Kirchen

"Wir wurden hier empfangen wie zuhause"




Ludmillas Sohn, Ludmilla, Natalia mit ihrem zehn Monate alten Sohn, Sina (v.l.n.r.)
epd-bild/Christian Schwier
Fast 400.000 ukrainische Flüchtlinge sind in Deutschland registriert und brauchen Wohnraum. Im westfälischen Bad Oeynhausen stellt eine Kirchengemeinde ein Pfarrhaus als Unterkunft bereit und kümmert sich mit Freiwilligen um die Frauen und Kinder.

Bad Oeynhausen/Minden (epd). Neugierig schaut sich Natalias zehn Monate alter Sohn das Bilderbuch an, dann ist auf einmal das Spielzeugauto interessanter. Der Blick der Mutter wandert zum Handy - vielleicht kommt ja eine Nachricht von ihrem Mann, der in der Ukraine bleiben musste. „Er hat uns bis zur polnischen Grenze gefahren“, sagt die junge Rechtsanwältin.

Von dort aus schlug sich Natalia mit ihrer Mutter Sina, Baby und Kinderwagen in vollgestopften Zügen über Krakau, Berlin und Hannover bis ins nordrhein-westfälische Bad Oeynhausen bei Minden durch. Zunächst wohnten die drei dort bei Freunden, dann ließen sie sich bei der Stadt registrieren und bekamen ihr Zimmer im alten Pfarrhaus im Dorf Bergkirchen. Zwölf ukrainische Flüchtlinge aus vier Familien leben derzeit dem 140 Jahre alten Backsteinbau, alles Frauen und Kinder. Insgesamt ist hier Platz für 25 Personen.

Spendenaktion

„In der Woche vor Ostern sind die ersten Gäste eingezogen“, sagt Cord Neuhaus, Vorsitzender des Presbyteriums der Kirchengemeinde Bergkirchen. Bereits wenige Tage nach Beginn des Krieges in der Ukraine beschloss die Gemeindeleitung in einer Sondersitzung, der Stadt das seit einem Jahr leerstehende Pfarrhaus als Unterkunft für Geflüchtete anzubieten. Die Kommune griff zu - sie muss laut Neuhaus keine Miete bezahlen, übernimmt aber als Betreiberin die Nebenkosten. Auch Betten und Matratzen und eine Grundausstattung mit Elektrogeräten hat sie bereitgestellt.

Bis das Gebäude besenrein übergeben werden konnte, hatte die Gemeinde „anstrengende Wochen“, erzählt Neuhaus. In einer großen Spendenaktion wurde das Haus mit seinen sieben Zimmern, zwei Bädern, einer Küche, dem großen Wohn- und Esszimmer voll eingerichtet: von Oberbetten mit Bettbezügen über Kleiderschränke, Stühle, Tische, Lampen, Handtücher und Fernseher bis hin zu Spielzeug, Sportgeräten, einer Küchenausstattung und - ganz wichtig - einem leistungsfähigen W-LAN zur Kommunikation der Flüchtlinge mit daheim.

„Wir wurden hier empfangen wie zuhause“, dankt Ludmilla fast überschwänglich für das Engagement der Gastgeber. Mit ihren drei jüngsten Kindern - 13 bis 17 Jahre alt - und einer Nichte ist sie aus einem Dorf nahe der Grenze zur Belarus geflohen. Die ersten Tage in Bergkirchen habe sie nicht einmal einkaufen gehen müssen: „Lebensmittel, Zahnpasta, Seife - alles war da, sogar die Betten waren bezogen“, sagt die Hausfrau.

„Ich konnte nicht viel mitnehmen“

Sorgen macht sich Ludmilla um ihre älteren Kinder, die noch in der Ukraine sind. Einer der Söhne sei gerade 18 geworden, daher habe er nach Kriegsbeginn nicht mit ausreisen dürfen. Vorgestern habe der junge Mann aus Lwiw angerufen und erzählt, dass er zwei Raketen gesehen habe, berichtet die Mutter.

Natalia ist froh über das gespendete Spielzeug und die Babykleidung: „Wir sind so schnell los gefahren, ich konnte nicht viel mitnehmen.“ Über ihr Handy hält sie ständig Kontakt mit Angehörigen und Freunden in der Heimat, so auch zu einer Cousine in Butscha bei Kiew: „Sie musste sich zwei Wochen im Keller verbarrikadieren und hat viele Raketen gehört.“ Am Ende sei für sie alles gut gegangen, die Russen seien wieder weg. Von der Cousine habe sie auch Schreckliches über die Tötung vieler Zivilisten durch russische Truppen in Butscha gehört.

Cord Neuhaus und Thore Niestrat vom Presbyterium kommen nach ihrem Job täglich ins Pfarrhaus und sehen nach dem Rechten. „Wir wollen den Familien nicht nur ein Obdach bieten, wir fühlen uns auch verantwortlich für die Leute“, sagt Neuhaus. Bei rechtlichen und organisatorischen Fragen sucht er Rat beim Flüchtlingsreferat des Evangelischen Kirchenkreises Minden, der auch mit Spenden hilft. Von der Stadt Bad Oeynhausen besucht inzwischen eine Sozialarbeiterin die Geflüchteten.

Über eine WhatsApp-Gruppe haben sich über 40 Unterstützer aus Bergkirchen und Umgebung vernetzt. Die Freiwilligen übernehmen Fahrten zu Ämtern oder zum Einkaufen, bieten Sprachunterricht an oder helfen beim Übersetzen. - so wie Lena. Die gebürtige Ukrainerin lebt seit zehn Jahren in Deutschland und dolmetscht zwischen Gastgebern und Gästen. „Ich bin fast täglich hier“, sagt sie. „Wenn ich helfen kann, helfe ich, es sind doch Leute aus meiner Heimat.“

Wie lange Natalia und Ludmilla mit ihren Familien in Deutschland und Bergkirchen bleiben, hängt natürlich vom Kriegsverlauf in der Ukraine ab. Ob die Frauen hier eine Arbeit suchen wollen? Beide winken ab. Natalia ist mit ihrem Baby rund um die Uhr ausgelastet. Ludmilla hat mit ihren drei Teenagern genug zu tun, kocht und wäscht und hält ihren kleinen Haushalt in Gang. Mitten im Gespräch mit den Frauen klingelt es an der Tür. Cord Neuhaus eilt hin und öffnet: Eine weitere Mutter aus der Ukraine und ihr vierjähriger Sohn sind im alten Pfarrhaus von Bergkirchen neu angekommen.

Von Thomas Krüger


EKD-Ratsvorsitzende: Ukraine bei Überlebenskampf unterstützen




Annette Kurschus
epd-bild/Jens Schulze
Die Kirchen befinden sich seit dem russischen Angriff auf die Ukraine in einem Dilemma. Frieden bleibt ihr Kernthema. Aber wo Menschen rohe Gewalt erfahren, hätten sie alles Recht, sich zu verteidigen, betont die EKD-Ratsvorsitzende Kurschus.

Bielefeld (epd). Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Annette Kurschus, unterstützt die Entscheidung der Bundesregierung zur Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine. Zwar habe sie „höchsten Respekt vor allen, die für sich selbst auf die Option der Gewaltlosigkeit setzen“, sagte die westfälische Präses am 27. April dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“: „Aber ich erkenne die jetzt beschlossenen Waffenlieferungen als Mittel an, die Ukraine bei ihrem Überlebenskampf zu unterstützen.“

Der mitteldeutsche Landesbischof Friedrich Kramer bekräftigte dagegen sein Nein zu Waffenlieferungen in Kriegsgebiete. Er ist Friedensbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Kurschus erklärte, wo ein Land und seine Menschen wie in der Ukraine rohe Gewalt und blankes Unrecht erfahren, hätten Menschen alles Recht, sich zu verteidigen. Und sie hätten das Recht, um Hilfe zu bitten, auch um Hilfe zur Selbstverteidigung, fügte die Präses der evangelischen Kirche von Westfalen hinzu.

Kirche stehe immer auf Seite der Opfer

Dagegen bekräftigte der mitteldeutsche Landesbischof Kramer seine Aussagen als EKD-Friedensbeauftragter. In der Vielfalt der Kirche müsse es Debatten um die richtige Haltung zum Krieg geben dürfen, sagte Kramer in Naumburg zum Auftakt der viertägigen Tagung der Synode der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland. Er sei persönlich weiterhin gegen Waffenlieferungen in Kriegsgebiete.

In der Nachfolge Jesu Christi stehe die Kirche immer auf der Seite der Opfer, sagte Kramer. Christus habe Gewaltlosigkeit gepredigt. Andererseits wisse auch er, dass sich in dieser schwierigen Frage derjenige schuldig mache, der Waffen liefere. Denn mit diesen Waffen werde getötet. Und auch jene würden Schuld auf sich laden, die nicht zu helfen bereit seien.

Kramer äußerte sich persönlich betroffen von scharfer Kritik an seinen Äußerungen in der öffentlichen Debatte. Teilweise sei er bewusst missverstanden worden, nachdem er Fragen gestellt habe, aber keine Lösungen habe anbieten können.

Auch Kurschus verwies auf die wachsende Sorge, dass mit einem Mehr an Waffen auch mehr Krieg gesät werde: „Das Recht wiederherzustellen und echten Frieden zu gewinnen: Das vermögen Waffen allein nicht.“ Ohne eine politische Strategie, die den Einsatz der Waffen begleitet, werde es kein „Danach geben, in dem wir wieder gut miteinander leben können“, sagte die EKD-Ratsvorsitzende.



Der frühere EKD-Ratsvorsitzende Martin Kruse ist gestorben




Martin Kruse (2019)
epd-bild/Rolf Zöllner
Friedensbewegung, Hausbesetzungen, RAF, gespaltene Kirche, geteilte Stadt und Wiedervereinigung: Martin Kruse war Berliner Bischof und EKD-Ratsvorsitzender in bewegten Zeiten. Nun ist der Theologe im Alter von 93 Jahren gestorben.

Berlin (epd). Er machte sich einen Namen als Brückenbauer und Vermittler: Martin Kruse wurde 1976 zum West-Berliner Bischof der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg gewählt. Sein Amt übte er 17 Jahre lang aus, von 1985 bis 1991 war er auch Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Am 29. April starb der evangelische Theologe im Alter von 93 Jahren.

Die evangelische Kirche lebe „von der Einmischung und der Kraft von Gruppen und Einzelnen, die ungeniert Fragen stellen und das Evangelium leben“, sagte Kruse einmal. Und seine Aufgabe als Bischof habe er darin gesehen, in Konflikten „zwischen den Fronten zu vermitteln“.

Der promovierte Theologe wurde am 21. April 1929 im niedersächsischen Lauenberg geboren und wuchs im Emsland auf. Nach Theologiestudium und Vikariat war er von 1955 bis 1970 im niedersächsischen Loccum zunächst als Studienleiter für Jugendsozialarbeit an der Evangelischen Akademie, dann als Stiftsprediger und später als Direktor des Predigerseminars tätig. 1970 ging er als Landessuperintendent der hannoverschen Landeskirche nach Stade.

Berliner Kirche 1977 „heillos zerstritten“

Die Anfrage, in West-Berlin als Nachfolger von Bischof Scharf zu kandidieren, erreichte den Theologen im Urlaub in Österreich. „Da war die Urlaubsstimmung verflogen“, erinnerte sich Martin Kruse: „Meine Frau beschwor mich, dies der Familie nicht anzutun.“ Doch es kam anders. Seine Bedenken, ohne Großstadterfahrung nach Berlin zu gehen, habe der Theologe und frühere Regierende Bürgermeister Heinrich Albertz knapp mit dem Satz pariert: „Die Großstadterfahrung kommt von selbst, dafür werden die Berlinerinnen und Berliner schon sorgen.“

Am Himmelfahrtstag 1976 wurde Martin Kruse zum Bischof gewählt. 1977 übernahm er das Amt in einer Kirche, die der Journalist und spätere Präsident der Berliner Evangelischen Akademie, Robert Leicht, als „nahezu heillos zerstritten“ beschrieb, mit kirchlichen Gruppierungen, die „manchmal in einer Weise miteinander umgehen, dass sich Daniel in der Löwengrube vergleichsweise komfortabel fühlen musste“. Die politischen Auseinandersetzungen der Zeit hatten auch in der Kirche zu heftigen Konflikten geführt.

Kruses Amt als Bischof war geprägt von der Teilung der Stadt, aber auch von diesen politischen und innerkirchlichen Konflikten und Konfrontationen. „Auf Konsens eingestellt, aber dem Konflikt nicht ausweichend“, so hat ihn sein Nachfolger Wolfgang Huber beschrieben. Glaubwürdigkeit habe er auch zur Zeit der West-Berliner Hausbesetzungen und Straßenkämpfe nach beiden Seiten vermittelt, zu den Hausbesetzern wie zu den politisch Verantwortlichen.

Grundlegende EKD-Texte in seiner Amtszeit

In die DDR hat er intensive Kontakte gepflegt. Die regelmäßigen „Wanderungen in der Mark Brandenburg“ mit dem Bischof der Ost-Region, Albrecht Schönherr, seien für ihn wichtige Entdeckungsreisen gewesen, schreibt er in seinen Erinnerungen. Und beim Warten in den Schlangen am Grenzübergang am Berliner Bahnhof Friedrichstraße habe er mitunter den Eindruck gehabt, „die evangelische Kirche sei ein großes Reiseunternehmen“.

Martin Kruse, Vater von vier Kindern, übernahm zusätzlich auch bundesweite und internationale Aufgaben. Von 1979 bis 1991 gehörte er dem Rat der EKD an, ab 1985 war er für sechs Jahre Ratsvorsitzender. Unter seiner Leitung wurden mit der Demokratie-Denkschrift 1985 und der Wirtschafts-Denkschrift 1991 zwei grundlegende Texte der EKD verabschiedet. Als Mitglied des Zentralausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen setzte er sich nachdrücklich für die Ökumene ein.

Im ARD-Fernsehen sprach Martin Kruse 1989 das erste „Wort zum Sonntag“ nach der Öffnung der Berliner Mauer. Ein großes Aufatmen gehe durch Land und Stadt, sagte er. In seine Bischofszeit fällt auch die nicht einfache Vereinigung des Ost- und des Westteils der Kirche in Berlin-Brandenburg. Von 1991 bis zum Ruhestand 1994 war er dann Bischof der wieder vereinten Landeskirche.

Von Yvonne Jennerjahn (epd)


Altbischof Wolfgang Huber mit LutherRose 2021ausgezeichnet




Wolfgang Huber
epd-bild/KD BUSCH.COM
Für sein Lebenswerk hat der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber die LutherRose der Internationalen Martin Luther Stiftung erhalten. Geehrt wurden auch seine Bemühungen um einen Dialog zwischen Kirche und Wirtschaft.

Ditzingen/Berlin (epd). Der Berliner Altbischof und frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, ist am 30. April mit der LutherRose 2021 der Internationalen Martin Luther Stiftung ausgezeichnet worden. Altbundespräsident Joachim Gauck würdigte Huber in seiner Festrede als einen „der profiliertesten Theologen Deutschlands“ und „Vordenker in ethischen Fragen“.

Ellen Ueberschär, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, sagte in ihrer Laudatio laut einer Mitteilung der Stiftung, Huber habe mit intellektueller Weite und großer geistiger Kraft die lutherische Freiheit eines Christenmenschen ausgelegt. Er habe sich höchsten gesellschaftlichen Respekt erworben, gerade unter denjenigen, die in ihrem Handeln täglich versuchen, unternehmerische Freiheit und Verantwortung zusammenzubringen und umzusetzen, sagte die Theologin bei der Preisverleihung in Ditzingen (Landkreis Ludwigsburg).

Huber: Freiheit und Verantwortung gehören zusammen

In seiner Dankesrede entgegnete Wolfgang Huber, die Auszeichnung ermutige ihn, auch in schwierigen Zeiten weiterhin daran festzuhalten, dass Freiheit und Verantwortung zusammengehören. Doch Probleme wie der Klimawandel, die Maßlosigkeit eines Angriffskriegs und die ethischen Herausforderungen der Digitalisierung zeigten, dass diese Zusammengehörigkeit keine Selbstverständlichkeit sei.

Huber lehrte als Professor für Sozialethik an der Universität Marburg und als Professor für Systematische Theologie an der Universität Heidelberg. Von 2003 bis 2009 war er Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sowie von 1994 bis 2009 Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.

In seiner Festrede kritisierte Gauck die Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas. Diese trage indirekt zur Finanzierung des Krieges gegen die Ukraine bei, was zu „den unrühmlichen Wahrheiten in diesem Land“ gehöre. Putins Krieg gelte letztlich der gesamten freien Welt, der liberalen Demokratie und der Selbstbestimmung der Völker, sagte der ehemalige Bundespräsident laut Redemanuskript. „Viele Menschen spüren, dass nicht ein fremdes Land angegriffen und unterjocht werden soll, sondern dass wir mitgemeint sind, wenn die Ukraine zum Untertan gemacht werden soll“, so Gauck.

