Kirchen

"Ansporn statt Entsetzen"


Die Zahl der Kirchenmitglieder könnte sich bis 2060 halbieren.
epd-bild/Friedrich Stark
Nicht überraschend, aber einschneidend sind die Ergebnisse der Freiburger Studie über die Entwicklung der Mitgliedszahlen und Kirchenfinanzen bis 2060. Die gute Nachricht: Die Kirchen können den Mitgliederschwund noch abfedern.

Weniger Kirchenmitglieder, das bedeutet nicht automatisch weniger gesellschaftliche Relevanz - das sagt der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, angesichts der frappierenden Zahlen, nach denen die Kirchen bis 2060 rund die Hälfte ihrer Mitglieder verlieren könnte. "Die christlichen Kirchen bleiben weiterhin die größte nicht-staatliche Organisation in Deutschland", sagte Bedford-Strohm am 2. Mai in Brüssel auf Anfrage dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Und ich bin sehr sicher, dass die Kirche gerade in Zeiten, in denen Orientierung mehr denn je gefragt ist, Gehör finden wird."

Weniger Mitglieder bedeuten auch weniger Kirchensteuern, und vor allem finanziell wird sich der Mitgliederschwund drastisch auswirken. Im Jahr 2017 erhielten die Kirchen rund zwölf Milliarden Euro Kirchensteuer. Zwar soll das Kirchensteueraufkommen im Jahr 2060 weiterhin bei rund zwölf Milliarden Euro liegen, doch kaufkraftbereinigt könnten sich die Kirchen davon in 40 Jahren nur die Hälfte des Bisherigen leisten.

"Es ist fünf vor zwölf"

Das Forschungszentrum Generationenverträge der Freiburger Universität hat für die katholische Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) eine Prognose dazu erstellt, wie sich die Zahl der Mitglieder und die Höhe des Kirchensteueraufkommens in den kommenden 40 Jahren verändern werden. Während im Jahr 2017 noch mehr als jeder Zweite einer der beiden großen christlichen Kirchen angehörte, wird es im Jahr 2060 voraussichtlich nur höchstens jeder Dritte sein, legt man die Bevölkerungsprognose des Statistischen Bundesamts zugrunde. Die Zahl der Mitglieder könnte von 44,8 Millionen im Jahr 2017 auf 22,7 Millionen Menschen im Jahr 2060 sinken. Die Prognose basiert auf der demografischen Entwicklung und der Annahme, dass sich die Trends bei Taufen sowie Ein- und Austritten fortsetzen.

Dass die Kirchen trotz Halbierung der Mitgliederzahlen auch im Jahr 2060 mit rund zwölf Milliarden Euro Kirchensteuer rechnen können, ist laut den Forschern hauptsächlich durch steigende Löhne und Gehälter in den kommenden Jahrzehnten zu erklären. Damit sich die Kirchen von ihren Steuereinnahmen im Jahr 2060 den gleichen "kirchlichen Warenkorb" leisten könnten wie 2017, bräuchten sie jedoch Kirchensteuereinnahmen in Höhe von knapp 25 Milliarden Euro, heißt es in der Studie.

Für die Finanzgremien beider Kirchen ist die Studie ein Weckruf. "Ansporn statt Entsetzen" - so fasste der Finanz-Chef des katholischen Erzbistums Berlin, Bernd Jünemann, seine Reaktion auf die Ergebnisse zusammen. Die zentrale Botschaft sei, dass beide Kirchen die Entwicklung noch beeinflussen könnten. EKD-Ratsmitglied und Finanzexperte, Andreas Barner, sagte: "Es ist fünf vor zwölf. Wir müssen jetzt handeln."

"Aufruf zur Mission"

Die Forscher liefern den Kirchen Anregungen zum Handeln: Der Mitgliederverlust lasse sich nicht allein auf den zweifellos unumkehrbaren demografischen Wandel zurückführen. Es fehle der Kirche an gläubigem Nachwuchs, weil mehr Menschen aus der Kirche austreten und zugleich immer weniger Kinder getauft werden. Der Leiter der Studie, Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen, spricht von einer schwindenden Bindungskraft der Institution Kirche. Er rät den Kirchen, gezielt nach Möglichkeiten zu suchen, wie sie das Tauf- und Austrittsverhalten der Gläubigen beeinflussen können. Für den Vorsitzenden der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, ist die Studie daher auch ein "Aufruf zur Mission".

Viele der 20 Landeskirchen der EKD haben nach Auskunft des Ratsvorsitzenden Bedford-Strohm bereits mit einem Reformprozess begonnen. Die Rheinische Landeskirche etwa investiert zwölf Millionen Euro in ein Förderprogramm für innovative Initiativen in den 687 rheinischen Gemeinden. Diese Reformprozesse müssten in den kommenden Jahren stärker vernetzt werden. "Gerade bei jungen Erwachsenen und im Feld der digitalen Kommunikation mit unseren Mitgliedern können wir noch viel besser werden", sagte er. "Manches am Rückgang an Kirchenmitgliedern werden wir nicht ändern können. Anderes aber schon."

Franziska Hein (epd)


Prognose: Kirchen in NRW schrumpfen bis 2060 deutlich


Kirchenbesucher
epd-bild / Jens Schulze
Nicht überraschend, aber einschneidend sind die Ergebnisse der Prognose über die Entwicklung der Mitgliedszahlen und Kirchenfinanzen bis 2060. Die gute Nachricht: Die Kirchen können den Mitgliederschwund noch abfedern.

Bis zum Jahr 2060 könnten ähnlich wie im Bundestrend auch die Kirchen in Nordrhein-Westfalen weiter deutlich schrumpfen. Nach einer am 2. Mai veröffentlichten wissenschaftlichen Prognose könnten sich die Mitgliederzahlen für die evangelischen Kirchen im Rheinland, Westfalen und Lippe von derzeit 4,9 Millionen Mitgliedern auf dann rund 2,45 Mitglieder halbieren. In den katholischen Bistümern sieht der Trend ähnlich aus. Nach Einschätzung der Forscher liegt der Grund für die sinkenden Mitgliederzahlen nicht allein daran, dass es weniger Geburten als Sterbefälle gibt. Kirchenvertreter sehen daher die Chance, die Entwicklung noch zu beeinflussen.

Die von Finanzwissenschaftlern der Universität Freiburg erstellte Langzeit-Projektion basiert auf der demografischen Entwicklung und der Annahme, dass sich die Trends bei Taufen sowie Ein- und Austritten fortsetzen. In der Evangelischen Kirche im Rheinland könnte die Mitgliederzahl bis 2060 von 2,5 Millionen auf dann 1,4 Millionen zurückgehen. Für die westfälische Kirche wird die Entwicklung von derzeit um 1,25 Millionen Mitglieder auf 990.000 geschätzt. Bei der Lippischen Landeskirche geht die Studie von einem Rückgang von 160.000 Mitgliedern im Jahr 2017 auf 58.000 im Jahr 2060 aus.

In den katholischen Bistümern in Nordrhein-Westfalen sieht die Prognose ähnlich aus. Den Berechnungen zufolge könnte sich beispielsweise die Zahl der Kirchenmitglieder im Erzbistum Paderborn von 1,5 Millionen (2017) innerhalb 40 Jahre auf 836.400 etwa halbieren, wie das Erzbistum am 2. Mai in Paderborn mitteilte. Im Bistum Aachen könnte die Zahl von derzeit mehr als eine Million im gleichen Zeitraum auf 480.000 sinken. Bundesweit geht die Prognose von einem Rückgang von 23,3 katholischen Kirchenmitgliedern (2017) auf 12,2 Millionen aus, wie die Deutsche Bischofskonferenz mitteilte.

Entwicklung beeinflussen

Die Kirchen verwiesen darauf, dass die Studie zeige, dass die Kirchen stärker als bislang angenommen, ihre Entwicklung aktiv beeinflussen könnten. Der Rückgang habe zu zwei Dritteln demografische Gründe, dass es weniger Geburten als Sterbefälle gebe, hieß es. Auf das übrige Drittel wie Taufen und Austritte habe die Kirche Einfluss.

Der rheinische Präses Manfred Rekowski rief dazu auf, den Blick auf solche zu beeinflussenden Faktoren zu richten. "Wir fühlen uns in unseren Bemühungen bestärkt, Kirche verstärkt in neuen Formen näher zu den Menschen zu bringen", erklärte der Theologe. Er verwies auf ein mit zwölf Millionen Euro ausgestattetes landeskirchliches Förderprogramm für innovative Initiativen in den 687 rheinischen Gemeinden

Die Ergebnisse seien ein Signal, wie wichtig es sei, den Weg des Wandels aktiv gestaltend weiterzugehen, sagte die westfälische Präses Annette Kurschus in Bielefeld. Zum Wandel gehöre eine umfassende Aufgabenklärung: "Was müssen wir tun, was können wir lassen?", erklärte der Theologische Vizepräsident Ulf Schlüter. Das laufe bereits. Auch die Lippische Landeskirche versuche mit verschiedenen Maßnahmen bereits heute gegenzusteuern, erklärte der Lippische Landessuperintendent Dietmar Arends am Donnerstag in Detmold. In der Landeskirche sollen zukunftsweisende, modellhafte Projekte in den Gemeinden gefördert werden.

Prioritätensetzung

Um langfristig Angebote in der Seelsorge, der Bildung und im Sozialbereich aufrecht erhalten zu können, werde eine Prioritätensetzung bei den Ausgaben nötig sein. Die durch die gute Konjunktur günstigen Kirchensteuereinnahmen in den vergangenen Jahren ermöglichten, bereits jetzt die Weichen für den langfristigen Wandel zu stellen, erklärte das Erzbistum Paderborn. Die Ergebnisse müssten Ansporn sein, gemeinsam das Bistum für die Zukunft zu gestalten, erklärte das Bistum Aachen.

Auch bundesweit schätzt die Studie, dass sich innerhalb von rund 40 Jahren die Zahl der Kirchenmitglieder in Deutschland halbieren könnte. Laut Prognose gehörten dann nur 22,7 Millionen Menschen einer der großen christlichen Kirche an. Im Jahr 2017 zählten katholische und evangelische Kirche zusammen noch 44,8 Millionen Mitglieder. Die Studie wurde vom Forschungszentrum Generationenverträge (FZG) der Freiburger Universität für die katholische Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) erstellt.



Entwicklung der Kirchenmitglieder und Kirchensteuern



epd-bild/Grafik: Oliver Hauptstock

Die Kirchenmitglieder sind in den vergangenen zehn Jahren stetig weniger geworden, trotzdem sind die Einnahmen aus der Kirchensteuer gestiegen. Dieser Trend könnte noch kurze Zeit anhalten, prognostizieren Freiburger Forscher, die für die beiden christlichen Kirchen einen Blick in die Zukunft geworfen haben. Demnach würde die Kirche in den kommenden zwei Jahrzehnten noch über "beträchtliche Ressourcen" verfügen und in dieser Zeit finanzielle Rücklagen bilden können für die Zeit, wenn die Mitgliederzahlen und die Einnahmen deutlich sinken.

Der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass der Mitgliederschwund schon heute Realität ist. Im Jahr 2007 gab es insgesamt 50,3 Millionen Christinnen und Christen, die Mitglied in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) oder in der römisch-katholischen Kirche waren. Das waren damals 61,2 Prozent der gesamten deutschen Bevölkerung.

Im Jahr 2017 sah das schon deutlich anders aus: Zwar gehört immer noch eine knappe Mehrheit der Deutschen der evangelischen oder katholischen Kirche an, doch sank der Anteil auf 54,2 Prozent. 44,8 Millionen Menschen waren Mitglied einer der beiden Kirchen.

5,6 Milliarden Euro

Gleichzeitig hat diese Entwicklung sich bislang nicht finanziell ausgewirkt. Im Gegenteil: Im Vergleich zu 2007 ist das Kirchensteueraufkommen sogar gestiegen. 2007 erhielt die EKD Kirchensteuern in Höhe von etwa 4,2 Milliarden Euro. 2017 waren es etwa 5,6 Milliarden Euro. Die Deutsche Bischofskonferenz, der Zusammenschluss aus 27 katholischen Bistümern in Deutschland, erhielt 2007 rund 4,7 Milliarden Euro Kirchensteuer, 2017 waren es 6,4 Milliarden Euro. Seit 2010 sind die Einnahmen aus der Kirchensteuer bei beiden Kirchen kontinuierlich gestiegen.

Der Grund dafür liegt laut dem Forschungszentrum Generationenverträge (FZG) der Freiburger Universität zum einen in der guten Wirtschaftskonjunktur. Zum anderen befinde sich die Generation der "Babyboomer" derzeit lebensbiografisch in der Phase der höchsten Steuerzahlungen. Absehbar ist jedoch laut den Wissenschaftlern, dass diese Gruppe ab 2035 verrentet sein wird und der finanzielle Ausfall nicht ausreichend durch die nachfolgenden Generationen ausgeglichen wird.



Länder sehen Debatte um Ablösung der Zahlungen an Kirchen skeptisch

Im Bundestag hat ein FDP-Abgeordneter eine Diskussion um eine Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen angestoßen. Die Bundesländer sehen das noch zurückhaltend - wohl auch, weil sie es bezahlen müssten.

Die von der FDP im Bundestag angestoßene Debatte um eine Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen wird in den Bundesländern mit großer Zurückhaltung betrachtet. Wie eine Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) unter den Landesregierungen ergab, sind einige Länder zwar grundsätzlich offen für Gespräche. Viele Staatskanzleien und Ministerien erklärten aber auch, es werde kein Handlungs- oder Änderungsbedarf gesehen.

In Sachsen hieß es etwa, die bestehenden Vereinbarungen hätten sich bewährt. In Brandenburg erklärte ein Sprecher des Kulturministeriums, für ein Ablösegesetz werde "keine Notwendigkeit gesehen". Im Saarland zeigten sich die Regierungsfraktionen von CDU und SPD grundsätzlich offen für eine Ablösung. In Sachsen-Anhalt teilte Regierungssprecher Matthias Schuppe mit, dass eine Lösung "begrüßenswert" wäre. Zugleich wurde jeweils betont, dass dafür im Gespräch mit den Kirchen eine einvernehmliche Lösung gefunden werden müsse. Auch die nordrhein-westfälische Landesregierung unterstrich, sie lege "großen Wert darauf, dass die Erörterung einer Ablösung von Staatsleistungen im partnerschaftlichen Miteinander von Staat und Kirche vorgenommen wird".

Säkularisierung

Dass es dafür tatsächlich ernsthafte Bestrebungen im Bund gibt, bezweifeln einige Länder. Eine Aufstellung von Grundsätzen für die Ablösung sei "aktuell weder vorhanden noch absehbar zu erwarten", hieß es etwa aus der hessischen Landesregierung. Die Berliner Senatsverwaltung für Kultur geht nach eigenen Worten davon aus, dass es derzeit im Bundestag für Verhandlungen mit den Kirchen keine Mehrheit gibt. Eine deutliche Forderung nach einer Ablösung kam es aus keiner Landesregierung, wobei die Antwort aus Baden-Württemberg bis zum 11. Mai ausstand.

Die Staatsleistungen an die Kirchen gehen auf die Enteignung und Säkularisierung kirchlicher Güter im Zuge der Reformation und vor allem durch den sogenannten Reichsdeputationshauptbeschluss von 1803 zurück. Damals verpflichteten sich die Landesherren, die Besoldung und Versorgung etlicher katholischer und evangelischer Würdenträger sicherzustellen. Diese Verpflichtung gilt bis heute. Die Weimarer Reichsverfassung sah die Ablösung dieser jährlichen Zahlungen vor. Dieser Passus wurde auch ins Grundgesetz übernommen.

Für eine Ablösung müsste der Bund ein sogenanntes Grundsätzegesetz verabschieden, für das sich der FDP-Politiker Stefan Ruppert im Bundestag einsetzt. Der kirchenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion will dazu Gespräche mit den anderen im Bundestag vertretenen Parteien und den Kirchen führen, ebenfalls mit dem Ziel, eine einvernehmliche Lösung zu finden. Vertreter von Grünen und Linken plädierten ebenfalls für eine Ablösung. Vertreter von Union und SPD äußerten sich bislang zurückhaltend.

"Extrem teuer"

Die konkreten Verhandlungen über ein Ende der Zahlungen, die nichts mit der Kirchensteuer zu tun haben, müssten aber die Länder mit den Kirchen führen. Eine Ablösung etwa in Form einer Einmalzahlung hätte bei ihnen voraussichtlich deutliche finanzielle Auswirkungen. Es würde "extrem teuer", hieß es etwa aus der niedersächsischen Staatskanzlei. Angesichts der zu erwartenden Höhe der Ausgleichsbeträge sehe man derzeit "keine realistische Option" für eine Ablösung, sagte eine Sprecherin des bayerischen Kultusministeriums.

Die Staatsleistungen summieren sich aktuell auf mehr als eine halbe Milliarde Euro. Die evangelischen Gliedkirchen erhielten nach eigenen Angaben 2017 rund 290 Millionen Euro. Die katholische Kirche hat die Einnahmen aus Staatsleistungen nach eigenen Angaben nicht übergeordnet erfasst. Sie bewegen sich allerdings nach Angaben aus der Vergangenheit auf ähnlichem Niveau wie die an die evangelische Kirche.

Die einzelnen Bundesländer leisten dabei Zahlungen in sehr unterschiedlicher Höhe: Im Saarland werden für dieses Jahr rund 680.000 Euro veranschlagt, in Bayern waren es im vergangenen Jahr 90 Millionen Euro. Im NRW-Haushalt für 2019 sind 9,2 Millionen Euro für die evangelischen Landeskirchen und 13,6 Millionen Euro für die katholische Kirche angesetzt. Die Stadtstaaten Hamburg und Bremen zahlen keine Staatsleistungen, weil es diese Art der historischen Verpflichtungen dort nicht gibt oder diese schon im 19. Jahrhundert durch einmalige Entschädigungen ausgeglichen wurden.



Sachsen: Verfassungsgericht muss über Kirchgeld entscheiden

Die Regelung zum besonderen Kirchgeld in Sachsen war nach Auffassung des sächsischen Finanzgerichts in den Jahren 2014 und 2015 verfassungswidrig. Bis zu einer entsprechenden Gesetzesänderung infolge der Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaft habe diese gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz in Artikel 3 des Grundgesetzes verstoßen, erklärte das Gericht am 29. April in Leipzig. Man habe daher mit Beschluss vom 25. März das Bundesverfassungsgericht zur Klärung angerufen.

Hintergrund ist die Einführung des sogenannten Ehegattensplittings auch für eingetragene Lebenspartner im Mai 2013. In deren Folge änderte der Freistaat Sachsen nach Angaben des Finanzgerichts sein Kirchensteuergesetz anders als die meisten anderen Bundesländer zunächst nicht. Das führte dazu, dass Eheleute mit nur einem steuerpflichtigen Kirchenmitglied vorübergehend mehr Kirchgeld zahlen mussten als entsprechende eingetragene Lebenspartner: Beim Ehegattensplitting wird die Höhe der Kirchensteuer nach dem Gesamteinkommen der Eheleute berechnet, auch wenn nur ein Ehepartner einer Religionsgemeinschaft angehört, die Kirchensteuern erhebt.

Schlechterstellung

Hiergegen klagte den Angaben zufolge eine Steuerzahlerin, die mit ihrem nicht-kirchensteuerpflichtigen Ehemann gemeinsam bei der Einkommens- und Kirchensteuer veranlagt wurde. Dies habe bis zur Gesetzesänderung in Sachsen mit Wirkung im Jahr 2016 eine Schlechterstellung gegenüber eingetragenen Lebenspartnerschaften bedeutet.

Das Finanzgericht erklärte, es wolle der Klägerin Recht geben, weil nicht einzusehen sei, warum der Gesetzgeber Ehegatten und eingetragene Lebensgemeinschaften nicht schon seit 2014 gleichgestellt habe. Es stehe "nicht im Belieben des Gesetzgebers, einen verfassungswidrigen Zustand längere Zeit aufrecht zu erhalten". Jedoch müsse die Frage der Verfassungswidrigkeit zuvor durch die Karlsruher Bundesrichter geklärt werden.

Das Kirchgeld in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens wird seit 1990 auf der Grundlage des staatlichen und kirchlichen Kirchensteuerrechts neben der Landeskirchensteuer als sogenannte Ortskirchensteuer erhoben. Ortskirchensteuer und Landeskirchensteuer sind Kirchensteuern und können unbeschränkt als Sonderausgaben mit der Einkommensteuererklärung geltend gemacht werden, heißt es. Das Kirchgeld kommt den Angaben zufolge vollständig der Kirchgemeinde vor Ort zugute.



EKD-Beauftragter betont Bedeutung von Friedensdiensten


Renke Brahms
epd-bild/Jürgen Blume

Vor dem Hintergrund eines wachsenden Rechtspopulismus und zunehmender Konflikte in der Welt hat der evangelische Friedensbeauftragte Renke Brahms die Bedeutung der Friedens- und Freiwilligendienste in Europa betont. "Friedensdienst zeigt Möglichkeiten auf, sich aktiv für eine gerechtere Welt einzusetzen", sagte der leitende Bremer Theologe und Beauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am Samstag bei einer Akademietagung in Berlin.

Friedensarbeit sei langfristig angelegt und könne dazu beitragen, Konflikte zu verändern und Gewalteskalationen zu verhindern, sagte Brahms auf der Tagung der Evangelischen Akademie zu Berlin und der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF) mit Sitz in Bonn. Das sei nicht einfach, aber es gebe bewährte Instrumente. Dazu gehörten die Stärkung der Zivilgesellschaft, der Aufbau der Polizei und der Wirtschaft, Verfahren der Mediation oder die Unterstützung von Selbstverantwortung und Selbstbestimmung.

In diesem Zusammenhang warnte Brahms vor zunehmenden Einschränkungen der Zivilgesellschaft. "Starke Zivilgesellschaften sind friedensfördernd. Aber wenn die Kritik verstummt, Einmischung bestraft wird und die Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit massiv eingeschränkt sind, dann beeinflusst das die politische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung im Land negativ." Eine lebendige Demokratie, die gegen Armut und für Gerechtigkeit und Frieden kämpfen könne, brauche eine starke Zivilgesellschaft, die sich einmische.

"Es gibt keine einfachen Antworten"

Brahms warnte auch vor vermeintlich einfachen Lösungsvorschlägen von Populisten und Nationalisten. "Es gibt keine einfachen Antworten. Einfache Parolen können nicht die Lösung sein."

Der Friedensbeauftragte warb dafür, "Geschichten des Gelingens" zu erzählen: "Sei es über die Möglichkeit einer friedlichen Wiedervereinigung von Korea, sei es über die gelingende Integration von Geflüchteten in Arbeit, seien es Geschichten der gewaltfreien Konfliktbearbeitung in einem gewaltvollen Kontext wie in Mali." Auch die Versöhnungsgeschichte in Europa und die Arbeit der Organisationen der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden machten Mut: "Angesichts der Geschichtsvergessenheit von Rechtspopulisten ist es wichtig, sich dies immer wieder in Erinnerung zu rufen."



Kirchentag: Viel Zuspruch für Menschenkette für Frieden

Rund 30 Organisationen aus Friedensbewegung und evangelischer Kirche unterstützen den Aufruf zu einer Menschenkette für Frieden beim Kirchentag in Dortmund. Unter dem Motto "Vertraue dem Frieden und lebe ihn!" wollen sie ein Zeichen des Friedens angesichts von zunehmender Aufrüstung und wachsendem Nationalismus setzen, erklärte die Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden am 29. April (AGDF) in Bonn. Die AGDF hatte im März zu der Menschenkette aufgerufen, die sich am 22. Juni durch die Dortmunder Innenstadt ziehen soll.

Die Friedensaktion fordere von Gesellschaft, Kirchen und Politik eine Abkehr von militärischer Logik, sagte Jan Stehn von der AGDF. Friedliche und gewaltfreie Wege und Instrumente der Konfliktaustragung sollten ausgebaut werden. In seinem Aufruf hatte der Friedensverband unter anderem verlangt, die Rüstungsausgaben zu senken und stattdessen mehr Mittel für zivile Krisenprävention und gewaltfreie Konfliktbearbeitung bereitzustellen. Außerdem solle sich Deutschland wie auch andere europäische Staaten dem UN-Atomwaffen-Verbotsvertrag anschließen, erklärte die AGDF.

Unterstützt wird der Aufruf zur Menschenkette den Angaben zufolge unter anderem durch den Internationalen Versöhnungsbund, Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, den Bund für Soziale Verteidigung, die Deutsche Friedensgesellschaft und Ohne Rüstung Leben. Auch die Evangelischen Studierenden-Gemeinden in Deutschland, die Vereinte Evangelische Mission sowie Einrichtungen der westfälischen Landeskirche tragen die Aktion mit.



Tagungsmappen für Kirchentagsteilnehmer werden verschickt


Julia Helmke, Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentags (rechts), packte am 3. Mai mit ein.
epd-bild/Friedrich Stark

Fast 100 Mitarbeitende und Helfer des Kirchentages haben am 3. Mai damit begonnen, die Tagungsmappen für die Teilnehmer der evangelischen Großveranstaltung im Juni in Dortmund zusammenzustellen. Am vergangenen Wochenende sollten an 13 sogenannten Packstraßen insgesamt mehr als 34.000 Mappen gepackt werden, wie der Kirchentag mitteilte. Zu den Unterlagen gehören neben dem 600-seitigen Programmheft unter anderem auch ein Liederbuch und ein Stadtplan.

Zum 37. Deutschen Evangelischen Kirchentag vom 19. bis 23. Juni in Dortmund werden bis zu 100.000 Dauerteilnehmer und viele tausend Tagesbesucher erwartet. Das Protestantentreffen steht unter der Losung "Was für ein Vertrauen". Auf fast 2.400 Veranstaltungen sollen neben Glaubensfragen auch gesellschaftliche Themen wie Migration, Umwelt und Frieden in den Blick gerückt werden.



Paradiesgarten zum Kirchentag

Die Dortmunder evangelische Stadtkirche St. Reinoldi wird zum Kirchentag im Juni um einen Anbau mit Paradiesgarten erweitert. Ein Team der TU Dortmund aus Professoren, Mitarbeitern und Studierenden sorge für die Konzeption und Errichtung des 30 Meter langen und acht Meter hohen temporären Anbaus an der Südseite der Kirche, teilte die Hochschule am 30. April mit.

