Bonn (epd). Christian Seidel war schon lange frustriert über die seiner Meinung nach halbherzigen Klimaschutz-Bemühungen der Politik. Als er im Internet zufällig über eine Wanderaktion der Kirchen für Klimagerechtigkeit stolperte, meldete er sich spontan an. "Ich möchte nicht später einmal von meinen Enkeln gefragt werden: Und was hast du getan?", sagt er.
Ähnlich sieht das Wolfgang Eber. "Die Klimaerwärmung taucht in der öffentlichen Debatte kaum noch auf", ärgert er sich. Die beiden gehörten 2015 mit zu den Teilnehmern des ersten Ökumenischen Pilgerweges zur Weltklimakonferenz in Paris. Am 9. September machten sich die erfahrenen Pilger erneut mit einer Gruppe auf den Weg, um für mehr Umweltschutz zu werben.
In einem Gottesdienst in Bonn wurden sie feierlich verabschiedet. Dieses Mal geht ins polnische Katowice, wo ab dem 9. Dezember die 24. Weltklimakonferenz stattfindet. Auf ihrer Wanderung über Düsseldorf, Hannover, Dresden, Cottbus und Berlin werden die Pilger innerhalb von drei Monaten 1.700 Kilometer zurücklegen, um pünktlich zum Beginn des Gipfels am Ziel einzutreffen.
Auf dem Weg sammeln die Pilger an insgesamt 78 Stationen Unterschriften für den Klimaschutz, die sie der Kohlekommission in Berlin und der Weltklimakonferenz übergeben wollen. Hinter der Aktion steht ein ökumenischen Bündnis aus 40 Organisationen, darunter Brot für die Welt, das Bischöfliche Hilfswerk Misereor, die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die Deutsche Bischofskonferenz.
Mit dem Klimapilgern habe er eine friedliche Form des Engagements gefunden, die zu ihm passe, sagt Seidel, ein ehemaliger Potsdamer Stadtverordneter. "Ich bin nicht der Typ, der an Kraftwerksbesetzungen teilnimmt." Die Ökumene-Aktion schaffe vor allem Begegnung. "Auf dem Weg nach Paris 2015 sind wir mit vielen Menschen ins Gespräch gekommen, allein damit erreicht man doch schon unheimlich viel", ist der 69-Jährige überzeugt. Auch in diesem Jahr werden die Pilger am Ende einer jeden Tagesroute von einer örtlichen Kirchengemeinde empfangen, die für ihre Unterkunft sorgt und Gesprächsabende anbietet.
Wolfgang Eber war berührt von der Herzlichkeit, mit der die Pilger vor drei Jahren in französischen Gemeinden aufgenommen wurden. "Für mich ist es auch ein europäisches Projekt", betont der 63-Jährige.
Gespannt sind die beiden auf die Treffen mit den polnischen Kirchengemeinden bei den letzten Etappenrouten nach Katowice. "Es war uns besonders wichtig, dass das von polnischer Seite organisiert wurde", erklärt Eber. Man wolle in dem osteuropäischen Land, in dem die Braunkohleverstromung eine große Rolle spiele, mit der Forderung nach einem Ausstieg aus der Kohle nicht besserwisserisch auftreten.
Nicht alle Pilger schaffen es, drei Monate lang den gesamten Weg mitzugehen. Von den Berufstätigen könnten die meisten nur ein oder zwei Wochen mitwandern, erzählt Eber. Der Großteil der Pilgertruppe sei über 40 Jahre alt, oft Ruheständler. Doch Abiturienten oder Studenten schlössen sich zwischendurch über eine kürzere Strecke der Gruppe an. Wenn Gemeindemitglieder spontan die Pilger auf einer Etappe begleiteten, wachse die 25-köpfige Gruppe mitunter für einen Tag auf über 100 Wanderer an.
Die beiden Männer verbinden mit ihren bisherigen Pilgerwanderungen für sie unvergessliche Erlebnisse. Da seien etwa gemeinsame spirituelle Momente in der Natur, sagt Eber. Seidel ist besonders das Ende der Paris-Wanderung im Gedächtnis haftengeblieben, als sich Pilger aus vielen Ländern in einer Kirche der Seine-Metropole versammelten. "Das hat mich sehr an die Zeit der Wende 1989/90 in Ostdeutschland erinnert", erzählt der Potsdamer. "Es lag eine Kraft in der Luft und das Gefühl, dass sich etwas bewegen wird."
Für die Dauerpilger ist die lange Wanderung durchaus eine körperliche Herausforderung. Man müsse schon gut zu Fuß sein, um die rund 25 Kilometer langen Strecken jeden Tag laufen zu können, meint Seidel. "Aber wenn man die ersten drei Tage überstanden hat, dann geht es." Er selbst hat festgestellt, dass ihm die monatelange Wandertour vor drei Jahren gesundheitlich gutgetan habe.
Mainz, Simmern (epd). Im Streit um neun Fälle von Kirchenasyl im Rhein-Hunsrück-Kreis hat die Staatsanwaltschaft in Bad Kreuznach gegen insgesamt fünf Pfarrerinnen und Pfarrer sowie gegen neun Flüchtlinge aus dem Sudan Strafverfahren eingeleitet. Die Pfarrer von Rheinböllen, Büchenbeuren und Kirchberg bestätigten dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 4. September, dass ihnen Beihilfe zum illegalen Aufenthalt vorgeworfen werde. Anlass für die Ermittlungen waren Strafanzeigen des Landrats von Simmern, Marlon Bröhr (CDU). Zuvor war im Juni der Versuch der Kreisverwaltung gescheitert, ein Kirchenasyl polizeilich räumen zu lassen und einen Sudanesen nach Italien abzuschieben.
Das Mainzer Integrationsministerium hatte die Abschiebung zunächst verhindert und dem Landkreis eine Weisung erteilt, auf Zwangsmaßnahmen gegen das Kirchenasyl zu verzichten. Stattdessen wurde dem Landrat nahegelegt, ein Mediationsverfahren mit den Kirchen zu beginnen, um den Konflikt zu entschärfen. Darauf wollte sich der Kreis nicht einlassen.
Die Evangelische Kirche im Rheinland verteidigte die Gewährung des Kirchenasyls. In Italien hätte den Flüchtlingen aus der Bürgerkriegsregion Darfur eine Abschiebung in den Sudan gedroht. "Einige der jungen Männer sind mit unbehandelten oder gerade ausgeheilten Krankheiten ins Kirchenasyl gekommen, die in Italien für sie lebensbedrohlich hätten werden können", heißt es in einer Mitteilung des Landeskirchenamtes in Düsseldorf. Die Kirche zweifelt auch daran, dass die zusammengestellten Härtefalldossiers ernsthaft geprüft wurden. Die Fälle seien jeweils "binnen weniger Stunden" abgelehnt worden.
Außerdem bestreitet die Landeskirche eine Pflicht, das Kirchenasyl nach einem abgelehnten Dossier zu beenden. Im Integrationsausschuss des Mainzer Landtags erklärte die zuständige Ministerin Anne Spiegel (Grüne), dass noch im vergangenen Jahr Land und Kommunen sich darin einig gewesen seien, auf Polizeieinsätze in Kirchenräumen zu verzichten. "Das haben die demokratischen Kräfte im Parlament auch so mitgetragen", sagte Spiegel. "Es gibt keinen Grund, diesen Konsens aufzulösen. Ich hoffe, dass die CDU davon nicht abrückt."
Spiegel kündigte ein weiteres Spitzengespräch an, um das Verfahren mit Kirchenasyl-Fällen zu klären, in denen die Härtefall-Dossiers abgelehnt werden. Die Weisung des Ministeriums an den Kreis, keinen Polizeieinsatz zu starten, gelte noch bis Ende September und habe nicht das Ziel gehabt, eine Rückführung des Sudanesen zu verhindern. Sie zu verlängern sei sinnlos, da es keine Aussicht auf einvernehmliche Gespräche zwischen den beiden Seiten gebe.
"Ziel von externer Mediation bei Gesprächen ist es, das Gesprächsklima und die Atmosphäre so zu verbessern, dass dadurch ein wie auch immer gearteter Kompromiss erst möglich gemacht werden kann", teilte der CDU-Politiker Bröhr dem epd mit. An gegenseitigem Respekt habe es aber nicht gemangelt. Eine externe Mediation sei nicht erfolgsversprechend gewesen, "da die Sach- und Rechtslage eindeutig ist und es keinen Handlungsspielraum für die Behörde gibt."
Im Landtagsausschuss wiederholten CDU und AfD ihre Kritik am Vorgehen des Ministeriums. Auch die CDU achte das Kirchenasyl, versicherte Fraktionschef Christian Baldauf. Allerdings dürfe das Kirchenasyl nicht zum politischen Instrument werden. Der AfD-Abgeordnete Michael Frisch erklärte, in einem Rechtsstaat sei das Kirchenasyl nicht mehr zeitgemäß. Für die SPD-Fraktion warf Jaqueline Rauschkolb dem Landrat vor, sich mit seinem kompromisslosen Vorgehen profilieren zu wollen.
In Rheinland-Pfalz gab es seit 2017 eine ganze Reihe von Konflikten um Menschen im Kirchenasyl. Für Aufsehen sorgte ein Fall in Ludwigshafen, bei dem die Polizei eine koptische Familie in Kirchenräumen festgenommen hatte. Im Frühjahr 2018 wurde ein Strafverfahren gegen einen evangelischer Pfarrer aus der Pfalz eingeleitet und erst gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 1.200 Euro wieder eingestellt.
Kaiserslautern (epd). Altbundespräsident Joachim Gauck hat alle Demokraten aufgefordert, sich strikt von rechtsextremen Gruppen, wie sie in Chemnitz aufgetreten sind, abzugrenzen. Ein Dialog mit solchen Gruppen sei unmöglich, denn sie wollten Sieg und Meinungsherrschaft, ohne überzeugen zu wollen, sagte Gauck am 9. September in Kaiserslautern. Gauck sprach auf dem Festakt der Evangelischen Kirche der Pfalz zum 200. Jahrestag der Pfälzer Kirchenunion.
In eine Gruppe berauschter Menschen wie in Chemnitz mit Verständnis, Nachdenklichkeit und Vernunft einzudringen, sei kaum möglich, sagte Gauck. Er appellierte an die Gesellschaft, Verantwortung zu übernehmen und die Demokratie zu schützen. In diesen Tagen habe die Überzeugung, dass sich in einer Demokratie letztlich die vernünftige Wahrheit durchsetzen werde, stark gelitten.
Bewegungen, einige Politiker und sogar Regierungen pflegten bestenfalls ein taktisches Verhältnis zur Wahrheit. Sie säten Zweifel selbst an evidenten wissenschaftlichen Erkenntnissen. "Und mit der Zerstörung des Glaubens an eine überprüfbare Wahrheit öffnet sich die Tür zur Verbreitung der Unwahrheit, ja der offenkundigen und beweisbaren Lüge, um die eigenen politischen Ziele durchzusetzen." Das sei das Ende der Meinungsfreiheit.
Im Festgottesdienst in der Kaiserslauterer Stiftskirche warnte der pfälzische Kirchenpräsident Christian Schad vor den Gefahren für Freiheit und Demokratie heute. Autokraten wie Erdogan, Putin und Orban griffen massiv die Meinungs- und Pressefreiheit an, begrenzten Rechte und grenzten Menschen aus, sagte Schad. Es sei ein Kampf um die Wahrheit ausgebrochen, an dem die Freiheit zu zerbrechen drohe.
Selbst in den USA, die als Hüterin der Pressefreiheit gelte, stelle Präsident Donald Trump kritische Journalisten als Feinde des Volkes dar. Dabei gehe es ihm nur um die eigene Wahrheit nach dem Motto: "Wer die Welt nicht so sieht wie ich, der lügt".
Gleiches gelte für Menschen, die auf der Straße "Lügenpresse" riefen, die sozialen Medien mit Hass-Kommentaren füllten und gezielt Sprache manipulierten, um damit neue Wirklichkeiten zu setzen. Als Beispiel nannte der Kirchenpräsident den Begriff "Asyltourismus". Schad forderte die Christen auf, dazu beizutragen, dass Rede und Widerrede im friedlichen Streit der Argumente möglich bleibe.
1818 hatten sich in Kaiserslautern die bis dahin getrennten reformierten und lutherischen Gemeinden der Pfalz zu einer gemeinsamen Kirche vereinigt. Die Pfälzer Kirchenunion entstand, weil die Gemeinden es wollten, sie war eine Basisbewegung.
Frankfurt a.M., Berlin (epd). Berlins evangelischer Bischof Markus Dröge hat Vorwürfe zurückgewiesen, ausschließlich in konservativen Islamverbänden Dialogpartner zu sehen. "Es stimmt nicht, dass wir in unseren Dialogen nur die konservativen Verbände und Moscheegemeinden als Partner sehen", sagte Dröge am 6. September dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Berlin. Man suche bewusst das Gespräch zu einer Vielzahl von gesellschaftlichen und religiösen Gruppen und Strömungen. "In diesen Gesprächen bringen wir selbstverständlich unsere klaren Positionen zu Demokratie und Menschenrechten und unsere klare Ablehnung jeglicher Form von Antisemitismus ein", betonte Dröge.
Der Berliner Islamismus-Experte Ahmad Mansour kritisiert in seinem neuen Buch eine zu große Nähe zwischen Kirche und konservativen Islamverbänden. "Ich beobachte, dass manche Kirchenvertreter immer wieder eine Politik fahren, bei der Vertreter der konservativen Islamverbände zu Partnern gemacht werden", sagte Mansour dem Evangelischen Pressedienst (epd). Zu oft suche man das Gespräch mit Moscheegemeinden, die diese Legitimation nicht verdienen. Dadurch würden liberale Kräfte ausgegrenzt. Als Beispiel nannte Mansour den Gottesdienst nach dem Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz im Dezember 2016, zu dem kein einziger liberaler Muslim eingeladen worden sei.
Dankenswerterweise habe Mansour darauf hingewiesen, dass die evangelische Kirche nicht nur mit konservativen Islamverbänden im Gespräch sei, sagte Dröge. Als Beispiel nannte der Bischof die liberale Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, der die evangelische Kirchengemeinde im Berliner Stadtteil Moabit einen Raum zur Verfügung gestellt hat. "Wir begrüßen die innermuslimische Debatte über die zukünftige Gestaltung muslimischen Lebens in Deutschland", unterstrich Dröge: "Sie ist dringend nötig und macht sichtbar, wie unterschiedlich unsere Mitbürger und Mitbürgerinnen muslimischen Glaubens denken."
Hannover (epd). Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, hat dem Zentralrat der Juden Glückwünsche zum jüdischen Neujahrsfest (Rosch Haschana) übermittelt. In seinem am 8. September veröffentlichten Schreiben an den Zentralratspräsidenten Josef Schuster dankte Bedford-Strohm für das gute Verhältnis zum Judentum in Deutschland, das der Gesellschaft wichtige Impulse gebe.
Zugleich äußerte sich Bedford-Strohm besorgt über die gesellschaftliche Entwicklung: "Aktuell nehmen wir mit großer Sorge die Debatten zur Zunahme von Rassismus und Antisemitismus in unserer Gesellschaft wahr", betonte er und bekräftigte die Haltung der Kirche: "Christlicher Glaube und Judenfeindschaft schließen einander aus. Antisemitismus ist Gotteslästerung."
Bedford-Strohm, der auch bayerischer Landesbischof ist, versicherte: "Die Evangelische Kirche steht solidarisch an der Seite der Juden in Deutschland in der zuversichtlichen Hoffnung, diesen Weg auch im neuen Jahr mit Ihnen weitergehen zu können."
Das jüdische Fest begann am Abend des 8. September und wurde am 9. September gefeiert. Es eröffnet nach jüdischer Zeitrechnung das Jahr 5779. Rosch Haschana findet immer 162 Tage nach dem ersten Tag des Passahfestes statt.
An Rosch Haschana, übersetzt das "Haupt des Jahres", feiern die Juden den Anfang der Schöpfung. Das Neujahrsfest erinnert an den Bund zwischen Gott und dem Volk Israel. Es ist wie in der christlichen Tradition auch eine Zeit des Bilanzziehens und der Gebete für eine gute Zukunft.
Viele leitende Geistliche der evangelischen und katholischen Kirche haben den jüdischen Mitbürgern Glückwünsche geschickt. Darunter war auch Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzender der katholischen Deutschen Bischofskonferenz.
Mülheim/Ruhr (epd). Angesichts zunehmenden Rechtspopulismus und -radikalismus, Fake News oder Verrohung in sozialen Netzwerken appelliert der rheinische Altpräses Nikolaus Schneider an die Kirchen, sich deutlicher zu positionieren. "Wir sind gefordert Klartext zu reden", sagte der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am 7. September bei einer Veranstaltung in der Katholischen Akademie Die Wolfsburg in Mülheim an der Ruhr. Dabei gehe es um sozialpolitisches Engagement und das predigen des Evangeliums gleichermaßen: "Die Menschen brauchen Orientierung."
Schneider kritisierte, dass Bischöfe beider großen Kirche "aus falscher Sorge, Menschen zu verlieren", oft schweigen oder sich zurückhalten würden. Auch vom derzeitigen EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm würde er sich wünschen, dass er mehr deutlichere Worte fände wie etwa der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, sagte er. Bedford-Strohm "schwurbelt mir ein bisschen".
Schneider erinnerte daran, dass die Bekennende Kirche im Nationalsozialismus eine Minderheit gewesen sei und die große Mehrheit der Deutschen Christen das Unrecht damals mit verantwortet hätten: "Das darf uns nicht noch einmal passieren", mahnte der 71-jährige Theologe.
Der Altpräses sprach im Rahmen der Projektreihe "Glückauf Zukunft" aus Anlass der letzten Zechenschließung im Ruhrgebiet Ende 2018. Als Stahlarbeitersohn aus Duisburg und rheinischer Pfarrer habe er viele Abbruchgeschichten, Werks- und Zechenschließungen erlebt, sagte er und prognostizierte dem Ruhrgebiet einen "noch langen und harten Weg" in der Neustrukturierung als Region. Sein Wunsch sei es, in Zukunft auch im Ruhrgebiet wieder mehr Erfolgsgeschichten erleben zu können, betonte Schneider. Am 20. Dezember ist ein großer ökumenischer Gottesdienst zum Abschied des Bergbaus im Essener Dom geplant.
Bonn/Osnabrück (epd). Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, hat die AfD als offen rechtsradikal bezeichnet. "In der Endphase der Weimarer Republik gab es auch eine Partei, die in den Parlamenten saß, und die Ungeheuerlichkeiten in die Parlamente getragen hat", sagte Sternberg der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (8. September). "Nun haben wir wieder eine Partei, die in Umfragen bei 17 Prozent liegt, und die Parallelen zum Nationalsozialismus aufweist. "
Sternberg rief "zum übergreifenden Widerstand aller freiheitlich-demokratischen Kräfte" auf. "Es muss unmissverständlich deutlich werden: So etwas geht in diesem Land nicht, so etwas wählen wir nicht, so etwas wollen wir nicht", sagte er mit Blick auf die im Oktober anstehenden Landtagswahlen in Bayern und Hessen. Die AfD sei immer eine Sammlungsbewegung rechter Kräfte gewesen. "Aber in jüngster Zeit hat sie sich eindeutig radikalisiert." Parteichef Alexander Gauland bediene eine rechtsradikale Klientel und führe eine rechtsradikale Partei.
Zur Zuwanderung sagte der ZdK-Chef, sie habe wirtschaftlich, sozial und gesellschaftlich bedingte Grenzen. "Diese Grenzen auszuloten, gerade auch um den Schutzbedürftigen den erforderlichen Schutz geben zu können, ist eine gewaltige gesamtgesellschaftliche Herausforderung." Er warnte davor, Zuwanderung zu dämonisieren und zur alleinigen Ursache aller politischen und gesellschaftlichen Probleme zu stilisieren. Das Zentralkomitee wolle verstärkt nach Fluchtursachen fragen wie Krieg, Terror und wirtschaftliche Not.
Mit Blick auf die Proteste in Chemnitz sagte Sternberg, das sei nicht alles dumpfer Nationalismus. So sei auch im Zusammenhang mit der Sozialpolitik zu prüfen, warum sich manche Menschen abgehängt fühlten. "Ich glaube aber, dass ein demokratischer Staat das in den Griff bekommen kann."
Bielefeld/Cleveland (epd). Die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Annette Kurschus, hat das gesellschaftliche Engagement und die Offenheit der US-amerikanischen Partnerkirche United Church of Christ (UCC) gewürdigt. Eine Kirche, in der alle Menschen, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, sozialem Status oder sexueller Orientierung willkommen seien, sei in den USA sonst kaum zu finden, sagte Kurschus nach einem Besuch in der UCC-Zentrale in Cleveland im US-Bundesstaat Ohio, wie die Landeskirche in Bielefeld mitteilte. Die leitende Theologin war mit einer Delegation zwei Wochen lang zu Besuch bei der US-Partnerkirche.
Seit dem Amtsantritt von US-Präsident Trump sei es für die UCC deutlich schwerer geworden, ihre Offenheit zu leben, hieß es weiter. Trump habe die Überlegenheit der Weißen zum Staatsziel erhoben. Umso dringlicher sehe sich die Partnerkirche "in ihrer klaren Haltung gefordert und herausgefordert", erklärte die Präses. "Wenn wir dazu schweigen, verraten wir unseren christlichen Auftrag", betonte der Präsident der UCC, Pastor John Dorhauer.
Trump zerstöre die Grundlagen der amerikanischen Kultur, gefährde die historischen Allianzen und stoße bewährte Partner vor den Kopf, beklagte Dorhauer. Der US-Präsident sorge auch für ein "Rollback", was die Anerkennung und die Rechte homosexueller Menschen angehe. Präses Kurschus erklärte, die UCC sei einer der wenigen Kirchen im Land, die hier deutlich widerspreche.
Mit großem Respekt habe sie wahrgenommen, "wie beharrlich und zugleich souverän" die Partnerkirche unter den schwierigen Bedingungen handele, fügte die Theologin hinzu. Die UCC sei der westfälischen Kirche "in manchem wohl weit voraus". Gemeinsam wolle man dafür einstehen, "dass diese Welt nicht jenen Mächten ausgeliefert ist, die Hass schüren und Menschen ausgrenzen", sagte Kurschus.
Die elfköpfige Gruppe der westfälischen Kirchenleitung hatte Gemeinden und Einrichtungen der UCC in den US-Bundesstaaten Kentucky, Indiana und Ohio besucht. Schwerpunkte der Reise waren nach Angaben der Landeskirche die diakonische Arbeit der Partnerkirche, Zuwanderung und Integration sowie der Dialog mit dem Islam. Zum Abschluss fanden in Washington ein Treffen mit der deutschen Botschafterin sowie Gespräche mit Vertretern der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds statt. Am Samstag wollte die Delegation nach Deutschland zurückreisen.
Die Evangelische Kirche von Westfalen ist seit 1980 mit der UCC verbunden. Die in Teilen auf deutsche Auswanderer zurückgehende US-Kirche zählt den Angaben nach rund eine Million Mitglieder.
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Roth/Ennigerloh (epd). Nur einer bereitet Felizitas Böcher noch Probleme - und das ist Willi Astor. Die Wortwitze des bayerischen Comedian kommen bei der gehörlosen jungen Frau einfach nicht an. "Mein Mann muss sie mir übersetzen und dann sind sie nicht mehr witzig", sagt die 34-Jährige vergnügt. Ach ja, und die neue Pfarrerin von Barthelmesaurach im bayerischen Landkreis Roth kann auch nicht besonders gut singen: "Ich werde wohl nie einen Chor leiten können."
Felizitas Böcher im T-Shirt mit der Aufschrift "C.I.A - Christ in Action" sitzt in der Stadtkirche in Roth, wo sie ihr Vikariat absolviert hat. Der Einsatzort war kein Zufall, denn erster Pfarrer hier ist Joachim Klenk, der 20 Jahre lang für die Gehörlosenseelsorge in der bayerischen evangelischen Landeskirche zuständig war. Zum Schluss der Ausbildung sei das aber nebensächlich gewesen, sagt Böcher, sie habe ganz normal Dienst gemacht und zum Team dazugehört.
Die jugendlich aussehende Frau greift sich ins Haar, das sie zu einem dicken Zopf geflochten hat und holt hinter ihrem Ohr ein Cochlea-Implantat der neuesten Generation hervor. Sie zieht den Akku aus dem runden Gerät und setzt ihn wieder ein, schwärmt von modernen Prozessoren, der Fernbedienung und den Programmen.
Wie eine Pfarrerin mit Gehör kann sie mit Hilfe dieser Technik bei einem Kirchengemeindefest dazugehören und hören, auch wenn Musik, ratschende Gäste und klapperndes Geschirr durcheinander schwirren. "Vor 20 Jahren wäre das nicht gegangen. Da war die Technik noch nicht so weit", sagt die Theologin.
Aber das ist nur die eine Seite. Disziplin, Wille und Sturheit haben die gebürtige Westfälin da hingebracht, wo sie heute ist. "Ich wollte mir vom Leben nicht verbieten lassen, zu erreichen, was ich möchte", sagt Böcher. Das Gehör zu verlieren, war für sie mehr Ansporn als Schicksalsschlag. "Es war fast wie ein spannendes Rätsel, ob ich es schaffen würde", erklärt sie.
Schon in ihrer Kindheit war Felizitas Böcher schwerhörig. Die Tochter eines Starkstromelektrikers und einer Erzieherin aus Ennigerloh bei Warendorf hatte eine schwierige Schulzeit. Die Lehrer nahmen auf ihre Behinderung kaum Rücksicht, wie sie sagt.
Das Abitur aber schafft sie, "weil ich Spaß am Lernen hatte". Damals weiß sie selbst noch nicht, dass Pfarrerin für sie der ideale Beruf ist. Während sie Bücher über religiöse Themen verschlingt, macht sie zunächst eine Ausbildung zur Informatik-Assistentin.
Sie wechselt zur Theologie, aber dann verschwindet ihr Gehör ganz. Böcher beschreibt einen skurrilen Selbstversuch: An einer Straßenbaustelle habe sie sich neben einen Arbeiter mit Presslufthammer gestellt und nur ein leichtes Summen vernommen. Da wusste sie, dass sie gar nichts mehr hört.
Drei Sprachen müssen Pfarrer an der Uni büffeln: Griechisch, Hebräisch und Latein. Felizitas Böcher erlernte ganz nebenbei auch noch die Gebärdensprache. In diesem konfusen Studium habe sie gelernt, das Gleichgewicht zwischen Stress und Entspannung zu halten, erklärt sie. Und gemerkt, was sie zu leisten imstande ist.
"Keiner wusste, ob es funktionieren würde", sagt Böcher, nun mit ihren Examen in der Tasche. Auf Skepsis, ob eine gehörlose Frau Pfarrerin werden könne, sei sie anfangs auch im Predigerseminar gestoßen. "Da habe ich die vollgelabert, und sie sind aufgetaut" - diese Frau bringt eine Leichtigkeit in das Thema Inklusion und Teilhabe, über die man nur staunen kann.
Die Gemeinde in Roth, in der sie ihre Ausbildung machte, "war schon auf dem Weg in Richtung Inklusion", stellte sie fest. An den Gottesdiensten dort nehmen immer wieder Menschen mit geistiger Behinderung aus Einrichtungen der Lebenshilfe oder der Rummelsberger Diakonie teil. Die anderen Gottesdienstbesucher störten sich nicht daran, wenn sie im Kirchenraum herumliefen und an unpassender Stelle einmal ein lautes "Amen" riefen.
