verliehen die Demonstranten ihren Forderungen Nachdruck, bei der Europawahl das Feld nicht den Populisten und Rechtextremisten zu überlassen. Die größte Kundgebung fand den Angaben zufolge in Köln mit 45.000 Teilnehmern statt. Bundesweit waren laut Veranstaltern über 150.000 Menschen auf der Straße.

Das europaweite Bündnis hatte zu rund 50 Veranstaltungen in 13 Ländern der EU aufgerufen, darunter Polen, Bulgarien, Schweden, Dänemark, Frankreich, die Niederlande und Spanien. In Deutschland gab es Demonstrationen neben Köln in Berlin, Hamburg, Leipzig, Frankfurt, Stuttgart und München. Der Protest wurde unterstützt von zahlreichen Organisationen, darunter den Gewerkschaften, dem Paritätischen Gesamtverband, Attac, den NaturFreunden Deutschlands, Pro Asyl und kirchlichen Hilfswerken.

Bischof warnt vor Populisten

In Köln zählten die Veranstalter rund 45.000 Teilnehmer, die Polizei sprach von bis zu 30.000. Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) appellierte, sich an der EU-Wahl zu beteiligen. An einem Bühnenprogramm beteiligten sich Kölner Bands wie die Höhner, Brings und BAP mit Sänger Wolfgang Niedecken.

In Berlin gingen bei strahlendem Sonnenschein mehrere Tausend Menschen gegen Rechtspopulismus und für ein soziales Europa auf die Straße. Laut Veranstalterangaben zogen rund 20.000 Menschen vom Alexanderplatz zur Siegessäule am Großen Stern, die Polizei zählte etwa die Hälfte, wie ein Sprecher auf Anfrage mitteilte.

Auf der Abschlusskundgebung vor der Siegessäule warnte der Berliner evangelische Bischof Markus Dröge vor einem Erstarken der Populisten im neuen Europaparlament. Dagegen müssten die Bürger ein Zeichen setzen und wählen gehen. Europa sei nicht perfekt, es gebe viel zu ändern. Dies müsse aber weiter im Geist der Partnerschaft, der Völkerverständigung und der Versöhnung erfolgen. Populisten spielten dagegen "mit dem Feuer völkischer Ideologien und nationalem Egoismus", um das Friedensprojekt Europa von innen heraus zu schwächen, so Dröge.

Wahlaufruf

Auch Christoph Bautz von Campact rief dazu auf, zur Wahl zu gehen. Zugleich forderte er vom neuen Parlament in Straßburg ein sozialeres Europa mit europäischem Mindestlohn und Grundeinkommen. Zudem müsse der Kampf gegen die Klimakrise auf EU-Ebene angegangen und die EU-Landwirtschaftspolitik endlich ökologisch ausgerichtet werden. Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl, betonte, am Beispiel der Flüchtlingspolitik zeige sich, wie zivilisatorische Standards in der EU eingerissen würden.

Bei der Großdemonstration in München kamen nach Veranstalterangaben am frühen Nachmittag etwa 20.000 Demonstrierende zusammen. Matthias Jena, Vorsitzender des DGB Bayern, forderte gute Arbeitsbedingungen statt eines Dumping-Wettbewerbs in ganz Europa. Auf dem Münchner Odeonsplatz rief Jena nach Angaben des Gewerkschaftsbundes dazu auf, die Europäische Union als "Vorbild für eine faire Globalisierung" aufzustellen.

In Hamburg folgten mehrere Tausend Menschen dem Aufruf des Bündnisses. Nach Angaben der Polizei hatten sich rund 12.000 Menschen am Mittag auf dem Rathausmarkt versammelt, um durch die Innenstadt zu ziehen. Auch in anderen deutschen Städten fanden Demonstrationen gegen einen Rechtsruck im Europaparlament statt. In Leipzig versammelten sich laut Veranstalter rund 10.000 Menschen, in Stuttgart kamen auf dem Arnulf-Klett-Platz 12.000 Menschen zusammen.



Deutsche vertrauen Kommunalpolitikern am stärksten

Die deutsche Bevölkerung vertraut einer Umfrage des Bielefelder Soko-Instituts zufolge eher ihren kommunalen Vertretern (48,5 Prozent) als ihren Bundes- (28,3 Prozent) oder Europapolitikern (31,8 Prozent). "Bei Bürgermeistern liegt die Quote gar bei 63,8 Prozent", teilte die Bertelsmann Stiftung am 20. Mai in Gütersloh mit. Das Soko-Institut befragte den Angaben zufolge im Auftrag der Stiftung im März und April 2.004 Bundesbürger repräsentativ zu Aspekten der Kommunalpolitik.

Die meisten Befragten interessieren sich der Umfrage zufolge vor allem für die Bundespolitik (77,7 Prozent), gefolgt von der kommunalen (66,2 Prozent) und der europäischen (61 Prozent) Ebene. Dabei sei das Interesse der über 75-Jährigen an der Kommunalpolitik fast doppelt so hoch wie das der bis 25-Jährigen.

Jeder zweite Befragte (55,3 Prozent) gab den Angaben zufolge an, sich nicht ausreichend an Entscheidungen vor Ort beteiligt zu fühlen. In Großstädten liege der Wert bei 65,8 Prozent. Die Beteiligung sei ein wichtiger Faktor für das Vertrauen in die Entscheidungsträger vor Ort, hieß es. So erzielten Bürgermeister, deren Bürger sich ausreichend beteiligt fühlten, höhere Vertrauenswerte (73,7 Prozent) als diejenigen, bei denen das nicht der Fall ist (55,8 Prozent). Die höchste Zustimmungsquote unter den Beteiligungsformen hat den Angaben zufolge die öffentliche Ratssitzung (78,4 Prozent).



"Lifeline"-Kapitän Reisch zu Geldstrafe verurteilt


Rettungsschiff "Lifeline" (Archivbild)
epd-bild/Hermine Poschmann/Mission Lifeline
Seit Juli 2018 stand Claus-Peter Reisch in Malta vor Gericht, nun fiel das Urteil: Der Kapitän des Flüchtlingsrettungsschiffs "Lifeline" soll 10.000 Euro zahlen. Die Helfer wollen das Urteil anfechten - und bald wieder Flüchtlinge aus Seenot retten.

Nach fast einjährigem Prozess ist der Kapitän des Flüchtlingsrettungsschiffs "Lifeline", Claus-Peter Reisch, in Malta zu einer Geldstrafe von 10.000 Euro verurteilt worden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass das Schiff der Dresdner Hilfsorganisation "Mission Lifeline" fehlerhaft registriert wurde, wie die Organisation am 14. Mai in Maltas Hauptstadt Valletta erklärte. Das Urteil sei desaströs, schrieb "Mission Lifeline" auf Twitter, und fügte hinzu: "Wir gehen in Berufung."

Die "Lifeline" hatte im Sommer 2018 erst nach tagelanger Irrfahrt mit 233 Flüchtlingen an Bord die Erlaubnis erhalten, in Valletta anzulegen. Das in den Niederlanden registrierte Schiff wurde beschlagnahmt. Es im Hafen einsatzbereit zu halten, kostete den spendenfinanzierten Verein seither nach eigenen Angaben rund 500 Euro am Tag. Der 58 Jahre alte Bayer Reisch stand seit Anfang Juli 2018 vor Gericht. Der Prozess hatte sich immer wieder verzögert, es gab acht Verhandlungstage. Als Höchststrafe drohte Reisch bis zu ein Jahr Haft.

"Das war ein politisches Urteil", sagte "Mission Lifeline"-Sprecher Axel Steier dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Valletta: "Seenotrettung soll bestraft werden." Die Geldstrafe sei wegen der angeblich falschen Registrierung des Schiffes verhängt worden. Dass die niederländischen Behörden noch im September 2018 ein Dokument mit der Registrierung vorgelegt hätten, habe das Gericht ignoriert, erklärte Steier und betonte: "Wir werden nicht zahlen. Wir fahren im Juni wieder raus."

Um bei der nächsthöheren Instanz in Malta Berufung gegen das Urteil einzulegen, hat die Organisation laut Steier eine Woche Zeit. Das Gericht müsse dann binnen eines Jahres eine Entscheidung treffen. Bis dahin bleibe die "Lifeline" beschlagnahmt, erklärte der Sprecher. Die Hilfsorganisation wolle daher ab kommendem Monat mit einem neuen, spendenfinanzierten Schiff seine Rettungseinsätze im Mittelmeer wieder aufnehmen.

"Hanebüchen"

Dass das Gericht Reischs Handeln als humanitären Akt anerkannt und festgestellt habe, die Rettung von Flüchtlingen aus Seenot sei keine Geschäftstätigkeit, bezeichnete Steier als unglaubwürdig: "Dann hätte der Richter Reisch freisprechen müssen", sagte er dem epd. In Wirklichkeit gehe es darum, Seenotrettung zu kriminalisieren.

Ähnlich äußerten sich nach dem Urteil Vertreter aus Politik und Gesellschaft in Deutschland. Die Linkspartei bezeichnete das Urteil auf Twitter als "hanebüchen". Private Seenotretter sollten weiter eingeschüchtert werden. "Unsere Solidarität geht an @ClausReisch", schrieb die Linke.

Die Berliner Hilfsorganisation Sea-Watch twitterte, Reischs Verurteilung zeige, dass Seenotrettung kein Verbrechen sei. "Dass Registrierungsfragen über die Rettung von Menschenleben entscheiden ist zynisch, die Todesrate ist hoch wie nie", erklärte der Verein.

Der Vizepräsident des bayerischen Landtags, Markus Rinderspacher (SPD), schrieb auf Twitter, Seenotrettung sei "praktizierte Humanität". "Die grundlegendste Form, die Menschenwürde zu achten, ist es, Menschenleben zu retten", erklärte der Politiker.

Der Berliner Grünen-Politiker und Kandidat für die Europawahl, Erik Marquardt, beklagte, das Urteil versenke europäische Werte im Mittelmeer. Es gehe nicht um eine Schiffsregistrierung, sondern darum, "dass mit allen Mitteln versucht wird, das Retten zu bestrafen und das Sterbenlassen zu normalisieren", schrieb er auf Twitter.



Bielefelder OB mahnt Verständnis gegenüber Zuwanderern an

Der Bielefelder Oberbürgermeister Pit Clausen fordert eine positivere Haltung und mehr Engagement für Flüchtlinge. Auf einer Tagung in der evangelischen Akademie Villigst in Schwerte zu "Kirche und Migration" verwies der SPD-Politiker am 18. Mai auf die Spielräume der Kommunen bei der Aufnahme von Flüchtlingen. So habe er sich in im vergangenen Jahr, als sich Italien und Malta weigerten, aus Seenot gerettete Flüchtlinge aufzunehmen, gemeinsam mit anderen Großstädten in NRW wie Bonn, Köln und Düsseldorf dafür stark gemacht, mehr Menschen aufzunehmen, als die Stadt verpflichtet gewesen wäre. Der Soziologe Aladin El-Mafaalani betonte auf der Tagung allerdings, dass Integration von Zuwanderern stets auch eine Zunahme von Verteilungskonflikten bedeute

Der Beauftragte der Evangelischen Kirchen von Westfalen für Zuwanderungsarbeit, Helge Homann, kritisierte, dass die Politik zwischen Willkommenskultur und Abschottung schwanke. Asylsuchende würden als erstes über Rückkehrmöglichkeiten in ihre Heimat belehrt und nicht willkommen geheißen. Homann beklagte, dass es bei vielen Menschen noch rassistische Grundhaltungen gebe. Die Kirche müsse mit Aufklärung und Bildung dagegenhalten.

Migrationsexperte: Integration bedeutet auch mehr Konflikte

Landeskirchenrat Jan-Dirk Döhling forderte zu mehr Wahrhaftigkeit auf. Dazu gehöre die Einsicht, dass die Schließung der Grenzen und Abkommen mit Mittelmeeranrainerstaaten und afrikanischen Ländern, die an wichtigen Fluchtrouten liegen, zu mehr Toten auf der Flucht und unmenschlichen Bedingungen in den Flüchtlingscamps führten. Kirche müsse sich hier klar auf die Seite der Opfer stellen und auch den öffentlichen Streit suchen.

Die Integration von Migranten in Deutschland bedeutet nach Auffassung des Soziologen Aladin El-Mafaalani auch eine Zunahme von Verteilungskonflikten. "Integration bedeutet, dass sich mehr Menschen an einen Tisch setzen", sagte El-Mafaalani, Abteilungsleiter im NRW-Integrationsministerium auf der Tagung in Schwerte. Wenn der zu verteilende Kuchen nicht größer werde, seien die Folge programmiert: "Es gibt mehr Konflikte." Dies sei jedoch nicht nur negativ zu beurteilen. "Konflikte haben eine wichtige Funktion für den sozialen Frieden."

Die Entwicklung der zurückliegenden 30 Jahren zeige eindeutig, dass die deutsche Gesellschaft offener geworden sei. Am deutlichsten werde das bei der Rolle der Frauen in der Gesellschaft, die die höheren Bildungsabschlüsse und besseren Examina als Männer vorweisen könnten. Nur beim Erreichen von Spitzenstellungen in Wirtschaft oder Politik sowie bei der Entlohnung seien sie weiterhin benachteiligt. Auch andere Gruppen wie die Zuwanderer, Homosexuelle, Behinderte fänden heute mehr Gehör.



Klimawandel: UN warnen vor unkontrollierter Migration

Die Vereinten Nationen haben vor einer unkontrollierten Migration als Folge des Klimawandels gewarnt. Falls es der Staatengemeinschaft nicht gelinge, die Erderwärmung auf die vereinbarten 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, würden Menschen in einem noch nie vorgekommenen Ausmaß ihre Länder verlassen, heißt es in einer am 15. Mai in Genf veröffentlichten UN-Studie. Laut dem Globalen Bewertungsbericht des Büros der Vereinten Nationen für Katastrophenvorsorge käme es zu einem Exodus von Menschen aus Dürregebieten.

Den Angaben zufolge sind von 2008 bis 2017 in jedem Jahr mehr Menschen vor Naturkatastrophen geflohen als vor Gewalt und Konflikten. Viele dieser Katastrophen wie Dürren und Stürme seien auf den Klimawandel zurückzuführen. Auf einer UN-Konferenz in Genf beraten Experten bis Freitag über Katastrophenvorsorge.

Im Jahr 2017 hätten knapp 19 Millionen Menschen ihre Heimat aufgrund von Katastrophen verlassen müssen, hieß es weiter. Gewalt und Krieg hätten knapp zwölf Millionen Kinder, Frauen und Männer in die Flucht gezwungen.

Das Pariser Klimaabkommen von 2015 setzt das Ziel, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad, wenn möglich sogar auf 1,5 Grad zu begrenzen. Im Jahr 2017 lebten laut den UN rund 260 Millionen Menschen als Migranten in fremden Ländern.



Fast 11.000 Flüchtlinge kamen über humanitäre Programme

Die Bundesregierung hat seit 2015 über das sogenannte Resettlement und andere humanitäre Aufnahmeprogramme fast 11.000 Flüchtlinge nach Deutschland geholt. Über Resettlement-Programme kamen in dem Zeitraum 2.411 Schutzbedürftige, über humanitäre Aufnahmeprogramme waren es bis einschließlich April 2019 insgesamt 8.435 Menschen, zusammen 10.846 Flüchtlinge, die legal nach Deutschland kommen konnten, wie das Bundesinnenministerium dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 18. Mai bestätigte.

Die in Düsseldorf erscheinende "Rheinische Post" hatte zunächst über die Zahlen berichtet. Die Aufgenommenen kamen demnach unter anderem aus Flüchtlingslagern in der Türkei, im Libanon und in Jordanien.

Gesteuerte Migrationspolitik

Deutschland komme schon seit langem und in substanziellem Umfang seinen humanitären Verpflichtungen auch dadurch nach, dass Schutzbedürftige im Wege des Resettlement und Humanitärer Aufnahmeprogramme aufgenommen werden, erläuterte der Ministeriumssprecher. Resettlement, also Neuansiedlung, ziele darauf ab, besonders schutzbedürftigen Menschen, die aus ihrer Heimat in einen Drittstaat geflohen sind, aber dort keine dauerhafte Lebensperspektive haben, eine neue Perspektive im Aufnahmestaat zu eröffnen. "Legale, geordnete Zugangswege treten an die Stelle irregulärer Einreisen, mit denen die betroffenen Personen ihr Leben riskieren."

Die Bundesregierung wolle die Programme als Teil einer gesteuerten Migrationspolitik fortsetzen, hieß es. Am EU-Resettlement-Programm beteiligt sich die Bundesregierung demnach für die Jahre 2018 und 2019 allein mit der Aufnahme von 10.200 Menschen.

Dazu gehört unter anderem die humanitäre Aufnahme von Menschen aus der Türkei. Von den geplanten 6.000 Mwurden den Angaben nach bislang 3.197 aufgenommen. Von Schutzsuchenden aus Libyen wurden im vergangenen Jahr 300 für ein Resettlement ausgewählt. 276 von ihnen reisten bereits nach Deutschland ein. Einige konnten aus medizinischen Gründen noch nicht ausreisen und werden zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt.

Weitere bis zu rund 2.900 Resettlement-Aufnahmen aus Ägypten, Äthiopien, Jordanien und Libyen sind demnach in Vorbereitung. 500 Menschen haben zudem durch ein Landesaufnahmeprogramm in Schleswig-Holstein die Chance, nach Deutschland legal einreisen zu können. Ein neues Pilotprojekt eines privaten Sponsorenprogramms auf Bundesebene umfasst ebenfalls 500 Plätze.



Kriminalität: Seehofer sieht "massives Problem" von rechts

Die Kriminalstatistik zeigt einen Rückgang politisch motivierter Straftaten. Entwarnung gibt Innenminister Seehofer aber nicht. Dass die Taten Rechtsextremer nicht sinken, ihre Gewalttaten sogar zunehmen, sieht er als massives Problem.

Die Polizei hat 2018 deutlich mehr rassistische und antisemitische Straftaten registriert als im Jahr zuvor. Laut der am 14. Mai in Berlin vorgelegten Statistik der politisch motivierten Kriminalität gab es 2018 1.799 judenfeindliche Straftaten - ein Plus von fast 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr (1.504). Die Zahl rassistischer Straftaten ist um fast 400 auf 1.664 gestiegen. Überwiegend sind diese Taten dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnen, wie das allgemein für den Großteil der politisch motivierten Statistik gilt.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sagte, diese Entwicklung müsse man "verdammt ernst" nehmen. Auf dieser Seite habe man ein Problem "ganz, ganz massiv".

Die Statistik politisch motivierter Kriminalität weist für 2018 einen Rückgang von knapp neun Prozent beim Gesamtaufkommen der Straftaten aus. Gut 36.000 Straftaten gab es demnach (2017: rund 39.500). Mehr als die Hälfte der Straftaten (rund 20.400) sind dabei dem rechten Spektrum zuzuordnen. Linke Straftaten wurden knapp 8.000 gezählt. Der Rest entfällt auf den Bereich ausländischer oder religiöser Ideologie oder ist nicht eindeutig zuzuordnen.

Während linksextrem motivierte Straftaten - nach einem Anstieg im G-20-Gipfel-Jahr 2017 - dabei der Statistik zufolge deutlich zurückgingen, blieb die Zahl rechtsextrem motivierter Taten auf gleichem Niveau. Gewalttaten Rechtsextremer sind sogar um gut zwei Prozent gestiegen auf 1.156 Fälle (2017: 1.130). Für Seehofer ist die Statistik daher kein Grund zur Entwarnung. Trotz Rückgangs bleibe die Zahl der Taten auf hohem Niveau, sagte er.

90 Prozent rechtsextrem motiviert

Besonders beunruhigt den Minister nach eigenen Worten der Anstieg antisemitischer Taten. Gerade in Deutschland müsse man sich dem mit allen Mitteln entgegenstellen, sagte Seehofer. Auch der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch, sagte, diese Entwicklung nehme er sehr ernst.

Fast 90 Prozent der antisemitischen Straftaten sind der Statistik zufolge rechtsextrem motiviert, für Seehofer eine "wichtige Feststellung". Vor dem Hintergrund der Diskussion um die Genauigkeit der Statistik bei der Erfassung der Täter betonten Münch und Seehofer, beim Feststellen von Tätern habe sich in der Vergangenheit die Statistik bestätigt. Kritiker der derzeitigen Registrierweise befürchten, dass antisemitische Straftaten zu häufig als rechtsextrem eingestuft werden, wenn kein Verdächtiger bekannt ist, tatsächlich aber von anderer Seite, beispielsweise von Muslimen begangen werden.

Zugenommen haben der Statistik zufolge 2018 Taten im Bereich der sogenannten Hasskriminalität. So werden Taten gewertet, die gegen eine bestimmte Gruppe etwa wegen der Herkunft, Religion oder sexuellen Orientierung begangen werden. 2018 gab es in dem Bereich mehr als 8.000 Taten, ein Anstieg um rund 200 Fälle. Maßgeblich verbergen sich den Angaben zufolge dahinter fremdenfeindliche Straftaten (rund 7.700).

Neben dem Anstieg bei antisemitischen Taten weist die Statistik einen Rückgang islamfeindlicher Straftaten auf 910 (2017: 1.075) und christenfeindlicher Taten auf 121 (2017: 129) aus. Beide werden seit 2017 gesondert erfasst. Die Straftaten gegen Asylbewerber und ihre Unterkünfte haben den Angaben zufolge 2018 auf 173 abgenommen (2017: 312). Davon waren 14 Gewaltdelikte (2017: 46).



Haldenwang warnt vor Normalisierung extremistischer Inhalte im Netz

Was seit "Pegida" zu beobachten ist, bereitet nun auch dem Verfassungsschutz Sorgen: der Schulterschluss der bürgerlichen Mitte mit der extremen Rechten. Verfassungsschutzchef Haldenwang warnt davor, dem mit Schulterzucken zu begegnen.

Sie suchen anschlussfähige Themen, die Nähe zum normalen Bürger und vergiften das Klima dann mit Propaganda und Desinformation: Die Mobilisierungsstrategien von Rechtsextremen machen dem Verfassungsschutz zunehmend Sorgen. Es gebe neue Dynamiken, sagte der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, am 13. Mai in Berlin. Dem politischen Extremismus müsse mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden, forderte er auf dem alljährlichen Symposium seiner Behörde, das die Mobilisierung der Extremen zum Thema machte.

Das Thema erkannte Haldenwang nach eigenen Worten nach den Protesten in Chemnitz, als rechtsextreme Kräfte, AfD und Bürger der Stadt Seite an Seite demonstrierten. "Das ist für mich die neue Qualität", sagte er. Er spricht von "Entgrenzung". Früher habe es für die bürgerliche Mitte als Tabu gegolten, sich mit Extremisten in ein Boot zu setzen.

"Mobilisierung durch Normalisierung"

Den Erfolg der Extremisten macht Haldenwang an vier Punkten aus: Extremisten verstünden es, Themen aufzugreifen, über die sie ihre extremen Positionen verbreiten können. Als Beispiel nannte er die Kriminalität von Ausländern. Zudem setzten sie auf Emotion, die Delegitimierung des Staates, indem er als ohnmächtig dargestellt wird, und vor allem auf Desinformation, sagte Haldenwang. Durch Kommunikationsformen im Netz - Webseiten, Social Media und Messenger - erreichten die bewussten Falschinformationen mehr Menschen als es früher möglich gewesen wäre.

Haldenwang warnte in dem Zusammenhang von einer "Mobilisierung durch Normalisierung". Wenn einem eine Botschaft immer wieder begegne, löse das irgendwann Schulterzucken oder Abnicken aus, sagte er. "Viele Aktionen von Extremisten sind eine ernste Bedrohung für die freiheitlich-demokratische Grundordnung, aber strafrechtlich noch nicht relevant", sagte Haldenwang. Deswegen sei es wichtig, genau hinzuschauen. Das sei nicht nur Aufgabe der Sicherheitsbehörden, sondern jedes Einzelnen in der demokratischen Gesellschaft.