Das mit Holz verkleidete Bauwerk mit einem Arkadengang aus sieben Rundbögen samt Blumenbeeten wird auf einer Stahlgerüstunterkonstruktion errichtet und soll für Präsentationen und als Ruhezone dienen. Die 15 Tonnen Bau- und Beleuchtungsmaterialien stiften Firmen. Mit der Errichtung des Gebäudes beginnt das Team Anfang Juni.

"Wir haben mit dem Bau an die Tradition der Paradiesgärten angeknüpft, wie sie in vielen Kirchen, zum Beispiel am Kloster Maria Laach, zu finden waren", erklärte Kai Becker vom Bereich Grundlagen und Theorie der Baukonstruktion der Fakultät Architektur und Bauingenieurwesen an der TU Dortmund. Bereits jetzt sei gesichert, dass mindestens 70 Prozent des verbauten Materials nach dem Abbau zum Ende des Kirchentags weiter genutzt werden.

Das Gebäude "stadt paradies sanktreinoldi" soll während des Kirchentags vom 19. bis 23. Juni unter anderem auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Außenminister Heiko Maas (SPD) besucht werden.

Mit der Straßenbahn von Karlsruhe nach Dortmund

Eine ungewöhnliche Idee haben zudem Studierende aus Karlsruhe zum anstehenden Kirchentag: Sie wollen die rund 400 Kilometer lange Strecke nach Dortmund mit einer Straßenbahn zurücklegen, wie die Evangelische Kirche Karlsruhe am 29. April mitteilte. Wie lange die Fahrt mit einer der bis zu 90 Stundenkilometer schnellen Stadtbahnen der Albtal-Verkehrs-Gesellschaft Karlsruhe dauert, werde derzeit berechnet. Für die Strecke benötigt schon ein ICE etwa 3,5 Stunden.

Ungewöhnlich ist die Idee der Evangelischen Studierendengemeinde (ESG) auch, weil Straßenbahnen normalerweise nicht auf Eisenbahngleisen fahren. Die Streckenfreigabe für die beiden Sonderfahrten am 19. Juni nach Dortmund und am 23. Juni zurück im Schienennetz der Deutschen Bahn sei beantragt, hieß es. Gereist wird voraussichtlich in einem Bistrowagen, in dem die ESG die Bewirtung übernimmt. Eine Hin- und Rückfahrkarte koste 100 Euro und sei ab sofort buchbar, unabhängig von der Teilnahme am Kirchentag.



"Woche für das Leben" rückt Suizidprävention in Blickpunkt


Eröffnung der "Woche für das Leben" mit dem EKD-Ratsvorsitzenden Bedford-Strohm (l.) und Kardinal Marx.
epd-bild/Jens Schulze
Seit 25 Jahren wirbt die "Woche für das Leben" der evangelischen und der katholischen Kirche für den Schutz des Lebens. Diesmal steht das Thema Suizid im Vordergrund. Die Kirchen wollen Wege für eine bessere Prävention aufzeigen.

Mit einem ökumenischen Festgottesdienst haben die beiden großen Kirchen am 4. Mai in Hannover ihre bundesweite "Woche für das Leben" eröffnet. Bei der Aktion, die seit 25 Jahren begangen wird, steht diesmal die Suizidprävention im Mittelpunkt. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, forderte zum Auftakt in der Marktkirche mehr Zuwendung für Menschen, die sich das Leben nehmen wollten. Die "radikale Liebe Gottes" gelte auch ihnen und denen, die sich selbst getötet hätten.

"Wie könnte Gott die fallenlassen, die für sich nur noch den Todes-Ausweg gesehen haben, wo er ihre Verzweiflung doch so gut kennt", sagte Bedford-Strohm. Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, hob die Angebote der Kirchen für Menschen hervor, die am Leben verzweifelten, vor allem das Engagement der Telefonseelsorge. Laut Statistik nehmen sich jedes Jahr in Deutschland etwa 10.000 Menschen das Leben. Noch deutlich mehr versuchen es.

"Fest der Begegnung"

Bei einem "Fest der Begegnung" in der Marktkirche stellten sich Selbsthilfegruppen, Beratungsstellen und Hilfsorganisationen vor, unter ihnen die Robert-Enke-Stiftung. Der Fußball-Nationaltorhüter Robert Enke von Hannover 96 hatte sich im November 2009 das Leben genommen. Er litt unter einer Depression.

Bedford-Strohm prangerte in seiner Predigt ein früheres Versagen der Kirche in Umgang mit Selbsttötungen an. "Es ist eine historische Schuld der Kirche, dass sie viel zu lange diese offenen Arme Gottes dementiert hat", betonte der bayerische Landesbischof. Sie habe Menschen, die sich das Leben genommen hätten, als Selbstmörder verdammt, ihnen das Begräbnis verweigert und so die Schuldgefühle der Angehörigen potenziert. Damit sei sie ihnen "das Zeugnis der Auferstehung schuldig geblieben".

Kardinal Marx betonte, Menschen zu begleiten und Leben zu schützen sei eine große Aufgabe für die Kirche. Im Blick auf Suizide hätten die Christen dabei nicht immer den richtigen Ton getroffen. Es gehe darum, verzweifelten Menschen zuzuhören, sie zu verstehen und die Zeichen und Signale für mögliche Todeswünsche wahrzunehmen. "Damit das Schweigen aufhört und die Tabuisierung", sagte Marx. Die Gesellschaft müsse "für das Thema wachwerden".

Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) bezeichnete die Suizidprävention in einem anschließenden Gespräch als "Kernaufgabe staatlicher Sozialarbeit". So müssten Lehrer an Schulen genau hinschauen, wie es den Schülern gehe.

Depression dürfe kein Tabuthema sein

Der frühere Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) begrüßte die Angebote der Kirchen zur Suizidprävention. "Jeder Mensch kann im Laufe seines Lebens in eine Situation geraten, in der alles ausweglos erscheint", erklärte Gröhe in Berlin als Kirchen-Beauftragter der Unionsfraktion im Bundestag. Depression dürfe deshalb kein Tabuthema sein.

Menschen mit Todeswünschen schwankten hin und her zwischen dem Willen zum Weiterleben und dem Wunsch, tot zu sein, sagte die Leiterin des nationalen Suizidpräventionsprogramms, die Kölner Psychiatrie-Professorin Barbara Schneider, am Rande der Eröffnung dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Wichtig ist, sie in dieser Ambivalenz abzuholen und auf die Seite des Lebens zu bringen." Menschen in einer solchen Situation seien froh, wenn sie auf Suizidgedanken angesprochen würden.

Die Aktionswoche wird bis zum 11. Mai in katholischen und evangelischen Kirchengemeinden begangen. Sie steht diesmal unter dem Motto "Leben schützen. Menschen begleiten. Suizide verhindern." Die Aktion wirbt seit 1994 immer zwei Wochen nach Ostern für die Anerkennung der Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des menschlichen Lebens in allen Phasen.



Görlitzer Altbischof Wollenweber wird 80

Der evangelische Görlitzer Altbischof Klaus Wollenweber ist am 5. Mai 80 Jahre alt geworden. Wollenweber, der seit Eintritt in den Ruhestand wieder in seiner rheinischen Heimat lebt, hatte das Amt in der schlesischen Oberlausitz von 1995 bis Ende Mai 2004 inne. Anfang 2004 hatte sich seine Landeskirche mit der evangelischen Kirche von Berlin-Brandenburg vereinigt, zur heutigen Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.

Von 2000 bis 2007 war Wollenweber zudem Beauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für Spätaussiedler. Der Altbischof und Vater von fünf Kindern lebt heute wieder in Bonn.

Der frühere Synodenpräses der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Andreas Böer, würdigte Wollenweber als Brückenbauer und engagierten Seelsorger. In einem Beitrag für die Wochenzeitung "Die Kirche" (Ausgabe vom 5. Mai) schrieb Böer, Wollenweber habe "aus dem Westen" kommend "mit seiner unkomplizierten, fröhlichen Art schnell Zugang zu den Menschen" in der Oberlausitz gefunden. Besonders die wirtschaftlichen Sorgen und Nöte der Leute in der Region habe er im Blick gehabt. Zugleich sei er ein Brückenbauer nach Polen und zu anderen östlichen Nachbarn gewesen.

Wollenweber studierte Theologie in Heidelberg, Berlin und Bonn. Von 1968 bis 1988 war er Pfarrer in Bonn. Danach wechselte er bis 1995 in die Berliner Kirchenkanzlei der damaligen Evangelischen Kirche der Union (EKU), zu der die ehemals preußischen Kirchenprovinzen gehörten. Dort war er für Erwachsenenbildung, Schule und Erziehung verantwortlich.



Konfirmanden aus rheinischer Kirche erfolgreich beim Konfi-Cup

Das Konfirmanden-Fußballteam aus der evangelischen Kirchengemeinde Soonblick im Rhein-Hunsrück-Kreis hat beim diesjährigen bundesweiten Konfi-Cup den zweiten Platz belegt. Beim Finale am 1. Mai in Köln mussten sich die Jugendlichen aus dem Kirchenkreis Simmern-Trabbach einzig gegen die Mannschaft aus Homberg-Erbach in der Pfalz mit 2:5 geschlagen geben, wie die Evangelische Kirche im Rheinland mitteilte. Auf dem dritten Rang landete das Konfi-Team aus Hallwangen in Baden-Württemberg.

Insgesamt nahmen zehn Mannschaften an der Endrunde des siebten Konfi-Cups der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) teil, wie es hieß. Die Regeln sehen vor, dass die Teams jeweils mit sechs Feldspielern und einem Torwart auf dem Platz stehen. Die Zusammenstellung der Mannschaften muss dabei gemischt sein, mindestens zwei Mädchen sollten je mitspielen.



Tagung über Kirche und Migration

Mit dem Diskussionsprozess in der westfälischen Landeskirche über Kirche und Migration beschäftigt sich eine Tagung am 17. und 18. Mai im "Haus Villigst" in Schwerte. Bei der Veranstaltung sollen aktuelle Herausforderungen und Fragen in einer Migrationsgesellschaft aus kirchlicher und zivilgesellschaftlicher Sicht beleuchtet werden, kündigte die westfälische Landeskirche an.

Die Evangelische Kirche von Westfalen beschäftigt sich in einem einjährigen Prozess auf allen Ebenen mit den Themen Flucht, Migration und Integration. Dazu hat die Landessynode im November 2018 eine sogenannte Hauptvorlage mit Positionen und Erfahrungen vorgelegt, die während der Tagung vorgestellt wird und die Basis für die weiteren Diskussionen bildet. In Vorträge und Arbeitsgruppen beschäftigen sich die Teilnehmer unter anderem mit Themen wie Kirchenasyl, den Bedingungen für eine gelingende Integration oder dem Ehrenamt in der Flüchtlingsarbeit.

"Wie soll die Migrationsgesellschaft gestaltet werden und was kann Kirche dazu beitragen?", lautet der Titel einer Podiumsdiskussion am Samstag, 18. Mai, an der unter anderem der Bielefelder Oberbürgermeister Pit Clausen (SPD) sowie Heinz Drucks vom Vorstand des NRW-Flüchtlingsrats teilnehmen. Zu der Tagung laden das Institut für Kirche und Gesellschaft und das Amt für Mission, Ökumene und Kirchliche Weltverantwortung (MÖwE) ein. Die Veranstaltung beginnt am Freitag, 17. Mai um 14 Uhr. Ansprechpartnerin ist Gabriele Huckenbeck, Tel: 02304/755-324. Die Hauptvorlage ist unter kircheundmigration.ekvw.de abrufbar.



Jahrestagung der Gefängnisseelsorger in Trier

Die deutschlandweite Jahrestagung der evangelischen Gefängnisnisseelsorger beschäftigt sich derzeit bis 10. Mai in Trier mit dem Thema "In der Welt habt ihr Angst". In Gesprächen und Vorträgen werden die Ängste der Menschen in den Haftanstalten und die Ängste der Menschen außerhalb vor Kriminalität beleuchtet. Thematisiert werde auch, wie sich die Gefängnisseelsorge in diesem Spannungsfeld bewege, teilte der Vorsitzende der Gefängnisseelsorge, Pfarrer Igor Lindner, am Wochenende in Offenburg mit.

Am 9. Mai gibt es einen "Abend der Begegnung" mit Empfang der Evangelischen Kirche im Rheinland mit Präses Manfred Rekowski. Erwartet wird zu der 70. Jahrestagung auch der rheinland-pfälzische Justizminister Herbert Mertin (FDP).

Die Evangelische Konferenz für Gefängnisseelsorge in Deutschland ist der Zusammenschluss von fast 300 evangelischen Seelsorgern in 200 Justizvollzugsanstalten Deutschlands. Gefängnisseelsorger begleiten Inhaftierte, führen seelsorgerliche Gespräche und feiern mit den Gefangenen Gottesdienste. Sie machen Gesprächs-, Meditations- und andere Freizeitangebote und unterstützen die Kontaktaufnahme zu Angehörigen. Als Seelsorger unterliegen sie der Schweigepflicht.



Katholische Jugend fordert friedliches und gerechtes Europa

Europa war ein Schwerpunktthema der Hauptversammlung des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) am Wochenende. Die Delegierten fordern von der EU unter anderem die Einhaltung der Klimaziele und eine aktivere Friedenspolitik.

Mit Forderungen nach einem gerechten, offenen und friedlichen Europa ist am 5. Mai die Hauptversammlung des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) auf Burg Rothenfels bei Würzburg zu Ende gegangen. "Für uns junge Menschen sind Perspektiven für die Zukunft besonders wichtig", erklärte die BDKJ-Bundesvorsitzende Katharina Norpoth. In ihren Beschlüssen forderten die Delegierten unter anderem eine gemeinsame Grundsicherung und einen europäischen Mindestlohn sowie eine Neuausrichtung der Asylpolitik und die Wiederaufnahme der Seenotrettung.

BDKJ erinnert EU an Klimaziele

An die Europäische Union appellierten die Jugendvertreter, ihre Verantwortung zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens wahrzunehmen. "Ein gerechtes Europa hält Klimaziele ein", erklärte BDKJ-Bundespräses Dirk Bingener. "Gerecht heißt eben nicht auf Kosten kommender Generationen oder auf Kosten der Schöpfung zu leben."

Außerdem mahnten die katholischen Jugendverbände eine aktivere Friedenspolitik der EU an. Angesichts der zunehmend schwieriger werdenden Sicherheitslage müsse sich die EU als "Friedensakteurin" auf globaler Ebene einbringen, etwa mit einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Waffenexporte aus der EU an Drittstaaten müssten verboten werden. Zur Europawahl am 26. Mai rief der BDKJ zur Wahl pro-europäischer Parteien auf.

Der BDKJ mit Sitz in Düsseldorf ist der Dachverband von 17 katholischen Jugendverbänden und -organisationen. Die Hauptversammlung mit rund 100 Delegierten ist das höchste demokratische Gremium des Verbands und vertritt den Angaben zufolge rund 660.000 junge Katholiken in ganz Deutschland.



Missbrauchsfälle: Kardinal Kasper für kirchliche Verwaltungsgerichte


Walter Kasper
epd-bild / Stephan Wallocha

Als Konsequenz aus dem Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche fordert der emeritierte Kurienkardinal Walter Kasper die Einführung innerkirchlicher Verwaltungsgerichte. "Wir brauchen dringend kirchliche Verwaltungsgerichte als Instanzen, bei denen man Beschwerde einlegen kann", sagte Kasper dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (1. Mai). Damit widersprach er dem früheren Präfekten der Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, der erklärt hatte, dass Laien nicht über Bischöfe urteilen können, sondern nur der Papst. "Das sehe ich anders. Es geht ja nicht um ein Urteil über Personen, sondern über deren Entscheidungen", betonte Kasper.

Ein Verwaltungsgericht mache selbst keine Gesetze, sondern überprüfe nur die Einhaltung der vorhandenen, in diesem Fall die Regeln der Kirche, sagte Kaper weiter. "Von einem Bischof zu verlangen, dass er seine eigenen Gesetze oder die Gesetze Roms einhält, ist weder unbillig, noch schränkt es den Bischof ungebührlich ein." Es würde seine Autorität im theologischen Sinne stärken, zu mehr Transparenz und Glaubwürdigkeit beitragen. "Wenn wir zu Recht über arroganten, selbstverliebten Klerikalismus und Machtmissbrauch in der Kirche klagen, dann müssen wir doch auch sehen, welche Formen von Machtbegrenzung und Machtkontrolle sich anderswo bewährt haben, etwa in demokratischen Gemeinwesen", erklärte der Kardinal.

Im Streit über die Ursachen des sexuellen Missbrauchs von Kindern in der katholischen Kirche widersprach Kasper auch dem emeritierten Papst Benedikt XVI., der in einem im April veröffentlichten Aufsatz die sexuelle Revolution der 68er-Ära dafür verantwortlich gemacht hatte. "Solche Schuldzuweisungen helfen nicht weiter", sagte Kasper. Es stimme schon, dass im Zuge der 68 manches an Normen und Strukturen zusammengebrochen sei. "Aber nicht allem muss man nachtrauern, und es ist ja auch viel Neues, Gutes aufgebrochen. Joseph Ratzingers bzw. Benedikts XVI. Sicht auf 68 rührt - soweit ich sehe - von eigenen schlechten Erfahrungen in jener Zeit her", erklärte Kasper.

Eine im vergangenen Jahr vorgestellte Studie der katholischen Kirche über Missbrauch durch Priester und Diakone hatte ergeben, dass kirchliche Mitarbeiter nach Missbrauchs- oder Verdachtsfällen oft in andere Gemeinden versetzt und keine weiteren Konsequenzen gezogen wurden. Laut der Missbrauchsstudie, die von den deutschen Bischöfen beauftragt wurde, wurden zwischen 1946 und 2014 insgesamt 3.677 Kinder und Jugendliche Opfer sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche. Es fanden sich Hinweise auf 1.670 beschuldigte Kleriker.



Armenische Kirche in Deutschland führt neuen Bischof ein

Die Armenische Kirche in Deutschland führt am 24. Mai Serovpé Isakhanyan als neuen Diözesanbischof ein. In der Kölner St. Sahak-St. Mesrop Diözesankirche findet ein feierlicher Gottesdienst zur Amtseinführung statt, wie die altorientalische orthodoxe Kirche am 30. April in Köln mitteilte. Zuvor werde er am 12. Mai im armenischen Etschmiadzin, dem geistlichen Zentrum der Armenisch-Apostolischen Orthodoxen Kirche, zum Bischof geweiht.

Isakhanyan wurde den Angaben nach 1963 in der Region Periya im Iran geboren und zog im Alter von fünf Jahren mit seiner Familie nach Armenien. Er besuchte die Gevorgyan Theologische Akademie des Heiligen Stuhls in St. Etschmiadzin. 1986 wurde er zum Diakon geweiht, ein Jahr später folgte die Priesterweihe. Isakhanyan leitete als Abt das Kloster Surp Tatev und war als Seelsorger in Goris tätig. Nach Jahren als stellvertretenden Primas der Diözese Syunik wechselte er in 1993 als Gemeindepfarrer nach Chisinau in die Republik Moldau, später nach Samarkand in Usbekistan.

Im Januar 1995 stellte ihn der damalige Katholikos Vazken I. in den Dienst der Armenischen Diözese in Deutschland, wo Isakhanyan unter anderem in Köln, Berlin, Hamburg, Mainz, Gießen und Frankfurt als Gemeindepfarrer arbeitete. Von 2010 bis 2017 war Isakhanyan auch Generalvikar der deutschen Diözese.




Gesellschaft

Manfred Weber: "Der 'European Way of Life' ist unter Druck"


Pro-Europa-Demo am 5. Mai in Berlin
epd-bild/Christian Ditsch
Drei Wochen vor der Europawahl macht sich der EVP-Spitzenkandidat Weber gegen Antisemitismus und für einen besseren Schutz christlicher Minderheiten stark. Der EKD-Ratschef Bedford-Strohm findet: Pfarrer sollten zur Teilnahme an der Wahl aufrufen.

Der CSU-Politiker Manfred Weber hat sich drei Wochen vor der Europawahl für ein geschlossenes Handeln der Europäer auf der Weltbühne ausgesprochen. Gut gelungen sei dies etwa gegenüber Russland infolge der Besetzung der Krim und des aggressiven Handelns in der Ostukraine, sagte Weber dem Evangelischen Pressedienst (epd). Im Falle der Krise in Venezuela habe es bis zur Antwort der EU aber viel zu lange gedauert, urteilte der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP) für das Amt des EU-Kommissionschefs bei der Europawahl. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, sagte, Pfarrerinnen und Pfarrer sollten dazu aufrufen, am 26. Mai zur Wahl zu gehen.

Weber plädierte dafür, das Einstimmigkeitsprinzip in der EU-Außenpolitik zugunsten von Mehrheitsentscheidungen abzuschaffen: "Damit Europa seine Interessen und Werte durchsetzen kann." Er machte zugleich klar, dass sich Europas liberale Demokratie in einem Wettstreit befinde. "Der 'European Way of Life', unsere europäische Lebensart, ist unter Druck, weil andere Mächte und Modelle sich atemberaubend schnell entwickeln", sagte der 46-jährige Niederbayer.

Islam "Realität in Europa"

Der erklärte Katholik wies dabei auf Europas christliche Prägung hin. "Viele positive Errungenschaften unseres Kontinents haben mit dem Christentum zu tun, etwa die Ideen von Gleichheit und Freiheit, auch der Glaubensfreiheit, Solidarität, Subsidiarität und Gerechtigkeit, also Kernelemente unserer Demokratie", sagte er. Hinter ihnen stehe die Idee der Menschenwürde.

Der Islam sei "Realität in Europa, Menschen leben diesen Glauben", fügte Weber hinzu. Für die Prägungen des Kontinents stehe er aber weniger grundlegend als das Christentum. "Das ist ein historisches Faktum. Es heißt nicht, dass Muslime einen weniger wertvollen Glauben hätten."

Als EU-Kommissionschef wolle er im Hinblick auf die Religionen "die Bereicherung des Miteinanders in den Mittelpunkt" stellen, kündigte Weber an. "Zweitens müssen wir unsere muslimischen Freunde daran erinnern, dass sie sich im Inneren um Herausforderungen kümmern: Der Terror darf keine Grundlage im Islam haben." Darüber hinaus trete er für einen europäischen Pakt gegen den Antisemitismus ein, der ihm große Sorgen mache. Die EU-Kommission solle ferner die Christen als "weltweit die meistverfolgte Minderheit" in den Blick nehmen.

"Predigten nie parteipolitisch"

Auch in den Zeitungen der Funke Mediengruppe sprach sich der EVP-Spitzenkandidat für einen besseren Schutz von Christen weltweit aus. Die zunehmende religiöse Gewalt wie etwa bei den Anschlägen von Sri Lanka sei schockierend. "Das muss ein absolutes Warnsignal für alle verantwortlichen Politiker sein, sich um dieses Thema zu kümmern", sagte Weber. "Wir brauchen mehr Bereitschaft, den Dialog zwischen den Religionen zu fördern."

Bedford-Strohm verteidigte die politische Dimension von Predigten in den Kirchen. "Die Predigten sollten nie parteipolitisch sein und auch nicht die persönliche Meinung des Pfarrers zur Tagespolitik ausdrücken", sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Brüssel. "Aber sie sollen die Grundorientierungen des christlichen Glaubens auch in politischen Dingen zum Ausdruck bringen."

Die Frage, wie die Not der Menschen politisch überwunden werden könne, "das darf nicht nur, das muss auch in den Gottesdiensten vorkommen", sagte der bayerische Landesbischof. Dies gelte auch unabhängig von der Europawahl. Als Beispiel nannte Bedford-Strohm die faktische Einstellung der EU-Mission "Sophia" im Mittelmeer: "Wenn Menschen ertrinken, weil die Seenotrettung abgeschafft wird, dann ist das auch ein Predigtthema." Da es sich bei Europa um ein Friedensprojekt handele, sollten Pfarrerinnen und Pfarrer zur Teilnahme an der Wahl vom 26. Mai aufrufen.



Gewerkschaften fordern ein starkes und solidarisches Europa


Ministerpräsident Armin Laschet (CDU)
epd-bild/Friedrich Stark
Fast 400.000 Menschen haben sich nach Gewerkschaftsangaben an den Kundgebungen am 1. Mai in Deutschland beteiligt. Im Zentrum standen der Einsatz für Tarifverträge, gleiche Löhne in Ostdeutschland und die Europawahl sowie der Kampf gegen Rassismus.

Zehntausende Gewerkschafter haben am 1. Mai für faire Löhne, Demokratie und Toleranz demonstriert. Bundesweit hätten sich rund 382.000 Menschen an den Veranstaltungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) beteiligt, erklärte der DGB am 1. Mai. Das Motto lautete "Europa. Jetzt aber richtig!". Auf der zentralen Kundgebung in Leipzig forderte DGB-Chef Reiner Hoffmann ein "starkes, solidarisches Europa" und rief zu den Europawahlen am 26. Mai auf.

DGB-Chef mahnt Angleichung in Ostdeutschland an

Hoffmann mahnte auch gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost- und Westdeutschland an. Viele Menschen hätten den Eindruck, "die deutsche Einheit ist auch 30 Jahre nach der friedlichen Revolution noch nicht vollendet", sagte er. Ostdeutsche Arbeitnehmer müssten bei gleicher Leistung "immer noch länger schuften". Zugleich bedauerte Hoffmann, dass der Ruf von 1989 "Wir sind das Volk!" heute von Menschen skandiert werde, die nationale Abschottung und gesellschaftliche Spaltung wollten.

Laut Hoffmann sind nur 44 Prozent der Beschäftigten in Ostdeutschland nach Tariflöhnen beschäftigt. Aber auch in den alten Bundesländern seien es mit 57 Prozent der Beschäftigten, die in Unternehmen mit Tarifverträgen arbeiten, zu wenige. Der DGB-Chef forderte, öffentliche Fördergelder und Investitionshilfen nur noch an Firmen zu vergeben, die Tariflöhne zahlen.

Bsirske ruft zur Verteidigung der Tarifbindung auf

Auch Ver.di-Chef Frank Bsirske rief zur Verteidigung der Tarifbindung auf. "Tarifverträge schützen und ermöglichen bessere Arbeits- und Entlohnungsbedingungen", sagte er in Hamburg. Wie Hoffmann rief auch Bsirske zur Teilnahme an der Europawahl auf und wandte sich gegen ein "Zurück in nationale Beschränktheit". Klimawandel, Flüchtlingsbewegungen, Finanzkrisen, Terrorismus und internationale Handelskonflikte erforderten ein Mehr an Miteinander, sagte Bsirske und warnte: "Die AfD ist eine deutsche Brexitpartei."