Die junge Pfarrerin flicht in ihre Predigten auch Gebärdensprache ein. Den göttlichen Schutz und seinen Segen hat jeder vor Augen, wenn sie auf der Kanzel den ganzen Arm hebt und ihre flache Hand über dem Kopf schweben lässt. Und diesen Schutz verteilt sie mit einer ausgreifenden Bewegung über die Gemeinde. Für ihre kurzen Predigten und die bildhafte Sprache bekomme sie immer wieder Lob, erzählt sie.
Auch den Religionsunterricht in der Schule hat die gehörlose Frau gemeistert. Das liege wohl daran, dass sie auf den einzelnen Schüler mehr achte als andere Lehrer, um keinen der Beiträge der Jugendlichen zu verpassen. Und auf dieses Aufmerksamkeitslevel habe sich auch die Klasse eingestellt. Und auch der Kirchenvorstand lernte mit der besonderen Vikarin für seine Sitzungen, "die durften nicht mehr alle durcheinanderreden".
Jetzt ist sie angekommen. Felizitas Böcher wird am 16. September in ihrer neuen Kirche in Barthelmesaurach für den Dienst als Pfarrerin ordiniert: "Weil ich das wollte und das Schicksal mitspielt", sagt sie.
Obernhof (epd). Eine schmale Straße windet sich den Berg hinauf. Oberhalb der rheinland-pfälzischen Ortschaft Obernhof thront das Kloster Arnstein. Seine hohen Türme ragen spektakulär über dem engen Tal der Lahn in die Höhe - fast wie bei einer Burg. Tatsächlich war das Gemäuer ursprünglich einmal eine Festungsanlage.
Oben vor dem Klostereingang wartet Pater Benno. Graue, zurückgekämmte Haare, stahlblaue Augen, freundliches Lächeln. Pater Benno - bürgerlich heißt er Benno Schmitz - ist der Obere des Klosters. Noch. Denn die Arnsteiner Patres werden den Bau zum Jahresende verlassen. Derzeit wohnen hier noch vier Patres und ein Bruder, also ein Ordensmitglied ohne Priesterweihe. Niemand von ihnen ist jünger als 65, zwei haben die 80 bereits überschritten. Es fehlt der Nachwuchs.
"Der bevorstehende Auszug macht uns schon Kummer", sagt der 79-jährige Pater Benno. Da sei natürlich der emotionale Aspekt - Arnstein ist nicht nur ein prächtiger Bau und namensgebend für seine Gemeinschaft, er hat auch eine reiche Geschichte. Und es seien viele Beziehungen entstanden, erzählt er. Die Patres halten in den Kirchen rundum Gottesdienste, kümmern sich außerdem um die Pilger, die hierher zur Herz-Jesu-Wallfahrt kommen.
Der Stifter des Klosters war Graf Ludwig III. von Arnstein. Im Jahr 1139 wandelte er seine Stammburg in ein Kloster nach den Regeln des Prämonstratenser-Ordens um, in das er als Büßer selbst einzog. Es gibt die Legende, dass Ludwig ein Raubritter gewesen sein soll. Angesichts seines schlimmen Lebenswandels soll ihn eines Tages die Angst um sein Seelenheil gepackt haben, so dass er allem Weltlichen entsagte. Ob diese Geschichte stimmt, ist freilich zweifelhaft. Vielleicht war es die Kinderlosigkeit der Ehe mit seiner Frau Guda, die Ludwig als Fingerzeig Gottes interpretierte und ihn zu diesem Schritt bewog.
Ludwigs Frau zog ebenfalls in das neu gegründete Kloster ein. Guda wandte sich noch radikaler von der Welt ab als Ludwig. Als sogenannte Inkluse verließ sie ihre Zelle bis zu ihrem Lebensende nicht mehr. Wo diese Zelle stand, weiß man heute nur noch ungefähr. Nach vielen Umbauten sind von der einstigen Burg nur noch einige Mauerreste zu sehen.
Im Jahr 1803 ließ Napoleon das Kloster aufheben. Aber 1827 gelangte es wieder in den Besitz der Kirche. Im Jahr 1919 zog hier schließlich die "Ordensgemeinschaft von den Heiligsten Herzen Jesu und Mariens und der ewigen Anbetung des Allerheiligsten Altarsakramentes" ein. Deren Mitglieder heißen in Deutschland "Arnsteiner Patres".
Im Kloster tragen viele Möbel gelbe Klebezettel. Sie zeigen an, wohin jedes der Stücke gehen soll. Das Gemäuer selbst gehört dem katholischen Bistum Limburg, das Interieur hingegen den Patres. Nur die Küche und andere Einrichtungsgegenstände, die für den Empfang der Pilger wichtig sind, sollen bleiben.
Denn die regelmäßigen Herz-Jesu-Wallfahrten soll es auch nach dem Auszug der Patres noch geben. Zwei der Mitbrüder ziehen nicht weit weg, von Bad Ems aus sollen sie sich weiter um die Pilger kümmern. Zwei Jahre lang zumindest. Die anderen - auch Pater Benno - gehen nach Werne bei Dortmund, ins Stammhaus des Ordens. In einem ehemaligen Internat hat die Gemeinschaft den Ruhesitz für die älteren Mitbrüder eingerichtet.
"Es fällt auch etwas von mir ab", sagt Pater Benno. Er wird nach dem Auszug kein Oberer mehr sein, keine Wallfahrt mehr betreuen, keine Gottesdienste mehr in den Kirchen rund um Obernhof halten. Die Fahrten dorthin seien ihm zusehends schwer gefallen, vor allem während der dunklen Jahreszeit. In Werne gebe es schon noch Bedarf, sich nützlich zu machen: "Ich kann mich einbringen in die Hilfe für Mitbrüder, die das nötig haben." Dann werde er dann und wann doch noch ins Auto steigen und sie zum Arzt bringen. Oder er fährt sie im Rollstuhl spazieren.
Noch ist völlig unklar, wie es mit der ehemaligen Prämonstratenserabtei weitergeht. Eine Arbeitsgruppe des Bistums Limburg befasst sich damit. Die Kirche, so viel ist nach den Worten des Bistumssprechers Stephan Schnelle jetzt schon klar, soll geöffnet bleiben. Die Jugendbegegnungsstätte allerdings, die hier untergebracht ist, muss ihre Pforten schließen. Das Bistum hat noch zwei andere Jugendeinrichtungen, für Arnstein ist da kein Bedarf mehr.
"Sicher, der Auszug wird für manchen von uns schmerzlich werden", sagt Pater Benno. Andererseits: "Es ist nicht gut, zu lange an einem Ort zu bleiben. Das engt den Blick ein. Auch den Blick auf andere Menschen." Er selbst hat schon einige Male seine Heimstatt gewechselt. Seine erste Stelle hatte er im Internat in Werne - in jenem Gebäude, in das er nun wieder ziehen wird. So schließe sich für ihn ein Kreis, erzählt er: "Jetzt gehe ich da wieder hin. Aber nicht in die Schule."
Berlin (epd). Der Modedesigner Harald Glööckler sieht bei den beiden großen Kirchen in Deutschland Reformbedarf. "Es muss sich dringend etwas ändern", dann könnten evangelische wie katholische Kirche eine große Renaissance erfahren, sagte der 53-jährige Modeschöpfer am 5. September in Berlin bei der Vorstellung seines Buches mit dem Titel "Kirche, öffne Dich!".
"Die Kirche 'verkauft' sich so schlecht und ist so wenig einladend, dass Leute auf der Suche nach Halt anderswo hingehen", schreibt darin der exzentrische Modedesigner. Dabei habe sie "die beste Botschaft der Welt". Aufgabe der Kirche sei es, den Menschen seelsorgerlich mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, ohne zu verurteilen. "Kirche muss wieder zu den Menschen gehen", betonte Glööckler.
Kritik äußert Glööckler unter anderem an "unendlich langweiligen" Gottesdiensten, an der ungenügenden Aufarbeitung von Missbrauchsfällen und an der fehlenden Gleichstellung der Frauen in der katholischen Kirche. Der "Heiligenschein" der Priester gehöre demontiert, so der Modeschöpfer.
Kirche müsse "nicht im Trend sein", aber fortschrittlich und den Zeitgeist erkennen, betonte Glööckler. Schließlich sei der Glaube keine vorübergehende Zeiterscheinung, "sondern tief im Menschen verankert".
Der evangelisch erzogene Glööckler ist nach eigenen Angaben aus der Kirche ausgetreten, glaubt aber weiter an Gott. So bete er regelmäßig das "Vater unser", sagte der Designer. Er wuchs nahe einer evangelischen Kirche in Maulbronn-Zaisersweiher in Baden-Württemberg auf, in der er auch getauft und konfirmiert wurde. Sein rund 200 Seiten umfassendes Buch ist im Adeo Verlag erschienen. Der Untertitel des Buches lautet: "Hat die Kirche noch Zukunft? Was sich ändern muss".
Dabei versteht sich der Modemacher ausdrücklich nicht als Berater der Kirchen. Für die Reformen seien die Kirchenleitungen zuständig. In seinem Buch dankt er all jenen Menschen, die ihm den Glauben vermittelt und Gott nahegebracht haben, sowie "den kirchlichen Institutionen für alles Gute, das sie der Menschheit getan haben". Zugleich spreche er aber "auch das Problematische an, die Gräuel und das Entsetzliche, das die Kirchen über Jahrhunderte verursacht haben".
Der Designer widmet sich dabei aus einer sehr persönlichen Perspektive unterschiedlichen Themen. Es geht etwa um den Pomp in der Kirche, Taufe, Sexualität, seinen Traum vom Paradies, die Bibel als "Kochbuch des Lebens" und auch um die Frage "Würde Jesus rote Schuhe von Prada tragen?".
Glööckler hatte bereits im Auftrag der Bibelgesellschaft zum 500. Reformationsjubiläum einen Schmuckschuber für die Lutherbibel 2017 gestaltet. Inzwischen werde er auch als Gastprediger in Kirchengemeinden angefragt, verriet Glööckler in Berlin.
Köln (epd). Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki hat Robert Kleine für weitere sechs Jahre zum Stadtdechanten von Köln ernannt. Damit werde Kleine die Entwicklung der Pfarrgemeinden und kirchlichen Organisationen in Köln begleiten und die katholische Kirche von Köln in ökumenischen und interreligiösen Zusammenhängen vertreten, erklärte das Stadtdekanat Köln am 3. September. Kleine kündigte an, er werde weiterhin versuchen, ein glaubwürdiger und froher Botschafter für den Glauben und die Kirche in Köln zu sein.
Der Theologe folgte im Jahr 2012 auf den gestorbenen Stadtdechanten Johannes Bastgen. Von großer Bedeutung sei für Kleine der ökumenische und interreligiöse Dialog, unter anderem in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen und im Kölner Rat der Religionen, erklärte das Erzbistum.
Der Evangelische Kirchenverband Köln und Region begrüßte die Benennung. Die Kölner Superintendenten schätzten besonders den ökumenischen Dialog mit Kleine, erklärte der stellvertretende Stadtsuperintendent Markus Zimmermann am 3. September.
Düsseldorf (epd). Die evangelischen Landeskirchen in Nordrhein-Westfalen und das Schulministerium setzen sich nach Kritik des Landesrechungshofes mit Problemen bei der Erteilung von Religionsunterricht durch kirchliche Lehrkräfte auseinander. In einer gemeinsamen Arbeitsgruppe werde derzeit intensiv nach Lösungen gesucht, erklärte Landeskirchenrat Eckhard Langner von der Evangelischen Kirche im Rheinland am 5. September in Düsseldorf.
Die Prüfer hatten in ihrem am Dienstag veröffentlichten Bericht bemängelt, dass mehr als 20 Prozent des vorgesehenen Religionsunterrichtes durch kirchliche Lehrkräfte ausfällt. Zum Teil seien die Kräfte für Unterricht in anderen Fächern eingesetzt worden. Außerdem kritisiert der Landesrechnungshof, dass das Land den evangelischen Kirchen die Personalkosten unabhängig von den tatsächlich erteilten Stunden erstattet.
Den Angaben zufolge sind für rund 17 Prozent der vorgesehenen Pflichtstunden in Evangelischen Religion an den NRW-Schulen kirchliche Lehrkräfte zuständig, zumeist Pfarrerinnen und Pfarrer. "Etwa 500 Stellen sind auf der Grundlage von Gestellungsverträgen mit kirchlichen Lehrkräften der drei evangelischen Landeskirchen in den Schulen Nordrhein-Westfalens besetzt", erläuterte Landeskirchenrat Langner.
Die Rechnungsprüfungsämter Arnsberg, Detmold, Düsseldorf und Köln hatten laut Bericht stichprobenhaft den Religionsunterricht durch kirchliche Lehrkräfte an 48 Schulen aller Schulformen in den Haushaltsjahren 2014 und 2015 unter die Lupe genommen. Danach wurden nur 78 Prozent der vorgesehenen Pflichtstunden erteilt. 6,6 Prozent der Stunden fielen wegen Fortbildung oder Krankheit aus, 10 Prozent aus anderen Gründen und in 5,3 Prozent der Stunden unterrichteten die kirchlichen Lehrkräfte in anderen Fächern.
Detmold (epd). Auch der Landessuperintendent der Lippischen Landeskirche, Dietmar Arends, hat eine Online-Petition unterzeichnet, die Politik und Kirchen zum Einsatz für eine humane Asylpolitik aufruft. Die Petition unter dem Titel "Flüchtlingspolitik in Europa: Erst stirbt das Recht, dann der Mensch" habe bereits mehr als 110.000 Unterstützer gefunden, wie die Landeskirche in Detmold mitteilte. Den auf www.change.org veröffentlichten Aufruf hatten Anfang Juli die drei Präsidiumsmitglieder des Deutschen Evangelischen Kirchentages Beatrice von Weizsäcker, Sven Giegold und Ansgar Gilster gestartet.
Von den Regierungen werde in der Petition unter anderem gefordert, internationales Recht zu wahren, statt es durch Abschottung auszuhöhlen, hieß es weiter. Gleichzeitig werde an die Kirchenleitungen appelliert, sich in der derzeitigen historischen Situation "mutiger, klarer und unmissverständlich" zu äußern. Landessuperintendent Arends betonte, der Einsatz für die Aufnahme und den Schutz von Flüchtlingen sei ein wichtiges Anliegen der Lippischen Landeskirche. Er mache sich persönlich "große Sorgen" angesichts der aktuellen politischen Entwicklung, die nur noch auf Abschottung und Abwehr ausgerichtet erscheine, erklärte Arends.
Unterzeichnet wurde die Petition bislang unter anderem auch durch den Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski, seine westfälische Amtskollegin Annette Kurschus und der Bischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), Ilse Junkermann.
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Jerusalem (epd). Die Spitzen des Landes Nordrhein-Westfalen haben am 5. September in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem der sechs Millionen ermordeten Juden gedacht. Ministerpräsident Armin Laschet und Landtagspräsident André Kuper (beide CDU) legten in der "Halle der Erinnerung" gemeinsam einen Kranz für die Opfer des Nationalsozialismus nieder. Zuvor hatte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu das Engagement gegen Antisemitismus in Deutschland gewürdigt. Israelische Gesprächspartner mahnten zugleich ein stärkeres Engagement gegen zunehmenden Nationalismus und Populismus an.
Netanjahu habe erfreut auf die Ankündigung des Landes Nordrhein-Westfalen reagiert, eine eigene Präsenz in Israel zu errichten, sagte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) am Mittwoch nach einem Treffen mit Netanjahu in Jerusalem. In der rund anderthalbstündigen Unterredung - der ersten eines NRW-Regierungschef mit einem israelischen Premier - sei es vor allem um die künftige Zusammenarbeit in den Bereichen Sicherheit, Wirtschaft und Wissenschaft sowie um den Konflikt mit den Palästinensern gegangen.
Netanjahu habe "unabhängig von der geschichtlichen Last des Holocaust" darauf gedrungen, dass Deutschland und Israel in wichtigen Zukunftsfragen enger kooperieren, sagte Laschet. Der israelische Ministerpräsident begrüßte nach Laschets Worten auch, dass NRW in Erinnerung an den israelischen Staatsgründer David Ben Gurion künftig ein "David Ben Gurion Memorial Stipendium" vergibt, für das jetzt die Bewerbungsphase startet.
Besorgt über "das Wachsen von Nationalismus und Populismus in Israel, in Deutschland und überall auf der Welt" äußerte sich der Präsident der Weltunion für Progressives Judentum (WUPJ), Daniel Freelander. Deshalb sei die Stimme des liberalen Judentums wichtig, das sich für Offenheit, Demokratie und Pluralismus einsetze, sagte er im Gespräch mit Kuper.
Der Abteilungsleiter im israelischen Geheimdienstministerium, Arye Shalicar, rief Deutschland auf, noch mehr gegen Antisemitismus zu tun. Es reiche nicht aus, Antisemitismus-Beauftragte im Bund und in den Ländern zu berufen. Nötig sei mehr Jugendaustausch. Kritik äußerte der frühere Armeesprecher am Israel-Bild einiger deutscher Medien, die nicht ausgewogen berichteten.
Bereits vor ihrem Israel-Besuch hatten Laschet und Kuper dazu aufgerufen, die Erinnerung an die Schoah wachzuhalten und Antisemitismus zu bekämpfen. Laschet stellte in Aussicht, dass NRW "sehr bald" einen Antisemitismus-Beauftragten berufen werde.
Der CDU-Politiker will nach entsprechenden Hinweisen des Zentralrats der Juden in Deutschland zudem Schulbücher auf etwaige judenfeindliche Inhalte überprüfen lassen. Die Kritik müsse ernst genommen werden, dass in Schulbüchern zum Teil antisemitische Ressentiments verbreitet würden. Beim nächsten Treffen des Kabinetts mit den jüdischen Landesverbänden wolle er die Überarbeitung der Schulbücher auf die Tagesordnung setzen.
Am 5. September wollte Laschet auch Israels Staatspräsidenten Reuven Rivlin und Oppositionsführerin Tzipi Livni treffen. Landtagspräsident Kuper besucht zum Abschluss seiner viertägigen Israel-Visite am Donnerstag das israelische Parlament, die Knesset. Zu Kupers Delegation gehören unter anderen der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Abraham Lehrer, und die Generalsekretärin der Union Progressiver Juden, Irith Michelsohn. Anlass der Besuche ist der 70. Jahrestag der Staatsgründung Israels in diesem Jahr.
Jerusalem (epd). Der nordrhein-westfälische Parlamentspräsident André Kuper (CDU) hat zum Abschluss seines Israel-Besuchs dazu aufgerufen, mehr denn je für den Erhalt der Demokratie zu kämpfen. Der wachsende Antisemitismus sei ein Angriff auf die Demokratie und alle Freiheitsrechte, sagte Kuper am 6. September in der Knesset, dem israelischen Parlament, in Jerusalem. Kuper sprach dort mit dem Vorsitzenden der Parlamentarischen Freundschaftsgruppe Israel-Deutschland, Nachman Shai von der oppositionellen Arbeitspartei Awoda, die der Zionistischen Union angehört, einem Mitte-Links-Parteienbündnis.
Shai warnte davor, die Augen vor Antisemitismus zu verschließen. Die Demokratie müsse gegen Feinde von innen und außen verteidigt werden, sagte er. Der 71-jährige Abgeordnete zeigte sich besorgt über einen "wachsenden Rechtstrend", der in Europa, aber auch weltweit zu beobachten sei. Auch die israelische Politik sei in den letzten Jahrzehnten nach rechts gerückt, beklagte Shai und kritisierte insbesondere die Politik von Regierungschef Benjamin Netanjahu gegenüber den Palästinensern.
"Wir müssen aufhören, über das Leben von Millionen Palästinensern zu bestimmen", sagte er. Es dürfe für Israel nicht darum gehen, die Araber zu beherrschen. Die derzeitige Politik zerstöre demokratische Werte und rücke eine Friedenslösung in immer weitere Ferne, statt ihr näherzukommen. Eine Zwei-Staaten-Lösung sei für Israel die einzige Möglichkeit, zu einer Lösung des Konflikts mit den Palästinensern zu kommen. Wenn dies nicht gelinge, drohe "eine Katastrophe". Allerdings sehe er derzeit auch er nicht, wer auf palästinensischer Seite eine solche Friedensregelung aushandeln könne, räumte Shai ein.
Abraham Lehrer, stellvertretender Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, äußerte sich ebenfalls besorgt über Antisemitismus und Populismus. "Es muss uns gelingen, junge Leute zu impfen, dass sie den Rattenfängern nicht mehr auf den Leim gehen", sagte er.
Anlass der viertägigen Israel-Visite Kupers war der 70. Jahrestag der Staatsgründung Israels. Der Besuch habe die Freundschaft beider Länder unterstreichen und die Zusammenarbeit vertiefen sollen, sagte der NRW-Parlamentspräsident. Beim Besuch mehrerer Projekte sei es zudem darum gegangen, die humanitäre und soziale Seite Israels besser kennenzulernen. Zu der Delegation gehörten der Vorsitzende der Parlamentariergruppe Israel im Düsseldorfer Landtag, Norbert Römer (SPD), der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Abraham Lehrer, und die Generalsekretärin der Union Progressiver Juden, Irith Michelsohn.
Düsseldorf (epd). Vor 80 Jahren wurden bei den Novemberpogromen fast alle Synagogen in Nordrhein-Westfalen zerstört. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden nach und nach wieder jüdische Gemeinden, die mit der Zeit wuchsen und neue Gotteshäuser bauten. Gab es auf dem Gebiet von NRW vor 1930 noch rund 350 Synagogen, werden inzwischen nach Angaben der Staatskanzlei wieder 20 jüdische Gotteshäuser für religiöse Zwecke genutzt.
Eine der ersten neuen Synagogen in Nordrhein-Westfalen wurde vor 60 Jahren in Düsseldorf eingeweiht. Die Große Synagoge in der Kasernenstraße war während der Novemberpogrome 1938 von den Nationalsozialisten in Brand gesteckt worden. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs plante der Architekt Hermann Zvi Guttmann ein neues Gotteshaus, dessen Grundstein 1956 gelegt wurde.
Die feierliche Einweihung fand am jüdischen Neujahrstag "Rosch ha-Schana" am 7. September 1958 in Anwesenheit des damaligen NRW-Ministerpräsidenten Franz Meyers (CDU) statt. Zum 60. Jahrestag am Freitag hat die Gemeinde keine Feierlichkeiten geplant. Stattdessen stehen Sanierungsarbeiten an, für die die Synagoge ab Oktober für mehrere Monate geschlossen werden muss.
In Dortmund konnte ein neues jüdisches Gotteshaus bereits 1956 seiner Bestimmung übergeben werden. Im westfälischen Minden wurde die neue Synagoge zwei Jahre später, am 15. Juni 1958, genau an der Stelle der alten eingeweiht. Zur Einweihung kam der damalige NRW-Kultusminister Paul Luchtenberg (FDP).
Kaum jemand hatte in den ersten Jahrzehnten nach Kriegsende damit gerechnet, dass die Zahl der Juden in Deutschland einmal zunehmen würde. Aus Dortmund etwa heißt es: "In den 1980er Jahren befürchtete die Leitung der Jüdischen Kultusgemeinde das absehbare Ende der Existenz einer jüdischen Gemeinde in Dortmund. Die Mitglieder wurde immer älter, die Jugend zog ein Leben in anderen Regionen Deutschlands oder in Israel vor und folglich blieb der Nachwuchs aus."
1989 zählte die Gemeinde 350 Mitglieder - mit sinkender Tendenz. Es waren die politischen Veränderungen im ehemals kommunistischen und religionsfeindlichen System in Osteuropa, die eine Änderung brachten. Viele osteuropäische Juden vor allem aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion kamen nach Deutschland, viele davon auch nach NRW.
In Dortmund zählt die Jüdische Gemeinde inzwischen etwa 3.000 Mitglieder. In Düsseldorf sind es aktuell rund 7.000 Mitglieder, während man bei der Grundsteinlegung der neuen Synagoge 1956 nur etwa 850 Gemeindemitglieder zählte. Ende 2015 hatten die 22 jüdischen Gemeinden in NRW rund 28.000 Mitglieder.
In den 1950er und 60er Jahren wurden auch in Bonn, Köln, Essen, Hagen, Münster und Paderborn neue Synagogen gebaut. Seit Mitte der 1990er Jahre entstanden zudem jüdische Gotteshäuser in Aachen, Duisburg, Wuppertal, Krefeld, Gelsenkirchen, Bochum, Bielefeld, Köln, Recklinghausen und zuletzt im März 2010 in Herford.
In einigen Städten nutzen jüdische Gemeinden zudem ehemalige Kirchen: In Bielefeld wurde eine Evangelische Kirche zur Synagoge, in Köln nutzt die Jüdische Liberale Gemeinde eine ehemals evangelische Kapelle. Und in Unna baut aktuell die dortige progressive Jüdische Gemeinde eine ehemalige Kirche zur Synagoge um.
Die in den ersten Nachkriegsjahrzehnten neu gebauten Gebäude sind inzwischen in die Jahre gekommen. Neben der Synagoge in Düsseldorf muss aktuell auch die Synagoge in der Roonstraße in Köln saniert werden. An den Kosten beteiligt sich die NRW-Landesregierung. Seit 2018 gibt das Land rund drei Millionen Euro für den Synagogenbau, unter anderem für Umbauten und Renovierungen. Dieser Betrag soll bis 2028 jährlich um 200.000 Euro auf dann fünf Millionen Euro jährlich ansteigen.
Abraham Lehrer, Vorstandsmitglied der Synagogen-Gemeinde Köln und Vizepräsident des Zentralrats der Juden, erklärte: "Wir werten es als ein starkes Signal, dass die Landesregierung die positive und zukunftssichernde Entwicklung jüdischen Lebens in unserem Bundesland als Bereicherung betrachtet und die dafür benötigten Mittel bereitstellt." In Düsseldorf starten die Sanierungsarbeiten Anfang Oktober. Voraussichtlich werden sie erst Ende April 2019 abgeschlossen sein.
Berlin/Chemnitz (epd). Der Angriff mutmaßlicher Neonazis auf ein jüdisches Restaurant vor zwei Wochen in Chemnitz hat bundesweit Bestürzung ausgelöst. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, zeigte sich erschüttert. Die rassistischen Ausschreitungen und die Attacke auf das jüdische Lokal "Schalom" zeigten, wie stark der Rechtsextremismus in der Region verwurzelt sei.
"Es ist fünf nach Zwölf!", betonte Schuster. "Die Bestrebungen der Verfassungsbehörden, die Vorfälle offensichtlich zu bagatellisieren, lassen mich ernsthaft an der Arbeit dieser Behörden zweifeln."
Wie der Wirt des koscheren Lokals, Uwe Dziuballa, dem Evangelischen Pressedienst (epd), bestätigte, wurde sein Restaurant am Abend des 27. August von zehn bis zwölf Personen mit Steine und Flaschen attackiert. Er selbst wurde dabei an der Schulter getroffen. Der sächsische Staatschutz hat die Ermittlungen übernommen. Die "Welt am Sonntag" hatte zuerst ausführlich über den Angriff berichtet. Laut der Zeitung riefen die vermummten, in schwarz gekleideten Täter dabei "Hau ab aus Deutschland, Du Judensau".
Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) verurteilte die Attacke. "Angriffe auf jüdisches Leben, wie wir sie nun wieder erleben, sind unerträglich", sagte die Ministerin dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Attacken von rechten Gruppen auf jüdische Restaurants weckten schlimmste Erinnerungen.
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, zeigte sich alarmiert. "Sollten die Berichte zutreffen, haben wir es mit dem Überfall auf das jüdische Restaurant in Chemnitz mit einer neuen Qualität antisemitischer Straftaten zu tun. Hier werden die schlimmsten Erinnerungen an die dreißiger Jahre wachgerufen", sagte Klein der "Welt am Sonntag" (9. September).