Für Lebenswerk des „herausragenden Theologen“

Die Internationale Martin Luther Stiftung erklärte, Huber erhalte die undotierte „LutherRose 2021 für gesellschaftliche Verantwortung und UnternehmerCourage“ für sein Lebenswerk als herausragender Theologe und Kirchenmann. Die Stiftung wolle damit seinen „nachhaltigen Beitrag für einen sachorientierten, streitbaren und fairen Dialog zwischen Kirche und Wirtschaft“ ehren.

Die Auszeichnung sollte ursprünglich bereits im November 2021 in Berlin verliehen werden, die Verleihung im Rahmen der LutherKonferenz wurde jedoch wegen der Corona-Pandemie auf den 30. April 2022 verschoben. Die am 10. November 2007 in Wittenberg errichtete Stiftung hat ihren Sitz in Eisenach und ihre Geschäftsstelle im Augustinerkloster in Erfurt. Mit der LutherRose wurden bereits unter anderem der Unternehmer Horst Deichmann, der Verleger Dirk Ippen und die Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz ausgezeichnet.



Kampagne zum Kirchentag 2023 vorgestellt




Landesbischof Bedford-Strohm auf dem Fahrrad
epd-bild/Anestis Aslanidis
"Dieses satte Gelb steht für etwas, was wir in dieser Zeit mehr brauchen als alles andere: nämlich Licht, Hoffnung", sagte Landesbischof Bedford-Strohm.

Nürnberg (epd). Der Deutsche Evangelische Kirchentag hat seine Kampagne für das Protestantentreffen im nächsten Jahr in Nürnberg vorgestellt. Das am 28. April präsentierte Plakat stellt die Losung „Jetzt ist die Zeit“ in großer gelber Schrift auf grünem Grund dar. In Pink sind die Worte „Hoffen. Machen.“ ergänzt.

„Dieses satte Gelb steht für etwas, was wir in dieser Zeit mehr brauchen als alles andere: nämlich Licht, Hoffnung“, sagte der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm in Nürnberg. Gerade in Zeiten von Krieg und Katastrophen könnten Christen Kraft in der Gemeinschaft finden.

Die Generalsekretärin des Kirchentags, Kristin Jahn, sieht in der Botschaft der Kampagne ein Signal gegen sich verbreitende Hoffnungslosigkeit. Das Motiv schmückt Werbematerial, Publikationen und Produkte des 38. Deutschen Evangelischen Kirchentags, der vom 7. bis 11. Juni 2023 in Nürnberg stattfindet.



Abspaltung bei Evangelisch-methodistischer Kirche



Washington (epd). Eher konservativ und traditionalistisch orientierte Mitglieder und Pastoren der Evangelisch-methodistischen Kirche, in den USA bekannt als United Methodist Church, haben eine neue Kirche ins Leben gerufen. Als Gründungstag der neuen „Globalen Methodischen Kirche“ gilt der 1. Mai. Die Trennung resultiert hauptsächlich aus einem seit Jahrzehnten anhaltenden Streit über den Umgang mit Homosexuellen. Viele Methodisten betrachten die Trennung angesichts der tiefgreifenden Differenzen als unausweichliche Realität.

In den USA haben einige Pastoren gleichgeschlechtliche Ehen gesegnet. Hunderte Methodisten-Gemeinden heißen offen lesbisch, schwul, bi- und transsexuell lebende Christen willkommen. Konservative Kirchenmitglieder und besonders viele Mitgliedskirchen aus Afrika lehnen das ab.

„Zerstörende Debatten“

Konservative sind zudem empört über ausbleibende Richtlinien für die Zukunft der Kirche und das Aufschieben der Generalversammlung. Theologisch konservative Gemeinden hätten genug von „teilenden und zerstörenden Debatten“ und wollten gemeinsam in die Zukunft gehen, erklärte der Vorsitzende des vorbereitenden Transitional Leadership Council, Pastor Keith Boyette.

Die Evangelisch-methodistische Kirche ist aus einer Erweckungsbewegung in England im 18. Jahrhundert hervorgegangen. Sie betont „verbindlichen Glauben“, soziales Engagement und praktische Dienste der Nächstenliebe. In den USA ist die Methodistenkirche nach dem Südlichen Baptistenverband die zweitgrößte protestantische Kirche. Weltweit gehören rund zwölf Millionen Menschen zur Evangelisch-methodistischen Kirche.



Evangelischer Kulturbeauftragter gegen "Ausschließeritis" nach rechts




Johann Hinrich Claussen
epd-bild/Norbert Neetz
Rechtes Gedankengut ist einer Studie zufolge in der evangelischen Kirche ebenso verbreitet wie in der Gesamtgesellschaft. Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland werben dafür, Christen mit rechten Positionen nicht auszuschließen.

Hannover (epd). Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) will das Gespräch mit Bürgern, die politisch rechten Einstellungen anhängen, aufrechterhalten. Dafür haben sich am 28. April hochrangige EKD-Vertreter bei der Vorstellung einer sozialwissenschaftlichen Studie zur politischen Kultur in der Kirche ausgesprochen.

Der Erhebung zufolge ist rechtes Gedankengut innerkirchlich ebenso verbreitet wie in der Gesamtgesellschaft. Die Kirchenleitung müsse in einer Volkskirche Raum für unterschiedliche Positionen lassen, sagte der Vizepräsident des EKD-Kirchenamtes, Horst Gorski: „Sie darf nicht vorschnell zu moralisierenden Schließungen von Debatten beitragen.“ Sonst könne die Kirche ein Repräsentanz-Problem bekommen.

Christlicher Glaube als „Wirtsideologie“

Ähnlich äußerte sich der Kulturbeauftragte des Rates der EKD, Johann Hinrich Claussen. Es gelte zwar, sich von der neuen Rechten abzugrenzen, welche häufig Versatzstücke des christlichen Glaubens als Wirtsideologie missbrauche. Die Kirche müsse sich jedoch vor „Ausschließeritis“ hüten, sagte Claussen mit Blick auf das ehemalige Ratsmitglied der EKD, Peter Hahne. Hahne steht im Ruf, rechtspopulistische Positionen zu vertreten. Es sei wichtig, im Gespräch zu bleiben mit „Menschen, die bestimmte Liberalisierungen nicht sofort mitmachen, oder die Vorbehalte haben“, betonte Claussen.

Die Religionssoziologin und Autorin der Studie, Hilke Rebenstorf, sagte, immerhin habe die Studie einen positiven, wenngleich schwachen Zusammenhang zwischen Religiosität und Offenheit nachgewiesen. Menschen, bei denen der Glaube im Leben eine zentrale Rolle einnehme, hätten weniger Vorurteile etwa gegenüber Geflüchteten, Muslimen oder Sinti und Roma. Jedoch hätten sie stärkere Vorurteile gegenüber sexueller Vielfalt als die Bevölkerung im Durchschnitt, erläuterte Rebenstorf. Kirchenmitglieder, die anderen Religionen zugestehen, einen wahren Kern zu haben, neigten insgesamt zu weniger Vorurteilen als solche, welche die christliche Religion für die einzige wahre hielten.

Die Studie „Zwischen Nächstenliebe und Abgrenzung - Eine interdisziplinäre Studie zu Kirche und politischer Kultur“ wurde von der EKD 2019 in Auftrag gegeben. Beleuchtet wurde der Zusammenhang von Kirchenmitgliedschaft, Religiosität, politischer Kultur und Vorurteilsstrukturen.



Missbrauch: EKD legt neues Modell zur Betroffenenbeteiligung fest




Christoph Meyns
epd-bild/Jens Schulze
Bei der Aufklärung von Missbrauch ist die Beteiligung Betroffener zum Standard geworden. Vor einem Jahr scheiterte das in der evangelischen Kirche. Sie legt nun ein neues Modell vor - mit mehr Augenhöhe für die Opfer. Details sind aber noch offen.

Berlin (epd). Nach dem Scheitern des ersten Betroffenenbeirats zur Aufklärung und Prävention sexualisierter Gewalt in den eigenen Reihen hat die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ein neues Modell zur Beteiligung von Missbrauchsopfern festgelegt. Wie die EKD am 25. April in Hannover mitteilte, haben sich Kirchenvertreter, Betroffene und Experten am Wochenende auf ein „Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt“ geeinigt, das zum zentralen Gremium für Aufarbeitung und Prävention innerhalb der EKD werden soll. Dies sei eine weitergehende Form der Beteiligung als bisher, erklärte der Sprecher des Beauftragtenrats für das Thema in der EKD, der Braunschweiger Bischof Christoph Meyns. Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, sieht aber noch ungeklärte Fragen.

Im vergangenen Jahr hatte die EKD den ursprünglichen Betroffenenbeirat aufgelöst. Als Grund wurden Konflikte in dem Gremium angeführt. Betroffene wiederum kritisierten eine mangelnde Einbindung in Entscheidungen. Ziel des neuen Beteiligungsforums sei die verbindliche Mitwirkung von Betroffenen an Entscheidungen und Maßnahmen zum Schutz vor und zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt, erläuterte die Expertin Birgit Mangels-Voegt, von der nach Angaben der EKD der Vorschlag für das neue Modell der Beteiligung von Missbrauchsopfern stammt.

Gremium soll neu strukturiert werden

Dem Beteiligungsforum werden den Angaben zufolge Mitglieder des aufgelösten Betroffenenbeirats sowie Kirchenvertreterinnen und Vertreter angehören. Dazu gehören die Mitglieder des Beauftragtenrats, ein Gremium aus Geistlichen und Kirchenjuristen, das ursprünglich ein Gegenüber zum Betroffenenbeirat war. Dieses Gremium soll den Angaben zufolge neu strukturiert werden. Zum neuen Forum gehören zudem auch die Präses der EKD-Synode, Anna-Nicole Heinrich, der EKD-Bevollmächtigte Martin Dutzmann sowie Vertreter der Diakonie, der Landeskirchen und der zuständigen Fachstelle der EKD.

Noch seien Detailfragen zu klären, bevor das Beteiligungsforum offiziell an den Start gehen kann, sagte ein EKD-Sprecher auf Nachfrage. Offen sei zudem auch noch, wie viele der früheren zwölf Mitglieder des Betroffenenbeirats im neuen Forum vertreten sein werden. An der Tagung am vergangenen Wochenende zur Neukonzeption hätten zwei Drittel der ursprünglichen Mitglieder teilgenommen, sagte der EKD-Sprecher. Zur Mitberatung des neuen Modells waren nach Angaben der Moderatorin Mangels-Voegt alle Mitglieder des früheren Betroffenenbeirats eingeladen.

„Entscheidender Schritt“ - „Noch nicht zu greifen“

Teile von ihnen begrüßten das neue Modell. Es sei ein „entscheidender Schritt zur angemessenen Beteiligung Betroffener“ gemacht worden, sagte Nancy Janz, die dem ersten Betroffenenbeirat angehörte. Detlef Zander, der dort ebenfalls Mitglied war, erklärte, das neue Forum biete die Chance, den notwendigen Weg der EKD in der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt kritisch zu begleiten. Von anderen gab es aber auch Kritik. Die Betroffene Katharina Kracht, die ebenfalls dem Betroffenenbeirat angehörte, bemängelte, dass die EKD immer wieder versuche, „aus sich selbst heraus gelungene Aufarbeitung zu generieren“. Das gehe in den meisten Fällen alles andere als gut.

Die neue Missbrauchsbeauftragte Claus erklärte, für sie sei das neue Modell „noch nicht zu greifen“. „Es stellen sich mir aktuell verschiedene Fragen, etwa welche Mitwirkungs- und Gestaltungsrechte Betroffene über das Beteiligungsforum konkret erhalten und wie sie ihre Anliegen auch öffentlich sichtbar machen können - auch über die institutionelle Beteiligung hinaus“, erläuterte sie. Sobald sie das Konzept näher kenne, werde sie den Prozess zu verbindlichen Strukturen der Aufarbeitung fortsetzen, ergänzte Klaus. Schon ihr Amtsvorgänger Johannes-Wilhelm Rörig hatte mit der EKD über eine Vereinbarung zu Standards bei der Aufarbeitung verhandelt.



Maria 2.0-Mitbegründerin: Kirchen wieder für Bedürftige zurückerobern




Maria 2.0-Protest
epd-bild/Peter Jülich

Köln, Solms (epd). Die Kölner Theologin Maria Mesrian will die katholische Kirche wieder nach dem Vorbild von Jesus gestalten. Dazu plant die Mitbegründerin der katholischen Frauenbewegung Maria 2.0 unter anderem, Kirchengebäude „zurückzuerobern“ und als „konsumfreie Räume“ etwa für Bedürftige oder Betroffene von sexuellen Übergriffen oder Machtmissbrauch des katholischen Klerus zu nutzen, wie sie dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Köln sagte. Mesrians gemeinsam mit der Künstlerin Lisa Kötter verfasstes Buch „Entmachtet die Kirche und gebt sie den Menschen zurück“ ist am Montag im bene!-Verlag in Solms bei Wetzlar erschienen.

„Naivität des Klerus“

Mesrian forderte, die Kirche müsse sich sichtbar „ihrer Macht entledigen“ und vor allem Frauen an allen Strukturen beteiligen. Die katholische Theologin kritisierte die „Naivität“ des Klerus, der glaube, sich weiterhin eine Kirche ohne Frauen leisten zu können: „Wenn Frauen fehlen, fällt die Kirche in sich zusammen.“ In dem Buch beklagen die Autorinnen, die Kirche habe „an vielen Stellen den einst fruchtbaren Nährboden der guten Botschaft Jesu mit der Hitze ihrer Macht ausgetrocknet“. Mesrian und Kötter werfen der katholischen Kirche Versagen auf den Gebieten vor, die christliche Grundlagen sind: Liebe, Gemeinschaft, Freiheit und Gerechtigkeit.

Was bisher noch eine grundsätzliche Kritik ist, soll schon bald auch zu Handlungen führen, kündigte Mesrian an. Frauen der Bewegung Maria 2.0 wollten Kirchengebäude für soziale Zusammenkünfte nutzen, damit sie wieder Menschen zugute kommen, um die sich auch Jesus gekümmert habe. Sein Satz: „Was Ihr dem geringsten Eurer Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ sei ihre Richtschnur, sagte die Aktivistin.

Kirchengebäude sollten „Aufwärmorte für die Heimatlosen, Gemeinschaftsorte für die Einsamen, Vertrauensorte für die Enttäuschten“ werden. Kirchen müssten „konsumfrei“ sein und genutzt werden, etwa für Versammlungen oder Verteilung von Essen. Die Kirchenräume seien zu gut und zu nützlich, um sie nur Sonntags für wenige Besucher der Gottesdienste zu beleben.

Von innen heraus Einfluss nehmen

Sie selbst sei noch Mitglied der katholischen Kirche, um von innen Einfluss nehmen zu können, sagte Mesrian. Dennoch ist ihre Kritik fundamental. Wenn Katholikinnen und Katholiken sagten, sie hielten die Kirche für „in Ordnung“ und seien in ihrer Gemeinde mit dem Pfarrer zufrieden, dann halte sie grundsätzlich entgegen: „Nichts ist in Ordnung.“

Eine Kirche, die sich nicht mehr an den Armen und Bedürftigen ausrichte, Fehler, wie im Falle sexuellen Missbrauchs, nicht auf eigene Initiative aufkläre und zudem Frauen an den Rand dränge, habe ihren Bezug zur Grundlage, der Lehre Jesu, verloren. Auf diese will Mesrian aber die Kirche wieder gründen. Die katholische Kirche in Deutschland forderte sie auf, eigenmächtig in diesem Sinne zu handeln und nicht auf Vorgaben des Vatikans zu warten.

Hoffnung mache ihr das Projekt „Umsteuern“, sagte die Theologin. Dabei zahlen Mitglieder der katholischen Kirche sowie Menschen, die ausgetreten sind, ein Äquivalent ihrer Kirchensteuern an von sexuellem Missbrauch Betroffene. „Wir können sehen, dass es den Männern und Frauen gut tut, weil sie gewürdigt und gesehen werden.“

epd-Gespräch: Irene Dänzer-Vanotti


NRW-Bistümer setzen neue Präventionsordnung in Kraft



Düsseldorf (epd). Mit einer neuen Präventionsordnung in den fünf katholischen Bistümern in Nordrhein-Westfalen soll die Prävention gegen sexuellen Missbrauch gestärkt werden. Nach der am 1. Mai in Kraft tretenden Ordnung sollen künftig bei allen Maßnahmen die Perspektive möglicher Betroffener im Vordergrund stehen, teilte das Bistum Aachen mit. Um dem Missbrauch von Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen vorzubeugen, komme dem Thema „Sexuelle Bildung“ eine entscheidende Rolle zu. Dabei gehe es vor allem darum, die Kompetenzen und das Selbstbewusstsein von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zu stärken, sich in Abhängigkeitsverhältnissen nicht ausnutzen zu lassen, und sie „sprachfähig“ zu machen, hieß es. Die neue Präventionsordnung löst die alte von 2014 ab.

