Der Islam gehört zu Deutschland - mit dieser Aussage fachte im Jahr 2010 der damalige Bundespräsident Christian Wulff eine Debatte an. Bis heute arbeiten sich Politikerinnen und Politiker von Horst Seehofer (CSU) bis Angela Merkel (CDU) an diesem Satz ab. Doch längst wird auch in der Gesellschaft deutlich, dass der Islam nicht nur zu Deutschland gehört, sondern zugleich auch Schutz und Förderung durch das Grundgesetz erfährt: In der Bundeswehr soll es neben Militärrabbinern künftig auch Militärimame geben, die islamische Theologie findet in der deutschen Hochschullandschaft ihren Platz, und in der Mehrheit der Bundesländer gibt es mittlerweile islamischen Religionsunterricht an Schulen. Doch die Kooperation mit Islamverbänden wird oft erschwert, da nicht alle als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannt sind. Oft werden die Voraussetzungen dafür auch noch nicht erfüllt - wie etwa ein Mitgliederverzeichnis.

"Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen" - so beginnt die Präambel des Grundgesetzes. Der Gottesbezug der Verfassung sei aber keineswegs auf einen christlichen Gott festgelegt, sagt der Erlanger Jura-Professor und Experte für die rechtliche Stellung des Islam in Deutschland, Mathias Rohe. Der Gottesbezug sei vielmehr säkular zu verstehen. "Es ist die Erinnerung daran, dass der Mensch nicht alles tun darf, was er tun kann", erläuterte Rohe dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Kollektive Religionsfreiheit

Wichtiger als die Präambel sei der Artikel 4 des Grundgesetzes, der nicht nur die individuelle, sondern auch die kollektive Religionsfreiheit garantiere. Außerdem übernahmen die Väter und Mütter des Grundgesetzes die Religionsartikel der Weimarer Reichsverfassung, die ausdrücklich nicht nur die christlichen Kirchen, sondern auch andere Religionsgemeinschaften betreffen.

Natürlich sei die staatliche Kooperation mit Religionsgemeinschaften stark geprägt durch das Verhältnis der christlichen Kirchen zum Staat. Das sei historisch gewachsen. Doch der Staat müsse sich gegenüber Religionsgemeinschaften öffnen, die in Deutschland traditionell noch nicht so stark verankert seien. Für Rohe ist das sogar eine existenzielle Frage, ob das bisherige Staatskirchenrecht so erhalten bleiben kann. "Das Kooperationsmodell zwischen Kirche und Staat gerät zunehmend unter Druck, das sieht man bei der Kirchensteuerdiskussion und daran, dass die Kirchen immer mehr Mitglieder verlieren", sagt er. "Die Frage, ob islamische Religionsgemeinschaften in dieses System integriert werden, wird zum Lackmus-Test."

Viele Möglichkeiten zu partizipieren

Der Islamexperte Rauf Ceylan ist optimistisch. "Muslimische Organisationen erleben seit der ersten Islamkonferenz 2006 eine Aufwertung", sagt er. "Was zwischen 2006 und 2019 passiert ist, nenne ich historisch. Kein anderes westliches Einwanderungsland hat so große strukturelle Fortschritte gemacht wie Deutschland bei der Integration des Islam."

Zwar bezweifelt Ceylan, dass muslimische Gemeinden mittelfristig kirchenähnliche Strukturen ausbilden, doch der Staat habe den Islamverbänden bereits seine Hand gereicht. Muslimische Organisationen hätten schon jetzt viele Möglichkeiten zu partizipieren. Oft behelfe man sich mit vorübergehenden Konstrukten überall dort, wo der Staat verbindliche Ansprechpartner benötige - etwa beim Religionsunterricht. Auch bei den Militärimamen für die Bundeswehr will der Staat nach Plänen des Justizministeriums zunächst mit einem Übergangsmodell arbeiten, bis die strukturellen Voraussetzungen für einen Staatsvertrag geschaffen sind.

Die Einführung des islamischen Religionsunterrichts und die Gründung von Instituten für islamische Theologie das seien sehr große Schritte gewesen, sagt Ceylan. Es entstehe derzeit eine Wissenschafts-Community, die einen europäischen Islam etablieren will. Als nächstes werde eine universitäre Ausbildung in muslimischer Sozialarbeit angestrebt. "In all diesen Bereichen bietet der Staat auf Basis des Grundgesetzes Muslimen die Möglichkeit zu partizipieren. Und das wird auch in Anspruch genommen."