Der sächsische Innenminister Roland Wöller (CDU) besuchte am 8. September das Restaurant und sprach mit dessen Betreiber Dziuballa. Der Minister versprach, dass die sächsische Polizei mit Hochdruck daran arbeite, "diese widerliche Tat aufzuklären". Zuvor hatte auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) ein Treffen mit dem Wirt angekündigt.
Der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) wertet den Angriff als "Versuch der Vertreibung". "Wenn ein antisemitischer Mob einen jüdischen Wirt bedroht und angreift, macht mich das wütend", sagte der Regierungschef in der Tageszeitung "Die Welt" (10. September): "Das erinnert an das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte."
Für Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) zeigt der Angriff auf das jüdische Restaurant, "dass es offenbar eine geringere Hemmschwelle zu rechtsextrem motivierten Gewalttaten gibt". In Sachsen habe man offenbar viel zu lang bestehende Ressentiments geduldet.
Wirt Dziuballa schilderte dem epd, wie ihn der Angriff gegen 21.40 Uhr nach einer Lesung völlig überrascht habe, als er wegen eines Geräuschs vor die Tür getreten sei. "Das waren extreme zehn Sekunden", sagte er. Die Täter hätten faustgroße Steine, Flaschen und andere Gegenstände geworfen. Ein Stein habe ihn an der Schulter getroffen. Das Lokal sei am Ruhetag bis auf zwei Gäste schon leer gewesen.
Der Angriff erfolgte einen Tag nachdem in Chemnitz in der Nacht zum 26. August der 35-jährige Deutsch-Kubaner Daniel H. erstochen worden war. Drei Asylbewerber aus Syrien und dem Irak sind dringend tatverdächtig. Daraufhin kam es rechtsgerichteten Demonstration mit Ausschreitungen.
Köthen (epd). Nach dem gewaltsamen Tod eines 22-jährigen Deutschen im sachsen-anhaltischen Köthen haben Vertreter aus Politik und Kirche Besonnenheit angemahnt. Die Zivilgesellschaft sei aufgerufen, sich durch die Gewalttat nicht instrumentalisieren zu lassen, sagte der Kirchenpräsident der Evangelischen Landeskirche Anhalts, Joachim Liebig, am Abend des 9. September dem Evangelischen Pressedienst (epd). Zugleich betonte er, dass die Köthener Stadtbevölkerung um den jungen Mann trauere. "Die Stimmung ist gedrückt", sagte der Kirchenpräsident.
Nach dem Tod des 22-Jährigen blieb es bei Demonstrationen am Abend des 9. September in der sachsen-anhaltischen Stadt friedlich. Die in Halle erscheinende "Mitteldeutsche Zeitung" (online) berichtete unter Berufung auf die Polizei von etwa 2.500 Teilnehmern bei einem Trauermarsch durch die Stadt. Mobilisiert hatten dafür auch Rechtsextreme aus ganz Mitteldeutschland, hieß es.
Der junge Mann war in der Nacht vom 8. auf den 9. Septeber nach einem Streit mit zwei Afghanen an Herzversagen gestorben. Wie Polizei und Staatsanwaltschaft in der Nacht zum 9. September mitteilten, erließ das Amtsgericht Dessau-Roßlau Untersuchungshaftbefehl gegen die beiden an dem Streit beteiligten Afghanen. Gegen die 18- und 22-jährigen Tatverdächtigen werde wegen des Verdachts der Körperverletzung mit Todesfolge ermittelt. Beide befänden sich in Untersuchungshaft, die Ermittlungen dauerten an.
Landesinnenminister Holger Stahlknecht (CDU) betonte am Wochenende: "Der tragische Tod des jungen Mannes geht mir sehr nahe und ich bedauere das Geschehene zutiefst." Der Minister sprach den Hinterbliebenen sein aufrichtig empfundenes Mitleid aus. Weiter erklärte der Innenminister, dass die Ermittlungen zu den Geschehnissen in enger Abstimmung mit Justiz und Polizei liefen. "Ich habe vollstes Verständnis für die Betroffenheit unserer Bürgerinnen und Bürger. Dennoch bitte ich um Besonnenheit", betonte Stahlknecht. Alle Mittel des Staates würden konsequent eingesetzt.
"Unsere Gebete und Gedanken sind bei dem Opfer und seinen Angehörigen", sagte Kirchenpräsident Liebig. Zugleich rief er zu Besonnenheit auf: "Das schreckliche Ereignis muss mit Umsicht aufgeklärt werden. Jede politische Instrumentalisierung ist abzulehnen und würde zu einer Eskalation führen, die schreckliche Folgen haben könnte." Die Landeskirche Anhalts und die Köthener Kirchengemeinden hatten kurzfristig für den 9. September zu einer Trauerandacht in die Köthener St.-Jakobskirche eingeladen, an der mehrere hundert Menschen teilnahmen. Mit minutenlangem Glockenläuten und Kerzen wurde des getöteten Mannes gedacht.
Liebig kündigte an, dass dem 10. September täglich um 17 Uhr Friedengebete in der Jakobskirche in Köthen stattfinden werden. Zudem wurden in der Kirche Spenden für die Familie des Todesopfers gesammelt. Angesichts der zu erwartenden Demonstrationen berichtete Liebig von einer erhöhten Polizeipräsenz in der Stadt. Niemand wolle, dass aus Köthen ein zweites Chemnitz werde, sagte Liebig mit Blick auf die teilweise gewaltsamen Ausschreitungen bei rechtsgerichteten Demonstrationen nach dem Tod eines 35-jährigen Deutschen in Chemnitz vor zwei Wochen.
Dresden/Berlin (epd). Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat die Chemnitz-Berichterstattung in Teilen kritisiert. Es verwundere, "dass diejenigen, die besonders weit weg waren, ein besonders pauschales und hartes Urteil über diese Stadt treffen", sagte Kretschmer am 5. September in einer Regierungserklärung im Landtag in Dresden. Durch die Arbeit verantwortungsvoller Journalisten sei aber klargeworden: "Es gab keinen Mob, es gab keine Hetzjagd, es gab kein Pogrom in Chemnitz", erklärte der Regierungschef. Oppositionspolitiker warfen ihm Opportunismus vor und sprachen von Realitätsverweigerung.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte zu den Äußerungen Kretschmers, sie habe aus Chemnitz Bilder gesehen, "die sehr klar Hass und Verfolgung von unschuldigen Menschen deutlich gemacht haben". Davon müsse man sich distanzieren. "Das tue ich", sagte die Kanzlerin in Berlin. Merkel hatte die Ausschreitungen bereits vergangene Woche verurteilt und gesagt, Hetzjagden und Zusammenrottungen, wie sie in Videoaufnahmen zu sehen seien, hätten "mit unserem Rechtsstaat nichts zu tun".
Die Plenarsitzung im sächsischen Landtag wurde mit einer Schweigeminute für den in Chemnitz erstochenen Deutsch-Kubaner Daniel H. eröffnet. Wegen der Tat sitzen zwei Asylbewerber aus Syrien und dem Irak in Untersuchungshaft. Ein dritter irakischer Asylbewerber wird mit Haftbefehl gesucht. Das Tötungsdelikt vom 26. August hatte in Chemnitz mehrfach zum Teil gewaltsame rechtsgerichtete Demonstrationen und Gegenprotest mit jeweils Tausenden Teilnehmern ausgelöst.
Kretschmer rief zum entschiedenen Einsatz gegen Rechtsextremismus auf: "Ich bin der festen Überzeugung, dass der Rechtsextremismus die größte Gefahr für unsere Demokratie ist." Der Kampf gegen Extremisten müsse aus der Mitte der Gesellschaft heraus geführt werden: "Es geht um unsere Demokratie."
Scharfe Kritik übte der Regierungschef an der AfD. Von der Partei verwendete Begriffe wie "Volksverräter" sorgten für eine Radikalisierung der Gesellschaft. "Wer solche Begriffe verwendet, stellt sich außerhalb jeder Rechtsordnung", sagte Kretschmer und fügte in Richtung der AfD-Fraktion hinzu: "Sie sind für die Spaltung in unserem Land zum großen Teil verantwortlich. Sie sind an den Dingen, die in Chemnitz sind, mitverantwortlich."
Nach der Tötung von Daniel H. hatte es in Chemnitz vereinzelt Angriffe auf ausländisch aussehende Menschen gegeben. Bei den folgenden Demonstrationen, bei denen zum Teil gewaltbereite Rechtsextreme mitliefen, gab es wiederholt Attacken auf Polizisten und Journalisten.
Die Opposition im Landtag kritisierte Kretschmers Erklärung. Linken-Fraktionschef Rico Gebhardt sagte, mit seiner Widersprüchlichkeit sei der Ministerpräsident ein typischer Vertreter der sächsischen Union. "Er ist nur dann aktiv und offensiv gegen Rassismus, wenn er damit meint, beim aktuellen Publikum punkten zu können", sagte Gebhardt. Wolfram Günther (Grüne) sagte, Kretschmers "andauerndes Schönreden der Situation" zeige "eine erhebliche Realitätsverweigerung".
Unterdessen warnte Kretschmer vor einer Überheblichkeit gegenüber Ostdeutschland. "Was hier passiert, kommt in drei, vier Jahren auch im Rest der Bundesrepublik an", sagte der CDU-Politiker laut Vorabmeldung der Wochenzeitung "Die Zeit". Auch im Landtag betonte der Regierungschef, dass der Osten "ein Seismograf" dafür sei, "was in Deutschland gerade passiert und was auch in einigen Jahren in ganz Deutschland Thema und Stimmung sein wird".
Leipzig (epd). Ob rechte Krawalle in Heidenau 2015, die Neonazi-Ausschreitungen in Leipzig-Connewitz 2016, ob der Terror der "Gruppe Freital", Angriffe auf Flüchtlinge in Wurzen oder jüngst die Übergriffe in Chemnitz: Immer wieder gerät Sachsen durch gewaltbereite Rechtsextreme in die Schlagzeilen. Auch in den Jahren nach der Wende war das nicht anders.
Dabei gibt es in Sachsen durchaus eine aktive Gegenbewegung und diverse Initiativen, die den Rechten den Kampf angesagt haben. Warum aber dringen sie nicht durch? Warum dominiert in der Öffentlichkeit seit Jahrzehnten das Bild vom braunen Sachsen? Und wie kann man das ändern?
Zur Ursachenforschung lieferte Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) in der ARD einen wichtigen Baustein. Man habe in der Vergangenheit häufig gesagt, wer gegen rechts sei, der sei eben links, sagte sie in der Talkshow "Anne Will". Dabei gelte: "Für mich ist man, wenn man gegen rechts ist, einfach für die Demokratie." Dafür bekam die Ministerin viel Applaus - das Problem aber ist nicht gelöst.
Opposition und zivile Initiativen fordern ein echtes Umdenken, ein beherztes, abgestimmtes Handeln - und weniger Stigmatisierung engagierter Bürger. Jahrelang, sagt etwa Andrea Hübler von der Opferberatung der Regionalen Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie Sachsen (RAA), sei jede Thematisierung rechter Gewalt und neonazistischer Strukturen in den Verdacht des Linksextremismus gerückt worden.
Besonders deutlich wurde das durch die sogenannte Extremismusklausel: Als einziges Bundesland forderte Sachsen von 2011 bis 2015 ein schriftliches Bekenntnis zum Grundgesetz von jeder Gruppe, die sich um Unterstützung für Demokratieförderprojekte bewarb. Solche Hürden, sagt Hübler, hätten es "nicht gerade einfach gemacht für die Leute, die sich hier seit Jahren engagieren und jetzt wieder als Zivilgesellschaft angesprochen werden, die Unterstützung durch die Landesregierung in den letzten 20 Jahren aber kaum gespürt haben."
Als gravierendstes Problem nennt sie aber die "jahrelange Ignoranz gegenüber Rechtsextremismus" durch die Regierung. Die Linken-Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz stimmt zu: Man habe die Extremisten schlicht nicht als echte Gefahr ernstgenommen. Gerade Vertreter der sächsischen CDU, die seit bald 30 Jahren den Regierungschef stellt, hätten sich wiederholt mit Spitzenfunktionären der NPD getroffen - und damit zu deren Normalisierung beigetragen. Auch Köditz spricht von "ideologischen Scheuklappen", von einem Generalverdacht gegen Gruppen, die etwas gegen rechts unternehmen wollten, linksextremistisch zu sein.
Dabei ist die Landesregierung nicht untätig. Die "SoKo Rex" beim Landeskriminalamt machte in den 90ern Beobachtern zufolge einen guten Job gegen Rechtsextremismus. In ein "Programm für Weltoffenheit und Toleranz in Sachsen" fließen jährlich rund fünf Millionen Euro. Das sei gut, sagt Hübler. Es sei nur viel zu spät gekommen - und jahrelang stiefmütterlich behandelt worden. Erst 2015 wurde das Programm aufgestockt.
Nach Auffassung von Köditz müsste es zudem anders aufgebaut sein. Sie verweist auf Brandenburg. "Dort setzen sich Ministerien, Opferberatungsstellen, Polizei und andere regelmäßig zusammen und besprechen, wie man bei der Zurückdrängung der extremen Rechten am besten vorankommen kann", erklärt sie. In Sachsen dagegen müssten sich einzelne Projekte um Fördergeld bewerben. "Da gibt es keine Koordinierung, keine geregelte Zielsetzung", kritisiert Köditz.
Auch Martina Glass vom Netzwerk Tolerantes Sachsen fordert neben einer ausreichenden Finanzierung vor allem "die Rückendeckung durch Politik und Verwaltung auf Landesebene und in den Kommunen". Es sei leider noch nicht bei allen Verantwortlichen angekommen, dass das Engagement für demokratische Werte immer politisch sei und nicht neutral sein könne.
Andrea Hübler hofft, dass der Freistaat nun zuerst die Straftäter von Chemnitz und anderswo "schnell und konsequent" verfolgt - und dann ernsthaft Dinge anpackt. Jedoch klingt sie auch etwas resigniert, als sie sagt: "Jeder Soziologe und Politikwissenschaftler wird bestätigen, dass es 15 bis 20 Jahre dauern wird, bis die Arbeit gegen rechts in Sachsen Früchte trägt - auch wenn wir sie ab jetzt kontinuierlich betreiben."
Ob die Landesregierung unter dem Eindruck von Chemnitz überhaupt Veränderungen vorhat, wird sich zeigen.
Berlin (epd). Die Deutung der Ereignisse von Chemnitz führt zu einer zunehmend hitzigen politischen Debatte in Berlin. Am 7. September sorgte der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, mit Aussagen in der "Bild"-Zeitung für Wirbel. "Die Skepsis gegenüber den Medienberichten zu rechtsextremistischen Hetzjagden in Chemnitz wird von mir geteilt", sagte Maaßen. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) äußerte sich vorsichtig zustimmend, während der Sprecher von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Steffen Seibert, bei seiner Darstellung blieb. Er hatte nach den ersten Demonstrationen von "Zusammenrottungen" und "Hetzjagden" gesprochen und das wiederholt begründet. Zu dem Thema sei von der Kanzlerin und ihm alles gesagt, erklärte er in Berlin.
Am 26. August war beim Chemnitzer Stadtfest ein 35 Jahre alter Deutsch-Kubaner im Streit erstochen worden. Dringend tatverdächtig sind drei Asylbewerber. Rechte Gruppen instrumentalisierten die Tat für ausländerfeindliche Demonstrationen. Dabei kam es zu Ausschreitungen und laut Polizei auch zu Attacken gegen ausländisch aussehende Personen. Die dafür mitunter verwendeten Begriffe "Hetzjagd" und "Mob" sind allerdings umstritten.
Maaßen sagte, dem Verfassungsschutz lägen "keine belastbaren Informationen darüber vor, dass solche Hetzjagden stattgefunden haben". Über ein Video, das Jagdszenen auf ausländische Menschen nahe dem Johannisplatz in Chemnitz zeigen soll, sagte Maaßen, es lägen keine Belege dafür vor, dass das im Internet kursierende Video authentisch ist. "Nach meiner vorsichtigen Bewertung sprechen gute Gründe dafür, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken", sagte er.
Ausführungen über die "guten Gründe" macht Maaßen nicht. Auch Bundesinnenministerium und Kanzleramt kennen nach eigenem Bekunden keine Details zu Maaßens Äußerungen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz sei um einen Bericht dazu gebeten worden, sagte eine Sprecherin des Innenressorts in Berlin. Gleichzeitig teilte sie mit, dass dem Ministerium aus einem anderen Bericht der vergangenen Tage bekannt gewesen sei, dass es aufgrund von Informationen der Verfassungsschutzes Zweifel daran gibt, die bisherige Bewertung des Demonstrationsgeschehens in Chemnitz zu teilen.
Innenminister Seehofer will nach Worten der Sprecherin erst die Aufklärung abwarten, bevor er eine endgültige Bewertung vornimmt. Seehofer hatte in Interviews Verständnis für die Menschen geäußert, die nach dem gewaltsamen Tod des 35-Jährigen auf die Straße gingen, sich zugleich aber von "Radikalen" distanziert. Nach einem Treffen der Innenminister von CDU und CSU in Wiesbaden sagte er mit Blick auf die Äußerungen von Maaßen: "Mein Informationsstand ist identisch." Zudem sagte er, als Verantwortungsträger müsse man sich "an den Realitäten orientieren".
Seehofer sagte in Wiesbaden außerdem, dass eine Sitzung des Innenausschusses des Bundestages geplant sei. Das sei der richtige Ort, um die Dinge zu besprechen, sagte er.
Grüne und Linke äußerten sich empört darüber, dass Maaßen den Vorwurf der Falschinformation nicht belegt hat. "Wenn Herr Maaßen solche Behauptungen aufstellt, muss er sie zweifelsfrei belegen. Alles andere ist unverantwortlich", sagte der Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Bundestag, Anton Hofreiter, der "tageszeitung".
Es gebe mehr als 120 Ermittlungsverfahren, und auch der Generalbundesanwalt befasse sich mit "Hetzjagden und Neonazi-Krawallen, die durch unterschiedliche Videos und Zeugenaussagen belegt sind", sagte die Linken-Innenpolitikerin Martina Renner. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Benjamin Strasser bezeichnete die Äußerungen von Maaßen als "Mutmaßungen" und Ablenkungsmanöver für andere Debatten über den Verfassungsschutz. Zufrieden äußerte sich AfD-Fraktionschef Alexander Gauland, der Merkels Sprecher Seibert eine "Falschbehauptung" vorwarf.
Der "ARD-Faktenfinder" meldete am 7. September, dass es nach seinen Recherchen keine Hinweise auf eine Fälschung des von Maaßen angezweifelten Videos gibt, das Jagdszenen auf ausländisch aussehende Menschen in Chemnitz zeigt. "Für ein Fake liegen keine Indizien vor", hieß es im Faktencheck-Portal der "Tagesschau". Faktoren wie Ort, Zeit und Wetterverhältnisse stimmten mit denen anderer Videos exakt überein. Das Video sei zuvor noch nicht im Netz aufgetaucht, und Journalisten hätten berichtet, ähnliche Szenen in Chemnitz gesehen zu haben.
Maaßens Äußerungen lösten auch Kritik beim Deutschen Journalisten-Verband aus. Der Begriff "gezielte Falschinformation" sei ein schwerwiegender Vorwurf, der die Medien pauschal unter Manipulationsverdacht stelle, sagte DJV-Hauptgeschäftsführer Kajo Döhring. Maaßen müsse dafür Belege liefern oder seine Äußerungen zurücknehmen.
Bielefeld (epd). Der Bielefelder Staatskundler Christoph Gusy hält eine Beobachtung der AfD in den drei ostdeutschen Ländern Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt für dringend geboten. Dort gebe es Anzeichen für eine Fraternisierung der Partei mit verfassungsfeindlichen Gruppen wie "Pegida" oder mit NPD-Mitgliedern, sagte Gusy dem Evangelischen Pressedienst (epd). In den drei Bundesländern sei die gesellschaftliche Mitte "nicht so stark und stabil" wie in manchen westdeutschen Regionen. Dort drohe die Gefahr, dass die Erosion am rechten Rand der Gesellschaft die Mitte erfasse.
Zudem exponierten sich einige der Führungspersönlichkeiten in der AfD der drei ostdeutschen Länder als verfassungsfeindlich, sagte Gusy. Es gehe deshalb nicht mehr nur um einzelne Mitglieder, sondern um die regionalen Organisationen und deren Vernetzung mit verfassungsfeindlichen Organen.
Forderungen nach einer Beobachtung der AfD insgesamt lehnte der Professor für Öffentliches Recht, Staatslehre und Verfassungsgeschichte der Universität Bielefeld jedoch ab. Es gehe nicht darum, die gesamte AfD und ihre Wähler in die verfassungsfeindliche Ecke zu stellen. Vielmehr müsse die Gesellschaft mit den moderaten Kräften innerhalb der Partei ins Gespräch kommen. "Da hilft der Verfassungsschutz gar nicht", sagte Gusy.
Die Debatte über eine vollständige oder teilweise Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz ist nach den jüngsten rechten Demonstrationen in Chemnitz wieder entbrannt. Die Bundesregierung blieb am 3. September bei ihrer skeptischen Haltung gegenüber den Forderungen nach Beobachtung. Aus ihrer Sicht liegen die Voraussetzungen dafür nicht vor. Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) sprach sich hingegen ebenfalls für eine Beobachtung von Teilen der Partei aus.
Ob einzelne AfD-Politiker beobachtet werden, ließ das Bundesinnenministerium offen. Eine epd-Umfrage unter den Innenministerien der Länder Anfang des Jahres hatte ergeben, dass einzelne Mitglieder im Visier der Verfassungsschützer stehen. Bremen und Niedersachsen lassen zudem als erste Bundesländer die Nachwuchsorganisation der AfD, die Junge Alternative, vom Verfassungsschutz beobachten, wie am 3. September bekannt wurde.
Berlin (epd). Diakonie-Präsident Ulrich Lilie hat Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) scharf kritisiert. Es sei Aufgabe des Staats "für das plurale Miteinander politische Konzepte zu entwickeln, statt die Migration als 'Mutter aller politischen Probleme' zu beklagen", sagte Lilie am 7. September in Berlin.
Seehofer soll sich Medienberichten zufolge bei einer Klausurtagung der CSU-Landesgruppe im brandenburgischen Neuhardenberg entsprechend geäußert haben. In übereinstimmenden Berichten beriefen sich "Bild" und "Welt" aus Angaben aus Teilnehmerkreisen. Wie die "Welt" berichtet, sagte Seehofer zu den fremdenfeindlichen Ausschreitung nach dem Tötungsdelikt in Chemnitz, er habe Verständnis, wenn sich Leute empören. Das mache sie noch lange nicht zu Nazis.
Diakonie-Präsident Lilie sagte, mit seiner Äußerung zur Migration stoße der CSU-Chef Millionen von Zugewanderten vor den Kopf, ohne die Deutschland jetzt und auch in Zukunft nicht auskomme. Der Weg sei demografisch längst vorgezeichnet. "Die Bundesregierung sollte Ideen liefern, wie Deutschland in zehn Jahren aussehen soll", forderte der Chef des evangelischen Wohlfahrtsverbandes.
Düsseldorf (epd). Der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski, hat Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) davor gewarnt, Einwanderer zu Sündenböcken für politische Probleme zu machen. "Politiker sollten die gesellschaftliche Situation gründlich wahrnehmen und darauf reagieren", sagte Rekowski dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 6. September in Düsseldorf. "Dabei wäre dann wohl selbstkritisch zu fragen, ob nicht eine unzureichende und bisweilen ungerechte Gesellschafts- und Sozialpolitik Kern der politischen Probleme ist."
Eine Suche nach Sündenböcken sei dagegen "gänzlich untauglich", unterstrich der Theologe, der auch Vorsitzender der Kammer für Migration und Integration der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist. Bei der Migrationsfrage gehe es um Menschen und nicht um ein abstraktes Problem.
Seehofer hatte zuvor der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post" (6. September) gesagt, die Migrationsfrage sei die "Mutter aller politischen Probleme in diesem Land". "Das sage ich seit drei Jahren. Und das bestätigen viele Umfragen, das erlebe ich aber auch in meinen Veranstaltungen", fügte der CSU-Chef hinzu.
Düsseldorf (epd). Die Flüchtlingsräte aller Bundesländer haben sich entsetzt über jüngste rassistische Mobilisierungen in Deutschland und die mediale Debatte über Geflüchtete geäußert. Rechte Hetze dominiere derzeit die Migrationspolitik in Europa, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Räte am 7. September, die auch vom Flüchtlingsrat NRW unterzeichnet wurde. "Politik und Behörden setzen enthemmt Repressionen gegen Geflüchtete durch."
Um Menschen abzuschieben, würden elementare Freiheitsrechte eingeschränkt. Menschen würden in Lagern isoliert und von Behörden sogar gezwungen, in ihren Zimmern zu bleiben, um sie leichter abschieben zu können. Menschen, die nicht abgeschoben werden könnten, würden mit Arbeitsverboten und Leistungskürzungen unter dem Existenzminimum drangsaliert. "So sollen sie zermürbt und zur Ausreise gezwungen werden", kritisieren die Flüchtlingsräte.
Die Geschäftsführerin des Flüchtlingsrats NRW, Birgit Naujoks, sprach von einer "Entmenschlichung" von Flüchtenden. Das sei der Fall, "wenn etwa seelenruhig 'Argumente' abgewogen werden, ob man Geflüchtete im Mittelmeer ertrinken lassen soll", sagte sei.
Berlin (epd). Die Umsetzung des seit August geltenden Kontingents zum Nachzug Angehöriger von Flüchtlingen mit subsidiärem Schutz kommt nur langsam in Gang. Wie der Evangelische Pressedienst (epd) aus dem Auswärtigen Amt erfuhr, wurden im ersten Monat nach Inkrafttreten der Neuregelung nur 65 positive Entscheidungen getroffen und 42 Visa ausgegeben. Die seit 1. August geltende Kontingentregelung erlaubt pro Monat den Nachzug von 1.000 Angehörigen zu Flüchtlingen in Deutschland, die nur den subsidiären Schutzstatus zugesprochen bekommen haben.
Die Auslandsvertretungen haben den Angaben zufolge 853 Anträge bearbeitet. Sie geben Anträge an das Bundesverwaltungsamt weiter, das seit der am 1. August in Kraft getretenen Neuregelung dafür zuständig ist, die 1.000 Nachzugsberechtigten pro Monat anhand verschiedener Kriterien auszuwählen. In den komplizierten Prozess des Familiennachzugs eingebunden sind auch die deutschen Ausländerbehörden, die die Anträge prüfen. Kritiker der Regelung hatten befürchtet, dass der umfangreiche Prozess dazu führen wird, dass das Kontingent in den ersten Monaten nicht ausgeschöpft wird.
Aus dem Auswärtigen Amt hieß es dazu, dass die geringe Zahl im ersten Monat "unschädlich" sei, da bis Jahresende insgesamt 5.000 Visa erteilt, frei gebliebene Plätze also auf den folgenden Monat übertragen werden könnten. Ab Januar soll die Zahl von 1.000 Plätzen pro Monat dann nicht mehr überschritten werden, selbst wenn das Kontingent in einem Monat nicht ausgeschöpft wird. Darauf hatten sich das Bundesinnenministerium und das Auswärtige Amt als verantwortliche Ressorts geeinigt.
Ende Juli lagen den Auslandsvertretungen 34.000 Terminwünsche von Menschen vor, die zu ihren Angehörigen nach Deutschland ziehen wollen. Die ganz überwiegende Mehrheit davon sind Syrer. Sie sind von der Neuregelung besonders betroffen. Die Bürgerkriegsflüchtlinge werden in Deutschland oftmals nicht als politisch Verfolgte anerkannt, sondern erhalten den untergeordneten subsidiären Schutz. Für diese Gruppe wurde im Frühjahr 2016 das Recht auf Familienzusammenführungen ausgesetzt. Seit 1. August gilt für sie die Kontingentregelung, nach der sie auf ein Visum hoffen können.