In Berlin erklärte der stellvertretende Ver.di-Vorsitzende Frank Werneke, dass die Gewerkschaften für eine solidarische, vielfältige und gerechte Gesellschaft kämpften: "Deshalb akzeptieren wir nicht, dass Rassismus und rechtsextremes Gedankengut wieder an Boden gewinnen", sagte er.

71.000 Menschen nahmen an Kundgebungen in NRW

Soziale Spaltung ist aus Sicht der IG Metall die Ursache für den Aufstieg von Nationalisten und Rechtspopulisten in Europa. "Europa muss sozialer werden. In vielen Ländern ist ein Großteil der Jugendlichen arbeitslos, jedem fünften Bürger in der EU geht es materiell schlecht", sagte Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall, in Bremen. Bei den mittleren Jahrgängen sei die Skepsis gegenüber Europa besonders ausgeprägt. Sie erführen die EU zu oft als Bedrohung für Arbeitsplätze.

In Nordrhein-Westfalen beteiligten sich laut DGB Landesverband 71.000 Menschen an 72 Veranstaltungen der Gewerkschaften. Bei der zentralen DGB-Kundgebung in Bielefeld rief NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) zu mehr Unterstützung für die Idee der europäischen Einigung auf. Europa sei kein Selbstläufer, sagte Laschet. Die Bürgerinnen und Bürger sollten "wachsam sein und aufpassen, dass die Europafeinde nicht die Oberhand gewinnen". Die DGB-Landesvorsitzende Anja Weber bezeichnete die Europäische Union als "einzigartiges Friedensprojekt". "Wir brauchen ein starkes und soziales Europa, das gute Arbeit, faire Löhne und ein hohes soziales Schutzniveau stärker als zuvor in den Mittelpunkt stellt." Wer den Weg des nationalistischen Alleingangs einschlage, riskiere Frieden und Wohlstand, warnte Weber.

Kritik an Bundesratsinitiative für ein flexibleres Arbeitszeitrecht

Die DGB-Landesvorsitzende forderte von der schwarz-gelben Landesregierung, mehr im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu handeln, indem sie etwa die Tarifbindung stärkt. "Denn sie ist das A und O für gute Arbeitsbedingungen und faire Löhne." Sie kritisierte zudem erneut die Bundesratsinitiative der NRW-Landesregierung für ein flexibleres Arbeitszeitrecht. "Wir brauchen weniger Stress und Druck im System, nicht mehr!", betonte sie. Schon jetzt machten Überstunden und ständige Erreichbarkeit immer mehr Beschäftigte krank. Mit Blick auf die Bundesregierung lobte Weber den Vorstoß von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) für eine Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung.

Die SPD-Parteivorsitzende Andrea Nahles mahnte eine gerechtere Steuerpolitik an. "Es kann doch nicht sein, dass jeder Imbissbuden-Betreiber hier brav seine Steuern zahlt, Internet-Giganten wie Google und Facebook sich aber einen schlanken Fuß machen", kritisierte sie in ihrer Rede in Recklinghausen. Hier müsse gelten: "Wer in Europa Geschäfte machen will, muss hier auch Steuern zahlen und wer keine Steuern zahlt, der darf hier auch keine Geschäfte machen."

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil forderte bessere Arbeitsbedingungen für Paketzusteller. "Wir profitieren von der Digitalisierung, der Online-Handel boomt, aber wir brauchen auch klare Regeln", sagte er in Bergkamen. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) müsse seine Blockade gegenüber einem Paketzusteller-Gesetz aufgeben. Ein Gesetzentwurf von Arbeitsminister Heil sieht vor, große Paketdienste dazu zu verpflichten, Sozialabgaben für ihre Subunternehmer nachzuzahlen, wenn diese beim Mindestlohn betrügen.

Auch NRW-Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) räumte ein, dass es soziale Schieflagen in Europa gebe, die "beseitigt werden müssen". Die Schaffung einer Europäischen Arbeitsbehörde könnte "ein Schritt in die richtige Richtung sein, wenn sich mehr dahinter verbirgt als zusätzliche Bürokratie“, sagte er laut Redetext in Mönchengladbach.



Religionsvertreter aus 100 Ländern treffen sich in Lindau

Bis zu 1.000 Religionsvertreter aus 100 Ländern kommen im Sommer zu einer Weltversammlung in Lindau am Bodensee zusammen. Auf dem Treffen der größten interreligiösen Nichtregierungsorganisation "Religions for Peace" (Religionen für den Frieden, RfP) beraten die Delegierten unter anderem über Möglichkeiten geistlicher Führer, in aktuellen Konflikten zu vermitteln, wie die Veranstalter am 2. Mai mitteilten.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier soll die viertägige Konferenz am 20. August eröffnen. Sie hat das Motto: "Für unsere gemeinsame Zukunft sorgen - das Gemeinwohl für alle fördern".

Die internationalen Gäste würden im Dreiländereck im Grenzgebiet zu Österreich und der Schweiz "quasi auf neutralem Boden, weit weg von Regierungs- und Bischofssitzen" tagen, sagte der für den Ablauf vor Ort zuständige Geschäftsführer der Stiftung Friedensverantwortung der Weltreligionen und Zivilgesellschaft, Ulrich Schneider. Als Teilnehmer werden Christen, Muslime, Hinduisten, Buddhisten, Juden und andere Religionsvertreter erwartet, die auf dem Treffen öffentlich und auch in geschützten Räumen miteinander reden können.

Frauenquote

Repräsentanten aus Jerusalem und Nigeria werden ebenso dabei sein wie Delegationen aus den verfeindeten Staaten Iran und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Eine von den Organisatoren angepeilte Quote soll dafür sorgen, dass der Anteil der Frauen und jüngeren Delegierten etwa bei jeweils 25 Prozent liegt.

Die Konferenz dauert bis zum 23. August. Inhaltlich begleitet und finanziell unterstützt wird sie vom Auswärtigen Amt - insbesondere vom Referat "Religion und Außenpolitik". Weltversammlungen der interreligiösen Organisation gibt es etwa alle fünf Jahre. Dies wird das zehnte Treffen sein, erstmals in Deutschland.

"Religionen für den Frieden" ist seit 1973 von den Vereinten Nationen als Nichtregierungsorganisation registriert. Vertreter des Bündnisses haben in zahlreichen Konflikten vermittelt, etwa in Bosnien-Herzegowina, in Ruanda, dem Kongo, Irak und Syrien sowie sich nach Naturkatastrophen in Haiti, Nepal und Japan für die betroffenen Menschen eingesetzt.



Kirchen rufen Muslime zum Einsatz für Zusammenhalt auf


Jugendliche Muslime feiern Ramadan
epd-bild/Kristina Schäfer

Zum Beginn des islamischen Fastenmonats Ramadan haben die drei evangelischen Landeskirchen und die fünf katholischen Bistümer in Nordrhein-Westfalen an die Fähigkeit der Religionen erinnert, gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stiften. Die heiligen Schriften von Christentum und Islam riefen zu einer Überwindung von Grenzen und zu Vielfalt und Frieden auf, schreiben die Kirchen in einem am 6. Mai veröffentlichten gemeinsamen Grußbotschaft an die Muslime. Vor der Europawahl am 26. Mai stehe die Idee eines geeinten Europas aber unter Kritik. Bibel und Koran böten ein anderes Weltbild, heißt es in dem Brief der rheinischen, westfälischen und lippischen Kirche sowie der Bistümer Aachen, Essen, Köln, Münster und Paderborn.

Sorge vor neuen nationalistischen Bestrebungen in Europa

Nationalistische Kräfte würden in einzelnen Ländern der EU und weit darüber hinaus spürbar, beklagten die leitenden katholischen und evangelischen Geistlichen. "Es herrschen eine Polarisierung, die niemandem dient und die eigentlich niemand will, und ein Stillstand, der übersieht, dass Wandel wesentlich zu jeder Existenz gehört", kritisierten die Präsides Annette Kurschus (Westfalen) und Manfred Rekowski (Rheinland), der lippische Landessuperintendent Dietmar Arends, die Erzbischöfe Rainer Maria Kardinal Woelki (Köln) und Hans-Josef Becker (Paderborn) und sowie die Bischöfe Helmut Dieser (Aachen), Felix Genn (Münster) und Franz-Josef Overbeck (Essen).

Religionen hätten die Verantwortung, sich über religiöse, ethnische und nationale Grenzen hinweg für den gesellschaftlichen Zusammenhalt einzusetzen. "Es ist unser Auftrag als Weltreligionen, das Bewusstsein dafür wachzuhalten, dass es immer um mehr geht als nur nationale oder gar lokale Interessen", betonten sie.

Auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die katholische Deutsche Bischofskonferenz in Bonn hatten sich am 5. Mai mit Grußworten zum Beginn des Fastenmonats Ramadan an die Muslime gewandt. EKD-Ratsvorsitzender Heinrich Bedford-Strohm und der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, wünschten den Muslimen eine ungestörte und friedliche Zeit.

Der Fastenmonat Ramadan begann in diesem Jahr am 6. Mai und endet am 3. Juni. Im Ramadan sind die Gläubigen aufgerufen, von Sonnenaufgang bis -untergang auf Essen, Trinken, Rauchen und Geschlechtsverkehr zu verzichten. Das Fastengebot gilt in gleicher Weise für Männer und Frauen, befreit sind Alte und Kranke, Kinder, Schwangere und Reisende sowie Soldaten im Krieg. An den Ramadan schließt sich das Fest des Fastenbrechens an. Das Fasten ist eine der fünf Säulen im Islam.



Gericht bestätigt Schließung von muslimischem Kindergarten

Der erste und bislang einzige muslimische Kindergarten in Rheinland-Pfalz muss nach einem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Koblenz schließen.

Das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung habe dem Arab Nil-Rhein Verein im Februar die Erlaubnis zum Betrieb des Mainzer Al Nur-Kindergartens zu Recht widerrufen, teilte das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz am 30. April mit. Das Wohl der betreuten Kinder sei gefährdet und der Trägerverein nicht bereit oder fähig, die Gefährdung abzuwenden. (AZ.: 7 B 10490/19.OVG)

Der Arab Nil-Rhein Verein hatte den Kindergarten 2009 eröffnet. Als Grund für die Schließung nannte das rheinland-pfälzische Landesjugendamt im Februar die mangelnde Zuverlässigkeit des Trägervereins, der Inhalte der Ideologie der Muslimbruderschaft und des Salafismus vertrete. Der Vereinsvorsitzende Samy El Hagrasy bezeichnete die Vorwürfe dagegen als "Hexenjagd" und betonte, niemand aus dem Vorstand sei Salafist oder Anhänger der Muslimbruderschaft.

Auflagen nicht erfüllt

Der Verein hatte gegen den Widerrufsbescheid Widerspruch eingelegt und beim Verwaltungsgericht Mainz vorläufigen Rechtsschutz beantragt. Das Verwaltungsgericht lehnte den Eilantrag ab. Zugleich hielt das Gericht eine weitere Öffnung des Kindergartens aus Gründen der Verhältnismäßigkeit bis zum 30. April für vertretbar (AZ.: 1 L 96/19.MZ). Die Beschwerde des Vereins gegen die Entscheidung das Oberverwaltungsgericht nun zurück.

Der Trägerverein hat nach Ansicht der Koblenzer Richter nicht die erforderlichen Maßnahmen ergriffen, "um einem Abgleiten der betreuten Kinder in eine religiös geprägte Parallelgesellschaft vorzubeugen". Mit der Betriebserlaubnis habe der Verein die Auflagen erhalten, regelmäßige Kontakte mit anderen Kindergärten zu ermöglichen und einen wissenschaftlichen Beirat einzurichten. Beide Auflagen habe der Verein nicht erfüllt.

Moschee im selben Gebäude

Die Räume des Kindergartens befinden sich den Angaben nach zudem im gleichen Gebäude wie die Moschee und die anderen Räume des Vereins. Im räumlichen Umfeld des Kindergartens seien Menschen aufgetreten, die islamistische Auffassungen vertreten, die mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung nicht in Einklang stehen, erklärte das Gericht. Zudem habe der Verein eine Schrift mit entsprechenden Inhalten bereitgehalten und seine Räume für die Institution eines bekannten Islamisten zur Verfügung gestellt. Demnach werde der Verein die Gefährdung der gesellschaftlichen Integration der Kinder nicht abwenden können, erklärte das Gericht. Die Richter verwiesen auch darauf, dass es Beratungsgespräche mit dem Antragsteller gegeben und dieser die Auflagen nicht erfüllt hatte.



Deutsches Islamforum will sich vorerst nicht umbenennen

Das Deutsche Islamforum wird zunächst unter dem selben Namen weitergeführt. Das Dialogforum entschied sich am 30. April gegen eine Umbenennung in Deutsches Religionsforum. Auf der nächsten Sitzung im November werde sich das Gremium aber noch einmal mit dem Thema befassen, kündigte der Moderator des Forums, Jürgen Micksch, an. Dann seien wahrscheinlich auch die großen muslimischen Verbände wie der Zentralrat der Muslime, der türkisch-islamische Verband Ditib und der Verband der islamischen Kulturzentren VIKZ vertreten, von denen am 30. April keine Vertreter anwesend waren.

Gegen die Umbenennung hatten insbesondere Abdullah Uwe Wagishauser von der islamischen Reformgemeinschaft Ahmadiyya Muslim Jamaat und Eren Güvercin von der Alhambra-Gesellschaft plädiert. Das Deutsche Islamforum habe sich zumindest nach innen als Marke bewährt, sagte Güvercin. Eine Ausweitung um jüdische oder christliche Themen werde die Vertreter der großen muslimischen Verbände vermutlich von einer Teilnahme abhalten. Micksch dagegen plädierte für eine Umbenennung in Deutsches Religionsforum, "weil eine Fokussierung auf islamische Themen Islamfeindlichkeit erzeugen kann" und es auch spannende Themen im Judentum und im Christentum gebe.

Das 2002 gegründete Deutsche Islamforum arbeitet unter dem Dach des Abrahamischen Forums in Deutschland. Es diskutiert zweimal pro Jahr über Themen, die das Zusammenleben von Muslimen und Nichtmuslimen betreffen. An dem Forum nehmen Vertreter der Islam-Verbände, der Ahmadiyyas, der Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa, der Deutschen Muslim-Liga und der Türkischen Gemeinde in Deutschland sowie der Innenministerien der Länder, des Verfassungsschutzes des Bundes und der Länder, der Gewerkschaften, anderer Religionsgemeinschaften in Deutschland und der Wissenschaft teil.



NRW-Kommunen warnen Kürzungen bei Flüchtlingskosten

Die Kommunen in Nordrhein-Westfalen warnen den Bund vor Kürzungen bei der Finanzierung der Aufnahme und Betreuung von Flüchtlingen. Die geplanten Einschnitte des Bundes zulasten der Kommunen gefährdeten die Integrationschancen Tausender Flüchtlinge, erklärten der Städtetag NRW, der Landkreistag NRW sowie der Städte- und Gemeindebund NRW am 3. Mai in einer gemeinsamen Pressemitteilung. Trotz gesunkener Ankunftszahlen bei den Asylsuchenden und den Fortschritten bei der Arbeitsmarktintegration gebe es immer noch "viele Menschen unterschiedlichster Herkunft mit unzureichenden Sprachkenntnissen und Qualifikationen". Diese benötigten in NRW noch lange finanzielle Unterstützung, unterstrichen die kommunalen Spitzenverbände.

Steigende Belastungen der Haushalte

Laut einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit seien etwa die Kosten der Unterkunft für anerkannte Flüchtlinge nach Sozialgesetzbuch II (SGB II) in Nordrhein-Westfalen 2018 fast sieben Mal höher ausgefallen als zwei Jahre zuvor: Während die Unterkunftskosten 2016 bei rund 73 Millionen Euro lagen, betrugen sie 2018 schon mehr als 500 Millionen Euro. Dieser enorme Anstieg zeige, dass trotz der sinkenden Zahl neu ankommender Flüchtlinge die Belastungen der Kommunen durch die Unterkunftskosten in den kommenden Jahren eher steigen als sinken würden. Integration sei nicht in fünf Jahren abgeschlossen, sondern bleibe eine Langzeitaufgabe.

"Erfreulicherweise finden immer mehr Flüchtlinge Arbeit, verdienen aber noch so wenig, dass sie auf finanzielle Unterstützung vom Staat und von den Kommunen angewiesen sind", erklärten die Hauptgeschäftsführer kommunalen Spitzenverbände. Geringe Sprachkenntnisse sowie fehlende formale Berufsabschlüsse erschwerten die Integration von Schutzsuchenden in eine existenzsichernde Beschäftigung oft.

Die Kommunen forderten den Bund auf, die finanziellen Zusicherungen weiter einzuhalten. Die Kommunen dürften nicht mit den drastisch höheren Belastungen alleine gelassen werden. "Wir brauchen rasch eine Folgeregelung für die Flüchtlingsfinanzierung nach 2019, mit der der Bund dauerhaft seine Verantwortung wahrnimmt", betonten die Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy vom Städtetag, Martin Klein vom Landkreistag und Bernd Jürgen Schneider vom Städte- und Gemeindebund.

Dass der Bund nunmehr die Bereitschaft erkennen lasse, weiterhin die Unterkunftskosten bei den Flüchtlingen zu übernehmen, begrüßten die kommunalen Spitzenverbände. Eine auch künftig zielgenaue Entlastung der Kommunen bei den Unterkunftskosten wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung. Diese Mittel allein würden aber bei weitem nicht reichen, hieß es. Auch für die Integrationsmaßnahmen der Kommunen seien "weiterhin erhebliche Summen auf der bisherigen Basis notwendig".



Todesrate bei Flüchtlingen im Mittelmeer gestiegen

Die Todesrate unter Flüchtlingen, die das Mittelmeer von Libyen aus zu überqueren versuchen, ist nach der Schließung der italienischen Häfen für Schiffe von Hilfsorganisationen und der Gewalteskalation in Libyen deutlich gestiegen. Seit Jahresbeginn kamen nach Angaben eines Sprechers der Internationalen Organisation für Migration (IOM) 257 Menschen auf der zentralen Mittelmeerroute ums Leben. "Heute stirbt mehr als einer von zehn Migranten auf der Überfahrt, früher waren es wesentlich weniger", sagte IOM-Sprecher Flavio Di Giacomo dem epd auf Anfrage.

Die Todesrate sei von 3,5 Prozent im vergangenen Jahr auf zwölf Prozent in den ersten vier Monaten dieses Jahres gestiegen, teilte der IOM-Sprecher auf Twitter mit. Vor zwei Jahren kamen demnach 2,6 Prozent der Bootsflüchtlinge auf der zentralen Mittelmeerroute ums Leben. Die absoluten Zahlen seien gesunken, die Todesrate jedoch gestiegen. Die Mittelmeerüberquerung sei "gefährlicher denn je", betonte der IOM-Sprecher.

Seit Januar erreichten laut IOM 722 Migranten Italien und 308 Malta. Weitere knapp 1.100 versuchten demnach, Europa von Libyen aus zu erreichen, wurden jedoch dorthin zurückgebracht.



Ministerium: 12.700 Rechtsextremisten gewaltorientiert


Rechte demonstrieren in Berlin (Archivbild)
epd-bild/Christian Ditsch
Mehr als jeder zweite Rechtsextremist in Deutschland ist nach Angaben des Bundesinnenministeriums gewaltorientiert.

Im Jahr 2017 handelte sich um 12.700 von insgesamt 24.000 Personen, wie aus der Antwort des Ministeriums auf eine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion hervorgeht, die dem epd vorliegt. Der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Konstantin Kuhle, forderte vor diesem Hintergrund ein "neues Konzept gegen Radikalisierung im Internet".

Das Bundesamt für Verfassungsschutz sichtet nach Angaben des Ministeriums gegenwärtig mehrere hundert Internetpräsenzen beziehungsweise Profile und Kanäle der rechtsextremistischen Szene. Mit der Verbreitung Sozialer Netzwerke und Kommunikationsplattformen im Internet gehe eine "nicht zu unterschätzende Radikalisierungsgefahr" für Einzelpersonen oder kleine Gruppierungen einher, heißt es in der Regierungsantwort. Dies gelte insbesondere dann, wenn einseitig argumentiert werde. "Eine fehlende Gegenrede kann in diesen Fällen zu einer raschen Radikalisierung bis hin zum Entschluss zur Anwendung politischer Gewalt führen", hieß es.

Der Attentäter David S., der im Juli 2016 im Münchner Olympia-Einkaufszentrum neun Menschen erschoss, hatte sich vor der Tat im Internet radikalisiert und auf der Spieleplattform Steam Gleichgesinnte gefunden. Kuhle kritisierte, dass rechtsradikale Inhalte und Amokankündigungen im Internet "über Jahre offen einsehbar bleiben". Der FDP-Politiker forderte: "Die Netzwerke rechtsextremer Kommunikation gehören noch stärker in den Fokus der Behörden". Dazu müssten die Behörden besser ausgestattet werden.



Gericht: Amt darf Auto-Kennzeichen "HH 1933" einziehen

Ein Auto-Kennzeichen mit der Buchstaben- und Zahlenfolge "HH 1933" darf laut einer Gerichtsentscheidung eingezogen werden, da es an die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft erinnert und daher sittenwidrig ist. Wie die 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf in einem am 2. Mai bekanntgegebenen Beschluss entschied, durfte das Straßenverkehrsamt des Kreises Viersen das Wunschkennzeichen "HH 1933" einziehen (AZ.: 6 L 175/19). Eine Klage des Autohalters gegen das Vorgehen der Behörde blieb damit im Eilverfahren ohne Erfolg.

Der Mann hatte das Wunschkennzeichen zunächst vom Straßenverkehrsamt erhalten, aufgrund der Beschwerden eines Bürgers wurde das Kennzeichen jedoch wieder eingezogen. Die 6. Kammer gab dem Vorgehen des Amtes nun im Grunde recht. Der durchschnittliche Bürger assoziiere "HH 1933" mit dem Nationalsozialismus im "Dritten Reich", da 1933 das Jahr der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten und "HH" eine Abkürzung für den Gruß "Heil Hitler" sei.

Die Aufforderung des Straßenverkehrsamts an den Halter, die alten Kennzeichen zu entwerten und neue prägen und anbringen zu lassen, geht nach Ansicht der Richter allerdings zu weit. Ob der Halter den Wagen mit einem neuen Kennzeichen ausstatte, entscheide er allein, erklärte das Verwaltungsgericht. Ohne ein neues Kennzeichen könne das Straßenverkehrsamt den Wagen allerdings stilllegen. Er dürfe dann auf öffentlichen Straßen nicht mehr gefahren werden.

Gegen die Entscheidung des Düsseldorfer Verwaltungsgerichts kann Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster eingelegt werden.



Sprachakademie kritisiert Gesetzes-Namen mit Reklamecharakter

Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung kritisiert positiv wertende Namen aktueller Gesetze wie "Gute-Kita-", "Starke-Familien-" oder "Geordnete-Rückkehr-Gesetz". "Solche Titulierungen verbinden Gesetzgebungsverfahren mit den Strategien der Reklame", sagte ihr Präsident Ernst Osterkamp den Zeitungen des "RedaktionsNetzwerks Deutschland" (6. Mai).

"Sie geben damit einen Vertrauensverlust gegenüber der Politik zu erkennen; schon deshalb sollte man auf sie verzichten", sagte Osterkamp. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, 1949 gegründet, ist eine Vereinigung von Schriftstellern und Gelehrten, die sich der Pflege der deutschen Sprache verpflichtet fühlt.

Eigenwerbung

Der Politikwissenschaftler Everhard Holtmann von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sagte dem RedaktionsNetzwerk hingegen: "Man kann darin den Sinn sehen, die Adressaten von Gesetzen stärker auf diese aufmerksam zu machen." Überdies sei damit "Eigenwerbung der Verantwortlichen verbunden". Gegen diesen "positiven Signalcharakter" sei nichts einzuwenden.

Holtmann schränkte jedoch ein, ob ein inflationärer Gebrauch von Namen wie "Geordnete-Rückkehr-", "Gute-Kita-" und "Starke-Familien-Gesetz" langfristig "zur Übersichtlichkeit beiträgt, das lasse ich mal dahin gestellt". Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) hatte den Trend mit dem "Gute-Kita-" und "Starke-Familien-Gesetz" gesetzt, Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte ihn mit dem "Geordnete-Rückkehr-Gesetz" aufgegriffen.



Atomwaffengegner müssen mit Anzeigen wegen Aktion in Büchel rechnen

Mit Anzeigen wegen Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung müssen Atomwaffengegner rechnen, die am 30. April das Gelände des Bundeswehrfliegerhorstes in Büchel in der Eifel betreten haben. Sie hätten Zäune durchtrennt und seien unter ihnen hindurch auf das Gelände gekommen, sagte ein Polizeisprecher dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Aktivisten vermuten auf dem Luftwaffenstützpunkt die letzten 20 US-Atomwaffen auf deutschem Boden.

In den vergangenen Jahren haben Atomwaffengegner immer wieder das Gelände des Stützpunkts betreten. So kam es auch immer wieder zu Gerichtsprozessen und Verurteilungen.

Die 17 Aktivisten haben nach eigenen Angaben Schilder mit der Aufschrift "Ziviler Sicherheitsbereich! Betreten erwünscht. Kein Atomwaffengebrauch! Die Zivilgesellschaft" angebracht und den Raum zwischen zwei Umzäunungen für ein "atomwaffenfreies Picknick" genutzt. Ziel sei es, den Abzug der Atomwaffen aus Deutschland und ein Verbot von Atomwaffen durchzusetzen.

Die aktuelle Aktion war den Angaben zufolge Teil der jährlichen 20-wöchigen Aktionspräsenz der Kampagne "Büchel ist überall - atomwaffenfrei jetzt" von mehreren Friedensorganisationen. So wird unter anderem für den 7. Juli die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, zu einem kirchlichen Aktionstag mit Gottesdienst für das UN-Atomwaffenverbot erwartet.



Marie wieder vorn, Paul neuer Spitzenreiter

Marie und Paul waren 2018 die beliebtesten Vornamen in Deutschland. Während bei den Mädchen Marie damit den Spitzenplatz der beiden Vorjahre verteidigen konnte, landete der beliebteste Jungenname von 2017, Maximilian, nur noch auf Platz drei. Wie die Gesellschaft für deutsche Sprache am 2. Mai in Wiesbaden mitteilte, stützte sich die Auswertung auf die Daten von bundesweit 700 Standesämtern mit mehr als einer Million Namen. Erfasst wurden dabei nicht nur die Erstnamen, sondern alle Vornamen.

