In jedem vierten geprüften Fall haben die Gutachter vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK und MDS) im vergangenen Jahr einen Behandlungsfehler festgestellt. Die Statistik für 2018 stellten sie am 16. Mai in Berlin vor - machten aber zugleich darauf aufmerksam, dass sie nur einen kleinen Ausschnitt zeigt. Über das tatsächliche Ausmaß von Behandlungsfehlern gibt es in Deutschland nur Schätzungen.

Insgesamt fertigte der Medizinische Dienst der Krankenkassen im vergangenen Jahr rund 14.100 Gutachten an, etwas mehr als 2017. Die Prüfer ermittelten rund 3.500 Behandlungsfehler. In 2.800 Fällen, einem Fünftel, wiesen sie nach, dass die Fehler bei den Patienten zu einem gesundheitlichen Schaden geführt haben.

Als Beispiele nannten sie eine Bandscheiben-Operation an der falschen Bandscheibe oder eine übersehene Eileiterschwangerschaft. Einem Patienten wurde ein Antibiotikum verabreicht, gegen das er hochallergisch war, wie der Patientenakte zu entnehmen war.

Bei zwei Dritteln der überprüften Beschwerden ging es um Klinikaufenthalte, ein Drittel der Versicherten beantragten ein Gutachten über eine Behandlung in einer Arztpraxis. Aus Sicht der Patienten passieren die meisten Fehler in der Unfallchirurgie und Orthopädie, 31 Prozent der Beschwerden kommen aus diesen Gebieten. Es folgen die Innere Medizin, die Allgemeinchirurgie und die Geburtshilfe. In fünf Prozent aller Gutachten wurden mögliche Pflegefehler untersucht.

Schadensersatz nur nach Gutachten

Neben den Krankenkassen legt auch die Bundesärztekammer jedes Jahr eine Statistik zu Behandlungsfehlern vor. Die Prüfer der Ärztekammern stellten rund 2.160 weitere Behandlungsfehler fest. Patienten, die vermuten, durch eine falsche Behandlung geschädigt worden zu sein, können nur dann Schadenersatz einklagen, wenn der Fehler durch ein Gutachten bestätigt ist. Wie viele der Patienten vor Gericht ziehen, ist nicht bekannt.

Die von den Gutachtern bestätigten Fehler stellten nur einen sehr kleinen Ausschnitt dar, erklärte der stellvertretende MDS-Geschäftsführer Stefan Gronemeyer. Die Dunkelziffer sei Studien zufolge um das Dreißigfache höher. Sie muss aber vor dem Hintergrund von rund 20 Millionen Behandlungen allein in den Krankenhäusern gesehen werden. Hinzu kommen nach Angaben der Bundesärztekammer rund eine Milliarde Arztkontakte.

Doch jeder Fehler kann tragisch sein. Die Prüfer der Krankenkassen forderten mehr Anstrengungen, um Behandlungsfehler zu vermeiden. Sie plädieren für eine nationale Liste von Schäden durch Kunstfehler mit schweren Folgen für die Patienten, sogenannte "Never-Events". Dazu zählen etwa falsche Operationen, schweres Wundliegen (Dekubitus) oder der Tod oder die Behinderung eines Kindes durch Fehler bei der Geburt. In England etwa werde eine solche Liste geführt und ausgewertet, um vermeidbare Fehler auch tatsächlich zu verhindern, sagte Gronemeyer.

Er bemängelte, dass in Deutschland zu wenig geschehe. Zwar gebe es in allen Krankenhäusern die Möglichkeit, Fehler zu melden. Doch sei das völlig freiwillig. Ebenso gibt es keine Verpflichtungen für die Kliniken, Fehler an eine nationale Stelle weiterzumelden. Zudem würden die Daten nicht ausgewertet. In zehn Jahren seien nur 6.200 Behandlungsfehler national erfasst worden, weniger, als allein die Gutachter des Medizinischen Dienstes gezählt haben.

Rund 20 Jahre nach einem Aufbruch im Gesundheitswesen zu einem anderen Umgang mit Fehlern - ausgelöst durch die angelsächsischen Länder - herrsche in Deutschland Stillstand, bemängelte Gronemeyer.