Nachziehen dürfen grundsätzlich nur Ehegatten, minderjährige Kinder oder Eltern zu ihren minderjährigen Kindern. Die geringe Zahl bewilligter Anträge sei auf verschiedene Gründe zurückzuführen, hieß es aus dem Auswärtigen Amt. Unter anderem sei die Kontaktaufnahme mit den Antragstellern schwierig, da sich seit der Terminanfrage Kontaktdaten geändert hätten. Zudem benötigt die Bearbeitung der Anfragen in den Ausländerbehörden offensichtlich viel Zeit. Bislang seien weniger als zehn Prozent der Anfragen beantwortet worden, die von den Auslandsvertretungen an die Ausländerbehörden versandt worden sind, hieß es.
Die Linken-Abgeordnete Ulla Jelpke, deren Partei allen Angehörigen den Nachzug erlauben wollte, bezeichnete die Bilanz nach dem ersten Monat als "schwer erträglich". "In der bürokratischen Umsetzung wird das Menschenrecht auf Familienleben jetzt offenbar restlos zermahlen", erklärte sie.
"Dass der Familiennachzug monatlich nur 1.000 Personen gewährt wird, ist schon kleinherzig", erklärte Diakonie-Präsident Ulrich Lilie. "Dass aber im ersten Monat der Neuregelung nur 65 Anträge genehmigt wurden, ist ein Armutszeugnis für unser Land und seine Behörden", ergänzte er. Er forderte dazu auf, die Anstrengungen zu erhöhen, um das Kontingent zu erfüllen.
Saarbrücken (epd). Immer mehr Flüchtlinge werden im Saarland auf ein Hochschulstudium vorbereitet. Seit dem Start des Förderprogramms "Integration von Flüchtlingen ins Fachstudium" im Jahr 2016 hätten 85 Flüchtlinge erfolgreich einen für das Studium qualifizierenden Abschluss erworben, teilte die Landesregierung am 3. September gemeinsam mit der Universität des Saarlandes und der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Saarbrücken mit. 59 Geflüchtete begannen ein Studium an einer saarländischen Hochschule.
Die studierfähigen Flüchtlinge seien hochmotiviert und schätzten es sehr, sprachlich und fachlich auf ein Studium vorbereitet zu werden, hieß es. Wegen des großen Zuspruchs werde das bisherige Förderprogramm zum kommenden Wintersemester weiter ausgebaut: Ziel sei, junge und begabte Geflüchtete in ein technisches oder mathematisch-naturwissenschaftliches Fachstudium zu integrieren. Auch an der Weiterführung des Projekts mit den beiden Hochschulen werde sich die Landesregierung mit 200.000 Euro beteiligen.
Mit der Vermittlung von Basis-Kenntnissen für ein Studium in den sogenannten MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) werde ein wichtiger Beitrag gegen den Fachkräftemangel geleistet, erklärte der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU). Die Hochschulen wollen den Angaben zufolge verstärkt Maßnahmen erarbeiten, die einen erfolgreichen Studienabschluss sichern und die Integration in den regionalen Arbeitsmarkt fördern. Dazu zählen unter anderem Vorbereitungskurse, interkulturelle Trainings für Dozenten und eine Studie, in der Hürden im Studium für Flüchtlinge identifiziert und Lösungen gesucht werden.
Düsseldorf (epd). Der Energiekonzern RWE hält an den geplanten Rodungen im Hambacher Forst fest. "Wir werden roden. Wir müssen roden", sagte Vorstandsmitglied Lars Kulik dem Hamburger Nachrichtenmagazin "Spiegel". Würden die Bäume nicht gefällt, kämen sich die Bagger im Braunkohletagebau Hambach bald gegenseitig in die Quere. Umweltverbände kündigten eine Demonstration für den 14. Oktober an, den Stichtag, bis zu dem RWE wegen eines laufenden Gerichtsverfahrens auf Rodungen verzichtet.
Kulik, der Leiter der Braunkohlenplanung bei RWE ist, sagte, in Hambach gebe es bereits Umsiedlungen, Ersatzstraßen und neue Landschaften. Der Prozess könne nicht mittendrin angehalten werden. Das RWE-Vorstandsmitglied verwies darauf, dass der Tagebau 15 Prozent des Stroms in NRW liefere. "Das ist jede siebte Glühbirne."
Der Essener Energiekonzern will im Oktober mit der Rodung von 100 Hektar Wald beginnen, was der Hälfte des noch stehenden Hambacher Forsts entspricht. Auf Aufforderung des Oberverwaltungsgerichts Münster hat RWE eine Stillhaltezusage bis zum 14. Oktober gegeben, weil noch eine Klage des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) gegen den Betrieb des Tagebaus anhängig ist.
Umweltverbände kündigten für den 14. Oktober eine Demonstration unter dem Motto "Wald retten! Kohle stoppen" im Hambacher Wald an. "Wir protestieren gegen die bewusste Provokation durch den Energieriesen RWE, Rodungen für den Kohleabbau durchführen zu wollen, während gleichzeitig in Berlin die Kohle-Kommission über einen Kohleausstieg verhandelt", erklärten die Umweltverbände BUND, Greenpeace, Naturfreunde Deutschlands und die Internetplattform Campact am Freitag in Berlin.
"Mit vielen Tausenden Menschen gehen wir am Tag, bevor RWE den Hambacher Wald roden will, auf die Straße - für unser Weltklima und die Rettung des Hambacher Waldes", sagte Campact-Geschäftsführer Christoph Bautz. Die Verbände betonten, sie planten einen friedlichen Protest. Sie verurteilten jegliche Gewaltanwendung im Hambacher Forst.
In der Vergangenheit ist es immer wieder zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Kohlegegnern und Polizisten im Hambacher Forst gekommen. Dutzende Umweltaktivisten verharren im Wald teils in selbst gebauten Baumhäusern. RWE-Mitarbeiter haben in dieser Woche mit dem Abbau von Baumhäusern und Barrikaden begonnen.
Der NRW-Landesverband des BUND reichte zudem am 7. September Klage am Verwaltungsgericht Köln gegen die Zwangsenteignung seines Grundstücks im Tagebaufeld ein. Die Klage wende sich gegen die "vorzeitige Besitzeinweisung", die die Bezirksregierung Arnsberg am 22. August auf Antrag von RWE angeordnet habe, erklärte der BUND in Düsseldorf. Sie soll zum 1. April 2020 wirksam werden. Der BUND hatte den etwa 500 Quadratmeter großen "Widerstandsacker" bei Kerpen-Manheim nach eigenen Angaben 1997 gekauft.
Die Bezirksregierung Arnsberg habe die vorzeitige Besitzeinweisung mit dem Wohl der Allgemeinheit begründet, erklärte der Verband. RWE könne sonst nach eigenen Angaben etwa 300 Millionen Tonnen Braunkohle nicht fördern. Der BUND kritisierte den Verweis auf das Allgemeinwohl. Braunkohle sei der klimaschädlichste Energieträger.
Auch die evangelische Kirche bezog am 6. September erneut deutlich Stellung. Der rheinische Präses Rekowski mahnte den Ausstieg aus dem "Verheizen fossiler Brennstoffe" an. "Unser Weltklima ist massiv bedroht", betonte der leitende Theologe der zweitgrößten evangelischen Landeskirche. "Wenn das RWE als Betreiber des Tagebaus und die nordrhein-westfälische Landesregierung jetzt nicht gemeinsam handeln, nicht umgehend in den Ausstieg einsteigen und auch auf die Rodung des Hambacher Forstes nicht verzichten, wird Deutschland das nationale wie auch das EU-Klimaschutzziel für 2020 weit verfehlen", erklärte Rekowski. Er forderte, den notwendigen Strukturwandel im rheinischen Braunkohlenrevier nicht weiter hinauszuzögern, sondern zügig umzusetzen.
Der Braunkohletagebau Hambach umfasst ein 85 Quadratkilometer großes Abbaufeld. Bis 2040 plant die RWE Power AG dort den Abbau von insgesamt 2,4 Milliarden Tonnen Braunkohle.
Düsseldorf, Berlin (epd). Die Deutsche Umwelthilfe ist im ersten Anlauf mit ihrem Anliegen gescheitert, das Land NRW mit einem Zwangsgeld zur Einführung eines Dieselfahrverbots in Düsseldorf zu verpflichten. Einen entsprechenden Vollstreckungsantrag lehnte das Verwaltungsgericht Düsseldorf am 3. September ab (AZ: 3 M 123/18). Gegen diesen Beschluss legte die Umwelthilfe Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht NRW in Münster ein.
Zur Begründung führten die Richter aus, das Land sei seiner in einem Gerichtsurteil von 2016 auferlegten Verpflichtung nachgekommen, bei dem Entwurf des Luftreinhalteplans für Düsseldorf Dieselfahrverbote ernstlich zu prüfen und abzuwägen. Dass das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig im Februar Dieselfahrverbote in Städten für grundsätzlich zulässig erklärt hatte, bedeute keine Pflicht zur Einführung von Fahrverboten, betonten die Richter.
Das sieht die Deutsche Umwelthilfe anders. Das Urteil für die Fortschreibung des Luftreinhalteplans und das Ergreifen schnellstmöglicher wirksamer Maßnahmen für "saubere Luft" sei weiterhin gültig und durch das Land NRW umzusetzen, forderte Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch am 3. September in Berlin.
Rechtsanwalt Remo Klinger, der die Umwelthilfe in dem Verfahren vertritt, erläuterte: "Das Bundesverwaltungsgericht spricht nicht von einem bloßen Prüfauftrag, sondern von einer Verpflichtung zur Einführung von Fahrverboten, wenn andere Maßnahmen nicht ebenso schnell in der Lage sind, die Grenzwerte für den Luftschadstoff Stickstoffdioxid einzuhalten." Deshalb müsse das Land Fahrverbote nicht nur prüfen, sondern sie auch in den Plan aufnehmen.
Der rund 260 Seiten starke Luftreinhalteplan für Düsseldorf enthält über 60 Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität, unter anderem eine Umrüstung der Busse der Rheinbahn AG sowie eine Steigerung der Attraktivität des Rad- sowie des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). Auf Fahrverbote wird dagegen ausdrücklich verzichtet.
Die Deutsche Umwelthilfe hält den Luftreinhalteplan für rechtswidrig, da er trotz des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts keine Dieselfahrverbote vorsieht. Außerdem kritisiert die Organisation, dass die Grenzwerte für das Diesel-Abgasgift Stickstoffdioxid nicht "schnellstmöglich", sondern erst in sechs Jahren eingehalten werden sollen.
Das Land lehnt Fahrverbote für Dieselfahrzeuge bislang ab. Sie gelten als Hauptverursacher des giftigen Schadstoffs Stickstoffdioxid, dessen seit 2010 geltender EU-Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft vor allem in vielen Großstädten häufig überschritten wird. Stuttgart, Frankfurt und Aachen waren bereits gerichtlich zur Einführung von Dieselfahrverboten in den Luftreinhalteplänen verpflichtet worden.
Frankfurt a.M. (epd). Die Vorsitzenden des Ungarischen Helsinki-Komitees (HHC), Márta Pardavi und András Kádár, sind am 8. September in Frankfurt am Main mit dem Menschenrechtspreis der Stiftung Pro Asyl ausgezeichnet worden. Unerschrockene Verteidiger der Menschen- und Bürgerrechte in Europa wie die Mitarbeitenden des HHC verdienten höchste Anerkennung und uneingeschränkte Solidarität, trug der Vorsitzende des Stiftungsrats, Andreas Lipsch, aus der Urkunde vor. Die Auszeichnung ist mit einem Preisgeld von insgesamt 5.000 Euro und der von dem Darmstädter Kunstprofessor Ariel Auslender gestalteten "Pro Asyl-Hand" verbunden.
"Die Rechtsberatung des HHC in Sammelunterkünften, Haftanstalten und sogenannten Transitzentren hat bereits zahlreichen Flüchtlingen zu Schutz verholfen", heißt es in der Begründung des Preises. "Durch Krieg und Flucht auseinandergerissene Familien konnten mit Hilfe des HHC vereint werden." Gewalttätige Übergriffe seitens ungarischer Polizisten seien aufgedeckt und zur Anzeige gebracht worden. Dabei würden die Mitarbeiter des HHC durch öffentliche Anfeindungen und schärfere ungarische Gesetze, die sogar Haft für die Unterstützung von Flüchtlingen vorsähen, massiv unter Druck gesetzt.
Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler (SPD), kritisierte die ungarische Regierung, dass sie nicht bereit sei, beim Asyl und Flüchtlingsschutz "auf europäischer Ebene in Verantwortung und Solidarität zusammenzuarbeiten". Die EU-Kommission habe Ungarn deshalb vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt. Im vergangenen Juni habe das ungarische Parlament einen Strafrechtsparagrafen bei "Unterstützung illegaler Migration" eingeführt, im August eine Strafsteuer auf "migrationsrelevante Aktivitäten". Die Arbeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen werde massiv erschwert, Menschenrechtler würden verunglimpft und bedroht.
Am 11. und 12. September befasst sich das Europäische Parlament mit der Frage, ob gegen Ungarn wegen des Verstoßes gegen europäische Grundwerte ein Rechtsverfahren nach Artikel sieben des EU-Vertrags eröffnet wird. Preisträgerin Pardavi appellierte an das Europäische Parlament: "Dies ist eine der letzten Gelegenheiten, ein klares Signal zu setzen, dass die Europäische Union ihre Werte verteidigt. Wir befinden uns in Ungarn in einer Situation, in der die Rechtsstaatlichkeit endet und die willkürliche Herrschaft beginnt. Stimmen Sie am 12. September mit ja."
Münster, Düsseldorf (epd). Flüchtlinge dürfen laut einem Gerichtsurteil zu einem Aufenthalt in einem Bundesland, nicht aber an einen bestimmten Ort verpflichtet werden. Eine Landesregelung, die etwa den Wohnsitz dort festlegt, wo Flüchtlinge aktuell bei der Zuweisung auf die Gemeinden wohnen, sei rechtswidrig, erklärte das Oberverwaltungsgericht Münster in einer Entscheidung vom 4. September (AZ: 18 A 256/18). Das sei zudem nicht mit dem Bundesrecht vereinbar. Das nordrhein-westfälische Flüchtlingsministerium kündigte an, die entsprechende Länderregelung überprüfen zu wollen.
Die Verpflichtung, den Wohnsitz in dem Bundesland zu behalten, das für das Asylverfahren zuständig ist, ist nach Einschätzung des Gerichts integrationspolitisch sinnvoll. Das Land habe jedoch kein Recht, Flüchtlingen den Wohnsitz in der Gemeinde anzuordnen, in der sie zur Zeit der Zuweisung wohnen, erklärte das Gericht. Nach dem bundesweiten Aufenthaltsgesetz solle bei der Wohnsitzauflage auch die örtliche Situation auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt berücksichtigt werden. Ländereigene Regelungen seien lediglich für die Organisation der Wohnsitz-Verpflichtung vorgesehen.
Damit änderte das Oberverwaltungsgericht die Entscheidung der Vorinstanz ab. Geklagt hatte ein irakischer Flüchtling, den die Bezirksregierung Arnsberg verpflichtet hatte, an seinem aktuellen Wohnsitz in Kerpen zu bleiben. Der Mann, der im März 2017 vorübergehenden (subsidiären) Schutzstatus erhielt, sollte nach einer Weisung der Bezirksregierung Arnsberg für bis zu drei Jahren in Kerpen bleiben. Der Stadt war der Mann bei seinem Asylverfahren zugewiesen worden. Die Bezirksregierung hatte die Verpflichtung mit der Ausländer-Wohnsitzregelung das Landes Nordrhein-Westfalen begründet.
Das nordrhein-westfälische Flüchtlingsministerium erklärte, das Oberverwaltungsgericht habe lediglich einen Teilaspekt beanstandet. Die Regelung insgesamt sei nicht infrage gestellt worden, erklärte das Ministerium in Düsseldorf. Das Ministerium akzeptiere die Entscheidung des Gerichts und werde prüfen, "welche Anpassungen bei der Wohnsitzzuweisung für anerkannte Flüchtlinge in Nordrhein-Westfalen folgen müssen". Dazu müsse jedoch erst die schriftliche Begründung vorliegen. Bis dahin könnten übergangsweise Einzelfallprüfungen erfolgen, die die aktuelle Gerichtsentscheidung berücksichtigten.
Das Gericht ließ keine Revision zu. Gegen die Entscheidung kann eine Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht werden.
Bonn (epd). Weltweit können mindestens 750 Millionen Erwachsene noch immer nicht lesen und schreiben. Die Anzahl der Analphabeten habe sich im Vergleich zum vorigen Jahr kaum verringert, teilte die Deutsche Unesco-Kommission in Bonn am 6. September mit. Zwei von drei Leseunkundigen seien Frauen. 102 Millionen seien junge Menschen zwischen 15 und 24 Jahren, betonte die UN-Kulturorganisation mit Blick auf den Welttag der Alphabetisierung am 8. September.
Analphabetismus sei einer der Gründe dafür, dass viele der weltweit 192 Millionen Erwerbslosen keine Arbeit finden. Auch in Deutschland sei Analphabetismus ein Problem, betonte Maria Böhmer, Präsidentin der Deutschen Unesco-Kommission. "Zwölf Prozent der Berufstätigen in Deutschland können nicht richtig lesen und schreiben", sagte sie. Diese Menschen hätten oft keine Möglichkeit, beruflich aufzusteigen.
Die Weltgemeinschaft hat sich mit den globalen Nachhaltigkeitszielen verpflichtet, bis 2030 allen Menschen grundlegende Lese- und Schreibkompetenzen zu vermitteln. "Wir benötigen vor allem mehr niedrigschwellige Lernmöglichkeiten, um Analphabeten hierzulande wenigstens das Erreichen des Grundbildungsniveaus zu ermöglichen", forderte Böhm. Auch die Alphabetisierung der Flüchtlinge in Deutschland müsse so schnell wie möglich umgesetzt werden.
Die "Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung" wurde Ende September 2015 auf einem UN-Gipfel in New York verabschiedet. Hauptziele sind unter anderem, weltweit extreme Armut und Hunger zu überwinden sowie allen Menschen den Zugang zu Bildung zu ermöglichen und die Ungleichheit zu verringern. Die insgesamt 17 Nachhaltigkeitsziele sollen bis zum Jahr 2030 erreicht werden.
Berlin (epd). Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) hat sich zuversichtlich gezeigt, dass das geplante Freiheits- und Einheitsdenkmal nach seiner Fertigstellung auf breite Zustimmung stoßen wird. Das Berliner Projekt sorge zwar seit Jahren für Kontroversen über den Entwurf einer Waage und den Standort, sagte Grütters dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Aber am Ende sind die Menschen meistens dann doch versöhnt mit dem Ergebnis", fügte die CDU-Politikerin hinzu.
Kontroversen wie um Gestaltung und Standort dieses Erinnerungszeichens müsse man aushalten: "Es wird in unserer heutigen Gesellschaft mit ihrem Partizipationswillen nie einen künstlerischen Entwurf ohne Diskussion geben können." Sie selbst halte den Standort wegen seines Untergrunds und wegen seiner Historie als Kaiser-Wilhelm-Denkmal nach wie vor für problematisch. "Aber der entsprechende Bundestagsbeschluss sieht eben die Realisierung an genau diesem Standort vor; insofern ist diese Frage Geschichte", sagte Grütters.
Sie hoffe sehr, dass der Bundestags-Haushaltsausschuss nach der parlamentarischen Sommerpause Ende September die Mittel umgehend freigibt. Inzwischen wird mit Kosten von über 17 Millionen Euro gerechnet. Die jahrelangen Verzögerungen hätten dem Projekt geschadet, auch wenn die Idee eines Freiheits- und Einheitsdenkmals nie umstritten gewesen sei: "Es gab und gibt in der Bevölkerung durchaus den politischen Willen, an einen der wenigen unbestritten großen Höhepunkte unserer jüngeren Geschichte würdig zu erinnern."
Zum Fertigstellungstermin sagte die Staatsministerin: "Die Zeit drängt." Der ursprünglich angepeilte 30. Jahrestag des Mauerfalls im kommenden Jahr sei inzwischen angesichts einer kalkulierten Bauzeit von zwei Jahren nicht mehr zu schaffen. Grütters unterstrich: "Ich kann mich aus heutiger Perspektive nicht auf einen Termin festlegen, aber mein Haus wird alles für eine schnellstmögliche Umsetzung tun."
Eine neue Hürde sei allerdings die Baugenehmigung, die im Oktober ausläuft: "Normalerweise ist deren Verlängerung eine Formalie. Aber das Landesdenkmalamt von Berlin denkt offenbar erneut über die Mosaiken des ehemaligen Denkmalssockels nach." So seien bei der Sanierung des Sockels des ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Denkmals viel mehr Mosaiken zutage getreten als zuvor vermutet wurde. Sie hoffe aber, dass dies der Realisierung jetzt nicht mehr im Wege stehen wird.
Erste Planungen für das Einheits- und Freiheitsdenkmal hatte es schon 1998 gegeben. Der Bundestag hat sich bereits mehrfach für den Bau ausgesprochen. Dennoch hatte es immer wieder Verzögerungen gegeben - unter anderem aus denkmalrechtlichen Gründen. Das Mahnmal soll auf der Westseite des neuaufgebauten Berliner Stadtschlosses entstehen. Geplant ist eine begehbare, überdimensionale Schale.
Berlin (epd). Der frühere Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) wird neuer Vorsitzender der Telekom Stiftung. Es sei ihm ein großes Anliegen, die Digitalisierung "mit all ihren Chancen und auch Risiken aktiv zu gestalten", erklärte er in einer am 6. September verbreiteten Pressemitteilung. Das Amt sei ihm vom Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Telekom, Timotheus Höttges, angetragen worden. Die Gremien müssten noch zustimmen.
De Maizière wird den Angaben zufolge die Telekom ab März 2019 als Anwalt auch in rechtlichen Fragen beraten. Andere Funktionen und Pflichten werde er nicht zurückstellen, erklärte de Maizière, der nach wie vor ein Bundestagsmandat hat.
Der 64-Jährige schied nach der Bundestagswahl im vergangenen Jahr aus dem Amt des Bundesinnenministers. Er kündigte an, sich anderen Themen widmen zu wollen. De Maizière bekleidete in seiner politischen Karriere verschiedene Ministerämter auf Bundes- und Landesebene. Zudem engagiert er sich in der evangelischen Kirche. Er ist Mitglied des Präsidiums des Deutschen Evangelischen Kirchentags.
Berlin (epd). Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat Zustimmung zu der von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) geforderten Widerspruchslösung bei der Organspende signalisiert. Sie unterstütze den Vorstoß, sagte Merkel am 6. September dem Fernsehsender RTL. "Ich persönlich habe große Sympathie für die Widerspruchslösung, also die doppelte Widerspruchslösung, weil ich dann doch aktiv einmal im Leben darüber nachdenken muss, ob ich das möchte oder nicht", sagte die Kanzlerin.
Spahn hatte in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" angekündigt, das Thema in den Bundestag zu bringen. Er werde fraktionsübergreifend mit anderen Abgeordneten einen Antrag zur sogenannten doppelten Widerspruchslösung vorlegen, schrieb Spahn. Diese Diskussion müsse im Bundestag geführt und ohne Fraktionszwang entschieden werden. Es sei eine Gewissensfrage. Bei der doppelten Widerspruchslösung kann jeder zu Lebzeiten ausdrücklich nein sagen, ansonsten sind - als doppelte Schranke - auch noch die Angehörigen zu fragen.
Merkel sagte, sie finde es richtig, dass die Debatte im Bundestag geführt werde und es bei der Abstimmung keinen Fraktionszwang gebe: "Das ist etwas, was jeder Mensch für sich entscheiden muss."
Spahn will erreichen, dass in Deutschland jeder Bürger, der zu Lebzeiten nicht widerspricht oder dessen Angehörige dies nach dem Tod ablehnen, ein potenzieller Organspender ist. Bislang gilt, dass nur derjenige Organspender ist, der oder dessen Angehörige der Spende aktiv zustimmen.
In seinem Zeitungsbeitrag verweist der Gesundheitsminister auf fehlende Spenderorgane. 10.000 Menschen würden in Deutschland auf eine Organspende warten, täglich stürben Menschen, die vergeblich warteten. Gleichzeitig sinke die Zahl der Spender. Im Jahr 2017 seien es knapp 800 gewesen, 60 weniger als im Jahr zuvor. Merkel sagte RTL, die Zahl der Organspender in Deutschland sei "viel, viel zu gering".
Spahn betont, dass er in der Bundestagsdebatte als Abgeordneter, nicht als Minister auftreten und daher auch keinen Gesetzentwurf der Bundesregierung vorlegen will. Er widerspricht darüber hinaus dem Vorsitzenden des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, der Spahns Vorstoß als drohende "Organabgabepflicht" kritisiert hatte. "Eine Pflicht, zu der man konsequenzlos 'nein' sagen kann, ist keine Pflicht", schreibt Spahn.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz bekräftigte ihre Kritik an der Widerspruchslösung. "Solange es kein Vertrauen in das Transplantationssystem gibt, bringt eine Widerspruchsregelung nichts", sagte Eugen Brysch, Vorstand der Stiftung. Dass damit kein Problem gelöst werde, zeigten Beispiele aus anderen Ländern. So sei in Spanien, in der die Widerspruchslösung gilt, die Zahl der Organspender erst nach einer Neuorganisation des Systems stark gestiegen.
Hannover (epd). Die Evangelischen Frauen in Deutschland lehnen die von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vorgeschlagene Widerspruchsregelung bei der Organspende ab. Ein solches Modell würde einen Wechsel von der Freiwilligkeit hin zur Verpflichtung bedeuten, sagte die Vorsitzende des Dachverbands, Susanne Kahl-Passoth, am 7. September in Hannover. "Das ist keine kleine Änderung, das ist ein Paradigmenwechsel bei der zentralen Rechtsgrundlage der sogenannten postmortalen Organspende in Deutschland."
Aus Sicht der Evangelischen Frauen sei nicht vorstellbar, dass es im Geltungsbereich des Grundgesetzes eine Verpflichtung geben könne, den sterbenden oder toten menschlichen Körper zur Verfügung zu stellen - auch dann nicht, wenn dies ausschließlich dem Wohl anderer Menschen diene. Zudem pervertiere eine Widerspruchsregelung im Transplantationsgesetz den grundsätzlich freiwilligen Charakter einer Spende, sagte die stellvertretende Vorsitzende Angelika Weigt-Blätgen.
Dies gelte ebenso im Falle einer doppelten Widerspruchsregelung, nach der auch Angehörige einer Organspende widersprechen könnten. Die Entscheidungsnot betroffener Angehöriger lasse sich letztlich nur lösen, wenn über eine Organspende ausschließlich die erwachsenen Organspender entschieden.
Die Frauenorganisation glaubt auch nicht, dass sich durch die Einführung der Widerspruchsregelung die Organspende-Zahlen in Deutschland nennenswert erhöhen ließe. Es gehe viel mehr darum, verloren gegangenes Vertrauen der Bevölkerung in das Organspende-System zurückzugewinnen: "Dazu gibt es nur einen Weg. Nämlich eine umfassende, auch schwierige ethische Fragen wie die Diskussion um den Hirntod offen ansprechende Information derjenigen, die um ihre Spende gebeten werden." Unabdingbar sei jedenfalls der absolute Respekt vor der Freiwilligkeit der Entscheidung.
