Berlin (epd). Der frischgebackene Präsident der Deutschen Filmakademie, der Schauspieler Ulrich Matthes, machte eine gute Figur. Es ist nicht leicht, in die Fußstapfen von Iris Berben zu treten, die dieses Amt erfolgreiche neun Jahre innehatte. Matthes beeindruckte bei der Verleihung der Lolas im Palais am Funkturm in Berlin am 3. Mai durch eine programmatische Rede. Darin trat er nicht nur für die gebeutelten Kinos als "Orte kultureller Bildung" ein und sprach sich für den europäischen Gedanken aus. Sondern er schrieb auch seinen kreativen Kolleginnen und Kollegen ins Gebetbuch: "Werdet noch politischer, noch tollkühner!" - ohne ein mögliches Publikum aus den Augen zu verlieren, wie er dann noch hinzufügte.
Auch wenn Matthes die Varianz der von der Deutschen Filmakademie ausgewählten Filme betonte: Ein solcher Aufruf ist auch bitter nötig. Denn die Auswahl der Deutschen Filmakademie, die in einem mehrstufigen Prozess geschieht, wirkte in diesem Jahr dann doch eher gefällig. Für den besten Film nominiert waren sechs Filme, und schon diese Nominierung bringt eine Summe von 250.000 Euro. Diese gehört allerdings den Produzenten und ist für den nächsten Film zu verwenden.
Kein ästhetisches Wagnis
In "Gundermann" erzählt Andreas Dresen die Biografie des Musikers Gerhard Gundermann, der als kritischer Kommunist für die Stasi arbeitete. "Der Junge muss an die frische Luft" ist die Verfilmung des autobiografischen Romans von Hape Kerkeling, "Das schönste Mädchen der Welt" von Aron Lehmann eine intelligente unter Jugendliche verlegte Cyrano-de-Bergerac-Variante von Aron Lehmann. In "Styx" konfrontiert Wolfgang Fischer seine segelnde Heldin mit einem Flüchtlingsschiff, und in "25km/h" von Marcus Goller suchen zwei Brüder mit ihren Mopeds in einem Roadmovie gewissermaßen sich selbst. Der mutigste Film in dieser Auswahl war sicherlich "Transit" von Christian Petzold, der den unter Flüchtenden während des Zweiten Weltkriegs spielenden Roman von Anna Seghers in das Marseille von heute verlegte. Am Ende ging dieser Film leer aus.
Denn, um einmal einen Fußballspruch abzuwandeln: Viele Filme laufen den Lolas hinterher, am Ende gewinnt "Gundermann". Sechs Trophäen konnte Dresens Film auf sich ziehen - für zehn war er nominiert -, darunter die in den Königskategorien bester Spielfilm (Lola in Gold), beste Regie (Andreas Dresen) und bestes Drehbuch (Laila Stieler). Sicher, "Gundermann" war der herausragende Film des vergangenen Jahres, vielschichtig erzählt, mit einer ambivalenten Hauptfigur, ein Film, in dem Gutes und Böses nicht ganz eindeutig sind. Man gönnt auch dem großartigen Alexander Scheer, der den Sänger kongenial und lebensecht verkörpert, die Lola als bester Hauptdarsteller. Und mit seinem Wende-Thema ist "Gundermann" auch der richtige Film in diesem Jahr, wenn Deutschland 30 Jahre Mauerfall feiert. Aber ein ästhetisches Wagnis ist dieses Film sicher nicht.
Lolas für "Styx"
"Seid neugierig auf Ungewohntes", sagte Matthes in seiner Rede zu Beginn der mit fast vier Stunden überlangen Zeremonie, durch die die Schauspielerin Désirée Nosbusch souverän und der Comedian Tedros Teclebrhan etwas zu selbstbezogen führten. Das Ungewohnte hat die Filmakademie, deren 2.000 Mitglieder am Ende des Nominierungsprozesses über die Filme und in den Kategorien abstimmen, gar nicht erst zugelassen. Ulrich Köhlers spröder Postapokalypse-Film "In My Room", immerhin in Cannes gelaufen (wann schafft das ein deutscher Film schon mal?), kam nicht einmal in den Nominierungsprozess. Das gleiche gilt für Jan Bonnys radikale Neonazi-Dreiecks-Geschichte "Wintermärchen", die im vergangenen Jahr beim Filmfestival Locarno Premiere hatte und dort für Aufregung sorgte.
Vier Lolas gewann auch "Styx", darunter die Auszeichnung in Silber für den besten Film. Und die Macher von "Der Junge muss an die frische Luft" gingen mit drei Trophäen nach Hause, darunter die für den besucherstärksten deutschen Film: Die Kerkeling-Adaption war mit 3,6 Millionen Besuchern der Überraschungserfolg der vergangenen Monate - und ein Film, der der 2018 gebeutelten Filmwirtschaft wieder neue Hoffnung auf bessere Zeiten gegeben haben dürfte.