Bei den Mädchennamen lagen Sophie oder Sofie mit knappem Abstand wie schon 2017 auf dem zweiten Platz vor Maria auf Rang drei. Die Plätze vier bis zehn belegten Sophia/Sofia, Emilia, Emma, Hannah/Hanna, Mia, Anna und Johanna. Auch dies entspricht weitgehend der Rangfolge des Vorjahres, lediglich Luise/Louisa fiel von Platz zehn auf elf zurück. Bei den Jungennamen wurde Alexander am zweithäufigsten vergeben. Auf Rang vier bis zehn folgten Elias, Ben, Louis/Luis, Leon, Noah, Henri/Henry und Felix. Henri/Henry ist neu unter den Top Ten, während Jonas herausfiel.

Namen aus der Großelterngeneration

Wie im Vorjahr hat die Sprachgesellschaft abermals regionenspezifische Unterschiede bei der Namensgebung festgestellt. So fanden sich besonders auf den Listen der ost- und norddeutschen Bundesländer viele Namen aus der Großelterngeneration, darunter Mathilda, Frieda, Ida, Greta, Leni und Lina bei den Mädchen, Karl, Oskar, Anton, Jakob und Theo bei den Jungen. Hervorzuheben seien Charlotte und Emil: Beide Namen seien in zahlreichen Bundesländern bereits unter den Top 10 vertreten. Es sei nicht unwahrscheinlich, dass sie im nächsten Jahr den Sprung in die deutsche Gesamtliste schaffen.

Auch Mohammed mit seinen zahlreichen Varianten steht nach Darstellung der Sprachforscher in diesem Jahr in gleich drei Bundesländern in der Gesamtliste unter den Top 10: in Bremen, Berlin und im Saarland. Als Erstname ist er noch beliebter: In Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Nordrheinwestfalen und im Saarland ist er in der Erstnamenliste unter den Top 10 vertreten.

Die Gesellschaft für deutsche Sprache veröffentlicht die Übersicht der beliebtesten Vornamen seit 1977. In diesem Jahr waren mehr als 65.000 verschiedene Namen gemeldet worden.




Umwelt

Naturschutz contra Bergsport


Mountainbiker auf dem Alpe-Adria-Trail bei Arnoldstein in Österreich
epd-bild/Thomas Lohnes
Seit seiner Gründung vor 150 Jahren beschäftigt sich der Deutsche Alpenverein mit Tourismus und Umwelt. Oft streiten sich Naturschützer mit Trend-Bergsportlern. Aktuelles Beispiel: E-Bike-Ladestationen auf Hütten.

Grandiose Ausblicke, nahezu unberührte Natur und ein kühles Getränk auf einer urigen Berghütte: Die Alpen sind Traumziel vieler Urlauber. Fast 99 Millionen Übernachtungen verzeichnete die bayerische Tourismuswirtschaft im Jahr 2018 offiziellen Angaben zufolge, fünf Prozent mehr als im Jahr davor. Mehr als die Hälfte davon entfiel auf die alpennahen Regionen Allgäu/Bayerisch-Schwaben und Allgäu.

Wer jedoch schon einmal an einem Sommertag im Oberallgäu im Stau stand oder auf der Terrasse einer oberbayerischen Berghütte keinen Sitzplatz mehr gefunden hat, wird sich fragen: Wie unberührt kann der Trend zum Bergurlaub den Sehnsuchtsort Alpen überhaupt zurücklassen? Im Zentrum dieser Problematik steht der Deutsche Alpenverein (DAV), der am 9. Mai sein 150-jähriges Bestehen feiert. Der Verein vertritt die Interessen von rund 1,3 Millionen Mitgliedern, die die Alpen für Bergsport aller Art nutzen wollen. Und er ist zugleich seit 2005 anerkannter Naturschutzverband.

Ambivalente Rolle

Der Tourismusforscher und Wirtschaftsgeograf Jürgen Schmude bezeichnet die Rolle des DAV im Spannungsfeld zwischen Naturschutz und Tourismus knapp als "ambivalent". "Der Alpenverein tritt zum Beispiel im Skitourismus selbst als Veranstalter auf und unterstützt die touristische Entwicklung", sagt der Professor der Ludwig-Maximilians-Universität München dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Zugleich hat er aber auch seinen Landschaftsschutzauftrag."

Ob der Naturschutz immer stark genug zum Tragen kommt, ist auch im DAV umstritten. Es gebe im Verband "Tendenzen in Richtung eines Übergewichts des Sports", findet etwa Peter Dill, stellvertretender Vorsitzende der DAV-Sektion München. Deshalb will sich die größte Sektion des DAV laut Dill an die Spitze setzen, wenn es um die Rücksichtnahme auf die Umwelt geht.

Das tut sie mit Signalentscheidungen: Im April verboten die Münchner den Gepäcktransport auf ihre Schutzhütten - auch wenn begründete Ausnahmen weiterhin möglich sind. Und schon im Frühjahr 2018 hatten die Münchner eine Entscheidung zum E-Bike getroffen, einem Thema, an dem sich der Streit um Sport und Naturschutz derzeit exemplarisch zeigt: Die Münchner DAV-Aktiven verbannten Ladestationen für E-Bikes von ihren Hütten.

Zuvor habe man nach einem Ausgleich gesucht zwischen "eher fundamentalistischen" Naturschützern, Vertretern des Bergsteiger-Ethos, aus eigener Kraft ans Ziel zu kommen, und den Interessen älterer Mitglieder, die nur dank E-Bike auf zwei Rädern ins Gebirge gelangen können. Der Verbot der Ladestationen war ein Kompromiss, auf weitere Maßnahmen gegen E-Bikes wurde verzichtet. Im Herbst appellierte auch die DAV-Hauptversammlung an die Sektionen, auf ihren Hütten keine Ladestationen für die Räder anzubieten.

Nachhaltig biken

Benjamin Trotter betreut beim DAV das Projekt "Bergsport Mountainbike - nachhaltig in die Zukunft". "Das ist eine sehr emotional geführte Debatte", sagt er. Die Hauptsorge sei, dass die Zahl der Mountainbiker in den Alpen zunehme - aktuell seien rund 40 Prozent der 1,3 Millionen DAV-Mitglieder auch auf dem Mountainbike aktiv. Hinzu kommt die Befürchtung, dass mehr Menschen in ökologisch sensible Bereiche vordrängen.

Trotters Aufgabe ist es, zwischen Sportlern, Naturschützern, Jägern und Forstbetrieben zu vermitteln. Auf Verbote will der Verband aber nicht setzen. Wichtig sei Information und Bildung. "Wenn da bloß ein Verbotsschild hängt, dann fahren viele Menschen dort erst recht", sagt er. Beachte man wichtige Regeln - etwa den Verzicht auf Fahrten in der Nacht oder auf blockierende Reifen auf Waldwegen - dann sei "natur- und sozialverträgliches" Mountainbiken möglich.

Tourismusexperte Schmude sieht unterdessen die Lage in den Alpen sogar vergleichsweise entspannt. "Overtourism", die Überbelastung von Regionen durch großen Touristenzustrom, gebe es im Gebirge zwar - doch handle es sich um "punktuelle" und "temporäre" Phänomene.

Allerdings sieht der Forscher für die kommenden Jahre "große Aufgaben", die auch den DAV betreffen dürften. Dabei geht es um die Nachhaltigkeit im Tourismus. Und um den Klimawandel: Gerade in den bayerischen Alpen werde der Wintersport auf lange Sicht wohl keine große Zukunft haben - dann müssten neue Tourismus-Konzepte her, sagt Schmude. Neue Hütten an neuen Standorten aber errichten die DAV-Sektionen nicht mehr - aus Rücksicht auf die Natur.

Florian Naumann (epd)


Naturschützer alarmiert über Artensterben


Aktion zu "Artenvielfalt auf der Kippe" (Archivbild)
epd-bild / Meike Böschemeyer
Der übermäßige Einsatz von Dünger und Pestiziden sowie Monokulturen wie Maisanbau seien Hauptverursacher, mahnen die Verbände. Sie prangern den westlichen Lebensstil mit Fernreisen und viel Fleischkonsum an.

Vor dem Hintergrund des fortschreitenden Artensterbens dringen Umwelt- und Naturschutzorganisationen auf die schnelle Umsetzung eines Weltnaturschutzabkommens nach dem Vorbild der Pariser Klimaziele. Entscheidender Treiber des dramatischen weltweiten Rückgangs der biologischen Vielfalt seien Landwirtschaft und Landnutzung, mahnten die Verbände am 3. Mai in Berlin.

Der übermäßige Einsatz von Dünger und Pestiziden sowie Monokulturen wie Maisanbau seien Hauptverursacher des Artensterbens, erklärten Vertreter von Naturschutzbund, Greenpeace, WWF, Campaign for Nature und Zoologischer Gesellschaft Frankfurt (ZGF). Hinzu kämen massive Emissionen durch Massentierhaltung sowie die Abholzung von Wäldern für den Soja- und Palmölanbau.

Schuld sei aber auch der Lebensstil der Menschen im globalen Norden mit Fernreisen oder Ernährungsgewohnheiten wie dem übermäßigen Fleischkonsum. Derzeit habe die Menschheit einen Ressourcenverbrauch von 1,7 Planeten, sagte WWF-Geschäftsleiter Jörg-Andreas Krüger. "Wenn alle wie die Deutschen leben würden, wären es ungefähr fünf." Der Leiter globale und EU-Naturschutzpolitik beim Naturschutzbund, Konstantin Kreiser, sagte, deshalb brauche es weltweit gültige Regeln und Anreize, die für alle gelten.

Erdüberlastungstag

Der 3. Mai 2019 ist laut Germanwatch der deutsche Erdüberlastungstag: Wäre der Ressourcenverbrauch der Weltbevölkerung so groß wie in Deutschland, dann hätte diese schon bis zu diesem Zeitpunkt die regenerierbaren Ressourcen verbraucht, die ihr für das gesamte Jahr zur Verfügung stehen.

Von der EU forderten die Verbände eine Umkehr der Agrarpolitik weg von Flächenprämien hin zur Förderung von naturverträglicher Landwirtschaft. Nötig seien auch die Einführung von Mindeststandards für Importe von Palmöl, Soja und mineralischen Rohstoffen sowie Regeln für den Finanzmarkt, um umweltschädliche Investitionen zu unterbinden. Zudem müsse der globale Norden die Länder des globalen Südens bei der Wiederbewaldung von Flächen finanziell unterstützen.

Am 6. Mai wollte der Weltbiodiversitätsrat IPBES in Paris seinen Bericht zum globalen Zustand der biologischen Vielfalt veröffentlichen. Bereits bekanntgewordene Teile des Berichtes zeichneten eine düsteres Bild für die Zukunft der Erde, sagte Georg Schwede von Campaign for Nature. Es bestehe die Gefahr des weiteren Verlustes von einer Million Arten weltweit.



Klimabedingte Katastrophen ist Schuldenfalle für arme Länder

Die Hilfsorganisation Care sieht die Verursacher des Klimawandels in der Pflicht, Folgeschäden zu lindern und Prävention zu sichern. Die Industrienationen müssten ihren finanziellen Verpflichtungen im Rahmen des globalen Klimavertrags nachkommen und deutlich mehr in Klimaanpassung und Prävention in ärmeren Weltregionen investieren, forderte die Organisation am 2. Mai in Bonn. Für arme Länder seien Naturkatastrophen wie Zyklone Schuldenfallen, die sie in ihrer Entwicklung immer wieder zurückwerfen. "Die Ärmsten der Armen leiden direkt und unmittelbar unter den massiven klimatischen Veränderungen", erklärte der Care-Klimaexperte Sven Harmeling. "Sie selbst tragen dabei am wenigsten zum CO2-Ausstoß bei."

Zudem sollten Hilfen für Regionen, die von klimabedingten Katastrophen heimgesucht werden, nicht in Form von Darlehen ausgegeben werden. Als Beispiel nennt Care Mosambik, das nach dem Zyklon "Idai" vom Internationalen Währungsfonds (IWF) einen Kredit von 105 Millionen Euro für den Wiederaufbau erhielt, der aber zurückgezahlt werden müsse. "Dieses arme Land zahlt also für ein Problem, das es selbst nicht verursacht hat", sagte Harmeling und forderte einen "fairen Ausgleich", um die Folgen des Klimawandels zu bekämpfen, ohne dabei eine Schuldenfalle für ärmere Länder zu produzieren.



Abschaltplan für Kohlekraftwerke vorgelegt

Die Umweltorganisationen Greenpeace und Client Earth fordern zur Umsetzung des Kohleausstiegs die Abschaltung von sieben Braunkohle-Kraftwerksblöcken in Nordrhein-Westfalen bis Ende 2022. Das sieht ein Gesetzentwurf zum Kohleausstieg mit einem konkreten Abschaltplan vor, den die beiden Organisationen am 2. Mai der Bundesregierung übergeben haben. Mit der Abschaltung von 3,1 Gigawatt Braunkohlekapazitäten bis Ende 2022 in Nordrhein-Westfalen würden die Empfehlungen der Kohlekommission umgesetzt und der Hambacher Wald sowie weitere von Abbaggerung betroffene Dörfer gerettet, sagte Greenpeace-Klimaexperte Karsten Smid in Berlin.

In einer zweiten Phase sollen bis Ende 2026 neun weitere Braunkohle-Kraftwerksblöcke, davon vier in der Lausitz (Brandenburg), und 18 Steinkohle-Kraftwerksblöcke vom Netz genommen werden. Betreiber von Kraftwerken und Tagebbauen sollen dabei nur in Ausnahmefällen entschädigt werden, etwa wenn die Anlagen jünger als 25 Jahre sind oder wegen des Erhalts der Dörfer nur kurze Übergangsfristen gewährt werden. Phase drei sieht die Abschaltung der verbliebenen 15 Braunkohle- und 16 Steinkohle-Kraftwerksblöcke bis 2030 vor.

Der vorgelegte Gesetzesentwurf orientiere sich an den Empfehlungen der Kohlekommission und soll den Druck auf die Bundesregierung zum Handeln erhöhen, sagte Greenpeace-Experte Smid. Bislang verliefen die Verhandlungen zum Kohleausstieg "schleppend und zäh". Was deshalb gebraucht werde, sei ein entsprechendes Gesetz als ordnungspolitischer Rahmen mit einer konkreten Abschaltliste.



Umfrage: Mehrheit gibt kein Geld für Klimaschutz aus

Trotz Klimadebatte leistet die Mehrheit der Deutschen zurzeit keinen finanziellen Beitrag für den Klimaschutz. Laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov geben 60 Prozent dafür momentan kein Geld aus, erklärte der Energiedienstleister ista am 2. Mai in Essen. Ein knappes Viertel der Befragten gab an, bewusst klimaschonende Produkte zu kaufen, auch wenn diese teurer seien als herkömmliche. Der Umfrage zufolge beziehen 19 Prozent Ökostrom. Je jünger die Befragten, desto höher sei die Bereitschaft, einen finanziellen Beitrag für den Klimaschutz zu leisten, erklärte ista.

Laut Umfrage kommt außerdem für mehr Bundesbürger eine freiwillige Spende infrage als eine CO2-Steuer. Bei der Frage nach einem möglichen eigenen finanziellen Beitrag sprachen sich 18 Prozent für eine Klimaschutzsteuer aus, zum Beispiel in Form der zurzeit diskutierten CO2-Abgabe auf fossile Energieträger. Mehr als ein Viertel der Befragten würde dagegen eine freiwillige Spende bevorzugen, zum Beispiel für eine Klimaschutz-Organisation (14 Prozent). Rund 12 Prozent könnten sich eine Spende für ein konkretes Crowdfunding-Projekt vorstellen, zum Beispiel ein Schulprojekt für den Klimaschutz, hieß es.

Für die Umfrage hat das Meinungsforschungsinstitut YouGov im Auftrag des Essener Energiedienstleisters ista bundesweit mehr als 2.000 Menschen zwischen dem 24. und 26. April befragt.



Saar-Landtag erhält Blühwiese und vier Bienenvölker

Der Landtag des Saarlandes hat am 2. Mai eine Blühwiese und vier Bienenvölker vom Landesverband der saarländischen Imker erhalten. Jedes Volk sitze in seiner eigenen Bienenwohnung, der sogenannten Bienenbeute, teilte der Landtag in Saarbrücken mit. Die beiden größeren Völker bestehe den Angaben zufolge aus rund 50.000, die beiden kleineren aus 30.000 Bienen. In diesem Jahr sei schon mit der ersten Honigernte zu rechnen. Bei vier Völkern könne die Menge je nach Honigjahr zwischen 60 und 120 Kilogramm liegen, hieß es.

Es geht laut Landtagspräsident Stephan Toscani (CDU) darum, die Lebensraumbedingungen von Bienen zu verbessern. "Obst- und Gemüseerträge wären bis zu 90 Prozent geringer, wenn die Bestäubung durch Insekten wegfiele", sagte er. Gemeinsamt mit Umweltminister Reinhold Jost (SPD) streute er heimisches Saatgut für die knapp 200 Quadratmeter große Blühwiese. Das Vorkommen und Wohlergehen von Bienen und Bestäuberinsekten sei ein guter Indikator für eine intakte Umwelt, erklärten beide.




Soziales

Dem Leben Sinn und Tiefe geben


Diakonisse Mechthild Redeker gehört seit zehn Jahren der Sarepta-Schwesternschaft an.
epd-West/ Bethel
Tracht und Zölibat sind in der Sarepta-Schwesternschaft schon lange keine Pflicht mehr, geblieben ist die Verbundenheit im Glauben und diakonischen Handeln. Im Mai feiern die Schwestern ihr 150-jähriges Bestehen.

Der Wunsch nach gelebter Spiritualität in Frauengemeinschaft hat Stefanie Pfeil zur Sarepta-Schwesternschaft geführt. "Mir gefällt, dass sich Frauen von außen der Gemeinschaft anschließen können." Frauen könnten mit unterschiedlichen Berufen und Lebensformen der Schwesternschaft angehören, berichtet die Familientherapeutin und Mutter. Nach anderthalb Jahren als Anwärterin wird die 53-Jährige Anfang Mai in die Schwesternschaft in Bielefeld-Bethel aufgenommen, zusammen mit sechs weiteren Frauen.

So unterschiedlich die Lebenswege sind: Diakonisches Engagement und der christliche Glaube verbinden die Schwestern. Die Frauen, die zum Großteil ihren eigenen Wohnsitz behalten, sind im Haupt- oder Ehrenamt unter anderem in Pflegeheimen, Hospizen und der Mutter-Kind-Arbeit tätig. 110 Schwestern sind in den vergangenen zehn Jahren hinzugekommen. 378 Frauen gehören insgesamt zur Sarepta-Schwesternschaft, die vor 150 Jahren gegründet wurde. Das Jubiläum wurde mit einem Fest am Wochenende gefeiert.

Gemeinschaft stärkt

Die Gemeinschaft mit gleichgesinnten Frauen, die Sehnsucht, das eigene Leben zu vertiefen und ihm Sinn zu geben - all das seien Gründe, warum Frauen heute der Schwesternschaft beitreten, erzählt die leitende Schwester Anke Frickmann. "Hier sind Frauen, die denken und fühlen wie ich. Und das macht mich stark", bestätigt Diakonisse Mechthild Redeker.

Redeker, Witwe und zweifache Mutter, gehört seit zehn Jahren der Schwesternschaft an. Kurz nach dem Tod ihres Mannes nahm sie Kontakt auf, absolvierte den Basiskurs Diakonie, wurde 2009 als diakonische Schwester aufgenommen und nach einer Weiterbildung zur Diakonisse 2016 eingesegnet. "Der Eintritt in die Schwesternschaft hat mein Leben positiv verändert", sagt die 55-Jährige, die als Gemeindesekretärin in der evangelischen Kirchengemeinde in Bielefeld-Jöllenbeck arbeitet und sich ehrenamtlich in der Seelsorge engagiert.

Wandel

1996 wurde in einer neuen Lebensordnung die Genossenschaft, Ehelosigkeit und Tracht für die Diakonissen aufgehoben. 2004 wurde die Diakonissenschaft mit den Ravensberger Schwestern als Sarepta-Schwesternschaft vereinigt. "Verheiratet, ledig, in Partnerschaft lebend, mit oder ohne Kinder - es ist unerheblich, in welcher Lebensform die Diakonissen neuer Form leben", erzählt Anke Frickmann.

Neben 220 diakonischen Schwestern und 52 Diakonissen neuer Form gibt es in der Schwesternschaft noch rund 100 Diakonissen alter Ordnung. Sie verpflichteten sich zu lebenslangem Dienst und Ehelosigkeit, bekamen ein Taschengeld, Kost und Logis und waren im Alter versorgt. Ihren Ruhestand verbringen sie im Haus Abendfrieden in Bielefeld-Bethel. Respekt und Anerkennung für die Lebensleistung dieser Frauen sind in der Schwesternschaft groß.

Bis heute seien die Stiftung und die Diakonissen ein wichtiger Bestandteil Bethels, erklärten auch die von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel. Mit ihrer "tiefen Bereitschaft zum Dienst" hätten sie wesentlichen Anteil daran, dass Bethel in den ersten Jahren so stark gewachsen sei, sagte Pastorin Johanna Will-Armstrong aus dem Bethel-Vorstand.

1869 wurde das erste Diakonissenhaus von Westfalen in Bielefeld auf Betreiben Bielefelder Bürger gegründet. Nur wenige Jahre später holte Pastor Friedrich von Bodelschwingh die Diakonissen nach Bethel, um qualifizierte Fachkräfte für die Krankenpflege zu haben. 1874 zogen die Frauen in das neu gebaute Mutterhaus, das seit 1876 den Namen "Sarepta" (Schmelzhütte) trägt.

"In schnelllebigen Zeit ein Ort, um zur Ruhe zu kommen"

Die Arbeit als Diakonisse war im 19. Jahrhundert ein alternatives Lebensmodell, das unverheirateten Frauen die Möglichkeit bot, einen Beruf zu ergreifen. Um 1900 lebten etwa 1.000 Diakonissen in Sarepta, 1930 war die Anstalt mit rund 2.500 Diakonissen und diakonische Schwestern das größte Mutterhaus des Protestantismus, wie die von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel erklären. Seit den 1950er Jahren ging der Nachwuchs allerdings deutlich zurück.

Um Frauen dennoch die Möglichkeit zu geben, sich diakonisch zu engagieren, ohne sich für ein ganzes Leben zu binden, wurde 1953 die Ravensberger Schwesternschaft in der Stiftung Sarepta gegründet. Seit 2004 ist sie mit der Diakonissenschaft als Sarepta-Schwesternschaft vereinigt. Zentraler Ort für die Schwesternschaft ist heute das "Haus der Stille" auf dem Zionsberg in Bielefeld-Bethel. Hier finden tägliche Andachten und gemeinsame Veranstaltungen statt, das Haus ist aber auch offen für Gäste, die spirituelle Angebote nutzen wollen.

"In einer schnelllebigen Zeit bieten wir einen Ort, um zur Ruhe zu kommen", sagt Diakonisse Anke Frickmann. Die Sarepta-Schwesternschaft ist auch ein Kraftort: Eine Gemeinschaft, die Frauen im Arbeits- und Glaubensleben stärkt, theologisch-diakonische Bildung anbietet und für ganz unterschiedliche Frauen ein geistliches Zuhause darstellt.

Silke Tornede (epd)


Mit sozialem Wohnungsbau gegen die Not


Der soziale Wohnungsbau begann in der Weimarer Republik: Die Reichsforschungssiedlung Haselhorst in Berlin.
epd-bild/Rolf Zöllner
Die Wohnungsmisere in den Städten kam nicht über Nacht: Seit fast 40 Jahren investiert der Staat zunehmend weniger in den sozialen Wohnungsbau. Die Folge: Normal- und Geringverdiener finden nur schwer geeignete Wohnungen.

München, Anfang der 60er Jahre: In der Stadt sind die Spuren der Fliegerbomben noch deutlich zu sehen, brachliegende Flächen, einstöckige Notbebauungen und teilweise auch noch Ruinengelände zeugen von der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg. Es herrscht Wohnungsnot: Die Altstadt war zu 90 Prozent zerstört. Die ausgebombten Münchner sind bei Verwandten untergeschlüpft, aber die Stadt muss auch den Zuzug von vielen Flüchtlingen und Vertriebenen aus dem Osten verkraften.

Im Arbeiterviertel Giesing in der Regerstraße wohnt die Familie K. mit ihren vier Kindern in zwei Zimmern - der Wohnküche und dem Schlafzimmer. Die Wohnung ist aufgeteilt, in den anderen beiden Räumen lebt eine Kriegswitwe. Es gibt kein Bad und geheizt wird mit Kohleöfen.

München, Anfang der 60er Jahre: Am Hasenbergl, weit draußen vor den Toren der Stadt, wächst auf grüner Wiese ein neues Stadtviertel heran. Hier ziehen die Bauarbeiter Wohnblock um Wohnblock in die Höhe. Mit Mitteln des sozialen Wohnungsbaus entstehen in der Bundesrepublik in allen Ballungsräumen Neubauviertel, um der Wohnungsnot in den Innenstädten Paroli zu bieten.

Beginn in Weimarer Republik

Auch Familie K. verlässt 1964 die Altbauwohnung und bezieht einen Neubau Am Hasenbergl: Mit Bad, Warmwasser und Balkon. Im Viertel fehlt es allerdings an Infrastruktur: an Gaststätten, Kinos, Schwimmbädern oder weiterführenden Schulen. Konzipiert als reine Schlafstädte werden die Neubausiedlungen später als monoton kritisiert, und die nachwachsende Generation gründet in den leergewordenen Altbauwohnungen der Innenstadt Wohngemeinschaften.

Der soziale Wohnungsbau geht auf die Weimarer Republik zurück, in der die Wohnungsversorgung der Bevölkerung als eine staatliche Aufgabe angesehen wurde. In der Bundesrepublik der 50er Jahre wurde der soziale Wohnungsbau neben der Eigenheimförderung und dem Wohngeld zur dritten Säule der Wohnungspolitik.

Grundidee des marktfernen Wohnungsbaus war es, durch staatliche Subventionen bezahlbare und sichere Wohnungen auch für breite Schichten der Bevölkerung zu schaffen, die sich aufgrund ihres geringen Einkommens keine angemessene Wohnung im privatwirtschaftlichen Sektor leisten konnten. Die Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus sollten in ihrem Preis und ihrer Belegung für eine bestimmte Zeit gebunden werden, dafür bekamen die Baugesellschaften finanzielle Förderung durch den Staat.

