Ein Name wurde für Frauen des Mittelalters zum Programm: Im Dominikaner-Kloster "Paradiese" in Soest in Westfalen illustrierten Frauen zwischen 1320 und 1440 Bücher, für die sie die dort dargestellten Lieder auch selbst dichteten und komponierten. Davon zeugen weltweit einmalige Chorbücher, die nach etlichen Umwegen an die Universität Düsseldorf gelangt sind und nun erstmals in einer multimedialen, virtuellen Ausstellung gezeigt werden (www.ulb.hhu.de/link/paradiese).

"Der Reichtum einer Epoche zeigt sich daran, wie viele Lebensmöglichkeiten er den Menschen, insbesondere Frauen bietet", sagte Mittelalter-Historikerin Professor Eva Schlotheuber von der Heinrich Heine Universität Düsseldorf dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Frauen hatten im Mittelalter oft mehr Möglichkeiten sich zu bilden, als wir heute für möglich halten."

Lieder über Evangelisten Johannes auf Maria umgedichtet

"Paradiese" war ein Kloster des Dominikaner-Ordens. In den vier schweren Bänden sind von Hand Lieder der Liturgie, der Gottesdienst-Gestaltung, der Dominikaner, auf Latein geschrieben. Nonnen haben sie gedichtet, kopiert und mit Zeichnungen, zum Teil Selbstporträts versehen.

"Frauen durften sich ja aus dem Kloster heraus nicht an die Öffentlichkeit wenden, wohl aber an ihre eigenen Ordensbrüder", sagt Eva Schlotheuber. Diese Möglichkeit hätten sie genutzt und eine eigene Theologie entwickelt. So hätten sie bestehende Lieder und Elemente der Gottesdienst-Gesänge umgeschrieben, und etwa Lieder, die sich auf den Evangelisten Johannes bezogen, auf Maria umgedichtet. Daraus schließt die Wissenschaftlerin, die mit einem internationalen Team die ungewöhnlichen Schriften erforscht hat, dass die Dominikanerinnen ausgebildete Theologinnen waren.

Der Dominikanerorden habe im 14. Jahrhundert erkannt, dass es für alle Beteiligten eine Chance sein könnte, den Orden für Frauen zu öffnen, und zwar nicht allein für junge Mädchen, sondern auch - und insbesondere - für Frauen, die das Leben einer gelehrsamen Nonne der Ehe und Familie vorzogen oder auch für Witwen, die im Kloster Platz und Aufgaben fanden.

"Blick auf Frauenleben im Mittelalter meist zu eng"

Positiver Nebeneffekt für den Orden sei gewesen, dass die Frauen ihre Mitgift oder Erbschaft einbrachten, also mit Geld ins Kloster eintraten, sagt Schlotheuber. "Es ging für sie nicht darum, das Kloster als die 'letzte Ausfahrt vor dem Fall ins Bodenlose' zu betrachten. Für viele Frauen war es der einzige Ort, an dem sie lernen und sich geistig entwickeln konnten." Die Historikerin bezeichnet das Kloster daher als "soziales Projekt". Aus heutiger Sicht sei der Blick auf Frauenleben im Mittelalter meist zu eng. Es stimme nicht, dass frühestens mit der Reformation eine geistige Entwicklung vieler Frauen möglich wurde.

"Die Illustrationen der Chorbücher zeigen, dass die Nonnen die Liturgie genau kannten und sie musikalisch und in der Gestaltung der Bücher optisch weiter entwickelten", betont Schlotheuber. Daher sei ihr Team aus Studierenden und Professoren - unter ihnen der Kunsthistoriker Jeffrey Hamburger von der Eliteuniversität Harvard und die Musikhistorikerin Margot Fassler von der Universität Notre Dame in Indiana/USA - auf den Titel "Clevere Nonnen" für die Ausstellung gekommen.

Studierende lieferten Filme und Bilder für die virtuelle Ausstellung. Einige Räume des Klosters "Paradiese", wo bis vor eineinhalb Jahren eine Krebsklinik untergebracht war, können heute noch besichtigt werden. Die Lieder der Nonnen hat der WDR mit einem Kölner Chor aufgenommen. Auch diese Musik ist Bestandteil der digitalen Ausstellung.

Ein weiteres Kapitel der Schau informiert über die Geschichte des Klosters "Paradiese", die in vieler Hinsicht außergewöhnlich ist. So wurde ein Teil des Klosters nach der Reformation evangelisch, so dass Katholiken und Protestanten etwa 300 Jahre lang das Gebäude gemeinsam bewohnten. Aufgelöst wurde das Kloster 1806 im Zuge der napoleonischen Kriege. Klugen Bibliothekaren sei es zu verdanken, dass damals die wertvollen Handschriften zunächst in der königlichen Hofbibliothek in Düsseldorf und später in der Universitätsbibliothek aufbewahrt und erhalten wurden, hieß es.