Als Johann Wolfgang von Goethe am 28. August 1749 in Frankfurt am Main geboren wurde, bestand noch das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Zum Zeitpunkt seines Todes 1832 in Weimar hatten die Französische Revolution und die Industrialisierung die Welt von Grund auf verändert. Und genau das mache ihn so aktuell, meint Torsten Valk von der Klassik Stiftung Weimar. Als Zeuge einer radikalen Transformationsphase habe der Dichter einiges mit uns gemeinsam. "Weil wir in einer ähnlichen Phase leben, ist Goethe für uns ein interessanter Dialogpartner."

In Goethes acht Lebensjahrzehnten gab es kaum einen Erfahrungsbereich, der sich nicht wandelte. Ähnliches gilt für die vergangenen Jahrzehnte, in denen die Digitalisierung das Leben der Menschen grundlegend veränderte. Deshalb sei nun auch der Zeitpunkt gekommen, einen neuen Blick auf den berühmtesten deutschen Dichter zu werfen, findet Valk, der die Ausstellung "Goethe. Verwandlung der Welt" in der Bundeskunsthalle kuratiert hat.

Ein neuer Blick auf Deutschlands berühmten Dichter

Zuletzt hatte vor 25 Jahren die Frankfurter Schirn eine umfassende Goethe-Ausstellung gezeigt. Seitdem habe sich viel getan. "Wir müssen heute von einem anderen Standpunkt aus auf Goethe blicken", sagt Valk. Die Bonner Schau, die bis zum 15. September zu sehen ist, zeigt vor allem eines: Den zu einem zeitenthobenen Vorbild stilisierten Goethe gibt es nicht. Vielmehr war der Dichter als Zeuge einer turbulenten Zeit immer selbst im Wandel. Zum anderen veränderte sich sein Bild im Zuge seiner 200-jährigen Rezeption ständig.

Dem trägt die Ausstellung Rechnung, indem sie die unterschiedlichen Lebens- und Schaffensphasen des Dichters beleuchtet und sie zugleich mit ihrer Wirkungsgeschichte bis in die Gegenwart konfrontiert. Das gelingt mit Hilfe von rund 250 Leihgaben aus öffentlichen und privaten Sammlungen. Darunter befinden sich nicht nur Original-Handschriften Goethes oder Erstausgaben. Die Schau präsentiert zahlreiche Kunstwerke von Caspar David Friedrich über Auguste Rodin, Piet Mondrian, Paul Klee und Andy Warhol bis Ólafur Elíasson, die mit Goethes Schaffen in Zusammenhang stehen. Hinzu kommen Filmausschnitte von Theaterinszenierungen und Musik berühmter Komponisten seiner Zeit wie Ludwig van Beethoven oder Franz Schubert.

Die Schau beginnt mit Goethes Frankfurter Kindheit und Jugend, in der er die Krönung von Kaiser Joseph II. erlebte. Es schließen sich jeweils farblich abgesetzte Kapitel an, die seine Entwicklung vom Dichter des Sturm und Drang über seine Italien-Reise und Hinwendung zur Klassik sowie seine Auseinandersetzung mit der Romantik und dem Orient erzählen. Dem "Faust", Goethes wohl berühmtestem Werk, widmet die Schau ein eigenes Kapitel mit Filmausschnitten und Bühnenmodellen. Hinzu kommt ein Einschub über Goethes Farbenlehre, die noch im 20. Jahrhundert Künstler wie Paul Klee, Piet Mondrian oder Johannes Itten beeinflusste.

Auseinandersetzung mit dem Orient und Islam

Der Bezug zur Gegenwart wird besonders deutlich an Goethes Auseinandersetzung mit dem Orient und dem Islam. "Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen", schrieb er in seiner vom persischen Dichter Hafis inspirierten Gedichtsammlung "West-östlicher Divan". Das Zitat verwendete der frühere Bundespräsident Christian Wulff 2010 in seiner Rede zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit, um seine umstrittene Aussage zu untermauern, dass der Islam zu Deutschland gehöre.

"Bis heute wird Goethe wie kein anderer Dichter in gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen als Orientierungsinstanz zurate gezogen", stellt Valk fest. Dabei habe er sich selbst Zeit seines Lebens immer gegen moralische oder politische Vereinnahmungen gewehrt. Die Bonner Goethe-Schau zeigt warum: Goethe war ein Dichter und Denker, der sich mit den Umwälzungen seiner Zeit immer wieder neu erfand.

Dabei nahm er eine Vielzahl von Rollen ein. Goethe war nicht nur Dichter, sondern auch hoher Staatsbeamter mit politischem Geschick. Und nicht zuletzt widmete er sich auch der Botanik. Das dokumentiert die parallel stattfindende Ausstellung "Goethes Gärten" auf dem Dach der Bundeskunsthalle. Dort wurden zentrale Elemente aus den beiden Weimarer Gärten des Dichters detailgetreu angelegt.