Eine historische Entscheidung zur Legalisierung von Homosexualität löste in Indien Jubel aus: Am 6. September hob das Oberste Gericht des Landes ein mehr als 150 Jahre altes Verbot auf, das homosexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen unter Strafe stellte. Die fünf Richter in Neu-Delhi urteilten einstimmig, diese Regelung sei verfassungswidrig.

Das Urteil ist ein großer Erfolg für Homosexuelle und Transsexuelle in Indien, die seit Jahren die Abschaffung des Paragrafen 377 des indischen Strafgesetzbuches gefordert hatten. "Wir haben heute grundlegende Menschenrechte zugesprochen bekommen, und ich kann gar nicht ausdrücken, wie glücklich ich bin", kommentierte die Aktivistin Anjali Nazia.

"Wir sind endlich keine Kriminellen mehr", erklärte der Aktivist Arpit Bhalla. Die Vereinten Nationen würdigten die Entscheidung des Gerichtes als einen wichtigen Schritt im Kampf gegen Stigmatisierung und Diskriminierung von Homo- und Transsexuellen. Auch der Schriftsteller Chetan Bhagat begrüßte das Urteil: Indien werde nur überleben, wenn es unterschiedliche Lebensweisen anerkenne: "Die Abschaffung von Paragraf 377 ist ein Schritt in die richtige Richtung."

Die Richterin Indu Malhotra, die einzige Frau in dem urteilenden fünfköpfigen Richtergremium, erklärte, die Mitglieder der homosexuellen Gemeinschaft hätten eine Entschuldigung verdient, nachdem ihnen ihre Rechte so lange Zeit vorenthalten wurden. Und ihr Kollege Dhananjaya Chandrachud befand, der Staat habe kein Recht, das Privatleben seiner Bürger zu kontrollieren. Das Urteil sei der erste Schritt, das "Gespenst der Kolonialzeit zu begraben".

Kehrtwende 2013

Die Geschichte der Legalisierung der Homosexualität in Indien verlief turbulent: In einem Urteilsspruch von Juli 2009 hatte ein Gericht in Neu-Delhi einen Teil des Paragrafen 377 des indischen Strafgesetzes gekippt und damit die Homosexualität legalisiert. Einvernehmlicher Sex zwischen zwei Erwachsenen könne kein Straftatbestand sein, argumentierten die Richter damals.

Doch 2013 kam die Kehrtwende: Das Urteil von 2009 wurde revidiert, und der umstrittene Passus des Strafgesetzbuches von 1861 wurde wiederhergestellt. Die aus britischer Kolonialzeit stammende Regelung besagte, dass Sex, der "gegen die natürliche Ordnung" verstoße, im Extremfall sogar mit lebenslänglicher Haft bestraft werden kann.

Damit wurden Inder und Inderinnen, die nach der Legalisierung 2009 ihre schwule oder lesbische Orientierung öffentlich gemacht hatten, über Nacht wieder Kriminelle. Zwar waren Verurteilungen wegen gleichgeschlechtlichen Geschlechtsverkehrs zwischen Erwachsenen in Indien sehr selten, doch Homo- und Transsexuellen waren damit wieder Schikanen und Erpressungsversuchen ausgesetzt. Die Entscheidung des Obersten Gerichtes ist nun endgültig und kann nicht mehr revidiert werden.

Das Urteil gilt auch deswegen als historisch, weil in der streng konservativen indischen Gesellschaft Homosexualität - ebenso wie Sex vor der Ehe - oft noch ein großes Tabu ist. In den vergangenen Jahren hat die schwul-lesbische Szene jedoch versucht, "die Mauer des Schweigens" mit Demonstrationen in den Metropolen zu brechen. Dennoch gibt es nur sehr wenige Inderinnen und Inder, die ihre Homosexualität öffentlich machen.

Dem historischen Urteil vom Donnerstag war eine Petition vorangegangen, die fünf Inder mit unterschiedlichem Hintergrund vor dem Obersten Gericht gestartet hatten: Dazu gehörten die Fernsehköchin und Autorin Ritu Dalmia sowie ein preisgekrönter klassischer Tänzer und dessen Lebenspartner, der als Journalist, Schauspieler und Regisseur arbeitet. Ferner beteiligten sich der Eigentümer einer Hotelkette und eine Geschäftsfrau.

"Heute ist es das erste Mal, dass ich das Gefühl habe, in einer funktionierenden Demokratie zu leben", erklärte die TV-Köchin Dalmia nach dem Urteil. "Es ist ein guter Tag für die Menschenrechte, für das Land und für die Verfassung."