Bei einer Widerspruchsregelung, wie sie etwa in Spanien oder Österreich gilt, dürfen hirntoten Patienten Organe entnommen werden, wenn sie dem zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widersprochen haben. Zu dem Dachverband Evangelische Frauen in Deutschland mit Sitz in Hannover gehören nach eigenen Angaben 39 Organisationen mit insgesamt rund drei Millionen Mitgliedern.
Frankfurt a.M. (epd). Im vergangenen Jahr erreichte die Zahl der Organspenden den niedrigsten Stand seit 20 Jahren. Um der Entwicklung entgegenzuwirken, spricht sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) für die sogenannte Widerspruchslösung aus. Damit wäre jeder automatisch ein Spender, solange er oder seine Angehörigen nicht ausdrücklich widersprechen. Bislang muss in Deutschland für eine Organentnahme eine Zustimmung vorliegen. Der Vorstoß des Gesundheitsministers sorgte für eine kontroverse Debatte. Der evangelische Pressedienst (epd) hat die wichtigsten Argumente für und gegen die Regelung zusammengestellt.
PRO:
Befürworter der Widerspruchslösung erhoffen sich vor allem mehr Organspender. Auch Jens Spahn argumentiert, nur mit der Widerspruchslösung könne die Organspende zum Normalfall werden. Besonders Spanien, wo die Regelung bereits gilt, wird als Vorbild herangezogen. So sagt auch Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD): "Es werden dort wesentlich mehr dringend benötigte Organe gespendet und transplantiert als in Deutschland."
Mit der Widerspruchslösung hätten Bürger oder ihre Angehörigen weiterhin die Möglichkeit, eine Organentnahme abzulehnen. Es besteht jedoch die Hoffnung, dass durch die Regelung auch diejenigen zum Spender werden, die einer Organentnahme zwar positiv gegenüberstehen, ihre Entscheidung aber nicht festgehalten haben.
Dass genau dies derzeit passiert, zeigen Studien der Bundeszentrale für politische Aufklärung. So erklärten im Jahr 2016 bei einer Umfrage 62 Prozent der Befragten, die ihre Entscheidung zur Organspende nicht schriftlich festgehalten haben, dass sie sich innerlich für eine Organspende entschieden haben.
Ein weiteres Argument für die Widerspruchslösung: Sie könnte den Angehörigen die belastende Situation ersparen, über den Wunsch des Verstorbenen mutmaßen zu müssen. Denn derzeit müssen die nächsten Angehörigen entscheiden, falls der Angehörige seine Haltung zur Organspende zu Lebzeiten nicht festgehalten hat.
KONTRA:
Der These, die Widerspruchslösung führe zu einer Erhöhung der Organspendezahlen, widersprechen Kritiker. Sie verweisen auf europäische Länder, in denen trotz Widerspruchslösung die Zahl der Spender niedrig ist. Allein die Umstellung auf die neue Regelung führt ihnen zufolge nicht zu mehr Organtransplantationen. Dafür seien weitere Veränderungen notwendig.
Besonderes Augenmerk legt ein Großteil der Kritiker allerdings auf ethische Fragestellungen. So müsse man mit der neuen Regelung von einer "Organabgabepflicht" statt von einer "Organspende" sprechen, kritisiert der evangelische Theologe und Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock. "Eine solche Regelung würde den menschlichen Körper zu einem Objekt staatlicher Sozialpflichtigkeit machen."
Auch der katholische Ethiker Eberhard Schockenhoff äußert Bedenken: "Der Staat als Verteilorganisation greift auf Organe Verstorbener ohne deren Einverständnis zurück, indem er einen unterlassenen Widerspruch als Zustimmung wertet." Schockenhoff macht zudem auf die Problematik einer möglichen Unkenntnis der Bevölkerung aufmerksam: "Umfragen in Ländern, in denen diese Lösung gilt, zeigen: Die Menschen dort wissen kaum, dass ihnen nach dem Tod Organe entnommen werden können, weil sie nicht widersprochen haben."
Ein weiteres Argument der Kritiker ist die Skepsis der Bevölkerung gegenüber einer Organspende. So warnt der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, die Regelung würde das Vertrauen in das Transplantationssystem weiter schwächen. Auch die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Karin Maag, sagt, eine Widerspruchsregelung würde "noch mehr Ängste wecken und das Vertrauen in die Organspende senken".
Frankfurt a. M. (epd). Der Sport hat sie erst nicht geschützt: Anne Martin (Name geändert) ist eine begeisterte Hobby-Radfahrerin. Regelmäßige Ausfahrten, Gymnastik und lange Touren am Wochenende gehören zu ihrem Alltag. Die Diagnose traf sie unerwartet: Brustkrebs. "Das war natürlich ein Schock", sagt die 56-Jährige. Doch sie bleibt sportlich: Während der Chemotherapie und auch nach der Operation fährt sie weiter mit dem Rad rund 100 Kilometern in der Woche. Sie fühlt sich dabei wohl - und ihre Blutwerte bleiben erstaunlich stabil. "Eine Ärztin hat mir gesagt, sie hätte selten eine Patientin erlebt, die die Chemotherapie so gut vertragen hat", berichtet Anne Martin. Eine Erfahrung, die inzwischen auch zahlreiche wissenschaftliche Studien belegen.
"Wer sich viel bewegt, kommt körperlich und psychisch besser durch die Therapie", sagt Friederike Rosenberger, Professorin und Sportwissenschaftlerin am "Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen" am Universitätsklinikum Heidelberg. Die Patienten fühlten sich seelisch besser, seien belastbarer, leistungsfähiger und weniger erschöpft. "Inzwischen weisen immer mehr Studien daraufhin, dass Sport und Bewegung nach der Diagnose die Gefahr eines Rückfalles vermindert und die Heilungschancen verbessert."
Krebs ist noch immer eine der gefährlichsten Krankheiten: 2014 erkrankten in Deutschland nach Angaben des Krebsinformationsdienstes 476.120 Menschen daran, 2018 könnte die Zahl bis auf 493.000 wachsen - Grund ist die gestiegene Lebenserwartung. Doch Krebs ist längst kein Todesurteil mehr: Fortschritte in Therapie und der Diagnostik führen dazu, dass immer mehr Menschen geheilt werden. Jeder zweite Krebspatient überlebt - wobei die Zahlen nach Art der Krebserkrankung stark schwanken.
Dabei spielt Sport nicht nur in der Therapie, sondern vor allem in der Prävention eine große Rolle. Er verhindert nicht immer den Ausbruch von Krebs, wie das Beispiel von Anne Martin zeigt. "Aber nach neuen Studien kann das Risiko, an Krebs zu erkranken, durch Sport und Bewegung um 20 bis 30 Prozent gesenkt werden", sagt Michael Schoenberg, Münchener Professor und Autor des Buches "Aktiv leben gegen Krebs". Zwar gelte das nicht für alle Krebsarten und in verschiedenem Ausmaß, aber die Tendenz sei eindeutig. Für bereits Erkrankte erhöhe sich die Lebensqualität, und die Überlebensprognose steige auch deutlich.
Warum Sport das Krebsrisiko senkt und die Heilungschancen erhöht, ist nicht abschließend geklärt: "Der Stoffwechsel wird angeregt, insbesondere beim Insulin", erläutert Schoenberg. Zudem gebe es Hinweise, dass durch Sport bestimmte Gene aktiver werden, die auf das Immunsystem und Entzündungsprozesse wirken. Schoenberg ist überzeugt: "Bewegung wirkt wie ein gutes Medikament".
Dabei müsse es nicht unbedingt intensiver Sport sein. Wichtig sei einfach, dass sich die Betroffenen bewegten. "Eine 65-Jährige Krebs-Patientin von mir hat sich nach der OP einen Schrebergarten zugelegt", berichtet er, "die Arbeit draußen und die Aktivitäten an der frischen Luft haben ihr gut getan."
Welche Art der Bewegung für die Patienten richtig sind, muss individuell festgelegt werden. Friederike Rosenberger entwickelt Trainingsprogramme für Patienten und forscht, wie die Sport- und Bewegungstherapien bei Krebs wirken. Dabei wird eng mit Physiotherapeuten und Psychologen zusammen gearbeitet. "Generell gilt, dass sich das Training etwas anstrengend anfühlen soll", erläutert sie. Wer unsicher sei, sollte eine sportwissenschaftliche Beratung in Anspruch nehmen oder spezielle Kursen besuchen.
Stefanie Rogge gibt solche Kurse. Die Sportwissenschaftlerin hat in den USA eine Ausbildung zur Krebssporttherapeutin absolviert und betreut Patienten im Agaplesion Markus Krankenhaus in Frankfurt am Main. In ihren Kursen werden gymnastische Übungen für Kraft und Beweglichkeit gemacht, aber auch die Ausdauer trainiert. "Fast alle Patienten berichten mir, dass sie sich durch das Training fitter und ausgeglichener fühlen", erzählt Rogge. Sie rät den Teilnehmern, auch zu Hause aktiv zu bleiben, regelmäßig Ausdauersport wie Laufen, Rad fahren oder Nordic Walking zu betreiben und dazu auch gezielt Kraft und Koordination zu trainieren.
Trotz der positiven Effekte spielt Sport in der Krebstherapie bislang noch eine untergeordnete Rolle. Allenfalls in der Reha nach der Behandlung finden sportliche Aktivitäten statt. "Besser wäre es, bereits nach der Diagnose mit sportlichem Training zu beginnen", sagt Friederike Rosenberger. Bislang würden eine solche Therapie und eine Trainingsberatung aber nicht oder nur unzureichend von den Krankenkassen übernommen.
Auch Anne Martin hat eine solche sportliche Beratung vermisst, erzählt sie. Trotzdem wird sie weiter möglichst jeden Tag Sport treiben. "Dann geht es mir einfach besser", sagt sie. Nach überstandener Operation und Chemotherapie folgt für sie jetzt die Reha. Dort hofft sie, mehr darüber zu erfahren, welche Sportarten für Körper und Seele nach der überstandenen Krebserkrankung gut sind.
Bochum (epd). Die Aidshilfe NRW und das Bochumer Zentrum für sexuelle Gesundheit und Medizin, "Walk in Ruhr" (WIR), ermöglichen ab sofort HIV-Tests für Zuhause. Das Angebot "test it" ermögliche die Selbstabnahme von Proben zu Hause, wie die Aidshilfe am 3. September in Bochum mitteilte. Anschließend würden die Proben per Post zur Untersuchung auf HIV und andere Geschlechtskrankheiten in ein Labor geschickt. Die Ergebnisse erhielten die Tester per Telefon.
Der Forschungsdirektor der Dermatologischen Klinik der Ruhr-Universität Bochum und ärztliche Leiter von WIR, Norbert Brockmeyer, erklärte, angesichts steigender Zahlen von Infektionen mit Syphilis, Gonorrhö und Chlamydien würden zum Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten dringend neue Angebote gebraucht. Arne Kayser von der Aidshilfe NRW betonte, das Angebot solle bislang unerreichte Menschen ansprechen, sich regelmäßig testen zu lassen.
Das Kit soll den Angaben nach auch Menschen fern der Ballungsräume, die bislang aus persönlichen Gründen keine Beratungsstelle aufgesucht haben, Mut zum Testen machen. Nach einem einmaligen persönlichen Gespräch mit einem Arzt könnten Interessierte ein Abonnement für "test it" abschließen, hieß es. Das Kit ermögliche Untersuchungen auf HIV, Syphilis, Chlamydien, Gonokokken und Mykoplasmen.
Bonn (epd). Die Deutsche Aids-Stiftung hat im vorigen Jahr finanzielle Hilfen in Höhe von 1,7 Millionen Euro geleistet. Das seien rund neun Prozent mehr als im Vorjahr, erklärte die Stiftung bei der Vorstellung ihres Jahresberichts 2017 am 4. September in Bonn. Zudem habe die Stiftung 2.055 direkte Hilfsanfragen bearbeitet.
In Deutschland erreichte die Stiftung den Angaben nach fast 2.300 mit Namen bekannte Antragsstellende in Deutschland. Dazu hätten knapp 100 Kinder und Jugendliche, die selbst HIV infiziert sind, gehört. Zudem hätten tausende HIV-positive Menschen in Deutschland, Kenia, Mosambik und Südafrika geförderte Hilfsprojekte aufgesucht.
Die Stiftung habe insgesamt 97 Projekte von lokalen Aids-Hilfen und Beratungsstellen in Deutschland mit rund 346.000 Euro gefördert, hieß es. Für Projekte in Afrika stellte die Stiftung den Angaben nach fast doppelt so viele Mittel (698.000 Euro) zur Verfügung. Einzelhilfen habe die Organisation mit 449.000 Euro unterstützt.
Bonn (epd). Gertrud Fischer geht alles viel zu langsam. Schon kleinste körperliche Anstrengungen bringen die lungenkranke Seniorin außer Atem. "Ich muss mich immer selbst bremsen", sagt die 73-Jährige. Doch seit ein paar Monaten kann Gertrud Fischer zumindest stundenweise wieder so schnell sein, wie sie es früher gewohnt war. Dann steigt sie in eine Fahrrad-Rikscha und lässt sich von Wolfgang Erlinghäuser durch Bonn fahren. "Ich bin begeistert!", sagt die Seniorin. "So sehe ich viel mehr als wenn ich mit dem Rollstuhl gefahren werde."
Die Idee der Rikscha-Fahrten für Senioren stammt aus Dänemark. Mittlerweile gibt es in Deutschland 18 "Radeln ohne Alter"-Vereine zwischen München und Hamburg. In Bonn startete am Mittwoch eine vierwöchige Deutschland-Tour des Bonner Vereins. Die ehrenamtlichen Fahrer wollen unterwegs an 28 Stationen auf "Radeln ohne Alter" aufmerksam machen, etwa in Bad Ems, Marburg, Kassel, Goslar, Dessau, Quedlinburg, Wittenberg und Potsdam. An den einzelnen Stationen bieten sie Rikscha-Fahrten für Senioren an. Am 3. Oktober wollen sie in Berlin eintreffen.
Gertrud Fischer ist eine von zehn Seniorinnen und Senioren aus dem Bonner Perthes-Heim, die regelmäßig an den Rikscha-Fahrten des Vereins "Radeln ohne Alter Bonn" teilnehmen. Die rund 20 ehrenamtlichen Fahrer des Vereins im Alter zwischen Anfang 20 und Ende 60 sind seit anderthalb Jahren regelmäßig mit vier Rikschas im Stadtgebiet unterwegs.
"Die Idee war, Jung und Alt zusammenzubringen," sagt die Mitgründerin der Bonner Initiative, Natalie Chirchietti. Viele alte Menschen kämen kaum noch vor die Tür. Für sie seien die Rikscha-Fahrten eine Möglichkeit, einmal wieder raus zu kommen und am öffentlichen Leben teilhaben zu können, erzählt die 27-Jährige.
"Es ist einfach toll. Ich bin dadurch an den Rhein gekommen, konnte die Schiffe und das Siebengebirge mal wieder sehen", schwärmt Gertrud Fischer. "Und wir fahren auch in den Botanischen Garten. So was bekäme ich sonst gar nicht zu sehen."
Ihrem Fahrer, Wolfgang Erlinghäuser, machen die Rikscha-Ausflüge ebenso Spaß. "Ich freue mich, dass ich helfen kann und es tut mir selbst auch gut", sagt der pensionierte Lehrer. Er wünscht sich, dass noch mehr Menschen bereit wären, sich zwei bis drei Stunden in der Woche ehrenamtlich im Seniorenheim zu engagieren. "Das Pflegepersonal hat ja überhaupt keine Zeit, einmal mit den alten Menschen an die frische Luft zu gehen."
Die Idee zu den Rikscha-Fahrten stammt von dem Kopenhagener Ole Kassow, der selbst jeden Tag mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt. Er ergriff 2013 die Initiative, mit einer gemieteten Rikscha Bewohner eines Seniorenheims spazieren zu fahren. Der Erfolg und die Nachfrage waren so groß, dass die Fahrten in Dänemark mittlerweile von Vereinen in rund 100 Städten und Gemeinden angeboten werden. Schnell wurde die Idee auch im Ausland aufgegriffen und es bildeten sich Rikscha-Initiativen in weltweit knapp 30 Ländern.
Alle Fahrer von "Radeln ohne Alter" arbeiten ehrenamtlich, so dass die Fahrten für die Senioren kostenlos sind. Die Anschaffung der Fahrrad-Rikschas ist allerdings mit 7.000 bis 8.000 Euro pro Stück nicht ganz billig. Finanziert werden sie in der Regel durch Spenden.
Chirchietti betrachtet die Rikscha-Fahrten nicht nur als reine Service-Leistung für die Senioren. "Wir bekommen auch sehr viel zurück", sagt die junge Frau. Die Fahrten seien eine Möglichkeit, miteinander ins Gespräch zu kommen und voneinander zu lernen. Viele alte Menschen hätten interessante Geschichten zu erzählen. "Einige der Passagiere sind mittlerweile zu Freunden geworden."
Düsseldorf (epd). Die Freie Wohlfahrtspflege in Nordrhein-Westfalen warnt vor massiven Personalengpässen in der ambulanten Pflege. Immer mehr Anfragen nach Unterstützung bei der häuslichen Pflege müssten abgesagt werden, weil nicht genug Pflegekräfte vorhanden seien, erklärte die Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege am 3. September in Düsseldorf. Eine interne Umfrage habe ergeben, dass inzwischen jeder der 850 ambulanten Pflegedienste der Mitgliedsverbände im Schnitt pro Monat 10,5 Anfragen zurückweisen müsse.
Das seien hochgerechnet rund 9.000 Absagen gegenüber Hilfebedürftigen, die Unterstützung bei der Pflege zu Hause suchten, bedauerte der Vorsitzende der Kommission Pflegeversicherung der Freien Wohlfahrtspflege NRW, Eric Lanzrath. Er forderte mehr Unterstützung: "Die ambulante Pflege muss durch Pflege- und Krankenkassen besser finanziert werden." In der Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege sind unter anderem Diakonie, Caritas und das Deutsche Rote Kreuz zusammengeschlossen.
Wegen des demografischen Wandels werde der Anteil älterer Menschen stetig steigen, mahnte Lanzrath. Schon jetzt sei der Markt für Fachkräfte nahezu leer gefegt. Wegen der allgemein starken Nachfrage könne nicht länger auf die europaweite Anwerbung von Pflegekräften gesetzt werden.
Notwendig seien mehr Ausbildungsplätze und gute Arbeitsbedingungen, forderte Lanzrath. Dazu gehöre auch, gegen die zunehmende Verdichtung der Arbeitszeit anzusteuern, damit "mehr Zeit für gute Pflege" möglich sei. Ohne mehr personelle Kapazitäten müssten die Menschen länger im Krankenhaus bleiben oder von Angehörigen versorgt werden, die damit "tendenziell überfordert" seien, sagte der Experte. Weitere Alternativen seien Tagespflegeeinrichtungen oder Heime.
Die Freie Wohlfahrtspflege versorgt nach eigenen Schätzungen rund 120.000 Menschen und damit gut die Hälfte der 240.000 in NRW ambulant betreuten Pflegebedürftigen. Insgesamt sind in NRW den Angaben zufolge derzeit knapp 600.000 Menschen auf Pflege angewiesen, rund 180.000 von ihnen werden stationär betreut. Eine etwa gleiche Zahl wird daheim von Familienangehörigen versorgt.
Die Freie Wohlfahrt begrüßte, dass das Bundeskabinett vor der Sommerpause das sogenannte Pflegepersonalstärkungsgesetz beschlossen hat. Es soll nach Zustimmung des Bundesrates Anfang 2019 in Kraft treten. In einem ersten Schritt sollen über Mittel der gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen 13.000 neue Stellen für medizinische Behandlungspflege in Altenheimen finanziert werden. Ferner werden Anreize für mehr Ausbildung gesetzt.
Düsseldorf (epd). Nach dem umstrittenen Aus der Produktionsschulen ist das sogenannte Werkstattjahr für 1.600 junge Menschen in Nordrhein-Westfalen angelaufen. Seit dem 1. September werden schwer vermittelbare Jugendliche bis 18 Jahren mit praktischer Arbeit an echten Aufträgen für eine Ausbildung fitgemacht, wie das nordrhein-westfälische Arbeitsministerium am 3. September in Düsseldorf mitteilte. Für junge Menschen bis 25 Jahren hatten zuvor 2.800 Plätze an Produktionsschulen zur Verfügung gestanden.
Die Kosten in Höhe von 14 Millionen Euro tragen den Angaben nach das Ministerium und der Europäische Sozialfonds. Das Werkstattjahr richte sich an Jugendliche, die eine allgemeine Schule ohne Abschluss verlassen hätten, aber Lernbereitschaft zeigten. Sie sollen mit Unterstützung von Sozialarbeitern in einer Einrichtung beruflich qualifiziert werden. Nach einer Vorbereitung absolvieren die Jugendlichen bis zu sechs Monate ein Praktikum, etwa in der Metall- oder Holzverarbeitung, in der Gastronomie oder in der Pflege. Zudem erhielten die jungen Männer und Frauen während der einjährigen Maßnahme eine anrechnungsfreie Prämie, hieß es.
"Mit dem praxis- und betriebsnahen Werkstattjahr geben wir jungen Menschen die Chance, ihre Aussicht auf einen Ausbildungsvertrag und damit auf ein eigenverantwortliches Leben deutlich zu verbessern", erklärte Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU). Die Vorsitzende der Geschäftsführung der Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit, Christiane Schönefeld, erklärte, die Jugendlichen erlebten in dem Projekt die Realität der Arbeitswelt.
Träger der freien Wohlfahrtspflege und Teile der Opposition hatten die Abschaffung der Produktionsschulen gerügt. Gerade für die älteren Jugendlichen fehlten nun Angebote.
Lemgo (epd). Die Diakonische Stiftung Eben-Ezer in Lemgo hat im vergangenen Jahr ihren Umsatz auf 90,5 Millionen Euro gesteigert. Dies bedeutet einen Zuwachs von über acht Millionen Euro gegenüber dem Jahr davor, wie aus dem am 7. September in Lemgo vorgelegten Jahresbericht der Stiftung hervorgeht. Nach einem insgesamt negativen Ergebnis im Jahr 2016 habe sich nun ein zufriedenstellendes Jahresergebnis eingestellt, sagte eine Sprecherin von Eben-Ezer.
Die Unterstützung der Stiftung durch Spenden ist den Angaben zufolge nach einem Einbruch in 2016 im vergangenen Jahr wieder angestiegen: Zusammen mit Nachlässen summierten sich diese Einnahmen auf rund 320.000 Euro. Die Zahl der Mitarbeiter blieb demnach mit 1.461 nahezu unverändert.
Bei der Vorstellung des Jahresberichtes hoben die Vorstände Bartolt Haase und Udo Zippel die vom Aufsichtsrat der Stiftung verabschiedeten sieben Leitsätze hervor. Sie sollten in dem dynamischen Veränderungsprozess, in dem sich Eben-Ezer weiterhin befinde, Orientierung und Halt geben. Die Leitsätze erläutern demnach Werte wie Menschenbild, Gemeinschaft und Nächstenliebe. Sie stellen aber auch die Bedeutung von Leitungsverständnis, Fachlichkeit und Transparenz heraus.
Der Theologische Vorstand Bartolt Haase betonte die positive Entwicklung bei den von der Stiftung betriebenen Schulen. So sei die Aufbauphase der Grundschule "Ostschule" beendet. Die vor über vier Jahren aus Trägerschaft der Stadt Lemgo übernommene Einrichtung werde inhaltlich gut akzeptiert, die Anmeldezahlen seien überzeugend. Für die Förderschule Topehlen-Schule strebe Eben-Ezer einen Ganztagsbetrieb an, kündigte Haase an. Inzwischen besuchten über 50 Prozent externe Schüler die ehemalige Internatsschule.
Die diakonische Stiftung Eben-Ezer in Lemgo gehört zu den großen stationären Behinderten-Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen. Insgesamt werden mehr als 1.000 Menschen in der Region Lippe in einer Einrichtung oder zu Hause betreut. Insgesamt leistet Eben-Ezer nach eigenen Angaben Dienste für rund 3.500 Menschen. Zu der 1862 gegründeten Stiftung gehören heute neben den Wohngruppen eine Schule für behinderte Kinder und Jugendliche sowie Werkstätten, Landwirtschaftsbetriebe und eine Kunstwerkstatt. Die Stiftung Eben-Ezer ist Mitglied des Diakonischen Werks von Rheinland-Westfalen-Lippe.
Gütersloh, Berlin (epd). Zwischen den Bundesländern gibt es bei der schulischen Inklusion von Kindern mit Behinderungen große Unterschiede. Insgesamt sei der Anteil der Kinder, die an separaten Förderschulen unterrichtet werden, in den vergangenen Jahren gesunken, teilte die Bertelsmann Stiftung am 3. September in Gütersloh mit. Besuchten 2008 noch 4,9 Prozent aller Schüler eine Förderschule, waren es 2017 nur noch 4,3 Prozent. Der Sozialverband VdK mahnte eine bundesweite, verbindliche Gesamtstrategie für inklusive Bildung an. Auch der Lehrerverband VBE und die Gewerkschaft GEW forderten die Politik zu mehr Anstrengungen für die Inklusion auf.
Spitzenreiter bei der Inklusion ist nach einer Analyse des Bildungsforschers Klaus Klemm das Land Bremen, wo nur noch 1,2 Prozent aller Schüler auf Förderschulen gehen. Besonders niedrige Anteile separat unterrichteter Kinder haben auch Schleswig-Holstein (2,1 Prozent), Berlin (2,8 Prozent), Hamburg (3,1) und Niedersachsen (3,4 Prozent).
In Baden-Württemberg (4,9 Prozent), Bayern (4,8 Prozent) und Rheinland-Pfalz (4,0 Prozent) ist dagegen die Quote der Förderschüler laut Analyse in den vergangenen zehn Jahren sogar gestiegen. Die höchsten Anteile von Kindern auf Förderschulen haben Mecklenburg-Vorpommern mit sechs Prozent, Sachsen-Anhalt (5,9 Prozent) und Sachsen (5,7 Prozent).
Große Unterschiede bei der Inklusion gibt es den Angaben zufolge nicht nur regional, sondern auch je nach Förderbedarf. Während immer weniger Kinder spezielle Schulen für Lernbehinderte oder mit dem Förderschwerpunkt Sprache besuchten, nahm der Anteil separat unterrichteter Schüler mit sozial-emotionalen Handicaps, geistigen oder körperlichen Einschränkungen zu.
Um die regionalen Unterschiede bei der Inklusion zu verringern, forderte Stiftungsvorstand Jörg Dräger bundesweit einheitliche Qualitätsstandards. Impulse dazu erhoffe er sich vom geplanten nationalen Bildungsrat, sagte Dräger. Die Schulen brauchten mehr sonderpädagogische Kompetenz und Fortbildungen für die Lehrkräfte, um den unterschiedlichen Kindern besser gerecht zu werden.
Der Sozialverband VdK begrüßte es, dass immer mehr Kinder mit und ohne Behinderungen gemeinsam an Regelschulen lernen. Es dürfe jedoch nicht vom Wohnort der Familien abhängen, ob Kinder die Förderschule oder eine Regelschule besuchten, erklärte die Präsidentin Verena Bentele in Berlin. Nötig seien eine "bundesweite, verbindliche Gesamtstrategie für inklusive Bildung" sowie einheitliche Zugänge zur inklusiven Bildung. "Die Bundesregierung muss ein Bundesrahmengesetz für inklusive Bildung erarbeiten und Eckpunkte für eine quantitativ und qualitativ gute Schulentwicklung in allen Bundesländern vorgeben", forderte Bentele.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) forderte von Bund, Ländern und Kommunen mehr Anstrengungen bei der Umsetzung der Inklusion. "Politik muss mehr Geld in die Hand nehmen sowie Konzepte und Strukturen entwickeln, damit Inklusion erfolgreich sein kann", sagte das für Schule verantwortliche GEW-Vorstandsmitglied Ilka Hoffmann. Es brauche jetzt "dringend ein Bund-Länder-Programm, damit die Inklusion nicht vor die Wand gefahren wird".