Extremistische Stimmen lauter als die demokratischen

Die Normalisierung funktioniere auch auf der anderen Seite, sagte er. Von der Kita bis zum Abitur werde Kindern und Jugendlichen in Deutschland vermittelt, dass alle Menschen gleich an Wert sind und Gewalt keine Lösung ist, sagte Haldenwang. Das Problem sei aber, dass die extremistischen Stimmen, die diese Grundsätze ablehnten, zurzeit lauter seien als die freiheitlichen, demokratischen, sagte der Verfassungsschutzchef.

Auch der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Günter Krings (CDU), sieht nach eigenen Worten die Gefahr, dass extremistische Deutungsmuster eine wachsende Akzeptanz erfahren. Mittlerweile stelle sich die Frage "Kann eine Demokratie im Internet überleben", sagte Krings. Er appellierte ebenfalls an die Verantwortung der Gesellschaft und hob die Bedeutung politischer Bildung hervor.

Haldenwang und Krings warben beim Symposium zudem für die Gesetzespläne, die dem Verfassungsschutz mehr Überwachungsmöglichkeiten im Netz geben sollen. Ein Gesetzentwurf befindet sich derzeit in der Ressortabstimmung in der Bundesregierung, stößt aber noch auf Widerstand im Bundesjustizministerium.



Kritik an Wahlplakaten der Partei "Die Rechte"

Wahlplakate der rechtsextremistischen Partei "Die Rechte" beschäftigen die Gemeinden in NRW. In Bonn und Duisburg plädieren Christen und Juden dafür, die Wahlwerbung zu entfernen. Sie sei volksverhetzend.

Die massive Kritik an Wahlplakaten der Partei "Die Rechte" zur Europawahl nimmt zu. Die Bonner Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (GCJZ) appellierte am 14. Mai an Strafverfolgungsbehörden und die Stadt Bonn, die Verbreitung der Plakate strafrechtlich zu ahnden beziehungsweise Strafanzeige zu stellen. Die Plakate mit dem Slogan "Israel ist unser Unglück" seien volksverhetzend. In Duisburg wandten sich die evangelische Kirche und die Diakonie am 14. Mai in einem Offenen Brief an Oberbürgermeister Sören Link (SPD) und appellierten an ihn, durch das Ordnungsamt die entsprechenden Plakate in Duisburg entfernen zu lassen.

Die Bonner Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit erklärte, das Plakat von "Die Rechte" bediene sich des Vokabulars antisemitischer Hetze des 19. Jahrhunderts und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Gemeinsam mit dem Bonner Stadtdechanten Wolfgang Picken und Superintendent Eckart Wüster forderte sie die Strafverfolgungsbehörden und die Stadt Bonn auf, die Verbreitung der Plakate strafrechtlich zu ahnden beziehungsweise Strafanzeige zu stellen. Die Aussage des Plakats sei nicht vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt, diene heute wie damals der Volksverhetzung und sei geeignet, den Religionsfrieden im Land zu stören.

Kirchen sprechen von antisemitisch motivierter Volksverhetzung

Im Duisburger Stadtteil Wanheimerort waren neben den Plakaten mit dem Satz "Israel ist unser Unglück" auch Wahlplakate mit dem Satz "Wir hängen nicht nur Plakate höher" angebracht, wie Superintendent Armin Schneider und Stephan Kiepe-Fahrenholz von der Diakonischen Konferenz Duisburg schilderten. "Dies erfüllt nach unserer Auffassung den Straftatbestand der antisemitisch motivierten Volksverhetzung." Auch wenn es keine rechtliche Handhabe zum Verbot des Neonazi-Aufmarschs am 1. Mai gegeben habe, dürfte gegenüber dem Sachverhalt mit rechten Wahlplakaten die Stadt aber nicht wehrlos sein, mahnten Schneider und Kiepe-Fahrenholz.

Mit scharfer Kritik hatte bereits der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland, Felix Klein, auf die Plakataktion der Partei "Die Rechte" in der Kölner Region im April reagiert. Diese Art von Wahlkampfwerbung sei ein Verstoß gegen die Grundsätze der Völkerverständigung, sagte er auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd). Vor allem im Bereich Pulheim wurden Wahlplakate zur Europawahl aufgehängt, auf denen es heißt: "Zionismus stoppen: Israel ist unser Unglück! Schluss damit". Die Aussagen der Partei erinnerten an die "Rhetorik der Nazis", grenzten an Volksverhetzung und seien eine Grenzüberschreitung, sagte Klein. Die Antisemitismus-Beauftragte des Landes NRW, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, sei informiert.

Staatsanwaltschaft Detmold ermittelt

Die Staatsanwaltschaft Detmold ermittelt laut Medienberichten nach einer Anzeige des Landesverbands der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe, ob mit dem Plakat, das auch in Wuppertal auf einer Kundgebung am 20. April hochgehalten wurde, der Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllt ist. Der Landesverband hatte deutlich gemacht, dass der Satz auf dem Wahlplakat der Partei "Die Rechte" ein Abwandlung des Nazi-Zitats "Die Juden sind unser Unglück!" darstelle. Auch in Bielefeld hatte es vor einigen Tagen eine Diskussion um die Plakate der rechtsextremistischen Partei gegeben, die gegenüber einer Synagoge angebracht worden waren.

In Hessen setzt sich das jüdische Sara-Nussbaum-Zentrum in Kassel mit einem eigenen Plakat gegen das Wahlplakat der Partei "Die Rechte" zu Wehr. Auf dem Plakat des Sara-Nussbaum-Zentrums ist das hebräische Wort "Chai" (leben) und "Gegen jede Form des Antisemitismus" zu lesen. Mit dem kostenlos angebotenen Plakat wolle man gegen die tödliche Ideologie des Antisemitismus vorgehen, erklärte die Leiterin des Zentrums, Elena Padva. Das Plakat könne an Arbeitsplätzen, Geschäften, Behörden und Schulen aufgehängt werden.



Klein: Anstieg der Taten gegen Juden alarmierend


Felix Klein
epd-bild/Christian Ditsch

Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hat sich besorgt über den Anstieg judenfeindlicher Taten in Deutschland geäußert. "Vor dem Hintergrund der fortschreitenden Enthemmung und Verrohung des gesellschaftlichen Klimas in Deutschland hatte ich mit einem Anstieg der antisemitisch motivierten Straftaten 2018 gerechnet", sagte er mit Blick auf die aktuelle Kriminalitätsstatistik am 14. Mai dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Berlin. Dass der Anstieg derart hoch ausfiel, halte er jedoch für "äußerst alarmierend", ergänzte Klein.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und BKA-Präsident Holger Münch hatten zuvor die Statistik politisch motivierter Kriminalität vorgestellt. Ihr zufolge gab es im vergangenen Jahr insbesondere bei antisemitischen Straftaten einen deutlichen Anstieg um fast 20 Prozent auf 1.799 (2017: 1.504), davon fast 70 Gewalttaten. Das ist der Statistik zufolge der höchste Stand seit 2006.

"Wir müssen nun alle unsere politischen und zivilgesellschaftlichen Kräfte mobilisieren, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken", sagte Klein. Dabei müsse sichergestellt werden, dass Täter rascher und konsequenter als bisher ermittelt und vor Gericht gestellt werden. "Andererseits müssen wir unsere Maßnahmen bei der Extremismusprävention, der Erinnerungskultur und im Schulunterricht erheblich verstärken, um Antisemitismus vorzubeugen", sagte der Beauftragte für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus. Die geplante Einrichtung einer Bund-Länder-Kommission zur Bekämpfung des Antisemitismus sei dafür eine wichtige Voraussetzung.



Zentralrat der Juden zeichnet Springer-Vorstand Döpfner aus


Josef Schuster (l.) und Mathias Döpfner
epd-bild/Christian Ditsch

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, hat davor gewarnt, die Errungenschaften des Grundgesetzes leichtfertig preiszugeben. Wie gefestigt eine Demokratie sei, zeige sich auch daran, ob sie den Angriffen von Rechtspopulisten standhalte und ob sich die Mehrheit schützend vor die Minderheiten stelle, sagte Schuster am 16. Mai in Berlin bei der Verleihung des Leo-Baeck-Preises an den Vorstandsvorsitzenden des Axel-Springer-Konzerns, Mathias Döpfner. Der Zentralrat der Juden ehrte den Medienkonzernchef damit für sein jahrzehntelanges Engagement für die jüdische Gemeinschaft und für den Staat Israel.

Döpfner habe sich in zahlreichen Artikeln und Reden mit Antisemitismus in all seinen Formen in Deutschland auseinandergesetzt, hieß es zur Begründung. Die Erinnerung an die Schoah und die daraus resultierende Verantwortung Deutschlands gegen jede Form von Intoleranz und für Israel seien ihm ein Herzensthema.

"Meinungsführer"

Schuster würdigte Döpfner zudem als einen Meinungsführer, der nicht schweige, wenn Juden und der Staat Israel angegriffen oder verächtlich gemacht würden. Döpfner finde klare Worte gegen einen neuen Antisemitismus, der häufig als einseitige Israel-Kritik daherkomme und offenbar weite Teile der Bevölkerung kaum beunruhige. Der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Ronald S. Lauder, würdigte den Preisträger als Kämpfer gegen Kommunismus und Verteidiger Israels. Damit stehe der heutige Leiter des Medienkonzerns in Tradition zu Axel Springer.

"Wenn Deutschland es nicht schafft, ein glaubwürdiger Vorreiter im erfolgreichen Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus zu sein, haben wir die zweite Chance, die die Geschichte uns zu gewähren scheint, nicht genutzt", warnte Döpfner bei der Preisverleihung. Zugleich verwies er darauf, dass die Zahl antisemitischer Straftaten in Deutschland 2018 auf 1.799 und damit um 17 Prozent gestiegen sei. In seiner Dankesrede forderte er eine konsequenter Umsetzung der Gesetze im Kampf gegen Antisemitismus.

Der 56-Jährige schilderte zudem sehr persönlich von seiner Auseinandersetzung mit der Schoah von früher Jugend an. Während seiner ersten Israelreise habe er Überlebende des Holocaust getroffen. Trotz der erlittenen Gräueltaten habe er bei ihnen auch eine Sehnsucht nach Deutschland gespürt. "Nie wieder diese Barbarei" sei seine Motivation gegen Antisemitismus einzutreten, sagte der Vorstandsvorsitzende.

Schuster lobt Grundgesetz

Mit Blick auf den 70. Jahrestag der Verkündung des deutschen Grundgesetzes am 23. Mai plädierte Zentralratspräsident Schuster auch für "mehr Verfassungspatriotismus". Es liege zu einem erheblichen Teil an diesem Grundgesetz und seiner Umsetzung im demokratischen Rechtsstaat, "dass Juden nach der Schoah das Vertrauen gefasst haben, wieder in Deutschland zu leben", sagte Schuster.

Der mit 10.000 Euro dotierte Leo-Baeck-Preis ist die höchste Auszeichnung des Zentralrats. Mit dem Preis, der an den Rabbiner Leo Baeck (1873-1956) erinnert, ehrt der Zentralrat der Juden seit 1957 Persönlichkeiten, die sich in herausragender Weise um die jüdische Gemeinschaft verdient gemacht haben. Zu den Preisträgern gehören die früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker (1994), Roman Herzog (1998) und Christian Wulff (2011), Bundeskanzlerin Angela Merkel (2007) und andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. 2018 erhielt der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) den Preis.



"Rent a jew": Miteinander reden statt übereinander


"Rent a Jew" bei den SJD-Die Falken
epd-bild/Heike Lyding
Rund 200.000 Juden leben in Deutschland. Viele Menschen aber kennen keinen persönlich. Das wollen die Referentinnen und Referenten von "Rent a Jew" ändern.

"Darf ich mal anfassen?" Fasziniert streicht Asher über das schwarze Leder des jüdischen Gebetsriemen, den Gerald Deutsch mitgebracht hat. Der 23-Jährige Deutsch ist Referent bei "Rent a Jew". Gemeinsam mit seiner Kollegin Gabriela Chauskin stellt er sich an diesem Tag den Fragen von Jungen und Mädchen des Kinder- und Jugendverbands SJD-Die Falken in Frankfurt am Main.

Die Organisation "Rent a Jew" ("Miete einen Juden") vermittelt ehrenamtlich jüdische Referentinnen und Referenten an Schulen und andere Bildungseinrichtungen. Das Konzept: persönliche Begegnungen schaffen, um Klischees aus dem Weg zu räumen.

"Dürfen jüdische Frauen Hosen tragen?", möchte Nelly wissen. "Und Männer Röcke?", wirft Nils gleich die zweite Frage in den Raum. Beides verneint Gabriela Chauskin: "Also im orthodoxen Judentum nicht. Im liberalen Judentum sieht das anders aus." Sie selbst trage nur Röcke und Kleider. Heute hat sie sich für ein schwarzes, knielanges Exemplar mit Blumendruck entschieden.

Die 22-jährige Chauskin wurde religiös erzogen. 2000 kamen sie und ihre Eltern aus Lettland nach Deutschland. In Frankfurt besuchte sie eine jüdische Schule. Die Jugendlichen haben es sich mit Socken auf der Holzbank bequem gemacht und naschen Schokolade, während sie vom jüdischen Alltag erzählt. "Wir halten den Sabbat ein. Von Freitagabend bis Samstagabend wird auch kein Handy benutzt, die Zeit gehört nur der Familie". Schockierte Blicke in der Runde.

Vielfalt zeigen

Gerald Deutsch, der sich seinen Zuhörern als "Gery" vorstellt, lebt seinen Glauben nicht so streng aus. Der Student wurde in Deutschland geboren, seine Eltern stammen aus Osteuropa. Seine Bar Mizwa - das Fest der religiösen Mündigkeit von Jugendlichen - hat er gefeiert. Aber an die jüdischen Gesetze zur koscheren Ernährung hält er sich nur teilweise. Einmal die Woche versucht er zu beten, wie er erzählt. Behutsam zieht er seine türkisfarbene Kippa aus einem Stoffbeutel, der mit goldenen hebräischen Buchstaben bestickt ist, zeigt sie den Kindern.

Die Macher von "Rent a Jew" achten darauf, dass die Referenten aus unterschiedlichen religiösen Strömungen kommen. "Wir wollen die Vielfalt jüdischen Lebens zeigen", erklärt Mascha Schmerling, die die Organisation 2014 gemeinsam mit zwei Bekannten gegründet hat. Durchschnittlich sind die bundesweit mehr als 100 Referenten um die 30 Jahre alt, regelmäßig besuchen sie Fortbildungen. Im vergangenen Jahr seien 150 "Rent-a-jew"-Besuche organisiert worden, in diesem Jahr habe es schon im ersten Quartal 100 Anfragen gegeben.

Der Name "Rent a Jew" provoziert. Die Gründerinnen haben sich bewusst dafür entschieden. "Wir wollen zeigen, dass wir nicht nur in der Opferrolle sind", sagt Schmerling. Meistens verbänden die Menschen Juden sofort mit dem Holocaust. Der Name zeige auch den jüdischen Humor und sei Ausdruck des Selbstbewusstseins vieler Juden.

Selbstbewusst sind auch Gabriela Chauskin und Gerald Deutsch. Direkten Antisemitismus hätten die beiden bisher kaum erfahren, so sagen sie es. "Bis jetzt!", ergänzt Gabriela und klopft dreimal auf den Tisch. Vorurteile hörten sie dagegen ständig. Manchmal seien Leute überrascht, wenn sie sich als Jüdin vorstelle. Und: "Was, ihr lebt noch?", diesen Spruch hat die angehende Erzieherin schon häufiger gehört. "Whaaat?" ruft Asher empört.

Er und die anderen elf- bis 14-Jährigen des sozialistischen Kinder- und Jugendverbands haben sich bereits mit dem Judentum beschäftigt. Sie waren im Anne-Frank-Haus in Amsterdam, haben das jüdische Museum in Frankfurt und den dahinterliegenden Friedhof besucht.

Lasse bringt ein sensibles Thema ein: "Bei uns haben eigentlich alle muslimischen Schüler was gegen Juden. Keine Ahnung, warum." Dabei hätten Juden und Muslime vieles gemeinsam, erklärt Gabriela Chauskin: "Wir essen koscher, Muslime halal." Auch die gesellschaftliche Rolle als "Sündenbock" würden Muslime kennen. "Meine besten Freunde sind Muslime", betont die junge Jüdin.

Absage an AfD

Die Kollegen von "Rent a Jew" hätten bisher nur positive Erfahrungen auf ihren Einsätzen gemacht, sagt Schmerling. Die Organisation behält sich jedoch vor, auch Anfragen abzulehnen. So musste die AfD schon einmal eine Absage kassieren. "Wir wollen uns nicht für politische Interessen instrumentalisieren lassen", stellt Schmerling klar.

"Rent a Jew" ist für die Teilnehmer kostenlos, nur Reisekosten müssen eventuell erstattet werden. Die Organisation ist eine Initiative der Europäischen Janusz-Korczak-Akademie und wird unterstützt von der Jewish Agency for Israel. In diesem Jahr ist sie auch Trägerin des Startsocial-Stipendiums unter Schirmherrschaft von Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Inzwischen ist es bei den "Falken" in Frankfurt halb sieben. Die Kinder haben noch viele Fragen. "Und habt ihr auch einen Papst?", will Lasse wissen. "Nein", erwidern die Referenten gleichzeitig. Wenn es um wichtige, religiöse Fragen zum Beispiel zur Hochzeit geht, wenden sich Juden an ihren Gemeinde-Rabbiner.

"Und Jungs müssen sich beschneiden lassen?", bohrt Lasse weiter nach und steckt sich ein paar von den koscheren Gummibärchen in den Mund. Die hat Gabriela Chauskin mitgebracht. Aufgeregt fragt Nils direkt hinterher: "Und vergrabt ihr die Vorhaut auch? So wie im Film 'Monsieur Claude und seine Töchter'? Da hat der Hund die Vorhaut gefressen." Alle lachen. "Nee, die landet im Müll", klärt Gabriela Chauskin auf.

Carina Dobra (epd)


Allah und das Grundgesetz


Grundgesetz auf Arabisch
epd-bild/Meike Boeschemeyer
Am 23. Mai wird das Grundgesetz 70 Jahre alt: In die Präambel schrieben die Väter und Mütter den Gottesbezug. Gemeint sei damit nicht nur der christliche Gott, sagen Rechtswissenschaftler heute. Denn das Grundgesetz bietet auch Platz für den Islam.

Der Islam gehört zu Deutschland - mit dieser Aussage fachte im Jahr 2010 der damalige Bundespräsident Christian Wulff eine Debatte an. Bis heute arbeiten sich Politikerinnen und Politiker von Horst Seehofer (CSU) bis Angela Merkel (CDU) an diesem Satz ab. Doch längst wird auch in der Gesellschaft deutlich, dass der Islam nicht nur zu Deutschland gehört, sondern zugleich auch Schutz und Förderung durch das Grundgesetz erfährt: In der Bundeswehr soll es neben Militärrabbinern künftig auch Militärimame geben, die islamische Theologie findet in der deutschen Hochschullandschaft ihren Platz, und in der Mehrheit der Bundesländer gibt es mittlerweile islamischen Religionsunterricht an Schulen. Doch die Kooperation mit Islamverbänden wird oft erschwert, da nicht alle als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannt sind. Oft werden die Voraussetzungen dafür auch noch nicht erfüllt - wie etwa ein Mitgliederverzeichnis.

"Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen" - so beginnt die Präambel des Grundgesetzes. Der Gottesbezug der Verfassung sei aber keineswegs auf einen christlichen Gott festgelegt, sagt der Erlanger Jura-Professor und Experte für die rechtliche Stellung des Islam in Deutschland, Mathias Rohe. Der Gottesbezug sei vielmehr säkular zu verstehen. "Es ist die Erinnerung daran, dass der Mensch nicht alles tun darf, was er tun kann", erläuterte Rohe dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Kollektive Religionsfreiheit

Wichtiger als die Präambel sei der Artikel 4 des Grundgesetzes, der nicht nur die individuelle, sondern auch die kollektive Religionsfreiheit garantiere. Außerdem übernahmen die Väter und Mütter des Grundgesetzes die Religionsartikel der Weimarer Reichsverfassung, die ausdrücklich nicht nur die christlichen Kirchen, sondern auch andere Religionsgemeinschaften betreffen.

Natürlich sei die staatliche Kooperation mit Religionsgemeinschaften stark geprägt durch das Verhältnis der christlichen Kirchen zum Staat. Das sei historisch gewachsen. Doch der Staat müsse sich gegenüber Religionsgemeinschaften öffnen, die in Deutschland traditionell noch nicht so stark verankert seien. Für Rohe ist das sogar eine existenzielle Frage, ob das bisherige Staatskirchenrecht so erhalten bleiben kann. "Das Kooperationsmodell zwischen Kirche und Staat gerät zunehmend unter Druck, das sieht man bei der Kirchensteuerdiskussion und daran, dass die Kirchen immer mehr Mitglieder verlieren", sagt er. "Die Frage, ob islamische Religionsgemeinschaften in dieses System integriert werden, wird zum Lackmus-Test."

Viele Möglichkeiten zu partizipieren

Der Islamexperte Rauf Ceylan ist optimistisch. "Muslimische Organisationen erleben seit der ersten Islamkonferenz 2006 eine Aufwertung", sagt er. "Was zwischen 2006 und 2019 passiert ist, nenne ich historisch. Kein anderes westliches Einwanderungsland hat so große strukturelle Fortschritte gemacht wie Deutschland bei der Integration des Islam."

Zwar bezweifelt Ceylan, dass muslimische Gemeinden mittelfristig kirchenähnliche Strukturen ausbilden, doch der Staat habe den Islamverbänden bereits seine Hand gereicht. Muslimische Organisationen hätten schon jetzt viele Möglichkeiten zu partizipieren. Oft behelfe man sich mit vorübergehenden Konstrukten überall dort, wo der Staat verbindliche Ansprechpartner benötige - etwa beim Religionsunterricht. Auch bei den Militärimamen für die Bundeswehr will der Staat nach Plänen des Justizministeriums zunächst mit einem Übergangsmodell arbeiten, bis die strukturellen Voraussetzungen für einen Staatsvertrag geschaffen sind.

Die Einführung des islamischen Religionsunterrichts und die Gründung von Instituten für islamische Theologie das seien sehr große Schritte gewesen, sagt Ceylan. Es entstehe derzeit eine Wissenschafts-Community, die einen europäischen Islam etablieren will. Als nächstes werde eine universitäre Ausbildung in muslimischer Sozialarbeit angestrebt. "In all diesen Bereichen bietet der Staat auf Basis des Grundgesetzes Muslimen die Möglichkeit zu partizipieren. Und das wird auch in Anspruch genommen."

Franziska Hein (epd)


Imam-Ausbildung: Grünen-Politiker für staatliche Unterstützung


Konstantin von Notz
epd-bild/Christian Ditsch

Der Grünen-Politiker Konstantin von Notz hat sich für eine finanzielle Unterstützung des Staates für die Schaffung einer Imam-Ausbildung in Deutschland ausgesprochen. "Wenn man den politischen Einfluss aus Saudi-Arabien und der Türkei nicht haben will, muss man andere Finanzierungsmöglichkeiten schaffen", sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende und religionspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag dem Evangelischen Pressedienst (epd). Neben diskutierten Modellen wie der Moschee-Steuer oder Stiftungen schloss er dabei auch direkte finanzielle Hilfe des Staates nicht aus.

"Das heißt nicht, dass der Staat tausende Gemeinden alimentieren soll", sagte Notz und ergänzte: "Denkbar wäre aber eine Anschubfinanzierung, damit etwas in Bewegung kommt und langfristige Finanzierungsmodelle der Ausbildungsprogramme für Imame und islamische Religionsbedienstete nach Vorbild der Pfarrer-, Priester- und Rabbinerseminare darstellbar werden."