Neu in die Präventionsordnung aufgenommen wurden den Angaben zufolge eine Benennung von Präventionsfachkräften jeweils für die Dauer von Jahren. Zudem sollen Schulungsreferentinnen und -referenten zertifiziert werden. Schutzkonzepte unterschiedlicher Einrichtungen, die bisher nur eingereicht werden mussten, sollen künftig fachlich bewertet werden.

Die Präventionsbeauftragte des Erzbistums Köln, Katja Birkner, betonte, dass mit der neuen Präventionsordnung ein „bischöfliches Gesetz erlassen worden ist, welches den Kirchengemeinden, Verbänden, Einrichtungen und Institutionen eine handlungsweisende, gesetzliche Grundlage für deren Präventionsarbeit vorgibt“. Die Festschreibung, dass bei allen Präventionsmaßnahmen die Erfahrungen von Betroffenen besonders zu berücksichtigen sind, sei eine wichtige Neuerung in der Präventionsordnung.

Ziel der neuen Präventionsordnung sei es, die Arbeit in den NRW-Bistümern qualitativ zu verbessern und auf der Höhe der Zeit zu halten. „Mit der neuen Präventionsordnung liegt uns eine wirksame Grundlage vor, unsere Handlungsleitlinien flächendeckend und verbindlich fortzuentwickeln“, betonte Mechtild Bölting, Präventionsbeauftragte im Bistum Aachen. Prävention, so heißt es in der Verordnung, erfolge künftig vorbeugend, begleitend und nachsorgend.

„In der katholischen Kirche und ihrer Caritas sollen sich alle Kinder und Jugendlichen sowie schutz- oder hilfebedürftigen Erwachsenen vor Gewalt, insbesondere vor sexualisierter Gewalt, sicher und geschützt fühlen“, erklärten auch die Präventionsbeauftragten der Bistümer Münster und Essen sowie des Erzbistums Paderborn. Dazu biete die neue Präventionsordnung eine „fundierte Grundlage“.



Pilgerinitiative wirbt für Geschlechtergerechtigkeit



Düsseldorf, Schwerte (epd). Unter dem Motto „Go for Gender Justice“ wirbt eine Pilgerinitiative für mehr Geschlechtergerechtigkeit. Genderreferate und Gleichstellungsstellen der evangelischen Landeskirchen laden gemeinsam mit weiteren Gruppen zwischen Mai und September bundesweit zu neun Pilgeretappen ein, wie das Düsseldorfer Landeskirchenamt am 29. April ankündigte. Auch die Evangelische Kirche im Rheinland und die Evangelische Kirche von Westfalen beteiligen sich mit Aktionen.

Auftakt im Rheinland ist den Angaben zufolge am 7. Mai in Köln, wo unter der Überschrift „Rebels and Heroes“ ein performativer Gang zu jüdisch, christlich, muslimisch und humanistisch inspirierten Rebellinnen und Heldinnen aus und in Köln stattfindet. Am 12. und 25. Juni, 13. und 27. August folgen Veranstaltungen in Krefeld, Simmern, Düsseldorf und Remscheid. Auf dem westfälischen Pilgerweg vom 11. bis 14. Mai in Meschede soll es um die Auseinandersetzung mit dem Thema „Geschlechtliche Vielfalt“ gehen, wie das Institut für Kirche und Gesellschaft der westfälischen Kirche in Schwerte mitteilte.

Ziel aller bundesweiten Aktionen und Pilgeretappen ist den Angaben zufolge die 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) vom 31. August bis 8. September in Karlsruhe. Die Pilgernden wollten unterwegs Ideen und Vorschläge für mehr Gerechtigkeit und den Abbau von Diskriminierung und diese mit nach Karlsruhe nehmen.



Präses Latzel zum 1. Mai: Arbeit soll Segen für Menschen sein




Thorsten Latzel
epd-bild/Hans-Jürgen Bauer

Düsseldorf (epd). Zum Tag der Arbeit (1. Mai) hat der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Thorsten Latzel, die Errungenschaft der Arbeiterbewegung betont. „Sie erinnert uns als Kirche daran, dass wir uns auch unter den Bedingungen einer digital-globalisierten 'New Work' für menschenwürdige, nachhaltige Arbeitsbedingungen einsetzen“, erklärte der leitende Geistliche der rheinischen Kirche in seinem Online-Blog.

Arbeit werde dort „zum Segen, wo sich die biblische Verheißung erfüllt, dass Menschen von ihrer Hände Arbeit leben können und Sinn und Erfüllung in ihrer Tätigkeit finden“, unterstrich Latzel. Dazu gehörten menschenwürdige Arbeitsbedingungen, faire Löhne, arbeitsfreie Zeiten der Erholung und Besinnung.

Arbeit werde aber dort zum Fluch, „wo die Schöpfung zerstört oder Menschen ausgebeutet und krank werden“, sagte der rheinische Präses weiter. So gebe es im Niedriglohnsektor „ausbeuterische Arbeitsverhältnisse“. Aber auch in in gut qualifizierten Akademiker-Stellen fänden sich „zum Teil Arbeitsverdichtungen und Leistungsdruck, die Menschen körperlich wie seelisch ausbrennen“.



Neuer Superintendent im Kirchenkreis Köln-Rechtsrheinisch



Köln (epd). Torsten Krall ist neuer Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Köln-Rechtsrheinisch. Die Frühjahrssynode wählte den 51-jährigen Pfarrer der Kirchengemeinde Dünnwald auf ihrer Tagung am 29. April zum Nachfolger von Andrea Vogel, die im Juni in den Ruhestand geht, wie der Kirchenverband Köln und Region am 1. Mai mitteilte. Zur Synodalassessorin und damit seiner Stellvertreterin wählten die Synodalen Kerstin Herrenbrück, Pfarrerin aus Köln-Höhenhaus. Zum Kirchenkreis Köln-Rechtsrheinisch gehören 18 Kirchengemeinden in Köln, Altenberg, Bergisch Gladbach, Kürten, Lindlar und Rösrath mit rund 90.000 Mitgliedern.



"Kompasstagung" der westfälischen Kirche bietet Berufsorientierung



Bielefeld/Schwerte (epd). Die Evangelische Kirche von Westfalen will mit einem Informationsangebot junge Menschen für den Pfarrberuf und weitere Arbeitsfelder in Kirchengemeinden gewinnen. Die „Kompasstagung“ vom 27. bis 29. Mai in Schwerte gibt anhand von Workshops Einblick in den Alltag vier kirchlicher Berufe, Informationen zu Studiengängen und Berufsperspektiven, wie die westfälische Kirche am 28. April in Bielefeld mitteilte. Die dreitägige Veranstaltung im landeskirchlichen Haus Villigst in Schwerte richtet sich an Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe II an Gymnasien, Gesamtschulen oder Berufskollegs. Die Teilnahme ist kostenlos.

Die „Kompasstagung“ hatte im vergangenen Jahr die traditionellen Abi-Tagungen der westfälischen Kirche abgelöst, wie es hieß. Während es früher ausschließlich um das klassische Theologiestudium ging, werden nun alle unterschiedlichen Berufsfelder in der Kirche vorgestellt: vom Pfarramt über Kirchenmusik, Gemeindepädagogik und Diakonat bis zum Studium der Theologie auf Lehramt. Nach dem pandemiebedingten digitalen Auftakt 2021 ist die „Kompasstagung“ im Mai erstmals in Präsenz geplant.

Info: Information und Anmeldung (bis zum 20. Mai) per E-Mail: machkirche@ekvw.de, Telefon: 0521/594-192 (Tanja Schneider).



Hamburger Michel bekommt ein Besucherzentrum




Besucherzentrum am Michel
epd-bild/Philipp Reiss

Hamburg (epd). Der Bau eines neuen Besucherzentrums an der Hamburger Hauptkirche St. Michaelis schreitet voran. Am 26. April wurde über dem Eingang der Schriftzug „Powalla Forum - Besucherzentrum Sankt Michaelis“ angebracht. Michel-Geschäftsführer Thorsten Schulze kündigte ein „Kauferlebnis“ im Michel-Shop sowie filmische „Geheimnisse“ der Kirche an einem fünf Meter hohen Medienturm an.

Das „Powalla Forum“ entsteht an der Südwestecke des Kirchplatzes. Es findet seinen Platz in einem ehemaligen, komplett entkernten Pastorats-Gebäude aus den 1950er Jahren sowie in einem daneben errichteten Neubau mit grauer Naturstein-Außenfassade. Alle Bereiche des aus zwei Ebenen bestehenden Komplexes werden barrierefrei sein.

1,5 Millionen Besucher

Im neuen Michel-Shop auf der oberen Ebene wird es neben Andenken auch Tickets und Konzertkarten zu kaufen geben. Der fünf Meter hohe Medienturm auf der unteren Ebene wird mit LED-Displays bestückt, auf denen sich Filme abspielen lassen. „Wir wollen darauf die Geheimnisse von St. Michaelis zeigen“, verriet Schulze.

Pro Jahr besuchen bis zu 1,5 Millionen Gäste aus aller Welt den Michel. Insbesondere im Sommer führt das bislang zu langen Schlangen vorm Haupteingang und in der Turmhalle. Deshalb werden alle Serviceangebote künftig im neuen Besucherzentrum gebündelt. Das „Powalla Forum“ soll spätestens im zweiten Halbjahr 2022 eröffnet werden.

Mit dem Namen würdigt der Michel die beiden Mäzene Günter und Liselotte Powalla. Das Paar hatte zu Lebzeiten 2009 über seine Stiftung die Sanierung von Kirche und Orgel maßgeblich ermöglicht. Die Finanzierung des Besucherzentrums erfolgt jetzt ebenfalls über die Stiftung sowie über Bundesmittel.




Gesellschaft

Hartz IV für Ukrainer sorgt für Diskussionen




Große Hilfsbereitschaft für ukrainische Flüchtlinge am Berliner Hauptbahnhof (3.3.2022)
epd-bild/Christian Ditsch
Ab Juni sollen Ukraine-Flüchtlinge Hartz IV erhalten. Sie werden bessergestellt als andere Geflüchtete, die nur Hilfen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bekommen. Experten sagen, eine einheitliche Behandlung von Flüchtlingen habe es nie gegeben.

Frankfurt a.M. (epd). Die Hilfsbereitschaft für die ukrainischen Flüchtlinge in Deutschland ist groß. Privatpersonen vermitteln Wohnungen und spenden Geld. Doch beim Engagement Einzelner bleibt es nicht: Ab Juni haben ukrainische Staatsbürger Anspruch auf die Grundsicherung. Sie erhalten damit die gleichen Leistungen wie Hartz-IV-Empfänger oder bereits anerkannte Schutzberechtigte. Flüchtlinge aus anderen Kriegsgebieten müssen hingegen weiterhin einen Asylantrag stellen. Gibt es hierzulande zwei Klassen von Flüchtlingen?

Die Diskussion über diese Frage hält der Historiker Jochen Oltmer für irreführend. „Es gab schon immer, und es gibt auch weiterhin mehrere Klassen von Schutzsuchenden“, sagte der Professor vom Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien der Universität Osnabrück dem Evangelischen Pressedienst (epd). Als eine Gruppe von Schutzsuchenden nennt Oltmer rund 220.000 jüdische Kontingentflüchtlinge, die seit 1991 aus den ehemaligen Sowjetrepubliken nach Deutschland geflohen sind. Auch sie hätten Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch, erklärte der Professor.

EU aktivierte Massenzustrom-Richtlinie

Auch nach Angaben des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) sind Flüchtlinge in Deutschland schon immer unterschiedlich behandelt worden. Das betreffe „ihre Migrationsverläufe, ihre Bleibeperspektiven und eng damit verknüpft ihre Integrations- und Teilhabe-Bedingungen“, sagte die DeZIM-Abteilungsleiterin Migration, Ramona Rischke, dem epd.

Schutzsuchende, die sich im Asylverfahren befinden, seien von der Sonderbehandlung der Ukrainer „zu Recht irritiert“, findet hingegen der Vorsitzende des Bundeszuwanderungs- und Integrationsrats, Memet Kilic. Syrer oder Afghanen fragten sich, warum nicht auch bei ihnen die EU-Massenzustrom-Richtlinie aktiviert wurde.

Die finanziellen Zuwendungen, welche die Ukrainer ab Juni nach dem Sozialgesetzbuch erhalten, sind höher als die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Während ein alleinstehender Erwachsener aus der Ukraine 449 Euro pro Monat erhält, sind es für Asylbewerber 82 Euro weniger. Auch sind die ukrainischen Kriegsflüchtlinge krankenversichert, andere Schutzsuchende werden nur in akuten Fällen behandelt.

Den Ausschlag für die Andersbehandlung der ukrainischen Kriegsflüchtlinge hat die Europäische Union gegeben. Nach dem Angriff auf die Ukraine hat die EU die sogenannte Massenzustrom-Richtlinie in Kraft gesetzt. Damit wurde allen ukrainischen Staatsbürgern sofort EU-weit ein Aufenthaltstitel, Zugang zu Arbeit, Wohnraum, Medizin und zu Schulen zugesprochen.

Amtsberg: Ungleichbehandlung beenden

Der Asylrechtsexperte Constantin Hruschka vom Münchner Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik weist darauf hin, dass die EU die Massenzustrom-Richtlinie eingesetzt habe, um die Asylverfahren zu entlasten - und nicht etwa um die Geflüchteten zu bevorzugen. In die EU-Staaten sind nach UN-Angaben mehr als fünf Millionen Menschen aus der Ukraine geflüchtet. Für jeden Einzelnen ein Asylverfahren durchzuführen, würde sehr lange dauern und den Zugang zu Integrationsangeboten über Monate verzögern, sagt der DeZIM-Experte Marcus Engler.

In einem Punkt sind sich die Experten einig: Sie alle fordern die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes und damit die Gleichbehandlung aller Flüchtlinge. Im Koalitionsvertrag haben die Ampel-Fraktionen zumindest angekündigt, das Asylbewerberleistungsgesetz weiterentwickeln zu wollen. Darauf dringt auch die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Luise Amtsberg (Grüne). Sie fordert, das Vorhaben zügig umzusetzen, „damit die Ungleichbehandlung nicht weiter fortdauert“.

Von Patricia Averesch (epd)


Scholz sagt Ukraine weiter Hilfe zu




Olaf Scholz
epd-bild/Christian Ditsch
Bundeskanzler Scholz wurde auf der Mai-Kundgebung in Düsseldorf mit Pfiffen und Sprechchören empfangen. In seiner Rede verteidigte er Waffenlieferungen an die Ukraine. DGB-Chef Hoffmann warnte vor einer dauerhaften Aufstockung des Rüstungshaushalts.

Düsseldorf, Berlin (epd). Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine verteidigt. Zu seiner Rede auf der Kundgebung zum Tag der Arbeit am 1. Mai in Düsseldorf waren nach DGB-Angaben 2.500 Menschen gekommen. Sein Auftritt wurde von Trillerpfeifen und lautstarken Sprechchören begleitet, in denen er als „Kriegstreiber“ und „Lügner“ bezeichnet wurde. Bei der zentralen Kundgebung in Berlin warnte der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Reiner Hoffmann, vor einer massiven Aufrüstung zulasten des sozialen Friedens.

Scholz forderte den russischen Präsidenten Wladimir Putin auf, den Krieg gegen die Ukraine umgehend zu beenden. Deutschland werde die Ukraine gegen den „imperialistischen Angriff“ weiter unterstützen. „Wir werden nicht zulassen, dass Grenzen mit Gewalt verschoben werden“, sagte der Kanzler. Dazu seien auch Waffenlieferungen notwendig. Wer von der Ukraine fordere, sich ohne Waffen zu verteidigen, sei „zynisch“. Scholz warnte auch vor Folgeschäden des Krieges auf der ganzen Welt, vor allem vor Hungernöten in ärmeren Ländern, denen er deutsche Unterstützung zusagte. Zudem bekräftigte er, dass die Bundesregierung an den vor Beginn des Ukraine-Krieges gesteckten sozialen und klimapolitischen Zielen festhalte.

DGB-Chef Hoffmann warnt vor Aufrüstung zulasten des sozialen Friedens

DGB-Chef Hoffmann warnte auf der zentralen Kundgebung der Gewerkschaften zum 1. Mai in Berlin vor Militarisierung und massiver Aufrüstung. „Militärische Friedenssicherung darf niemals zulasten des sozialen Friedens erkauft werden“, sagte er. Das Geld werde vielmehr für Zukunftsinvestitionen in die Transformation der Gesellschaft und für die Leistungsfähigkeit des Sozialstaats benötigt. Auch Hoffmann appellierte an Putin, den Krieg in der Ukraine sofort zu beenden: „Dieser Krieg ist ein Angriff auf die europäische Friedensordnung und auf unsere Demokratie“, sagte der DGB-Vorsitzende.

Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft ver.di, Frank Werneke, unterstützte die harte Sanktionspolitik des Westens gegen Russland. Die Diskussion um mehr Sicherheit in Europa dürfe aber nicht allein aus einer militärischen Perspektive geführt werden, sagte er bei der DGB-Kundgebung in Mainz. Ziel der Gewerkschaften bleibe eine Welt mit weniger Waffen. Zugleich forderte er die Bundesregierung auf, gegen die wachsende soziale Spaltung in Deutschland vorzugehen.

Die nordrhein-westfälische DGB-Vorsitzende Anja Weber sagte bei der landeszentralen Kundgebung in Dortmund, angesichts von Digitalisierung, Energiewende und Globalisierung befänden sich Arbeit, Wirtschaft und Gesellschaft in einem grundlegenden Wandel. Von einer neuen Landesregierung erwarte sie „eine Politik, die für Verteilungsgerechtigkeit sorgt und den ökologischen Wandel vorantreibt und sozial gestaltet“, sagte Weber mit Blick auf die Landtagswahlen am 15. Mai.

An der Mai-Demonstration vom Platz der alten Synagoge zum Westfalenpark hatten sich nach Polizeiangaben zuvor rund 2.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer beteiligt, darunter auch Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und die Spitzenkandidaten von SPD, FDP, Grünen und Linken zur Landtagswahl. Außerdem gab es laut Polizei einen Aufzug der Partei „Die Rechte“ mit etwa 220 Teilnehmenden vom Hauptbahnhof nach Dortmund-Dorstfeld.



Friedensforscher: Panzer für Ukraine eher politisches Zeichen




Matthias Dembinski
epd-bild/HSFK

Frankfurt a.M. (epd). Die Lieferung von gebrauchten Gepard-Flugabwehrpanzern an die Ukraine ist nach den Worten des Friedensforschers Matthias Dembinski eher politisch bedeutsam als militärisch. Die Zusage der Bundesregierung sei ein Zeichen, dass Deutschland bereit sei, sich stärker für die Ukraine zu engagieren, sagte der Projektleiter der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt am Main dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Die Bundesregierung gehe einen weiteren Schritt über ihre frühere Linie hinaus, bei einem Krieg mit Wirtschaftssanktionen Partei zu ergreifen, aber Zurückhaltung bei militärischen Mitteln zu üben. Die bisherige restriktive Praxis der Genehmigung von Rüstungsexporten in Krisengebiete werde aufgeweicht. Das ukrainische Militär könne allerdings mit den von der Bundeswehr längst ausrangierten Panzern, die vor allem in den 1970er und 1980er Jahren in Dienst gestellt wurden, nur etwas anfangen, wenn es diese auch zügig bedienen kann. Die Flugabwehr-Fahrzeuge seien jedoch mit ihrer Radarerfassung und Elektronik nicht einfach zu handhaben. Ein Grund für die Wahl sei vermutlich, dass die Bundeswehr diese Panzer nicht mehr brauche.

Von Helmen zu Panzern

Ob Deutschland weitere Panzer an die Ukraine liefert, hänge vermutlich vom Verlauf des Krieges ab, sagte der Wissenschaftler vor dem Hintergrund von Berichten, dass das Unternehmen Rheinmetall der Bundesregierung gebrauchte Leopard-1-Kampfpanzer und Marder-Schützenpanzer anbiete. Deutschland habe seine militärische Unterstützung anfangs mit der Lieferung von Helmen begonnen. Unter dem Druck der Ereignisse seien mehr und effektivere Geräte geliefert worden. Eine wesentliche Rolle spiele, wie lange der Krieg fortdauere: Es koste Zeit, komplexere Geräte einsatzfähig zu machen und ukrainische Soldaten daran auszubilden.

Deutschland werde auch mit der Panzer-Lieferung rechtlich nicht Kriegspartei, erklärte Dembinski. Dies seien nur Staaten, die aktiv in Kriegshandlungen eingreifen. Deutschland und die übrigen Nato-Staaten vermieden dies peinlich. Die Nato lehne aus diesem Grund die Forderung der Ukraine nach Einrichtung einer Flugverbotszone ab und biete die Ausbildung ukrainischer Soldaten nur auf eigenem Staatsgebiet an. Indirekt seien die Nato-Staaten allerdings insofern Kriegspartei, als sie mit ihrer Unterstützung dazu beitrügen, dass sich die Ukraine gegen Russland verteidigen könne. Über die russische Reaktion auf die westlichen Waffenlieferungen lasse sich nur spekulieren, sagte Dembinski. Bisher habe Russland den Nachschub an der Grenze nicht angegriffen.

epd-Gespräch: Jens Bayer-Gimm


Bundestag legitimiert Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine




Die ukrainische Flagge weht vor dem Bundestag
epd-bild/Christian Ditsch
Lange hat Kanzler Scholz gezögert - und zuletzt doch einer Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine zugestimmt. Jetzt hat der Bundestag diese Entscheidung mit großer Mehrheit legitimiert. Zugleich gab es schwere Vorwürfe an den Regierungschef.

Berlin (epd). Die Regierungspläne zur Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine zur Abwehr des russischen Angriffs sind nun auch vom Bundestag legitimiert. Bei einer namentlichen Abstimmung im Parlament stimmten am 28. April in Berlin 586 Abgeordnete von SPD, Grünen, FDP und Union für einen Antrag mit dem Titel „Frieden und Freiheit in Europa verteidigen - Umfassende Unterstützung für die Ukraine“. 100 Parlamentarier stimmten dagegen, sieben enthielten sich. Heftige Kritik gab es an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der wegen einer Japan-Reise nicht anwesend war.

Die Bundesregierung hatte nach langem Ringen innerhalb der Koalition entschieden, die Ausfuhr von Gepard-Panzern an die Ukraine zu erlauben. Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) legte bei seiner Rede den Finger in die Wunde und warf Scholz „Unsicherheit und Schwäche“ vor. Der Kanzler habe über Wochen, hingehalten, offen gelassen, ausweichend geantwortet. „Das ist nicht Besonnenheit“, fügte Merz hinzu, „das ist Zögern, das ist Zaudern und das ist Ängstlichkeit“.

„Unverantwortlich“

Die vor zwei Wochen in einem „Spiegel“-Interview geäußerte Befürchtung des Kanzlers, dass es zu einem Atomkrieg kommen könnte, nannte Merz „unverantwortlich“. Er lasse damit den Schluss zu, dass alle Länder, die mehr für die Ukraine getan hätten als Deutschland, die Kriegsgefahr erhöhten. Dies sei eine „groteske Umkehrung von Ursache und Verantwortung für diesen Krieg“, so der Oppositionsführer.

Scholz hatte sich trotz zunehmender Forderungen auch aus der eigenen Ampel-Koalition zur Lieferung von Panzern und anderer schwerer Waffen lange Zeit nicht klar geäußert und zuletzt noch vor der Gefahr eines dritten Weltkrieges mit der Nuklearmacht Russland gewarnt.

Mit dem nun beschlossenen zehnseitigen Antrag stellt sich das Parlament auch hinter den sogenannten Ringtausch, über den insbesondere Waffen sowjetischer oder russischer Bauart an die Ukraine geliefert werden aus Ländern, in denen Deutschland dann wieder Rüstungslücken füllt. Der Verlauf des Krieges zwinge „zur Anpassung der Unterstützung der Ukraine“, heißt es. Deshalb ermögliche Deutschland in Abstimmung mit anderen NATO-Partnern die Lieferungen schwerer Waffen.

Noch einmal verurteilt wird der am 24. Februar begonnene russische Angriff auf die Ukraine. Der Bundestag fordert die Regierung auf, die militärische, finanzielle und humanitäre Unterstützung fortzusetzen. Zudem wird eine gute Versorgung der Kriegsflüchtlinge und eine Unterstützung der Evakuierung von Holocaust-Überlebenden aus der Ukraine gefordert.

„Werden nicht selbst zur Kriegspartei“

Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil verteidigte die Entscheidung seiner Partei, nun doch auch schwere Waffen zu liefern. „Diese Bundesregierung hat mit einem Prinzip gebrochen, das seit Jahrzehnten in Deutschland galt“, sagte er mit Verweis auf die Entscheidung, in das Konfliktgebiet in der Ukraine Waffen zu liefern. Dabei sei die Regierung „jeden Tag einen Schritt weiter gegangen“ in der Qualität und Quantität. „Aber wir hatten auch hier Prinzipien und in dieser Kontinuität stehen auch die Entscheidungen der letzten Tage.“ Dazu gehöre, sich mit internationalen Partnern abzustimmen, nicht die eigene Landes- und Bündnisverteidigung zu gefährden „und wir haben gesagt, dass wir selbst nicht zur Kriegspartei werden“.

Heftige Kritik am Vorgehen der Regierung kam von der Linken und von der AfD. Linksfraktionschef Dietmar Bartsch äußerte Unverständnis über die „Kehrtwende“ des Kanzlers. Er sagte, es gebe einen „fatalen Wettlauf: höher, schneller weiter, wer liefert die schwersten Waffen“. Viel zu wenig werde über diplomatische Initiativen geredet.

AfD-Fraktionschef Tino Chrupalla sagte, die Mehrheit der deutschen Bevölkerung wolle nicht an diesem Krieg beteiligt werden. Der aktuelle Beschluss drohe, den Krieg zu verlängern und könne Deutschland zur Kriegspartei mit einer Atommacht machen.



Traumatherapeutin fordert Gleichbehandlung aller Flüchtlinge



Düsseldorf (epd). Angesichts der unbürokratischen Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine fordert die Traumatherapeutin Esther Mujawayo-Keiner eine Angleichung der Bedingungen für Asylsuchende aus anderen Kriegsgebieten etwa in Afrika oder dem Nahen Osten. „Unsere Arbeit wäre viel einfacher, wenn auch unsere Klienten ruhig schlafen könnten, ohne Angst vor Abschiebung, und wenn sie arbeiten dürften, um in Würde selbst für ihren Lebensunterhalt aufzukommen“, sagte die Expertin des Psychosozialen Zentrums für Flüchtlinge (PSZ) in Düsseldorf dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Es darf kein Zweiklassensystem geben, die Ukrainer first class und alle anderen sind zweite oder sogar dritte Klasse.“

Die 63-jährige Soziologin und Buchautorin aus Ruanda ist Überlebende des Völkermords in dem ostafrikanischen Land, in dem 1994 binnen 100 Tagen etwa eine Million Menschen getötet wurden. Sie selbst verlor einen Großteil ihrer Familie und erlebte auf der Flucht mit ihren drei Töchtern, wie wichtig Unterstützung ist. Angesichts des Ukraine-Krieges sei es großartig, dass viele Deutsche ihre Herzen und Häuser geöffnet hätten, betonte Mujawayo-Keiner. Zugleich kritisierte sie: „Viele Deutsche identifizieren sich mit ukrainischen Flüchtlingen, weil sie blond und blauäugig und sogar Christen sind.“ Aber darum dürfe es nicht gehen: „Ein Mensch ist ein Mensch, egal welcher Hautfarbe.“

„Bei Trauma-Heilung spielt auch eigene Spiritualität eine Rolle“

Nicht nur bei sich selbst, sondern auch bei vielen Deutschen hat die zweifach mit einer Ehrendoktorwürde ausgezeichnete Psychotherapeutin durch den Ukraine-Krieg zudem einen Triggereffekt beobachtet: „Wir haben in der Illusion gelebt, dass es nie wieder Krieg gibt, und doch passiert all das gerade gar nicht weit von uns“, sagte Mujawayo-Keiner, die seit 1999 in Deutschland lebt. „Wenn man im Fernsehen die Sirenen hört, die Bunker sieht, den Geruch und die Geräusche assoziiert, sind die alten Traumata wieder da.“ Das gelte nicht nur für Ältere, sondern durch die intergenerationelle Weitergabe auch für die Nachkriegsgeneration. Um den „Teufelskreis der Traumatisierung“ zu durchbrechen, arbeitet Mujawayo-Keiner deshalb in ihrer Heimat Ruanda in einem Projekt für junge Mütter mit, die während des Genozids Kinder waren.

Zu den traumatischen Erlebnissen zählt nach den Erfahrungen der Therapeutin der Schock, innerhalb kürzester Zeit das vertraute Leben zu verlieren und andere neben sich sterben zu sehen, ohne helfen zu können. Mujawayo-Keiner unterscheidet verschiedene Formen von Gewalt: „Es macht einen Unterschied, ob du dem Gewalttäter in die Augen sehen musst, wenn du gefoltert und vergewaltigt wirst, weil du persönlich vernichtet werden sollst, oder ob die Bomben fallen, einfach weil Krieg ist.“ Bei der Trauma-Heilung spiele auch die eigene Spiritualität eine Rolle, egal ob jemand Christ, Hindu oder Muslim sei: „Wenn du an ein höheres Wesen glaubst, dann ist dieses Wesen auch größer als dein Feind, und dieser Glaube hilft dir, mit deinen Erfahrungen umzugehen.“

epd-Gespräch: Bettina von Clausewitz


"Stiftung Neue Synagoge Berlin" erhält Buber-Rosenzweig-Medaille



Bad Nauheim (epd). Die „Stiftung Neue Synagoge Berlin - Centrum Judaicum“ erhält für ihren Beitrag zur Berliner Stadtgeschichte und für eine „friedliche und plurale Gesellschaft“ die Buber-Rosenzweig-Medaille 2023. Dank der Stiftungsarbeit sei die in der NS-Zeit stark zerstörte Neue Synagoge in Berlin zu einem „Ort des Dialogs mit bundesweiter Ausstrahlung“ geworden, teilte der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit am 27. April in Bad Nauheim mit. Die Verleihung der undotierten Auszeichnung ist für den 5. März 2023 in Erfurt geplant.

Die Stiftung „Neue Synagoge Berlin - Centrum Judaicum“ war 1988 zum 50. Jahrestag der Reichspogromnacht noch auf Initiative des Ministerrates der DDR gegründet worden. Sie verfolgte das Ziel, das bei den Novemberpogromen in Brand gesetzte und nach einem späteren Luftangriff zerstörte Gebäude in Teilen wieder aufzubauen und Dokumente zum jüdischen Leben in Berlin zu sammeln. Der markante, orientalisch wirkende Kuppelbau im Berliner Stadtzentrum war 1995 wiedereröffnet worden. Er wird aber nicht mehr vorrangig als Synagoge, sondern als Ausstellungs- und Veranstaltungsraum genutzt.

Merkel und Maffay

Die Buber-Rosenzweig-Medaille ist nach den jüdischen Philosophen Martin Buber (1878-1965) und Franz Rosenzweig (1886-1929) benannt. Sie wird seit 1968 jährlich von den deutschen Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit an Personen, Institutionen oder Initiativen vergeben, die sich in besonderer Weise für die Verständigung zwischen Christen und Juden einsetzen.

Preisträger der vergangenen Jahre waren unter anderen Angela Merkel (CDU), der Sänger Peter Maffay und der evangelische Theologe Nikolaus Schneider. In diesem Jahr wurden der Präsident von Eintracht Frankfurt, Peter Fischer, und der jüdische Sportverband Makkabi geehrt.



NRW verlängert Kooperation mit Servicestelle gegen Antisemitismus



Düsseldorf (epd). Das Land NRW und die Jüdische Gemeinde Düsseldorf haben die Kooperation für die „Servicestelle für Antidiskriminierungsarbeit - Beratung bei Rassismus und Antisemitismus“ (Sabra) vorzeitig verlängert. Schul- und Bildungsministerin Yvonne Gebauer (FDP) unterzeichnete die entsprechende Vereinbarung am 29. April bei einem Besuch in der neuen „Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Nordrhein-Westfalen“, wie das Ministerium mitteilte.

„Durch gute Präventionsarbeit wollen wir dazu beitragen, dass es erst gar nicht zu antisemitischen Vorfällen kommt - und wenn doch, dann stehen wir den Schulen mit Konzepten zur Intervention beiseite“, sagte die Ministerin. Die Fortsetzung der Zusammenarbeit der seit 2019 bestehenden Kooperation unterstreiche die Zielsetzung der Landesregierung, Antisemitismus und jeder Form von Diskriminierung entschieden entgegenzutreten. Die Schulen sollten Unterstützung bei der Prävention und bei der Intervention bei Fällen von Antisemitismus erhalten.

Die Jüdische Gemeinde Düsseldorf sei stolz, mit Sabra eine zivilgesellschaftliche Servicestelle für Antidiskriminierungsarbeit etabliert zu haben, die seit ihrer Schaffung 2017 „Pionierarbeit auf dem Feld der Antisemitismusbekämpfung“ leiste, sagte der Vorstandsvorsitzende der Gemeinde, Oded Horowitz. Sabra unterstützt Schulen in NRW beim Thema „Umgang mit Antisemitismus“. Überdies berät sie unter anderem die Landesstelle Schulpsychologie und Schulpsychologisches Krisenmanagement sowie die Landespräventionsstelle gegen Gewalt und Cybergewalt an Schulen bei Maßnahmen gegen Antisemitismus. Das Ministerium für Schule und Bildung unterstützt das Projekt mit einer Lehrerstelle sowie Sachmitteln.