Der nordrhein-westfälische Verband Bildung und Erziehung (VBE) mahnte einen stärkeren Einsatz von sonderpädagogischen Lehrkräften auch in den Regelschulen an. Inklusion könne nicht nur beschlossen werden, es müssten auch die notwendigen Bedingungen dafür geschaffen werden, erklärte der Verband.
Düsseldorf (epd). Die Freie Wohlfahrtspflege Nordrhein-Westfalen fordert in einer Online-Petition ein Rettungspaket für den Offenen Ganztag (OGS). "Wir brauchen eine auskömmliche Finanzierung und damit letztlich ein neues Gesetz, das eine gute OGS für alle sicherstellt", erklärte die Vorsitzende des Familienausschusses der Freien Wohlfahrtspflege NRW, Helga Siemens-Weibring, am 4. September in Düsseldorf. Sie forderte einen Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung für jedes Kind.
Unter dem Motto "Wir bleiben dran!" seien Eltern und Träger der Freien Wohlfahrt dazu aufgerufen, die Petition zu unterstützen. Anlass seien die Mitte September beginnenden Haushaltsberatungen im Landtag, erklärte der Verband. Die Unterschriftenaktion endet am 31. Oktober.
Die Finanzierung der Offenen Ganztagsangebote unterscheide sich in den Kommunen, hieß es. Das Land fördere jeden Platz pro Schuljahr mit 1.100 Euro. Die Kommunen unterstützten die Angebote zudem mit einem Pflichtbeitrag von 460 Euro. Je nach Haushaltslage gäben viele Kommunen auch mehr, die Träger müssten aber immer zuschießen. Nach Berechnungen der Freien Wohlfahrtspflege NRW würden 3.250 Euro pro Kind und Schuljahr benötigt.
Der Vorsitzende der Freien Wohlfahrtspflege NRW, Christian Heine-Göttelmann, kritisierte, dass der Wohnort nicht ausschlaggebend für die Qualität der Betreuung sein dürften: "Ungleiche Lebensverhältnisse ausgerechnet bei der Bildung von Kindern sind ein Armutsrisiko", erklärte Heine-Göttelmann, der auch Vorstand der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe ist. Das sei nicht hinnehmbar.
Rund 80 Prozent der Träger von Offenen Ganztagsangeboten sind den Angaben nach der Freien Wohlfahrtspflege angeschlossen. Dazu gehören über 2.000 Offene Ganztagsschulen, in denen rund 200.000 Kinder betreut werden. In der Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege sind neben der Diakonie unter anderem die Caritas, die AWO und das Deutsche Rote Kreuz zusammengeschlossen.
Düsseldorf/Berlin (epd). Die durchschnittlichen Bezüge von Frauen in Deutschland, die neu in Rente gehen, sind in den vergangenen vier Jahren um ein Drittel gestiegen. Betrug die durchschnittliche Einstiegsrente 2013 noch rund 546 Euro, lag sie im Jahr 2017 bei rund 716 Euro, wie die Deutsche Rentenversicherung am 8. September in Berlin mitteilte. 2016 lag die Durchschnittsrente bei rund 681 Euro. "Grund für den Anstieg ist vor allem die Einführung der Mütterente in 2014", erklärte die Deutschen Rentenversicherung zu den Zahlen, über die zuerst die in Düsseldorf erscheinende "Rheinische Post" berichtet hatte.
Wirkung zeigten aber auch die relativ hohen Rentenanpassungen in den letzten Jahren, hieß es von der Rentenversicherung. Darüber hinaus zahlten Frauen im Schnitt länger Beiträge zur Rentenversicherung, da die Möglichkeiten eines vorzeitigen Rentenbezugs begrenzt wurden, etwa wegen des Auslaufens der Altersrente für Frauen. Positiven Einfluss hat demnach auch die gestiegene Erwerbsbeteiligung von Frauen.
Die Durchschnittsrente sei jedoch nicht sehr aussagekräftig, was die Gesamtabsicherung von Frauen angehe, wandte die Rentenversicherung ein. So hätten etwa Hausfrauen oder Frauen, die lange selbstständig tätig waren, teilweise nur kurz in die Rentenversicherung eingezahlt und erhielten eine sehr niedrige Rente. Das senke den Durchschnittswert. Von den Betroffenen seien zahlreiche auch anderweitig abgesichert, etwa durch den Ehepartner oder anderes Einkommen.
Im Jahr 2014 hatte die damalige Bundesregierung die sogenannte Mütterrente ausgeweitet. Alle Müttern mit vor 1992 geborenen Kindern wurde pro Kind der Gegenwert eines zusätzlichen Rentenpunkts für ihre Erziehungsleistung gutgeschrieben. In der Rente entspricht laut Angaben pro Kind und Monat 32,03 Euro in West- und 30,69 Euro in Ostdeutschland.
Frankfurt a.M. (epd). Von seinem letzten Geld fuhr Tom W. (Name geändert) nach Usedom. Am Ende der Reise, so sein Plan, wollte er sich die Pulsadern aufschneiden. "Plötzlich kam doch ein Fünkchen Hoffnung auf", sagt der 52-Jährige, der seit Anfang August keine Wohnung mehr hat. Vielleicht würde er doch wieder Fuß fassen können. Mit diesen Gedanken machte sich W. schließlich doch auf den Weg zurück in seine Heimatstadt Würzburg.
Er ist einer von wahrscheinlich mehr als einer Million Menschen in Deutschland, die derzeit keine Wohnung haben. Eine genaue Statistik gibt es nicht, allerdings veröffentlicht die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe jährlich eine Schätzung. Zuletzt prognostizierte der Verein im November 2017 für 2018 rund 1,2 Millionen Wohnungslose. Auf diese Menschen und ihre Schicksale macht jedes Jahr am 11. September der "Tag der Wohnungslosen" aufmerksam.
W. ging nach Usedom, bevor seine Wohnung zwangsgeräumt wurde. Seit einem Jahr weiß der ehemalige Bundeswehroffizier, dass er sich eine neue Bleibe suchen muss. Doch er sah sich nicht um. Wie gelähmt saß er monatelang in seinem Zimmer. W. hat massive psychische Probleme. Schon vier Mal war er in der Psychiatrie. Einen Umzug in Angriff zu nehmen, konnte er sich einfach nicht vorstellen. Das ganze Leben erschien ihm in letzter Zeit als etwas unendlich Mühsames, das über seine Kräfte ging.
Auf Usedom kratzte er neuen Mut zusammen. Zurück in Würzburg, betrat er erstmals in seinem Leben die Bahnhofsmission. Dort verwies man ihn auf die Kurzzeitübernachtung. W. hatte Glück: "Es war nicht viel los, ich durfte alleine in einem Zimmer schlafen." Die Sozialarbeiter machten ihm Hoffnung, dass er vielleicht einen Platz im Betreuten Wohnen erhalten könne. Eines kommt für ihn nicht infrage: "In die Obdachlosenunterkunft gehe ich nicht."
Conny Illing sagt über sich: "Ich mache seit sechs Jahren Platte." Die 45-Jährige lebt in Heilbronn. Mit 32 Jahren wurde die Facharbeiterin für Schweinezucht aufgrund einer schweren Erkrankung Frührentnerin. Irgendwann lebte sie auf der Straße. Versuche, in einer WG unterzukommen, scheiterten.
Nirgendwo, erlebt die Frau, der man das harte Straßenleben ansieht, wird ihr eine Tür geöffnet. Dabei wächst Illings Wunsch nach sicheren vier Wänden, einem Bett und, was ihr höchstes Glück wäre, einem Garten: "Es ist als Frau gefährlich, alleine auf der Straße zu leben." Einmal hätten zwei Männer versucht, sie zu vergewaltigen.
Hilfsorganisationen beobachten, dass die Zahl der Wohnungslosen steigt. "Seit 2011 erleben wir einen Anstieg", sagt Thomas Mühlbauer, der das "Haus der Wohnungslosenhilfe" der Bischof-Hermann-Stiftung in Münster leitet. Dieses Haus sowie die ergänzende Einrichtung "Hilfevermittlung und Kurzzeitübernachtung" versorgen knapp 130 wohnungslose Männer. Das reicht in den Wintermonaten inzwischen nicht mehr. Deshalb gibt es seit einiger Zeit ab November eine "Winternothilfe". Hier finden weitere 30 Personen in Wohncontainern Platz.
Barbara Roth vom Caritas-Zentrum Fürstenfeldbruck beobachtet, dass immer mehr junge Leute wohnungslos werden. Darauf reagierte die Organisation mit dem Projekt "JuWo - Beratungsstelle und Unterkunft für junge, akut wohnungslose Erwachsene". Bis zu fünf junge Menschen zwischen 18 und 27 Jahren können aufgenommen werden. Durchschnittlich sind vier Plätze belegt.
Die meisten Klienten lebten in Familien, wo Streit und Gewalt den Alltag dominierte. "Nach der Volljährigkeit verlassen sie das Elternhaus", sagt Roth. Weil sie noch eine Schule besuchen, eine Lehre machen oder von Sozialhilfe leben, können sie sich im Großraum München keine Wohnung leisten.
Dem Caritasverband für die Stadt und den Landkreis Osnabrück fiel auf, wie schlecht es Obdachlosen im Krankheitsfall geht. Daraufhin eröffnete die Organisation vor einem Jahr im niedersächsischen Ankum eine Krankenwohnung. Hier können sich kranke Wohnungslose auskurieren. "Bisher haben wir acht Menschen aufgenommen", sagt Sozialarbeiterin Sonja Korosa. Einige waren verletzt oder hatten Wunden. Andere litten unter Magen-Darm-Problemen, Rückenschmerzen oder Erkältungen. Auch chronisch kranke Wohnungslose erhalten die Chance, sich in Ankum zu regenerieren.
Berlin, Münster (epd). Das Bundeskabinett hat ein neues Gesetz zum Schutz vor überhöhten Mieten auf den Weg gebracht. "Die hohen Mieten sind die neue soziale Frage", sagte Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) im Anschluss an die Sitzung am 5. September in Berlin. Das Mieterschutzgesetz stärke die Rechte von Mietern und schütze Menschen vor Verdrängung. Das Paket enthält unter anderem eine Verschärfung der bereits geltenden Mietpreisbremse und Grenzen für die finanzielle Beteiligung von Mietern an Modernisierungskosten. Das Gesetz löste gemischte Reaktionen aus.
Auch Innenstädte müssten für Normalverdiener bezahlbar sein, sagte Barley. "Es kann nicht sein, dass Polizistinnen und Krankenpfleger sich in einigen Städten keine Wohnungen mehr leisten können und täglich stundenlang zu ihrem Arbeitsplatz pendeln müssen."
Die Mietpreisbremse, nach der die monatlichen Wohnkosten nicht mehr als zehn Prozent über ortsüblichen Preisen liegen dürfen, wurde in der vergangenen Wahlperiode beschlossen, krankte den Angaben zufolge aber an mangelnden Informationsrechten der Mieter. Künftig müssen Vermieter, wenn sie mehr als zehn Prozent der üblichen Miete verlangen, begründen, warum eine Ausnahme vorliegt. Das kann etwa bei bereits höherer Vormiete oder für Neubauten der Fall sein. Begründen sie die verlangte hohe Miete nicht, kann der Mieter dies rügen und Geld zurückfordern.
Der Deutsche Mieterbund begrüßte die erweiterten Auskunftspflichten für Vermieter, sieht aber nach wie vor "die Hauptprobleme ungelöst". Dazu zählte der Chef des Verbandes, Lukas Siebenkotten, unter anderem die Tatsache, dass die Mietpreisbremse nicht flächendeckend in Deutschland gilt. Außerdem fehle eine wirkungsvolle Sanktion für Vermieter, die sich nicht an das Gesetz halten.
Das Paket von Barley enthält zudem Maßnahmen, die verhindern sollen, dass Mieter aus ihren Wohnungen "herausmodernisiert" werden. Künftig sollen demnach Vermieter nur noch acht statt bislang elf Prozent von aufgebrachten Modernisierungskosten pro Jahr auf die Miete umlegen dürfen. Dies gilt für Häuser in angespannten Wohnungsmärkten. Bundesweit soll eine neue Kappungsgrenze eingeführt werden, nach der die Miete nach einer Modernisierung nur um maximal drei Euro pro Quadratmeter im Monat steigen darf.
Schikanöse Modernisierungsmaßnahmen, die dazu führen, dass Mieter aus ihren Wohnungen regelrecht vertrieben werden, sollen nach Barleys Plänen künftig mit Geldbußen geahndet werden. Für betroffene Mieter soll es zudem Schadensersatzansprüche etwa für die Kosten des Umzugs oder die Differenz zu einer dann höheren Miete geben.
Nach Auffassung des Deutschen Städtetag kann das Gesetz dazu beitragen, den Anstieg von Mieten zu begrenzen. Städtetagspräsident Markus Lewe forderte außerdem "anerkannte qualifizierte Mietspiegel, die nicht immer wieder gerichtlich angefochten werden können". Die ortsübliche Vergleichsmiete müsse rechtssicher und unkompliziert zu ermitteln sein. "Dann kann die verschärfte Mietpreisbremse tatsächlich besser wirken", sagte Lewe, der Oberbürgermeister von Münster ist.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband bezeichnete die Mietrechtsreform hingegen als "enttäuschend". Um die derzeitige Wohnungsnot in den Griff zu bekommen, seien bau- und wohnungspolitisch weitere Maßnahmen zwingend notwendig.
Berlin, Duisburg (epd). Drei Initiativen aus Duisburg-Marxloh, Anklam und Saarbrücken sind am 5. September in Berlin mit dem Deutschen Nachbarschaftspreis ausgezeichnet worden. Der erste Platz mit einem Preisgeld in Höhe von 10.000 Euro ging an das Duisburger Projekt "Tausche Bildung für Wohnen", bei dem sogenannte Bildungspaten für kostenfreies Wohnen im Viertel benachteiligten Kindern neue Chancen eröffneten, wie die "nebenan.de"-Stiftung mitteilte, die den Preis vergibt.
Der Preis hatte für Aufsehen gesorgt, nachdem zwei Initiativen aus Berlin und Nordrhein-Westfalen wegen der früheren Schirmherrschaft von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) ihre Bewerbung zurückgezogen hatten. Sie begründeten dies mit Aussagen Seehofers in der Flüchtlingspolitik. Der CSU-Chef zog sein Engagement für die Auszeichnung danach ebenfalls zurück. Zur Preisverleihung wurde kein Vertreter des Bundesinnenministeriums erwartet.
Den zweiten, mit 7.000 Euro dotierten Platz im Bundeswettbewerb erhielt den Angaben zufolge der "Demokratiebahnhof" in Anklam (Mecklenburg-Vorpommern). Das Zentrum in dem Ort, der in der Vergangenheit bundesweit durch eine starke Dominanz rechtsextremer Strukturen aufmerksam machte, ermutigt junge Menschen, sich für das Gemeinwohl zu engagieren.
Für ihr Picknick mit Anwohnern erhielten die "Nauwieser Nachbarn" aus Saarbrücken den dritten Platz und ein Preisgeld in Höhe von 5.000 Euro. Sie stärkten mit der Initiative die lokale Gemeinschaft, hieß es zur Begründung.
Der Deutsche Nachbarschaftspreis wurde zum zweiten Mal vergeben. Geehrt werden Projekte, die sich vor Ort für mehr Integration und Inklusion, für die Bewältigung des demografischen Wandels und gegen Abwanderung aus dem ländlichen Raum einsetzen. Er ist mit insgesamt 50.000 Euro dotiert. Vergeben wurden auch Preise für Landessieger und ein Publikumspreis. Unterstützt wird die Auszeichnung vom Deutschen Städtetag, der Diakonie Deutschland, der Deutschen Fernsehlotterie und mehreren privaten Unternehmen.
Recklinghausen (epd). Auch Recklinghausen will sich künftig bei besonders engagierten Bürgern mit der "Ehrenamtskarte Nordrhein-Westfalen" bedanken. NRW-Staatssekretärin Andrea Milz unterzeichnete am 5. September mit dem Recklinghäuser Bürgermeister Christoph Tesche (CDU) eine entsprechende Vereinbarung, wie die Staatskanzlei in Düsseldorf mitteilte. Damit beteiligten sich jetzt insgesamt 250 Städte und Gemeinden an dem Projekt, erklärte Milz. "Mit der Ehrenamtskarte NRW wollen wir die besondere Leistung der Ehrenamtlichen würdigen und wertschätzen. Sie ist ein Zeichen des Dankes und der Anerkennung."
Die 2008 eingeführte Ehrenamtskarte zeichnet den Angaben zufolge Bürger aus, die sich fünf Stunden wöchentlich oder 250 Stunden im Jahr ohne pauschale Aufwandsentschädigung ehrenamtlich engagieren. Landesweit hätten bisher mehr als 43.000 Ehrenamtliche die Ehrenamtskarte erhalten, mit denen sie auch Vergünstigungen in öffentlichen und privaten Einrichtungen wie Museen, Schwimmbädern oder Theatern in Anspruch nehmen können.
Düsseldorf (epd). Die Jugendämter in Nordrhein-Westfalen haben im vorigen Jahr mehr Familien auf eine mögliche Kindswohlgefährdung prüfen müssen. Die Jugendämter nahmen in rund 39.500 Fällen eine Einschätzung vor, wie das statistische Landesamt am 4. September in Düsseldorf mitteilte. Das waren 13 Prozent mehr als 2016 mit 35.000 Fällen. Im Jahr 2017 wurde dabei in etwa jedem achten Fall (5.000) eine akute Gefährdung des Kindeswohls festgestellt.
In 12.500 Fällen wurde zwar keine Gefährdungssituation, aber ein Bedarf an Hilfe festgestellt. Bei rund 16.000 Fällen war der Verdacht unbegründet und es bestand weder eine Kindeswohlgefährdung noch ein Hilfebedarf. Im vergangenen Jahr waren ein Viertel (26 Prozent) der akut gefährdeten Kinder noch keine drei Jahre und rund 37 Prozent zehn bis 17 Jahre alt.
Die Jugendämter in NRW wurden bei etwa jedem vierten Fall (10.000) durch Polizei, Gericht oder Staatsanwaltschaft auf eine mögliche Kindeswohlgefährdung hingewiesen. In etwa 7.000 Fällen machten Verwandte, Bekannte oder Nachbarn des Kindes auf die Gefährdung aufmerksam. Das Personal von Schulen sowie Kindertageseinrichtungen und Tagespflegepersonen war in rund 5.000 Fällen Tippgeber für eine Prüfung.
Die Daten zu den Gefährdungsscheinschätzungen werden seit 2012 erhoben. Seitdem ist deren Zahl um 41 Prozent gestiegen. Die Statistiker verzeichneten zudem im Vergleich zwischen 2012 und 2017 viermal mehr Fälle einer akuten Gefährdung des Kindeswohls. Die Zahl der unbegründeten Verdachtsfälle hat sich in dem Zeitraum mehr als verdoppelt.
Köln/Berlin (epd). Alfred Biolek hat keine Angst vor dem Tod. "Wenn er kommt, dann kommt er. Und in meinem Alter darf der Tod auch zu mir kommen", sagte der Fernsehmoderator und Autor der "Bild"-Zeitung (7. September) in Berlin. Obwohl er gläubig sei, wisse er nicht, ob überhaupt danach etwas kommt. "Was nach dem Tod kommt, hat mir noch keiner erzählen können."
Er mache keine großen Pläne mehr, sagte der 84-Jährige der "Bild". Deshalb würde er heute keine Verträge unterschreiben für das nächste Jahr. "In meinem Alter fährt man auf Sicht." Er akzeptiere, dass seine Kräfte nachlassen. "Ich lebe zu einem großen Teil von meinen Erinnerungen. Das finde ich toll", führte Biolek weiter aus.
Alles, was er erledigen wollte, habe er getan. "Ich bin sehr glücklich mit meinem Leben. Ich blicke ausschließlich mit positiven Gedanken zurück", sagte Biolek, dessen neues Kochbuch demnächst erscheint.
Düsseldorf, Detmold (epd). "Sie sehen aus wie Batman", zitiert ein Pfarrer einen Jungen, der ihn gerade im Talar gesehen hat. Eine Pfarrerin berichtet stolz, dass die Mädchen und Jungen nach dem Kindergottesdienst nun Gottesdienst und Taufe spielen. "Inklusive selbst gebautem Altar", schreibt sie auf Twitter. Unter den Hashtags #WasPfarrerSoMachen und #WasPfarrerinnenSoMachen geben Geistliche in den sozialen Medien einen Einblick in ihren Arbeitsalltag. Sie wollen ihren Beruf verständlicher machen und darüber ins Gespräch kommen - nicht nur mit Kirchgängern.
Der Internetbeauftragte der Evangelischen Kirche im Rheinland, Ralf Peter Reimann, sieht großes Potenzial in Facebook, Twitter und Co für die Kirchen. "Für uns als Kirche ist wichtig, dass wir auf Social Media Menschen erreichen können, mit denen wir sonst nicht in Kontakt kommen", sagt der Theologe. Denn wenn befreundete Nutzer kirchliche Beiträge teilen oder liken, werden sie auch ihren Freunden angezeigt. So vervielfachen Beiträge in sozialen Netzwerken die Reichweite.
"Jesus, der auch zu Zöllnern und Sündern gegangen ist, wäre sicherlich auch auf Facebook aktiv", sagt Reimann. "Wir gehen bewusst dorthin, weil dort die Menschen sind - und nicht, weil wir bestimmte Netzwerke besonders gut fänden."
Auch die lippische Landeskirche nutzt bewusst soziale Medien. Der lippische Social-Media-Pfarrer Wolfgang Loest bindet sogar so viele soziale Netzwerke wie möglich in seine Arbeit ein, wenn er "socialgodi" feiert. Die Gottesdienste, die er mit Hilfe junger Leute organisiert, werden live im Internet übertragen. Gottesdienstbesucher und Internet-Zuschauer können in den sozialen Netzwerken Kommentare schreiben. Eine Leinwand im Kirchraum bildet die Beiträge ab, die teilweise auch vorgelesen und gemeinsam gebetet werden. Bislang feierte Loest vier dieser interaktiven Gottesdienste.
Loest, der Gemeindepfarrer im lippischen Horn ist, betont: "Wir müssen das Ohr am Puls der Zeit haben und Gelegenheiten nutzen." Als das Handyspiel "Pokémon go" bei Jugendlichen beliebt war, verwandelte er mit Konfirmanden den Kirchenraum in den Startpunkt eines Turniers. Die Jugendlichen gestalteten dazu eine Andacht. Aktuell beschäftigt sich der Pfarrer mit 360 Grad-Videos und der Virtual-Reality-Technologie, um etwa neue Wege für Kirchenführungen zu entwickeln.
Den nächsten Social-Media-Gottesdienst plant Loest für Ende Oktober mit ökumenischer Beteiligung aus Ghana. Außerdem freut er sich auf einen "socialgodi" mit Menschen mit geistiger Behinderung. "Das ist eine Zielgruppe, die sonst kaum sichtbar und gehört wird", sagt Loest. Die sozialen Medien ermöglichten aber, dass sich jeder unabhängig von Alter, Geschlecht und geistigen Begabungen beteiligen könne.
Soziale Netzwerke wirkten demokratisierend, sagt der Social-Media-Pfarrer: Hierarchien und Strukturen verschwämmen. In einem "socialgodi" ist es auch möglich, eigene Fürbitten zu formulieren und direkte Fragen zur Predigt zu stellen. Im Schutz der Anonymität teilten Gemeindemitglieder unbefangener ihre Gedanken, die sonst schlaflose Nächte bereiten könnten. "Dann gibt es plötzlich statt Verkündigung - einer redet und die anderen hören zu - eine Kommunikation des Evangeliums, also einen Dialog", schwärmt Loest.
Allerdings können Diskussionen in sozialen Netzwerken nach Erfahrung des rheinischen Internetbeauftragten Reimann auch mühselig sein. Als Präses Manfred Rekowski jüngst Seenotretter auf Malta besuchte, wurden Berichte über die Reise in den sozialen Medien teilweise kontrovers kommentiert. Einige Nutzer hätten sich nicht von ihrer kritischen Meinung abbringen lassen, erzählt Reimann. Andere wiederum hätten sich nach einem Austausch für neue Informationen bedankt.
Den Austausch sieht Reinmann grundsätzlich positiv: "Wir sind häufig in unserer eigenen Filterblase", sagt der Pastor. Diskussionen mit Menschen, die andere Meinungen vertreten, könnten helfen. Auch die Kirche müsse sich immer wieder öffnen: "Wir müssen schauen, wie wir aus unserer Offline-Filterblase Kirche herauskommen." Soziale Medien öffneten zudem die Gemeinden für neue Menschen.
Berlin (epd). Der Fernseher ist nicht mehr der wichtigste Bildschirm der Deutschen. "Tatsächlich hat das Smartphone dem Fernseher in diesem Jahr erstmals den ersten Rang als wichtigstes Bildschirmgerät abgelaufen", heißt es in dem am 4. September in Berlin vorgestellten "Digitalisierungsbericht Video" der Medienanstalten. Das gelte nicht nur für die junge Generation, sondern auch für den Bevölkerungsdurchschnitt.
Für rund 37 Prozent der Deutschen ab 14 Jahren sei das Smartphone das wichtigste Bildschirmgerät. Nur noch 32 Prozent nennen den Fernseher. Im vergangenen Jahr habe das TV-Gerät mit rund 33 Prozent noch knapp ein Prozent von dem Smartphone gelegen. Laptop und PC liegen aktuell mit je rund elf Prozent deutlich darunter. Das Tablet nannten lediglich knapp fünf Prozent.
Der Fernseher wird deshalb allerdings nicht überflüssig: Für den Konsum von Videos sei der Fernseher weiterhin das wichtigste Gerät. Dem Bericht zufolge schauen 63 Prozent der Menschen Filme, Serien, Sendungen und Co. auf dem TV-Schirm. Es folgt der Laptop mit knapp elf Prozent und das Smartphone mit rund neun Prozent. Schlusslichter sind PC und Tablet mit sieben und fünf Prozent.
Der Bericht zeigt zudem einen starken Anstieg der Video-on-Demand-Nutzung. 42 Prozent der Deutschen nutzen die Angebote regelmäßig. Das Zeitbudget dafür sei um fünf Prozentpunkte auf 23 Prozent gestiegen. Die Wachstumsquote für die vergangenen zwei Jahren liege bei 44 Prozent. Das "klassische Fernsehschauen" stehe mit einem Anteil von 68 Prozent allerdings weiter auf Platz eins.
Bei den Video-on-Demand-Angeboten dominierten US-amerikanischen Unternehmen wie Netflix, Amazon oder Youtube. Fast jeder Dritte (30 Prozent) nutze diese Dienste. Zwar würden die Mediatheken der Fernsehsender von einem knappen Drittel der Bevölkerung regelmäßig genutzt. Die Seiten der privaten Fernsehsender blieben mit einem Nutzeranteil von knapp 17 Prozent aber weit dahinter. "Programmmacher müssen herausfinden, wie lineare und non-lineare Inhalte am besten kombiniert werden können", sagte die Vorsitzende der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten, Cornelia Holsten.
Der "Digitalisierungsbericht Video" ist eine bevölkerungsrepräsentative Studie und wird seit 14 Jahren von den Landesmedienanstalten veröffentlicht. In dem Bericht werden der aktuellen Stand der Digitalisierung der TV-Übertragungswege abgebildet und Informationen zur Nutzung digitaler Bewegtbildangebote erhoben.