In der Folge wuchsen rund um die großen Städte die Neubausiedlungen der Sozialwohnungen in die Höhe. Von 1949 bis 1968 wurden die meisten Sozialwohnungen gebaut: Rund 2,3 Millionen. 1968 war fast jede dritte Mietwohnung in der Bundesrepublik eine Sozialwohnung. In den Folgejahren verringerte sich der Zuwachs. Wurden von 1969 bis 1978 noch rund 732.000 Sozialwohnungen gebaut, waren es von 1979 bis 1987 gerade noch 268.000. Mitte der 80er Jahre verkündete die Bundesregierung das Ende der staatlichen Förderung des Mietwohnungsbaus. Als Gründe wurden Leerstände und Prognosen über den Rückgang der Bevölkerung angeführt.

Privilegierung abgeschafft

1988 schaffte der Bundestag die steuerliche Privilegierung gemeinnütziger Wohnungsbaugesellschaften endgültig ab. Seitdem verringerte sich die Zahl der Sozialwohnungen stetig. Zählte man 1990 nach Beitritt der neuen Bundesländer bundesweit noch 2,87 Millionen, waren es 2016 nur noch 1,24 Millionen.

Seit den 90er Jahren machte sich auch die Befristung der Mietpreisbindung bemerkbar, die nach spätestens 30 Jahren auslief. Danach konnte der Eigentümer die Wohnungen zu marktüblichen Preisen vermieten oder verkaufen. So sank in Berlin der Zahl der Sozialwohnungen von 339.000 in 1989 auf 117.000 im Jahr 2016.

In Städten mit chronischer Wohnungsnot wie in München macht sich dieser Rückgang besonders bemerkbar. So konstatierte bereits 2013 der Bericht der städtischen Planungskommission: "Ein wesentliches Kennzeichen der Entwicklung ist der Rückgang der preisgünstigen Wohnungen." Heute verwaltet das Münchner Wohnungsamt 85.000 Wohnungen in seinem Bestand, darunter 43.000 Sozialwohnungen. Davon werden jedes Jahr 3.200 neu vergeben. 2018 standen diesen 3.200 Wohnungen 30.000 Antragsteller gegenüber.

Rudolf Stumberger (epd)


Spahn will Masern-Impfpflicht mit Geldbußen durchsetzen


Jens Spahn
epd-bild/Rolf Zöllner
Bußgelder bis 2.500 Euro, Ausschluss vom Kita-Besuch: Diese Strafen könnten künftig drohen, wenn Kinder nicht gegen Masern geimpft sind. Damit will Gesundheitsminister Spahn die Impfraten auf 95 Prozent steigern. Ärzte und SPD loben den Vorstoß.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will eine Masern-Impfpflicht für Kita- und Schulkinder mit der Androhung von Geldstrafen bis 2.500 Euro durchsetzen. Ein jetzt vorgelegter Gesetzentwurf des Ministers sieht auch vor, Kinder ohne Impfschutz vom Kita-Besuch auszuschließen, wie die "Bild am Sonntag" berichtete. Ärzte und der Koalitionspartner SPD reagierten mit Zustimmung auf das Vorhaben. Die EU äußerte sich besorgt über zu niedrige Masern-Impfraten in den Mitgliedsstaaten.

Spahn sagte der Zeitung: "Wir wollen alle Kinder davor schützen, sich mit Masern zu infizieren." Deswegen sollten alle, die eine Kita oder Schule besuchen, gegen Masern geimpft sein. Wer dort neu aufgenommen werde, müsse das nachweisen. Bei Kindern, die bereits in eine Kita oder Schule gehen, müssten Eltern den Nachweis per Impfpass oder -bescheinigung bis Ende Juli 2020 nachreichen. Wer aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden könne, müsse auch das mit einer ärztlichen Bescheinigung nachweisen. Auch Erzieher und Lehrer müssten sich impfen lassen.

Kinder ohne Masern-Impfschutz sollen laut Entwurf künftig keine Kita besuchen dürfen. Bei Schulen sei dies nicht möglich, da dort die Schulpflicht gelte, erklärte der Minister. Hier drohten aber Bußgelder bis 2.500 Euro, die durch die Gesundheitsämter veranlasst würden.

"Schutzpflicht"

Obwohl laut jüngsten Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI) 93 Prozent der Kinder in Deutschland gegen Masern durchgeimpft sind, bezeichnete Spahn eine Impfpflicht als unerlässlich. Um die Krankheit auszurotten, sei eine Impfrate von mindestens 95 Prozent notwendig. Diese Quote werde trotz aller Kampagnen und Appelle nicht erreicht. Das RKI registrierte laut Gesundheitsministerium im vergangenen Jahr 543 Masernerkrankungen, in diesem Jahr waren es bislang bereits mehr als 300.

Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles signalisierte Unterstützung für den Gesetzentwurf. Es gehe auch um eine "Schutzpflicht", sagte sie der "Süddeutschen Zeitung" (6. Mai): "Die individuelle Freiheit hat ihre Grenzen dort, wo sie die Gesundheit vieler anderer gefährdet." Daher finde sie es wichtig, bei sehr ansteckenden Krankheiten wie Masern eine Impfpflicht einzuführen. Diese etwa auch mit Bußgeldern durchzusetzen, werde von der SPD mitgetragen. Auch der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach bezeichnete in der "Augsburger Allgemeinen" Spahns Entwurf als "unbedingt richtig".

Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, begrüßte Spahns Plan als "wichtigen Schritt zur richtigen Zeit". Bei hohen Durchimpfungsraten sei es nämlich möglich, einzelne Krankheitserreger regional und sogar weltweit zu eliminieren, sagte er dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland".

Auch der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) lobte den Vorstoß des Gesundheitsministers. BVKJ-Bundessprecher Hermann Josef Kahl forderte zudem die Einführung eines nationalen Impfregisters. "Dann bekämen die Menschen Erinnerungen an aufzufrischende Impfungen", sagte Kahl der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post".

"Eingriff in Selbstbestimmungsrecht"

Bedenken äußerte hingegen die niedersächsische Gesundheitsministerin Carola Reimann (SPD). "Eine Impfpflicht greift stark in das verfassungsrechtlich geschützte persönliche Selbstbestimmungsrecht auf körperliche Unversehrtheit ein und bedarf einer besonderen Rechtfertigung", sagte sie dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland". Sie löse aber nicht das zentrale Problem, "dass insbesondere für Jugendliche und Erwachsene eine Impflücke besteht".

Spahns Entwurf wird dem Bericht zufolge derzeit in der Regierung abgestimmt. Der Gesundheitsminister sagte, er gehe davon aus, dass das Gesetz noch 2019 verabschiedet werde.

Zu niedrige Impfquoten sind offenbar auch europaweit ein Problem. Laut EU-Kommission erreichten im vergangenen Jahr nur noch die vier Mitgliedsländer Schweden, Ungarn, Portugal und die Slowakei die notwendige Impfrate von 95 Prozent. Das sei ein neuer Tiefstand, erklärte der Vizepräsident der Kommission, Jyrki Katainen, in einem Schreiben an das EU-Parlament, über das die Zeitungen der Essener Funke Mediengruppe (6. Mai) berichteten. 2007 hatten nach Daten der zuständigen EU-Agentur für Prävention und Kontrolle von Krankheiten noch 14 EU-Staaten das 95-Prozent-Ziel erfüllt.

Masern sind eine durch Viren ausgelöste hochansteckende Infektionskrankheit. In einem von 1.000 Fällen kommt es zu einer Gehirnentzündung, die Krankheit kann tödlich verlaufen.



NRW-Stadtbewohner erreichen schnell ein Krankenhaus

In Nordrhein-Westfalen können Bewohner von Städten schnell ein Krankenhaus erreichen. Nahezu drei Viertel (72 Prozent) der Bevölkerung in den städtischen Regionen von NRW erreichen innerhalb von zehn Minuten ein Krankenhaus mit einer Basisversorgung, wie das statistische Landesamt in Düsseldorf am 29. April mitteilte. 98 Prozent der städtischen Einwohner schaffen es innerhalb von 20 Minuten in ein Krankenhaus. In Regionen mit Verstädterungsansätzen schaffen es immerhin 56 Prozent in weniger als zehn Minuten beziehungsweise 95 Prozent der Einwohner in weniger als 20 Minuten zum nächstgelegenen Krankenhaus.

Solche Erreichbarkeiten ergeben sich aus dem digitalen Krankenhaus-Atlas der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder, der von den Spezialisten des Landesbetriebs Information und Technik Nordrhein-Westfalen entwickelt wurde. Das interaktive Kartenangebot zeigt erstmals für jeden Standort in Deutschland die Erreichbarkeit des nächstgelegenen Krankenhauses. Nutzer können sich Krankenhäuser mit Basisversorgung und allgemeinen Fachabteilungen sowie Kliniken mit speziellen medizinischen Leistungen anzeigen lassen, beispielsweise Angebote für Kinder und ältere Menschen, Einrichtungen der Frauenheilkunde oder Geburtshilfe sowie psychiatrische Fachabteilungen.

Die Erreichbarkeiten der Krankenhäuser werden in Minuten angegeben und beziehen sich auf die Fahrtzeit in einem Auto bei ungestörter Verkehrslage. Die aktuelle Verkehrslage oder Einschränkungen durch Staus, Baustellen oder Straßensperrungen werden nicht berücksichtigt.



Viele beschäftigen Putzhilfen trotz eigener Bedenken schwarz


Haushaltshilfe beim Putzen
epd-bild / Danilo Ramos

Die Mehrheit der Deutschen meldet ihre Haushaltshilfen nicht offiziell an, trotz eines schlechten Gewissens, sie schwarz arbeiten zu lassen. 70 Prozent der Deutschen haben einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Minijob-Zentrale zufolge Skrupel, die Unterstützung bei der Hausarbeit schwarz zu beschäftigen. Die meisten von ihnen (88 Prozent) befürchten, dass ihren Hilfskräften etwas zustößt und sie die Behandlungskosten bezahlen müssen, wie die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See, zu der auch die Minijob-Zentrale gehört, am 29. April in Bochum mitteilte.

Auch die Sorge, das Finanzamt könne von der Beschäftigung erfahren und eine Nachzahlung verlangen, beschäftigt viele (64 Prozent). Keine Bedenken haben 21 Prozent. Von rund drei Millionen Haushaltshilfen in Deutschland sind den Angaben zufolge nur rund 307.000 bei der Minijob-Zentrale gemeldet, weitere 300.000 Beschäftigte haben eine Festanstellung. Etwa 80 Prozent der Hilfen arbeiten schwarz, wie die Zeitungen der Essener Funke Mediengruppe zuerst berichtet hatten.

Bürokratischer Aufwand

Die Mehrheit der Befragten (73 Prozent) sprach sich aus versicherungstechnischen Gründen für eine reguläre Anmeldung aus. 95 Prozent gaben aber an, dass ihnen der bürokratische Aufwand zu groß sei. 71 Prozent bezeichneten die dafür fälligen Abgaben als zu hoch. Für die repräsentative Forsa-Umfrage wurden 1.000 Menschen befragt.

Heinz-Günter Held, Geschäftsführer der Deutschen Rentenversicherung, warnte davor, die Haushaltshilfen nicht regulär anzumelden. Bei Arbeitsunfällen hafte der Arbeitgeber allein für die Haushaltshilfe, sagte er. Zwar komme bei einem Arbeitsunfall zunächst die Unfallversicherung für die Kosten auf, diese könne das Geld aber bei unangemeldeten Beschäftigungsverhältnissen vom Arbeitgeber zurückfordern. "Viele Menschen wissen nicht, wie einfach die Anmeldung ist, und wie gering die Abgaben tatsächlich sind und nehmen wohl deshalb gewisse Sicherheitsrisiken in Kauf", betonte Held.



Zahl der Pflegekinder nimmt weiter zu

Die Zahl der Kinder und Jugendlichen in Pflegefamilien nimmt weiter zu. Was das zu bedeuten hat, darüber waren sich Opposition und Regierung am 30. April in Berlin uneins. Nach Angaben des Bundesfamilienministeriums lebten 2017 mehr als 81.000 Kinder und Jugendliche in einer Pflegefamilie. 2008 waren es noch 60.000 Kinder und Jugendliche. Das geht aus einer Antwort des Ministeriums auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt und über die zuerst "Die Welt" (30. April) berichtet hatte.

Der kinder- und jugendpolitische Sprecher der Linksfraktion, Norbert Müller, bezeichnete die steigende Zahl der staatlichen Inobhutnahmen als Armutsphänomen. Denn den Angaben zufolge kommen rund drei Viertel der Pflegekinder aus Familien, die Hartz-IV-Leistungen oder Sozialhilfe beziehen. Mehr als die Hälfte der Kinder und Jugendlichen in Pflegefamilien kommt aus Alleinerziehenden-Haushalten (55 Prozent). Alleinerziehende haben ein doppelt so hohes Armutsrisiko wie der Bevölkerungsdurchschnitt.

"Strukturelle Kindeswohlgefährdung"

Müller erklärte, nicht die Eltern der Kinder, sondern "eine Sozialpolitik, die Arme systematisch ausgrenzt und benachteiligt", sei verantwortlich für die steigende Zahl an Pflegekindern: "Kinderarmut bedeutet strukturelle Kindeswohlgefährdung", bilanzierte der Linken-Politiker.

Im Durchschnitt bleiben die Kinder zweieinhalb Jahre in den Pflegefamilien, drei Monate länger als noch 2008. Knapp 100.000 weitere Minderjährige lebten 2017 in Einrichtungen der Heimerziehung. Ihre Aufenthaltszeit im Heim hat sich mit durchschnittlich 16 Monaten seit zehn Jahren nicht verändert. Da die Kosten der Heimerziehung um ein Vielfaches höher sind als die Unterbringung gefährdeter Kinder in Pflegefamilien, vermuten die Linken, dass die Zahl der Pflegekinder auch aus Kostengründen zunimmt.

Höhere Sensibilität

Zu Beginn dieses Jahres waren schon einmal Zahlen bekanntgeworden, wonach die Zahl der Inobhutnahmen von Kindern kontinuierlich steigt. Den Höhepunkt bildeten die Jahre 2015/2016, weil unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Einrichtungen der Jugendhilfe betreut werden.

Der stellvertretende Sprecher von Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD), Andreas Audretsch, bestätigte die steigende Zahl von Pflegekindern und wertete sie als Indiz dafür, "dass die Jugendämter gute Arbeit leisten." Das Familienministerium halte es "für eine gute Entwicklung", sagte Audretsch, dass es in der Gesellschaft eine höhere Sensibilität für das Kindeswohl gebe. Als Beispiel nannte er die gewachsene Aufmerksamkeit für Missbrauchsfälle. Der Sprecher bestärkte die Bürger darin, sich ans Jugendamt zu wenden, wenn sie das Wohl eines Kindes in Gefahr sehen.

Die Bundesregierung tue außerdem mehr für Kinder aus einkommensarmen Familien, sagte der Sprecher und verwies auf das sogenannte "Starke-Familien-Gesetz". Es sieht Entlastungen etwa bei den Kita-Gebühren und höhere Geldleistungen für Kinder aus einkommensarmen Familien vor.



Weitere Missbrauchsanklage gegen Ex-Kindergartenleiter

Die Staatsanwaltschaft Heilbronn erhebt eine neue Anklage gegen einen bereits wegen Missbrauchs verurteilten ehemaligen Leiter eines evangelischen Kindergartens in Heilbronn. Aufgrund neuerlicher Ermittlungen werde ihm zur Last gelegt, in den Jahren 2010 bis 2014 in mindestens elf Fällen an zwei weiteren Jungen sexuelle Handlungen vorgenommen zu haben, teilte die Staatsanwaltschaft am 2. Mai mit. Der Mann sei geständig. Ihm drohe nun die Verurteilung zu einer langjährigen Gesamtfreiheitsstrafe.

Der 32-Jährige wurde bereits im vergangenen Herbst vom Landgericht Heilbronn unter anderem wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Er ist in Haft. Noch während des damaligen Verfahrens hätten sich Anhaltspunkte ergeben, dass der Beschuldigte weitere Kinder missbraucht haben könnte, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Die eingeleiteten Ermittlungsmaßnahmen hätten diesen Tatverdacht bestätigt.

Verdeckte Ermittlungen

Der Mann war im ersten Verfahren verurteilt worden für 19 Fälle - in drei Fällen in Tateinheit mit Vergewaltigung - von schwerem sexuellem Missbrauch an einem Jungen aus seinem Bekanntenkreis und wegen des Besitzes und der Verbreitung von kinderpornografischem Material. Der Angeklagte hatte im Verlauf des Prozesses ein Geständnis dazu abgelegt.

Ins Visier der Behörden war der Erzieher Anfang 2016 geraten, als er im Internet der verdeckt ermittelnden Kriminalpolizei in Hannover zwölf Kinderporno-Bilder anbot. Danach dauerte es fast zwei Jahre, bis er angeklagt wurde und seinen Job verlor.



Kinderschutzbund fordert mehr Aufmerksamkeit

Der Kinderschutzbund in Nordrhein-Westfalen appelliert an Behörden, Hinweisen auf Gewalterfahrungen von Kindern ausreichend nachzugehen. Jugendämter, Polizei und Staatsanwaltschaft seien hier besonders gefordert, erklärte Landesgeschäftsführerin Krista Körbes am 30. April in Wuppertal zum Tag der gewaltfreien Erziehung. "Die Annahme, Kinder, vor allem kleine Kinder, könnten nicht befragt werden oder keine glaubwürdigen Aussagen treffen, ist nicht grundsätzlich stichhaltig. Kinder müssen gehört werden", mahnte sie. Die Befragungen müssten jedoch in die Hände qualifizierter Fachleute gelegt werden.

Körbes erinnerte an die Missbrauchsfälle auf einem Campingplatz in Lügde und an im März bekannt gewordene Missbrauchsvorwürfe gegen eine Kita-Leiterin aus dem Münsterland. Die Aussagen der Kinder seien als nicht glaubwürdig eingestuft worden. Die Staatsanwaltschaft sah keinen Grund, Anklage zu erheben.

Das Recht des Kindes auf Gehör und Meinungsäußerung sei auch bei der Teilnahme an Gerichtsverfahren von maßgeblicher Bedeutung, erklärte Körbes. Der Kinderschutzbund plädiere daher für entsprechende Qualifikationen und Fortbildungen von Richtern, Staatsanwälten und Verfahrensbeiständen. Zudem habe der Verband die Arbeitsgemeinschaft "Kindgerechte Justiz" gegründet, die sich damit befasst, wie den Kinderrechten im Justizsystem besser Geltung verschafft werden kann.



NRW-Opferschutzstelle hat über 820 Hilfesuchende betreut


Elisabeth Auchter-Mainz
epd-bild/Jörn Neumann

Mehr als 820 Menschen haben sich seit Amtsantritt der ersten NRW-Opferschutzbeauftragten Elisabeth Auchter-Mainz an die Stelle gewandt. Unter den Hilfesuchenden, die sich vom 1. Dezember 2017 bis Ende März 2019 meldeten, seien mit einem Anteil von 47 Prozent aus ihrer Sicht überraschend viele Männer gewesen, sagte Auchter-Mainz am 30. Mai in Düsseldorf. NRW hatte 2017 als Reaktion auf den Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt 2016 als damals erstes Flächenland eine offizielle Opferschutzstelle eingerichtet.

Ob Eltern von getöteten Kindern, Gewalt- oder Betrugsopfer - es hätten sich viele Menschen gemeldet, die Schreckliches erlebt hätten, sagte Auchter-Mainz. Manche hätten auch Hilfe für die Folgen von lange zurückliegender Gewalt gesucht. Darunter seien zum Beispiel ehemalige Heimkinder, die als Erwachsene noch immer unter den damaligen Misshandlung litten, sowie Opfer einer Jahrzehnte zurückliegenden sexuellen Straftat. "Diese Menschen sind ihr Leben lang hoch traumatisiert und brauchen Hilfe", sagte die frühere Kölner Generalstaatsanwältin. So sei für viele Gewaltopfer der Tag angstbesetzt, wenn der Täter aus der Haft entlassen wird.

Die Opferschutzstelle ist im Gebäude des Oberlandesgerichts Köln eingerichtet. Das erleichtere den Kontakt für Hilfesuchende, sagte Auchter-Mainz. Gerade für Männer, die beispielsweise als Kinder sexuell missbraucht worden seien, werde dadurch die Hemmschwelle gesenkt. Vor diesem Hintergrund mahnte die Opferschutzbeauftragte einen Ausbau der Beratungsangebote für Männer an: "Davon haben wir nicht genug." Auch für Männerhäuser, in denen Männer - analog zu Frauenhäusern - Schutz vor häuslicher Gewalt finden, gebe es einen Bedarf.

Auchter-Mainz sprach sich auch für mehr Transparenz in der Justiz aus. So müssten Verfahrensabläufe vor Gericht besser erklärt werden, etwa in Informationsveranstaltungen. Viele Fragen von Hilfesuchenden drehten sich um solche Fragen, berichtete die Juristin. Ein großer Teil ihrer Arbeit bestehe zudem in der Aufklärung über Entschädigungsmöglichkeiten. Die Opferschutzbeauftragte soll Opfern von Kriminalität unbürokratisch einen ersten Zugang zu bestehenden Hilfsangeboten vermitteln. Sie ist unabhängig und der Verschwiegenheit verpflichtet.

NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) kündigte an, das Netzwerk für die Unterstützung von Opfern weiter auszubauen, damit es flächendeckend genügend Ansprechpartner gebe. "Opfer werden vom Land und der Gesellschaft nicht mehr alleingelassen", sagte er.



Mental load: Was viele Mütter tagtäglich stresst


Eine Mutterhilft ihrer Tochter bei den Hausaufgaben.
epd-bild/Maike Glöckner
Auch wenn Mütter berufstätig sind, tragen sie nach wie vor die Hauptverantwortung für Haushalt und Kinder. Von ihren Partnern wünschen sich viele mehr als "Hilfe" - es geht um das Mitdenken.

Wenn Laura morgens aufsteht, hat sie schon eine ellenlange To-Do-Liste im Kopf: Eines ihrer Kinder braucht ein neues Schulheft, ein Logopädie-Termin muss vereinbart und Pakete müssen zur Post gebracht werden. "Wenn ich nicht neun Bälle gleichzeitig in der Luft halte, die stellvertretend stehen für Job, Kinder, Kinderbetreuung, Schule, Haushalt, Termine, Freizeit, Gesundheit und Geschenke, sich stattdessen keiner kümmert, dann habe ich hier den Salat", klagt die dreifache Mutter und Bloggerin.

Jule geht es ähnlich. Noch im Büro grübelt sie, was abends auf den Tisch kommt. Ihr Mann ist da keine Hilfe. "Sag du", lautet seine Antwort auf die Frage: "Was sollen wir heute kochen?" Laura und Jule sind zwei von vielen Frauen, die sich derzeit im Internet an der Diskussion über die nach wie vor ungerechte Aufteilung der Hausarbeit zwischen den Geschlechtern beteiligen. Neu entzündet hat sich diese eigentlich alte Debatte seit einiger Zeit an dem Begriff "Mental Load" und einem Comic der Illustratorin Emma.

Fehlende Anerkennung

Darin bringt die Französin auf den Punkt, was viele Mütter tagtäglich stresst, ohne dass sie dafür Anerkennung erhalten: Sie tragen die "Mental Load", also die "mentale Last", den Familienalltag organisieren zu müssen. "Es ist eine permanente und anstrengende Arbeit. Und sie ist unsichtbar", schreibt Emma. "Warum hast du mich denn nicht gefragt?", lautet im Comic die unschuldige Frage der Männer, wenn Frau gestresst reagiert, weil sich vor ihr der Abwasch türmt oder sie einsam gegen Berge schmutziger Wäsche ankämpft.

Viele Frauen kennen die Situation, dass Männer sich im Haushalt entweder gar nicht zuständig oder lediglich als Hilfskraft fühlen. "Die Verantwortung für den gesamten Laden hat die Frau. Wenn der Mann nett ist, hilft er", beobachtet die Hamburgerin Helen Heinemann, die Frauen-Seminare zur Burnout-Prävention leitet. "Ich erlebe in den Seminaren deutlich, dass sich Frauen an der Doppelbelastung erschöpfen."

Großteil der Hausarbeit erledigt immer noch die Frau

Nach wie vor übernehmen Frauen einen Großteil der Hausarbeit. Selbst wenn beide Partner Vollzeit berufstätig sind, wenden Frauen an einem Werktag durchschnittlich rund drei Stunden mehr Zeit für Haushalt und Kinder auf als Männer, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) herausfand.

"Projektleiter Haushalt" nennt Emma die Frau in ihrem Comic und zieht eine Parallele zur Arbeitswelt. Auch in modernen Partnerschaften sähen Männer diesen Einsatz nicht und hätten von sich meist den Eindruck, sie beteiligten sich doch fair an Haushalt und Kinderbetreuung. Doch sie übernähmen nicht wirklich Verantwortung.

Gar nicht so selten ist es offenbar auch, dass die Väter überhaupt keine Unterstützung sind. Laut einer Studie des Rheingold-Instituts fühlt sich ein Drittel der Mütter trotz Partner alleinerziehend oder betrachtet ihn gar als weiteres Kind.

"Das, was zu kurz kommt, sind die Frauen selbst", beobachtet Heinemann. Kein Wunder, dass Mütter zunehmend unter Burnout-Symptomen leiden. "Diagnosen wie Erschöpfungszustände, Schlafstörungen, depressive Verstimmungen oder Essstörungen haben sich in den letzten 15 Jahren bei den Frauen, die zu uns kommen, verdoppelt", sagt Anne Schilling vom Müttergenesungswerk (Berlin). Unter diesen Symptomen leiden inzwischen 98 Prozent der Mütter, die an Kuren des Müttergenesungswerks teilnehmen.

Gesellschaftlicher Druck

Verantwortlich dafür sei auch der gesellschaftliche Druck, sagt Schilling. "Einerseits sind junge Frauen heute sehr gut ausgebildet und gleichberechtigt. Andererseits wird aber immer noch ein traditionelles Mutterbild an sie herangetragen." Rund 70 Prozent der Mütter mit Kindern sind laut statistischem Bundesamt berufstätig. Dennoch werde die Mutter meist immer noch als Hauptverantwortliche für die Erziehung der Kinder gesehen, beobachtet Schilling.

