Frankfurt a.M. (epd). Der freundliche Mann mit dem festen Händedruck war früher der Alptraum von Politikern und Wirtschaftsbossen, die etwas zu verbergen hatten. 33 Jahre ist Hans Leyendecker erst alt, als er 1982 im "Spiegel" eine Titelgeschichte über Schmiergeldzahlungen des Flick-Konzerns an hochrangige deutsche Politiker veröffentlicht. Mit Enthüllungen zum Thema Parteispenden löst er Ende 1999 erneut ein Erdbeben aus: Die Aufdeckung der illegalen Spendenpraxis der CDU unter Helmut Kohl führt zu einer personellen Neuaufstellung der Partei. Da ist Leyendecker schon bei der "Süddeutschen Zeitung" (SZ).
Der 1949 in Brühl geborene Leyendecker, der am 12. Mai seinen 70. Geburtstag feiert, absolviert nach dem Abitur ein Volontariat beim "Stader Tageblatt" in der Nähe von Hamburg. Später nimmt er ein Geschichtsstudium auf. Nach einer Tätigkeit als freier Journalist in Bayern und einer Station als Reporter bei der "Westfälischen Rundschau" in Dortmund wechselt er 1979 zum "Spiegel", wo er sich als investigativer Journalist profiliert. 1997 verlässt er das Magazin allerdings nach einem heftigen Streit mit dem damaligen Chefredakteur Stefan Aust.
"Gelddruckmaschine ist weg"
Die Entwicklungen bei seinen früheren Blättern verfolgt Leyendecker ganz genau. Er wundert sich darüber, dass die "Westfälische Rundschau", die keine eigene Redaktion mehr hat, immer noch eine Auflage von 50.000 Stück haben soll. "Es muss also viele Leser geben, die sagen: Hauptsache, ich kriege etwas aus meinen Stadtteil", sagt Leyendecker im Gespräch mit dem epd. Dass Zeitungen beim Vertrieb zusammenarbeiten, um Kosten zu senken, findet er normal. Die Verleger müssten sich aber auch daran gewöhnen, dass es keine Rendite von 30 Prozent mehr gibt. "Die Gelddruckmaschine ist weg", konstatiert der 69-Jährige.
Als er 1997 als leitender politischer Redakteur zur SZ nach München wechselt, sichert sich Leyendecker das Privileg, von seinem Wohnort im Rheinland aus zu arbeiten. Auch für die SZ liefert er zahlreiche Scoops - darunter die Geschichte über die Siemens-Schmiergeldaffäre, für die er 2007 den Henri-Nannen-Preis erhält, und die Recherche zum Betrugsskandal um die damalige NDR-Fernsehfilmchefin Doris Heinze. Leyendecker wird in dieser Zeit zum deutschen "Chefermittler" in Sachen Korruption, ist Dauergast in TV-Talkshows. 2009 übernimmt er die Leitung des neuen Ressorts für Investigative Recherche bei der SZ, das seit 2011 mit dem NDR und seit 2014 auch mit dem WDR in einem Verbund zusammenarbeitet.
Es gibt auch Fehlschläge in Leyendeckers Karriere. Als seinen "verheerendsten Fehler" bezeichnete er einmal die "Spiegel"-Geschichte von 1993 über die angebliche Hinrichtung des RAF-Terroristen Wolfgang Grams durch Polizisten, bei der er sich auf einen unzuverlässigen Informanten verließ. 2011 trat Leyendecker als zweiter Vorsitzender des "Netzwerks Recherche" zurück, nachdem bekanntgeworden war, dass die Journalistenvereinigung zu Unrecht Fördergelder in Höhe von 75.000 Euro erhalten hatte. Er hatte zwar mit den Förderanträgen nichts zu tun gehabt, wollte mit dem Rücktritt aber einen Teil der politischen Verantwortung übernehmen.
"Ökumene des Journalismus"
Seit 2016 ist Leyendecker offiziell im Ruhestand. Mit Investigation verbringt er nach eigener Aussage nur noch einen ganz kleinen Teil seiner Zeit. Seinen Nachfolgern bei der SZ, Nicolas Richter und Bastian Obermayer, bescheinigt er eine "wunderbare" Arbeit. Leyendecker sieht auch eine neue "Ökumene des Journalismus", die ganz andere Geschichten ermöglicht als früher. "Zu meiner Zeit bin ich beim 'Guardian' kaum am Pförtner vorbeigekommen, heute arbeitet man häufig zusammen", sagt er schmunzelnd und verweist auf die "Panama Papers" - das letzte große Projekt, an dem er beteiligt war.
Dass es in dieser Blütezeit des Investigativjournalismus für Politiker, Geheimdienste und Unternehmen schwieriger geworden ist, Skandale zu vertuschen, will Leyendecker so pauschal nicht bestätigen. Bestimmte Dinge seien aber durch intensive Berichterstattung tatsächlich verbessert worden. So sei beispielweise Korruption in Rathäusern nicht mehr so ein Thema wie früher, weil die Kommunen viele Skandale erlebt und dann ein Vier-Augen-Prinzip eingeführt hätten.
Ruhestand bedeutet für Hans Leyendecker nicht, die Füße hochzulegen. Beim 37. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dortmund fungiert der frühere Katholik im Juni als Präsident. Zu der Stadt hat der Vater von fünf erwachsenen Kindern eine Herzensbeziehung: Er ist Fan des Fußballvereins Borussia Dortmund.