Venedig (epd). Vor wenigen Jahren waren die Begriffe Kino und Netflix noch ein Gegensatzpaar, das eine stand für Filmkunst, das andere für "Binge-Watching" (langes Serienglotzen). Nun hat eine Produktion des Streaminganbieters ausgerechnet auf dem altehrwürdigen Filmfestival von Venedig den Goldenen Löwen gewonnen, und den Widerspruch damit widerlegt: Große Filmkunst kann offenbar auch per Streaming stattfinden.
Anders als noch in Cannes im Mai, wo auf Druck der französischen Filmindustrie Netflix-Filme ohne Kinoauswertung aus dem Wettbewerb genommen wurden, zeigte die venezianische Festival-Jury unter dem Vorsitz des Mexikaners Guillermo Del Toro keine Hemmungen, den Streaminganbieter zu berücksichtigen: Sie vergab am 8. September nicht nur ihren Hauptpreis an das schwarz-weiße Familiendrama "Roma" von Alfonso Cuarón.
Mit dem Preis fürs beste Drehbuch an die Brüder Joel und Ethan Coen und ihren Western-Kurzgeschichten "The Ballad of Buster Scruggs" ehrten sie auch die zweite der insgesamt drei Netflix-Produktionen im diesjährigen Wettbewerb der 75. "Mostra". Beide Filme werden in den USA zumindest eine Alibi-Kinoauswertung erfahren, um sie für die Oscars wählbar zu machen, aber ob und wie diese Filme etwa in Deutschland ins Kino kommen, ist bislang noch ungewiss.
Man kann verstehen, dass die europäischen Verleiher und Kinobetreiber die Entwicklung mit Sorge betrachten. Venedig in jedem Fall setzte mit der Preisvergabe deutlich Signale, dass man gewillt ist, die Neuentwicklungen der Distribution zu umarmen statt sich ihnen in den Weg zu stellen.
Abgesehen von der Kontroverse drum herum, erwies sich der Preisträgerfilm selbst als so unumstritten wie selten: In "Roma" zeigt Alfonso Cuarón Ausschnitte eines ganz normalen Familienalltags im Mexiko-Stadt der frühen 70er Jahre. Im Fokus steht die Hausangestellte Cleo, die sich mit ihrer indianischen Herkunft und sozialen Klasse absetzt im Akademikerhaushalt, zugleich aber vor allem den Kindern, die sie miterzieht, so zugetan ist, dass sie zum Familienmitglied wird.
Gefilmt in silbrigem Schwarzweiß und in einer Serie von komplexen, langen Einstellungen, die in vielen Details über die schwierige 70er-Jahre-Epoche Auskunft geben, ist "Roma" tatsächlich ein Meisterwerk filmischen Erzählens, von Kritikern und Publikum am Lido gleichermaßen gefeiert.
Wie überhaupt die Jury in diesem Jahr mit ihren Entscheidungen sehr nah am Geschmack der Festival-Akkreditierten lag. So gingen gleich zwei Auszeichnungen an die Historiengroteske "The Favourite" des griechischen Regisseurs (und großen Kritikerlieblings) Yorgos Lanthimos. Der Film spielt am Hof der britischen Königin Anne zu Beginn des 18. Jahrhunderts und erzählt davon, wie zwei Favoritinnen sich im Kampf um die Nähe zur Königin zerfleischen.
Großartig verkörpert von Olivia Colman, die dafür mit der Coppa Volpi, dem Preis für die beste weibliche Darstellerin ausgezeichnet wurde, funktioniert "The Favourite" als ironisches Spiel über "toxische Weiblichkeit" mit Anspielungen an "Alles über Eva". Nicht zuletzt dieses cineastische Element macht Lanthimos zum verdienten Gewinner der "Silbermedaille" des Festivals, des Großen Preises der Jury.
Als umstritten dagegen galt in diesem Jahr ausgerechnet der Film der einzigen Regisseurin im Wettbewerb, den die Jury aber demonstrativ ebenfalls mit zwei Preisen bedachte: das Kolonialmacht-Drama "The Nightingale" der Australierin Jennifer Kent. Darin verbündet sich eine nach Australien deportierte, ehemalige irische Strafgefangene mit einem jungen Aborigine-Tracker, um Rache zu üben an dem britischen Offizier, der sie vergewaltigt und ihren Mann und ihr Kind getötet hat. Keine leichte Kost.
Der Jury-Spezialpreis legitimiert sich jedoch allein schon als Zeichen für mehr Geschlechterparität. Mit dem Aborigine-Darsteller Baykali Ganambarr, der den Marcello-Mastroianni-Preis erhielt, aber wurde tatsächlich ein Nachwuchsschauspieler mit fast atemberaubenden Charisma gefunden.
Auf einhellige Zustimmung stießen die restlichen Entscheidungen der Jury: So ging die Coppa Volpi für den besten männlichen Darsteller an Willem Dafoe und seine bewegende Interpretation von Vincent van Goghs letzten Lebensjahren in "At Eternity's Gate" von Julian Schnabel. Ein gleichsam altersloser Dafoe - der 63-Jährige verkörpert im Film den von inneren Dämonen gequälten, aber von seiner Kunst auch wie erleuchteten 37-jährigen Vincent van Gogh - , erzählte mit dem Preis in der Hand sichtlich gerührt davon, wie er vor 30 Jahren mit Martin Scorseses "Letzte Versuchung Christi" zum ersten Mal zum Festival nach Venedig kam.
Der Franzose Jacques Audiard zeigte seine Filme fast alle in Cannes, wo er mit "Ein Prophet" 2009 den Großen Preis und zuletzt mit "Dheepan" 2015 sogar die Goldene Palme gewinnen konnte. Sein erstes Mal in Venedig brachte ihm nun gleich den Silbernen Löwen für Beste Regie ein. Der Neo-Western über ein ungleiches Brüderpaar, "The Sisters Brothers", ist Audiards englisch-sprachige Premiere und war lange der Geheimfavorit am Lido: Mit viel schwarzem Humor löst Audiard darin die klassischen Mythen von Western und Männlichkeit auf und zeigt mit wunderbar leichten, völlig anti-pädagogischen Tönen, dass ein feministischer Film nicht unbedingt von Frauen handeln muss.
Frankfurt a.M. (epd). Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) gibt zum vierten Mal ein Magazin für Flüchtlinge heraus. Das 24-seitige Heft mit dem Titel "Mein Weg" erscheine zweisprachig in Deutsch/Arabisch und Deutsch/Persisch in einer Gesamtauflage von 300.000 Exemplaren, teilte das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik am 6. September in Frankfurt am Main mit. Nach den ersten drei Ausgaben "Willkommen!", "Ankommen!" und "Bleiben!" trägt die neue Ausgabe den Titel "Mein Weg". Der Untertitel lautet: "Kopftuch oder nicht, heiraten oder allein bleiben, dieser Job oder ein anderer, das entscheide ich."
Erneut haben Journalisten aus Syrien, Afghanistan, dem Iran und Ägypten die Artikel geschrieben. Sie arbeiten für das Internetportal "www.amalberlin.de", eine Online-Zeitung auf Arabisch und Farsi. Das Projekt wird von der Evangelischen Journalistenschule Berlin betrieben und von der EKD finanziell unterstützt. Alle Beiträge sind unter "www.chrismon-guter-start.de" zu finden.
"Es wird viel über Integration und Identität diskutiert, darüber, ob ein Kopftuch ein Symbol der Abgrenzung sei. Aber für die Frauen geht es nicht darum. Es geht um ihre Selbstbestimmung als Frau, um ihre Selbstbestimmung als Muslimin", schreibt die Präses der Synode der EKD und "chrismon"-Herausgeberin Irmgard Schwaetzer im Editorial.
Das evangelische Magazin "chrismon" liegt in seiner regulären Ausgabe monatlich in einer Auflage von 1,6 Millionen Exemplaren großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen bei. Es ist aus der Wochenzeitung "Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt" hervorgegangen und erscheint seit 2006 unter dem Dach des Gemeinschaftswerkes der Evangelischen Publizistik (GEP). Die zentrale Medieneinrichtung der EKD trägt auch die Zentralredaktion des Evangelischen Pressedienstes (epd).
Cuxhaven, Detmold (epd). Mal füllen kraftvoll-brausende Töne das Schiff der evangelischen Kirche in Cappel bei Cuxhaven. Mal fließen die Klänge zart über Bänke, Altar und Taufbecken. Mit ihren Hörproben entlockt Laura Schlappa der historischen Arp-Schnitger-Orgel auf der Empore der Kirche die ganze Vielfalt barocker Musikfarben. Die 18-Jährige gehört zu den Nachwuchstalenten der Orgelszene in Deutschland und wurde im Frühjahr als Solistin auf ihrem Lieblingsinstrument im Bundeswettbewerb "Jugend musiziert" mit einem ersten Preis ausgezeichnet. Musizierende wie sie sind gesucht, denn Organistenstellen sind schwer zu besetzen.
Bevor die junge Frau ihr Spiel beginnt, schlüpft sie in Schuhe mit weichem Leder. "Dann habe ich bessere Fühlung zu den Fußpedalen der Orgel", erläutert die Cuxhavenerin, die schon mit vier Jahren am Klavier saß. Schon drei Jahre später machte sie erste Erfahrungen an der Orgel, für sie bis heute "Königin der Instrumente". "Musik ist ein Teil meines Lebens, meine Leidenschaft, das macht mir Spaß", schwärmt sie über das, was sie ab Oktober in den Fächern Kirchenmusik und Klavier an der Detmolder Hochschule für Musik auch studieren will. Schlappa, sagen Experten, ist ein "Tastenmensch".
Schon seit Jahren nimmt sie in der Region, in Hannover und in Detmold Unterricht. Bisher war sie wöchentlich mehrfach unterwegs, um ihr Spiel zu verbessern. "Die Übung macht's", sagt sie mit einem Lächeln und freut sich, dass ihre Schule auf die Terminflut unterstützend reagiert hat.
"Das ist längst nicht immer so", berichtet ihr Detmolder Orgellehrer Martin Sander, der auch ihr zukünftiger Professor an der Hochschule für Musik ist. "Ihre Schule war sehr liberal und hat ihr frei gegeben - andernorts kriegen viele junge Leute Ärger", hat Sander erfahren. Bei Laura Schlappa habe sich die Förderung ausgezahlt. "Zumal sie im Üben mit ihrer Konzentrationsfähigkeit und ihrer Hartnäckigkeit eine ziemliche Ausnahme ist."
Das hat sich nun erneut als Vorteil erwiesen. Die junge Frau hat im August in Nordirland bei einem internationalen Orgelwettbewerb in ihrer Altersklasse den ersten Platz belegt - auch, weil sie für "ihr" Instrument brennt: "An der Orgel die Kirche zu rocken, das ist für mich zum Niederknien."
Eine Ausnahme in positiver Weise war auf ihrem bisherigen Weg überdies ihr persönliches Umfeld, wie Annegret Schönbeck von der Orgelakademie in Stade berichtet. Denn wer neben der Schule in die Kirche gehe, um Orgel zu spielen, müsse nicht selten über ein ausreichendes Maß an Frustrationstoleranz verfügen. "Viele werden von ihren Mitschülern gemobbt."
Schönbeck koordiniert an der Akademie besondere Aktionen, mit denen Kinder und Jugendliche für Orgel und Kirchenmusik begeistert werden sollen. Bundesweit gibt es immer mehr Initiativen dieser Art, von denen die deutsche Direktorenkonferenz Kirchenmusik beispielhafte Ideen auf ihrer Internetseite "www.wegezurkirchenmusik.de" dokumentiert.
Darunter sind Wettbewerbe, Orgel-Clubs, Schulaktionen und eben auch jährliche Jugend-Orgelforen mit renommierten Dozenten und besonderen Führungen an historischen Instrumenten für Kinder und Jugendliche in Stade. Kinder, Jugendliche und ihre Elternhäuser müssten in ausreichender Zahl und früh genug interessiert werden und auf den Geschmack kommen, betont der Präsident der Direktorenkonferenz Kirchenmusik, der badische Landeskirchenmusikdirektor Kord Michaelis. "Damit auch bei gestrafften Schullaufbahnen die Zeit zum Üben reicht."
Ob dann Studien-Absolventen trotz glänzender Jobperspektiven unter anderem aufgrund vieler anstehender Pensionierungen tatsächlich in die Kirchenmusik gehen, ist aber gar nicht klar. "Sie können auch Schul- oder Kammermusik wählen oder Kapellmeister werden", verdeutlicht Hochschulprofessor Sander. Immerhin: Nach einer Talsohle vor ein paar Jahren registriert die Direktorenkonferenz im Bundesdurchschnitt wieder leicht steigende Studierendenzahlen.
Auch Laura Schlappa weiß noch nicht, ob sie nach Ende ihrer Studienzeit in Detmold in die Kirchenmusik geht. Doch eines weiß sie sicher: Sich an der Orgel über die Musik mit dem Publikum und den Gottesdienstgästen zu verbinden - "das ist einfach ein gutes Gefühl".
Iserlohn/Arnsberg (epd). Ein Öko-Oratorium aus der Feder des Iserlohner Komponisten Hartmut Tripp feiert am 6. Oktober in Arnsberg Premiere. Das Werk "Mutter Erde" für Chor, Gesangssolisten, Sprecher und Orchester sei ein politisches Oratorium, sagte Tripp dem epd in Iserlohn. Das knapp einstündige Stück werbe für die Bewahrung der Schöpfung, indem die Folgen von Klimawandel, Ressourcenverbrauch und ungebremsten Konsumverhalten aufgezeigt werden.
Das Oratorium ist den Angaben nach ein Projektwerk des Evangelischen Kirchenkreises Iserlohn mit der Musikschule des Hochsauerlandkreises. Die Leitung hat Kirchenmusikdirektor Hanns-Peter Springer übernommen. Er lobt das Werk als eine "klangvolle ökologische Botschaft auf christlichem Fundament".
Bei der Uraufführung am 6. Oktober in der katholischen Heilig-Kreuz-Kirche in Arnsberg werden neben verschiedenen Solisten auch ein Chor aus mehr als 100 Sängerinnen und Sängern aus der Region auf der Bühne stehen. Begleitet werden sie vom 20-köpfigen Kammerorchester "Camerata Instrumentale" aus Siegen. Am 7. Oktober ist eine zweite Aufführung in der evangelischen Friedenskirche im Iserlohner Stadtteil Letmathe geplant.
Wuppertal (epd). Ein tragisches Künstlerleben: Ein früher Tod mit 31 Jahren und fehlende Anerkennung zu Lebzeiten. Nur fünf ihrer etwa 750 Gemälde konnte sie verkaufen. Erst Jahre später sprach sich herum, welche Qualität die Arbeiten von Paula Modersohn-Becker (1876 - 1907) haben. Das Wuppertaler Von der Heydt-Museum zeigt eine umfangreiche Ausstellung mit Werken der Malerin, die als bedeutendste Vertreterin des Expressionismus und als Pionierin der Moderne gilt.
Mit der Werkschau schließt sich in Wuppertal ein Kreis. Denn einer der ersten, der Modersohn-Beckers Werk früh schätzen lernte, war der Elberfelder Bankier August von der Heydt (1881 - 1943) - Kunstmäzen und Namensgeber des Museums. Schon 1909, zwei Jahre nach ihrem Tod, erwarb er mit dem "Stillleben mit Rhododendron" sein erstes Gemälde von ihr. Das war der Start für den Aufbau einer umfangreichen Sammlung. Heute besitzt das Von der Heydt-Museum mit mehr als 20 Gemälden neben dem Paula Modersohn-Becker-Museum in Bremen den größten Bestand an Bildern der Künstlerin.
Das Museum konnte damit bei der Gestaltung der Ausstellung aus dem Vollen schöpfen - Porträts, Selbstporträts, Stillleben und Landschaften prägen das Werk der Künstlerin. "Die Bilder von Paula Modersohn-Becker zeichnen sich durch Ausdrucksstärke und Sensibilität gleichermaßen aus", erläutert Museumsdirektor Gerhard Finckh. Besonders die Darstellung von Menschen lasse ihre Fähigkeit, sich voller Mitgefühl auf das Gegenüber einzulassen, erkennen.
Wie zum Beweis deutet Finckh auf einen seiner Favoriten, das Bild "Kopf eines kleinen Mädchens mit Strohhut", das mit der Nahsicht Typisches für die Arbeit der Künstlerin erkennen lasse. "Hat die Künstlerin ihr Motiv gefunden, so erscheint das, was sie selbst am eindringlichsten wahrnimmt und empfindet, als bildbeherrschend." Das präzise modellierte Gesicht, von blonden Haaren umrahmt, banne den Blick des Betrachters. Gemeinsam mit der nur angedeuteten Landschaft im Hintergrund forme sich ein in sich stimmiges Ganzes.
Die Ausstellung mit dem Untertitel "Zwischen Worpswede und Paris" verbindet so zwei Orte, die zentral für den Werdegang der Künstlerin waren. In die Künstlerkolonie Worpswede bei Bremen kam Paula Becker erstmals 1897 und war von der Landschaft und dem Zauber des Ortes sofort tief beeindruckt. Auch die Künstlergemeinschaft, die dort lebte und arbeitete, gefiel ihr. Schon ein Jahr später gehörte sie dazu. Unter anderem arbeitete Fritz Mackensen dort, bei dem die junge Frau zunächst Unterricht nahm, aber auch Otto Modersohn, den sie später heiratete, Hans am Ende und Heinrich Vogeler.
Unterbrochen von längeren Aufenthalten in der Künstlerwelt von Paris blieb sie bis zu ihrem Tod in Worpswede. Entsprechend sind in der Ausstellung Werke aus der Künstlerkolonie ebenso zu sehen wie Arbeiten der Pariser Avantgarde: Ihre Werke seien in den zeitlichen Bezug eingebunden, um Einflüsse deutlich zu machen, erläutert Finckh. Ihre wichtigste Inspiration fand sie bei Paul Cezanne (1839 - 1906) und Paul Gauguin (1848 - 1903). Insgesamt 80 Bilder und Skulpturen sind in der Werkschau zu sehen, mit Leihgaben unter anderem aus Worpswede, Bremen und Amsterdam.
Zu Modersohn-Beckers Lebzeiten bemerkten nur wenige die ungewöhnliche Qualität ihrer Arbeiten. Zu ihren Unterstützern gehörten der Bildhauer Bernhard Hoetger, aber vor allem auch ihr Mann, mit dem sie gleichwohl wegen ihrer Versuche, künstlerisch unabhängig zu werden, oft im Streit lag. Als sich beide nach längerer Trennung wieder versöhnt hatten, war das Glück nur noch von kurzer Dauer. Kurz nach der Geburt ihrer gemeinsamen Tochter Mathilde starb Modersohn-Becker an einer Embolie. "Wie schade!", so überlieferte Otto Modersohn, seien ihre letzten Worte gewesen.
Kassel, Düsseldorf (epd). Moritz Wesseler (37) wird neuer Direktor des Fridericianums in Kassel. Der Kunsthistoriker und Kurator werde das Amt am 1. November antreten, teilte der Aufsichtsrat der "documenta und Museum Fridericianum gGmbH" am Freitag in Kassel mit. Wesseler folgt auf Susanne Pfeffer, die Anfang des Jahres auf die Stelle der Direktorin des Museums für Moderne Kunst in Frankfurt am Main wechselte.
Das 1779 als erstes öffentliches Museum weltweit eröffnete Fridericianum ist seit 1988 ein zentraler Ort der Gegenwartskunst. Wesseler kündigte an, zentralen Akteuren eine Plattform zu bieten, die in Deutschland noch weitestgehend unbekannt seien. Zudem wolle er ein Augenmerk auf die weitere Einbindung des Fridericianum in die Stadt und in die Region legen.
Wesseler wurde 1980 in Bremerhaven geboren und studierte Betriebswirtschaft und Kunstgeschichte in Mainz und Paris. Bereits parallel zu seinem Studium begann er Ausstellungen zu organisieren. Zudem gab er Künstlerbücher sowie Kataloge von Gregor Schneider, Luc Tuymans und Anri Sala heraus und begann mit dem Aufbau des Archivs des Kabinetts für aktuelle Kunst in Bremerhaven.
Nach dem Abschluss seiner Ausbildung arbeitete er bei der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf. Neben seiner Tätigkeit als Kurator publiziert er regelmäßig Bücher und Texte zur Kunst des 20. Jahrhunderts sowie zur Gegenwart und beteiligt sich an nationalen sowie internationalen Fachjurys. Seit September 2017 ist er Kurator des Vereins "Neue Kunst in Hamburg".
Köln (epd). Kölner Künstler haben eine Spenden-Aktion für den Ausbau des NS-Dokumentationszentrums gestartet. Musiker, Comedians und Schriftsteller sammeln mit insgesamt 17 Veranstaltungen Geld, um das Dokumentationszentrum in ein "Haus für Erinnern und Demokratie" zu verwandeln, wie die Stadt Köln am 3. September mitteilte. Den Anfang macht ein Konzert der Gruppe "Bläck Fööss". Die Reihe geht über drei Monate.
Alle Künstler verzichten den Angaben nach auf ihr Honorar. Neben kölscher Musik der Bands "Höhner" und "Paveier" stehen auch Auftritte der Komikerin Carolin Kebekus, des Schriftstellers Volker Kutscher und des Politikwissenschaftlers und Autoren Kemal Bozay auf dem Programm. Zudem gibt die Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano gemeinsam mit der Rap-Gruppe "Microphone Mafia" ein Konzert.
Das NS-Dokumentationszentrum soll den Angaben zufolge um zwei Etagen wachsen. Geplant sind unter anderem Erzählcafes sowie ein junges Museum für Kinder, Jugendliche und Familien. Die Essener Bethe-Stiftung hat angekündigt, alle bis zum 7. Dezember eingegangenen Spenden bis zu einem Betrag von 75.000 Euro zu verdoppeln.
Saarbrücken (epd). Zur Vernetzung der Arbeit zur Erinnerung an die NS-Zeit haben sich zahlreiche Vereine, Organisationen und Schulen im Saarland zusammengeschlossen. Am 6. September wurde in Saarbrücken eine "Landesarbeitsgemeinschaft Erinnerungsarbeit im Saarland" (LAG) gegründet. Bildungsminister Ulrich Commerçon (SPD) betonte in einer Erklärung zur Gründung, angesichts immer mehr schwindender biografischer Bezüge müsse die Erinnerungsarbeit "dringend neue Wege suchen".
Das Saarland gehört nach Angaben des Leiters der Landeszentrale für politische Bildung, Erik Harms-Immand, zu den letzten Bundesländern mit einer solchen Vernetzung. In Westdeutschland gebe es solche Arbeitsgemeinschaften schon länger, in Ostdeutschland hätten meist Stiftungen diese Aufgabe übernommen.
Bei der Gründungsversammlung im Bildungsministerium in Saarbrücken wurde ein neunköpfiger Sprecherrat gewählt, der künftig die Erinnerungsarbeit koordinieren und Ansprechpartner für lokale Projekte sein soll. Vorbereit wurde die Gründung der LAG von einem im Februar 2017 ins Leben gerufenen "Runden Tisch Erinnerungsarbeit". Geplant sind bereits eine gemeinsame Veranstaltung zum 80. Jahrestag der Reichspogromnacht am 9. November sowie ein Tag der Erinnerungskultur an der Universität des Saarlands im März 2019.
Der Kirchenvertreter im Sprecherrat, Frank-Matthias Hofmann vom Evangelischen Büro des Saarlands, plädierte dafür, künftig mindestens einmal jährlich eine gemeinsame Aktion zu organisieren. Für das kommende Jahr schlug er den "Westwall" vor, das zwischen 1936 und 1940 errichtete Verteidigungssystem an der Westgrenze des Deutschen Reichs. "Wir dürfen den Westwall nicht den Bunkerfreunden und Neonazis überlassen", betonte Hofmann.
Quito/La Paz (epd). Wenn Cecilia Moyoviri über ihre Heimat spricht, nimmt ihre Stimme einen anderen Klang an, sie wird fest und bestimmt. "Der Nationalpark ist unsere Speisekammer, unsere Apotheke - unser Zuhause," betont Moyoviri. Die energische kleine Frau vom Volk der Trinitarios ist Vizepräsidentin einer Organisation von Tieflandindianern, die im Nationalpark und Indianerschutzgebiet Isiboro Sécure (Tipnis) im Zentrum von Bolivien leben. Sie befürchten, dass eine geplante Fernstraße den Regenwald und ihren Lebensraum am Fuß der Anden zerstören wird.
Um ihr Zuhause - sie nennt es "la casa grande" (das große Haus) - und ihre Rechte als Ureinwohnerin zu verteidigen, ist Moyoviri zusammen mit anderen Aktivisten in die Regierungsstadt La Paz gereist. Die Fernstraße durch den Nationalpark ist ein Vorhaben des sozialistischen Präsidenten Evo Morales und soll die beiden Departments Cochabamba und Beni verbinden.
Ein Abschnitt der geplanten rund 300 Kilometer langen Trasse würde mitten durch den Nationalpark führen. Das seit 1965 bestehende und rund eine Million Hektar große Schutzgebiet mit großer Artenvielfalt gilt als Grüne Lunge Boliviens. Rund 12.000 Tieflandindianer aus drei Gruppen leben nach Schätzungen dort.
Morales griff vor ein paar Jahren alte Pläne für den Straßenbau auf, musste sich aber zunächst angesichts des Widerstands der Ureinwohner geschlagen geben. Das Projekt wurde ausgesetzt, und im Oktober 2011 erkannte das Parlament dem Gebiet einen besonderen Schutzstatus zu, erklärte es für unantastbar.
Doch ganz zu den Akten legte die Regierung die Pläne nicht. Der erste Abschnitt außerhalb der geschützten Zone wurde im vergangenen Jahr feierlich eingeweiht. Die Strecke durch das Naturschutzgebiet liegt offiziell auf Eis, doch Ureinwohner beklagten laut lokalen Medienberichten im vergangenen Jahr, dass bereits Brückenarbeiten begonnen hätten.
Im August 2017 hob das von der sozialistischen Regierungspartei dominierte Parlament den besonderen Schutzstatus des Nationalparks wieder auf und begründete dies mit einer Befragung im Jahr 2012. Damals hatten sich nach Regierungsangaben die Mehrheit der indianischen Gemeinden für den Bau der Fernstraße ausgesprochen.
Moyoviri erkennt diese Befragung allerdings nicht an. Ihre Organisation sei vorher nicht informiert worden, und nicht alle 64 Gemeinden in ihrer Zuständigkeit seien befragt worden. Zugestimmt hätten vor allem Gemeinden, die der regierungsnahen Organisation Conisur angehörten. Diese vertritt ebenfalls Indianergemeinden im Tipnis.
Die Regierung argumentiert, die Gemeinden im Nationalpark würden durch die Straße eine bessere Grundversorgung bekommen, die extreme Armut würde reduziert. "Uns nützt die Straße gar nichts, sie verläuft viel zu weit weg. Unsere Gemeinden liegen direkt an Flüssen", erklärt dazu Moyoviri, die mit ihrer Organisation Subcentral Tipnis rund 64 Gemeinden vertritt.
Die Indianer befürchten, dass sich die Siedler, die sich am Rande des Naturschutzgebietes niedergelassen haben, mit der Straße weiter ausbreiten und mit ihnen der Kokaanbau. Die Regierung bestätigte, dass in dem Gebiet nahe des Parks rund 400 Hektar Fläche für den Kokaanbau genutzt würden. Das UN-Büro zur Drogenbekämpfung spricht gar von 1.100 Hektar.