Selbst in Familien, in denen die Mutter Haupternährerin ist, funktioniere der Rollentausch meist nicht richtig, stellte die Soziologin Cornelia Koppetsch von der Technischen Universität Darmstadt in einer Studie fest. "Wenn ein Kind in der Schule krank wird, werden zum Beispiel meist immer noch die Mütter angerufen."

"Der Weg raus der Organisations-Falle", sagt Heinemann, "beginnt damit, dass sich die Frau überlegt, welche Aufgaben sie gerne abgeben würde und dies mit ihrem Partner bis ins Detail bespricht." Das könne zunächst einmal mühsam sein.

"Wichtig ist es, konsequent zu bleiben, auch wenn das nicht gleich klappt", rät Heinemann. "Es ist wichtig, dass Frauen auch mal loslassen." Habe es der Vater zum Beispiel übernommen, regelmäßig den Schulranzen des Kindes zu kontrollieren, dann sollte sich die Mutter da auch nicht mehr einmischen. "Die Welt geht nicht unter, wenn das Kind eine Zeit lang mit einem rumpeligen Schulranzen herumläuft."

Claudia Rometsch (epd)


Wachsende Kritik an Neuausrichtung der Inklusion in NRW

Die von der nordrhein-westfälischen Landesregierung angestoßene Neuausrichtung des gemeinsamen Lernens von Kindern mit und ohne Behinderung stößt zunehmend auf Kritik. Die Folge der Politik von Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) sei eine "große Verunsicherung", die angekündigten Verbesserungen der Qualität seien substanzlos, kritisierte das Bündnis für Inklusion am 3. Mai in Düsseldorf. In dem Bündnis sind 40 Organisationen zusammengeschlossen, darunter die Bildungsgewerkschaft GEW, Sozialverbände, Elternvereine und die Landesschülervertretung.

Die Umsetzung der Inklusion sei immer noch eine Mängelverwaltung, erklärte die GEW-Landesvorsitzende NRW, Dorothea Schäfer. Die Kritik entzündet sich an dem Erlass des Schulministeriums, der die Inklusion an den weiterführenden Schulen neu organisiert. Inklusionsschüler sollen ab dem Schuljahr 2019/20 nur noch in Regelschulen unterrichtet werden, die klare Kriterien erfüllen. Inklusiver Unterricht soll künftig an sogenannten Schwerpunktschulen und damit vor allem an Gesamt- und Realschulen gebündelt werden. An Gymnasien sollen Inklusionsschüler in der Regel nur noch unterrichtet werden, wenn sie eine reelle Chance auf das Abitur haben.

Hinzu kommen vier feste Qualitätsstandards für die Haupt-, Real-, Gesamt-, Gemeinschafts- und Sekundarschulen. Sie dürfen inklusiven Unterricht nur dann anbieten, wenn genügend Sonderpädagogen, Fortbildung der Lehrer, geeignete Räume und ein schlüssiges Inklusionskonzept garantiert sind.

Für die Qualitätsstandards stünden jedoch nicht genügend Mittel und Lehrkräfte zur Verfügung, kritisierte Schäfer. Nach dem Rückzug von Gymnasien aus der Inklusion müssten die anderen Schulen nun zusätzliche Klassen bilden, das sei personell nicht zu leisten.

Der Vorsitzende des Inklusionsfachverbands Gemeinsam Leben, Gemeinsam Lernen NRW, Bernd Kochanek, warf der Schulministerin mangelndes Engagement für eine Verbesserung der Qualität vor. Alle Fragen der Verbesserung der Qualität des inklusiven Unterrichts seien an die Schulaufsichten delegiert worden. Es fehle an einer Steuerung auf allen Ebenen. Die Landesschülervertretung sprach von einem "blamablen Desinteresse an der schulischen Inklusion".



Inklusives Jugendaktionscamp mit Protestmarsch beendet

Mit einem Protestmarsch durch die Bonner Innenstadt ist am 5. Mai das erste inklusive Jugendaktionscamp der Aktion Mensch zu Ende gegangen. Unter dem Motto "Mission Inklusion - Die Zukunft beginnt mit Dir" hatten rund 100 Jugendliche und junge Erwachsene aus ganz Deutschland Ideen und Forderungen für ein besseres Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderung erarbeitet. Zum Abschluss der Demonstration übergaben sie ihren Forderungskatalog an den stellvertretenden NRW-Ministerpräsidenten Joachim Stamp (FDP), wie die Aktion Mensch mitteilte.

Darin fordern sie unter anderem eine barrierefreie und vorurteilsfreie Arbeitswelt, gut ausgestattete inklusive Schulen sowie mehr bezahlbare barrierefreie und rollstuhlgerechte Wohnungen. Stamp habe die Camp-Teilnehmer daraufhin zu Gesprächen ins Ministerium eingeladen, um über Verbesserungen zu reden, hieß es. "Das am Grünen Tisch zu überlegen, reicht nicht aus - wir müssen die Sicht der Betroffenen hören", sagte der Minister den Angaben zufolge.



Kommunalwahl im Saarland: Land lässt alle Behinderten teilnehmen

Psychisch kranke und behinderte Menschen mit Vollbetreuung dürfen an den Kommunalwahlen am 26. Mai im Saarland teilnehmen. Der Landtag hat am 29. April in einer Sondersitzung mit Stimmenmehrheit eine vorläufige Regelung beschlossen. Der Sozialverband VdK Saarland begrüßte den Beschluss.

Wenn die Betroffenen Anträge auf Eintragung ins Wählerverzeichnis stellen, werden analog zur Europawahl die Wahlrechtsausschlüsse im Gesetz nicht angewendet. Der Landtag beabsichtige, diese vorläufige Regelung durch Änderungen im Landtags- und Kommunalwahlgesetz zu ersetzen, damit Menschen nicht mehr pauschal vom Wahlrecht ausgeschlossen seien, hieß es. Vom Ausschluss sind zurzeit den Angaben nach etwa 850 Menschen im Saarland betroffen.

Der VdK-Vorsitzende Armin Lang bezeichnete den Beschluss als gut und wichtig. "Gerade bei politischen Diskussionen vor Ort geht es elementar um alltägliche Fragen, die Menschen mit Behinderung betreffen", sagte er. Auch Menschen mit einem gesetzlichen Betreuer hätten das Recht, ihre Umgebung mitzugestalten und ihre Volksvertreter zu wählen. Eine aufrichtige und umfassende Teilhabe an Gesellschaft und Demokratie sei allerdings erst möglich, wenn die Wahllokale auch für alle Menschen mit Behinderung erreichbar seien. Die Barrierefreiheit in den saarländischen Wahllokalen müsse nun überprüft werden, forderte Lang.

Das Bundesverfassungsgericht hatte am 15. April entschieden, dass bereits zur Europawahl am 26. Mai psychisch kranke und behinderte Menschen mit Vollbetreuung ihre Stimme abgeben dürfen. Die Aufhebung von Wahlrechtsausschlüssen für Behinderte war bereits im Januar vom Verfassungsgericht verlangt worden.



Unicef sucht noch Mitwirkende für sein Projekt "Theater der 10.000"

Das UN-Kinderhilfswerk Unicef sucht derzeit noch Teilnehmer für die bundesweite Performance "Theater der 10.000". Auch wenn in einigen Großstädten bereits alle Plätze vergeben seien, würden an vielen Orten aktuell noch Leute benötigt, die mitmachen wollten, teilte Unicef am 2. Mai in Köln mit. Anmeldungen seien noch bis zum 8. Mai im Internet auf www.theaterder10000.de möglich

Mit der bundesweiten Aktion möchte Unicef am 11. Mai für Frieden, soziale Gerechtigkeit und mehr gesellschaftliches Engagement werben. Das Projekt "Theater der 10.000" ist den Angaben zufolge die bislang größte Live-Performance im öffentlichen Raum. Geplant seien Aufführungen an bundesweit 100 Orten: unter anderem am Kölner Dom, vor dem Braunschweiger Schloss, am Karl-Marx-Monument in Chemnitz, auf dem Marktplatz in Bremen, vor der Porta Nigra in Trier oder auf dem Arkonaplatz in Berlin.

Je 100 Akteure, denen weder ihre Mitspieler noch das Theaterstück vorher vorher bekannt seien, entwickelten spontan eine Spielhandlung zu einer lebenswerten Welt der Zukunft, hieß es. Dazu müssten sie lediglich ein Smartphone mit Kopfhörern mitbringen. Darüber erhielten sie die Regie-Anweisungen für das Stück.

Der Aktionstag ist Abschluss der rund zweijährigen Unicef-Kampagne "Kindheit braucht Frieden", die sich für die Belange von Kindern in Krisengebieten und auf der Flucht einsetzt. In dem auf 30 Minuten angelegten Stück gehe es um ein fiktives Szenario: In der nahen Zukunft ist die Erde zu einem fast unbewohnbaren Ort geworden. Kriege, Dürre und Lebensmittelknappheit beherrschen den Alltag. Die Teilnehmer sollen bei den Aufführungen den Angaben zufolge Strategien zu Umweltschutz oder gegen Armut für das Jahr 2019 entwickeln, um die Zukunft doch noch zu ändern.




Medien & Kultur

"Chefermittler" in Sachen Korruption


Hans Leyendecker
epd-bild/Guido Schiefer
Kein Politiker und kein Wirtschaftsboss war vor seinen Enthüllungen sicher: Hans Leyendecker hat über Jahrzehnte den Mächtigen in Deutschland auf die Finger geschaut. Jetzt feiert der Investigativjournalist und Dortmund-Fan seinen 70. Geburtstag.

Der freundliche Mann mit dem festen Händedruck war früher der Alptraum von Politikern und Wirtschaftsbossen, die etwas zu verbergen hatten. 33 Jahre ist Hans Leyendecker erst alt, als er 1982 im "Spiegel" eine Titelgeschichte über Schmiergeldzahlungen des Flick-Konzerns an hochrangige deutsche Politiker veröffentlicht. Mit Enthüllungen zum Thema Parteispenden löst er Ende 1999 erneut ein Erdbeben aus: Die Aufdeckung der illegalen Spendenpraxis der CDU unter Helmut Kohl führt zu einer personellen Neuaufstellung der Partei. Da ist Leyendecker schon bei der "Süddeutschen Zeitung" (SZ).

Der 1949 in Brühl geborene Leyendecker, der am 12. Mai seinen 70. Geburtstag feiert, absolviert nach dem Abitur ein Volontariat beim "Stader Tageblatt" in der Nähe von Hamburg. Später nimmt er ein Geschichtsstudium auf. Nach einer Tätigkeit als freier Journalist in Bayern und einer Station als Reporter bei der "Westfälischen Rundschau" in Dortmund wechselt er 1979 zum "Spiegel", wo er sich als investigativer Journalist profiliert. 1997 verlässt er das Magazin allerdings nach einem heftigen Streit mit dem damaligen Chefredakteur Stefan Aust.

"Gelddruckmaschine ist weg"

Die Entwicklungen bei seinen früheren Blättern verfolgt Leyendecker ganz genau. Er wundert sich darüber, dass die "Westfälische Rundschau", die keine eigene Redaktion mehr hat, immer noch eine Auflage von 50.000 Stück haben soll. "Es muss also viele Leser geben, die sagen: Hauptsache, ich kriege etwas aus meinen Stadtteil", sagt Leyendecker im Gespräch mit dem epd. Dass Zeitungen beim Vertrieb zusammenarbeiten, um Kosten zu senken, findet er normal. Die Verleger müssten sich aber auch daran gewöhnen, dass es keine Rendite von 30 Prozent mehr gibt. "Die Gelddruckmaschine ist weg", konstatiert der 69-Jährige.

Als er 1997 als leitender politischer Redakteur zur SZ nach München wechselt, sichert sich Leyendecker das Privileg, von seinem Wohnort im Rheinland aus zu arbeiten. Auch für die SZ liefert er zahlreiche Scoops - darunter die Geschichte über die Siemens-Schmiergeldaffäre, für die er 2007 den Henri-Nannen-Preis erhält, und die Recherche zum Betrugsskandal um die damalige NDR-Fernsehfilmchefin Doris Heinze. Leyendecker wird in dieser Zeit zum deutschen "Chefermittler" in Sachen Korruption, ist Dauergast in TV-Talkshows. 2009 übernimmt er die Leitung des neuen Ressorts für Investigative Recherche bei der SZ, das seit 2011 mit dem NDR und seit 2014 auch mit dem WDR in einem Verbund zusammenarbeitet.

Es gibt auch Fehlschläge in Leyendeckers Karriere. Als seinen "verheerendsten Fehler" bezeichnete er einmal die "Spiegel"-Geschichte von 1993 über die angebliche Hinrichtung des RAF-Terroristen Wolfgang Grams durch Polizisten, bei der er sich auf einen unzuverlässigen Informanten verließ. 2011 trat Leyendecker als zweiter Vorsitzender des "Netzwerks Recherche" zurück, nachdem bekanntgeworden war, dass die Journalistenvereinigung zu Unrecht Fördergelder in Höhe von 75.000 Euro erhalten hatte. Er hatte zwar mit den Förderanträgen nichts zu tun gehabt, wollte mit dem Rücktritt aber einen Teil der politischen Verantwortung übernehmen.

"Ökumene des Journalismus"

Seit 2016 ist Leyendecker offiziell im Ruhestand. Mit Investigation verbringt er nach eigener Aussage nur noch einen ganz kleinen Teil seiner Zeit. Seinen Nachfolgern bei der SZ, Nicolas Richter und Bastian Obermayer, bescheinigt er eine "wunderbare" Arbeit. Leyendecker sieht auch eine neue "Ökumene des Journalismus", die ganz andere Geschichten ermöglicht als früher. "Zu meiner Zeit bin ich beim 'Guardian' kaum am Pförtner vorbeigekommen, heute arbeitet man häufig zusammen", sagt er schmunzelnd und verweist auf die "Panama Papers" - das letzte große Projekt, an dem er beteiligt war.

Dass es in dieser Blütezeit des Investigativjournalismus für Politiker, Geheimdienste und Unternehmen schwieriger geworden ist, Skandale zu vertuschen, will Leyendecker so pauschal nicht bestätigen. Bestimmte Dinge seien aber durch intensive Berichterstattung tatsächlich verbessert worden. So sei beispielweise Korruption in Rathäusern nicht mehr so ein Thema wie früher, weil die Kommunen viele Skandale erlebt und dann ein Vier-Augen-Prinzip eingeführt hätten.

Ruhestand bedeutet für Hans Leyendecker nicht, die Füße hochzulegen. Beim 37. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dortmund fungiert der frühere Katholik im Juni als Präsident. Zu der Stadt hat der Vater von fünf erwachsenen Kindern eine Herzensbeziehung: Er ist Fan des Fußballvereins Borussia Dortmund.

Michael Ridder (epd)


FPÖ-Attacken: ORF-Moderator besorgt über Pressefreiheit

Angesichts der Attacken der rechtsnationalistischen FPÖ auf seine Person hat sich der österreichische TV-Journalist Armin Wolf besorgt über die Pressefreiheit geäußert. "Dass eine Regierungspartei den öffentlich-rechtlichen Rundfunk unter staatliche Kontrolle bekommen will, hätte ich vor ein paar Jahren noch nicht für möglich gehalten", sagte der Moderator des Österreichischen Rundfunks (ORF) der "Welt" (2. Mai). Journalisten würden "persönlich angeklagt und nicht die Medien, für die sie schreiben".

Die Kritik der FPÖ an seiner Interviewführung wies Wolf als unberechtigt zurück. "Wer immer mich als 'inquisitorischen Frager' bezeichnet, soll bitte nachlesen, was die Inquisition war", sagte Wolf. "Was ich mache, polarisiert, doch meine Art der Interviewführung wäre bei der BBC bloß ein Kindergeburtstag."

Mit "Folgen" gedroht

Auf die Frage, ob die Medien in Deutschland und Österreich "einseitig" berichtet hätten, etwa in den ersten Monaten der Flüchtlingskrise, sagte Wolf: Die Medien hätten "die damaligen Positionen der etablierten politischen Akteure ziemlich korrekt wiedergeben". Bis auf AfD und FPÖ hätten alle Parteien eine großzügige Asylpolitik verfolgt. "Das ist im Herbst 2015 und endgültig mit Köln gekippt", sagte Wolf: "Was zu Beginn in der politischen Debatte und in der Berichterstattung aber wohl zu wenig vorgekommen ist, waren rational argumentierte, kritische Positionen ohne fremdenfeindliche und rassistische Ressentiments."

Armin Wolf ist einer der bekanntesten Journalisten in Österreich. In der vergangenen Woche wurde der Moderator vonseiten der rechtsnationalistischen FPÖ angegriffen. Wolf hatte in seiner Sendung den Europa-Spitzenkandidaten der FPÖ, Harald Vilimsky, interviewt und dabei einen Cartoon der FPÖ-Jugendorganisation mit Abbildungen im nationalsozialistischen "Stürmer" verglichen. Vilimsky drohte daraufhin mit "Folgen". Der Vorsitzende des ORF-Stiftungsrats, FPÖ-Mitglied Norbert Steger, riet Wolf zu einer beruflichen Auszeit.



UN-Generalsekretär prangert Gewalt gegen Journalisten an


António Guterres
epd-bild / Peter Williams

UN-Generalsekretär António Guterres hat Schikanen und Gewalt gegen Journalisten angeprangert. Im Jahr 2018 seien fast 100 Journalisten getötet worden, erklärte Guterres in New York. Anlässlich des Welttages der Pressefreiheit am 3. Mai verlangte er, dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden müssten.

Die Straffreiheit für Angriffe auf Medienschaffende sei Grund zu tiefer Sorge, erklärte Guterres. Er erinnerte auch an das Schicksal Hunderter Journalisten, die wegen ihrer Arbeit im Gefängnis sitzen. Die Rechte der Journalisten müssten verteidigt werden, betonte Guterres. Berichterstatter trügen dazu bei, eine bessere Welt für alle aufzubauen. Eine freie Presse sei unerlässlich für Frieden, Gerechtigkeit, Entwicklung und Menschenrechte. Keine Demokratie sei vollständig ohne den Zugang zu transparenter und zuverlässiger Information.

Nach einem Beschluss der UN-Vollversammlung wird der Welttag der Pressefreiheit seit 1994 jeweils am 3. Mai begangen. Der Welttag soll die Pressefreiheit stärken.



Experten kritisieren Nennung von Herkunftsländern bei Straftätern

Zu einem vorsichtigerem Umgang mit der Nennung des Migrationshintergrundes von Straftätern hat der Verein "Neue Deutsche Medienmacher" Journalisten aufgerufen: Die Herkunft von Straftätern werde in der Berichterstattung oft völlig unnötig genannt, kritisierte die Vorsitzende des Vereins, Sheila Mysorekar, am 3. Mai auf einer Veranstaltung des "Mediendienstes Integration" in Köln. "Herkunft und Religion werden oft als Begründung für die Straftat in den Vordergrund gestellt", kritisierte Mysorekar. So sei etwa häufig von einem "türkischen Messerstecher" zu lesen. Wenn ein Täter keinen Migrationshintergrund habe, sei aber im Umkehrschluss nie von einem "deutschen Strafverdächtigen" die Rede.

Sie rät dazu, bei der Berichterstattung über Bagatelldelikte wie etwa Taschendiebstähle generell auf die Nennung der Herkunft zu verzichten. Bei der Berichterstattung über besonders schwere Straftaten, über die detailliert berichtet werde, lasse es sich dagegen oft nicht vermeiden, auch die "ethnische oder religiöse Herkunft" von Tätern zu nennen: "Die Frage ist jedoch, in welcher Form dies geschieht."

Kölner Silvesternacht 2015/2016 war Einschnitt

Nach der Kölner Silvesternacht sei die Herkunft von Tatverdächtigen von Medien tatsächlich sehr viel häufiger genannt worden als zuvor, sagte der Kommunikationswissenschaftler Hans-Bernd Brosius von der Ludwig-Maximilians-Universität München, der dies in einer im Jahr 2017 veröffentlichten Studie nachwies. Die Kölner Silvesternacht habe mit negativen wie positiven Auswirkungen katalysiert, was seit der Zuwanderungswelle im Jahr 2015 im gesellschaftlichen Bewusstsein latent vorhanden gewesen sei: "Hätte es die Silvesternacht nicht gegeben, wäre es ein anderes Ereignis mit ähnlichem Effekt gewesen."

Zu einer verantwortungsvollen Berichterstattung rief auch der WDR-Redakteur Torsten Beerman auf, der für den WDR in einer Arbeitsgruppe Leitlinien zum Thema Herkunftsnennung erarbeitet hat: "Das Grundargument für uns ist die Relevanz: Ist die Herkunft wichtig, um den Fall zu verstehen?" Man solle sich stets die Frage stellen, ob man die Herkunft auch dann nennen würde, wenn der Tatverdächtige etwa Norweger sei und nicht Syrer. "Grundsätzlich gilt: "Wir müssen nicht alles berichten, was wir wissen."

Nach Ansicht des Kommunikationswissenschaftler Brosius hat der Journalismus jedoch längst seine Deutungshoheit verloren: "Über die sozialen Medien kann sich jeder sehr schnell über die Herkunft eines Verdächtigen informieren." Journalismus sei für die Gesellschaft unverzichtbar und wichtig. "Und deshalb brauchen wir viele und unterschiedliche Journalisten, die unterschiedlich berichten."



EKD will Youtube-Kanal "Jana" weiterführen


Youtuberin Jana Highholder
epd-bild/Jörn Neumann

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) will den Youtube-Kanal "Jana" zunächst weiterführen. Der Rat der EKD habe auf seiner jüngsten Sitzung beschlossen, dass das Projekt über die ursprünglich geplante Laufzeit hinaus bis mindestens zum Jahresende 2019 weiterbetrieben werde, teilte ein EKD-Sprecher auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) mit. Zugleich soll ein Konzept entwickelt werden, wie die Youtube-Präsenz ab dem nächsten Jahr "inhaltlich und personell" ausgeweitet werden kann.

Die EKD hatte im vergangenen Jahr gemeinsam mit der Kölner Agentur Mediakraft einen Youtube-Kanal für junge Menschen gestartet. Das Gesicht von "Jana glaubt" ist die 20-jährige Studentin Jana Highholder. Der Kanal wird vom Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland (aej) betrieben. Begleitend zum Youtube-Kanal ist Jana auch auf den sozialen Netzwerken Facebook und Instagram präsent. Der EKD-Rat bat das GEP den Angaben zufolge nunmehr, ihm in der zweiten Jahreshälfte ein Konzept für die Verbreiterung der Youtube-Präsenz vorzulegen.

"Mit jungen Menschen ins Gespräch gekommen"

"Jana hat es geschafft, über die sozialen Medien mit vielen jungen Menschen ins Gespräch über Gott und die Welt zu kommen", erklärte GEP-Direktor Jörg Bollmann am 29. April. "Mit der Ratsentscheidung, über die wir uns sehr freuen, haben wir nun die Möglichkeit, einerseits diesen Dialog fortzusetzen und andererseits mit weiteren protestantischen Positionen zu erweitern und zu ergänzen. Daran werden wir in den kommenden Wochen und Monaten arbeiten."

Jana Highholder studiert Humanmedizin an der Universität Münster und nimmt an Poetry Slams teil. Ihr Kanal hat mittlerweile mehr als 13.000 Abonnenten. Die Youtuberin spricht jede Woche über die kleinen und großen Ereignisse im Leben junger Menschen, über Liebe und über ihren Glauben. Zuletzt gab es in christlichen Medien eine Debatte über Botschaft und Wirkung des Projekts, nachdem sich Jana in einem Video mit der feministischen Theologin Hanna Jacobs zu ihrem Rollenverständnis von Frauen und Männern geäußert hatte.

Das GEP ist das zentrale Mediendienstleistungsunternehmen der EKD, ihrer Gliedkirchen, Werke und Einrichtungen. Es trägt neben der epd-Zentralredaktion unter anderem die Redaktionen des evangelischen Magazins "chrismon" und des Internetportals "evangelisch.de" und organisiert die Rundfunkarbeit der EKD. Die aej ist der Zusammenschluss der Evangelischen Jugend in Deutschland, der Verband vertritt die Interessen von etwa 1,35 Millionen jungen Menschen.



Biograf: Leonardo da Vinci war kein "Freigeist"

Leonardo da Vinci (1452-1519) ist nach Worten seines Biografen Klaus-Rüdiger Mai kein "Freigeist" gewesen, sondern "ein religiöser Mensch mit der Weite der Renaissance". Zwar seien nur wenige religiöse Äußerungen des Malers selbst überliefert, sagte Mai dem Evangelischen Pressedienst (epd) anlässlich des 500. Todestags von da Vinci. Doch habe der Künstler, Forscher und Erfinder die Welt seiner Zeit gemäß als Schöpfung Gottes verstanden. Allerdings habe Leonardo die Kirche als weltliche Institution skeptisch gesehen und über Fehler des "Bodenpersonals" gespottet. Der nahe Berlin lebende Philosoph und Historiker Mai ist Autor des in diesem Frühjahr in der Evangelischen Verlagsanstalt (Leipzig) erschienenen Buchs "Leonardos Geheimnis".

"Was Leonardo antrieb, war Neugier, die Leidenschaft zu entdecken, was die Welt im Innersten zusammenhält, wie Gottes Schöpfung konzipiert ist", sagte der Renaissance-Experte. "Er wollte das Buch der Schöpfung entziffern." Dass Leonardo als Maler, aber zugleich auch als Naturforscher und Konstrukteur gearbeitet habe, sei keine Grenzüberschreitung gewesen, wie man heute denken könnte. Vielmehr seien damals die Grenzen etwa zwischen Malerei, Baukunst und Technik fließend gewesen.

Gottes Harmonie

Da Vincis Denken sei bestimmt gewesen durch die Grundannahme, dass die Natur auf Gottes Harmonie zurückzuführen sei. Er habe diese richtig deuten wollen, etwa in der Suche nach der vollkommenen menschlichen Gestalt, die er im "Vitruvianischen Menschen" (1492) festhielt. Dabei handelt es sich um die Zeichnung eines Mannes mit ausgebreiteten Armen und Beinen, dessen Fingerspitzen und Zehen einen Kreis und ein Quadrat berühren.