„In den Schulen haben wir als Gesellschaft und Staat einmalig die Chance, systematisch und koordiniert Werte und Normen des toleranten und weltoffenen Miteinanders an junge heranwachsende Menschen zu vermitteln“, sagte die Antisemitismusbeauftragte des Landes NRW, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Vor allem in den Schulen käme es immer wieder zu antisemitischen Vorfällen. Diese fänden „aber zumeist unterhalb der Strafbarkeitsgrenze statt und tauchen so kaum in einer Statistik auf“, unterstrich die frühere Bundesjustizministerin. Die neu eingerichtete zentrale Meldestelle für Antisemitismus in NRW erfasse nun auch diese Fälle und mache eine „gezieltere Präventionsarbeit“ möglich.



Integrationsagenturen fordern langfristige Finanzierung



Wuppertal (epd). Die Integrationsagenturen und Servicestellen für Antidiskriminierungsarbeit in NRW mahnen eine auskömmliche Finanzierung ihrer Arbeit an. „Aufgrund steigender finanzieller Belastungen, unter anderem durch tarifvertragliche Bindungen und steigende Miet- und Energiekosten, können etliche Träger das Angebot nicht dauerhaft aufrechterhalten“, warnte Christian Woltering, Vorsitzender der Freien Wohlfahrtspflege NRW, am 1. Mai in Wuppertal. Notwendig sei deshalb eine langfristige Förderung, die den stetig steigenden Kosten angepasst ist.

Kampagne #IntegrationEinfachMachen gestartet

Gerade vor dem Hintergrund aktueller Krisen wie der Corona-Pandemie oder des Ukraine-Krieges sei die Arbeit der 172 Integrationsagenturen und 42 Servicestellen für Antidiskriminierungsarbeit, die von den Wohlfahrtsverbänden getragen werden, wichtiger denn je, betonte Woltering. „Die Fluchtbewegung aus der Ukraine macht es aktuell wieder einmal mehr als deutlich: NRW ist und bleibt ein Einwanderungs- und Zufluchtsland.“ Mit Blick auf die NRW-Landtagswahlen wollten die Integrationsagenturen deshalb vom 2. bis 15. Mai mit landesweiten Aktionstagen unter dem Motto #IntegrationEinfachMachen auf ihre Forderungen aufmerksam machen.

Die Integrationsagenturen und Antidiskriminierungsbüros tragen den Angaben zufolge dazu bei, die gesellschaftliche Teilhabe von zugewanderten Menschen zu verbessern und das friedliche und respektvolle Miteinander in den Quartieren zu stärken. Dazu bieten sie unter anderem niederschwellige Sprachkurse, Kinder-Freizeitangebote, Coachings für Frauen zu beruflichen Fragen, Angebote für Senioren oder Schulungen für Ehrenamtliche an.



"Lieber ein warmer Bruder als ein kalter Krieger"




Erste Homosexuellen-Demonstration in Westdeutschland im Jahr 1972
KCM Schwulenzentrum Münster
Vor 50 Jahren wurde in Münster der Grundstein für die deutsche LSBTIQ-Bewegung gelegt, als Lesben und Schwule zum ersten Mal für ihre Rechte auf die Straße gingen. Zum Jubiläum würdigt NRW-Landeschef Hendrik Wüst deren Einsatz gegen Ausgrenzung.

Münster (epd). Die erste Homosexuellen-Demo Deutschlands fand nicht etwa in Berlin, Hamburg oder Köln statt, sondern im beschaulichen Münster in Westfalen. Das war vor 50 Jahren und ist insofern beachtlich, weil die Domstadt bis heute als katholisch-konservativ gilt. Doch schon 1972 verfügte sie über eine große Universität. So war es auch eine studentische Gruppe, die zum 29. April 1972 zu der Demonstration aufrief. Zum Jubiläum wurde am 29. April mit einem großen Empfang in Münster an dieses Ereignis erinnert. Im Festsaal des historischen Rathauses sprachen neben Zeitzeugen auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU).

Die bundesweit erste Demonstration von Schwulen und Lesben sei ein „Meilenstein“ für die queere Bewegung gewesen, sagt Wüst dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der Kampf gegen Intoleranz sei dabei nicht nur eine politische, sondern auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. „Auch heute kommt es noch auf das Engagement jedes Einzelnen an, um volle Gleichberechtigung zu erreichen. Wir als Landesregierung treten jeder Form von Intoleranz, Ausgrenzung oder gar Diskriminierung gegenüber LSBTIQ entschieden entgegen“, betont der gebürtige Münsterländer.

Der Empfang in Münster, bei dem auch eine Ausstellung geplant ist, soll laut Veranstaltern die Lesben, Schwulen, Bi- und Trans-Menschen aus der Anfangszeit würdigen. „Durch ihren Mut haben sie dazu beigetragen, dass es heute rechtliche Verbesserungen, mehr Akzeptanz und eine facettenreiche queere Community gibt“, sagt Norman Devantier, Vorstand vom KCM Schwulen Zentrum in Münster.

„Ich hatte schon Bammel, dass mich Leute erkennen“

Federführend war vor 50 Jahren der Student Rainer Plein (1948-1976). Mitte April 1971 rief er per Aushang an der Uni Münster zu einem Treffen „homophiler“ Studenten auf. Es meldeten sich etwa 20 Leute, die sich dann zur Gruppe „HSM - Homophile Studenten Münster“ zusammenschlossen. Ein Jahr später folgte am 29. April 1972 die erste Demonstration. Rund 200 Leute nahmen teil, meist junge Männer, aber auch einige lesbische Frauen. Themen waren unter anderem die damals geltenden Berufsverbote für homosexuelle Lehrkräfte, die Bildungspläne zur Sexualerziehung und der Paragraph 175, der homosexuelle Handlungen unter Strafe stellte. Zwar hatte die sozial-liberale Regierung 1969 den Paragraphen entschärft, aber nicht abgeschafft.

Die Demonstranten zogen vom Schloss Münster über den Wochenmarkt zum Prinzipalmarkt und dann weiter durch die Innenstadt. Einer von ihnen war Peter H., der schon an der Gründung der HSM beteiligt war. Wie für viele andere Teilnehmer war die Aktion auch für ihn eine persönliche Herausforderung. „Ich bin in Münster aufgewachsen und hatte schon ein bisschen Bammel, dass mich Leute erkennen und ansprechen würden“, erzählt er heute. Immerhin kam die Teilnahme an der Demo einem öffentlichen Outing gleich, und das in einer Zeit, als Homosexualität gesellschaftlich noch weitgehend geächtet war. Aber letztendlich überwand H. seine Bedenken: „Ich dachte mir, das muss jetzt sein. Es ist wichtig, dass man an die Öffentlichkeit geht, um die ganzen Vorurteile abzubauen.“

„Brüder & Schwestern, warm oder nicht, Kapitalismus bekämpfen ist unsere Pflicht!“, stand auf einem der Plakate des Protestzuges. Ein anderes bezog sich auf den bayerischen CSU-Politiker Franz Josef Strauß (1915-1988), der zwei Jahre zuvor auf einen Parteitag seiner Partei gesagt hatte, er wolle „lieber ein kalter Krieger als ein warmer Bruder“ sein. Die Demonstrierenden verkehrten den Satz ins Gegenteil, als sie skandierten: „Lieber ein warmer Bruder als ein kalter Krieger“.

Langer Weg bis zur Abschaffung des Paragrafen 175

Insgesamt verlief die Veranstaltung friedlich. Die Münsteraner Bürgerinnen und Bürger verfolgten den Demonstrationszug eher neugierig, erinnert sich Peter H.. „Möglicherweise hatten einige auch gar nicht mitgekriegt, worum es ging. Demos gab es zu dieser Zeit ja ständig“, sagt er mit Blick auf die damalige Studentenbewegung.

Für die Gruppe war die Veranstaltung eine Initialzündung - von Münster aus organisierte die HSM fortan die überregionale Vernetzung schwuler und lesbischer Emanzipationsgruppen, und am 26. April 1973 startete eine erste bundesweite Kampagne zur Abschaffung des Paragraphen 175. Erst 21 Jahre später wurde die strafrechtliche Sondervorschrift zur Homosexualität, die 1872 im Kaiserreich eingeführt und unter den Nationalsozialisten verschärft worden war, endgültig aus dem Strafgesetzbuch gestrichen.

Die HSM Münster löste sich 1974 bereits wieder auf, doch einzelne Mitglieder engagierten sich weiter für die Rechte Homosexueller. Darunter auch Anne Henscheid (1945-2009), die 1973 mit der Homosexuellen Frauengruppe Münster (HFM) eine der ersten westdeutschen Lesbengruppe mit begründete. Nach ihr und nach Rainer Plein sind heute zwei Straßen in der westfälischen Stadt benannt.

Von Helmut Jasny (epd)


Big-Brother-Awards rügen Überwachung und Datenmissbrauch



Überwachungs-Apps, intransparente Daten und die Machtstellung von Zahlungsabwicklern: Mit der diesjährigen Vergabe der Negativpreise "Big-Brother-Awards" rückt der Verein "Digitalcourage" erneut die Gefahren von Datenmissbrauch in den Fokus.

Bielefeld (epd). Mit dem diesjährigen Negativpreis „Big-Brother-Awards“ für „Datensünder“ sind die Polizei, der Lieferdienst Lieferando und der Zahlungsdienstleiter Klarna gerügt worden. Weitere „Anti-Preise“ gingen am 29. April in Bielefeld an die Bundesdruckerei und die irische Datenschutzbehörde DPC. Die deutschen Big-Brother-Awards werden seit dem Jahr 2000 jährlich vom Verein Digitalcourage gemeinsam mit weiteren Bürgerinitiativen vergeben.

Beim Bundeskriminalamt, das stellvertretend für die Polizei gerügt wurde, kritisierten die Veranstalter die Art der Speicherung und Nutzung von personenbezogenen Daten. Diese Daten seien oft nicht oder nicht ausreichend gekennzeichnet, hieß es in der Begründung. Millionen Menschen könnten so von der Polizei oder anderen Behörden ungerechtfertigt als Gefährder oder Straftäter behandelt werden. So seien im Jahr 2017 beim G20-Gipfel in Hamburg Presseakkreditierungen von Journalisten zurückgewiesen worden. Die Journalisten hätten über politische Ereignisse berichtet und seien dadurch in den Fokus der Polizei geraten, hieß es.

Der Lieferdienst Lieferando erhielt den Negativpreis in der Kategorie „Arbeitswelt“ für eine „Totalkontrolle“ ihrer Auslieferer: Mithilfe einer App würden sekundengenau eine Fülle von Verhaltensdaten der Fahrerinnen und Fahrer erfasst, hieß es. Zugleich würden personenbezogene Daten an eine Reihe von Internet-Trackern weitergeleitet. In der Kategorie Verbraucherschutz wurde das Klarna-Unternehmen für Zahlungsabwicklung gerügt. Das schwedische Unternehmen bündele intransparent Daten und Macht als Shopping-Service, Zahlungsdienstleister, Preisvergleichsportal und Bank, hieß es in der Begründung.

Bundesdruckerei verwendet umstrittene „Blockchain“-Technik

Die Bundesdruckerei wurde für eine problematische Verwendung der sogenannten „Blockchain“-Technik kritisiert. Ein Projekt digitaler Schulzeugnisse, bei dem diese Technik eingesetzt werde, habe erhebliche Datenschutzprobleme. Personenbeziehbare Daten in der Blockchain zu speichern, sei „ein Totalschaden für den Datenschutz“, hieß es in der Begründung für die Kategorie Technik. Einmal gespeicherte Daten könnten in einer „Blockchain“ nicht mehr gelöscht werden.

Die irische Datenschutzbehörde DPC erhielt den Negativpreis in der Kategorie Lebenswerk. Die Behörde sabotiere Bemühungen, europäisches Datenschutzrecht durchzusetzen. Irland biete sich Tech-Konzernen wie Google, Apple, Facebook, WhatsApp und Microsoft als „Steueroase“ an. Den Konzernen werde es ermöglicht, ihren „Überwachungskapitalismus“ ohne Rücksicht auf Bürgerrechte umzusetzen.

In den vergangenen Jahren wurde mit den „Big-Brother-Awards“ unter anderem ein problematischer Datenumgang in der Corona-Pandemie in den Blick genommen. Der Negativ-Preis ging auch an die Bundesregierung für die Duldung von US-Drohneneinsätzen über die Steuerungsstation der US-amerikanischen Militärbasis Ramstein in Rheinland-Pfalz.



Trauer um Ex-Ministerin Lehr: Wegbereiterin moderner Altenpolitik



Bonn (epd). Die ehemalige Bundesfamilienministerin Ursula Lehr (CDU) ist am 25. April im Alter von 91 Jahren verstorben. Sie habe mit ihrem Einsatz „für ein aktives, engagiertes und möglichst gesundes Älterwerden“ die Einstellung zu älteren Menschen in Deutschland geprägt, erklärte die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (Bagso) am 25. April in Bonn. Lehr sei „Wegbereiterin einer modernen Altenpolitik“ gewesen, die Senioren „nicht nur als Empfänger von sozialen Leistungen, sondern als aktiven Teil der Gesellschaft betrachtet“, sagte die Vorsitzende des Verbandes, Regina Görner.

Ursula Lehr war den Angaben zufolge Inhaberin des Lehrstuhls für Gerontologie an der Universität Heidelberg und von 1988 bis 1991 Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit. In dieser Zeit habe sie den ersten Altenbericht der Bundesregierung und die Verabschiedung des Altenplans verantwortet, erklärte die Bagso. Von 2009 bis 2015 hatte die CDU-Politikerin den Vorsitz der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen inne.



Mehrheit des neuen saarländischen Kabinetts katholisch



Saarbrücken (epd). Die Ministerinnen und Minister der neuen SPD-Alleinregierung im Saarland sind mehrheitlich katholisch. Nur der neue Finanz- und Wissenschaftsminister Jakob von Weizsäcker ist evangelisch, wie die Staatskanzlei dem Evangelischen Pressedienst (epd) mitteilte. Neben Ministerpräsidentin Anke Rehlinger gehören auch Umwelt- und Justizministerin Petra Berg, Innenminister Reinhold Jost, Arbeits- und Gesundheitsminister Magnus Jung, Wirtschaftsminister Jürgen Barke und Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot der katholischen Kirche an.

Wie Rehlinger bei ihrer Vereidigung am 25. April hatten am 26. April auch die Ministerinnen und Minister ihres Kabinetts den Amtseid mit der Formel „So wahr mir Gott helfe“ beendet. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sowie acht seiner 17 Kabinettsmitglieder hatten den Eid im Dezember 2021 ohne die Gottesformel gesprochen.



Trauer um Geograf und Stadtplaner Karl Ganser



Düsseldorf, Essen (epd). Der Geograf und Stadtplaner Karl Ganser ist tot. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) würdigte den am 21. April im Alter von 84 Jahren gestorbenen Ganser am 27. April als einen „Visionär“ des Strukturwandels im Ruhrgebiet: „Mit Prof. Dr. Karl Ganser verlieren wir einen pragmatischen Denker moderner Stadtplanung und der Transformation einer gesamten Region.“

Ganser habe das Gebiet der „Humangeografie“, der Verbindung von Stadt- und Architekturplanung mit Anliegen der Bevölkerung, maßgeblich beeinflusst, erklärte Wüst in Düsseldorf. „Durch seine pragmatischen und innovativen Ideen für den Emscherraum wurde die Transformation einer gesamten Region maßgeblich ermöglicht.“ Als Geschäftsführer der Internationalen Bauausstellung (IBA) Emscher Park (1989-1999) habe er das Land vor dem Abriss kulturstiftender Industriedenkmäler wie der Zeche Zollverein, dem Stahlwerk in Duisburg-Meiderich oder dem Gasometer in Oberhausen bewahrt. Sein Engagement habe das Selbstvertrauen der Region gestärkt.

„Gansers Engagement entlang der Route Industriekultur sichtbar“

Auch der Regionalverband Ruhr hob das Engagement Gansers für die gesamte Region und ihre Industriedenkmäler hervor. Mit seinem Elan habe der Architekt des neuen Ruhrgebiets auch das Fundament der erfolgreichen Bewerbung um den Titel Kulturhauptstadt Europas Ruhr.2010 gelegt, erklärte die Regionaldirektorin Karola Geiß-Netthöfel in Essen. „Entlang der Route Industriekultur lässt sich heute das Schaffen von Ganser eindrucksvoll nachvollziehen.“

Karl Ganser wurde den Angaben nach1937 in Mindelheim geboren. Nach seiner Promotion und Habilitation an der TU München war er als Projektleiter in der Stadtentwicklung der bayerischen Landeshauptstadt München tätig, bis er 1971 die Leitung des Instituts für Landeskunde in Bonn übernahm.