Die Ureinwohner im Widerstand holten sich internationale Hilfe und wandten sich an das Internationale Tribunal für die Rechte der Natur, das den Fall Tipnis im November 2017 bei der Klimakonferenz in Bonn verhandelte. Eine Kommission reiste Mitte August nach Bolivien, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Doch nicht überall wurden die Mitglieder mit offenen Armen empfangen. Regierungsnahe Anwohner hielten die Kommission bei ihrem Besuch mehrere Stunden fest.
Das Tribunal war nach der Konferenz der Völker gegen den Klimawandel 2010 in Cochabamba aus der Zivilgesellschaft heraus entstanden. Die Mitglieder der Bolivien-Kommission beklagen, dass die Regierung Morales die Rechte der Natur verletze. Dieselben Rechte, für die sich Morales als erster indianischer Präsident Boliviens in der Universellen Erklärung für die Rechte von Mutter Natur stark machte und die später in der Verfassung festgeschrieben wurden.
Die Regierung machte bereits klar, dass das Urteil des Tribunals für sie nicht bindend ist. Trotzdem werde die Entscheidung, die im Laufe des September veröffentlicht werden soll, Gehör finden, ist sich Moyoviri sicher. Das Image von Präsident Morales, der sich so gerne als Retter der Natur inszeniert, werde Schaden nehmen. "Seine Maske wird fallen", sagt die Aktivistin und betont: " Wir werden weitermachen, bis die Regierung unsere Stimme hört."
Quito (epd). Eduard sitzt mit seiner Frau und seinem zweijährigen Sohn am Straßenrand, wenige Meter entfernt vom zentralen Busbahnhof in Quito. Die Familie ist gerade in der ecuadorianischen Hauptstadt angekommen, erschöpft vom tagelangen Fußmarsch durch Kolumbien. "Wir haben auf dem Boden, auf Pappkartons geschlafen", erzählt der junge Familienvater, der vor wenigen Monaten seine Heimat Calabozo im Zentrum von Venezuela verlassen hat. "Wir haben unser Hab und Gut verkauft."
Eduard besitzt nichts außer einer kleinen Tasche und den Kleidern am Leib. Er hofft, in dem Zeltlager übernachten zu können, das sich hinter seinem Rücken erstreckt. Schwarze Plastikplanen, die an Bäumen befestigt sind, und Zelte reihen sich auf der schmalen Grünfläche zwischen zwei Schnellstraßen aneinander. Sie bieten nur wenig Schutz gegen Regen und die kalten Anden-Nächte, in denen die Temperatur häufig unter zehn Grad sinkt. Rund 60 bis 70 Menschen leben nach Schätzungen eines Polizeibeamten aktuell dort.
Das improvisierte Flüchtlingslager im Norden der Hauptstadt sollte bereits mehrfach geschlossen werden. Trotzdem bleibt es für viele Migranten erste Anlaufstelle nach ihrer Ankunft in Quito.
Mehr als 2,3 Millionen Venezolaner sind nach UN-Angaben bereits ins Ausland geflohen. Das entspricht mehr als sieben Prozent der Gesamtbevölkerung. Experten sprechen von der größten Fluchtbewegung in Lateinamerika seit mehr als 50 Jahren. Die Arbeits- und Perspektivlosigkeit sowie die miserable Gesundheitsversorgung oder auch schlicht der Hunger treiben die Menschen aus Venezuela weg.
Viele lassen dabei ihre Familie zurück, so wie Carladys aus Caracas. Ihr fünfjähriger Sohn blieb bei ihrer Mutter. "Der Mindestlohn lag bei umgerechnet 1,50 Dollar, aber alles kostete deutlich mehr", berichtet die 25-Jährige. Seit rund drei Wochen ist sie in Quito, täglich auf der Suche nach Arbeit. Das Geld will sie nach Venezuela schicken, damit es ihrem Sohn und ihrer Mutter besser geht.
Die meisten Flüchtlinge nehmen die Route über Kolumbien, das bisher die meisten Migranten, mehr als 900.000 Venezolaner, aufgenommen hat. Von der Grenzstadt Cúcuta im Nordosten ziehen viele über Ecuador weiter nach Peru und Chile.
Eine einheitliche Politik der betroffenen Staaten gab es bisher nicht. Das soll sich nun nach dem Gipfeltreffen von mehreren lateinamerikanischen Staaten in Quito ändern. Elf Länder, darunter auch Kolumbien, Brasilien, Peru und Chile, einigten sich jetzt darauf, weiter Flüchtlinge aufzunehmen und ihnen die Einreise künftig auch mit abgelaufenen Dokumenten zu ermöglichen. Eine deutliche Erleichterung, denn zuletzt hatten Peru und Ecuador Passkontrollen eingeführt und damit faktisch die Grenzen geschlossen. In Ecuador wurde die Regelung durch ein Gericht wieder gekippt.
Zudem fordern die betroffenen Staaten Venezuela auf, die humanitäre Hilfe anzuerkennen und die Ausstellung von Reisedokumenten zu erleichtern. Bislang waren vor allem Reisepässe teuer und kaum zu bekommen. Die Regierung von Präsident Nicolás Maduro negiert allerdings die Realität, verleugnet die Flüchtlingskrise und spricht von einer internationalen Kampagne, die eine militärische Intervention in Venezuela legitimieren soll.
In Ecuador sind allein von Januar bis August 2018 nach Angaben der Migrationsbehörde mehr als 600.000 Venezolaner eingereist, rund 500.000 haben das Land bereits gen Süden wieder verlassen. Es ist nach Einschätzung von Soziologe Javier Gomezjurado von der zentralen Universität in Quito bereits die dritte Fluchtwelle aus Venezuela. In der ersten hätten die Migranten sozialversicherungspflichtige Arbeit gefunden, sich in der ecuadorianischen Gesellschaft integriert. In der zweiten Welle seien sie in den informellen Sektor abgerutscht, erledigten Hilfsarbeiten oder verkauften Süßigkeiten auf der Straße. In der dritten nun seien die meisten nur noch auf der Durchreise.
Auch Eduard wollte mit seiner Familie eigentlich auch weiter nach Peru reisen. Doch nun bleibt er vorerst in Quito. Einen weiteren Fußmarsch will er seiner Familie nach den Strapazen der vergangenen Wochen jetzt nicht antun.
Dubai, Neu-Delhi (epd). Eine historische Entscheidung zur Legalisierung von Homosexualität löste in Indien Jubel aus: Am 6. September hob das Oberste Gericht des Landes ein mehr als 150 Jahre altes Verbot auf, das homosexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen unter Strafe stellte. Die fünf Richter in Neu-Delhi urteilten einstimmig, diese Regelung sei verfassungswidrig.
Das Urteil ist ein großer Erfolg für Homosexuelle und Transsexuelle in Indien, die seit Jahren die Abschaffung des Paragrafen 377 des indischen Strafgesetzbuches gefordert hatten. "Wir haben heute grundlegende Menschenrechte zugesprochen bekommen, und ich kann gar nicht ausdrücken, wie glücklich ich bin", kommentierte die Aktivistin Anjali Nazia.
"Wir sind endlich keine Kriminellen mehr", erklärte der Aktivist Arpit Bhalla. Die Vereinten Nationen würdigten die Entscheidung des Gerichtes als einen wichtigen Schritt im Kampf gegen Stigmatisierung und Diskriminierung von Homo- und Transsexuellen. Auch der Schriftsteller Chetan Bhagat begrüßte das Urteil: Indien werde nur überleben, wenn es unterschiedliche Lebensweisen anerkenne: "Die Abschaffung von Paragraf 377 ist ein Schritt in die richtige Richtung."
Die Richterin Indu Malhotra, die einzige Frau in dem urteilenden fünfköpfigen Richtergremium, erklärte, die Mitglieder der homosexuellen Gemeinschaft hätten eine Entschuldigung verdient, nachdem ihnen ihre Rechte so lange Zeit vorenthalten wurden. Und ihr Kollege Dhananjaya Chandrachud befand, der Staat habe kein Recht, das Privatleben seiner Bürger zu kontrollieren. Das Urteil sei der erste Schritt, das "Gespenst der Kolonialzeit zu begraben".
Die Geschichte der Legalisierung der Homosexualität in Indien verlief turbulent: In einem Urteilsspruch von Juli 2009 hatte ein Gericht in Neu-Delhi einen Teil des Paragrafen 377 des indischen Strafgesetzes gekippt und damit die Homosexualität legalisiert. Einvernehmlicher Sex zwischen zwei Erwachsenen könne kein Straftatbestand sein, argumentierten die Richter damals.
Doch 2013 kam die Kehrtwende: Das Urteil von 2009 wurde revidiert, und der umstrittene Passus des Strafgesetzbuches von 1861 wurde wiederhergestellt. Die aus britischer Kolonialzeit stammende Regelung besagte, dass Sex, der "gegen die natürliche Ordnung" verstoße, im Extremfall sogar mit lebenslänglicher Haft bestraft werden kann.
Damit wurden Inder und Inderinnen, die nach der Legalisierung 2009 ihre schwule oder lesbische Orientierung öffentlich gemacht hatten, über Nacht wieder Kriminelle. Zwar waren Verurteilungen wegen gleichgeschlechtlichen Geschlechtsverkehrs zwischen Erwachsenen in Indien sehr selten, doch Homo- und Transsexuellen waren damit wieder Schikanen und Erpressungsversuchen ausgesetzt. Die Entscheidung des Obersten Gerichtes ist nun endgültig und kann nicht mehr revidiert werden.
Das Urteil gilt auch deswegen als historisch, weil in der streng konservativen indischen Gesellschaft Homosexualität - ebenso wie Sex vor der Ehe - oft noch ein großes Tabu ist. In den vergangenen Jahren hat die schwul-lesbische Szene jedoch versucht, "die Mauer des Schweigens" mit Demonstrationen in den Metropolen zu brechen. Dennoch gibt es nur sehr wenige Inderinnen und Inder, die ihre Homosexualität öffentlich machen.
Dem historischen Urteil vom Donnerstag war eine Petition vorangegangen, die fünf Inder mit unterschiedlichem Hintergrund vor dem Obersten Gericht gestartet hatten: Dazu gehörten die Fernsehköchin und Autorin Ritu Dalmia sowie ein preisgekrönter klassischer Tänzer und dessen Lebenspartner, der als Journalist, Schauspieler und Regisseur arbeitet. Ferner beteiligten sich der Eigentümer einer Hotelkette und eine Geschäftsfrau.
"Heute ist es das erste Mal, dass ich das Gefühl habe, in einer funktionierenden Demokratie zu leben", erklärte die TV-Köchin Dalmia nach dem Urteil. "Es ist ein guter Tag für die Menschenrechte, für das Land und für die Verfassung."
Düsseldorf (epd). Auf Friedhöfen in Nordrhein-Westfalen sollen in Zukunft keine Grabsteine mehr aus Kinderarbeit aufgestellt werden. Künftig dürften Naturstein-Grabmäler aus vier Ländern nur noch aufgestellt werden, wenn sie mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ohne Kinderarbeit hergestellt und zertifiziert wurden, teilte das NRW-Arbeitsministerium in Düsseldorf mit. Einen entsprechenden Runderlass von Arbeitsminister Karl-Josef Laumann und Europaminister Stephan Holthoff-Pförtner (beide CDU) verabschiedete das Kabinett am 4. September.
Demnach sollen künftig Naturstein-Grabmäler aus China, Indien, den Philippinen und Vietnam speziell zertifiziert werden. Sobald Zertifizierungsstellen anerkannt und die Lieferbetriebe überprüft seien, dürften Kommunen und Kirchen auf ihren Friedhöfen nur noch zertifizierte Steine aus diesen Ländern aufstellen, erklärte das Ministerium. Das Ministerium für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales werde nun das Anerkennungsverfahren von Zertifizierungsstellen einleiten.
Bereits 2014 wollte die damalige rot-grüne Landesregierung mit ihrem neuen Bestattungsgesetz gegen Grabsteine aus Kinderarbeit vorgehen. Sie legte fest, dass nur Grabmäler aufgestellt werden dürfen, die aus Ländern kommen, die nicht gegen das Abkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) gegen schlimmste Formen der Kinderarbeit verstoßen. Bei Grabsteinen aus diesen Ländern sollte Kinderarbeit per Zertifikat ausgeschlossen sein. Die Regelung wird bislang aber nicht flächendeckend umgesetzt, weil unklar war, für welche Länder sie gelten soll. Die damalige Landesregierung hatte zur Aufstellung einer schwarzen Liste mehrere Gutachten in Auftrag gegeben.
Ein zusammenfassendes Gutachten des Düsseldorfer Politikwissenschaftlers Walter Eberlei, das inzwischen vorliegt, empfiehlt eine Zertifizierungspflicht für China, Indien, die Philippinen und Vietnam. Mit ihrem Runderlass folgten Laumann und Holthoff-Pförtner dem Empfehlungen des Gutachtens, erklärte das Arbeitsministerium.
Dakar (epd). Die 27-jährige Fatou Sarr steht mit Jeans und Polo-Shirt auf dem Feld, beugt sich über eine Gruppe stacheliger Blätter, von denen die größten einen halben Meter hoch sind, und wählt die zu erntenden Blätter aus. "Aloe Vera wächst hier prächtiger als alle anderen Pflanzen", sagt sie. 2015 hat die junge Senegalesin in der Region Thiès, rund eine Autostunde von Senegals Hauptstadt Dakar entfernt, die ersten Pflanzen in die Erde gesetzt. Inzwischen misst das Feld fast einen Hektar, auf dem rund 800 Aloe-Vera-Stöcke gedeihen.
Für Trockenperioden speichert die Pflanze in ihren fleischigen Blättern das Wasser in Form von Gel, das für Arznei- und Nahrungsergänzungsmittel oder für Kosmetik verwendet wird. Aloe Vera hilft unter anderem bei Hautinfektionen, aber auch bei Magen- und Verdauungsproblemen. Sarr verkauft das Gel pur, mischt es in Cremes, Öle, Seifen und Lotionen. Ihre Firma nannte sie "TaKhar". Das bedeutet in der Serere-Sprache, die Sarr spricht, Pflanze.
Die Senegalesin will dazu beitragen, dass sich Afrikanerinnen mit natürlichen afrikanischen Mitteln pflegen, statt ihre schwarze Haut mit gefährlichen Produkten heller zu machen. Dieser Mode folgen im Senegal laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) 27 Prozent der Bevölkerung, meist Frauen. "Manche haben ihre Haut abgebeizt und leiden unter Infektionen, die sogar zu Krebs führen können", sagt Sarr.
Ihre ersten Pflänzchen züchtete sie in ihrer Wohnung in Dakar, wo sie zunächst Cremes zum persönlichen Gebrauch herstellte. 2012 kam der studierten Informatikerin die Idee für die Aloe-Vera-Zucht. Dass der Anbau biologisch sein sollte, war für sie von Anfang an klar: Der Anbau sollte "weit weg von Dakar und seiner Umweltverschmutzung" erfolgen. Bis das Feld gekauft und eine Firma gegründet waren, dauerte es drei Jahre. Nur ihr Ehemann habe ihr geholfen. "Die Familie schickt dich auf die Schule, damit du eine gute Arbeit bekommst", sagt sie. Aber eine Chefin habe sich niemand vorstellen können. "Die Leute sagen, Landwirtschaft ist nichts für Frauen."
Bisher gibt es im Senegal keine Bio-Zertifizierung. Die Labels diverser Organisationen von Biolandwirten werden nicht offiziell anerkannt. Sarrs Ziel ist es, ein ausländisches Bio-Label für ihre Erzeugnisse zu erhalten. Bis dahin spricht sie von "natürlichen" Produkten, verkauft ihre Kosmetik in Supermärkten im Senegal und verschickt sie in andere westafrikanische Länder.
Wie viel Aloe-Vera-Gel sie genau produziert, kann Sarr gar nicht sagen. Manche Kunden bestellten 100 Liter, andere nur vier. Sobald sie einen Auftrag hat, fährt Sarr von Dakar mit einem Sammeltaxi zum Feld. Der Weg führt über die Autobahn durch afrikanische Landschaften, dann durch Dörfer mit Obstständen am Straßenrand, vorbei an Eselskarren und Werkstätten.
Mahomed Traore ist die gute Seele des Feldes. Tagsüber arbeitet der 33-Jährige, der vor zwölf Jahren aus Mali in den Senegal kam, in der sengenden Hitze mit T-Shirt und Wollmütze auf dem Kopf. "Am Montag gieße ich, am Dienstag jäte ich Unkraut, am Mittwoch säubere ich das Feld, am Donnerstag kümmere ich mich um die Papayas auf dem Feld und am Freitag um den Kompost", sagt er und zeigt auf die Würmerzucht in einer alten Badewanne. Samstag ist für ihn der zweite Gieß-Tag, "und am Sonntag ruhe ich mich aus." Nachts wacht Traore über das Feld, das durch Bäume von den Nachbargrundstücken abgegrenzt ist.
Traore arbeitet mit bloßen Händen, hat nur Jätwerkzeuge und Gartenschere. Wird er dem Unkraut alleine nicht Herr, zum Beispiel während der Regenzeit, hilft die Chefin höchstpersönlich. Reicht das immer noch nicht, stellt Sarr Tagelöhner an.
Die Auswanderungswünsche vieler junger Senegalesen versteht Sarr nicht. "Du gehst nach Europa, hast dort einen kleinen Job und das Geld, das du verdienst, geht für Miete und Essen drauf." Dabei sei das Geld für Schleuser viel besser in der Heimat angelegt. "Denn hier kannst Du etwas aufbauen", sagt sie.
Dortmund (epd). Die bundesweit größte Messe für fairen Handel, die "Fair Friends" in Dortmund, hat in diesem Jahr steigende Besucherzahlen verbucht. Insgesamt seien rund 6.000 Besucher in die Westfalenhallen gekommen, teilten die Veranstalter am 9. September zum Abschluss der viertägigen Nachhaltigkeitsmesse mit. Das seien etwa 15 Prozent mehr Gäste als im Vorjahr. Rund 220 Aussteller aus 17 Ländern hatten seit 6. September ihre Angebote aus den Bereichen Ernährung, Mode, Gesundheit, Energie, Umwelt und Design präsentiert.
Die "Fair Friends" habe es erneut geschafft, das Thema Nachhaltigkeit fachlich anspruchsvoll aufzubereiten, sagte Sabine Loos, Hauptgeschäftsführerin der Westfalenhallen Dortmund GmbH. Besonders großes Besucherinteresse fanden demnach den Angebotsbereichen Lebensmittel und Getränke, Recycling und Upcycling sowie Mode, Textilien und Accessoires.
Zum Programm der Messe gehörten auch ein Fachtag zum Thema nachhaltige Beschaffung für Kommunen und Kirchen sowie Info-Veranstaltungen für Schüler über "grüne Berufe" oder Kochshows. Workshops und ein Poetry-Slam wurden ebenfalls angeboten. Außerdem wurden Schulklassen für ihr besonderes Engagement für den Fairen Handel ausgezeichnet. Im kommenden Jahr findet die "Fair Friends"vom 5. bis 8. September statt.
Bonn (epd). Das Präsidium der Welthungerhilfe hat den Agraringenieur Mathias Mogge zum neuen Vorstandsvorsitzenden gewählt. Der 54-Jährige folgt auf Till Wahnbaeck, der auf eigenen Wunsch aus dem Vorstand der Hilfsorganisation ausgeschieden sei, wie die Welthungerhilfe am 4. September in Bonn erklärte. Mogge ist den Angaben nach seit über 20 Jahren für das Hilfswerk tätig.
Der Umweltwissenschaftler hatte seit 2010 als Vorstand weltweite Projekte in 38 Ländern verantwortet. Von 2005 bis 2009 leitete er die Fachgruppe Wissen, Innovation und Beratung. Zuvor war er in Mali tätig, wo er die Programme der Welthungerhilfe in Mali, Burkina Faso, Liberia und Sierra Leone verantwortete.
Bonn (epd). Der Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE), Dirk Messner, ist am 6. September verabschiedet worden. Zum 1. Oktober wechselt er an die Universität der Vereinten Nationen, wie das Institut in Bonn mitteilte. Dort übernehme er die Leitung des ebenfalls in Bonn ansässigen Institutes für Umwelt und menschliche Sicherheit der Universität der Vereinten Nationen (UNU-EHS). Die Leitung des DIE werde bis zur Neubesetzung des Postens die bisherige stellvertretende Direktorin Imme Scholz übernehmen.
Messner war den Angaben zufolge seit 2003 Direktor des auf entwicklungspolitische Fragen spezialisierten Forschungs- und Beratungsinstituts. In dieser Zeit habe er "die strategische Ausrichtung des DIE als international anerkannter Think Tank zu Fragen globaler Entwicklung ganz maßgeblich vorangetrieben und geprägt", würdigte Staatssekretärin Annette Storsberg vom NRW-Wissenschaftsministerium Messners Verdienste.
Das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik berät nach eigenen Angaben vor allem das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie andere Ressorts der Bundesregierung, die Europäische Kommission, die G20, aber auch Ministerien und Entwicklungsorganisationen in Entwicklungs- und Schwellenländern.
Genf (epd). In ihrer ersten Rede vor dem UN-Menschenrechtsrat verlangte die Hochkommissarin eine Migrationspolitik, die nicht auf "Panik" beruhe. Migranten sollten sich auf sicheren und legalen Wegen bewegen können und nicht gezwungen sein, tödliche Risiken einzugehen, sagte die frühere Präsidentin Chiles am 10. September.
Bachelet (66), die Anfang September ihr Amt als UN-Hochkommissarin in Genf antrat, betonte, dass die Einhaltung der Menschenrechte im Interesse eines jeden Staates liege. Menschenrechte seien eine wirkungsmächtige Arznei, die Wunden heile und die Widerstandsfähigkeit stärke, sagte die gelernte Kinderärztin. Bachelet versprach, sie werde sich für alle Menschen einsetzen, die Diskriminierung und Unterdrückung erdulden müssten.
Sie habe ein Leben lang gegen Hass und für gleiche Rechte und Respekt für alle Menschen gekämpft. Bachelet erinnerte an ihre eigenes Schicksal unter dem Pinochet-Regime (1973 bis 1990) in Chile. Sie sei inhaftiert worden und ins Exil geflohen. Ihr Land habe den "Schmerz und den Terror der Tyrannei" kennen gelernt, sagte Bachelet, die in der Haft gefoltert worden war.
Die Sozialistin Bachelet war von 2006 bis 2010 und von 2014 bis 2018 chilenische Präsidentin. Zudem war sie Chefin der Frauenorganisation UN-Women.
Im UN-Hochkommissariat folgt Bachelet auf den Jordanier Seid Ra'ad al-Hussein, der sich nicht für eine zweite Amtszeit beworben hatte. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte erstellt Berichte über die Lage in einzelnen Ländern, berät Regierungen und wirkt an der Formulierung internationaler Abkommen mit.
Schwerpunkte der 39. Sitzung des Menschenrechtsrats, die bis zum 28. September dauert, sind unter anderem die Lage in Burundi, im Kongo, in Georgien und im Jemen. Das Gremium berät zudem über die Menschenrechtssituation in Libyen und in der Ukraine. Die EU kündigte an, eine Resolution zu Menschenrechtsverletzungen in Myanmar vorzulegen. Auch die Lage im Bürgerkriegsland Syrien will die EU zum Thema machen.
Washington (epd). Die Ermittlungen zu sexuellem Missbrauch von Kindern in der römisch-katholischen Kirche in den USA weiten sich aus. Die Generalstaatsanwältin des Bundesstaates New York, Barbara Underwood, hat am 6. September (Ortszeit) eine Hotline für Missbrauchsopfer eingerichtet. Die Hotline dient Underwoods Ermittlungen in den acht katholischen Diözesen im Bundesstaat New York. Die "New York Times" schrieb unter Berufung auf Informanten in der Justiz, die Generalstaatsanwältin habe von den Diözesen jüngst alle Dokumente über sexuellen Missbrauch und kirchliche Maßnahmen dagegen angefordert.
Underwood verwies auf einen Untersuchungsbericht im benachbarten Pennsylvania, in dem im vergangenen Monat 300 Priester des Missbrauchs oder sexueller Übergriffe an mehr als 1.000 minderjährigen Opfern beschuldigt wurden. Der Bericht habe "unglaublich verstörende und verkommene Taten katholischer Geistlicher" zu Tage gebracht, die von Vertuschungsmaßnahmen in Diözesen gedeckt worden seien, sagte Unterwood. Opfer in New York verdienten es, dass man sie anhöre, "und wir werden alles in unserer Macht tun, um ihnen Gerechtigkeit zu bringen".
Der Sprecher der Erzdiözese von New York, Joseph Zwilling, sagte in der "Times", die Diözesen seien "bereit und willens" zur Zusammenarbeit mit den Ermittlern. Underwood appellierte zudem an Politiker, die nach ihrer Ansicht unzureichenden Verjährungsgesetze zu ändern. In New York müssten gegenwärtig als Kinder Missbrauchte in den meisten Fällen Straftaten vor ihrem 23. Lebensjahr anzeigen.
Der Generalstaatsanwalt vom Staat New Jersey, Gurbir Grewal, gab am Donnerstag die Gründung einer Arbeitsgruppe zur Untersuchung von Missbrauchsvorwürfen in der katholischen bekannt. Die Generalstaatsanwältin von Illinois, Lisa Madigan, hatte Ende August eine Hotline für Opfer eingerichtet.
Der Erzbischof von St. Louis in Missouri, Robert Carlson, hat nach Angabe seines Pressebüros Ende August den Generalstaatsanwalt von Missouri, Josh Hawley, zu Ermittlungen "eingeladen". Der Generalstaatsanwalt von Nebraska, Doug Peterson, hat laut der Zeitung "Omaha World-Herald" von den drei Diözesen im Staat Dokumente zu Missbrauchsfällen aus den vergangenen 40 Jahren verlangt.
São Paulo (epd). Nach dem verheerenden Großbrand im brasilianischen Nationalmuseum in Rio de Janeiro haben Deutschland und Frankreich Hilfe zugesagt. "Wir sind vor Ort in Kontakt mit dem Museumsdirektor und den Behörden, um sie bei der Bewältigung dieser Katastrophe und bei der Bergung, der Sicherung sowie der Restaurierung von Dokumenten und Artefakten zu unterstützen", erklärte die für Kultur zuständige Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Michelle Müntefering (SPD), am 4. September in Berlin. Auch Frankreich sei bereit, bei der Restaurierung zu helfen, verkündete Staatspräsident Emmanuel Macron auf Twitter.
Das mehr als 200 Jahre alte Nationalmuseum war am Vortag in Flammen aufgegangen. Ein Großteil seiner kostbaren archäologischen und antiken Sammlung wurde zerstört. Das Museum sei chronisch unterfinanziert gewesen, sagte die stellvertretende Museumsdirektorin Cristiana Serejo der Tageszeitung "Folha die São Paulo". Hinter der Tragödie steckten "fehlendes Geld und eine große Bürokratie". Ihren Angaben zufolge konnten nur etwa zehn Prozent der Sammlung gerettet werden.
In einem Fernseh-Interview gab Kulturminister Sergio Sá Leitao zu, dass es "Jahre der Nachlässigkeit" bei der Instandhaltung des Museums gegeben habe. Von der Wirtschafts- und Finanzkrise, in der sich Brasilien seit mehr als drei Jahren befindet, ist besonders der Bundesstaat Rio de Janeiro betroffen. Krankenhäuser und Schulen mussten aufgrund fehlender Finanzmittel schon schließen.
Das Feuer konnte erst am Morgen des 4. September endgültig gelöscht werden, auch weil es in der Nacht geregnet hatte, wie die Feuerwehr mitteilte. Verletzt wurde offenbar niemand. Das Feuer war erst nach Schließung des Museums ausgebrochen. Das Museum, das 1818 vom portugiesischen König João VI. gegründet wurde, feierte im Juni dieses Jahres sein 200-jähriges Bestehen.