Interessiert habe den Maler, der offen homosexuell lebte, vor allem Androgynität, die Zweigeschlechtlichkeit oder Zwischengeschlechtlichkeit. "Das Idealbild des Menschen ist androgyn, nicht Frau, nicht Mann, nicht männlich oder weiblich, es schwimmt", sagte der Da-Vinci-Experte. Eine Wurzel dieses Denkens bei Leonardo sieht er in Platons "Symposion", in der Erzählung vom zweigeteilten Kugelmenschen, aufgespalten in Mann und Frau, die es zueinander hinzieht. Zudem werde in der Renaissance-Theologie Gott als Mann und Frau in einem und zugleich als Inbegriff höchster Vollkommenheit verstanden. Das vielgerühmte Geheimnis der "Mona Lisa" (1503-1506) gehe mit darauf zurück, dass Leonardo dieses Bild als Porträt der Lisa del Giocondo begonnen habe und dann "Schicht für Schicht immer androgyner gemalt" habe.

"Leonardo ermalt sich die Welt. Malen ist für ihn eine Form, die Welt zu erkennen", sagte Mai. Dabei sei sein Weltbild kein modernes, sondern im "Analogiedenken" seiner Zeit gefangen. Danach werden im Mittelalter alle Dinge der Natur als Entsprechungen des einen Schöpfers betrachtet. Unter dieser geistigen Voraussetzung habe Leonardo begonnen, sehr konkret zu forschen, etwa den Flug der Vögel zu beobachten, Wasserwirbel zu untersuchen oder Leichen zu sezieren und dies auch zu dokumentieren. Das sei das eigentlich Moderne bei ihm.

epd-Gespräch: Renate Kortheuer-Schüring


Saarländische Stephanuskirche ist Kirche des Monats

Die evangelische Stephanuskirche im saarländischen Blieskastel-Böckweiler ist Kirche des Monats Mai der Stiftung zur Bewahrung kirchlicher Baudenkmäler in Deutschland. Das älteste romanische Kirchengebäude des Saarlandes liegt im Unesco-Biosphärenreservat Bliesgau und an einem Pilgerweg nach Santiago de Compostela, wie die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) am 30. April in Hannover mitteilte. Die drei Konchen, die den Chorraum abschließen und sich wie Kleeblätter an drei Seiten anlehnen, seien in der deutschen Kunst- und Kulturgeschichte beinahe einzigartig.

Urprünge reichen bis ins 11. Jahrhundert zurück

Die Ursprünge des aktuellen Bauwerks gehen den Angaben zufolge auf das 11. Jahrhundert zurück. Laut Kirchenhistoriker Joachim Conrad erhielt der Chorbereich um 1150 sein heutiges Aussehen als Drei-Konchen-Anlage, über der sich ein Turm mit Satteldach erhebt. Das Kirchenschiff habe jedoch umfassende bauliche Eingriffe erfahren, schreibt der Professor für Kirchengeschichte der Universität des Saarlandes im Führer "Von Türmen, Kanzeln und Altären" zu evangelischen Kirchen im Saarland. 1580 seien die Seitenschiffe abgebrochen worden, im 18. Jahrhundert barocke Umbauten erfolgt und nach der Beschädigung im Zweiten Weltkrieg das Kirchenschiff nach Westen verlängert worden.

Sanierungsbedürftig

Derzeit steht das Gebäude der EKD zufolge leer, der Fußboden wurde aufgegraben und eine Drainage eingebaut. Aufgrund von Feuchtigkeit sei die Bausubstanz gefährdet gewesen. Auf dem Boden sollen den Angaben zufolge neue Sandsteinplatten verlegt, die Elektrik zum größten Teil erneuert und der Innenraum teils neu verputzt werden. Für diese Arbeiten seien 192.000 Euro veranschlagt. Bei Kirchenführungen, Konzerten und Ausstellungen sammle die Gemeinde Spenden für die Sanierung. Auch verkaufe sie Fotos von der Stephanuskirche und kleine Pilgermuscheln aus Holz mit einer eingebauten Miniatur der Kirche, hieß es.

Die Stiftung zur Bewahrung kirchlicher Baudenkmäler in Deutschland ist eine Stiftung der EKD und der evangelischen Landeskirchen. Für dieses Jahr habe sie bereits Förderzusagen über mehr als 1,3 Millionen Euro vorgesehen, hieß es. Die Sanierung der Stephanuskirche unterstützt die Stiftung mit 10.000 Euro.



Richtfest für Pergamonmuseum


Bauarbeiten am Pergamonmuseum: der Hellenistische Saal.
epd-bild/Jürgen Blume

Am Pergamonmuseum auf der Berliner Museumsinsel ist am 3. Mai Richtfest gefeiert worden. Mit dem Bau eines neuen Treppenhauses und der Fertigstellung der Lichtdecken und Glasdächer über dem Mittelbau des Museums seien weite Teile der Rohbauarbeiten im Bauabschnitt A abgeschlossen, teilten die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung in Berlin mit. Auch der neue, zentral gelegene Eingang, der sogenannte Tempietto (kleiner Tempel), ist im Rohbau fertig.

Grundinstandsetzung und Ergänzung des Pergamonmuseums erfolgen nach Plänen des Architekten Oswald Mathias Ungers (1926-2007). Das Vorhaben wird in zwei Bauabschnitten realisiert, so dass ein Teil des Museums immer für die Besucher geöffnet bleiben soll. Der aktuelle Bauabschnitt A betrifft den Nordflügel des Gebäudekomplexes und den Mittelbau, in dem sich der weltberühmte Pergamonaltar befindet.

Mit dem Richtfest sei ein Meilenstein erreicht auf dem Weg, das Pergamonmuseum fit für die Zukunft zu machen, sagte Stiftungs-Präsident Hermann Parzinger: "Es ist das Herzstück der Museumsinsel und trotz Teilschließung weiterhin der starke Besuchermagnet in Berlin."

477 Millionen Euro

Die seit sechs Jahren laufende Grundsanierung des Nordflügels und des Mittelteils des Berliner Pergamonmuseums soll frühestens Mitte 2023 abgeschlossen sein. Die Kosten betragen rund 477 Millionen Euro. Das Bauprojekt sei wegen der schwierigen Rahmenbedingungen weiterhin mit erheblichen Risiken verbunden, sagte die Präsidentin des Bundesamtes, Petra Wesseler. Für die Fertigstellung sei deshalb ein zeitlicher Puffer von bis zu 19 Monaten veranschlagt, so dass die Bauarbeiten spätestens im Frühjahr 2025 beendet sein sollen. Die geplante Eröffnung des Museum soll ein Jahr nach Abschluss der Bauarbeiten erfolgen, hieß es weiter.

Zu den besonderen Schwierigkeiten zählen laut Parzinger, unter anderem der Schutz der verbliebenen Kunstwerke, wie etwa das große Fries des Pergamonaltars. Aber auch das Nebeneinander von Bau- und Museumsbetrieb sowie die "extrem hohe Auslastung der Baufirmen" seien eine Herausforderung.

Die Planungen für den Bauabschnitt B betreffen den Südflügel und einen neuen Westflügel des Pergamonmuseums. Die Sanierung soll nach Abschluss des Bauabschnittes A beginnen. Der neu geplante Flügelbau als Verbindungsbau zwischen Nord- und Südflügel entlang des Kupfergrabens geht auf Pläne des Museumsarchitekten Alfred Messel (1853-1909) zurück, die aber nie realisiert wurden.



Eva Mattes will Zeichen gegen Rassismus setzen


Eva Mattes im Berliner Dom
epd-bild/Rolf Zöllner
Die Schauspielerin liest am 11. Mai im Berliner Dom aus Astrid Lindgrens Kriegstagebüchern. Sie ist sicher: Der Bezug zu aktuellen Ereignissen werde vom Publikum sofort verstanden.

Die Schauspielerin Eva Mattes will mit einer Lesung aus Astrid Lindgrens Kriegstagebüchern ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit setzen. "Es darf nicht vergessen werden, was im Zweiten Weltkrieg passiert ist", sagte die 64-jährige dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Berlin. "Das müssen auch nachkommende Generationen wissen." Unter dem gleichnamigen Titel von Lindgrens Tagebüchern "Die Menschheit hat den Verstand verloren" aus den Jahren 1939 bis 1945 tritt Mattes am 11. Mai mit der musikalischen Lesung im Berliner Dom auf.

Der Bezug zu aktuellen Ereignissen werde vom Publikum sofort verstanden. "Die Welt ist in Gefahr, in vielerlei Hinsicht", sagte die Schauspielerin. "Auch Fremdenfeindlichkeit ist ein Thema und das will bearbeitet sein." Zugleich verwies Mattes darauf, dass sie bereits seit mehr als 30 Jahren zusammen mit der Autorin und Dirigentin Irmgard Schleier literarische Abende zum Thema Flucht und Vertreibung veranstalte. Mit dem "Akkordeonisten Dariusz Swinoga stehen wir nun damit zu dritt auf der Bühne", sagte sie.

Ihre Popularität als "Tatort"-Kommissarin sei ihr zwar persönlich nicht immer angenehm. "Sie hilft aber, Themen, die mir wichtig sind, unter die Leute zu bringen", betonte Mattes. "Diese Inhalte, die mir persönlich wichtig sind, kann ich eigentlich nur an solchen Abenden wirklich rüberbringen."

Empathie für Deutsche

Mit den Kriegstagebüchern habe die spätere schwedische Bestsellerautorin das Schreiben angefangen. Die Schriftstellerin habe verstehen wollen, "was da vor sich geht in diesem Krieg". Durch ihre Arbeit bei der Poststelle des Geheimdienstes habe Lindgren frühzeitig von Konzentrationslagern und von der Ermordung der Juden gewusst. "Darüber hat sie unter anderem in ihren Tagebüchern Auskunft gegeben", sagte Mattes.

Lindgren habe aber auch beschrieben, wie dankbar sie sei, "dass Schweden nicht direkt betroffen ist von diesem Krieg und dass sie in einem freien Land leben kann". Die Autorin habe auch Empathie für die deutsche Bevölkerung empfunden, wenn sie sagte: "Das können doch nicht alles Nazis sein. Da sind auch Menschen darunter, die den Krieg nicht wollen, die Widerstand leisten und in Gefahr sind", wie Mattes erklärte.

Die Schauspielerin würdigte den Berliner Dom zudem als geschichtsträchtigen und besonderen Ort der Ruhe und Besinnung. Er biete eine Bühne, "wo man vielleicht noch eine andere Aufmerksamkeit für diese sensiblen Themen hat", begründete Mattes ihre musikalische Lesung in dem Gotteshaus. Die Schauspielerin engagiert sich auch als Schirmherrin für eine Spendenkampagne zur Sanierung des Doms. Zum 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges im kommenden Jahr will Mattes ebenfalls im Berliner Dom einen Abend mit "Chansons und Texten zwischen Exil und Rückkehr" gestalten.

epd-Gespräch: Christine Xuân Müller


Und dann kam Lola Nummer sechs

"Werdet noch tollkühner!", appellierte der neue Präsident der Filmakademie, Ulrich Matthes, an seine kreativen Kollegen. Ein dringend notwendiger Aufruf, denn die diesjährigen Nominierungen ließen Mut zum Risiko vermissen. Sieger des Abends war "Gundermann".

Der frischgebackene Präsident der Deutschen Filmakademie, der Schauspieler Ulrich Matthes, machte eine gute Figur. Es ist nicht leicht, in die Fußstapfen von Iris Berben zu treten, die dieses Amt erfolgreiche neun Jahre innehatte. Matthes beeindruckte bei der Verleihung der Lolas im Palais am Funkturm in Berlin am 3. Mai durch eine programmatische Rede. Darin trat er nicht nur für die gebeutelten Kinos als "Orte kultureller Bildung" ein und sprach sich für den europäischen Gedanken aus. Sondern er schrieb auch seinen kreativen Kolleginnen und Kollegen ins Gebetbuch: "Werdet noch politischer, noch tollkühner!" - ohne ein mögliches Publikum aus den Augen zu verlieren, wie er dann noch hinzufügte.

Auch wenn Matthes die Varianz der von der Deutschen Filmakademie ausgewählten Filme betonte: Ein solcher Aufruf ist auch bitter nötig. Denn die Auswahl der Deutschen Filmakademie, die in einem mehrstufigen Prozess geschieht, wirkte in diesem Jahr dann doch eher gefällig. Für den besten Film nominiert waren sechs Filme, und schon diese Nominierung bringt eine Summe von 250.000 Euro. Diese gehört allerdings den Produzenten und ist für den nächsten Film zu verwenden.

Kein ästhetisches Wagnis

In "Gundermann" erzählt Andreas Dresen die Biografie des Musikers Gerhard Gundermann, der als kritischer Kommunist für die Stasi arbeitete. "Der Junge muss an die frische Luft" ist die Verfilmung des autobiografischen Romans von Hape Kerkeling, "Das schönste Mädchen der Welt" von Aron Lehmann eine intelligente unter Jugendliche verlegte Cyrano-de-Bergerac-Variante von Aron Lehmann. In "Styx" konfrontiert Wolfgang Fischer seine segelnde Heldin mit einem Flüchtlingsschiff, und in "25km/h" von Marcus Goller suchen zwei Brüder mit ihren Mopeds in einem Roadmovie gewissermaßen sich selbst. Der mutigste Film in dieser Auswahl war sicherlich "Transit" von Christian Petzold, der den unter Flüchtenden während des Zweiten Weltkriegs spielenden Roman von Anna Seghers in das Marseille von heute verlegte. Am Ende ging dieser Film leer aus.

Denn, um einmal einen Fußballspruch abzuwandeln: Viele Filme laufen den Lolas hinterher, am Ende gewinnt "Gundermann". Sechs Trophäen konnte Dresens Film auf sich ziehen - für zehn war er nominiert -, darunter die in den Königskategorien bester Spielfilm (Lola in Gold), beste Regie (Andreas Dresen) und bestes Drehbuch (Laila Stieler). Sicher, "Gundermann" war der herausragende Film des vergangenen Jahres, vielschichtig erzählt, mit einer ambivalenten Hauptfigur, ein Film, in dem Gutes und Böses nicht ganz eindeutig sind. Man gönnt auch dem großartigen Alexander Scheer, der den Sänger kongenial und lebensecht verkörpert, die Lola als bester Hauptdarsteller. Und mit seinem Wende-Thema ist "Gundermann" auch der richtige Film in diesem Jahr, wenn Deutschland 30 Jahre Mauerfall feiert. Aber ein ästhetisches Wagnis ist dieses Film sicher nicht.

Lolas für "Styx"

"Seid neugierig auf Ungewohntes", sagte Matthes in seiner Rede zu Beginn der mit fast vier Stunden überlangen Zeremonie, durch die die Schauspielerin Désirée Nosbusch souverän und der Comedian Tedros Teclebrhan etwas zu selbstbezogen führten. Das Ungewohnte hat die Filmakademie, deren 2.000 Mitglieder am Ende des Nominierungsprozesses über die Filme und in den Kategorien abstimmen, gar nicht erst zugelassen. Ulrich Köhlers spröder Postapokalypse-Film "In My Room", immerhin in Cannes gelaufen (wann schafft das ein deutscher Film schon mal?), kam nicht einmal in den Nominierungsprozess. Das gleiche gilt für Jan Bonnys radikale Neonazi-Dreiecks-Geschichte "Wintermärchen", die im vergangenen Jahr beim Filmfestival Locarno Premiere hatte und dort für Aufregung sorgte.

Vier Lolas gewann auch "Styx", darunter die Auszeichnung in Silber für den besten Film. Und die Macher von "Der Junge muss an die frische Luft" gingen mit drei Trophäen nach Hause, darunter die für den besucherstärksten deutschen Film: Die Kerkeling-Adaption war mit 3,6 Millionen Besuchern der Überraschungserfolg der vergangenen Monate - und ein Film, der der 2018 gebeutelten Filmwirtschaft wieder neue Hoffnung auf bessere Zeiten gegeben haben dürfte.

Von Rudolf Worschech (epd)


Susann Hempel erhält Hörspielpreis der Kriegsblinden

Der diesjährige Hörspielpreis der Kriegsblinden geht an die Autorin Susann Maria Hempel. Ihr Radiostück "Auf der Suche nach den verlorenen Seelenatomen" für den Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) erzähle die Geschichte eines ehemaligen DDR-Häftlings, teilte die Film- und Medienstiftung NRW am 29. April in Düsseldorf mit. Die Auszeichnung, getragen von der Medienstiftung und dem Bund der Kriegsblinden, wird am 7. Mai im Deutschlandfunk in Köln verliehen.

Geschichte eines ehemaligen DDR-Häftlings

Hempel spricht in ihrem Beitrag mit einem Mann, der als vermeintlicher Republikflüchtling in der DDR inhaftiert wurde. Er erlitt einen schweren Schock und eine Amnesie. Die Autorin stelle die Frage nach der Seele und ihrer Zerbrechlichkeit, erklärte die Jury zur Begründung. So entstehe ein "emotional wie artistisch hochkomplexes, leises Stück".

Ebenfalls für den Preis nominiert waren das WDR-Hörspiel "Der Absprung" von Paul Plamper über Zerrissenheit und Lagerbildung in der ostdeutschen Kleinstadt "Leerstadt" sowie die Produktion "Die Toten von Feuerland" (NDR, mit Deutschlandfunk Kultur) von Ulrike Haage und Andreas Ammer. Die Autoren sind dem jungen Feuerländer "Jemmy Button" auf der Spur, dem Vorbild von Michael Endes Figur Jim Knopf.

Der Hörspielpreis der Kriegsblinden wird seit 1952 jährlich an ein Original-Hörspiel verliehen, das in herausragender Weise die Möglichkeiten der Kunstform realisiert und erweitert. Die nicht dotierte Auszeichnung gilt als einer der renommiertesten Kulturpreise in Deutschland. Sie wird vom Bund der Kriegsblinden gemeinsam mit der Film- und Medienstiftung NRW vergeben. Zur Jury unter dem Vorsitz von Gaby Hartel gehören fünf blinde Juroren und sieben Fachkritiker.



Kirchenmusiker Oskar Gottlieb Blarr wird 85

Der Düsseldorfer Komponist, Kirchenmusiker, Dirigent und Organist Oskar Gottlieb Blarr ist am 6. Mai 85 Jahre alt geworden. Aus dem Anlass wird seine neueste Komposition, die zweite Orgel-Sinfonie "Das Fanal", in der Neanderkirche uraufgeführt, wie der Kirchenkreis mitteilte. Zudem werden Werke von Johann Sebastian Bach, Olivier Messiaen und Odilo Klasen gespielt, Organist ist Martin Schmeding aus Leipzig.

Blarr war den Angaben zufolge von 1961 bis 1999 Kantor an der evangelischen Neanderkirche. Seine berufliche Laufbahn begann der aus Ostpreußen stammende Blarr 1952 mit dem Kirchenmusik-Studium an der Hochschule für Musik in Hannover. 1984 berief ihn die Düsseldorfer Robert-Schumann-Musikhochschule als Dozent für Instrumentation und ernannte ihn 1990 zum Honorarprofessor. Neben Oratorien, Orchesterwerken, Kammer- und Orgelmusik komponierte Blarr auch neue Geistliche Lieder und rief 1972 die Konzertreihe "3xNeu" ins Leben, die über 40 Jahre mit Konzerten in der Neanderkirche der Szene für zeitgenössische Musik in Düsseldorf einen Heimathafen bot. Auch die "Sommerlichen Orgelkonzerte" in der Neanderkirche gehen bis heute auf seine Initiative zurück.

Als eines der bekanntesten Werke Blarrs gilt das Weihnachtslied "In einer Höhle zu Bethlehem", das er mit dem von ihm gegründeten Chor der Neanderkirche 1978 im Advent im Brauhaus "der Uerige" erstmals aufführte. Ein Hauptwerk ist zudem bis heute die "Jesus-Passion", die auf dem Evangelischen Kirchentag 1985 in Düsseldorf uraufgeführt wurde.

Seine neueste Komposition, die Orgel-Sinfonie Nr. II "Das Fanal" habe Blarr dem ehemaligen evangelischen Pfarrer Oskar Brüsewitz gewidmet, hieß es. Mit seiner öffentlichen Selbstverbrennung 1976 auf dem Marktplatz im ostdeutschen Zeitz setzte Brüsewitz ein Zeichen und nahm Einfluss auf die Kirche und die spätere Opposition in der DDR.



Bonn feiert 200. Geburtstag der Komponistin Clara Schumann

Bonn feiert den 200. Geburtstag der Pianistin und Komponistin Clara Schumann mit zahlreichen Konzerten. Das diesjährige Schumannfest vom 1. bis 15. Juni mit 16 Veranstaltungen steht unter dem Motto "Geliebte Clara", wie die Stadt Bonn am 29. April ankündigte. Schirmherr ist Peter Limbourg, Intendant der Deutschen Welle.

Beim Liederabend zur Eröffnung am 1. Juni werden im Theater im Ballsaal Werke von Clara Schumann zu hören sein. Außerdem tragen der Bariton Arttu Kataja und die Pianistin Pauliina Tukiainen aus Finnland Lieder von Robert Schumann und Johannes Brahms vor.

Konzerte, Musical-, Theater- und Filmvorführungen

Den Anfang der Klavierabende macht am 3. Juni die lettische Pianistin Aurelia Shimkus. Das traditionelle Konzert zum Geburtstag von Robert Schumann spielt am 8. Juni im Schumannhaus die deutsche Pianistin Katharina Treutler mit Werken von Robert und Clara Schumann sowie Franz Schubert und Franz Liszt. Beim Jazzabend am 12. Juni geht es im Schumannhaus um Pianistinnen und Komponistinnen des Jazz. Eines der Hauptwerke von Clara Schumann, ihr Klaviertrio in g-Moll, interpretiert am 14. Juni im Theater im Ballsaal das britische Busch-Trio. Im Gremiensaal der Deutschen Welle findet am 15. Juni das Abschlusskonzert mit der deutsch-griechischen Pianistin Danae Dörken statt.

Hinzu kommen Musical-, Theater- und Filmvorführungen. Unter anderem bringen Schüler des Clara-Schumann-Gymnasiums das Musical "Clara" am 2. Juni auf die Bühne. An zwei Festival-Abenden, dem 6. und 7. Juni, zeigt das Fringe-Ensemble das Theaterstück "Clara" der Regisseurin Marlin de Haan. Einen Akzent zum 200. Geburtstag vom Clara Schumann setzt das auch Beethovenfest mit einem Sonderkonzert am 13. September im World Conference Center Bonn.

Clara Schumann wurde 1819 als Clara Wieck in Leipzig geboren und starb 1896 in Frankfurt am Main. Die Pianistin und Komponistin, die als Wunderkind am Klavier galt, lernte den Komponisten Robert Schumann als Klavierschüler ihres Vaters kennen. Im Alter von 16 Jahren begann Clara eine Liebesbeziehung zu Robert, der als Musikredakteur erfolgreich war, aber aufgrund einer Fingerlähmung seine Musikerkarriere abbrechen musste. Gegen den Widerstand des Vaters und mit juristischen Mitteln setzte das Paar 1840 seine Eheschließung durch. Clara brachte acht Kinder zur Welt. Mit ihren Konzertauftritten trug sie erheblich zum Familieneinkommen bei und machte die Kompositionen ihres Mannes bekannt.



"Ruhr-Ding" in vier Ruhrgebietsstädten gestartet

Urbane Künste Ruhr hat am 4. Mai das neue Ausstellungsformat "Ruhr Ding" gestartet. Unter dem Motto "Territorien" sind nach Angaben der Veranstalter bis zum 30. Juni 22 Kunstprojekte in Bochum, Dortmund, Essen und Oberhausen zu sehen. Die beteiligten Künstler beschäftigten sich mit der Bedeutung territorialer Festschreibungen für die Identitätsbildung, hieß es. Die meisten Arbeiten seien Neuproduktionen und speziell für die jeweiligen Ausstellungsorte entstanden.

Offiziell eröffnet wurde die erste Ausgabe von "Ruhr Ding" am 4. Mai am Colosseum am Westpark Bochum, wo eine Arbeit der Berliner Künstlerin Suse Weber zu sehen ist. Sie setzt sich den Angaben zufolge mit dem "Rennpferd des kleinen Mannes", der Taube, auseinander und nimmt in ihrer Installation Bezug auf die äußere Gestalt, aber auch auf die reale und metaphorische Bedeutung des Vogels. Das Essener Museum Folkwang beteiligt sich mit der Ausstellung "Inner and Outer Landscapes" mit Gemälden von Margot Bergmann an der Reihe.

Kunstevent am Fußballstadion in Oberhausen

Am Standort eines lokalen Fußballvereins in Oberhausen plant der schottische Künstler Roderick Buchanan ein dreiseitiges Fußballfeld, zum Rahmenprogramm gehören Turniere und zusätzliche Veranstaltungen im Vereinsheim. Der niederländische Fotograf Hans Eijkelboom zeigt in einem ehemaligen Möbelgeschäft in Essen eine Werkserie mit Aufnahmen von Paaren in Düsseldorf, Amsterdam und Mailand. Eine Wohnwagen-Installation des kenianischen Künstlers Sam Hopkins ist an der ehemaligen Hoesch-Zentrale in Dortmund zu sehen.

Zu dem Ausstellungsprojekt bietet Urbane Künste Ruhr verschiedene Führungen an. Neben Touren zu Fuß, die einzelne Kunstwerke im ortsspezifischen Kontext betrachten, gibt es Touren mit dem Rad zu verschiedenen Standorten innerhalb einer Stadt sowie Touren mit Rad und öffentlichem Nahverkehr, die zwei Städte miteinander verbinden.




Entwicklung

Qual der Wahl


Wahlplakat des ANC
epd-bild/Stefan Ehlert
Bei der Parlamentswahl am 8. Mai stecken die Südafrikaner im Dilemma. Wenn sie den regierenden ANC abstrafen, schwächen sie den reformfreudigen und beliebten Präsidenten Ramaphosa.

Justice Oupa sitzt an einer Straße des Bauernstädtchens White River im Osten Südafrikas und wartet, dass ihn jemand anheuert. Er hat Hunger. Gegenüber lockt ein Wimpy-Schnellimbiss, aber der 50-jährige Tagelöhner hat heute noch nichts verdient und daheim drei Kinder zu versorgen. "Ich bin seit fünf Jahren arbeitslos", berichtet er. Früher war er mal als Fahrer angestellt, auch als Fliesenleger. Dann kam die Krise. Nichts mehr. Ob man ihm etwas Geld geben könne, fragt er.