"Selbstbestimmungsrecht bewährt"

Die Art, wie derzeit Imame auch mit politischen Motiven nach Deutschland geschickt würden, sei kein guter Status quo, sagte Notz. Zudem sei es wünschenswert, dass Religionslehrer und -gelehrte auch deutsch sprechen, betonte er. Die Pläne von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), die Aufenthaltserlaubnis von Geistlichen in Deutschland an Sprachkenntnisse zu knüpfen, beurteilte Notz skeptisch. Er sei dafür, weniger mit Verboten zu arbeiten als mit Möglichkeiten der Förderung und Unterstützung, etwa durch Ausbildungsprogramme. "Für viele muslimische Gemeinden ist es ein Problem, selbstständig einen Imam zu finanzieren", sagte Notz.

Seit einigen Jahren werden an deutschen Universitäten auch islamische Theologen ausgebildet. Allerdings fehlt noch die praktische Ausbildung zum Imam. Die Kirchen verantworten diesen Teil der Ausbildung selbst. Die Islam-Verbände haben auch aus finanziellen Gründen bislang kein vergleichbares Modell.

Zum 70. Jahrestag des Grundgesetzes würdigte Notz die Bestimmungen, die das Verhältnis von Staat und Religionen in Deutschland regeln. "Ich glaube, dass sich das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften als verfassungsrechtlicher Status bewährt", sagte der Jurist. Gerade das kooperative, nicht hart laizistische Verhältnis in Deutschland sei gut. "Es lässt den Kirchen Freiraum, sie gleichzeitig aber auch nicht aus der Verantwortung", sagte er.

epd-Gespräch: Corinna Buschow


Früherer Salafistenprediger Sven Lau kommt aus dem Gefängnis frei


Sven Lau (Archivblid)
epd-bild / Thomas Lohnes

Der wegen Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung verurteilte frühere Salafistenprediger Sven Lau wird vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen. Wie das Oberlandesgericht Düsseldorf am 16. Mai mitteilte, hat der 38-Jährige unter Berücksichtigung seiner Untersuchungshaft zwei Drittel seiner Haftstrafe abgesessen. Zudem kam der 5. Strafsenat des Gerichts zu der Einschätzung, dass Lau nach seiner mehrjährigen Haft künftig keine Straftaten mehr begehen werde. Von seiner ursprünglichen radikal-islamischen Haltung habe er sich deutlich distanziert.

Der Senat hatte unter anderem Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt und des Aussteigerprogramms für Islamisten eingeholt sowie einen Sachverständigen zurate gezogen und den Generalbundesanwalt Stellung nehmen lassen. Der aus Mönchengladbach stammende Lau war Ende Juli 2017 vom Oberlandesgericht zu einer Haftstrafe von fünfeinhalb Jahren verurteilt worden, weil er 2013 zwei in Deutschland lebende Männer für die islamistische Terrororganisation Jamwa in Syrien angeworben hatte. Er selbst hatte nach Ansicht des Gerichts Bargeld und Nachtsichtgeräte nach Syrien gebracht (AZ: OLG Düsseldorf, III - 5 StS 1/16).

Der frühere Salafistenprediger war Mitte Dezember 2015 festgenommen worden. Als Prediger hatte der aus einem katholischen Elternhaus stammende Konvertit bis 2011 mit seinem Netzwerk "Einladung zum Paradies" junge Menschen in Mönchengladbach für den Salafismus angeworben. Zudem war Lau für verschiedene extremistische Organisationen bundesweit aktiv, darunter das Koran-Verteil-Netzwerk "Lies!". Im Jahr 2014 sorgte Lau bundesweit für Empörung, als er mit anderen Männern in Wuppertal als "Scharia-Polizei" auftrat.

Wann Lau aus dem Gefängnis entlassen wird, liegt nach Angaben eines Gerichtssprechers im Ermessen der Strafvollzugsbehörde. Vermutlich dürfte die Entlassung in den kommenden Tagen erfolgen. Die Bewährungszeit beträgt fünf Jahre. In diesen fünf Jahren muss Lau strenge Auflagen erfüllen. Diese reichen von der Bestimmung des Wohnsitzes über Kontakt- und Aufenthaltsverbote sowie die Fortführung seiner Teilnahme an dem bereits begonnenen Aussteigerprogramm für Islamisten bis zu engen Kontakten zu seinem Bewährungshelfer. Der Beschluss des Senats ist rechtskräftig, da der Generalbundesanwalt auf ein Rechtsmittel verzichtet hat.



Duisburger Verein "Jungs" erhält Mevlüde-Genc-Medaille des Landes NRW

Der Duisburger Verein "Jungs" erhält die erstmals vergebene Mevlüde-Genc-Medaille des Landes Nordrhein-Westfalen. Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) wird den mit 10.000 Euro dotierten Preis am 28. Mai im Landeshaus in Düsseldorf verleihen, wie die Staatskanzlei am 17. Mai mitteilte. Die Laudatio auf den Preisträger hält der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff.

Die Auszeichnung des Landes wurde aus Anlass des 25. Jahrestags des Brandanschlags von Solingen gestiftet. Der Preis soll Personen und Institutionen würdigen, die sich für Toleranz, Versöhnung zwischen den Kulturen und das friedliche Miteinander der Religionen einsetzen. Er ist benannt nach Mevlüde Genc, die gemeinsam mit ihrem Ehemann Durmus bei dem fremdenfeindlichen Brandanschlag am 29. Mai 1993 zwei Töchter, zwei Enkelkinder und eine Nichte verlor.

Der Verein "Jungs" ist ein freier Träger der Jugendhilfe. Er wurde 1998 gegründet und setzt sich für das Zusammenleben der Kulturen und Religionen ein. So organisiert der Verein unter anderem ein Projekt für junge Muslime, bei dem sie sich über mehrere Monate mit den Themen Holocaust, Antisemitismus und Rassismus auseinandersetzen und das ehemalige NS-Vernichtungslager Auschwitz besuchen. Aufmerksamkeit erreichte der Verein auch mit dem 2018 durchgeführten Videoprojekt "Junge Muslime gegen Antisemitismus", das für ein friedliches Miteinander der Religionen und Toleranz wirbt.

"Gerade in Zeiten, in denen Diskriminierung und Antisemitismus wieder zunehmen, ist es besonders wichtig, nichts unversucht zu lassen, um auch die zu erreichen, die sonst nur schwer zu erreichen sind", erklärte Laschet in der Preisbegründung. Der Verein beschreite mit unkonventionellen Mitteln neue Wege, mit denen er sich um Toleranz und Versöhnung der Kulturen und Religionen verdient gemacht hat.



Ministerpräsident Laschet überreicht NRW-Verdienstorden

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hat 19 sozial und gesellschaftlich engagierte Bürger mit dem Verdienstorden des Landes NRW ausgezeichnet. Im Rahmen einer Feierstunde am 14. Mai Düsseldorf erhielten unter anderen die "Maus"-Fernsehmoderatoren Christoph Biemann und Armin Maiwald, der Jazz-Trompeter Till Brönner und der Astronaut Alexander Gerst die Auszeichnung, wie die Staatskanzlei mitteilte. Auch die ehemaligen Bundesminister Ursula Lehr (CDU) und Jürgen Schmude (SPD) sowie die Glasforscher Annette und Ernst Jansen-Winkeln sind unter den Geehrten.

Der SPD-Politiker Schmude aus Moers, ehemaliger Bundesbildungs- und Bundesjustizminister, wurde für sein langjähriges Engagement in Politik und Kirchenarbeit ausgezeichnet. Von 1985 bis 2003 war er unter anderem Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland. Von 2005 bis 2012 war er Mitglied im Deutschen Ethikrat. Laschet dankte Schmude für seinen Einsatz für Demokratie, Menschenrechte und ein friedliches Zusammenleben. "Sie haben zusammengebracht, was zusammengehört, im wiedervereinigten Deutschland und in Ihrer Heimat am Niederrhein."

Rheinische Kirche gratuliert Jürgen Schmude

Auch der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski, übermittelte am 14. Mai seine Glückwünsche an Schmude. Schmude habe als Christ mit seinem Wirken Kirche und Gesellschaft viel Jahre mit geprägt und mitgetragen, erklärte er.

Die Bonner Wissenschaftlerin und ehemalige Bundesfamilienministerin Ursula Lehr (CDU) erhielt die Landesauszeichnung für ihr Engagement im Bereich Gerontologie und Seniorenpolitik. Seit 2009 ist sie unter anderem Vorsitzende beziehungsweise stellvertretende Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (Bagso). Laschet unterstrich, dass sie sich als Pionierin mit Fragen des würdevollen Alterns befasst habe, lange bevor das Thema in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wurde.

Das Ehepaar Jansen-Winkeln aus Mönchengladbach engagiert sich für die Wahrung der Fensterglaskunst und gründete 1993 den Verein "Forschungsstelle Glasmalerei des 20. Jahrhunderts". Seit Jahren widmen sich die Eheleute der Inventarisierung von Kunstfenstern in sakralen und in nicht sakralen Gebäuden wie Kirchen, Rathäusern, Schulen, Krankenhäusern oder Altersheimen. Von 2004 bis 2016 erstellten sie eine Dokumentation der Glasmalerei in Nordrhein-Westfalen, Luxemburg und im niederländischen Limburg als Basis für die interdisziplinäre Forschung. Die Erhebung soll fortgesetzt werden.

Laschet dankte den Eheleuten für ihr Engagement der vergangenen Jahrzehnt die Bewahrung des kulturhistorischen Erbes Tausender prachtvoller Glasfenster. Das Land und er persönlich seien dankbar für den unschätzbaren Einsatz für den Erhalt dieses Kunstschatzes, sagte er.

Der Landesverdienstorden ist eine der höchsten Auszeichnungen Nordrhein-Westfalens. Er wurde 1986 zum 40. Geburtstag des Bundeslandes gestiftet. Die Zahl des Landsordens ist auf 2.500 begrenzt, bislang wurden 1.624 vergeben.



Proteste gegen Kirchenentwidmung und Braunkohleabbau

Klimabündnisse und Bürger der rheinischen Braunkohlereviere haben am 18. Mai mit stillen Protestaktionen gegen die Entwidmung und den Abriss einer katholischen Kirche in Kerpen-Manheim im Tagebau Hambach protestiert. In Kerpen-Buir führte ein Demonstrationszug auf Einladung von "Fridays for Future Köln" nach Kerpen-Manheim zur Kirche St. Albanus und Leonhardus, wie Paul Boutmans von der Unterschriftenaktion "Die Kirche im Dorf lassen" dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagte.

Vor der Kirche im alten Ort Manheim setzten rund 250 Menschen ihren Protest mit Gebeten, Gesängen und Plakaten fort, wie Boutmans erläuterte. Dabei hätten sich Klimaaktivisten, auch aus dem Hambacher Wald, und Gläubige vereint im friedlichen Protest zusammengefunden. An den Aktionen beteiligten sich weitere regionale Bündnisse wie "Verheizte Heimat", "Alle Dörfer bleiben" und "Burned_Out".

Kritik an katholischer Kirche

Vor allem die katholischen Bewohner der Region richteten ihre Kritik an die katholische Kirche, dem Abriss der Kirche im alten Manheim zugestimmt und sich nicht für einen Erhalt des Gebäudes eingesetzt zu haben. Einige Aktionsteilnehmer hätten ihren Unmut und ihre Enttäuschung gegenüber der örtlichen Kirchen- und Gemeindevertretung mit Pfiffen und "Buh"-Rufen zum Ausdruck gebracht, schilderte Boutmans. Ein Antrag im Stadtrat von Kerpen, auf kommunaler Ebene eine Abrissgenehmigung der Kirche zu verhindern, war zuvor gescheitert.

Die Aktion "Kirche im Dorf lassen" habe deutlich machen wollen, dass der Kirchenbau auch nach seiner Profanisierung als Erinnerungssstätte für die Menschen dienen könnte und erhaltenswert sei, erläuterte Boutmans. Auch wenn in den neu entstandenen Ortschaften neue Kirchen den alten Kirchenschätzen und den Gläubigen eine neue Heimat gäben, seien die alten Bauten wichtige Bezugspunkte für die Bewohner der Region.

Für den Nachmittag hatte die katholische Kirchengemeinde zu einem Gottesdienst zur Entweihung des Gebäudes eingeladen. Die Kirche St. Albanus und Leonhardus befindet sich im Abbaugebiet des Braunkohletagebaus Hambach, das 2022 endgültig abgebaggert werden soll. Das heutige Kirchengebäude stammt aus den Jahren 1898 bis 1900 und ersetzte eine baufällige Vorgängerkirche aus dem 16. Jahrhundert.

Der benachbarte Hambacher Wald im Kreis Düren gilt als Symbol des Widerstands gegen den Kohle-Abbau. Nachdem sich die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission "Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung" Ende Januar für den Erhalt des Waldes ausgesprochen hatte, schloss sich auch NRW-Ministerpräsident Laschet der Einschätzung an. RWE kündigte daraufhin an, bis 2020 keine weiteren Bäume zu fällen. Ursprünglich hatte das Unternehmen ab Mitte Oktober 2018 die Hälfte des noch stehenden Waldes roden wollen.



Juristischer Streit um Kohlekraftwerk Lünen geht weiter

Das Oberverwaltungsgericht Münster muss erneut über das umstrittene Trianel-Kohlekraftwerk im westfälischen Lünen entscheiden. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hob am 15. Mai ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts auf, das 2016 die immissionsschutzrechtliche Genehmigung des Kraftwerks für rechtmäßig erklärt hatte. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts haben die Münsteraner Richter bei der Bewertung, ob das Kraftwerk die umliegenden Wälder schädigt, die Emissionen anderer Einrichtungen in der Gegend wie eines Kupferrecyclingbetriebs zu wenig berücksichtigt (AZ: BVerwG 7 C 27.17). Das Verfahren wurde zurück an das Oberverwaltungsgericht verwiesen.

Revision erfolgreich

Gegen das Kohlekraftwerk Lünen, das seit Dezember 2013 am Netz ist, hatte der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) geklagt und war nun mit seiner Revision erfolgreich. Die Umweltschützer befürchten, dass die Emissionen des Kraftwerks Lünen die nahe liegenden Cappenberger Wälder schädigen könnten, die als Natura 2000-Schutzgebiet im Sinne der Fauna-Flora-Habitatrichtlinie (FFH-Richtlinie) der EU gelten. Das Oberverwaltungsgericht Münster hatte die Klage des BUND 2016 abgewiesen und erklärt, dass die Betreiber des Kohlekraftwerks durch Gutachten darlegen könnten, dass die Emissionen in den umliegenden Wäldern keine erheblichen Schäden verursachten (AZ: 8 D 99/13.AK).

Nach Ansicht der Leipziger Bundesrichter hat das Oberverwaltungsgericht bei seiner Prüfung jedoch EU-Recht missachtet. Denn bei einer FFH-Verträglichkeitsprüfung seien grundsätzlich alle Projekte zu berücksichtigen, für die zu diesem Zeitpunkt eine Genehmigung erteilt wurde. Das Oberverwaltungsgericht habe jedoch bei seiner Prüfung, ob das Steinkohlekraftwerk zusammen mit anderen Projekten den Cappenberger Wald schädigt, solche Projekte nicht berücksichtigt, die zwar inzwischen genehmigt, aber später beantragt worden seien. Dadurch hätten die Richter die Stickstoffbelastung durch einen Kupferrecyclingbetrieb, der vor dem Kraftwerk Lünen genehmigt wurde, nicht berücksichtigt. Das Bundesverwaltungsgericht wies daher das Verfahren an das NRW-Gericht zurück.

Der stellvertretende Vorsitzende des BUND in NRW, Thomas Krämerkämper, begrüßte das Urteil. Damit werde die Auffassung des BUND in Bezug auf die erforderliche Einbeziehung der Schadstoffemissionen von bereits früher genehmigten Vorhaben bestätigt. "Nach Auffassung des BUND ergibt sich daraus, dass zusätzliche Schadstoffbelastungen des FFH-Gebietes Cappenberger Wälder durch das Kohlekraftwerk nicht zulässig sind", sagte Krämerkämper.



Drei NRW-Projekte gewinnen Deutsche Fahrradpreise

Beim Deutschen Fahrradpreis sind am 13. Mai drei Projekte aus Nordrhein-Westfalen ausgezeichnet worden. In der Kategorie Infrastruktur kamen der erste und zweite Platz aus dem bevölkerungsreichsten Bundesland, wie das NRW-Verkehrministerium mitteilte. Die Preise wurden auf dem Nationalen Radverkehrskongress des Bundesverkehrsministeriums in der Messe Dresden verliehen. Insgesamt ist die Auszeichnung mit 18.000 Euro dotiert.

NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU) erklärte zur Preisvergabe: "Nordrhein-Westfalen ist und bleibt Fahrradland Nummer 1." Die Auszeichnungen zeigten, dass NRW alle Voraussetzungen habe, um zur Modellregion für die Mobilität der Zukunft zu werden.

Erster Platz für Radwegenetz in der Metropole Ruhr

Die Weiterentwicklung des Regionalen Radwegenetzes in der Metropole Ruhr erhielt den ersten Platz in der Sparte Infrastruktur. Das Projekt setzt sich dafür ein, das Radnetz weiter auf rund 1.800 Kilometer auszubauen, wie es hieß. Dazu zählen den Plänen zufolge Radverbindungen für 53 Kommunen. In derselben Sparte erzielte die Radwelle aus Oberhausen den zweiten Platz für seine grüne Welle an Ampeln für Fahrradfahrer.

Das Projekt "#RingFrei" aus Köln wurde mit dem ersten Platz in der Kategorie Kommunikation für seine gezielte Ansprache der Öffentlichkeit und eine klare Einbindung der örtlichen Politik gewürdigt. Die Initiative setzte eine Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht auf den Kölner Ringen durch. Dadurch sei der Kölner Boulevard zu einer Flaniermeile und einer sicheren Fahrradverbindung umgewandelt worden.

Sänger Max Raabe ist "Fahrradfreundlichste Persönlichkeit"

Ebenfalls prämiert wurde der Sänger Max Raabe aus Lünen. Der 56-Jährige erhielt die Auszeichnung "Fahrradfreundlichste Persönlichkeit 2019". In einem seiner Lieder singt er: "Manchmal läuft im Leben alles glatt - vorausgesetzt, dass man ein Fahrrad hat".

Der Deutsche Fahrradpreis wurde in diesem Jahr zum 19. Mal ausgelobt. Ausgezeichnet werden Preisträger in den Kategorien Infrastruktur, Service und Kommunikation. Zudem kürt der Preis einen Gewinner eines Fotowettbewerbs und eine fahrradfreundliche Persönlichkeit. Der Fahrradpreis wird vom Bundesverkehrsministerium sowie der Arbeitsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte, Gemeinden und Kreise in NRW verliehen.



UN-Netzwerk "Kulturweit" sucht wieder Freiwillige für Soziales Jahr

Junge Kulturinteressierte aus Deutschland können sich ab sofort für ein Freiwilliges Soziales Jahr im Bereich Kultur, Natur und Bildung im Ausland bewerben. Im Freiwilligendienst "Kulturweit" der Deutschen Unesco-Kommission engagierten sich die Teilnehmer zwischen 18 und 26 Jahren weltweit an Schulen, Kultureinrichtungen oder Naturerbestätten, teilte die Deutsche Kommission der UN-Bildungsorganisation am 14. Mai in Bonn mit. Der Freiwilligendienst, der sich vor allem an Schulabgänger richtet, beginnt am 1. September 2020.

Jedes Jahr sammeln den Angaben nach rund 450 Kulturweit-Freiwillige Erfahrungen durch ihren Einsatz bei Bildungs-, Natur- oder Kulturprojekten. Sie assistieren im Deutschunterricht an Schulen, packen bei Kulturprojekten mit an oder machen sich für das Unesco-Netzwerk stark. Darauf werden die Freiwilligen mit Seminaren und einem Sprachkurs vorbereitet, wie die Deutsche Unesco-Kommission erklärte. Sie werden versichert, erhalten Reisegeld und einen Mietzuschuss. In diesem Jahr feiert das Programm Kulturweit sein zehnjähriges Bestehen mit Ideenwerkstätten, einem Festakt und einer Zukunftswerkstatt am 12. und 13. September in Berlin.




Schulen

Debatte um Kopftuchverbot an Grundschulen geht weiter


Eine Grundschülerin mit Kopftuch mit ihrem Lehrer
epd-bild / Gustavo Alabiso
In den meisten Bundesländern gibt es inzwischen vereinzelt kopftuchtragende Lehrerinnen. Jetzt wird darüber diskutiert, ob man Mädchen an Kindergärten und Grundschulen ein Kopftuch verbieten soll, damit sie besser integriert werden.

Die Debatte um ein Kopftuchverbot an Grundschulen in Deutschland hält an: Dass kleine Mädchen Kopftuch tragen, habe "mit Religion oder Religionsfreiheit nichts zu tun, das sehen auch viele Muslime so", sagte am Wochenende die CDU-Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer den Zeitungen der Essener Funke Mediengruppe. Sie halte eine "Debatte darüber, ob wir Kopftücher in Kindergarten oder Grundschule zulassen, für absolut berechtigt".

Dagegen sprach sich Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) gegen ein solches Kopftuchverbot aus. "Wir müssen alle Mädchen darin stärken, zu selbstbewussten und unabhängigen Frauen heranzuwachsen. Ich habe Zweifel, ob eine Verbotsdebatte da hilft", sagte Barley der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (18. Mai)

Vorstoß der Bundesintegrationsbeauftragten

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz (CDU), dringt auf die Prüfung eines Kopftuchverbots für Mädchen an Kindergärten und Grundschulen. In einer gemeinsamen Erklärung unterstrichen derweil mehrere Unionspolitiker, die Debatte um ein Kopftuchverbot sei angesichts "zunehmender Hilferufe aus der Lehrerschaft" dringend erforderlich.

Die Vorsitzende des Grundschulverbandes, Maresi Lassek, lehnt ein Kopftuchverbot an Grundschulen ab. Sie halte dies "auch nicht für durchsetzbar, sagte sie dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland (Samstag): "Kinder würden in eine Sonderrolle gedrängt, die wir nicht wollen." Sie rate eher dazu, mit Eltern und Kindern im Gespräch zu sein. Lassek zufolge kämen Kopftücher an Grundschulen eher selten vor. In Ballungsräumen mit vielen muslimischen Kindern gebe es sie aber häufiger.

Hintergrund der Debatte ist ein Beschluss des österreichischen Parlaments von Mitte Mai. Mit den Stimmen der konservativen ÖVP und der rechten FPÖ wurde ein Verbot von Kopftüchern an Grundschulen verabschiedet.

Kultusministerkonferenz: Kaum Chancen für Verbot

Der Präsident der Kultusministerkonferenz, Alexander Lorz, äußerte sich kritisch zu einem Kopftuchverbot. "Wenn sich Eltern auf die Freiheit der Religionsausübung berufen, hat unser Rechtsstaat wenig Handlungsmöglichkeiten", sagte der hessische Kultusminister den Zeitungen der "Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft" (18. Mai). Ein gesetzliches Verbot dürfte vor dem Verfassungsgericht kaum bestehen, fügte Lorz hinzu: "Wir sollten nicht immer sofort nach einem Gesetz oder Verbot rufen."

Grundsätzlich sieht Lorz das Tragen eines Kopftuchs im Unterricht allerdings kritisch. "Aus pädagogischen und integrativen Gesichtspunkten muss man das Tragen eines Kopftuches im Grundschulalter, zumal es der Islam auch nicht vorsieht, ablehnen", erklärte er. "Es trägt nicht zur Integration bei und stigmatisiert diese Mädchen in der Klassengemeinschaft."

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgericht von 2015, das ein pauschales Kopftuchverbot als nicht vereinbar mit dem Grundgesetz sieht, haben die meisten Bundesländer vereinzelt kopftuchtragende Lehrerinnen in den Schuldienst aufgenommen.



