Leipzig/Bielefeld (epd). Zehntausende Gewerkschafter haben am 1. Mai für faire Löhne, Demokratie und Toleranz demonstriert. Bundesweit hätten sich rund 382.000 Menschen an den Veranstaltungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) beteiligt, erklärte der DGB am 1. Mai. Das Motto lautete "Europa. Jetzt aber richtig!". Auf der zentralen Kundgebung in Leipzig forderte DGB-Chef Reiner Hoffmann ein "starkes, solidarisches Europa" und rief zu den Europawahlen am 26. Mai auf.
DGB-Chef mahnt Angleichung in Ostdeutschland an
Hoffmann mahnte auch gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost- und Westdeutschland an. Viele Menschen hätten den Eindruck, "die deutsche Einheit ist auch 30 Jahre nach der friedlichen Revolution noch nicht vollendet", sagte er. Ostdeutsche Arbeitnehmer müssten bei gleicher Leistung "immer noch länger schuften". Zugleich bedauerte Hoffmann, dass der Ruf von 1989 "Wir sind das Volk!" heute von Menschen skandiert werde, die nationale Abschottung und gesellschaftliche Spaltung wollten.
Laut Hoffmann sind nur 44 Prozent der Beschäftigten in Ostdeutschland nach Tariflöhnen beschäftigt. Aber auch in den alten Bundesländern seien es mit 57 Prozent der Beschäftigten, die in Unternehmen mit Tarifverträgen arbeiten, zu wenige. Der DGB-Chef forderte, öffentliche Fördergelder und Investitionshilfen nur noch an Firmen zu vergeben, die Tariflöhne zahlen.
Bsirske ruft zur Verteidigung der Tarifbindung auf
Auch Ver.di-Chef Frank Bsirske rief zur Verteidigung der Tarifbindung auf. "Tarifverträge schützen und ermöglichen bessere Arbeits- und Entlohnungsbedingungen", sagte er in Hamburg. Wie Hoffmann rief auch Bsirske zur Teilnahme an der Europawahl auf und wandte sich gegen ein "Zurück in nationale Beschränktheit". Klimawandel, Flüchtlingsbewegungen, Finanzkrisen, Terrorismus und internationale Handelskonflikte erforderten ein Mehr an Miteinander, sagte Bsirske und warnte: "Die AfD ist eine deutsche Brexitpartei."
In Berlin erklärte der stellvertretende Ver.di-Vorsitzende Frank Werneke, dass die Gewerkschaften für eine solidarische, vielfältige und gerechte Gesellschaft kämpften: "Deshalb akzeptieren wir nicht, dass Rassismus und rechtsextremes Gedankengut wieder an Boden gewinnen", sagte er.
71.000 Menschen nahmen an Kundgebungen in NRW
Soziale Spaltung ist aus Sicht der IG Metall die Ursache für den Aufstieg von Nationalisten und Rechtspopulisten in Europa. "Europa muss sozialer werden. In vielen Ländern ist ein Großteil der Jugendlichen arbeitslos, jedem fünften Bürger in der EU geht es materiell schlecht", sagte Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall, in Bremen. Bei den mittleren Jahrgängen sei die Skepsis gegenüber Europa besonders ausgeprägt. Sie erführen die EU zu oft als Bedrohung für Arbeitsplätze.
In Nordrhein-Westfalen beteiligten sich laut DGB Landesverband 71.000 Menschen an 72 Veranstaltungen der Gewerkschaften. Bei der zentralen DGB-Kundgebung in Bielefeld rief NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) zu mehr Unterstützung für die Idee der europäischen Einigung auf. Europa sei kein Selbstläufer, sagte Laschet. Die Bürgerinnen und Bürger sollten "wachsam sein und aufpassen, dass die Europafeinde nicht die Oberhand gewinnen". Die DGB-Landesvorsitzende Anja Weber bezeichnete die Europäische Union als "einzigartiges Friedensprojekt". "Wir brauchen ein starkes und soziales Europa, das gute Arbeit, faire Löhne und ein hohes soziales Schutzniveau stärker als zuvor in den Mittelpunkt stellt." Wer den Weg des nationalistischen Alleingangs einschlage, riskiere Frieden und Wohlstand, warnte Weber.
Kritik an Bundesratsinitiative für ein flexibleres Arbeitszeitrecht
Die DGB-Landesvorsitzende forderte von der schwarz-gelben Landesregierung, mehr im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu handeln, indem sie etwa die Tarifbindung stärkt. "Denn sie ist das A und O für gute Arbeitsbedingungen und faire Löhne." Sie kritisierte zudem erneut die Bundesratsinitiative der NRW-Landesregierung für ein flexibleres Arbeitszeitrecht. "Wir brauchen weniger Stress und Druck im System, nicht mehr!", betonte sie. Schon jetzt machten Überstunden und ständige Erreichbarkeit immer mehr Beschäftigte krank. Mit Blick auf die Bundesregierung lobte Weber den Vorstoß von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) für eine Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung.
Die SPD-Parteivorsitzende Andrea Nahles mahnte eine gerechtere Steuerpolitik an. "Es kann doch nicht sein, dass jeder Imbissbuden-Betreiber hier brav seine Steuern zahlt, Internet-Giganten wie Google und Facebook sich aber einen schlanken Fuß machen", kritisierte sie in ihrer Rede in Recklinghausen. Hier müsse gelten: "Wer in Europa Geschäfte machen will, muss hier auch Steuern zahlen und wer keine Steuern zahlt, der darf hier auch keine Geschäfte machen."
SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil forderte bessere Arbeitsbedingungen für Paketzusteller. "Wir profitieren von der Digitalisierung, der Online-Handel boomt, aber wir brauchen auch klare Regeln", sagte er in Bergkamen. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) müsse seine Blockade gegenüber einem Paketzusteller-Gesetz aufgeben. Ein Gesetzentwurf von Arbeitsminister Heil sieht vor, große Paketdienste dazu zu verpflichten, Sozialabgaben für ihre Subunternehmer nachzuzahlen, wenn diese beim Mindestlohn betrügen.
Auch NRW-Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) räumte ein, dass es soziale Schieflagen in Europa gebe, die "beseitigt werden müssen". Die Schaffung einer Europäischen Arbeitsbehörde könnte "ein Schritt in die richtige Richtung sein, wenn sich mehr dahinter verbirgt als zusätzliche Bürokratie“, sagte er laut Redetext in Mönchengladbach.