Weniger Kirchenmitglieder, das bedeutet nicht automatisch weniger gesellschaftliche Relevanz - das sagt der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, angesichts der frappierenden Zahlen, nach denen die Kirchen bis 2060 rund die Hälfte ihrer Mitglieder verlieren könnte. "Die christlichen Kirchen bleiben weiterhin die größte nicht-staatliche Organisation in Deutschland", sagte Bedford-Strohm am 2. Mai in Brüssel auf Anfrage dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Und ich bin sehr sicher, dass die Kirche gerade in Zeiten, in denen Orientierung mehr denn je gefragt ist, Gehör finden wird."

Weniger Mitglieder bedeuten auch weniger Kirchensteuern, und vor allem finanziell wird sich der Mitgliederschwund drastisch auswirken. Im Jahr 2017 erhielten die Kirchen rund zwölf Milliarden Euro Kirchensteuer. Zwar soll das Kirchensteueraufkommen im Jahr 2060 weiterhin bei rund zwölf Milliarden Euro liegen, doch kaufkraftbereinigt könnten sich die Kirchen davon in 40 Jahren nur die Hälfte des Bisherigen leisten.

"Es ist fünf vor zwölf"

Das Forschungszentrum Generationenverträge der Freiburger Universität hat für die katholische Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) eine Prognose dazu erstellt, wie sich die Zahl der Mitglieder und die Höhe des Kirchensteueraufkommens in den kommenden 40 Jahren verändern werden. Während im Jahr 2017 noch mehr als jeder Zweite einer der beiden großen christlichen Kirchen angehörte, wird es im Jahr 2060 voraussichtlich nur höchstens jeder Dritte sein, legt man die Bevölkerungsprognose des Statistischen Bundesamts zugrunde. Die Zahl der Mitglieder könnte von 44,8 Millionen im Jahr 2017 auf 22,7 Millionen Menschen im Jahr 2060 sinken. Die Prognose basiert auf der demografischen Entwicklung und der Annahme, dass sich die Trends bei Taufen sowie Ein- und Austritten fortsetzen.

Dass die Kirchen trotz Halbierung der Mitgliederzahlen auch im Jahr 2060 mit rund zwölf Milliarden Euro Kirchensteuer rechnen können, ist laut den Forschern hauptsächlich durch steigende Löhne und Gehälter in den kommenden Jahrzehnten zu erklären. Damit sich die Kirchen von ihren Steuereinnahmen im Jahr 2060 den gleichen "kirchlichen Warenkorb" leisten könnten wie 2017, bräuchten sie jedoch Kirchensteuereinnahmen in Höhe von knapp 25 Milliarden Euro, heißt es in der Studie.

Für die Finanzgremien beider Kirchen ist die Studie ein Weckruf. "Ansporn statt Entsetzen" - so fasste der Finanz-Chef des katholischen Erzbistums Berlin, Bernd Jünemann, seine Reaktion auf die Ergebnisse zusammen. Die zentrale Botschaft sei, dass beide Kirchen die Entwicklung noch beeinflussen könnten. EKD-Ratsmitglied und Finanzexperte, Andreas Barner, sagte: "Es ist fünf vor zwölf. Wir müssen jetzt handeln."

"Aufruf zur Mission"

Die Forscher liefern den Kirchen Anregungen zum Handeln: Der Mitgliederverlust lasse sich nicht allein auf den zweifellos unumkehrbaren demografischen Wandel zurückführen. Es fehle der Kirche an gläubigem Nachwuchs, weil mehr Menschen aus der Kirche austreten und zugleich immer weniger Kinder getauft werden. Der Leiter der Studie, Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen, spricht von einer schwindenden Bindungskraft der Institution Kirche. Er rät den Kirchen, gezielt nach Möglichkeiten zu suchen, wie sie das Tauf- und Austrittsverhalten der Gläubigen beeinflussen können. Für den Vorsitzenden der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, ist die Studie daher auch ein "Aufruf zur Mission".

Viele der 20 Landeskirchen der EKD haben nach Auskunft des Ratsvorsitzenden Bedford-Strohm bereits mit einem Reformprozess begonnen. Die Rheinische Landeskirche etwa investiert zwölf Millionen Euro in ein Förderprogramm für innovative Initiativen in den 687 rheinischen Gemeinden. Diese Reformprozesse müssten in den kommenden Jahren stärker vernetzt werden. "Gerade bei jungen Erwachsenen und im Feld der digitalen Kommunikation mit unseren Mitgliedern können wir noch viel besser werden", sagte er. "Manches am Rückgang an Kirchenmitgliedern werden wir nicht ändern können. Anderes aber schon."