NRW stellt Aktionsplan gegen Gewalt an Schulen vor


Siebtklässler nehmen an einem Deeskalationstraining teil.
epd-bild / Uwe Möller

Das Land Nordrhein-Westfalen will die Schulen bei der Vorbeugung gegen Gewalt und Diskriminierung stärker unterstützen. Das sieht ein Aktionsplan "Für Demokratie und Respekt" vor, den Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) am 17. Mai in Düsseldorf vorstellte. Im Zentrum steht eine Verdoppelung des schulpsychologischen Engagements des Landes. Aktuell gibt es landesweit 357 Schulpsychologen, von denen 189 beim Land und 168 bei den Kommunen angestellt sind. Das Land will seinen Anteil nun mit 162 geplanten Neueinstellungen aufstocken.

Schon zum 1. August soll es 54 erstmalige Stellen für Beratungslehrkräfte und sozialpädagogische Fachkräfte geben, die bei den schulpsychologischen Diensten angesiedelt sein werden. Die Zahl der Stellen für Schulpsychologen soll im nächsten Haushalt um 100 erhöht werden. Acht neue Stellen seien schon in diesem Jahr geschaffen worden, wie die Ministerin erläuterte. Schulen seien ein Ort, um zu lernen und die Grundlage für eine erfolgreiche Zukunft zu schaffen. Gewalt und Diskriminierung hätten da keinen Platz.

Deutlicher Anstieg von Straftaten an Schulen

Anlass für den Aktionsplan, zu dem auch ein Notfallordner mit Handlungsempfehlungen für den Umgang mit Krisen- und Notfalllagen an Schulen gehört, ist der jüngst deutliche Anstieg von Straftaten an Schulen. So gab es 1.034 angezeigte Fälle von Gewaltkriminalität im Jahr 2017 - laut Ministerium vor allem beim Cybermobbing. Das waren knapp 18 Prozent mehr als 2016. Gebauer schließt einen "Ausreißer" nicht aus, denn in den Jahren 2008 bis 2016 war die Zahl dieser Delikte von 1.782 auf 879 noch um mehr als die Hälfte gesunken.

"Unsere 6.000 Schulen in NRW sind sichere Orte", betonte die Ministerin vor diesem Hintergrund. Aber jeder Fall von Gewalt und Diskriminierung sei "ein Fall zu viel". Die Politik sei mitverantwortlich, dass die Sicherheit an den Schulen gewährleistet bleibe: "Deshalb wollen wir die Schulen noch besser bei der Präventionsarbeit unterstützen. Denn Prävention ist immer besser als Intervention."

Weitere Bausteine des Aktionsplans, der auf Empfehlungen von Bildungsexperten beruht, sind Aus- und Fortbildungen für die Schulleitungen und die Lehrkräfte, in denen der Umgang mit Gewalt und Diskriminierung Thema ist. Außerdem will die Landesregierung die Erfassung von Straftaten an Schulen neu regeln und in diesem Zusammenhang prüfen, ob eine Meldepflicht für bestimmte Delikte wie beispielsweise antisemitische Straftaten eingeführt werden soll.

Gebauer: "Gewaltdelikte häufig auch verbaler Art"

Gewaltdelikte seien keinesfalls nur körperlicher, sondern häufig auch verbaler Art, sagte die Ministerin. Sie sprach sich dafür aus, grundsätzlich jede Straftat an Schulen zu melden. Inwiefern das bisher schon geschehe, sei aber nicht bekannt. Auch über das Anzeigeverhalten von Schülern und Lehrern gebe es bislang keine Erkenntnisse.

Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) in NRW begrüßte die Aufstockung des schulpsychologischen Dienstes als wichtigen Schritt. Die Opfer seien Kinder, Jugendliche und die Pädagogen, erklärte am Freitag der Landesvorsitzende Stefan Behlau in Dortmund. Immerhin berichte jede dritte Schulleitung in NRW über Gewalt gegen Lehrkräfte. Entscheidend sei aber auch eine Stärkung des pädagogische Personals und der Schulsozialarbeit. "Wir fordern für jede Schule mindestens eine Landesstelle für Schulsozialarbeit."



In NRW gehen mehr Schüler ohne Hauptschulabschluss ab

Die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die ohne Hauptschulabschluss von einer allgemeinbildenden Schule abgehen, ist in Nordrhein-Westfalen leicht gestiegen. Wie das Statistische Landesamt am 17. Mai in Düsseldorf mitteilte, lag die Zahl im Sommer 2018 bei 11.522. Das war im Vergleich zum Vorjahr ein Zuwachs von 3,3 Prozent. Überdurchschnittlich hoch war demnach der Anteil der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss bei den ausländischen Jungen und Mädchen: Er betrug 16 Prozent.

Mehr als die Hälfte (5.983) der Schulabgänger erreichte 2018 einen Abschluss im Rahmen einer sonderpädagogischer Förderung. 5.539 junge Menschen verließen die Schule ohne jeglichen Abschluss. Das waren den Angaben zufolge 2,9 Prozent aller Schulabgänger. Bei den ausländischen Schülerinnen und Schülern lag der Anteil mit 11,3 Prozent ebenfalls deutlich über den Durchschnitt.

Die Lehrergewerkschaft VBE in NRW forderte angesichts dieser Zahlen mehr Chancengleichheit in den Schulen. "Kinder müssen die gleichen Chancen und Möglichkeiten auf Bildung, Erziehung und Betreuung haben. Bildung und Erziehung darf keinesfalls eine Frage des Wohnorts oder der finanziellen Ausstattung mehr sein", sagte der Landesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Stefan Behlau. Für die individuelle Förderung sei deshalb mehr Personal nötig. "Jeder Jugendliche, der die Schule ohne Abschluss verlässt, ist einer zu viel", erklärte Behlau.



Bundeswehr mit über 5.000 Vorträge an Schulen

Soldaten der Bundeswehr haben im vergangenen Jahr als Karriereberater insgesamt 5.267 Vorträge an Schulen gehalten und für eine Berufslaufbahn bei der Armee geworben. Damit erreichten die besonders beauftragten Offiziere im vergangenen Jahr 115.367 Schülerinnen und Schüler, teilte das Verteidigungsministerium auf eine Anfrage der Linken-Fraktion im Bundestag mit. Die Zeitungen der Essener Funke Mediengruppe (20. Mai) hatten zunächst darüber berichtet.

Die meisten Vorträge hielten die Soldaten den Angaben nach an Realschulen (1.768), Berufsbildenden Schulen (1.637) und Gymnasien (1.335). Hinzu kamen rund 3.000 Vorträge von Karriereberatern der Bundeswehr vor Schülern, Lehrern und Vertretern der Schulbehörde etwa im Rahmen von Projekttagen oder Jobmessen.

Zudem hielten sogenannte Jugendoffiziere der Bundeswehr im vergangenen Jahr 3.459 Vorträge an Schulen, in denen sie nach Angaben der Bundesregierung über militärische und sicherheitspolitische Themen informierten. Die Jugendoffiziere erreichten in diesem Bereich 86.688 Mädchen und Jungen in den Klassenzimmern. Zudem veranstaltete die Bundeswehr rund 1.000 Seminare für Schulen und erreichten so noch einmal mehr als 30.000 Schülerinnen und Schüler.

Linke nennt Vorgehen "Militärpropaganda"

Insgesamt seien 2018 keine signifikanten Änderungen zur Reichweite festzustellen, hieß es. Sie bleibe auf hohem Niveau. Dennoch übte die Linke Kritik an den Vorträgen von Karriereberatern und Jugendoffizieren an Schulen. "Die Militarisierung der Schulen muss endlich beendet werden. Sie sollen der Wertevermittlung, nicht der Aufrüstung der Köpfe dienen", erklärte die innenpolitische Sprecherin der Linken, Ulla Jelpke. Die Einbindung von Lehrpersonal in die Bundeswehr-Veranstaltungen untergrabe zudem die gebotene politische Neutralität der Schulen. Auch die Lehrer-Gewerkschaft GEW hatte Besuche der Bundeswehr an Schulen in der Vergangenheit kritisiert.

Die Bundesregierung verteidigte dagegen den Einsatz von Karriereberatern und Jugendoffizieren und wies den Vorwurf der Militarisierung der Schulen zurück. Das Handeln der Bundeswehr als Parlamentsarmee sei durch die enge Begleitung durch den Deutschen Bundestag besonders legitimiert. "Aktivitäten der Bundeswehr sind keine Maßnahmen der Militarisierung", erklärte das Verteidigungsministerium in seiner Antwort. Jugendoffiziere führten keinen Unterricht, sondern informierten lediglich. Lehrer seien bei den Veranstaltungen anwesend und für ihren Unterricht pädagogisch verantwortlich.



"Parents for future" veröffentlicht Wahlprüfsteine zur Europawahl

Die Elterninitiative "Parents for future" will die Europawahl zu einer Klimawahl machen. Dazu hat die bundesweite Initiative eine Klima-Umfrage unter allen 41 Parteien gemacht, die in Deutschland bei der Europawahl am 26. Mai antreten, wie Ingo Laubenthal von "Parents for future" am 16. Mai dem epd in Karlsruhe sagte. Ziel sei es, dass Parteien gewählt werden, denen es ernst mit dem Klimaschutz ist. Geantwortet haben 23 Parteien. Ihre Antworten finden sich auf der Internetseite www.klimawahl-2019.eu.

Der Fragebogen zu Klimaneutralität, Kohleausstieg oder Kohlendioxid-Steuer (CO2) basiert auf Forderungen der "Fridays for Future"-Bewegung von Schülern. Deren Forderungen seien ambitionierter als die aktuelle Klimapolitik der Bundesregierung, so Laubenthal. Daher verwundere es nicht, dass CDU/CSU, AfD, FDP und die SPD die Klimaforderungen der Schüler ablehnen. Die SPD befürwortet jedoch die Einführung einer CO2-Steuer bis zum Jahresende ebenso wie elf weitere Parteien.

Reaktionen der Parteien gemischt

Während etwa die Partei "Die Linke" allen Prüfsteinen zustimmt, bezweifeln die Grünen, ob die Klimaneutralität und die Deckung des Energiebedarfs aus erneuerbaren Energien bis 2035 realistisch ist. Der Forderung, dass Deutschland bereits 2035 klimaneutral werden soll, stimmen 13 Parteien zu.

Laubenthal äußerte sich "enttäuscht, aber nicht überrascht" von den Reaktionen der Parteien. "Wir haben gehofft, dass bei den Parteien ein Nachdenken einsetzt", sagte er. Um eine Klimakatastrophe abzuwenden, müssten die Parteien Mut zu radikalen Maßnahmen fassen - auch wenn sich Teile ihrer eigenen Klientel noch dagegen sträuben. "Die Natur verhandelt nicht mit uns", so Laubenthal.

Die Forderung nach einem Kohleausstieg bis 2030 unterstützen 15 Parteien. Subventionen für fossile Energieträger sollen nach Ansicht von "Fridays for Future" schon bis Ende 2019 enden. Diese Forderung findet bei den Parteien mit den höchsten Zustimmungswert: 16 stimmen dem zu.

Während die Schüler wollen, dass der gesamte Energiebedarf bis 2035 durch erneuerbare Energien gedeckt wird, will die Bundesregierung den Anteil an Erneuerbaren Energien bis 2050 lediglich auf 60 Prozent erhöhen. Der Forderung der Schüler stimmen elf Parteien zu.

Unter dem Motto "Fridays for Future" gehen seit mehreren Wochen junge Menschen weltweit freitags auf die Straße, anstatt die Schule oder die Universität zu besuchen. Sie fordern eine bessere Klimapolitik. Vorbild für die Streikenden ist die 16-jährige Schwedin Greta Thunberg.




Soziales

Gutachter: Behandlungsfehler bei jeder vierten Prüfung


Chirurgische Instrumente in einem Krankenhaus
epd-bild/Heike Lyding
Das falsche Knie operiert oder das falsche Medikament geschluckt: Jeder Patient hat Angst vor Fehlern. Wie häufig sie in Deutschland wirklich vorkommen, kann nur geschätzt werden. Aber jedes Jahr gibt es Zahlen, die zumindest einen Ausschnitt zeigen.

In jedem vierten geprüften Fall haben die Gutachter vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK und MDS) im vergangenen Jahr einen Behandlungsfehler festgestellt. Die Statistik für 2018 stellten sie am 16. Mai in Berlin vor - machten aber zugleich darauf aufmerksam, dass sie nur einen kleinen Ausschnitt zeigt. Über das tatsächliche Ausmaß von Behandlungsfehlern gibt es in Deutschland nur Schätzungen.

Insgesamt fertigte der Medizinische Dienst der Krankenkassen im vergangenen Jahr rund 14.100 Gutachten an, etwas mehr als 2017. Die Prüfer ermittelten rund 3.500 Behandlungsfehler. In 2.800 Fällen, einem Fünftel, wiesen sie nach, dass die Fehler bei den Patienten zu einem gesundheitlichen Schaden geführt haben.

Als Beispiele nannten sie eine Bandscheiben-Operation an der falschen Bandscheibe oder eine übersehene Eileiterschwangerschaft. Einem Patienten wurde ein Antibiotikum verabreicht, gegen das er hochallergisch war, wie der Patientenakte zu entnehmen war.

Bei zwei Dritteln der überprüften Beschwerden ging es um Klinikaufenthalte, ein Drittel der Versicherten beantragten ein Gutachten über eine Behandlung in einer Arztpraxis. Aus Sicht der Patienten passieren die meisten Fehler in der Unfallchirurgie und Orthopädie, 31 Prozent der Beschwerden kommen aus diesen Gebieten. Es folgen die Innere Medizin, die Allgemeinchirurgie und die Geburtshilfe. In fünf Prozent aller Gutachten wurden mögliche Pflegefehler untersucht.

Schadensersatz nur nach Gutachten

Neben den Krankenkassen legt auch die Bundesärztekammer jedes Jahr eine Statistik zu Behandlungsfehlern vor. Die Prüfer der Ärztekammern stellten rund 2.160 weitere Behandlungsfehler fest. Patienten, die vermuten, durch eine falsche Behandlung geschädigt worden zu sein, können nur dann Schadenersatz einklagen, wenn der Fehler durch ein Gutachten bestätigt ist. Wie viele der Patienten vor Gericht ziehen, ist nicht bekannt.

Die von den Gutachtern bestätigten Fehler stellten nur einen sehr kleinen Ausschnitt dar, erklärte der stellvertretende MDS-Geschäftsführer Stefan Gronemeyer. Die Dunkelziffer sei Studien zufolge um das Dreißigfache höher. Sie muss aber vor dem Hintergrund von rund 20 Millionen Behandlungen allein in den Krankenhäusern gesehen werden. Hinzu kommen nach Angaben der Bundesärztekammer rund eine Milliarde Arztkontakte.

Doch jeder Fehler kann tragisch sein. Die Prüfer der Krankenkassen forderten mehr Anstrengungen, um Behandlungsfehler zu vermeiden. Sie plädieren für eine nationale Liste von Schäden durch Kunstfehler mit schweren Folgen für die Patienten, sogenannte "Never-Events". Dazu zählen etwa falsche Operationen, schweres Wundliegen (Dekubitus) oder der Tod oder die Behinderung eines Kindes durch Fehler bei der Geburt. In England etwa werde eine solche Liste geführt und ausgewertet, um vermeidbare Fehler auch tatsächlich zu verhindern, sagte Gronemeyer.

Er bemängelte, dass in Deutschland zu wenig geschehe. Zwar gebe es in allen Krankenhäusern die Möglichkeit, Fehler zu melden. Doch sei das völlig freiwillig. Ebenso gibt es keine Verpflichtungen für die Kliniken, Fehler an eine nationale Stelle weiterzumelden. Zudem würden die Daten nicht ausgewertet. In zehn Jahren seien nur 6.200 Behandlungsfehler national erfasst worden, weniger, als allein die Gutachter des Medizinischen Dienstes gezählt haben.

Rund 20 Jahre nach einem Aufbruch im Gesundheitswesen zu einem anderen Umgang mit Fehlern - ausgelöst durch die angelsächsischen Länder - herrsche in Deutschland Stillstand, bemängelte Gronemeyer.



Laumann: Ausländische Pflegekräfte lösen allein Mangel nicht


Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) verteilte am 14. Mai Rosen an angehende Pflegekräfte der Kaiserswerther Diakonie in Düsseldorf.
epd/Hans-Jürgen Bauer

NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) sieht im Anwerben von Pflegekräften aus dem Ausland allein nicht die Lösung für Personalmangel in Deutschland. Im vergangenen Jahr seien bereits 1.700 Pflegekräfte aus anderen Ländern nach NRW gekommen, sagte Laumann am 14. Mai in Düsseldorf bei einem Besuch der Kaiserswerther Diakonie. Das aber sorge dafür, dass das Pflegesystem etwa in Rumänien zusammenbreche, weil dort die Arbeitskräfte fehlen. "Daher muss es unser Ziel sein, dass Menschen, die hier leben, sich für den Beruf interessieren."

Laumann bedankte sich in Düsseldorf bei Auszubildenden und Studierenden für ihren täglichen Einsatz für pflegebedürftige Menschen. Der CDU-Politiker betonte, der Pflegeberuf müsse für die jüngere Generation in Nordrhein-Westfalen attraktiver gemacht werden. "Der Druck auf die Pflegenden ist hoch. Daher müssen wir dafür Sorge tragen, dass wir die jüngere Generation für den Pflegeberuf begeistern - und zwar dauerhaft", sagte Laumann.

Ein Verbesserungsansatz sei die im Jahr 2020 startende generalistische Ausbildung, bei der die Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege in einer neuen Pflegeausbildung verbunden werden. Dann gebe es etwa keine Unterschiede mehr bei der Entlohnung. Da auch mehr Lehrer für die Pflegeberufe gebraucht würden, versprach Laumann, die Studienkosten für Pflegepädagogen abzuschaffen.

Für die Beschwerden der Auszubildenden über eine hohe Arbeitsbelastung und Schichtdienstregelungen zeigte der Minister Verständnis und versprach eine Fachtagung zu dem Thema: "Es ist nicht gut, junge Leute im Schichtdienst zu verheizen", sagte der Minister. Er nahm aber auch die Pflegenden selbst in die Pflicht: "Ich kenne keinen Beruf, der mit 200.000 Menschen in NRW so groß und schlecht organisiert ist." Um ihre Forderungen durchzusetzen, müssten sich die Pflegenden stärker in Gewerkschaften und Berufsverbänden engagieren. "Es geht nicht anders, als dass die Pflege die Weiterentwicklung ihres Berufes selber in die Hand nimmt." Laumann will die Gründung einer Landespflegekammer gesetzlich auf den Weg bringen.



Kirchen und Politik bekennen Schuld für Unrecht an Heimkindern

Isolationshaft, sexueller Missbrauch, Medikamententests: Lange wurde in Deutschland über die Misshandlung von Heimkindern geschwiegen. Entschädigungen gibt es erst seit einigen Jahren. Diese reichen vielen Betroffenen nicht aus.

Bund, Länder und Kirchen haben sich erneut zu ihrer Verantwortung für begangenes Unrecht an Kindern und Jugendlichen in ost- und westdeutschen Heimen bekannt. "Staat und Gesellschaft haben versagt in Ost und West", sagte Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD) am 13. Mai in Berlin bei einer Veranstaltung der Stiftung Anerkennung und Hilfe. Zu lange seien den Betroffenen "die elementaren Prinzipien unsers Rechtsstaats verwehrt" und das Unrecht verschwiegen oder bagatellisiert worden. Der Minister mahnte eine rasche Aufarbeitung an. Betroffenen-Vertreter kritisierten unterdessen die bisherigen Entschädigungsleistungen von Politik und Kirchen als unzureichend.

Der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Markus Dröge, bat im Namen der evangelischen Kirche und der Diakonie die Betroffenen für das erlittene Leid und Unrecht um Verzeihung. "Wir haben damit Schuld auf uns geladen", sagte Dröge. Auch Berlins katholischer Erzbischof Heiner Koch entschuldigte sich im Namen der Kirche. Auf der Veranstaltung unter dem Motto "Zeit, über das Leid zu sprechen" schilderten Betroffene ihre persönlichen Erfahrungen in den Heimen. Ein Großteil der Einrichtungen war in kirchlicher Trägerschaft.

Körperliche und psychische Gewalt

Konkret geht es um Hunderttausende Menschen, die in der Bundesrepublik von 1949 bis 1975 beziehungsweise in der DDR bis 1990 in Einrichtungen der Behindertenhilfe und Psychiatrie untergebracht waren. In den Heimen wurde den Kindern und Jugendlichen oft systematisch Leid und Unrecht angetan. Unter anderem wurden an ihnen Medikamententests vorgenommen, oder sie wurden zu Arbeitseinsätzen gezwungen. Viele von ihnen wurden in den Heimen Opfer von körperlicher und psychischer Gewalt sowie sexuellem Missbrauch.

Anfang 2017 war von Bund, Ländern und Kirchen die Stiftung Anerkennung und Hilfe gegründet worden. Betroffene können über die Stiftung eine pauschale Entschädigung in Höhe von 9.000 Euro sowie Rentenersatzleistungen von bis zu 5.000 Euro erhalten. Anträge dafür werden noch bis 31. Dezember 2020 angenommen. Vertreter von Bund, Ländern und Kirchen warben am Montag dafür, die verlängerte Antragsfrist unter den Betroffenen bekannter zu machen.

Angebot zur Versöhnung

Nach Angaben von Sozialstaatssekretärin Kerstin Griese (SPD) haben bundesweit bislang rund 14.000 Betroffene von den einmaligen Entschädigungszahlungen Gebrauch gemacht. Es seien bisher rund 64 Millionen Euro ausgezahlt worden, sagte Griese. Diese Leistungen könnten Leid und Unrecht nicht ungeschehen machen, sie seien vielmehr ein Angebot zur Versöhnung. Der Bundesbehindertenbeauftragte Jürgen Dusel kritisierte, dass den Opfern zu lange nicht zugehört worden sei. Das Thema sei in Deutschland jahrzehntelang verdrängt und tabuisiert worden.

Anlässlich der Veranstaltung der Stiftung Anerkennung und Hilfe äußerten Betroffene teils scharfe Kritik. Helfried Gareis, Vorstand im Verein ehemaliger Heimkinder, kritisierte das Treffen als "Billiglösung" und "Heuchelorgie". Die einmalige Entschädigungszahlung von 9.000 Euro sei unzureichend. Vereinssprecherin Doris Petras forderte ähnlich wie bei Opfern von DDR-Unrecht eine Entschädigungsrente von 550 Euro monatlich. Betroffenenvertreterin Manuela Nicklas-Beck aus Schleswig-Holstein sprach sich auf der Veranstaltung der Stiftung zudem für die Einrichtung eines Pflegefonds für diese Gruppe von Heimkindern aus.



Erste Bilanz: 570 vertrauliche Geburten in fünf Jahren

Es werden weniger Neugeborene in einer Babyklappe abgelegt, seit es die vertrauliche Geburt gibt, bei der die Mutter zunächst anonym bleiben kann. Zu diesem Ergebnis kommt die Bundesregierung fünf Jahre nach der Einführung des Gesetzes.

Rund 110 Frauen pro Jahr nehmen das Angebot einer vertraulichen Geburt an und bringen ihr Kind anonym zur Welt. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) zog am 14. Mai in Berlin eine positive Bilanz des im Mai 2014 in Kraft getretenen Gesetzes. Sie sagte, schwangere Frauen in Notlagen bräuchten Hilfe und Unterstützung. Giffey verwies auch auf den Erfolg des Hilfetelefons. Rund 6.500 Schwangere in Not wendeten sich jedes Jahr an die Beraterinnen. Das Gesetz zeige Wirkung.

Durch die Möglichkeit einer vertraulichen Geburt haben in den vergangenen fünf Jahren 570 Frauen ihr Kind nicht allein, sondern mit Hilfe einer Hebamme oder in einer Klinik zur Welt gebracht, obwohl sie die Schwangerschaft verbergen mussten. Die Kinder werden zur Adoption freigegeben.

