Quito (epd). Eduard sitzt mit seiner Frau und seinem zweijährigen Sohn am Straßenrand, wenige Meter entfernt vom zentralen Busbahnhof in Quito. Die Familie ist gerade in der ecuadorianischen Hauptstadt angekommen, erschöpft vom tagelangen Fußmarsch durch Kolumbien. "Wir haben auf dem Boden, auf Pappkartons geschlafen", erzählt der junge Familienvater, der vor wenigen Monaten seine Heimat Calabozo im Zentrum von Venezuela verlassen hat. "Wir haben unser Hab und Gut verkauft."
Eduard besitzt nichts außer einer kleinen Tasche und den Kleidern am Leib. Er hofft, in dem Zeltlager übernachten zu können, das sich hinter seinem Rücken erstreckt. Schwarze Plastikplanen, die an Bäumen befestigt sind, und Zelte reihen sich auf der schmalen Grünfläche zwischen zwei Schnellstraßen aneinander. Sie bieten nur wenig Schutz gegen Regen und die kalten Anden-Nächte, in denen die Temperatur häufig unter zehn Grad sinkt. Rund 60 bis 70 Menschen leben nach Schätzungen eines Polizeibeamten aktuell dort.
Das improvisierte Flüchtlingslager im Norden der Hauptstadt sollte bereits mehrfach geschlossen werden. Trotzdem bleibt es für viele Migranten erste Anlaufstelle nach ihrer Ankunft in Quito.
Mehr als 2,3 Millionen Venezolaner sind nach UN-Angaben bereits ins Ausland geflohen. Das entspricht mehr als sieben Prozent der Gesamtbevölkerung. Experten sprechen von der größten Fluchtbewegung in Lateinamerika seit mehr als 50 Jahren. Die Arbeits- und Perspektivlosigkeit sowie die miserable Gesundheitsversorgung oder auch schlicht der Hunger treiben die Menschen aus Venezuela weg.
Fünfjähriger bleibt zuhause
Viele lassen dabei ihre Familie zurück, so wie Carladys aus Caracas. Ihr fünfjähriger Sohn blieb bei ihrer Mutter. "Der Mindestlohn lag bei umgerechnet 1,50 Dollar, aber alles kostete deutlich mehr", berichtet die 25-Jährige. Seit rund drei Wochen ist sie in Quito, täglich auf der Suche nach Arbeit. Das Geld will sie nach Venezuela schicken, damit es ihrem Sohn und ihrer Mutter besser geht.
Die meisten Flüchtlinge nehmen die Route über Kolumbien, das bisher die meisten Migranten, mehr als 900.000 Venezolaner, aufgenommen hat. Von der Grenzstadt Cúcuta im Nordosten ziehen viele über Ecuador weiter nach Peru und Chile.
Eine einheitliche Politik der betroffenen Staaten gab es bisher nicht. Das soll sich nun nach dem Gipfeltreffen von mehreren lateinamerikanischen Staaten in Quito ändern. Elf Länder, darunter auch Kolumbien, Brasilien, Peru und Chile, einigten sich jetzt darauf, weiter Flüchtlinge aufzunehmen und ihnen die Einreise künftig auch mit abgelaufenen Dokumenten zu ermöglichen. Eine deutliche Erleichterung, denn zuletzt hatten Peru und Ecuador Passkontrollen eingeführt und damit faktisch die Grenzen geschlossen. In Ecuador wurde die Regelung durch ein Gericht wieder gekippt.
Zudem fordern die betroffenen Staaten Venezuela auf, die humanitäre Hilfe anzuerkennen und die Ausstellung von Reisedokumenten zu erleichtern. Bislang waren vor allem Reisepässe teuer und kaum zu bekommen. Die Regierung von Präsident Nicolás Maduro negiert allerdings die Realität, verleugnet die Flüchtlingskrise und spricht von einer internationalen Kampagne, die eine militärische Intervention in Venezuela legitimieren soll.
In Ecuador sind allein von Januar bis August 2018 nach Angaben der Migrationsbehörde mehr als 600.000 Venezolaner eingereist, rund 500.000 haben das Land bereits gen Süden wieder verlassen. Es ist nach Einschätzung von Soziologe Javier Gomezjurado von der zentralen Universität in Quito bereits die dritte Fluchtwelle aus Venezuela. In der ersten hätten die Migranten sozialversicherungspflichtige Arbeit gefunden, sich in der ecuadorianischen Gesellschaft integriert. In der zweiten Welle seien sie in den informellen Sektor abgerutscht, erledigten Hilfsarbeiten oder verkauften Süßigkeiten auf der Straße. In der dritten nun seien die meisten nur noch auf der Durchreise.
Auch Eduard wollte mit seiner Familie eigentlich auch weiter nach Peru reisen. Doch nun bleibt er vorerst in Quito. Einen weiteren Fußmarsch will er seiner Familie nach den Strapazen der vergangenen Wochen jetzt nicht antun.