Düsseldorf (epd). Die enge Verzahnung von politischem Engagement und künstlerischer Arbeit steht im Mittelpunkt einer großen Ausstellung mit Werken des chinesischen Künstlers Ai Weiwei, die die Kunstsammlung NRW in Düsseldorf seit dem 17. Mai zeigt. So hat der 61-jährige Künstler und Dissident etwa in seinem sechsteiligen großen Werk "S.A.C.R.E.D." die Bedingungen seiner Haft in China verarbeitet.
Die 81-tägige Einzelhaft im Jahr 2011 in seinem Heimatland sei für ihn auch "eine religiöse Erfahrung" gewesen, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd) bei der Präsentation der Ausstellung, die bis zum 1. September in beiden Museumsgebäuden K20 und K21 zu sehen ist.
Als seine Mutter ihn damals nach der Haftentlassung fragte, was in den 81 Tagen passiert sei, habe er sich entschlossen, "die Situation zu zeigen, sonst kann das keiner verstehen, was dort mit einem geschieht", sagte der Künstler, der seit Jahrzehnten für Menschenrechte, Meinungsfreiheit und die Freiheit der Kunst streitet. Er baute insgesamt - wie eine Art persönlicher Kreuzweg - sechs Stationen des Einzelhaft-Alltags nach. Der Gang zur Toilette, das Waschen, das Essen, das Schlafen, das Verhör und der Gang durch die Zelle, stets aufs Engste begleitet von zwei uniformierten Bewachern: All dies kann der Besucher in den Nachbildungen der Zelle durch kleine Sehschlitze sehen.
Schlauchboot-Skulptur
In anderen riesigen Installationen setzt sich der Künstler mit der Situation von Flüchtlingen auseinander. Da ist etwa die 17 Meter lange Skulptur eines mit 110 Menschen dicht besetzten Schlauchboots, die aus Bambus und Sisalgras gefertigt wurde und den Titel "Life Cycle" (Kreislauf des Lebens) trägt und erstmals in Europa zu sehen ist.
Die Köpfe einiger Personen sind chinesischen Tierkreiszeichen nachgebaut und symbolisieren laut Ai Weiwei den "Kreislauf des Werdens und Vergehens". Zu den Texten, die er dem Werk beigestellt hat, gehört auch ein Verweis auf den Bibelvers Hebräer 13, 2: "Vergesst die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt!"
Die gewaltige Installation "Waschsalon" besteht aus 40 Kleiderständern mit gut 2.000 verschiedenen Kleidungsstücken, die Ai Weiwei nach der Räumung des Flüchtlingslagers Idomeni in Griechenland eingesammelt hat. Die zumeist verdreckten und oft zerrissenen Jacken, Hosen, Babystrampler, Kleider und Blusen hat der Aktionskünstler waschen und ausbessern lassen. Nun also hängen sie im K21 und geben sauber und geflickt "den Menschen, die sie beim Beginn ihrer Flucht genau so getragen haben, auch ein Stück ihrer Würde zurück", wie der Künstler betonte.
Getreu seinem Credo "Everything is art. Everything is politics" (Alles ist Kunst, alles ist Politik), hat Ai Weiwei gemeinsam mit der Direktorin der Kunstsammlung NRW, Susanne Gaensheimer, und zwei weiteren Kuratoren die Schau über etwa zwei Jahre hinweg geplant. "Es ist die umfassendste Schau meiner Arbeiten, die jemals gezeigt wurde", stellte der Künstler am Donnerstag fest. Einige seiner riesigen, raumfüllenden Installationen sehe er selbst erstmals als Ganzes und zusammen ausgestellt.
Stahlstreben
So sind erstmals sämtliche Stahlstreben zu sehen, die Ai Weiwei nach dem verheerenden Erdbeben am 12. Mai 2008 im chinesischen Sichuan aus den zusammengestürzten Schulen geholt hat. Viele tausend Schulkinder waren damals ums Leben gekommen, weil zahlreiche Schulgebäude aufgrund von Korruption und Pfusch am Bau einstürzten, weil sie nicht erdbebensicher waren. In der Düsseldorfer Ausstellung sind auch die Namen aller ums Leben gekommenen Schulkinder dokumentiert. Dieses Werk - immerhin 164 Tonnen Armierungseisen - war noch nie zuvor in Europa zu sehen.
Auf insgesamt 650 Quadratmetern breitet sich im K20 zudem die gewaltige Installation "Sunflower-Seeds" aus. Sie besteht aus 100 Millionen handgefertigten und individuell bemalten Sonnenblumenkernen aus Porzellan und ist erstmals seit ihrer ersten Präsentation 2010 wieder vollständig zu sehen. Auch frühe, teils noch nie gezeigte Bilder von Aktionen des Künstlers seit den 1980er Jahren zeigt die Ausstellung.
Mit seinen regimekritischen Äußerungen gegenüber der chinesischen Regierung und als lange verfolgter Dissident wird der 1957 in Peking als Sohn des Dichters Al Qing geborene Ai Weiwei zumeist als politischer Kunst-Aktivist wahrgenommen. Er selbst verbrachte seine Kindheit und Jugend mit der Familie in der Verbannung in einem nordchinesischen Arbeitslager. "Seine Kunst hängt eng mit seiner Biografie zusammen", sagte Museumsdirektorin Gaensheimer.