Einer Befragung im Auftrag des Familienministeriums zufolge wurde mit der Einführung der vertraulichen Geburt der Trend zu immer mehr Abgaben von Neugeborenen in Babyklappen gestoppt. Von 2000 bis 2013 hatte sich die Zahl der anonym abgegebenen Neugeborenen auf 147 im Jahr 2013 mehr als verdreifacht.

Mehr als 2.000 Beratungen

Im Jahr 2014 sank sie auf 124 und stieg auf rund 150 anonym abgegebene Säuglinge in den Jahren 2015 und 2016. Damit sei die Zahl der anonymen Kindsabgaben zwar nicht weiter gesunken, liege aber unter den zu erwartenden Zahlen ohne die Alternative der vertraulichen Geburt, so die Autoren der Studie. Sie haben errechnet, dass in den drei Jahren 95 Babys weniger bei einer Babyklappe abgegeben wurden als zu erwarten gewesen wäre.

Der Befragung zufolge haben sich in den vergangenen fünf Jahren 2.250 Frauen zu einer vertraulichen Geburt beraten lassen. Etwa 20 Prozent entschieden sich dafür. Im Rahmen einer vertraulichen Geburt werden Name und Adresse der Mutter beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben hinterlegt, aber bis zum 16. Geburtstag des Kindes unter Verschluss gehalten. Danach können die Kinder nach ihrer leiblichen Mutter forschen und erhalten die Angaben.

Rund 24 Prozent der Schwangeren entschieden sich den Angaben zufolge nach der Beratung, ihr Kind selbst großzuziehen. Knapp 14 Prozent der Frauen entschlossen sich, es zu einer regulären Adoption freizugeben, also als leibliche Mutter nicht anonym zu bleiben. Bei rund einem Fünftel der Frauen ist nicht bekannt, wie sie sich entschieden haben. Knapp zwölf Prozent trieben das Ungeborene ab.

Die Einführung der Möglichkeit einer vertraulichen Geburt ist Teil eines Gesetzes, mit dem 2014 die Hilfsangebote für schwangere Frauen in Notlagen insgesamt verbessert wurden. Ein Ziel war, anonym geborenen Kindern die Möglichkeit zu geben zu erfahren, wer ihre Mutter ist. Für jeden Menschen sei es wichtig zu wissen, woher sie oder er komme, sagte Giffey. Kinder, die in einer Babyklappe abgegeben worden sind, hätten dazu aber keine Möglichkeit - und die schwangeren Frauen hätten keine Hilfe und medizinische Begleitung in einer "absoluten Ausnahmesituation", sagte Giffey.



Aktionsbündnis will gegen KiBiz-Reform demonstrieren

Für mehr Personal in den Kindertagesstätten in Nordrhein-Westfalen wollen Eltern, Kinder und Erzieherinnen auf die Straße gehen. Das Aktionsbündnis "Mehr Große für die Kleinen" rief am 15. Mai dazu auf, am 23. Mai vor dem Landtag in Düsseldorf gegen die geplante Reform des Kinderbildungsgesetzes (KiBiz) zu demonstrieren. Das Gesetz regelt die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen der Kindertagesbetreuung.

Das Bündnis, dem Mitglieder des Landeselternrates NRW, Gewerkschaften, Mitarbeitervertretungen und Betriebsräte von Kitas unterschiedlicher Träger angehören, kritisiert die Pläne der NRW-Landesregierung. "Das ist eine halbgare Revision, die die strukturellen Probleme nicht löst", sagte Katharina Schwabedissen, ver.di-Gewerkschaftssekretärin am 15. Mai in Düsseldorf. "Das Gesetz stellt die Finanzen in den Mittelpunkt, das Kinderwohl fällt unter den Tisch."

Mehr Personal gefordert

Das Ziel müssten eine bessere Personalausstattung und bessere Arbeitsbedingungen sein, forderte Schwabedissen. "Die Personaldecke ist dünn." Um die Attraktivität des Berufes zu fördern, fordert das Aktionsbündnis eine Vergütung auch für die schulische Ausbildung.

Der Referentenentwurf für die Reform des KiBiz sieht eine Flexibilisierung der Kita-Öffnungszeiten vor, durch die die Eltern im Alltag entlastet werden sollen. Dagegen hat das Bündnis prinzipiell nichts einzuwenden, es gebe jedoch eine Diskrepanz zwischen Öffnungszeiten und den gezahlten Pauschalen. Zwar gebe es eine 35-Stunden-Pauschale, die die Finanzierung für die Betreuung dieser Stunden sichern soll. Bei einer Flexibilisierung müssten die Kitas aber letztlich deutlich mehr Stunden leisten, die dann nicht mehr finanziert wären.

"Aus Elternsicht ist Flexibilität erwünscht, aber wenn das die Arbeitsverhältnisse verschlechtert und es mehr Krankenstand gibt, ist nichts gewonnen", kritisierte Darius Dunker, Vorsitzender des Landeselternbeirates der Kindertageseinrichtungen. Zudem fehle in dem Entwurf eine Stärkung der Elternmitbestimmung.

Das Bündnis fordert neben einer Personalaufstockung auch reduzierte Gruppengrößen, mehr Zeit für Elterngespräche und Weiterbildungen. Kita-Leitungen müssten zudem mehr Freistellungen bekommen, um sowohl den pädagogischen als auch organisatorischen Anforderungen gerecht zu werden. Auch fehle in vielen Kitas eine anständige Mittagsessensversorgung.

Positiv sieht das Bündnis, dass es ein zweites beitragsfreies Kita-Jahr geben soll, fordert aber auch eine landeseinheitliche Beitragstabelle. Es gebe noch zu viele Unterschiede innerhalb der Kommunen, die vor allem Eltern in strukturschwachen Regionen vor große Probleme stelle.

Das Bündnis "Mehr Große für die Kleinen" rechnet bei der Demonstration am 23. Mai im Düsseldorfer Rheinpark mit mehreren Tausend Teilnehmern aus ganz NRW.



Arbeitgeber müssen Arbeitszeiten komplett aufzeichnen

Der Europäische Gerichtshof stärkt die Rechte von Beschäftigten: Die EU-Staaten müssen Arbeitgeber zur kompletten Arbeitszeiterfassung verpflichten. Die reine Aufzeichnung von Überstunden genüge nicht, erklärten die Richter.

Die Arbeitszeiten von Arbeitnehmern müssen grundsätzlich voll erfasst werden. Arbeitgeber müssen verpflichtet werden, ein "objektives, verlässliches und zugängliches" Arbeitszeitsystem einzurichten, urteilte am 14. Mai der Europäische Gerichtshof (EuGH). Die Luxemburger Richter verwiesen darauf, dass die EU-Mitgliedstaaten entsprechende Regelungen zur Arbeitszeiterfassung erlassen müssen, im Einzelfall aber auch Ausnahmen vorsehen dürfen. (AZ: C-55/18)

Vor Gericht war eine spanische Gewerkschaft gezogen. Sie wollte die Deutsche Bank in Spanien dazu verpflichten, sämtliche Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten aufzuzeichnen. Nach spanischem Recht ist dies, ebenso wie in Deutschland, nur für die Überstunden vorgeschrieben.

Der EuGH verwies nun auf die EU-Grundrechte-Charta und die EU-Arbeitszeitrichtlinie. Ohne ein System zur täglichen Arbeitszeiterfassung könne "weder die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden und ihre zeitliche Verteilung noch die Zahl der Überstunden objektiv und verlässlich ermittelt werden". Es müsse aber gewährleistet werden, dass die gesetzlichen Höchstarbeitszeiten und Ruhepausen eingehalten werden.

Annelie Buntenbach, Mitglied im Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes, begrüßte die EuGH-Entscheidung. Der "Flatrate-Arbeit" werde nun mit der verpflichtenden Arbeitszeiterfassung ein Riegel vorgeschoben. Deutschland müsse umgehend eine entsprechende gesetzliche Grundlage zur Messung der Arbeitszeit schaffen.

"Aus der Zeit gefallen"

Gerade da, wo Arbeitgeber keine Arbeitszeiterfassung für notwendig hielten, fielen gemachte Überstunden unter den Tisch und würden nicht honoriert. "Das kommt nicht nur einem Lohn- und Zeitdiebstahl gleich - innerhalb eines Jahres wirtschaften sich die Arbeitgeber so rund 18 Milliarden Euro in die eigene Tasche", sagte Buntenbach. Auch gesundheitliche Beeinträchtigungen der Beschäftigten seien die Folge von zu vielen Überstunden.

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände kritisierte das EuGH-Urteil. Es wirke "wie aus der Zeit gefallen". Auf die Anforderungen der Arbeitswelt 4.0 könne man nicht mit einer Arbeitszeiterfassung reagieren. Doch auch künftig gelte, dass Arbeitgeber seine Beschäftigten verpflichten kann, die von ihnen geleistete Arbeit selbst aufzuzeichnen.

Jens Schubert, Chefjurist der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di sagte: "Arbeitszeit ist in Europa keine dokumentations- und kontrollfreie Zone mehr. Das Urteil sei ein "wichtiger Schritt zum besseren Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer".

Die Ärztevertretung Marburger Bund fühlt mit der Entscheidung der Luxemburger Richter Rückenwind für die kommenden Tarifverhandlungen mit den kommunalen Arbeitgebern. "Überschreitungen der Höchstarbeitszeitgrenzen sind in deutschen Krankenhäusern an der Tagesordnung, ohne dass die Aufsichtsbehörden diesem Missstand im erforderlichen Umfang begegnen", sagte Rudolf Henke, Vorsitzender des Marburger Bundes.

In Krankenhäusern werde immer wieder die Arbeitszeit von Hand erfasst oder die Zeiten nachträglich gekappt, um eine Überschreitung der Höchstarbeitsgrenzen nicht offensichtlich zu machen. Henke fordert daher, eine "manipulationsfreie, automatisierte Arbeitszeiterfassung". Nur dies könne die Voraussetzung für die Anordnung von Bereitschaftsdiensten der Ärzte sein.

Susanne Ferschl, stellvertretende Vorsitzende der Fraktion "Die Linke" im Bundestag, sagte: "Die gute gelebte Praxis zur Arbeitszeiterfassung von tarifgebundenen Unternehmen wird mit diesem Urteil zu einem gesetzlichen Anspruch für alle Beschäftigten."



Azubi-Mindestlohn soll 2020 starten

Lehrlinge sollen künftig eine Mindestvergütung bekommen. Etwa zehn Prozent der Ausbildungsbetriebe müssten dann mehr zahlen als bislang.

Die Bundesregierung will einen Mindestlohn für Auszubildende auf den Weg bringen. Vom Jahr 2020 an sollen sie im ersten Ausbildungsjahr eine Mindestvergütung von 515 Euro pro Monat erhalten, wie das Bundesbildungsministerium am 13. Mai in Berlin bestätigte. Zuerst hatten die Zeitungen der Essener Funke Mediengruppe (13. Mai) darüber berichtet.

In den Folgejahren soll sich die Ausbildungsvergütung laut Ministerium weiter erhöhen - im Jahr 2021 auf 550 Euro, ein Jahr später auf 585 Euro und ab 2023 auf 620 Euro. Zudem seien Aufschläge für Lehrlinge im zweiten, dritten und vierten Ausbildungsjahr geplant. Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) strebt einen Kabinettsbeschluss zur Reform des Berufsbildungsgesetzes bereits für den 15. Mai an.

Die Einführung des gesetzlichen Azubi-Mindestlohns würde sich in etwa zehn Prozent der Ausbildungsbetriebe unmittelbar auswirken, schätzt das in Bonn ansässige Bundesinstitut für Berufsbildung. Dabei seien kleine und kleinste Betriebe, Firmen im Handwerk und Unternehmen in Ostdeutschland besonders stark betroffen.

Mit der Reform würde erstmals in Deutschland eine gesetzliche Untergrenze für die Vergütung von Auszubildenden festgeschrieben, analog zum gesetzlichen Mindestlohn. Umstritten war in der Bundesregierung laut Zeitungsbericht zuletzt die Höhe der Lohnzahlungen. Dazu heißt es dem Bericht zufolge aus dem Ministerium: "Die festgesetzte Höhe der Mindestausbildungsvergütung ist Anerkennung der Leistung der Auszubildenden im Betrieb. Anderseits muss aber auch sichergestellt sein, dass die Motivation der Betriebe erhalten bleibt, Ausbildungsplätze anzubieten." Bildungsministerin Karliczek habe deswegen im Vorfeld Zugeständnisse gemacht: Dort, wo es aktuell Tarifverträge gebe, könne es passieren, dass Azubis auch weiterhin weniger als die Mindestvergütung bekämen.

Ein weiterer Schwerpunkt des Gesetzes sei die rechtliche Verankerung von drei Fortbildungsstufen und die Einführung von einheitlichen Bezeichnungen nach einer erfolgreichen Weiterbildung. Neben den traditionellen Titeln wie "Meister" soll es dann laut Zeitungsbericht zum Beispiel auch einen "Bachelor Professional" oder einen "Master Professional" geben. Damit sollen diese Qualifikationen auf dem internationalen Arbeitsmarkt besser vergleichbar werden.



Keine absolute Beschäftigungsgarantie für Schwerbehinderte

Schwerbehinderte Arbeitnehmer haben keine absolute Beschäftigungsgarantie. Fällt der bisherige Arbeitsplatz wegen einer Umstrukturierung weg, muss der Arbeitgeber keine neue Stelle für den schwerbehinderten Beschäftigten schaffen, urteilte am 16. Mai das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt. Der Arbeitgeber sei lediglich verpflichtet, mögliche Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten auf anderen freien Arbeitsplätzen zu berücksichtigen (AZ: 6 AZR 329/18).

Im konkreten Fall übte der schwerbehinderte Kläger Hilfsarbeiten in einem metallverarbeitenden Betrieb in Nordrhein-Westfalen aus. Als das Unternehmen Insolvenz anmeldete, wurde mit dem Betriebsrat ein Interessenausgleich vereinbart. Dabei sollten Arbeiten umverteilt werden und Arbeitsstellen wegfallen, darunter auch der Arbeitsplatz des schwerbehinderten Klägers. Anfallende Hilfsarbeiten sollten nun andere Kollegen übernehmen.

Der gekündigte Kläger meinte, dass er als Schwerbehinderter einen Beschäftigungsanspruch habe. Nach dem Gesetz müssten Arbeitgeber die Fähigkeiten und Kenntnisse schwerbehinderter Menschen voll verwerten und weiterentwickeln können. Sie seien zudem verpflichtet, die Arbeitsstätten behinderungsgerecht einzurichten. Dem ist seiner Argumentation nach sein Arbeitgeber jedoch nicht nachgekommen.

Das BAG urteilte, dass die Kündigung rechtmäßig ist. Zwar gebe es nach dem Gesetz einen Beschäftigungsanspruch für schwerbehinderte Arbeitnehmer. Dieser gelte aber nur, wenn eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit besteht. Hier sei der Arbeitsplatz wegen einer Umstrukturierung weggefallen. Der Arbeitgeber sei nicht verpflichtet, "für den Kläger einen Arbeitsplatz zu schaffen oder zu erhalten, den sie nach ihrem Organisationskonzept nicht mehr benötigt", urteilte das Bundesgericht.



Gesundheitszentrale: Senioren stehen positiv zum Alter

Ältere Menschen haben offenbar überwiegend eine positive Einstellung zum Alter. Zudem hätten sie laut einer aktuellen Studie trotz gesundheitlicher Einschränkungen eine starke Widerstandsfähigkeit, erklärten die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und das Bundesgesundheitsministerium am 16. Mai in Berlin. Das seien erste Ergebnisse einer Hochaltrigkeitsstudie, die am Donnerstag bei der 6. Bundeskonferenz der Bundesgesundheitszentrale in Berlin vorgestellt wurde. Das hohe Alter werde aber auch als Herausforderung für die Psyche betrachtet.

Studie "Altern in Balance"

Die Parlamentarische Staatssekretärin vom Bundesgesundheitsministerium, Sabine Weiss (CDU), unterstrich angesichts der Studienergebnisse, es sei wichtig, soziale Teilhabe von älteren Menschen zu stärken. Bundesweit seien heute bereits sechs Prozent der Bevölkerung 80 Jahre und älter. "Ressourcen im Alter zu stärken, ist angesichts des demografischen Wandels von großer Bedeutung", erklärte Weiss. Die Studie "Altern in Balance: Herausforderungen und Chancen des hohen Alters für das Individuum, die Gesellschaft, die Kultur" wurde im Auftrag der Bundesgesundheitszentrale vom Institut für Gerontologie der Universität Heidelberg durchgeführt.

Die Leiterin der in Köln ansässigen Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Heidrun Thaiss, erklärte, die Studie zeige, dass Lebenszufriedenheit und Gesundheit sowohl vom Grad der Pflegebedürftigkeit sowie von Bildung, Einkommen und sozialer Teilhabe abhängig ist. Wichtige Faktoren seien dabei die soziale und die körperliche Aktivität. Deshalb liege ein Schwerpunkt der Arbeit der Bundesgesundheitszentrale auf der Bewegungsförderung in den verschiedenen Lebenswelten älterer Menschen.

Der Leiter der Studie, Andreas Kruse, erklärte, die Studienergebnisse belegten eine überwiegend positive Lebenseinstellung der Befragten. Auch auf das Alter blickten sie größtenteils positiv. Zugleich werde das hohe Alter auch als wirkliche Herausforderung betrachtet. Stark ausgeprägt sei älteren Menschen die verantwortliche Selbst- und Weltgestaltung sowie gesundheitsbezogenes Engagement.

Themen der am 16. Mai in Berlin tagenden Bundeskonferenz waren den Angaben zufolge unter anderen die Förderung von Mobilität, Teilhabe und Lebensqualität älterer Menschen sowie die Gesundheit pflegender Angehöriger.



Zum Feiern nie zu alt


Die "Sorgenbrecher" spielen auf: Ü90-Party in Bensheim
epd-bild/Heike Lyding
Ausnahmezustand in der Cafeteria der Arbeiterwohlfahrt: Im südhessischen Bensheim feiern die Senioren einmal im Jahr ihre Ü90-Party.

"Noch was Sahne drauf?", schreit der junge Kellner gegen "Tulpen aus Amsterdam" an. Die weißhaarigen Damen am Tisch nicken kräftig, während sie gemeinsam zum Takt der Musik wippen. Sie lehnen sich zur Seite, damit der Mann mit der Sprühdose an die Teller mit dem Erdbeerkuchen kommt. Im Hintergrund klirrt Geschirr; Bässe von Saxofon und Akkordeon hallen durch die normalerweise beschauliche Cafeteria.

Im Sozialzentrum der Arbeiterwohlfahrt in hessischen Bensheim an der Bergstraße herrscht heute Ausnahmezustand. Einmal im Jahr, immer im Mai, startet hier die Ü90-Party. Inzwischen eine etablierte Größe im Bensheimer Festkalender.

"Erst wurde die Idee belächelt", erinnert sich Sigrid Schmeer, Leiterin des Sozialdienstes im AWO-Zentrum Bensheim. Der Einfall ist der Stadt zum "Hessentag" 2014 gekommen. Auf dem großen Landesfest war Premiere. "Die Stadt ist damals auf uns zugekommen und hat gesagt: Es wird so wenig für alte Leute getan", erzählt Schmeer.

Eingeladen wird seitdem nur, wer den 90. Geburtstag hinter sich hat - oder am Tag der Party 90 wird. Da sind die Organisatoren streng. Wer erst 89 ist, muss sich noch ein Jahr gedulden. "Das ist ein Ansporn für die Leute", erzählt Tanja Eichelbaum vom AWO-Sozialzentrum.

Hits von Cliff Richard

Mit Hilfe einer Liste aus dem Bürgerbüro schreiben Mitarbeiter der 41.000-Einwohner-Stadt die Senioren an. In diesem Jahr waren es 380, erzählt Andrea Schumacher von der Stadtverwaltung, die die Party mitorganisiert. Für das Programm lädt das Team Musiker aus der Gegend ein, die schon von Seniorentagen oder dem Winzerfest bekannt sind.

"Die Sorgenbrecher" gehören zur Stammbesetzung. Das Männer-Duo spielt Hits von Peter Kraus und Cliff Richard. Viele der Feiernden können die Lieder mitsingen. Die Luft im Saal ist stickig. Der 81-jährige "Sorgenbrecher" Helmut Gondolph nimmt seine Kapitänsmütze ab und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Mit seinem Akkordeon zieht er von Tisch zu Tisch. Bei Hermine Schuster macht er Halt.

Heute ist ihr 93. Geburtstag. Es gibt einen Blumenstrauß und einen Händedruck vom Bensheimer Bürgermeister Rolf Richter (CDU). "Ich bin eigentlich kein großer Partymensch", verrät das Geburtstagskind. "Aber es ist ganz schön, mit anderen zusammen zu kommen."

Rund 70 Senioren sind der Einladung gefolgt. Auch Ellenrut Taubitz und ihr Mann Erich haben es sich am Ende eines Tisches direkt am Fenster gemütlich gemacht. Die 95-Jährige ist schon zum fünften Mal dabei. "Ich erkenne das hoch an, dass die Stadt das macht. So fühlt man sich wie in der Mitte der Gemeinschaft", lobt die gebürtige Saarländerin das Konzept. Das Ehepaar wohnt ganz in der Nähe in einem kleinen Reihenhäuschen, wie die fitte Seniorin erzählt. Zweimal im Monat kommt die Putzfrau. Ansonsten erledigt sie alles selbst: Waschen, Bügeln, Putzen. "Ich mach's gern", betont Taubitz.

95 Jahre. Mit Blick in die Zukunft kein außergewöhnliches Alter mehr. Mehr als jedes dritte neugeborene Mädchen (37 Prozent) wird einer aktuellen Studie zufolge seinen 100. Geburtstag erleben. Laut den Berechnungen des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung liegt die durchschnittliche Lebenserwartung von 2017 geborenen Mädchen bei 94,8 Jahren. Schon heute sind rund 740.000 Menschen in Deutschland mindestens 90 Jahre alt.

"Ich bin viel geschwommen früher und hab Gymnastik gemacht, auch im Alter", erzählt Taubitz. "Und", sie hebt den Zeigefinger, "ich laufe jeden Tag zum Einkaufen, wenn ich nicht so viel zum Tragen habe. Ich glaub, das hält jung."

"Lieder schaffen Erinnerungen"

So agil wie Ellenrut Taubitz sind nicht alle im Raum. Viele hören nur noch wenig, einige sind dement. "Die nehmen das hier nicht bewusst als Party war, aber die Atmosphäre und die Musik. Die alten Lieder schaffen Erinnerungen", sagt AWO-Mitarbeiterin Eichelbaum. Sie steht zufrieden im Türrahmen. Neben ihr lehnen Rollatoren zusammengeklappt an der Flurwand. Ein paar Minuten kann die Gastgeberin durchatmen. Gerade sorgen die "Grieseler Rote Funken" für Stimmung.

Die fünf Mädchen von der Kinderballettgruppe hocken mit ihren neonfarbenen Tüllröcken auf dem Boden. Im Takt zu "We will rock you" klopfen sie mit ihren flachen Händen auf den Boden. Zu "I love Rock'n'Roll" läuft die Truppe klatschend durch die Menge. Die Partygäste machen mit, einige heben ihre Hände in die Höhe. "Zugabe!", ruft ein älterer Herr.

"Viele alte Menschen sind einsam. Hier können sie Leute treffen, Kaffee trinken. Das ist mal was Anderes", erklärt sich Gudrun Frehse vom örtlichen Deutschen Roten Kreuz den Erfolg der Feier. Die freiwillige Helferin genießt die zufriedenen Gesichter der Gäste am Ende des Tages. "Man wird viel angesprochen und auch mal gedrückt. Das gefällt mir."