1974 wurde unter seiner Regie das Institut für Landeskunde in Bonn mit dem Institut für Raumordnung zur Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung zusammengeführt. 1980 trat er als Abteilungsleiter für Städtebau in das Ministerium für Landes- und Stadtentwicklung ein. Im Jahr 1989 wurde Ganser Geschäftsführer der Internationalen Bauausstellung Emscher (IBA). Nach seinem Ruhestand 1999 war er weiterhin als Gutachter und Mediator tätig.

Ganser wurde mehrfach ausgezeichnet. Für seine herausragenden Verdienste um den Strukturwandel und die ökologische Erneuerung im Ruhrgebiet wurde ihm 2003 der Staatspreis des Landes Nordrhein-Westfalen verliehen. Bereits 1999 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Ruhr-Universität Bochum, 1995 den Titel „Bürger des Ruhrgebietes“.




Umwelt

Neues vom Acker




Franz Schulz mit einer Handvoll Soja
epd-bild/Rolf K. Wegst
Mit dem Klimawandel rücken in der Landwirtschaft Nutzpflanzen in den Blick, die gut mit Sonne und Trockenheit klarkommen. Darunter sind Neuankömmlinge aus dem Süden. Aber auch so manche Traditionsfrucht wird gerade neu entdeckt.

Villmar (epd). In dem gemütlichen Hofladen wuchtet Sabine Schulz-Behr Gemüsekisten beiseite und legt Brote in die Auslage. Dann kommt sie zum Kühlregal. Kochsahne, Milch, Joghurt, Tofu - alles ist aus Soja. „Aus Sojabohnen kann man ganz viel machen“, schwärmt sie. „Geräucherter Tofu schmeckt wie Leberkäse. Wir braten ihn und geben ihn über den Salat. Lasagne aus Soja-Schnetzeln ist bei uns zu Hause der Renner.“

Gelegentlich hilft Schulz-Behr im Hofladen auf dem Gladbacherhof aus, einem Lehr- und Versuchsbetrieb für Ökologischen Landbau der Universität Gießen. Ihr Mann Franz Schulz ist Leiter der Versuchsstation. Seit 23 Jahren machen die Wissenschaftler auf dem Gladbacherhof unter anderem Feldversuche mit Soja: Unterschiedliche Reihenweiten, verschiedene Sorten, Anbau zusammen mit Weizen. In den vergangenen Jahren hätten sich die Trockenperioden ausgedehnt, manchmal regne es vier, fünf Wochen nicht, berichtet Schulz. Der Sojabohne mache das nichts aus. Sein Fazit aus all den Versuchen: „Soja könnte eine Pflanze der Zukunft werden.“

Kühle-Toleranz-Versuche

Mit dem Klimawandel rücken in der Landwirtschaft auch in Deutschland Nutzpflanzen in den Blick, die mit Trockenheit und Sonne gut klarkommen. „Der Klimawandel eröffnet uns Anbaualternativen“, sagt Werner Vogt-Kaute, Fachberater beim Naturland-Verband für ökologischen Landbau.

Auf seinem Nebenerwerbs-Hof in Bayern macht er gerade mit Soja Kühle-Toleranz-Versuche. Außerdem ist er „bei Platterbsen eingestiegen“, wie er sagt. Die Hülsenfrucht sei in Deutschland im Mittelalter viel angebaut worden und dann in Vergessenheit geraten. „Aber sie kommen mit Trockenheit gut zurecht.“ Gerade habe ein Landwirt bei ihm angerufen und nach Tipps für den Anbau von Linsen gefragt, erzählt Vogt-Kaute. Auch diese Hülsenfrucht sei in Deutschland bis zum Zweiten Weltkrieg angebaut worden, „dann ging es quasi auf null runter“. Jetzt erlebten Linsen eine Renaissance.

Die Rispen-Hirse war ein wichtiges Nahrungsmittel bis zum 17. Jahrhundert, verschwand dann aber von den Tellern. „Jetzt profitiert sie vom Trend zur vegetarischen Ernährung“, erklärt Vogt-Kaute. Auch Hirse kann Trockenheit und Sonnenschein gut vertragen.

Ähnliches gilt für Buchweizen: Das Knöterichgewächs mag arme Böden und war lange im Nordwesten und Osten verbreitet. Der Buchautor Stevan Paul hat in sein Kochbuch „Deutschland vegetarisch“ das alte Rezept „Bookweeten Janhinnerk“ aufgenommen, plattdeutsch für den Emsländer Buchweizenpfannkuchen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Buchweizen von Getreide und Kartoffeln verdrängt, schreiben Thomas Miedaner und Friedrich Longin in dem Buch „Unterschätzte Getreidearten“.

Die beiden Wissenschaftler der Universität Hohenheim plädieren für mehr Vielfalt in der Landwirtschaft und auf dem Teller: Von weltweit 380.000 Pflanzenarten seien 30.000 essbar, doch nur 30 Pflanzenarten erzeugten 95 Prozent der weltweiten Kalorien. „Gerade im Hinblick auf den globalen Klimawandel kann es wichtig werden, Getreideformen zu haben, die besonders widerstandsfähig gegen Trockenheit, Hitze, Salz oder Ozon sind.“

Amarant im Kommen

Als „Art für die Zukunft“ preisen Miedaner und Longin zum Beispiel den Amarant. Er kommt aus Zentral- und Südamerika; Azteken, Inka und Maya hätten ihm eine „lebensverlängernde Wirkung“ zugeschrieben. Quinoa entstammt der Andenregion Südamerikas und war bei den Inka Grundnahrungsmittel. Quinoa, Buchweizen und Amarant zeichne unter anderem ein hoher Lysingehalt aus, eine essenzielle Aminosäure, die der Körper nicht selbst herstellen könne, so die Autoren.

Doch gerade der Anbau neuer Arten hat seine Tücken: So probieren zwar einige deutsche Landwirte Kichererbsen aus, die normalerweise am besten in subtropischen Gebieten gedeihen. „Wenn es aber zur Ernte regnet, blühen sie wieder“, erklärt Naturland-Berater Vogt-Kaute. Im vergangenen eher verregneten Sommer haben seinen Angaben zufolge nur zwei Landwirte rund um Berlin gut geerntet.

Bei Trockenbohnen, unter die auch Kidneybohnen fallen, gebe es eine „Riesen-Nachfrage“, aber man brauche für die Ernte Spezialmaschinen. Weiße Lupinen - Ursprung Mittelmeerraum, geeignet zum Beispiel als Kaffee-Ersatz - haben schwer unter einer Pilzinfektion gelitten, wie Tanja Schäfer ausführt, Professorin für Pflanzenbau und Nachhaltige Anbausysteme an der Fachhochschule Südwestfalen in Soest. Eine Neuzüchtung lasse die Anbaumengen nun wieder steigen.

Auf dem Gladbacherhof der Uni Gießen stellt Franz Schulz mehrere ausgediente Honiggläser auf den Tisch. Sie sind gefüllt mit getrockneten Ackerbohnen, Erbsen, weißen Lupinen und Sojabohnen. Manchmal zeigt er die Gläser den Studierenden. Er fischt ein paar Sojabohnen aus dem Glas und betrachtet sie auf seiner Handfläche. „Der Klimawandel wird viel mehr möglich machen“, sagt er nachdenklich. Einige Kulturen werden an Bedeutung verlieren, weil das Anbaurisiko steigt. Aber Neues kommt hinzu.

Von Stefanie Walter (epd)


Umwelthilfe fordert mindestens 360 Euro pro Jahr für Anwohnerparken



Berlin (epd). Die Deutsche Umwelthilfe hat höhere Parkgebühren für Anwohner in Städten gefordert. Nur fünf Bundesländer ermöglichten ihren Kommunen eine angemessene Gebührenerhebung für Anwohnerparkausweise, teilte die Umwelthilfe am 25. April in Berlin mit. Während ein Parkausweis für Anwohner in anderen europäischen Städten wie Stockholm bis zu 1.309 Euro pro Jahr koste, verlangten die meisten deutschen Städte nur bis zu 30,70 Euro pro Jahr.

Bundesländer und Städte würden somit die Mobilitätswende ausbremsen, erklärte der Bundesgeschäftsführer der Umwelthilfe, Jürgen Resch. Eine Erhöhung der Parkgebühren sei ein wesentlicher Hebel, damit sich Haushalte von Zweit- und Drittwagen trennen und Gelegenheitsfahrer auf Carsharing umsteigen. Die Umwelthilfe fordert eine Anhebung der Gebühren für Anwohnerparkausweise auf mindestens einen Euro pro Tag und höhere Gebühren für sogenannte SUV.

Hintergrund ist den Angaben zufolge die Deckelung der Gebühren für Anwohnerparkausweise in Parkraumbewirtschaftungszonen bis Juni 2020 auf bundeseinheitlich 30,70 Euro pro Jahr. Dieser Preis habe weder den Verwaltungsaufwand noch die Kosten für Herstellung und Wartung von Parkplätzen berücksichtigt.



Diakonische Unternehmen investieren Milliarden in Klimaneutralität




Gebäude des Evangelischen Werks für Diakonie und Entwicklung in Berlin
epd-bild / Rolf Zöllner

Berlin, Dortmund (epd). Die diakonischen Sozialunternehmen in Deutschland wollen bis zum Jahr 2035 klimaneutral wirtschaften und hierfür Milliardensummen in Gebäude und Prozesse investieren. Um in der gesamten Sozialwirtschaft (ohne den Krankenhausbereich) die Ziele der EU-Taxonomie bis zu dem Jahr zu erreichen, seien Investitionen von mindestens 65 Milliarden Euro notwendig, wie aus einer Pilotstudie hervorgeht, die am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde. „Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit müssen sich nicht widersprechen, gerade Investitionen in die Energieeffizienz sparen mittel- und langfristig große Kosten ein“, sagte der Vorstandsvorsitzende der Bank für Kirche und Diakonie (KD-Bank), Ekkehard Thiesler.

Zudem forderten der Verband der diakonischen Dienstgeber in Deutschland (VdDD) und die Diakonie Deutschland, das Kriterium der Nachhaltigkeit in den Refinanzierungsregeln der Sozialgesetzbücher zu verankern. „Diakonische Unternehmen wollen in Nachhaltigkeit investieren, doch sie müssen es auch dürfen“, erklärte der stellvertretende VdDD-Geschäftsführer Rolf Baumann. Vorbild für eine Neuregelung könnten seinen Worten zufolge Nachhaltigkeitskriterien für öffentliche Aufträge des Bundes sein.

„Wir brauchen jetzt eine Klima-Investitionsoffensive für die Sozialwirtschaft“, betonte der Präsident der Diakonie Deutschland, Ulrich Lilie. Zusätzlich zur Neuregelung in den Sozialgesetzbüchern sollten kurzfristig Förderprogramme aufgelegt oder ausgebaut werden. „Wir wollen unseren Teil zum Klimaschutz leisten, können aber als gemeinnützige Einrichtungen die erforderlichen Kosten für die klimaneutrale Gebäudesanierung nicht komplett selbst erwirtschaften.“ Aus demselben Grund müssten auch die Eigenanteile für die Förderprogramme niedrig ausfallen.

Verantwortliche aus diakonischen Unternehmen haben am Donnerstag und Freitag im Rahmen einer Tagung in Berlin darüber beraten, wie Nachhaltigkeits- und Klimaschutzziele umzusetzen sind. Organisiert wurde das Treffen vom VdDD und der in Dortmund ansässigen KD-Bank in Kooperation mit der Diakonie Deutschland.



"Fridays for Future" ruft zu Demonstrationen in NRW auf



Düsseldorf, Köln (epd). Die Klimabewegung „Fridays for Future“ ruft mit Blick auf die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen (15. Mai) zu Demonstrationen auf. Am 6. Mai wolle man in verschiedenen Städten in NRW auf „die tiefgreifenden Missstände in der Politik“ hinweisen und „das Versagen der Landesregierung in der eskalierenden Klimakrise sowie in weiteren verbundenen Krisen anprangern“, erklärte die Organisation am 2. Mai. Unter anderem in Bochum, Bonn, Dortmund, Düsseldorf, Essen, Solingen und Wuppertal sind Demonstrationen geplant.

Die kommende Landesregierung werde ausschlaggebend für die Klimapolitik des Landes sein, hieß es. „Effektiver Klimaschutz erfordert ein sofortiges, radikales und wissenschaftsbasiertes Handeln seitens der Politik“, erklärte die Klimaaktivistin und Ethnologin Sumejja Dizdarević.

„Fridays for Future“ dringt etwa auf einen umfassenden Ausbau erneuerbarer Energien, um eine unabhängige Energieversorgung sicherzustellen und auf eine „sozialgerechte ökologische Transformation“. Das Festhalten an fossilen Energien verursache Kriege und zerstöre Lebensgrundlagen in Ländern in Afrika, Südamerika und Asien. „Die Landesregierung eines Industriestandorts wie NRW muss die eigene globale Verantwortung anerkennen und dementsprechend handeln“, erklärte die Bewegung.




Soziales

Kirchen stellen Demenz in Mittelpunkt der "Woche für das Leben"




Bischof Bode, die EKD-Ratsvorsitzende Kurschus und Landesbischof Bilz (v.l.) in der Nikolaikirche
epd-bild/Jens Schulze
Leben mit Demenz steht im Mittelpunkt der diesjährigen ökumenischen "Woche für das Leben". Zum Auftakt feierten die Kirchen in Leipzig einen gemeinsamen Fernseh-Gottesdienst.

Leipzig/Bielefeld (epd). Die evangelische und die katholische Kirche haben am 30. April in Leipzig die „Woche für das Leben“ eröffnet. Bei einem ökumenischen Gottesdienst in der Nikolaikirche betonten die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Annette Kurschus, und der stellvertretende Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Franz-Josef Bode, die Würde des Menschen und die Bedeutung der Nächstenliebe.

Die bundesweite „Woche für das Leben“ steht in diesem Jahr unter dem Motto „Mittendrin. Leben mit Demenz“. Veranstaltungen dazu sind bis 7. Mai geplant. Die Kirchen wollen damit Ängste im Umgang mit der Krankheit abbauen und für Seelsorge- und Beratungsangebote werben. Der Gottesdienst zum Auftakt wurde vom MDR-Fernsehen live übertragen.

„Platz in unserer Mitte“

„Menschen mit Demenz haben einen Platz in unserer Mitte“, sagte Bode. Sie sollten mit ihren Angehörigen am gesellschaftlichen Leben teilhaben dürfen. Die Würde des Menschen hänge nicht von seiner Gesundheit oder seiner Fähigkeit zur Selbstbestimmung ab, sagte der katholische Bischof von Osnabrück, sondern sie sei „unverlierbar“.

„Selbst, wenn ich nicht mehr denken und mich nicht mehr erinnern kann, bleibe ich von Gottes Händen gehalten“, sagte die EKD-Ratsvorsitzende Kurschus. „Selbst, wenn ich einmal nichts mehr über mein Leben wissen sollte, werden meine Jahre bei Gott gut aufgehoben sein“, betonte die leitende Geistliche, die auch Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen ist.

Sachsens evangelischer Landesbischof Tobias Bilz verwies in seinem Grußwort auf „Würde und Wert aller Kreatur, die Gott ins Leben gerufen hat“. Wer die Krankheit besser zu verstehen lerne, könne den betroffenen Menschen auch angemessen helfen, sagte Bilz, der Mitglied im Rat der EKD ist.

„Keine Fälle, sondern Unikate“

Bei einer Podiumsdiskussion zum Auftakt der „Woche für das Leben“ sprach sich Franz Müntefering als ehemaliger Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisation für eine Stärkung der Arbeit mit an Demenz erkrankten Menschen aus: „Lokale Allianzen für Menschen mit Demenz sollten eine verbindliche Aufgabe für jede Kommune sein.“ Die praktische Durchführung könne bei Vereinen und Organisationen liegen: „Menschen mit Demenz sind keine Fälle. Sie sind Unikate, wie Menschen ohne Demenz auch“, sagte der langjährige SPD-Politiker und Bundesminister.

Der Psychologe und Gerontologe Andreas Kruse betonte, Menschen mit Demenz seien in besonderem Maße auf Anregung, Förderung, Stimulation und Übung angewiesen: „Damit Funktionen und Fertigkeiten länger erhalten bleiben“, sagte das ehemalige Mitglied des Deutschen Ethikrats.



AOK-Studie: Ältere Menschen erhalten häufig zu viele Medikamente




Ein Pflegedienst-Mitarbeiter bestückt einen sogenannten Wochendispenser mit Tabletten.
epd-bild/Detlef Heese
Wenn im Alter immer mehr Krankheiten auftreten, nehmen Patienten häufig auch viele verschiedene Medikamente. Doch so ein Arznei-Mix kann gerade für ältere Menschen gefährlich werden, warnt die AOK. Patientenschützer raten zum Medikamenten-Check.