Wie viele Südafrikaner macht Oupa den seit 25 Jahren regierenden Afrikanischen Nationalkongress (ANC) für seine Misere verantwortlich. Und den vor einem Jahr aus dem Amt entfernten korrupten Ex-Präsidenten Jacob Zuma. Offiziell ist bald jeder Dritte im Land arbeitslos, unter den Jungen sind es mehr als 50 Prozent. Die Wirtschaft stockt, die Wachstumsrate beträgt nur 1,3 Prozent, Investoren zaudern. Dazu plagt Misswirtschaft die Bürger- ob es tödliche Wassermassen in Durban sind oder Wassermangel in Kapstadt. Strom wird regelmäßig rationiert, als befände sich Afrikas Powerhaus und Vorzeigedemokratie im Ausnahmezustand.

Denkzettel

Zum Feiern war Oupa nicht zumute, als an die ersten freien Wahlen vom in Südafrika vom 26. bis 29. April 1994 erinnert wurde. Er hat immer sein Kreuz beim ANC gemacht, der die Freiheit gegen die weißen Rassisten erkämpfte. "Aber diesmal wähle ich DA", sagt er. Der ANC hat aus seiner Sicht abgewirtschaftet und bei der Parlamentswahl am 8. Mai einen Denkzettel verdient. Warum wählt er ausgerechnet die Demokratische Allianz (DA), die den Ruf nicht los wird, eine Partei der Weißen zu sein? "Damit Investoren kommen, damit wir Jobs bekommen."

Obwohl Südafrika in Cyril Ramaphosa (66) einen beliebten und respektierten ANC-Politiker als Staatschef bekommen hat, bleiben viele Bürger unversöhnlich. "Letztlich wird es auf die Wahlbeteiligung ankommen und darauf, wie viele desillusionierte ANC-Anhänger zuhause bleiben", sagte Hanns Bühler von der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung in Kapstadt dem Evangelischer Pressedienst (epd).

2014 gewann der ANC noch 62 Prozent der Stimmen, gefolgt von der DA mit 22 Prozent und den neu gegründeten Wirtschaftlichen Freiheitskämpfern (EFF) des Linkspopulisten Julius Malema (6,3 Prozent). Umfragen sagen dem ANC weitere Verluste voraus. Ein Ergebnis unter 60 Prozent gilt als wahrscheinlich. Ein Viertel der Wahlberechtigten hat sich gar nicht registrieren lassen, mehr als neun Millionen Menschen, darunter sehr viele junge Leute. Am Ende können nur 27 Millionen Südafrikaner abstimmen, bei einer Gesamtbevölkerung von 57 Millionen.

"Ramaphosa braucht mehr Zeit"

Viele Experten sagen, es werde das letzte Mal zu einer absoluten Mehrheit für den ANC reichen. Die Wähler stehen vor einem Dilemma, sagt Bühler: "Strafen sie den ANC ab, schwächen sie gleichzeitig den reformfreudigen Ramaphosa." Der begann gleich nach Amtsantritt im Februar 2018, wichtige Posten in Staatsbetrieben und Institutionen mit seriösen Leuten zu besetzen. Darunter war der Stromversorger Eskom, die Steuerbehörde und die Generalstaatsanwaltschaft.

"Ramaphosa hat Erfolge vorzuweisen, aber er braucht mehr Zeit", bilanziert Mike Portier, der als Verbindungsmann der katholischen Kirche in Südafrika zum Parlament arbeitet. Zu viele Südafrikaner lebten in Armut, die soziale Kluft sei zu groß. Um das zu ändern, werde man um die umstrittene Enteignung und die Nutzung von Brachland oder verlassenen Minengebieten nicht herumkommen. Diese Debatte müsse sachlicher geführt werden, fordert er, nichts deute auf eine willkürliche Politik wie in Simbabwe hin.

Nach Jahren der Hoffnung sind viele Bürger nur noch enttäuscht von Politik und Staat. Vor Wahlen machen sie ihrem Unmut auch gewaltsam Luft. Spuren davon sind in Casteel zu sehen, auf dem Teer der Landstraße R40, 100 Kilometer nördlich von White River. Dort haben Barrikaden aus Autoreifen gebrannt. Auf dem Weg nach Casteel hat die EFF massiv plakatiert. "Our land & jobs now" ("Unser Land und Arbeit jetzt"). Damit fordert sie in aggressivem Ton entschädigungslose Enteignungen von Land und Betrieben und versucht so, Sympathien bei den Dörflern zu gewinnen. Offenbar vergebens. "Wir glauben hier gar keiner Partei mehr", sagte der 32-jährige Surprise Siwela, während rund 20 Gleichgesinnte um ihn herumstehen und nicken.

Von Stefan Ehlert (epd)


UN: Mehr als zehn Millionen Nordkoreaner leiden Hunger

In Nordkorea leiden nach Angaben der UN mehr als zehn Millionen Menschen Hunger. Die Versorgungskrise in dem abgeschotteten ostasiatischen Land sei durch die schlechteste Ernte seit zehn Jahren verschärft worden, teilte ein Sprecher des Welternährungsprogramms am 3. Mai in Genf mit.

Die Landwirtschaft sei durch Hitzewellen und Überschwemmungen stark beeinträchtigt worden, erklärte Sprecher Herve Verhoosel. Zudem mangele es im Agrarbereich an Treibstoff, Dünger und Ersatzteilen für Maschinen. Ohne auswärtige Hilfe würde der Lebensmittelmangel weitere Millionen Menschen bedrohen.

In Nordkorea leben mehr als 25 Millionen Menschen. Machthaber Kim Jong Un hatte in den vergangenen Jahren eine vorsichtige Öffnung der ineffizienten Planwirtschaft eingeleitet. Große Summen fließen allerdings in das Atomwaffenprogramm, welches erhebliche Spannungen mit Nordkoreas Nachbarn und den USA auslöste.



Erleichterung über Bewährungsstrafe für Pastor Chu

Mit Erleichterung haben Vertreter der evangelischen Kirche in Köln auf die Bewährungsstrafe für Pastor Chu Yiu Ming, einem führenden Vertreter der oppositionellen Regenschirmbewegung in Hongkong, reagiert. "Wir sind sehr erleichtert, dass Pastor Chu Yiu Ming nicht ins Gefängnis muss", sagte der Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Köln-Mitte, Pfarrer Rolf Domning, am 3. Mai in Köln. Ein Gericht in Hongkong hatte den Pastor zwar zu einer Haftstrafe von 16 Monaten verurteilt, diese aber zur Bewährung ausgesetzt.

"Wir standen das ganze Jahr mit Pastor Chu und seiner Mitarbeiterin in engem Kontakt", sagte Domning. "Der Richter hat in seiner Urteilsbegründung die weltweiten Solidaritätsbekundungen für Pastor Chu als Grund für die Aussetzung der Strafe zur Bewährung benannt." Das Engagement des Kirchenkreises habe offenbar geholfen, dass Chu nicht ins Gefängnis müsse.

Kirche in Köln beteiligt sich an Solidaritätsaktionen

Der Kirchenkreis hatte Chu Yiu Ming im Jahr 2016 für dessen Einsatz für Demokratie und Menschenrechte die Georg-Fritze-Gedächtnisgabe verliehen. Als einer von drei Führungspersönlichkeiten der Regenschirm-Bewegung war Chu seit Anfang April 2018 in drei Punkten angeklagt und musste mit einer hohen Haftstrafe rechnen. Dieses Strafmaß traf zwei ebenfalls angeklagte Mitgründer der gewaltfreien Widerstandsaktion "Occupy Central with Love and Peace" - Juraprofessor Benny Tai sowie den Soziologieprofessor Kin Man Chan.

"Wir sind mit unserer Partnerschaft mit der Kirche in Hongkong nah dran an den Fragen und Konflikten, die sich durch die unerbittliche Machtpolitik Chinas gegenüber Hongkong ergeben", erklärte Pfarrerin Bettina Kurbjeweit. "Der Kampf für das Recht auf freie Meinungsäußerung, Pressefreiheit und Menschenrechte fordert auch unsere Aufmerksamkeit und unser Engagement." Der Kirchenkreis Köln-Mitte werde sich deshalb weiterhin an Solidaritätsaktionen beteiligen.

Auch mehrere Menschenrechtsorganisationen hatten die Verurteilungen der oppositionellen Vertreter in Hongkong scharf kritisiert. Der Prozess und die Urteile sind auch aus ihrer Sicht ein Signal, dass die Freiheit der politischen Meinungsäußerung in Hongkong zunehmend eingeschränkt wird. Sie rufen, wie die Kirchen, zur Solidarität mit den Demonstranten in Hongkong auf.



Yeti-Spuren: Spott für Indiens Streitkräfte

Indiens Armee sorgt mit einem Yeti-Alarm für Spott. Der Tweet eines Fotos von einem mysteriösen Fußabdruck im östlichen Himalaya-Gebirge wurde in Indien mit Unglauben und Heiterkeit aufgenommen, wie die Zeitung "Hindustan Times" am 30. April berichtete. Der Yeti, ein wilder Schneemensch, der im Himalaya wohnen soll, zählt ähnlich wie das Loch-Ness-Monster zur modernen Folklore. Sichtungen des Fabelwesens haben sich allen Recherchen zufolge als falsch herausgestellt. Britische Forscher kamen 2013 zu dem Schluss, dass es sich bei dem Yeti vermutlich um eine Braunbären-Art handele.

Umso mehr sorgte die Erklärung des indischen Militärs für Erstaunen, in der es hieß, die indische Bergsteigerexpedition habe "erstmals den mysteriösen Fußabdruck des mysteriösen Yeti-Wesens" gesehen. Die veröffentlichen Fotos zeigten unbestimmte, aber recht große Fuß- oder Pfotenabdrücke im Schnee. Das Militär erklärte, die Fotos seien an "Experten" weitergegeben worden.

Die Aufnahmen waren im Makalu-Barun-Tal, einem abgelegene Gebiet an der chinesisch-nepalesischen Grenze entstanden. "Ist heute der 1. April?", fragte ein Twitter-Nutzer. "Das ist ziemlich aufregend. Erinnert mich an Tim und Struppi in Tibet", schrieb ein anderer. Weitere Personen wiesen auf den Zusammenhang zwischen der angeblichen Yeti-Spuren-Sichtung und der laufenden Parlamentswahl in Indien hin. "Hat jemand die nächste Wahllokale im Auge? Vielleicht ist es nur ein verantwortungsvoller Bürger?"



Die Populistin mit dem Heiligenschein


Ein Anhänger von Eva Peron hält ein Porträt von ihr (Archivbild).
epd-bild / Jürgen Vogt
Ihre Anhänger verehrten Eva Perón als Heilige, für ihre Gegner war sie eine geltungssüchtige Populistin. Der frühe Tod und das mysteriöse Verschwinden ihres Leichnams haben den Mythos befeuert. Vor 100 Jahren wurde "Santa Evita" geboren.

Ein Mädchen aus einfachen Verhältnissen steigt binnen weniger Jahre zur mächtigsten Frau Argentiniens auf. Eine mittelmäßige Schauspielerin, kaum gebildet, unsicher im Auftreten, wandelt sich zur umjubelten Lichtgestalt: Eva Péron, Frau des argentinischen Präsidenten Juan Domingo Perón. Aufopferungsvoll setzt sie sich für die Armen ein, agiert als politische Strippenzieherin und setzt zugleich Maßstäbe bei Mode und Stil.

Vor 100 Jahren, am 7. Mai 1919, wird die spätere Präsidentengattin in dem Örtchen Los Toldos geboren. Das unehelich geborene Kind wächst unter schwierigen Umständen auf, Magazine und Kinofilme lassen sie von Glamour und einer Schauspielkarriere träumen.

Sie ist 15, als sie aus der Provinz in die Hauptstadt Buenos Aires flieht. Dort ergattert sie kleine Theater- und Filmrollen, wird Sprecherin von Radio-Hörspielen, erscheint auf dem Cover einer Frauenzeitschrift - und erkämpft sich so die Bekanntheit eines B-Promis. "Ihre Hartnäckigkeit war offenbar größer als ihr Talent", schreibt die Lateinamerikanistin Ursula Prutsch in ihrer Biografie "Eva Perón - Leben und Sterben einer Legende".

Autokratischer Wohlfahrtsstaat

Eva Duarte, wie sie damals noch hieß, sucht die Nähe zu Einflussreichen und Mächtigen. Den Oberst Juan Domingo Perón, der sich mit anderen Offizieren 1943 an die Macht geputscht hat und Staatssekretär für Arbeit ist, lernt sie bei einer Spendengala kennen. Sie werden ein Paar, zunächst heimlich - und der ambitionierte Oberst fördert fortan ihre Karriere: Sie wird unter anderem Sprecherin von Propaganda-Radiosendungen des Arbeitsministeriums.

Das politische Programm Peróns, der aufmerksam den italienischen Faschismus beobachtet hat, zielt darauf ab, mit Hilfe großzügiger Sozialprogramme die Unterstützung der Arbeiterschaft zu gewinnen. Er sucht einen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus, plant einen autokratischen Wohlfahrtsstaat.

1945 geht Perón aus Machtkämpfen, die seinen Aufstieg fast jäh beendet hätten, gestärkt hervor, weil er die Massen der Industrie- und Landarbeiter für sich mobilisieren kann. Kurz darauf heiratet der Oberst Eva Duarte, die sich nun der Karriere ihres Mannes widmet. Sie unterstützt ihn im Präsidentschaftswahlkampf 1946, den er gewinnt. "Zum System Perón gehört der Populismus, die direkte Nähe des Führers zum Volk", schreibt Biografin Ursula Prutsch. Und Eva Péron - im Volksmund: Evita - kämpft mit fulminanten Reden für ihren Mann. "Sie war die Vermittlerin zwischen dem Führer und dem Volk."

Sie tritt für die armen "Hemdlosen" (Decamisados) ein, wettert gegen Oberschicht und Bildungsbürgertum. Diese Rhetorik der Polarisierung gilt als zentrales Element ihres Populismus. Sie hält ihre eigene Herkunft hoch, um ihre Nähe zum Volk zu demonstrieren - während sie gleichzeitig edle Kleider und teuren Schmuck zur Schau stellt, die sie zur Mode-Ikone machen. Ihre Gegner verdammen sie als vulgär und geltungssüchtig.

"Volksheilige"

Den Mythos einer "Volksheiligen" begründet sie vor allem mit ihrer Stiftung, die sie 1948 ins Leben ruft. Dort empfängt sie Bedürftige, erfüllt materielle Wünsche. Vor allem präsentiert sie sich nahbar, umarmt die Kranken und Leidenden. "Evita zu berühren war für viele Menschen wie den Himmel zu berühren", schreibt der Autor Tomas Eloy Martínez in seinem biografischen Roman "Santa Evita". Für alleinerziehende Mütter setzt sich die Stiftung besonders ein.

Weil der Peronismus unter der weiblichen Bevölkerung besonders viel Rückhalt hat, führt die Regierung das Frauenwahlrecht ein, das Perón 1951 die Wiederwahl sichert. Ihre Anhänger drängen Evita zur Kandidatur für das Vizepräsidentenamt, doch sie lehnt ab. Inzwischen ist sie an Gebärmutterhalskrebs erkrankt. "Ich verzichte nicht auf den Kampf und die Mühen, sondern auf die Ehre", verkündete sie in einer emotionalen Radioansprache.

Ihr früher Tod ist ein zentrales Element der Mythenbildung, wie auch Thomás Eloy Martínez beschreibt. Zwischen Mai und Juli 1952 zog sich ihr Sterben öffentlich als nationale Tragödie hin. "Viele Menschen glaubten, die Vorboten der Apokalpyse zu erkennen", heißt es im Roman "Santa Evita". Nach ihrem Tod mit 33 Jahren wird sie einbalsamiert und aufgebahrt im Haus des Gewerkschaftsbundes CGT - dort soll der Leichnam bleiben, bis ein monumentales Mausoleum gebaut worden ist.

Dazu kommt es jedoch nicht mehr. 1955 wird Perón gestürzt. Die neuen militärischen Machthaber lassen Evitas Leiche verschwinden und in Italien unter falschem Namen bestatten. Jahrelang wissen nur wenige Eingeweihte, wo die sterblichen Überreste geblieben sind. Erst 1974 kommt die einbalsamierte Evita nach Argentinien zurück, auf Druck militanter Peronisten.

"Don't cry for me Argentina"

Zur globalen Pop-Ikone wird sie rund ein Vierteljahrhundert nach ihrem Tod: Das Musical "Evita" von Andrew Lloyd Webber und Tim Rice liefert 1978 den Soundtrack zur Mythenbildung: "Don't cry for me Argentina". Das Werk gilt aber zugleich als kritisch, weil es das Wirken der Autokratengattin in erster Linie als kalkulierte Polit-Show darstellt. Mit Madonna in der Hauptrolle wird "Evita" 1996 verfilmt.

Eva Perón habe für ein starkes Wir-Gefühl gestanden, das Feindbilder sucht und findet, urteilt Ursula Prutsch. Die Biografin sieht Evita, die bis heute die Argentinier polarisiert, nicht als reine Selbstdarstellerin, der das Politische nur als Vorwand für die eigene Inszenierung diente: "Dass sie tatsächlich das Elend beseitigen und den Unterschichten materiellen Aufstieg ermöglichen wollte, ist ihr - und Juan Perón - durchaus zuzugestehen."

Stefan Fuhr (epd)



Ausland

Trump verurteilt Antisemitismus


Donald Trump
epd-bild/Cristian Gennari/Agenzia Romano Siciliani
In den USA wurde der alljährliche Nationale Gebetstag begangen. Dabei dankte die Fernsehpredigerin Paula White Gott für Donald Trump und betete, dass "dämonische" Kräfte zerschlagen würden.

In Gegenwart des bei dem Anschlag auf die Chabad-Synagoge in Kalifornien verwundeten Rabbiners hat US-Präsident Donald Trump den Nationalen Gebetstag begangen. Er verurteilte Antisemitismus und "alle Formen des Hasses". Seine Regierung verteidige Religionsfreiheit für Menschen aller Glaubensrichtungen. In Amerika spreche man wieder offen über Gott, sagte der Präsident am 2. Mai im Weißen Haus in Washington, und an Weihnachten wünsche man sich "Merry Christmas" und nicht frohe Feiertage.

Der Nationale Gebetstag wurde 1952 eingeführt. Per Kongressbeschluss findet er jedes Jahr am ersten Donnerstag im Mai statt. In seiner Proklamation zum diesjährigen Gebetstag hatte Trump Gläubige aufgerufen, Gott um Führung zu bitten "und Dankbarkeit auszudrücken für die Liebe und Gnade", die Amerika erfahren habe.

Bei der Veranstaltung sagte Yisroel Goldstein, der Rabbiner der am 27. April überfallenen Synagoge im kalifornischen Poway, Trump habe seinen Prozess der Heilung eingeleitet. Bei dem Angriff war eine 60-jährige Frau erschossen worden. Der mutmaßliche Täter wurde festgenommen.

Evangelikal geprägt

Im Fernsehsender MSNBC sagte Goldstein, Trump habe ihn nach dem Anschlag angerufen. Der Präsident habe wie ein Freund mit ihm gesprochen. Zum Thema Antisemitismus habe Trump gesagt, sein Schwiegersohn Jared Kushner und seine Tochter Ivanka Trump seien jüdisch. Er liebe Israel und werde alles tun, die jüdische Bevölkerung zu schützen.

Die Veranstaltung im Weißen Haus war evangelikal geprägt. Es nahmen keine führenden Vertreter der "Mainline" protestantischer Kirchen und der römisch-katholischen Kirche teil. Die Fernsehpredigerin Paula White dankte Gott für Donald Trump und betete, dass "dämonische" Kräfte zerschlagen würden. Eine "Hecke des Schutzes" solle den Präsidenten umgeben.

Trump gab zum Gebetstag bekannt, dass das Gesundheitsministerium neue Vorschriften erlassen habe, um Ärzte, Pflegepersonal und Apotheker zu schützen, die aus Glaubensgründen nicht an bestimmten medizinischen Eingriffen teilnehmen wollen, darunter Schwangerschaftsabbruch und Sterilisation.



Auszeichnung für Seenotretter der "Iuventa"

Die Crew des Seenotrettungsschiffs "Iuventa" wird am 10. Mai im schweizerischen St. Gallen mit dem Menschenrechtspreis der Paul Grüninger Stiftung ausgezeichnet. Die mit 50.000 Schweizer Franken (knapp 44.000 Euro) dotierte Auszeichnung erhalten die zehn Crewmitglieder für die Rettung von mehr als 14.000 Menschen aus Seenot im Mittelmeer, wie Stiftung und Rettungsinitiative am 6. Mai in Berlin mitteilten. Damit solle ein Zeichen gegen die Kriminalisierung von Fluchthilfe gesetzt werden.

Gegen die zehn freiwilligen Seenotretter - auch "Iuventa10" genannt - ermittelt die italienische Staatsanwaltschaft in Trapani wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung. Ihr Schiff "Iuventa" wurde nach rund einem Jahr im Einsatz am 2. August 2017 im Hafen von Lampedusa beschlagnahmt.

In der Begründung des Stiftungsrates zur Preisverleihung heißt es, die jungen Crew-Mitglieder wirkten mit ihrem Einsatz "dem humanitären Versagen der europäischen Politik entgegen". Sie hätten damit auch anderen Menschen in Europa Mut gemacht, "nicht in der Ohnmacht zu verharren". Das Preisgeld soll auch ein Beitrag zu den Prozesskosten sein, die in der ersten Instanz auf mindestens 500.000 Euro geschätzt werden.

Die Paul Grüninger Stiftung erinnert an den ehemaligen Kommandanten der Kantonspolizei St. Gallen und Flüchtlingsretter Paul Grüninger (1891-1972). Er rettete den Angaben zufolge in den Jahren 1938 und 39 mehrere hundert jüdische und andere Flüchtlinge vor der nationalsozialistischen Verfolgung und Vernichtung. Trotz schweizerischer Grenzsperre habe er sie in St. Gallen aufgenommen unter Missachtung von Anweisungen und Gesetzen. Grüninger wurde 1939 deshalb fristlos entlassen und wegen Amtspflichtverletzung und Urkundenfälschung verurteilt. Er wurde erst nach seinem Tod rehabilitiert.



Papst besucht Bulgarien und Nordmazedonien

Papst Franziskus ist am 5. Mai zum Auftakt einer dreitägigen Balkanreise in Bulgarien eingetroffen. Im Mittelpunkt seiner 29. Auslandsreise stehen das angespannte Verhältnis zur bulgarisch-orthodoxen Kirche, ein Besuch in einem Flüchtlingslager in Sofia an der derzeit geschlossenen Balkanroute sowie eine Visite im Gedenkhaus für Mutter Teresa von Kalkutta in der nordmazedonischen Hauptstadt Skopje.

Bei einer Begegnung mit Vertretern von Regierung und Zivilgesellschaft beklagte der Papst in dem als ärmstes EU-Mitglied geltenden Bulgarien ein "Drama der Auswanderung". Vor dem Hintergrund, dass das Land seit dem Zerfall des Ostblocks mit zwei Millionen Menschen fast ein Viertel seiner Bewohner verlor, sprach er von "Entvölkerung und Verlassenheit vieler Dörfer und Städte". Angesichts der Flüchtlingsroute über den Balkan betonte er, die Bewohner des Transitlandes sollten ihre Herzen "nicht vor denen verschließen, die an Ihre Türen klopfen".

"Brücke zwischen Ost und West"

Das Kirchenoberhaupt nannte Bulgarien zum Auftakt seiner Balkanreise eine "Brücke zwischen Ost und West". Franziskus äußerte die Hoffnung, dass das seit 2007 zur EU gehörende Land stabile Beziehungen zu den Regionalmächten Russland und Türkei unterhalte. Er ermutige überdies dazu, die ethnische Vielfalt des Balkans nicht als Grund für Konflikte sondern als Reichtum zu sehen.

Der bulgarisch-orthodoxe Patriarchen Neofit bereitete dem Papst anschließend einen kühlen Empfang. Während Franziskus die Spaltung der Christen als schmerzhafte Verletzung bezeichnete und Versöhnung forderte, sprach Neofit von gegenseitigem Respekt. Er bemühe sich, eine "Kirche zu bewahren, die makellos, ohne Flecken oder Falten ist". Dafür sei es wichtig, "keine Kompromisse mit dem Glauben" zuzulassen. Bei einem Besuch der orthodoxen Alexander-Nevskij-Kathedrale durfte der Papst anschließend am Altar der Heiligen Kyrill und Method lediglich allein und ohne ein Wort zu sagen beten.

"Pacem in terris"

Der Heilige Synod hatte vor der Papstreise betont, dass dazu allein der Staatspräsident und die katholische Kirche des Landes eingeladen hätten. Gemeinsame Gebete und ökumenische Gottesdienste seien durch heilige Gesetze verboten. Ein Friedenstreffen am 6. Mai mit Vertretern anderer Konfessionen war vor diesem Hintergrund nicht als ökumenische Veranstaltung geplant.

Das Motto der Reise "Pacem in terris" ("Friede auf Erden") ist dem Titel einer Enzyklika von Papst Johannes XXIII. (1881-1963) entlehnt. Dieser verbrachte vor seiner Wahl zum Kirchenoberhaupt zehn Jahre als päpstlicher Diplomat in Bulgarien.

Nach zwei katholischen Gottesdiensten wollte Franziskus am 7. Mai weiter nach Nordmazedonien reisen. Dort ist neben dem Gedenken am Geburtsort von Mutter Teresa auch ein interreligiöses Friedenstreffen mit Jugendlichen vorgesehen.



Franziskus warnt Friseure und Kosmetikerinnen vor Klatschsucht

Papst Franziskus hat Friseure und Kosmetikerinnen am 29. April bei einer Audienz für Vertreter der beiden Berufsgruppen vor Klatsch und Tratsch gewarnt. An ihrem traditionellen Ruhetag rief er sie Vatikanangaben zufolge auf, sich an ihrem 1966 von seinem Vorgänger Paul VI. heiliggesprochenen Schutzpatron Martino de Porres (1579-1639) ein Beispiel zu nehmen, indem sie Kunden "mit Freundlichkeit und Höflichkeit" begegneten. Dabei müssten sie der Versuchung des Klatsches widerstehen, mahnte das Kirchenoberhaupt bei der Audienz in der Sala Clementina des Apostolischen Palasts.

Bei der Begegnung mit den Friseuren und Kosmetikerinnen erinnerte der Papst daran, dass ihr Schutzheiliger im Dominikanerorden nach den damals geltenden Regeln nur als Laienbruder Mitglied werden konnte, da er Mestize gewesen sei. Dennoch habe der Peruaner seine in einer Apotheke sowie bei einem Friseur und Chirurgen erworbenen Kenntnisse aufopferungsvoll Armen und Kranken zugute kommen lassen.