Carina Dobra (epd)


Sozialverband fordert günstiges Seniorenticket für ganz NRW

Der Sozialverband VdK fordert für Nordrhein-Westfalen ein landesweit gültiges günstiges Seniorenticket. Vorbild könnte Hessen sein, teilte die Organisation am 15. Mai in Düsseldorf mit. Dort solle es ab dem 1. Januar 2020 für Männer und Frauen ab 65 Jahren eine Jahreskarte zum Preis von 365 Euro geben, mit der sie im ganzen Bundesland den öffentlichen Personennahverkehr nutzen können.

"Wir sehen hier durchaus auch Handlungsspielraum und gute Ansatzpunkte für Nordrhein-Westfalen", heißt es in einem Brief des VdK-Landesvorsitzenden Horst Vöge an NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU). Ein solches Angebot bedeute nicht nur ein Mehr an Lebensqualität für ältere Menschen, sondern auch "einen richtigen Schritt in Richtung Klimaschutz und Verkehrswende". Langfristig wäre natürlich "ein günstiges Bürgerticket für alle die gerechteste und ökologisch beste Lösung", betonte Vöge.



2,54 Millionen Mehrgenerationen-Haushalte in NRW

In Nordrhein-Westfalen hat 2017 mehr als jeder vierte Haushalt aus zwei oder mehr Generationen bestanden. In etwa 2,54 Millionen Haushalten leben mehrere Generationen unter einem Dach, wie das statistische Landesamt am 14. Mai in Düsseldorf nach Ergebnissen des Mikrozensus mitteilte. Das waren rund 29 Prozent der rund 8,77 Millionen Privathaushalte in NRW. Damit ist der Anteil der Mehrgenerationen-Haushalte leicht gesunken: Vor zehn Jahren waren es noch rund 32 Prozent, vor zwanzig Jahren etwa 34 Prozent.

In 2,49 Millionen Haushalten lebten den Statistikern zufolge zwei Generationen einer Familie zusammen. Mehr als zwei Generationen unter einem Dach waren hingegen seltener: In 0,5 Prozent aller Haushalte wohnten und wirtschafteten drei oder mehr Altersgruppen zusammen. Die Zahl ging von 64.000 Haushalten im Jahr 1997 über 46.000 im Jahr 2007 auf 43.000 im Jahr 2017 zurück.

Regierungsbezirk Münster liegt vorn

Am häufigsten leben Menschen im Regierungsbezirk Münster in mehreren Generationen unter einem Dach: Im Kreis Coesfeld und im Kreis Borken lag der Anteil bei rund 37 Prozent, im Kreis Steinfurt bei 36 Prozent. In den nordrhein-westfälischen Universitätsstädten gab es hingegen die niedrigsten Anteile: In Aachen lebten in nur etwa 19 Prozent der Haushalte mehrere Generationen unter einem Dach, in Düsseldorf in rund 23 Prozent und in Münster in etwa 22 Prozent der Haushalte.

Die Zahl der Generationen unter einem Dach richtet sich den Statistikern zufolge nach dem Familienverhältnis. Nur direkte und gradlinig Verwandte werden gezählt. Leben Menschen mit anderen Verwandten wie Tanten oder Neffen, verschwägerten Familienmitgliedern wie Schwiegersohn oder Schwiegermutter oder Menschen außerhalb der Familie zusammen, gilt das laut Mikrozensus nicht als Mehrgenerationenhaushalt.



Ärztekammer: Internet-Pornografie gefährdet Kindeswohl-Entwicklung

Die Ärztekammer Westfalen-Lippe ruft Erzieher und Eltern dazu auf, Kinder nicht unkontrolliert im Netz surfen zulassen. Die dort verbreitete Internet-Pornografie gefährde das Kindeswohl, warnte Ärztekammer-Präsident Theodor Windhorst. Ein unkontrollierter und unkommentierter Konsum solcher Inhalten sei für Kinder und Jugendliche ungeeignet und könne sie verstören. Zudem würden fragwürdige Vorstellungen von Sexualität vermittelt, die beziehungs- und lebensfern seien. Auf dem Forum Kinderschutz der Ärztekammer am 18. Mai in Arnsberg diskutierten Experten aus unterschiedlichen Bereichen über den "Einfluss der Internetpornografie auf die kindliche sexuelle Entwicklung".

Laut einer Studie der Universitäten Münster und Hohenheim haben knapp 50 Prozent der Jugendlichen zwischen 14 und 20 Jahren schon einmal pornografische Inhalte geguckt. Wer als junger Heranwachsender Pornos schaue, erkenne in vielen Fällen nicht, dass dort ein fragwürdiges Bild von Sexualität gezeigt würde, sagte Windhorst. "Die Frau wird zum Sexualobjekt degradiert, das willenlos und unterwürfig ist", kritisierte der Ärztekammer-Präsident. Eltern und Erzieher sollten deshalb frühzeitig das Thema Sexualität und die Problematik von Porno-Konsum behutsam ansprechen, empfiehlt er. Das Reden über die eigene Sexualität sei unter vielen Jugendlichen noch immer ein Tabuthema, mit dem sie weitestgehend allein gelassen würden.

Mögliche Suchtwirkung

Es bestehe zudem die Gefahr, dass regelmäßiger unreflektierter Konsum von Pornografie Gewalt fördere, sagte Windhorst weiter. "Ohne Aufklärung wird er zu einem erheblichen Störfaktor in der Gefühlswelt der Heranwachsenden, der wiederum Aggressionen und Gewaltpotenzial entstehen lässt." Auch könnte Pornografie eine ähnliche Suchtwirkung haben wie Alkohol oder Kokain. Dauernder Pornokonsum könne zu Depressionen, Aggressionen, Konzentrationsstörungen und sexuellen Störungen führen, erklärte der Mediziner.

Wichtige Schutzfaktoren für Kinder und Jugendliche seien nach wie vor ein gesundes Selbstbewusstsein, unterstützende Eltern und die Möglichkeit, offen über die eigenen Erfahrungen zu sprechen. Eltern könnten zudem den Zugang zu Pornografie durch technische Maßnahmen erschweren.




Medien & Kultur

Alles ist Kunst, alles ist Politik


Ai Weiwei im Gefängnis (2011-2013), eins von sechs Teilen des Werks "S.A.C.R.E.D.", in denen der Künstler die Bedingungen seiner Haft in China verarbeitet.
epd-bild/Hans-Jürgen Bauer
Die Kunstsammlung NRW in Düsseldorf zeigt die bisher größte Ausstellung des chinesischen Künstlers Ai Weiwei in Europa. Sie steht unter dem Leitmotiv "Everything is art. Everything is politics".

Die enge Verzahnung von politischem Engagement und künstlerischer Arbeit steht im Mittelpunkt einer großen Ausstellung mit Werken des chinesischen Künstlers Ai Weiwei, die die Kunstsammlung NRW in Düsseldorf seit dem 17. Mai zeigt. So hat der 61-jährige Künstler und Dissident etwa in seinem sechsteiligen großen Werk "S.A.C.R.E.D." die Bedingungen seiner Haft in China verarbeitet.

Die 81-tägige Einzelhaft im Jahr 2011 in seinem Heimatland sei für ihn auch "eine religiöse Erfahrung" gewesen, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd) bei der Präsentation der Ausstellung, die bis zum 1. September in beiden Museumsgebäuden K20 und K21 zu sehen ist.

Als seine Mutter ihn damals nach der Haftentlassung fragte, was in den 81 Tagen passiert sei, habe er sich entschlossen, "die Situation zu zeigen, sonst kann das keiner verstehen, was dort mit einem geschieht", sagte der Künstler, der seit Jahrzehnten für Menschenrechte, Meinungsfreiheit und die Freiheit der Kunst streitet. Er baute insgesamt - wie eine Art persönlicher Kreuzweg - sechs Stationen des Einzelhaft-Alltags nach. Der Gang zur Toilette, das Waschen, das Essen, das Schlafen, das Verhör und der Gang durch die Zelle, stets aufs Engste begleitet von zwei uniformierten Bewachern: All dies kann der Besucher in den Nachbildungen der Zelle durch kleine Sehschlitze sehen.

Schlauchboot-Skulptur

In anderen riesigen Installationen setzt sich der Künstler mit der Situation von Flüchtlingen auseinander. Da ist etwa die 17 Meter lange Skulptur eines mit 110 Menschen dicht besetzten Schlauchboots, die aus Bambus und Sisalgras gefertigt wurde und den Titel "Life Cycle" (Kreislauf des Lebens) trägt und erstmals in Europa zu sehen ist.

Die Köpfe einiger Personen sind chinesischen Tierkreiszeichen nachgebaut und symbolisieren laut Ai Weiwei den "Kreislauf des Werdens und Vergehens". Zu den Texten, die er dem Werk beigestellt hat, gehört auch ein Verweis auf den Bibelvers Hebräer 13, 2: "Vergesst die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt!"

Die gewaltige Installation "Waschsalon" besteht aus 40 Kleiderständern mit gut 2.000 verschiedenen Kleidungsstücken, die Ai Weiwei nach der Räumung des Flüchtlingslagers Idomeni in Griechenland eingesammelt hat. Die zumeist verdreckten und oft zerrissenen Jacken, Hosen, Babystrampler, Kleider und Blusen hat der Aktionskünstler waschen und ausbessern lassen. Nun also hängen sie im K21 und geben sauber und geflickt "den Menschen, die sie beim Beginn ihrer Flucht genau so getragen haben, auch ein Stück ihrer Würde zurück", wie der Künstler betonte.

Getreu seinem Credo "Everything is art. Everything is politics" (Alles ist Kunst, alles ist Politik), hat Ai Weiwei gemeinsam mit der Direktorin der Kunstsammlung NRW, Susanne Gaensheimer, und zwei weiteren Kuratoren die Schau über etwa zwei Jahre hinweg geplant. "Es ist die umfassendste Schau meiner Arbeiten, die jemals gezeigt wurde", stellte der Künstler am Donnerstag fest. Einige seiner riesigen, raumfüllenden Installationen sehe er selbst erstmals als Ganzes und zusammen ausgestellt.

Stahlstreben

So sind erstmals sämtliche Stahlstreben zu sehen, die Ai Weiwei nach dem verheerenden Erdbeben am 12. Mai 2008 im chinesischen Sichuan aus den zusammengestürzten Schulen geholt hat. Viele tausend Schulkinder waren damals ums Leben gekommen, weil zahlreiche Schulgebäude aufgrund von Korruption und Pfusch am Bau einstürzten, weil sie nicht erdbebensicher waren. In der Düsseldorfer Ausstellung sind auch die Namen aller ums Leben gekommenen Schulkinder dokumentiert. Dieses Werk - immerhin 164 Tonnen Armierungseisen - war noch nie zuvor in Europa zu sehen.

Auf insgesamt 650 Quadratmetern breitet sich im K20 zudem die gewaltige Installation "Sunflower-Seeds" aus. Sie besteht aus 100 Millionen handgefertigten und individuell bemalten Sonnenblumenkernen aus Porzellan und ist erstmals seit ihrer ersten Präsentation 2010 wieder vollständig zu sehen. Auch frühe, teils noch nie gezeigte Bilder von Aktionen des Künstlers seit den 1980er Jahren zeigt die Ausstellung.

Mit seinen regimekritischen Äußerungen gegenüber der chinesischen Regierung und als lange verfolgter Dissident wird der 1957 in Peking als Sohn des Dichters Al Qing geborene Ai Weiwei zumeist als politischer Kunst-Aktivist wahrgenommen. Er selbst verbrachte seine Kindheit und Jugend mit der Familie in der Verbannung in einem nordchinesischen Arbeitslager. "Seine Kunst hängt eng mit seiner Biografie zusammen", sagte Museumsdirektorin Gaensheimer.

Andreas Rehnolt (epd)


Im Spannungsfeld von Fakt und Fiktion


Erstmals in einem deutschen Museum zu sehen: Die "Protokolle der Weisen von Zion" sind ein Kerndokument moderner antisemitischer Verschwörungstheorien.
epd-bild/LWL/Ansgar Hoffmann
Wie entstehen Verschwörungstheorien, wie funktionieren sie und wie können sie entlarvt werden? Das Klostermuseum Dalheim beschäftigt sich in seiner neuesten Ausstellung eingehend mit dem Phänomen und will einen Beitrag zur Aufklärung leisten.

Ob Gift aus der Impfstoff-Spritze, die Lüge des Klimawandels oder die satirische Bielefeld-Verschwörung: Der Glaube an konspirative Theorien ist so populär wie nie. Und auch "Fake News" haben in Zeiten von Social Media Hochkonjunktur. Das LWL-Landesmuseum für Klosterkultur Dalheim bei Paderborn taucht in seiner neuesten Ausstellung ein in die Geschichte der Verschwörungstheorien der vergangenen neun Jahrhunderte und zeigt deren Wirkung auf.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eröffnete am 17. Mai die Sonderschau "Verschwörungstheorien - früher und heute" mit einem Appell, Desinformation im Internet entschieden entgegenzutreten. Der Kampf gehe alle an und müsse in Familien, Schulen, Büros und Betrieben ebenso ausgetragen werden wie in Zeitungsredaktionen, sozialen Netzwerken und Parlamenten, sagte Steinmeier. Die Zukunft der Demokratie hänge von der Unterscheidung zwischen Fakten und "Fake News", zwischen Tatsachen und Meinung ab, mahnte der Bundespräsident. Ein vernünftiger öffentlicher Diskurs setze voraus, dass ihm überprüfbare und allgemein akzeptierte Fakten zugrunde liegen. Nur dann seien auch vernünftige politische Entscheidungen möglich.

Faktencheck

Die Sonderschau ist bis zum 22. März 2020 in Dalheim zu sehen. In einer geheimnisvoll blau-violett gestalteten Ausstellungsarchitektur wandelt der Besucher durch lange Gänge des ehemaligen Chorherren-Stiftes. Eingerahmt von fließender, bedruckter Gaze werden rund 250 Exponate von internationalen Leihgebern mit gedämpftem Licht in Szene gesetzt. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart zeigt sich im Spannungsfeld von Fakt und Fiktion ganz deutlich: "Verschwörungstheorien sind ein immer wiederkehrendes Phänomen", sagt Museumsdirektor Ingo Grabowsky. Ziel der Ausstellung sei es, für das Thema zu sensibilisieren und zu zeigen, wie Verschwörungstheorien entstehen, funktionieren und wie man sie entlarven könne.

So ein emotionales Thema bietet Zündstoff: Bereits im Vorfeld der Sonderschau, die mit einer Million Euro zu Buche schlägt, hatte es einige kritische E-Mails und auch Unmut in Social-Media-Beiträgen gegeben. Das Museumsteam habe daraufhin ein Krisenszenario entwickelt, erzählt Grabowsky. "Wir haben die Ausstellung und ihre Fakten unzählige Male von Experten prüfen lassen", betont der Direktor und Geschäftsführer der Stiftung Kloster Dalheim. So erwartet die Besucher - Grabowsky rechnet mit 70.000 - eine sehr sorgfältig recherchierte Schau. Die Auswahl der Ausstellungsstücke reicht von alten Handschriften, Orden, Gemälden und Karikaturen bis hin zu Filmen.

Die Ausstellung zeigt, dass unsichere Zeiten die Popularität von Verschwörungstheorien begünstigen. Über die Jahrhunderte suchten die Menschen nach Schuldigen für Krisen, Kriege und Katastrophen: Im Mittelalter galten Hexen und Juden als religiöse Minderheit als "Agenten des Teufels", die angeblich christliche Kinder ermordeten, Hostien schändeten und Brunnen vergifteten.

Ordensgemeinschaften wie den Templern und später den Jesuiten ging es nicht besser - sie wurden der Ketzerei, Sodomie, Brandstiftung und Planung von Königsmorden verdächtigt und verfolgt. In der Ausstellung gibt eine Regelschrift der Tempelritter aus dem 12. Jahrhundert Einblick in den geistlichen Ritterorden, der von 1118 bis 1312 bestand. Das Dokument, das mit zu den ältesten Exponaten der Schau gehört, stammt aus Brügge.

Die Freimauer und Illuminaten dienten ebenso wie die Templer als Fläche für Projektionen. Ihnen wurde im 18. Jahrhundert nachgesagt, mit einer "Weltverschwörung" die Französische Revolution herbeigeführt zu haben. Als eine der wirkungsvollsten und nachhaltigsten konspirativen Theorien gelten die Protokolle der Weisen von Zion, die Anfang des 20. Jahrhunderts verbreitet wurden. 1903 erstmals gedruckt, skizziert der fiktive Text einen "jüdischen Weltherrschaftsplan". In der Ausstellung im Klostermuseum Dalheim ist er nun zum ersten Mal in einem deutschen Museum ausgestellt.

Chemtrails

Dass Verschwörungstheorien besonders in totalitären Systemen wie im Nationalsozialismus und in der ehemaligen Sowjetunion unter dem Diktator Josef Stalin aufblühten, überrascht nicht. Aber auch in demokratischen Gesellschaften des 21. Jahrhunderts haben sie nichts von ihrer Faszination verloren. So existieren nach wie vor Theorien, dass die Mondlandung der US-Amerikaner im Jahr 1969 lediglich im Studio gefilmt wurde oder dass die Anschläge auf das World Trade Center von der US-Regierung und deren Auslandsgeheimdienst CIA inszeniert wurden. Als Zeugnis des Schreckens vom 11. September 2001 ist in Dalheim ein zerstörter Aufzugsmotor aus einem der eingestürzten Türme zu sehen.

Die Schau schlägt die Brücke zum Heute, indem sie auf die Chemtrail-Bewegung aufmerksam macht, die in den Kondensstreifen am Himmel Vergiftungen der Bevölkerung vermutet. Die Anhänger der Barcode-Verschwörung warnen dagegen davor, dass in den Scancodes auf Produkten negative Energien freigesetzt werden.

Filmbeiträge und Bücher beschäftigen sich in der Ausstellung außerdem mit den sogenannten Reichsbürgern, die die Bundesrepublik Deutschland als Staat und deren Grundgesetz nicht anerkennen. Museumsdirektor Grabowsky warnt davor, die krude Thesen von rechtsextremen Bewegungen wie dieser als absurd und lächerlich abzutun: "Wir halten sie im Gegenteil für brandgefährlich, zeigt es doch, wie das Vertrauen der Bevölkerung in ihre Eliten verloren gegangen ist."

Martina Schäfer (epd)


Deutschland gibt "Cape Cross" an Namibia zurück


Der namibische Botschafter Andreas Guibeb, Kulturstaatsministerin Monika Grütters und DHM-Präsident Raphael Gross mit der Kreuzkapsäule
epd-bild / Rolf Zöllner

Das Deutsche Historische Museum (DHM) gibt die Kreuzkapsäule "Cape Cross" offiziell an Namibia zurück. Die rund 3,5 Meter große und über eine Tonne schwere Säule mit Steinkreuz wurde in der Kolonialzeit vor 125 Jahren von Kaiser Wilhelm II. von Namibia nach Deutschland gebracht, sagte DHM-Präsident Raphael Gross am 18. Mai in Berlin. Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) und Museumschef Gross werden die für diesen Spätsommer geplante Rückgabe der Säule begleiten. Der namibische Botschafter, Andreas Guibeb, begrüßte die Restitution als weiteren Schritt zur Aussöhnung zwischen Namibia und Deutschland.

Die namibische Regierung hatte den Angaben zufolge 2017 ein offizielles Rückgabeersuchen für die "Cape Cross" genannte Kreuzsäule an die Bundesregierung gestellt. Im Juni 2018 hatte das DHM mit rund 400 internationalen Experten ein Symposium zu ihrer Geschichte veranstaltet. Am Donnerstag fällte das Kuratorium des Museums einstimmig den Beschluss zur Rückgabe der Säule, die bislang noch im DHM ausgestellt ist. Gross betonte, "Cape Cross" sei für Namibia von großer historischer und kultureller Bedeutung. Es sei eines der wenigen Objekte, das die Landnahme durch die Portugiesen und damit den Beginn der Kolonialgeschichte für die Namibier dokumentiere.

Portugiesisches Herrschaftszeichen

Bei der Kreuzkapsäule handelt es sich um ein ehemaliges portugiesisches Herrschaftszeichen, das von Portugal um 1486 an der heutigen namibischen Küste aufgestellt wurde. Kaiser Wilhelm II. ließ sie 1894, als das Land zur Kolonie Deutsch-Südwestafrika geworden war, nach Berlin bringen. Eine 1895 von Deutschen aufgestellte Granit-Kopie der Säule wurde 1968 von Namibia zum Nationaldenkmal erklärt.

"Die Rückgabe der Säule vom 'Cape Cross' ist ein deutliches Signal, dass wir uns zur Aufarbeitung unserer kolonialen Vergangenheit bekennen", sagte Kulturstaatsministerin Grütters. Museumschef Gross erklärte: "Die Wegnahme der Säule geschah im kolonialen Kontext." Die Rückgabe solle deshalb "als ein Ausdruck der Bereitschaft verstanden werden", sich mit der deutschen Kolonialgeschichte und dem damit verbundenen Unrecht in einem kontinuierlichen Dialog mit den Nachkommen der Betroffenen auseinanderzusetzen.

Laut Auswärtigem Amt handelt es sich um das derzeit einzige Kulturgut aus kolonialen Kontexten, für das eine offizielle Rückgabeforderung bei der Bundesregierung vorliegt. Bereits im August hatte das Auswärtige Amt menschliche Überreste an Namibia zurückgegeben. Ende Februar restituierte Baden-Württemberg zudem die sogenannte Witbooi-Bibel an den westafrikanischen Staat.

Zur Frage der Anerkennung der zur Kolonialzeit von deutschen Militärs begangen Gräueltaten an Herero und Nama als "Völkermord" äußerte sich Namibias Botschafter Guibeb zurückhaltend. Es handele sich um eine "schwierige Frage", die in einem "sehr guten Klima" auf Regierungsebene zwischen Namibia und Deutschland behandelt werde. In den vergangenen drei Jahren seien dazu "sehr große Fortschritte" gemacht worden, etwa mit Blick auf "eine gemeinsame Sprache, wie wir diese Entwicklungen beschreiben können". Die Erwartungen der Öffentlichkeit seien zwar hoch. Dennoch müssten noch einige Details geklärt werden, die Zeit brauchen. Geplant sei eine gemeinsame Erklärung beider Länder dazu, kündigte der Botschafter an.



Goethe im Wandel in der Bundeskunsthalle


Erstmals seit 25 Jahren widmet sich eine umfassende Ausstellung dem Werk Johann Wolfgang von Goethe, hier ist unter andeem das Gemälde "Goethe am Golf von Neapel" (1826) von Heinrich Christoph Kolbe zu sehen.
epd-bild/Meike Böschemeyer/Vigilux
Johann Wolfgang von Goethe gehört zur Pflichtlektüre jedes deutschen Schülers. Kaum ein Dichter wird so häufig zitiert. Eine Ausstellung in der Bundeskunsthalle in Bonn wirft seit dem 17. Mai einen frischen Blick auf den berühmtesten deutschen Dichter.

Als Johann Wolfgang von Goethe am 28. August 1749 in Frankfurt am Main geboren wurde, bestand noch das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Zum Zeitpunkt seines Todes 1832 in Weimar hatten die Französische Revolution und die Industrialisierung die Welt von Grund auf verändert. Und genau das mache ihn so aktuell, meint Torsten Valk von der Klassik Stiftung Weimar. Als Zeuge einer radikalen Transformationsphase habe der Dichter einiges mit uns gemeinsam. "Weil wir in einer ähnlichen Phase leben, ist Goethe für uns ein interessanter Dialogpartner."

In Goethes acht Lebensjahrzehnten gab es kaum einen Erfahrungsbereich, der sich nicht wandelte. Ähnliches gilt für die vergangenen Jahrzehnte, in denen die Digitalisierung das Leben der Menschen grundlegend veränderte. Deshalb sei nun auch der Zeitpunkt gekommen, einen neuen Blick auf den berühmtesten deutschen Dichter zu werfen, findet Valk, der die Ausstellung "Goethe. Verwandlung der Welt" in der Bundeskunsthalle kuratiert hat.

