Johannesburg (epd). Justice Oupa sitzt an einer Straße des Bauernstädtchens White River im Osten Südafrikas und wartet, dass ihn jemand anheuert. Er hat Hunger. Gegenüber lockt ein Wimpy-Schnellimbiss, aber der 50-jährige Tagelöhner hat heute noch nichts verdient und daheim drei Kinder zu versorgen. "Ich bin seit fünf Jahren arbeitslos", berichtet er. Früher war er mal als Fahrer angestellt, auch als Fliesenleger. Dann kam die Krise. Nichts mehr. Ob man ihm etwas Geld geben könne, fragt er.
Wie viele Südafrikaner macht Oupa den seit 25 Jahren regierenden Afrikanischen Nationalkongress (ANC) für seine Misere verantwortlich. Und den vor einem Jahr aus dem Amt entfernten korrupten Ex-Präsidenten Jacob Zuma. Offiziell ist bald jeder Dritte im Land arbeitslos, unter den Jungen sind es mehr als 50 Prozent. Die Wirtschaft stockt, die Wachstumsrate beträgt nur 1,3 Prozent, Investoren zaudern. Dazu plagt Misswirtschaft die Bürger- ob es tödliche Wassermassen in Durban sind oder Wassermangel in Kapstadt. Strom wird regelmäßig rationiert, als befände sich Afrikas Powerhaus und Vorzeigedemokratie im Ausnahmezustand.
Denkzettel
Zum Feiern war Oupa nicht zumute, als an die ersten freien Wahlen vom in Südafrika vom 26. bis 29. April 1994 erinnert wurde. Er hat immer sein Kreuz beim ANC gemacht, der die Freiheit gegen die weißen Rassisten erkämpfte. "Aber diesmal wähle ich DA", sagt er. Der ANC hat aus seiner Sicht abgewirtschaftet und bei der Parlamentswahl am 8. Mai einen Denkzettel verdient. Warum wählt er ausgerechnet die Demokratische Allianz (DA), die den Ruf nicht los wird, eine Partei der Weißen zu sein? "Damit Investoren kommen, damit wir Jobs bekommen."
Obwohl Südafrika in Cyril Ramaphosa (66) einen beliebten und respektierten ANC-Politiker als Staatschef bekommen hat, bleiben viele Bürger unversöhnlich. "Letztlich wird es auf die Wahlbeteiligung ankommen und darauf, wie viele desillusionierte ANC-Anhänger zuhause bleiben", sagte Hanns Bühler von der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung in Kapstadt dem Evangelischer Pressedienst (epd).
2014 gewann der ANC noch 62 Prozent der Stimmen, gefolgt von der DA mit 22 Prozent und den neu gegründeten Wirtschaftlichen Freiheitskämpfern (EFF) des Linkspopulisten Julius Malema (6,3 Prozent). Umfragen sagen dem ANC weitere Verluste voraus. Ein Ergebnis unter 60 Prozent gilt als wahrscheinlich. Ein Viertel der Wahlberechtigten hat sich gar nicht registrieren lassen, mehr als neun Millionen Menschen, darunter sehr viele junge Leute. Am Ende können nur 27 Millionen Südafrikaner abstimmen, bei einer Gesamtbevölkerung von 57 Millionen.
"Ramaphosa braucht mehr Zeit"
Viele Experten sagen, es werde das letzte Mal zu einer absoluten Mehrheit für den ANC reichen. Die Wähler stehen vor einem Dilemma, sagt Bühler: "Strafen sie den ANC ab, schwächen sie gleichzeitig den reformfreudigen Ramaphosa." Der begann gleich nach Amtsantritt im Februar 2018, wichtige Posten in Staatsbetrieben und Institutionen mit seriösen Leuten zu besetzen. Darunter war der Stromversorger Eskom, die Steuerbehörde und die Generalstaatsanwaltschaft.
"Ramaphosa hat Erfolge vorzuweisen, aber er braucht mehr Zeit", bilanziert Mike Portier, der als Verbindungsmann der katholischen Kirche in Südafrika zum Parlament arbeitet. Zu viele Südafrikaner lebten in Armut, die soziale Kluft sei zu groß. Um das zu ändern, werde man um die umstrittene Enteignung und die Nutzung von Brachland oder verlassenen Minengebieten nicht herumkommen. Diese Debatte müsse sachlicher geführt werden, fordert er, nichts deute auf eine willkürliche Politik wie in Simbabwe hin.
Nach Jahren der Hoffnung sind viele Bürger nur noch enttäuscht von Politik und Staat. Vor Wahlen machen sie ihrem Unmut auch gewaltsam Luft. Spuren davon sind in Casteel zu sehen, auf dem Teer der Landstraße R40, 100 Kilometer nördlich von White River. Dort haben Barrikaden aus Autoreifen gebrannt. Auf dem Weg nach Casteel hat die EFF massiv plakatiert. "Our land & jobs now" ("Unser Land und Arbeit jetzt"). Damit fordert sie in aggressivem Ton entschädigungslose Enteignungen von Land und Betrieben und versucht so, Sympathien bei den Dörflern zu gewinnen. Offenbar vergebens. "Wir glauben hier gar keiner Partei mehr", sagte der 32-jährige Surprise Siwela, während rund 20 Gleichgesinnte um ihn herumstehen und nicken.