Köln (epd). Als Konsequenz aus dem Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche fordert der emeritierte Kurienkardinal Walter Kasper die Einführung innerkirchlicher Verwaltungsgerichte. "Wir brauchen dringend kirchliche Verwaltungsgerichte als Instanzen, bei denen man Beschwerde einlegen kann", sagte Kasper dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (1. Mai). Damit widersprach er dem früheren Präfekten der Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, der erklärt hatte, dass Laien nicht über Bischöfe urteilen können, sondern nur der Papst. "Das sehe ich anders. Es geht ja nicht um ein Urteil über Personen, sondern über deren Entscheidungen", betonte Kasper.
Ein Verwaltungsgericht mache selbst keine Gesetze, sondern überprüfe nur die Einhaltung der vorhandenen, in diesem Fall die Regeln der Kirche, sagte Kaper weiter. "Von einem Bischof zu verlangen, dass er seine eigenen Gesetze oder die Gesetze Roms einhält, ist weder unbillig, noch schränkt es den Bischof ungebührlich ein." Es würde seine Autorität im theologischen Sinne stärken, zu mehr Transparenz und Glaubwürdigkeit beitragen. "Wenn wir zu Recht über arroganten, selbstverliebten Klerikalismus und Machtmissbrauch in der Kirche klagen, dann müssen wir doch auch sehen, welche Formen von Machtbegrenzung und Machtkontrolle sich anderswo bewährt haben, etwa in demokratischen Gemeinwesen", erklärte der Kardinal.
Im Streit über die Ursachen des sexuellen Missbrauchs von Kindern in der katholischen Kirche widersprach Kasper auch dem emeritierten Papst Benedikt XVI., der in einem im April veröffentlichten Aufsatz die sexuelle Revolution der 68er-Ära dafür verantwortlich gemacht hatte. "Solche Schuldzuweisungen helfen nicht weiter", sagte Kasper. Es stimme schon, dass im Zuge der 68 manches an Normen und Strukturen zusammengebrochen sei. "Aber nicht allem muss man nachtrauern, und es ist ja auch viel Neues, Gutes aufgebrochen. Joseph Ratzingers bzw. Benedikts XVI. Sicht auf 68 rührt - soweit ich sehe - von eigenen schlechten Erfahrungen in jener Zeit her", erklärte Kasper.
Eine im vergangenen Jahr vorgestellte Studie der katholischen Kirche über Missbrauch durch Priester und Diakone hatte ergeben, dass kirchliche Mitarbeiter nach Missbrauchs- oder Verdachtsfällen oft in andere Gemeinden versetzt und keine weiteren Konsequenzen gezogen wurden. Laut der Missbrauchsstudie, die von den deutschen Bischöfen beauftragt wurde, wurden zwischen 1946 und 2014 insgesamt 3.677 Kinder und Jugendliche Opfer sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche. Es fanden sich Hinweise auf 1.670 beschuldigte Kleriker.