Ein neuer Blick auf Deutschlands berühmten Dichter

Zuletzt hatte vor 25 Jahren die Frankfurter Schirn eine umfassende Goethe-Ausstellung gezeigt. Seitdem habe sich viel getan. "Wir müssen heute von einem anderen Standpunkt aus auf Goethe blicken", sagt Valk. Die Bonner Schau, die bis zum 15. September zu sehen ist, zeigt vor allem eines: Den zu einem zeitenthobenen Vorbild stilisierten Goethe gibt es nicht. Vielmehr war der Dichter als Zeuge einer turbulenten Zeit immer selbst im Wandel. Zum anderen veränderte sich sein Bild im Zuge seiner 200-jährigen Rezeption ständig.

Dem trägt die Ausstellung Rechnung, indem sie die unterschiedlichen Lebens- und Schaffensphasen des Dichters beleuchtet und sie zugleich mit ihrer Wirkungsgeschichte bis in die Gegenwart konfrontiert. Das gelingt mit Hilfe von rund 250 Leihgaben aus öffentlichen und privaten Sammlungen. Darunter befinden sich nicht nur Original-Handschriften Goethes oder Erstausgaben. Die Schau präsentiert zahlreiche Kunstwerke von Caspar David Friedrich über Auguste Rodin, Piet Mondrian, Paul Klee und Andy Warhol bis Ólafur Elíasson, die mit Goethes Schaffen in Zusammenhang stehen. Hinzu kommen Filmausschnitte von Theaterinszenierungen und Musik berühmter Komponisten seiner Zeit wie Ludwig van Beethoven oder Franz Schubert.

Die Schau beginnt mit Goethes Frankfurter Kindheit und Jugend, in der er die Krönung von Kaiser Joseph II. erlebte. Es schließen sich jeweils farblich abgesetzte Kapitel an, die seine Entwicklung vom Dichter des Sturm und Drang über seine Italien-Reise und Hinwendung zur Klassik sowie seine Auseinandersetzung mit der Romantik und dem Orient erzählen. Dem "Faust", Goethes wohl berühmtestem Werk, widmet die Schau ein eigenes Kapitel mit Filmausschnitten und Bühnenmodellen. Hinzu kommt ein Einschub über Goethes Farbenlehre, die noch im 20. Jahrhundert Künstler wie Paul Klee, Piet Mondrian oder Johannes Itten beeinflusste.

Auseinandersetzung mit dem Orient und Islam

Der Bezug zur Gegenwart wird besonders deutlich an Goethes Auseinandersetzung mit dem Orient und dem Islam. "Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen", schrieb er in seiner vom persischen Dichter Hafis inspirierten Gedichtsammlung "West-östlicher Divan". Das Zitat verwendete der frühere Bundespräsident Christian Wulff 2010 in seiner Rede zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit, um seine umstrittene Aussage zu untermauern, dass der Islam zu Deutschland gehöre.

"Bis heute wird Goethe wie kein anderer Dichter in gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen als Orientierungsinstanz zurate gezogen", stellt Valk fest. Dabei habe er sich selbst Zeit seines Lebens immer gegen moralische oder politische Vereinnahmungen gewehrt. Die Bonner Goethe-Schau zeigt warum: Goethe war ein Dichter und Denker, der sich mit den Umwälzungen seiner Zeit immer wieder neu erfand.

Dabei nahm er eine Vielzahl von Rollen ein. Goethe war nicht nur Dichter, sondern auch hoher Staatsbeamter mit politischem Geschick. Und nicht zuletzt widmete er sich auch der Botanik. Das dokumentiert die parallel stattfindende Ausstellung "Goethes Gärten" auf dem Dach der Bundeskunsthalle. Dort wurden zentrale Elemente aus den beiden Weimarer Gärten des Dichters detailgetreu angelegt.

Claudia Rometsch (epd)


Bedford-Strohm: Journalismus als Gegengewicht zu "blinden Algorithmen"


Heinrich Bedford-Strohm
epd-bild/Theo Klein

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, hat die Bedeutung des Qualitätsjournalismus unterstrichen. Angesichts der neuen medialen Entwicklungen werde der ethische Ansatz des Qualitätsjournalismus immer wichtiger, erklärte der bayerische Landesbischof am 14. Mai in München beim Medienempfang seiner Landeskirche, bei dem auch die mit insgesamt 11.000 Euro dotierten Medienpreise der Landeskirche vergeben wurden.

Die "blinden Algorithmen", die durch das häufige Anklicken auch die fürchterlichsten Hassbotschaften im Netz hochspülten, bräuchten als Gegengewicht einen Journalismus des Anstands, der Ausgewogenheit und der umfassenden Recherche, sagte der Landesbischof. Journalistinnen und Journalisten leisteten täglich und unter nicht einfachen Bedingungen einen unverzichtbaren Beitrag für den demokratischen Diskurs und ein funktionierendes Gemeinwesen.

Medienpreise vergeben

Der kirchliche Medienpreis 2019 stand unter dem Thema "Wieviel Digitalisierung dient dem Menschen?". In der Kategorie Tageszeitung erhielt Christian Rickens einen mit 2.500 Euro dotierten Preis für seinen im "Handelsblatt" erschienen Beitrag "Dataistisches Manifest". Der Preis in der Sparte Magazin (ebenfalls 2.500 Euro) ging an Laura Meschede für ihren im "SZ-Magazin" publizierten Beitrag "Die Mensch-Maschine" über digitale Ausbeutung. Mit zwei Sonderpreisen zu je 1.000 Euro wurden Serien zu Chancen und Risiken der Digitalisierung in den Tageszeitungen "Main Echo" (Aschaffenburg) und "Nürnberger Nachrichten" bedacht.

Den erstmals ausgelobten Nachwuchspreis zu einem frei gewählten Thema (je 1.000 Euro) erhielten Christopher Bonnen (Deutsche Journalistenschule), Sofie Czilwik (Evangelische Journalistenschule), Luisa Hommerich (Henri-Nannen-Schule) und Claudio Rizello (Henri-Nannen-Schule).



Saar-Journalisten setzen Signal für Unabhängigkeit

Die saarländische Landespressekonferenz (LPK) will mit einer Satzungsergänzung ein Signal für die Unabhängigkeit journalistischer Arbeit setzen. Neben der Selbstverpflichtung auf die Grundsätze journalistischer Arbeit des Deutschen Presserats gelten nach einer Mitgliederabstimmung sinngemäß die Richtlinien des Öffentlichen Dienstes für Zuwendungen, Geschenke und Bewirtung, wie die Landespresskonferenz am 13. Mai in Saarbrücken mitteilte.

Zudem wollen sich die Parlamentsjournalisten den Angaben zufolge selbstkritisch mit Entwicklungen im Journalismus und der gesellschaftlichen Verantwortung journalistischer Arbeit auseinandersetzen. Hierzu lade die LPK renommierte Gesprächspartner aus den Bereichen Medien beziehungsweise Gesellschafts- oder Geisteswissenschaften zur Jahresfeier ein, hieß es. Die Verleihung des Medienpreises "Goldene Ente" wechsele damit in einen Zwei-Jahres-Rhythmus.

Des Weiteren bestätigten die Mitglieder einstimmig die bisherigen Vorstandsmitglieder im Amt. Zum Vorsitzenden Oliver Hilt (Magazin Forum) sowie den bisherigen Mitgliedern Diana Kühner-Mert, Janek Böffel (beide Saarländischer Rundfunk), Katja Sponholz (Deutsche Presse-Agentur) und Lothar Warscheid kommt Gerrit Dauelsberg (beide Saarbrücker Zeitung) neu hinzu.

Die Landespressekonferenz ist den Angaben zufolge eine unabhängige Arbeitsgemeinschaft hauptberuflich tätiger Journalisten, die regelmäßig über Landespolitik berichten. Neben 70 ordentlichen Mitgliedern gehören ihr auch knapp 20 außerordentliche Mitglieder an.



Facebook verschärft Livestream-Regeln

Facebook verschärft zwei Monate nach dem Anschlag von Christchurch die Regelungen für Livestreams. Wer gegen ausgewählte Regeln in dem sozialen Netzwerk verstoßen hat, darf die Livestream-Funktion für einen bestimmten Zeitraum nicht mehr nutzen, wie Facebook am 14. Mai im kalifornischen Menlo Park mitteilte. Zudem will das Unternehmen technische Maßnahmen entwickeln, um die Verbreitung etwa von Gewaltvideos effektiver verhindern zu können.

Facebook investiert den Angaben zufolge rund 7,5 Millionen Dollar, um gemeinsam mit Wissenschaftlern die Bilderkennung zu verbessern. Dafür arbeite das Unternehmen mit drei US-Universitäten zusammen. Zudem sollten Nutzer, die von der Livestream-Funktion ausgeschlossen sind, künftig unter anderem keine Werbeanzeigen bei Facebook mehr schalten können.

Anschlag gestreamt

Mitte März hatte ein australischer Rechtsextremist bei Angriffen auf zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch 51 Menschen getötet. Er hatte seine Tat über eine Helmkamera live bei Facebook übertragen. Nach Facebook-Angaben wurde das Video insgesamt rund 4.000 mal angesehen, bevor das Unternehmen es entfernte. Allerdings kursierten Kopien des Videos im Internet wie auch in dem sozialen Netzwerk. Einige Nutzer nahmen demnach Änderungen am Video vor, um die Aufnahmen durch die automatische Erkennung beim Hochladen zu schleusen. Das Unternehmen löschte oder blockierte nach eigenen Angaben allein in den ersten 24 Stunden nach dem Anschlag insgesamt 1,5 Millionen Versionen des Videos.

In Deutschland hatte nach dem Anschlag für Empörung gesorgt, dass "Bild.de" Ausschnitte aus dem Video veröffentlicht hatte. Der Deutsche Presserat erhielt zahlreiche Beschwerden, über die Anfang Juni entschieden werden soll. Bei "Bild.de" zu sehen war unter anderem der Täter, wie er seine Waffe auspackt und auf eine Moschee zugeht. Opfer und brutale Szenen wurden nicht gezeigt.



Twitter räumt im Bundestagsausschuss Fehler ein

Wer Twitter im Blick hat, stößt derzeit häufig auf den Hashtag #TwitterSperrt. Jüngst wurde sogar das Profil der "Jüdischen Allgemeinen" vorübergehend blockiert. Der Chefredakteur verlangt eine Erklärung. Twitter räumt Fehler ein.

Der Kurznachrichtendienst Twitter hat im Bundestag nach Angaben aus der SPD-Fraktion Fehler bei der Sperrung einiger Profile eingeräumt. Das teilte der digitalpolitische Sprecher Jens Zimmermann nach einer nicht-öffentlichen Anhörung im Ausschuss Digitale Agenda am 15. Mai in Berlin mit. Zimmermann, der Mitglied im Ausschuss ist, erklärte: "Es bleibt trotz allem unverständlich, warum Twitter die - offensichtlich willkürlichen - Sperrungen erst so spät aufgehoben hat."

Am 13. Mai war die "Jüdische Allgemeine" von Twitter vorübergehend gesperrt worden. In einer automatischen Mitteilung des Kurznachrichtendienstes hieß es, die Wochenzeitung habe gegen die Regeln "zum Veröffentlichen von irreführenden Informationen zu Wahlen" verstoßen. Am späten Nachmittag wurde der Account der Wochenzeitung dann wieder freigeschaltet.

Chefredakteur Detlef David Kauschke forderte nun eine Erklärung. "Man möchte wenigstens in Erfahrung bringen, warum judenfeindliche Beleidigungen den Regeln entsprechen, redaktionelle Kurznachrichten einer jüdischen Wochenzeitung hingegen nicht", schrieb er auf dem Onlineportal "juedische-allgemeine.de". So werde beispielsweise ein Tweet mit dem Inhalt "Frauen sind das pure Böse Juden auch jüdische Frauen sind die schlimmsten" von dem Kurznachrichtendienst offenbar nicht beanstandet. Twitter schweige aber, Nachfragen blieben unbeantwortet, kritisierte Kauschke.

Prominente Nutzer betroffen

Das Unternehmen werbe damit, dass jeder eine Stimme und das Recht habe, sie zu erheben, fügte der Chefredakteur von Deutschlands wichtigster jüdischer Wochenzeitung hinzu. Transparenz sei ein Leitmotiv. Kauschke fragte: "Wie wäre es, wenn der amerikanische Kurznachrichtendienst seine Stimme erheben und uns erklären würde, wie er es mit der Presse und Meinungsfreiheit hierzulande hält, kurz vor dem 70. Jahrestag des Inkrafttretens des Grundgesetzes?"

Grund für die Sperrung war den Angaben zufolge ein Tweet der "Jüdischen Allgemeinen" mit dem Wortlaut "Warum Israels Botschafter Jeremy Issacharoff auf Gespräche und Treffen mit der AfD verzichtet". Der Tweet wies auf ein Interview der Deutschen Presse Agentur mit dem israelischen Botschafter in Deutschland hin, in dem Issacharoff sagte, er meide jeden Kontakt zur AfD wegen deren Haltung zum Holocaust.

Twitter hat jüngst Maßnahmen gegen Desinformationskampagnen vor den Europawahlen ergriffen. Seither waren einige prominente Nutzer von Sperrungen betroffen. SPD-Parlamentarier Zimmermann forderte ebenfalls, Maßnahmen anlässlich der Wahlen dürften die Meinungsäußerungsfreiheit nicht einschränken. Twitter wolle dennoch daran festhalten und nehme so eine Beschränkung der Meinungsfreiheit willentlich in Kauf, kritisierte er.



Gewaltforscher: Hass im Internet lange unterschätzt


Andreas Zick
epd-West/Universität Bielefeld

Hasskommentare in den sozialen Medien sind nach Einschätzung des Konfliktforschers Andreas Zick lange Zeit unterschätzt worden. "Gefährlich werden sie, wenn sie zu Hass und Gewalt auffordern und die Menschenwürde angreifen", sagte der Wissenschaftler dem Evangelischen Pressedienst (epd) nach Abschluss einer mehrtägigen Veranstaltung an der Universität Bielefeld über sogenannte Hate-Speech. Hasskommentare würden von extremistischen Gruppen genutzt, um Menschen für ihre Ideologien und Zwecke zu rekrutieren. Vielen sei nicht bewusst, dass Hasskommentare der Radikalisierung dienten, warnte Zick.

Hassbotschaften im Internet können nach Worten von Zick in Gewalt umschlagen, wenn sie zu Gewalt radikalisieren. "Es gibt Täter, die über Hasskommentare in einen Zustand von Wut und Hass geraten und ihre Handlungen dann von der Emotion gesteuert werden", erläuterte Zick, der Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld ist. "In radikalen Gemeinschaften beobachten wir, dass sich Gruppen aufstacheln, die Norm herabsenken, Opfer bestimmen und die Gewalt im Vorfeld durch Verschwörungsmythen und Ideologien rechtfertigen." Der Hasskommentar könne jedoch bereits psychologisch Gewalt bedeuten: "Hass tut weh. Das zeigen viele Studien."

"Hass tut weh"

Gesellschaftliche Konflikte und Polarisierungen haben nach Einschätzung des Konfliktforschers zugenommen. Hass habe zwar schon immer zur politischen Propaganda gehört, erklärte Zick. Schon vor zwanzig Jahren habe es rechtsextreme Internetseiten gegeben. Durch Kommentarfunktionen und soziale Medien biete das Internet heute "neue Möglichkeiten, über den Hass Gemeinschaften zu bilden". Der Hass im Netz habe Studien zufolge eine Entsprechung außerhalb des Netzes, warnte Zick. "Hassgruppen, die im Internet aktiv sind, aber auch außerhalb des Netzes Zeichen setzen, erhalten sich länger." Der derzeit immer stärker gewaltorientierte Rechtsextremismus ist nach seinen Worten Ausdruck wie Folge solcher Entwicklungen.

Der Wissenschaftler plädierte dafür, die Regulierung und Eindämmung von Hasskommentaren nicht allein den Providern zu überlassen. Internetunternehmen wie Facebook oder Youtube trügen Verantwortung. "In einer Demokratie sollten wir Firmen aber nicht die rechtliche Klärung und Strafverfolgung überlassen", mahnte Zick. Wichtig sei auch, "die zivilen Institutionen zu unterstützen, die dokumentieren, Schutz anbieten und Opfern helfen". Gefordert ist nach Worten des Konfliktforschers auch Zivilcourage: "Wir müssen imstande sein, auf Hassbotschaften und Hassreden zu achten, selbst wenn sie gegen andere geht", unterstrich Zick.

Unter dem Titel "Wenn der Hass spricht" hatten sich bis zum 15. Mai in Bielefeld Wissenschaftler verschiedener Disziplinen mit dem Phänomen der "Hate Speech" in den sozialen Medien befasst. Ziel war, verschiedene Forschungen zu dem Thema zusammenzubringen und fächerübergreifende Kooperationsmöglichkeiten zu prüfen.

epd-Gespräch: Holger Spierig


Clevere Nonnen


Die mittelalterliche Handschrift der Dominikanerinnen vom Kloster "Paradiese" in Soest stammt aus dem 14. Jahrhundert.
epd-West/ ULB Düsseldorf
Die Universität Düsseldorf präsentiert in einer virtuellen Ausstellung illustrierte Liederbücher aus dem Mittelalter. Die Originale stammen aus dem Dominikaner-Kloster "Paradiese" in Soest und gewähren einen spannenden Blick auf das Leben von Frauen in der Zeit.

Ein Name wurde für Frauen des Mittelalters zum Programm: Im Dominikaner-Kloster "Paradiese" in Soest in Westfalen illustrierten Frauen zwischen 1320 und 1440 Bücher, für die sie die dort dargestellten Lieder auch selbst dichteten und komponierten. Davon zeugen weltweit einmalige Chorbücher, die nach etlichen Umwegen an die Universität Düsseldorf gelangt sind und nun erstmals in einer multimedialen, virtuellen Ausstellung gezeigt werden (www.ulb.hhu.de/link/paradiese).

"Der Reichtum einer Epoche zeigt sich daran, wie viele Lebensmöglichkeiten er den Menschen, insbesondere Frauen bietet", sagte Mittelalter-Historikerin Professor Eva Schlotheuber von der Heinrich Heine Universität Düsseldorf dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Frauen hatten im Mittelalter oft mehr Möglichkeiten sich zu bilden, als wir heute für möglich halten."

Lieder über Evangelisten Johannes auf Maria umgedichtet

"Paradiese" war ein Kloster des Dominikaner-Ordens. In den vier schweren Bänden sind von Hand Lieder der Liturgie, der Gottesdienst-Gestaltung, der Dominikaner, auf Latein geschrieben. Nonnen haben sie gedichtet, kopiert und mit Zeichnungen, zum Teil Selbstporträts versehen.

"Frauen durften sich ja aus dem Kloster heraus nicht an die Öffentlichkeit wenden, wohl aber an ihre eigenen Ordensbrüder", sagt Eva Schlotheuber. Diese Möglichkeit hätten sie genutzt und eine eigene Theologie entwickelt. So hätten sie bestehende Lieder und Elemente der Gottesdienst-Gesänge umgeschrieben, und etwa Lieder, die sich auf den Evangelisten Johannes bezogen, auf Maria umgedichtet. Daraus schließt die Wissenschaftlerin, die mit einem internationalen Team die ungewöhnlichen Schriften erforscht hat, dass die Dominikanerinnen ausgebildete Theologinnen waren.

Der Dominikanerorden habe im 14. Jahrhundert erkannt, dass es für alle Beteiligten eine Chance sein könnte, den Orden für Frauen zu öffnen, und zwar nicht allein für junge Mädchen, sondern auch - und insbesondere - für Frauen, die das Leben einer gelehrsamen Nonne der Ehe und Familie vorzogen oder auch für Witwen, die im Kloster Platz und Aufgaben fanden.

"Blick auf Frauenleben im Mittelalter meist zu eng"

Positiver Nebeneffekt für den Orden sei gewesen, dass die Frauen ihre Mitgift oder Erbschaft einbrachten, also mit Geld ins Kloster eintraten, sagt Schlotheuber. "Es ging für sie nicht darum, das Kloster als die 'letzte Ausfahrt vor dem Fall ins Bodenlose' zu betrachten. Für viele Frauen war es der einzige Ort, an dem sie lernen und sich geistig entwickeln konnten." Die Historikerin bezeichnet das Kloster daher als "soziales Projekt". Aus heutiger Sicht sei der Blick auf Frauenleben im Mittelalter meist zu eng. Es stimme nicht, dass frühestens mit der Reformation eine geistige Entwicklung vieler Frauen möglich wurde.

"Die Illustrationen der Chorbücher zeigen, dass die Nonnen die Liturgie genau kannten und sie musikalisch und in der Gestaltung der Bücher optisch weiter entwickelten", betont Schlotheuber. Daher sei ihr Team aus Studierenden und Professoren - unter ihnen der Kunsthistoriker Jeffrey Hamburger von der Eliteuniversität Harvard und die Musikhistorikerin Margot Fassler von der Universität Notre Dame in Indiana/USA - auf den Titel "Clevere Nonnen" für die Ausstellung gekommen.

Studierende lieferten Filme und Bilder für die virtuelle Ausstellung. Einige Räume des Klosters "Paradiese", wo bis vor eineinhalb Jahren eine Krebsklinik untergebracht war, können heute noch besichtigt werden. Die Lieder der Nonnen hat der WDR mit einem Kölner Chor aufgenommen. Auch diese Musik ist Bestandteil der digitalen Ausstellung.

Ein weiteres Kapitel der Schau informiert über die Geschichte des Klosters "Paradiese", die in vieler Hinsicht außergewöhnlich ist. So wurde ein Teil des Klosters nach der Reformation evangelisch, so dass Katholiken und Protestanten etwa 300 Jahre lang das Gebäude gemeinsam bewohnten. Aufgelöst wurde das Kloster 1806 im Zuge der napoleonischen Kriege. Klugen Bibliothekaren sei es zu verdanken, dass damals die wertvollen Handschriften zunächst in der königlichen Hofbibliothek in Düsseldorf und später in der Universitätsbibliothek aufbewahrt und erhalten wurden, hieß es.

Irene Dänzer-Vanotti (epd)


Trauer um Bildhauer Anatol Herzfeld


Anatol Herzfeld an seinem 85. Geburtstag
epd-bild/Judith Michaelis

Die Stiftung Insel Hombroich trauert um den Künstler Anatol Herzfeld. Herzfeld sei am 10. Mai im Alter von 88 Jahren gestorben, teilte die Stiftung am 13. Mai in Neuss mit. Mit ihm sei der letzte Künstler aus der Gründungsriege der Museumsinsel in Neuss-Holzheim gestorben. Der Bildhauer Herzfeld war mit dem Gründer, Karl-Heinrich Müller, befreundet und ein Künstler der ersten Stunde mit eigenem Atelier in der renaturierten Park- und Auenlandschaft am Ufer der Erft. "Wir werden seine Präsenz im Museum Insel Hombroich vermissen."

Mit seinen Skulpturen aus Holz, Stein und Eisen habe Herzfeld das Gesicht der Insel mit ihren Ausstellungspavillons und Ateliers seit Anfang der 1980er Jahre mitgeprägt, würdigte die Stiftung das Engagement des Künstlers. Mehr als 30 Jahre sei er fast täglich mit seiner Frau Erdmute nach Hombroich gekommen und habe in seinem Atelier mit Außenanlage gearbeitet. Mit seiner eigenwilligen, wuchtigen, aber offenherzigen Art und seinem Talent als Geschichtenerzähler habe er sich dem Austausch mit Künstlern und Besuchern gewidmet.