Düsseldorf, Hamburg (epd). Viele Seniorinnen und Senioren nehmen nach Einschätzung der Krankenkasse AOK Rheinland/Hamburg zu viele verschiedene oder ungeeignete Medikamente. Laut dem am 28. April veröffentlichten AOK-Gesundheitsreport 2022 erhalten vier von zehn Versicherten ab 65 Jahren fünf oder mehr Medikamente im Quartal verschrieben. Rezeptfrei zusätzlich gekaufte Arzneien oder Nahrungsergänzungsmittel seien dabei noch nicht berücksichtigt.

Krankenhausaufenthalte verstärken den Angaben zufolge das Problem. Zwei Drittel (66,6 Prozent) der über 65-Jährigen, die zuvor nur wenige oder keine Medikamente genommen hatten, bekamen im ersten Quartal nach einem Klinikaufenthalt fünf oder mehr Arzneimittel verordnet.

„Polypharmazie“

Diese „Polypharmazie“ berge die Gefahr, dass sich verschiedene Wirkstoffe gegenseitig beeinflussen und zu Problemen führen können, warnte Frauke Repschläger, Pharmazeutin bei der AOK Rheinland/Hamburg. „Unerwünschte Wechselwirkungen von Arzneimitteln stellen ein erhebliches Gesundheitsrisiko dar, das nicht selten zu schweren Krankheitsverläufen führt.“ Eine Analyse der Versichertendaten zeige, dass 4,5 Prozent der über 65-Jährigen eine potenziell schädliche Arzneimittelkombination verordnet bekamen.

Doch auch einzelne Medikamente können für ältere Patientinnen und Patienten bereits gefährlich werden, hieß es weiter. Bestimmte Antidepressiva und Schlafmittel könnten etwa das Sturzrisiko erhöhen. Andere Arzneimittel könnten Verwirrung auslösen oder Schlafstörungen zur Folge haben. Laut Gesundheitsreport bekam jeder fünfte Versicherte ab 65 Jahren mindestens einmal im Jahr ein Medikament verordnet, das auf der Priscus-Liste der für ältere Menschen potenziell ungeeigneten Wirkstoffe verzeichnet ist.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz appellierte an ältere Patientinnen und Patienten, bei der Einnahme mehrerer Medikamente mögliche Wechselwirkungen in der Arztpraxis oder der Apotheke überprüfen zu lassen. Der „Medikations-Check“ sei eine von den Kassen finanzierte ärztliche Leistung, auf die Versicherte Anspruch hätten, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Dortmund. Auch Apotheken böten diesen Service an. Nach vorheriger Absprache übernähmen die Krankenkassen dafür meist ebenfalls die Kosten. „Wir brauchen eine Trendwende hin zu weniger Polypharmazie“, betonte Brysch.



Forscher untersuchen in Mini-Brutkasten Medikamentenwirkung auf Leber



Bielefeld (epd). Die Universität Bielefeld koordiniert ab Mai ein vierjähriges EU-Projekt, das die Wechselwirkung von Arzneien im menschlichen Köper sichtbar machen soll. Dazu versuchen Forscherinnen und Forscher aus drei Ländern, in einer Art Mini-Brutmaschine Leberzellen außerhalb des Köpers für 14 Tage am Leben zu halten und ihre Reaktion auf verschiedene Medikamente im Bild festzuhalten, wie die Hochschule am 26. April erklärte. Bei dem Projekt mit dem Titel „Delivery“ arbeite die Uni mit fünf Partnern in Europa zusammen, darunter das Evangelische Klinikum Bethel in Bielefeld, die Universitäten in Tromsø in Norwegen und Brüssel in Belgien sowie zwei Unternehmen aus Deutschland und Frankreich. Der Europäische Innovationsrat fördert das Vorhaben mit rund drei Millionen Euro, wie es hieß.

Gut ein Drittel der Menschen über 65 Jahre in Europa nehme mindestens fünf verschiedene Medikamente am Tag ein, hieß es. Dabei sei nicht immer klar, wie sie zusammen im Körper wirkten und wie die Wirkstoffe in der Leber abgebaut würden, sagte Thomas Huser, Koordinator des Projekts. Der Bielefelder Physiker beschäftigt sich in seiner Forschung seit mehr als zwölf Jahren mit der Leber und der optischen Darstellung ihrer Zellen. „Aus Studien wissen wir, dass etwa zehn bis 20 Prozent der Krankenhauseinweisungen von älteren Patienten darauf zurückgehen, dass ihr Körper nicht gut auf das Zusammenspiel der verschiedenen Medikamente reagiert.“ Sie müssten dann neu mit Medikamenten eingestellt werden.

Für die Bildgebung arbeitet das Bielefelder Forscherteam an einem neuen optischen System, um die Leberzellen in hoher Auflösung darstellen zu können, ohne sie aus der Brutmaschine entnehmen zu müssen. Das Klinikum für Allgemein- und Viszeralchirurgie des Evangelischen Klinikums Bethel, das zum Uniklinikum Ostwestfalen-Lippe gehört, stellt für das Vorhaben die Leberzellen-Spenden zur Verfügung. „Unser Ziel ist es, dass wir am Ende individuell durch eine Biopsie testen können, wie die Leber eines Patienten oder einer Patientin auf bestimmte Medikamente und deren Kombination reagieren wird“, erläutert Huser.



Einsamkeit bleibt dominantes Thema bei Telefonseelsorge Saar




Alte Menschen gelten in der Corona-Krise als besonders gefährdet.
epd-bild/Heike Lyding

Saarbrücken (epd). Die evangelisch-katholische Telefonseelsorge Saar hat im vergangenen Jahr erneut die meisten Anrufe wegen Einsamkeit (26,7 Prozent) und Ängsten (17,2 Prozent) erhalten. Danach folgten das körperliche Befinden (14,9 Prozent), depressive Stimmungen (14 Prozent) und familiäre Beziehungen (12,9 Prozent), wie die Telefonseelsorge am 25. April zur Vorstellung des Jahresberichts 2021 in Saarbrücken erklärte. Corona sei in rund zehn Prozent der Gespräche Thema gewesen.

Insgesamt klingelte das Telefon dem Bericht zufolge 13.200 Mal (2020: 13.330). Es habe 9.827 Seelsorge- oder Beratungsgespräche gegeben. Die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verfassten zudem 597 Mailantworten und hatten 349 Chatkontakte.

Mittlerweile nähert sich das Geschlechterverhältnis unter den telefonisch Ratsuchenden den Angaben zufolge weiter an, während vor 20 Jahren Frauen zu rund drei Vierteln anriefen. „Das Rollenbild in unserer Gesellschaft hat sich verändert, dadurch sind auch für Männer Probleme eher ansprechbar“, sagte die katholische Leiterin Heidrun Mohren-Dörrenbacher. Dadurch sei eine frühere Begleitung und Unterstützung möglich.

Männer und Frauen über 60 Jahre nutzen der Statistik zufolge vor allem die telefonische und die persönliche Beratung vor Ort. So machte ihr Anteil bei den Anrufen 35,2 Prozent und beim persönlichen Kontakt 30,4 Prozent aus. Menschen unter 30 Jahre hätten einen vergleichsweise geringen Anteil unter den Anrufenden (8,28 Prozent) und den persönlichen Besuchen (10,6 Prozent). Ihr Anteil ist vor allem bei Kontaktaufnahmen per Mail (55,2 Prozent) und Chat (57,3 Prozent) hoch.

Beim Mailkontakt sind unter allen Ratsuchenden depressive Stimmungen (36,2 Prozent) das häufigste Thema, gefolgt von Ängsten (24 Prozent) und familiären Beziehungen (17,15 Prozent). Im Chat dominierten wiederum Ängste (26,4 Prozent) gefolgt von Einsamkeit (19,9 Prozent) und depressiven Stimmungen (17,9 Prozent).



Bundesfamilienministerin Paus: "Soziale Gerechtigkeit treibt mich an"




Lisa Paus (l.) und ihre Vorgängerin Anne Spiegel
epd-bild/Christian Ditsch

Berlin (epd). Die neue Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) will sich für Gleichstellung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie für den Zusammenhalt der Generationen einsetzen. „Ich möchte das aus ganzer Überzeugung anpacken und neue Impulse setzen“, sagte Paus am 27. April in Berlin, nachdem sie im Bundestag vereidigt worden war. Konkret will Paus zukünftig unter anderem die Kindergrundsicherung ermöglichen. Diese hat die Koalition von SPD, Grünen und FDP im Koalitionsvertrag verankert, um Kinderarmut zu bekämpfen.

„Gerechtigkeit treibt mich an“, sagte Paus. Sie sei maßgeblich für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Neben der Kindergrundsicherung wolle sie in ihrer Arbeit deshalb unter anderem auch einen Fokus auf die Gleichstellung von Frauen und Männern legen.

Weiter erklärte Paus, sie wolle Alleinerziehenden sowie Seniorinnen und Senioren den Rücken stärken. Neben der Bekämpfung von Einsamkeit im Alter sei es wichtig, dass Ältere den Anschluss an die Digitalisierung nicht verpassten, um weiterhin an der Gesellschaft teilhaben zu können.

Dank an Spiegel

Anlässlich ihres Amtsantritts dankte Paus ihrer Vorgängerin Anne Spiegel (Grüne) für deren Arbeit. Spiegel war vor Ostern nach Kritik an ihrem Umgang als damalige Landesministerin in Rheinland-Pfalz mit der dortigen Hochwasserkatastrophe im Sommer 2021 zurückgetreten. Dabei machte sie öffentlich, in welcher schwierigen privaten Lage ihre Familie damals war.

Die neue Familienministerin Paus stammt aus Nordrhein-Westfalen. Die Volkswirtin gehörte von 1999 bis 2009 dem Berliner Abgeordnetenhaus an. 2009 zog sie in den Bundestag ein. Als Finanzexpertin ihrer Fraktion war sie auch mit steuerlichen Fragen und Leistungen, die die Familienpolitik betreffen, befasst. Sie wird dem linken Flügel der Partei zugerechnet.



Stiftung: Staat bevorzugt klassisches Familienbild




Mutter mit Kind
epd-bild/Maike Glöckner
Zwischen den Einkommen von Frauen und Männern klafft nach wie vor eine deutliche Lücke. Verheiratete Frauen sind oft durch das Partnereinkommen abgesichert. Für Alleinerziehende bleibt es hingegen schwer, den Lebensstandard zu sichern.

Gütersloh (epd). Frauen können in ihrem Erwerbsleben laut einer Studie lediglich etwas mehr als die Hälfte des Bruttoeinkommens erarbeiten, auf das Männer kommen. Für Mütter ist sei diese Lücke noch weitaus größer, erklärte die Bertelsmann Stiftung am 29. April in Gütersloh. Alleinerziehende Frauen haben der Studie zufolge gegenüber verheirateten Müttern rund ein Viertel weniger verfügbares Einkommen.

Während ihres Haupterwerbsalters zwischen 20 und 55 Jahren kommen alleinerziehende Frauen der Studie zufolge auf ein Netto-Einkommen von insgesamt rund 520.000 Euro. Verheirateten Müttern stünden demgegenüber rund 700.000 Euro zur Verfügung.

Der tatsächliche Lebensstandard von Frauen hänge stark von der Familienkonstellation und den sozialstaatlichen Leistungen ab, heißt es weiter in der Studie. Insgesamt könnten sich Frauen in ihrem gesamten Erwerbsleben mit rund 830.000 Euro nur etwas mehr als halb so viel Bruttoeinkommen erarbeiten wie Männer, die auf rund 1,5 Millionen Euro kommen.

Für verheiratete Mütter schließe sich diese geschlechtsspezifische Kluft in den verfügbaren Lebenseinkommen, weil die Partnerschaft sie finanziell absichere, erklärte die Arbeitsmarktexpertin der Bertelsmann Stiftung, Manuela Barisic. Überwiegend Alleinerziehende hätten dagegen das Nachsehen, da sie von Partnereinkommen kaum oder gar nicht profitieren könnten. Sie seien stärker auf staatliche Sozialleistungen angewiesen und „hinken dennoch hinterher“, so die Stiftung.

Alleinerziehende Mütter deutlich im Nachteil

Alleinerziehende seien nur bedingt in der Lage, bei ihrem verfügbaren Einkommen zu den verheirateten Müttern aufzuschließen, hieß es weiter. Viele familienbezogene Leistungen seien „noch immer auf die eheliche Lebensgemeinschaft ausgerichtet“, erklärte der Autor der Studie, Timm Bönke. Als Beispiele nannte er das Ehegattensplitting oder die beitragsfreie Mitversicherung. Für Alleinerziehende oder nicht verheiratete Paare seien diese Leistungen nicht zugänglich.

Die Kombination aus Ehegattensplitting, steuer- und abgabenfreien Minijobs und fehlenden Betreuungsmöglichkeiten für Kinder setze „starke Anreize für eine traditionelle Rollenaufteilung“, in der die Frau weniger Erwerbsarbeit und mehr Sorgearbeit übernehme als der Mann, hieß es. Der Preis dafür sei langfristig hoch: Bei Trennungen oder im Alter seien es vor allem Frauen, die gravierende finanzielle Einbußen in Kauf nehmen müssten, kritisierte Bertelsmann-Expertin Barisic.

Für die Studie wurde „Wer gewinnt? Wer verliert?“ wurden nach Angaben der Stiftung vollständige Erwerbsbiografien auf Basis des Sozio-ökonomischen Panels nachgezeichnet. Basierend auf den jährlichen Bruttoerwerbseinkommen der Haushalte, ihrer Zusammensetzung und der Einkommens- und Erwerbsgeschichte seien Transferansprüche, staatliche Familienleistungen, Steuern und Abgaben für die Geburtsjahrgänge 1964 bis 1985 modelliert worden.



Neue Tarn-App für versteckte Nutzung des Opferschutz-Portals




Themenbild: häusliche Gewalt
epd-bild/Detlef Heese

Düsseldorf (epd). Das Land Nordrhein-Westfalen geht neue Wege beim Opferschutz: eine neue Tarn-App für das Smartphone bietet versteckte Hilfe für von Gewalt oder Missbrauch bedrohte Menschen. Über die Tarnung lässt sich die Nutzung nicht durch Unbefugte ausspähen, wie die nordrhein-westfälische Heimat- und Gleichstellungsministerin Ina Scharrenbach (CDU) bei der Vorstellung am 27. April in Düsseldorf sagte. „Wir betreten damit absolutes Neuland. Es ist die bundesweit erste App dieser Art.“

Die App gibt es nicht in den Appstores, sondern kann nur über die Internetseite des Opferschutzportals des Landes NRW heruntergeladen werden. Aufrufer können die App über eine Wahl von unauffälligen Themen für die Nutzung tarnen. Damit sind sie vor dem Ausspähen von Tätern oder Täterinnen geschützt, weil sich keine Rückschlüsse zum Thema Opferschutz ziehen lassen. Die Tarnungen enthalten tatsächlich nutzbare Inhalte, was den Schutz noch einmal erhöht. Um zu der eigentlichen Opferschutz-App und den Inhalten des Portals zu gelangen, muss ein PIN-Code eingegeben werden.

In der App finden sich dann Notrufnummern der Polizei und des Bundestelefons Gewalt gegen Frauen, des Hilfetelefons Gewalt an Männern sowie eine Suchfunktion für Beratungsstellen in der jeweiligen Umgebung. Als dritten Baustein der App finden Nutzerinnen und Nutzer komprimiert wichtige Informationen zur Hilfe bei Gewalt wie anonyme Spurensicherung, Menschenhandel, häusliche Gewalt, Mobbing, Gewalt in der Pflege oder Zwangsheirat. Die Inhalte der Opferschutz-App und alle Tarnungen sind, wie auch das Opferschutz-Portal, auf Deutsch sowie auf Englisch, Französisch, Türkisch, Arabisch, Ukrainisch und Russisch verfügbar.

Ministerin Scharrenbach geht davon aus, dass mit dem neuen Angebot mehr Menschen für die Themen des Opferschutzes erreicht werden können als bisher. Der erneute Anstieg der Opferzahlen zeige, wie wichtig diese Hilfe sei. So wurden 2021 in NRW 30.759 Fälle von häuslicher Gewalt registriert. Das waren 5,5 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Ein knappes Drittel der Opfer waren Männer. Das Anzeigeverhalten der männlichen Opfer habe sich inzwischen „deutlich verändert“, betonte die Ministerin.



Ein Krematorium zum Spielen




Spielzeug zum Thema Tod und Bestattung
epd-bild/Richard Hattink
Warum es für Kinder wichtig ist, über Sterben, Tod und Trauer zu sprechen und in den Verlust naher Angehöriger einbezogen zu werden, verdeutlicht die Bremer Kongressmesse "Leben und Tod".

Bremen (epd). Ein Friedhof mit Blumenwiese, ein kleines Krematorium mit Sarg, ein Kolumbarium mit Urnen: Beim niederländischen Trauerbegleiter Richard Hattink gibt es Spielzeug rund um das Thema Tod und Bestattung. „Auch Kinder trauern und müssen sich mit dem Abschied von einer geliebten Person arrangieren - dabei kann dieses Spielzeug helfen“, meint der Pädagoge, der am 6. und 7. Mai auf der Bremer Kongressmesse „Leben und Tod“ sein Angebot vorstellt. Geht das überhaupt, Bestattung spielen? Und ist das nicht viel zu belastend für Kinder, über Sterben und Tod zu sprechen?