Beuys-Schüler

Anatol Herzfeld wurde 1931 als Karl-Heinz Herzfeld in Insterburg in Ostpreußen geboren. Nach der Vertreibung zog er ins Rheinland und lernte den Beruf des Kunstschmieds. Später ging er in den Polizeidienst und trat viele Jahre mit einem Puppenspiel-Programm unter anderem zur Verkehrerziehung an Schulen auf. Die Begegnung mit seinem späteren Lehrer Joseph Beuys eröffnete ihm neue Perspektiven. Von 1964 bis 1972 studierte Herzfeld an der Düsseldorfer Kunstakademie. Er gehörte zu den Beuys-Schülern, die 1973 den Einbaum "Das blaue Wunder" schnitzten, mit dem sie ihren Professor nach einem Streit mit dem damaligen Wissenschaftsminister Johannes Rau (SPD) in einer spektakulären Aktion über den Rhein zurück zur Kunstakademie ruderten.

Herzfeld, der 1975 zu den Gründern der Freien Akademie Oldenburg gehörte, war mehrmals an der documenta beteiligt. 1991 erhielt er den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland und 1992 den Lovis-Corinth-Preis. Er war auch Honorar-Professor an der University of South Dakota und Ehrenbürger des US-Bundesstaates.

Anatol Herzfeld, der vielen Besuchern der Museumsinsel Hombroich in Latzhose, mit Hut und Schnauzbart in Erinnerung bleiben dürfte, bezeichnete sich nicht als fromm, vielmehr als überzeugten Christen. Er wuchs in einer bibelfesten Pflegefamilie auf. Ihm sei die Bibel "so wichtig wie sein Amboss" in seinem Atelier und sie liege immer griffbereit, hatte er zu seinem 85. Geburtstag gesagt. Viele seiner Arbeiten nehmen Bezug auf biblische Gestalten oder arbeiten mit christlicher Bildsprache. Sein Triptychon von 1991 mit einem gefesselten Jesus, umrahmt von seinen Anklägern Pilatus und Kaiphas, befindet sich in der Krypta der St. Agnes-Kirche in Köln.



Rheinischer Landesposaunentag in Trier

Unter dem Motto "HimmelHochJauchzen" treffen sich vom 24. bis zum 26. Mai Musiker zum rheinischen Landesposaunentag in Trier. Zum Start spielten bereits ab 17 Uhr Posaunenchöre auf den Plätzen der Stadt, bevor um 18.30 Uhr die Eröffnungsfeier "Zwischen Himmel und Erde" auf der Bühne am Martin-Luther-Platz beginne, teilte der evangelische Kirchenkreis Trier mit. Schirmherrin ist die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD).

Beim Eröffnungskonzert um 20 Uhr in der Konstantin-Basilika sind dann den Angaben zufolge das Bläserensemble Con Spirito, die Landesjugendposaunenchöre des Rheinlands und der Pfalz sowie der Trierer Kirchenmusikdirektor Martin Bambauer an der Eule-Orgel zu hören. Insgesamt seien zwei Bläsergroßveranstaltungen, drei Bläserworkshops und sieben Konzerte geplant, hieß es. Den Abschluss bilde ein Festgottesdienst am 26. Mai in der Konstantin-Basilika. Der Vizepräses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Christoph Pistorius, werde die Festpredigt halten, Dreyer nach dem Gottesdienst ein Grußwort.

Der Landesposaunentag ist den Angaben zufolge eine Veranstaltung der rheinischen Landeskirche und des Posaunenwerkes der Evangelischen Kirche im Rheinland. Posaunenchöre seien eine typisch evangelische Form der Kirchenmusik, hieß es. Als "Allwetter-Orgeln" hätten sie ihren Ursprung im Pietismus, welcher zu den großen geistlichen Strömungen und Reformbewegungen innerhalb der evangelischen Kirche gehört.



Alter vor Schönheit - Halbzeitbilanz in Cannes

Pedro Almodóvar steigt mit seinem neuen Film "Leid und Herrlichkeit" ("Pain & Glory") zum Favoriten auf die Goldene Palme auf. Andere Autorenfilmer gewinnen im südfranzösischen Cannes mit den Mitteln von Western- oder Krimi-Genre ihr Publikum.

Alle wollen es werden, niemand will es sein: so lautet das Paradox des Alters. In verstärktem Maß gilt das für Schauspieler, zumal für die berühmten, weshalb die meisten wohl lieber mit Hilfe von Maske und Make-up alt spielen, als ihre echten, eigenen Falten oder grauen Haare zu zeigen. In Pedro Almodóvars neuem Film "Leid und Herrlichkeit" ("Pain & Glory") aber spielt Antonio Banderas, 58, einen in die Jahre gekommenen Regisseur mit einer Unverstelltheit, die die Augen öffnet.

Da sind nicht nur graue Bartstoppeln und Tränensäcke, nein, da ist auch das Kissen, das er zum Schutz der eigenen Knie auf den Boden legt, oder die Langsamkeit, mit der er den eigenen Körper zusammenfaltet, um in ein Taxi zu steigen. "Leid und Herrlichkeit" handelt auf eine ehrliche Weise vom Alter, wie man sie im Kino selten sieht. Was einer der Gründe dafür sein mag, dass sowohl Banderas als Schauspieler als auch Almodóvar als Regisseur nach der Premiere des Films in Cannes zu hohen Favoriten bei der Palmenvergabe aufstiegen.

"Leid und Herrlichkeit" ist der sechste Film, mit dem Almodóvar im Wettbewerb von Cannes antritt. Die Preisbilanz dafür ist eher mager, weshalb einiges dafür spricht, dass der einstige Kult- und heutige Meisterregisseur nach dem Regiepreis 1999 (für "Alles über meine Mutter") und dem Drehbuchpreis 2006 (für "Volver") nun endlich reif für die Goldene Palme wäre.

Märchenhafte Kindheitsszenen

Es würde umso besser passen, da "Leid und Herrlichkeit" auf sehr viel direktere Weise von ihm selbst, Almodóvar, handelt als seine früheren Werke. Wobei ein Moment der besonderen Rührung darin liegt, dass ausgerechnet Banderas, den Almodóvar in seinen wilden Jahren "groß" gemacht hat, hier in die Haut des Förderers und Freunds schlüpft.

Banderas spielt einen Regisseur namens Salvador, der nach den Höhen des beruflichen Erfolgs nun die Niederungen des körperlichen Verfalls erleidet. Geplagt von Rückenschmerzen, Migräneattacken und einer nicht bewältigten Trauer um den Tod der eigenen Mutter, zieht er sich arbeitsunfähig von der Welt zurück, während ihn Erinnerungen an die Kindheit heimsuchen.

Doch dann will die Madrider Kinemathek einen 30 Jahre alten Film von ihm wieder aufführen. Was Salvador dazu zwingt, Kontakt zu seinem damaligen Hauptdarsteller aufzunehmen, mit dem er sich entzweit hat. Und diese Begegnung führt zu einer weiteren mit einem wichtigen Mann in seinem Leben, die wiederum eine andere Erinnerung in ihm aufschließt – ein Verlauf, der es ihm schließlich möglich macht, einen neuen Umgang mit seinen Beschwerden zu finden.

Sowohl die leicht märchenhaften Kindheitsszenen, in denen Penelópe Cruz als Mutter eine geradezu leuchtende Ausstrahlung entfaltet, als auch die für den Helden so schwierige Gegenwart inszeniert Almodovar mit der ihm typischen Neigung zu klarem Licht und farbcodierter Kleidung. So sehr der Film die gebrechliche Physis seines Helden in den Vordergrund stellt, so fein und subtil reflektiert er darüber, was Altern jenseits von körperlichem Verfall bedeutet.

Wunderbar ausdrucksstark und zugleich zurückhaltend verleiht Banderas dieser Reflexion Gestalt – und bezaubert letztlich mit einem stillen, melancholischen Optimismus, der aufzeigt, das mit den Jahrzehnten sich nicht nur Türen verschließen, sondern auch neue Perspektiven auf alte Konflikte öffnen. Und eine geistig-seelische Beweglichkeit möglich wird, wo die des Körpers nachlässt.

Schwung nach enttäuschendem Auftakt

Nach einem eher enttäuschenden Auftakt gewinnt der Wettbewerb in Cannes mit Almodóvar endlich an Fahrt. Denn so groß das Lob für die Newcomer Mati Diop ("Atlantiques") und Ladj Ly ("Les misérables") auch war, sind beides doch keine Hauptpreis-Kandidaten. Im Unterschied zur Österreicherin Jessica Hausner, die nach drei Filmen in der Nebensektion Certain Regard nun zum ersten Mal im Wettbewerb vertreten ist.

Ihr "Little Joe" handelt von einer Zuchtpflanze, die designt wurde, um Menschen glücklich zu machen. Wie man das Genre so kennt, fallen die wahren Resultate etwas anders aus. Zwar erntete die entschieden kalte Version eines Bio-Science-Fiction eher verhaltenes Lob, aber in ihrem ersten englischsprachigen Film navigiert Hausner so stilsicher zwischen Psychothriller und Horrordrama, dass man sich gut vorstellen kann, dass sie die in diesem Jahr vor allem aus Regiekollegen zusammengesetzte Jury überzeugt.

Ähnliches gilt für drei weitere Wettbewerbsbeiträge, in denen namhafte Autorenfilmer zur Sprache des Genrefilms greifen: Der Brasilianer Kleber Mendonça Filho erzählt in "Bacurau" in einer mutigen Mischung aus Western und Science-Fiction von den schweren sozialen Konflikten seines Heimatlands. Der Chinese Yi'nan Diao - der mit "Feuerwerk am helllichten Tag" 2014 den Goldenen Bären der Berlinale gewann - inszeniert mit "The Wild Goose Lake" bildmächtig die Jagd auf einen Verbrecher quer durch das neonbeleuchtete Scheinparadies eines provisorischen Vergnügungsviertels an einem Ferienort.

Und der Rumäne Corneliu Porumboiu variiert in "The Whistlers" den Neo-noir-Film, in dem er einen korrupten Polizisten und eine Femme fatale durch windige Intrigen und Doppelbetrug zu einem überraschenden Ende vor den Leuchtturmgärten Singapurs führt. Der Genre-Zugriff kann aus intellektuellen Entwürfen wahre "Crowd-Pleaser" entstehen lassen.

Alle drei Filme lassen ihr Publikum jedoch mit sehr unterschiedlichen Gefühlen zurück: Wo der Brasilianer mit seiner Western-Gewalt Wut kanalisiert, fasziniert der Chinese mit Kontrasten von aufblitzender Schönheit in einem Meer von Hässlichkeit, während der Rumäne mit trockenem Witz und flottem Musik-Einsatz von Iggy Pop bis zu Carl Orff mehr amüsiert als in die Tiefe geht.

Barbara Schweizerhof (epd)



Entwicklung

Fairer Handel erreicht Umsatz von 1,6 Milliarden Euro


Fairer Handel erreicht Umsatz von 1,6 Milliarden Euro
epd-bild/Christine Müller
Der Handel mit fair gehandelten Produkten boomt. Aber auch beim Vorzeigeprodukt Kaffee wird in Deutschland ein Marktanteil von nur 4,5 Prozent erreicht.

Der Umsatz mit fair gehandelten Produkten hat in Deutschland erneut zugenommen. Im vergangenen Jahr erreichte der Verkauf im fairen Handel bundesweit ein Volumen von 1,6 Milliarden Euro. Das entspricht einem Wachstum von 22 Prozent gegenüber dem Vorjahr, wie der TransFair-Vorstandsvorsitzende Dieter Overath am 14. Mai in Berlin bilanzierte. Der Gesamtumsatz im deutschen Einzelhandel betrug den Angaben zufolge zuletzt rund 123 Milliarden Euro.

Für fair gehandelte Produkte gaben die Verbraucher in Deutschland im vergangen Jahr durchschnittlich 19 Euro aus, hieß es weiter. Das wichtigste Fairtrade-Produkt war mit 20.000 Tonnen erneut Kaffee. Der Umsatzzuwachs betrug hier elf Prozent. Gemessen am gesamten Kaffeemarkt erzielte der faire Röstkaffee in Deutschland einen Marktanteil von 4,5 Prozent. Allerdings litten die Kaffeebauern zunehmend unter niedrigen Börsenpreisen sowie Ernteausfällen durch den Klimawandel, betonte Overath. So liege der Weltmarktpreis aktuell auf einem historischen Tief von rund 90 Cent pro Kilogramm. Der faire Handel zahle den Bauern aber 190 Cent pro Kilogramm.

Absatz von Bananen und Kakao gestiegen

Ein weiteres Problem im globalen Handel sei die Wertschöpfung entlang der Lieferkette. So würden verarbeitete Produkte etwa aus Afrika von der Europäischen Union mit Strafzöllen belegt. Es gebe aber keinen Grund, weshalb Kaffee in den Anbauländern nicht auch gleich verarbeitet werden und damit höhere Gewinne erzielen könne, sagte Overath. Die Staatssekretärin im Bundesentwicklungsministerium, Maria Flachsbarth (CDU), betonte, das Ministerium unterstütze mit einer Kaffeeinitiative eine höhere Wertschöpfungskette in Ländern wie Indonesien, Vietnam und Myanmar.

Der Absatz von fairem Kakao stieg den Angaben zufolge um 48 Prozent auf 55.000 Tonnen und einen Marktanteil von zehn Prozent. Zudem kauften die deutschen Verbraucher mit rund 92.000 Tonnen insgesamt sechs Prozent mehr fair gehandelte Bananen ein. Der Markanteil lag bei 13,5 Prozent. Umgerechnet esse jeder Bundesbürger pro Jahr ein Kilogramm fair gehandelter Bananen.

Der Marktanteil von fairen Rosen lag demnach bei 28 Prozent. Das seien rund 427 Millionen Stiele sowie ein Absatzplus von fünf Prozent gewesen. Bei Textilien aus fairer Baumwolle gab es einen Zuwachs von 14 Prozent. Knapp 14 Millionen Kleidungsstücke und Accessoires kauften die Verbraucher demnach im vergangenem Jahr. Neben Baumwolltaschen und Freizeitkleidung spiele die Berufskleidung eine immer wichtigere Rolle. Overath betonte, dass es hier noch großes Wachstumspotenzial gebe. So könne die Politik dafür sorgen, dass unter anderem auch bei der Berufskleidung von Polizei und Bundeswehr zunehmend faire Baumwolle verwendet werde.

600 deutsche "Fairtrade-Towns"

Auch die Fair-Handels-Gesellschaft Gepa legte am Dienstag zahlen vor. Sie steigerte ihren Großhandelsumsatz im Kerngeschäft mit Kaffee, Schokolade, Tee, Honig und Handwerksartikeln wieder, nach einem Dämpfer im Jahr zuvor. Der Umsatz legte um 1,8 Prozent auf 74 Millionen Euro zu. Das entspricht 114 Millionen Euro Umsatz zu Endverbraucherpreisen. Die Einführung eines neuen Warenwirtschaftssystems hatte zuletzt aufs Geschäft gedrückt. Um neue Kunden zu erreichen will die Gepa beispielsweise Kooperationen mit kleinen Buchhandlungen eingehen, um dort ihre Produkte anzubieten.

Der Vize-Aufsichtsratsvorsitzende bei TransFair und entwicklungspolitischer Beauftragter bei der evangelischen Hilfsorganisation "Brot für die Welt", Thilo Hoppe, betonte: "Wir sind dafür, dass der ganze Handel fair ist." Damit würde sich TransFair zwar theoretisch überflüssig machen. Das sei aber noch Zukunftsmusik. Hoppe kündigte zudem an, dass am Freitag die brandenburgische Stadt Belzig als 600. Stadt in Deutschland den Titel "Fairtrade-Town" erhalte.

TransFair ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung des fairen Handels. Mitglieder sind unter anderen kirchliche Organisationen wie "Brot für die Welt" und Misereor, die auch dem Trägerkreis der Gepa angehören. Unter anderem schließt die Organisation Lizenzverträge mit Handelspartnern ab, die nach Fairtrade-Standards gehandelte Produkte anbieten.



3,5 Millionen Euro für Opfer der Colonia Dignidad

Sklavenarbeit, Missbrauch und Folter gehörten Jahrzehntelang zum Alltag der deutschen Colonia Dignidad in Chile. Eine moralische Verantwortung für die Verbrechen der Sekte erkennt auch Deutschland an - und richtet einen neuen Fonds für die Opfer ein.

Als Zeichen der Anerkennung ihrer Leidensgeschichte erhalten Opfer der deutschen Sektensiedlung Colonia Dignidad in Chile ab diesem Jahr finanzielle Unterstützung aus der Bundesrepublik. Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Niels Annen (SPD), stellte am 17. Mai in Berlin das Hilfskonzept einer Gemeinsamen Kommission von Bundestag und Bundesregierung vor. Demnach sollen Betroffene möglichst schnell und unbürokratisch bis zu 10.000 Euro pro Person aus einem Hilfsfonds erhalten können. Annen betonte, das Konzept benenne die moralische Verantwortung Deutschlands. Die Gesamtkosten werden auf 3,5 Millionen Euro für rund fünf Jahre beziffert.

Die Colonia Dignidad diente während der Militärdiktatur in Chile (1973-1990) als Folterzentrum des Geheimdienstes. Die Sektensiedlung sorgte auch wegen Fällen sexuellen Missbrauchs und illegalen Waffenhandels für Schlagzeilen. Sekten-Gründer Paul Schäfer starb 2010 in chilenischer Haft.

Die Überlebenden leiden bis heute unter den Folgen der Gewalt, des Missbrauchs und der Sklavenarbeit. Das Auswärtige Amt erkennt an, dass deutsche Diplomaten zu wenig für den Schutz ihrer Landsleute getan haben. Rechtliche Ansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland sind nach Meinung der Bundesregierung aber dadurch nicht entstanden.

"Überfälliger Schritt"

Grünen-Parlamentarierin Renate Künast bezeichnete das Hilfskonzept als akzeptables Ergebnis eines sehr schwierigen Prozesses. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Brand sprach von einem längst überfälligen Schritt, um den Worten zu moralischer Verantwortung endlich Taten folgen zu lassen. Von der Linksfraktion forderte Friedrich Straetmanns die Staatsanwaltschaften in Deutschland auf, nicht lockerzulassen. Auch eingestellte Verfahren könnten wieder aufgenommen werden, wenn neue Tatsachen zutage träten, betonte Straetmanns, der auch Richter ist.

In Deutschland wurde noch kein Täter zur Rechenschaft gezogen. Auch der in Chile wegen Beihilfe zu Vergewaltigung verurteilte Sekten-Arzt Hartmut Hopp, der sich nach Deutschland abgesetzt hat und in Krefeld lebt, muss nicht ins Gefängnis. Die Staatsanwaltschaft Krefeld stellte die Ermittlungen jüngst nach mehr als siebeneinhalb Jahren ein.

Mit den neuen Hilfen sollen die Folgen gemildert werden, die den Betroffenen durch ihren Aufenthalts in der Siedlung entstanden sind. Finanziert werden den Angaben zufolge etwa Psychotherapien oder Leistungen zur Vorsorge und Rehabilitation, zur Pflege oder zur Weiterbildung.

IOM organisiert

Zusätzlich zu den Mitteln aus dem Hilfsfonds sollen über einen Fonds "Pflege und Alter" auch Leistungen von Pflegediensten für bedürftige Personen bezuschusst werden, die keinen Zugang zum deutschen Sozialsystem haben. Der Haushaltsausschuss des Bundestags stellte schon im Etat 2019 eine Million Euro für die Opfer der Sekte bereit. Der Betrag wurde mit einem Sperrvermerk bis zur Erarbeitung des Hilfskonzepts versehen.

Das Angebot richtet sich an die deutschen Bewohner der Colonia Dignidad sowie an die chilenischen Staatsbürger, die als Kinder dort lebten. Straftäter sind von den Leistungen ausgeschlossen, wer Täter und wer Opfer ist, entscheiden Experten nach Gesprächen. Die Organisation des Hilfsfonds übernimmt die Internationale Organisation für Migration (IOM).

Das Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika kritisierte, eine Einmalzahlung stelle zwar eine Anerkennung für das erlittene Unrecht dar, jedoch nicht die nachhaltige Hilfe, die die Opfer benötigten. Auch die Aufarbeitung der Verbrechen stocke, vermeintliche Täter blieben in Deutschland straflos, teilte der Verein mit.



UN: Millionen Kinder sind bei der Geburt zu leicht


Ein Baby in einer Neugeborenenabteilung im Niger (Archivbild)
epd-bild/Sebastian Backhaus

Jedes siebte Baby ist laut UN-Zahlen bei der Geburt zu leicht. Weltweit hätten schätzungsweise mehr als 20 Millionen Neugeborene 2015 ein Gewicht von weniger als 2.500 Gramm aufgewiesen, teilten die Weltgesundheitsorganisation WHO und das Kinderhilfswerk Unicef am 16. Mai in Genf mit.

Drei Viertel dieser Kinder seien in Südasien und in afrikanischen Ländern südlich der Sahara zur Welt gekommen, heißt es in einer Studie, an der auch das Londoner Institut für Hygiene und Tropenmedizin mitgewirkt hat. Aber auch in Industrieländern hätten zu viele Neugeborene ein zu niedriges Gewicht. In Deutschland habe der Anteil bei 6,6 Prozent gelegen.

Mehr als 80 Prozent der rund 2,5 Millionen Neugeborenen, die jedes Jahr sterben, hätten ein niedriges Geburtsgewicht. Die betroffenen Kinder leiden der Studie zufolge unter einem höheren Risiko für Entwicklungsprobleme sowie chronische Krankheiten im späteren Leben, darunter Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Als Hauptursachen für niedriges Geburtsgewicht werden das Alter der Mutter, die Zahl der Schwangerschaften und Geburtskomplikationen aufgeführt sowie Gesundheitsprobleme wie Vergiftungen während der Schwangerschaft, Infektionen wie Malaria, Mangelernährung, Umweltfaktoren wie Luftverschmutzung und Tabak- und Drogenmissbrauch.

Daten aus 148 Ländern

Die WHO und Unicef forderten die Regierungen zu größerem Engagement auf. Im Jahr 2012 hatten die WHO-Mitgliedstaaten erklärt, bis 2025 den Anteil der Neugeborenen mit niedrigem Geburtsgewicht um 30 Prozent zu verringern. Die Studie dokumentiere aber bisher nur einen leichten Rückgang, betonten die UN-Organisationen. Im Jahr 2000 seien schätzungsweise 22,9 Millionen Babys betroffen gewesen, bis zum Jahr 2015 habe sich die Zahl um rund 2,4 Millionen verringert.

Die Studie wurde im Wissenschaftsmagazin "The Lancet Global Health" veröffentlicht. Die Forscher werteten die Daten von 148 Ländern aus den Jahren 2000 bis 2015 aus. Allerdings stellten 47 Staaten, darunter 40 Entwicklungs- und Schwellenländer, den Angaben zufolge unzureichende Daten bereit. Auf diese Länder entfielen fast ein Viertel aller Geburten weltweit.



VEM und Netzwerk wollen Schulpartnerschaften stärken

Die Vereinte Evangelische Mission (VEM) setzt sich mit dem internationalen pädagogischen Netzwerk GPENreformation für den Aufbau globale Partnerschaften evangelischer Schulen ein. Vertreter beider Seiten unterzeichneten einen Kooperationsvertrag, wie die VEM in Wuppertal mitteilte. "Wir sind uns sicher, mit der Kooperation zwischen GPENreformation und VEM viele Schulen miteinander in Kontakt zubringen", erklärte Schulreferent Julian Elf.

Die Kooperation werde auf der Website www.gpenreformation.net sichtbar sein, hieß es. Unter der Rubrik Schulpartnerschaften können künftig Bildungseinrichtungen Gesuche für Schulaustausche, länderübergreifende Projektarbeit und Partnerschaften veröffentlichen. Berichte gelungener Partnerschaften würden allen Netzwerkmitgliedern Raum bieten, eigene Erfahrungen und Ideen zu teilen, hieß es.

Das "Global Pedagogical Network - Joining in Reformation", kurz GPENreformation, ist ein internationales Netzwerk evangelischer Schulen und Hochschulen sowie von Verbänden, Vereinen Kirchen und Organisationen, die sie unterstützen.