Kinder und Jugendliche in der Sterbe- und Trauerbegleitung, das ist das Schwerpunktthema der Messe unter der Leitfrage „Gibt es im Himmel Eiscreme?“ Dazu wollen nach Angaben der Organisatoren knapp 110 Aussteller kommen, 60 Vorträge und Workshops stehen im Programm. Über Sterben und Tod mit Kindern zu reden, das tue weh, räumt die evangelische Theologin Margot Käßmann aus Hannover ein, die die Messe mit einem Vortrag eröffnet. Aber sie rät trotzdem, es zu versuchen. „Lasst uns Worte dafür finden“, ermutigt die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und langjährige hannoversche Landesbischöfin.

„Geht Sterben wieder vorbei?“

Wenn Erwachsene versuchten, das Thema auszusparen, belasteten sie die Kinder eher, hat die Seelsorgerin beobachtet: „Kinder sehen Tausende Tote im Fernsehen und im Internet, werden aber manchmal nicht zur Beerdigung mitgenommen. Das passt nicht.“ Die mehrfache Mutter und Großmutter ist überzeugt: „Die Erwachsenen haben die Verpflichtung, Rede und Antwort zu stehen, über ihre Trauer und Ängste zu reden - und können dabei auch ihre Tränen zeigen.“ In der Trauer seien Rituale hilfreich: „Lieder zum Beispiel, am Grab innezuhalten, Erde und Blumen in das Grab zu werfen.“

Auch die Familien-Trauerbegleiterin Mechthild Schroeter-Rupieper aus Gelsenkirchen rät dazu, mit Kindern über Sterben, Tod und Trauer zu sprechen. Sie seien auf vertraute Menschen angewiesen, die ihnen altersgerechte Informationen vermittelten und unverstellt ihre Gefühle zeigten. Die Expertin, die auch als Vortragende zur Messe nach Bremen kommt, verdeutlicht: „Wenn Kinder keine Erklärungen oder Antworten auf ihre Fragen bekommen, suchen sie fantasievolle eigene Erklärungen, um ihre Wissenslücken zu füllen.“

So wie die achtjährige Emma (Name geändert), die Schroeter-Rupieper in ihrer Arbeit kennengelernt hat. „Sie wollte ihre sterbende Mama im Krankenhaus nicht besuchen, weil sie dachte, da würde ein Skelett im Bett liegen.“ Als die Trauerbegleiterin sie und ihren kleinen Bruder besuchte und sagte, dass Tote meist aussehen, als ob sie schlafen würden, aber nicht mehr lebendig werden, traute sie sich, in die Klinik zu gehen - auch, als ihre Mutter schon tot war.

Schroeter-Rupieper hat ein Kinderbuch zum Thema geschrieben, das unter dem Titel „Geht Sterben wieder vorbei?“ Kinderfragen zu Tod und Trauer aufgreift. Trauer müsse gelebt werden, wendet sie sich darin auch an die Erwachsenen. „Das ist leichter, als man vermutet. Trauer ist ebenso wie Freude und andere Gefühle ansteckend.“

Das sieht die Berliner Autorin Anja von Kampen ähnlich, die auf der Messe ihr Kindersachbuch „Knietzsche und der Tod - alles über die normalste Sache der Welt“ vorstellen will. Am besten sei es, sagen alle Expertinnen, Kinder auf Trauersituationen vorzubereiten. „Die emotionale Muskulatur ausbauen“, beschreibt es Schroeter-Rupieper. Das könne auch mit seinem Spielzeug geschehen, sagt der Niederländer Hattink: „Damit die Beschäftigung mit dem Tod für das Kind etwas Natürliches wird.“

Von Dieter Sell (epd)


"Lego-Oma" arbeitet jede freie Minute an der Barrierefreiheit




Barrierefrei mit Legosteinen
epd-bild/Christian Schmidt
Seit 2019 sammelt die Hanauer Rentnerin Rita Ebel gebrauchte Legosteine und baut daraus Einfahrhilfen für Rollstühle, Rollatoren und Kinderwagen. Inzwischen haben sie und ihr Team 78 kleine Rampen gefertigt. Und ihr Beispiel macht Schule.

Hanau (epd). Rita Ebel verbaut am Tag wahrscheinlich mehr Legosteine als die gesamte Rasselbande einer Kita. Seit 2019 fertigt die Hanauerin in ihrer Küche aus dem bunten Steckspielzeug Einfahrhilfen für Rollstühle, Rollatoren und Kinderwagen. Unterstützt wird sie dabei von Ehemann Wolfgang, Tochter Melanie, Enkelin Nora und fünf weiteren Helferinnen und Helfern. „Wir verwenden nur gebrauchte und gespendete Steine“, betont die „Lego-Oma“, wie sie liebevoll genannt wird. „Sie werden uns aus allen Regionen Deutschlands, aber auch aus Österreich und der Schweiz zugeschickt.“

Die 64-Jährige ist seit einem Unfall 1996 selbst auf den Rollstuhl angewiesen und weiß, wie viele Hindernisse bei einem Ladenbummel oder bei der Benutzung von Bussen und Bahnen auf gehbehinderte Menschen warten. Da ist es kein Wunder, dass die sympathische, energiegeladene Frau mit dem schicken Kurzhaarschnitt und der großen Brille selbst unermüdlich zum Verschwinden der Barrieren beiträgt.

Bauanleitung in neun Sprachen

Die Idee für den Rampenbau stamme von anderen Rollifahrern, erzählt die „Lego-Oma“. „Inzwischen ist sie auch in 50 anderen Städten in Deutschland, Frankreich, Österreich und der Schweiz angekommen und wird teilweise schon umgesetzt.“ Rita selbst investiert neben ihrem Teilzeitjob im Sanitätshaus fast jede freie Minute für den Bau der bunten Rampen. Darüber hinaus fällt eine Menge Verwaltungsarbeit an. „Ich sitze allein rund zwei Stunden am Tag vor dem PC, um Anfragen etwa nach der Bauanleitung zu beantworten, die inzwischen in neun Sprachen erschienen ist.“

Die angelieferten Steine werden zunächst von Wolfgang Ebel nach Größen, Formen, und Farben sortiert. Dann schlägt die Stunde der Bau-Teams, meist arbeiten Rita und Enkelin Nora sowie Tochter Melanie und ihre Freundin zusammen. Auf Granulatplatten fügen sie Steinchen für Steinchen aneinander und fixieren sie mit einem Dichtkleber.

„Für eine einspurige Rampe mit zehn Zentimeter Höhe benötigen wir zehn bis zwölf Kilo Steine“, schätzt Rita Ebel. „Das kann zehn Stunden dauern, wenn Logos und Bilder gesetzt werden bis zu 50 Stunden.“ Bisher seien in ihrer Wohnung 78 Rampen entstanden. 1,8 Tonnen Spielsteine mussten dafür verbaut werden.

„Ein toller Hingucker“

Ihre ein- und zweispurigen Rampen liegen vor zahlreichen Läden, Cafés, Stadtbüros und Versicherungsagenturen in und um Hanau. Dort sind meist auch Lego-Sammelstellen angedockt. Die Inhaber sind meist Fans von Oma Rita. „Dasselbe gilt sicher auch für die Menschen, die mit Rollstühlen, Rollatoren und Kinderwagen unterwegs sind“, wie Thorsten Schuster betont. Die Rampen machten bewusst, wie viele Hindernisse es im öffentlichen Raum gebe, und stachelten dazu an, sie zu beseitigen, sagt der Leiter einer Versicherungsagentur. „Außerdem sind sie ein toller Hingucker“.

Rita Ebel freut sich sehr darüber, dass das Rampenbau-Projekt so gut ankommt. „Die vielen positiven Rückmeldungen und das Lob der Menschen motivieren uns. Wir machen solange weiter, bis keine Lego-Steine mehr gespendet werden.“ Angesichts der Tatsache, dass der Hersteller im dänischen Billund bisher rund 500 Milliarden Spielsteine verkauft hat, kann das noch sehr lange dauern.

epd-video: http://u.epd.de/26q5

Von Dieter Schneberger (epd)


Saar-Sozialverband VdK erstreitet drei Millionen Euro für Mitglieder



Saarbrücken (epd). Der Sozialverband VdK Saarland hat im vergangenen Jahr mehr als drei Millionen Euro an Nachzahlungen und Rentenansprüchen für seine Mitglieder erstritten. Die Nachzahlungen umfassen zum Beispiel Krankengeld, Erwerbsminderungsrente oder Witwen- und Waisenrente, wie der Verband am 27. April in Saarbrücken mitteilte. Insgesamt hätten mehr als 3.500 Verfahren abgeschlossen werden können. Die meisten Fälle habe es im Bereich Schwerbehinderung gegeben, gefolgt von gesetzlicher Rentenversicherung, Kranken- und Pflegeversicherung.

Bei der Kranken- und Pflegeversicherung habe jeder zweite Widerspruch zu einem Erfolg geführt, im Bereich der Schwerbehinderung sogar in knapp 75 Prozent. „Das zeigt: In bestimmten Fällen lohnt es sich, einen Bescheid anzufechten, statt ihn einfach hinzunehmen“, sagte Landesgeschäftsführer Peter Springborn. „Viele Menschen sind jedoch mit der Bürokratie überfordert.“

Insgesamt führten die elf hauptamtlichen VdK-Juristen den Angaben zufolge mehr als 10.000 Beratungsgespräche. Unter anderem bei Anträgen auf Schwerbehinderung oder Erwerbsminderung hätten sie ehrenamtliche Mitarbeiter unterstützt.



Neuer Aktionsplan "NRW inklusiv" umfasst 177 Maßnahmen



Düsseldorf (epd). 177 Maßnahmen zur Unterstützung von Menschen mit Behinderung sieht der neue Aktionsplan „NRW inklusiv“ der nordrhein-westfälischen Landesregierung vor. Die geplanten oder bereits laufenden Maßnahmen betreffen alle Politikfelder und umfassen Bereiche wie „Familie und soziales Netz“, „Bildung und Ausbildung“, „Arbeit und materielle Lebenssituation“ und „Gesundheit und Gesundheitsversorgung“, wie das NRW-Sozialministerium am Freitag in Düsseldorf mitteilte. Die Initiativen zielten unter anderem darauf ab, die Selbsthilfeverbände zu stärken, mehr Beschäftigung von Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt zu schaffen und die Barrierefreiheit im Gesundheitswesen auszubauen.

„Die Ministerien wollen die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in den kommenden Jahren entschlossen voranbringen“, sagte Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU). Der neue Aktionsplan setze „Impulse für mehr gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen“.

Bei der Erstellung des Aktionsplanes seien die Mitglieder des Inklusionsbeirats NRW eingebunden gewesen. Beratend einbezogen wurde das Deutsche Institut für Menschenrechte, das das Land seit einigen Jahren bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention begleitet.



Landesregierung veröffentlicht Krankenhausplan NRW 2022



Düsseldorf (epd). Die nordrhein-westfälische Landesregierung legt nach einem zweijährigen Überarbeitungsprozess den Krankenhausplan 2022 vor. Ziel sei die nachhaltige Stärkung der Krankenhauslandschaft in Nordrhein-Westfalen, erklärte Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) am 27. April in Düsseldorf. Bei der Erstellung des neuen Plans wirkten Vertreter des nordrhein-westfälischen Krankenhauswesens im sogenannten „Landesausschuss für Krankenhausplanung“ mit, dem unter anderem die Krankenhausgesellschaft, die Krankenkassen sowie die Ärztekammern angehören.

Alle Entscheidungen zur Umsetzung der Vorgaben werden durch regionale Planungskonzepte erfolgen, wie Laumann erläuterte. Es gehe um eine verlässliche und hochwertige Krankenhausversorgung für die Menschen im Bundesland, in den Ballungsräumen ebenso wie in den ländlichen Regionen.

Der neue Krankenhausplan ermöglicht es dem Land nach Auffassung von Laumann, die Krankenhausstrukturen aktiver zu gestalten. Dazu erfolge eine Planung auf der Basis konkreter Fallzahlen über sogenannte Leistungsbereiche und Leistungsgruppen in Verbindung mit Qualitätsvorgaben. So lasse sich eine bessere Koordination und Kooperation zwischen den Krankenhäusern mit einer Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung verbinden, erklärte er. Der Krankenhausplan gebe zudem vor, dass ein Krankenhaus mit internistischer und chirurgischer Versorgung für 90 Prozent der Bevölkerung von Nordrhein-Westfalen innerhalb von 20 Autominuten erreichbar sein muss.

Neue Planungssystematik soll Fachbereiche und Leistungen abbilden

In erster Linie wird sich die Krankenhausplanung nicht mehr allein an der Bettenzahl orientieren, wie es in der Planung heißt. Zur Ermittlung des stationären Bedarfs wird demnach künftig die jährliche Fallzahl je medizinischer Leistung herangezogen. Eine weitere Neuerung ist die Einführung einer neuen Planungssystematik, in der fortan statt wie bislang 22 Fachabteilungen nun 32 Leistungsbereiche mit untergeordneten Leistungsgruppen (LG) ausgewiesen werden, die medizinische Fachgebiete und spezifische medizinische Leistungen abbilden.

Insgesamt summieren sich den Angaben nach die in dieser Wahlperiode (Nachtragshaushalt 2017 sowie die fünf Haushaltsjahre 2018 bis 2022) durch das Land auf den Weg gebrachten beziehungsweise noch vorgesehenen Investitionsmittel auf eine Summe von über fünf Milliarden Euro. Hinzu kommen in diesen Jahren für den Krankenhausstrukturfonds und den Krankenhauszukunftsfonds noch über eine Milliarde Euro an zusätzlichen Bundesinvestitionsmitteln.

Derzeit gibt es rund 350 Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen, ein Großteil von ihnen kämpft mit wirtschaftlichen Problemen.



Opfer des Bottroper Apothekerskandals können Unterstützung beantragen



Düsseldorf, Bottrop (epd). Das Land Nordrhein-Westfalen unterstützt die Betroffenen des Bottroper Apothekerskandals mit insgesamt zehn Millionen Euro. Sie können ab sofort eine einmalige Zahlung von 5.000 Euro beantragen, wie das NRW-Gesundheitsministerium am 25. April in Düsseldorf mitteilte. Ende 2016 war bekannt geworden, dass der ehemalige Inhaber der „Alten Apotheke“ in Bottrop über Jahre „erheblich geminderte“ Infusionslösungen zur Krebsbehandlung hergestellt und abgegeben hatte - er wurde dafür zu einer zwölfjährigen Haftstrafe verurteilt und erhielt ein lebenslanges Berufsverbot.

Die Geschehnisse um die Bottroper Apotheke seien ein „ungeheures Verbrechen“, dass die Betroffenen für den Rest ihres Lebens begleiten werde, erklärte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann. Dieses Leid sei mit Geld nicht aufzuwiegen. Er hoffe aber, dass die Mittel des Landes helfen, „die persönliche Notlage wenigstens ein Stück weit abzumildern“, sagte Laumann.

Die sogenannten Billigkeitsleistungen richten sich den Angaben zufolge an Personen, die laut Strafrechtsurteil des Landgerichts Essen vom Juli 2018 von den „vorsätzlichen Verstößen“ des Pharmazeuten gegen das Arzneimittelgesetz betroffen waren. Auch deren Hinterbliebene können die Leistungen beantragen.

Der Bundesgerichtshof hatte das Essener Urteil 2020 in letzter Instanz bestätigt. Der Verurteilte hatte als selbstständiger Apotheker patientenindividuelle Arzneimittelzubereitungen für die Krebstherapie hergestellt und an onkologische Arztpraxen sowie Krankenhäuser geliefert. Zwischen Januar 2012 und November 2016 stellten Mitarbeiter und er mindestens 14.564 Arzneimittelzubereitungen her, die nicht die ärztlich verschriebene Wirkstoffmenge enthielten.

Der Angeklagte hatte im Prozess geschwiegen und auch über seine Verteidiger keine Angaben zur Sache gemacht. Mehr als 3.700 Patienten waren von den Zubereitungen betroffen. Bekanntgeworden waren die Vorfälle, weil ein Mitarbeiter des Apothekers die Vorgänge öffentlich gemacht hatte.



Umfrage: Bereitschaft zum Ehrenamt eher spontan und kurzfristig



Köln (epd). Angesichts gesellschaftlicher Krisen hat ehrenamtliches Engagement nach einer Umfrage an Bedeutung gewonnen. Laut „Malteser Ehrenamtsmonitor“ hält die Mehrheit der Befragten das Ehrenamt zur Bewältigung etwa von Naturkatastrophen (70 Prozent), Pandemien (66 Prozent) oder Kriegsfolgen (64 Prozent) für noch wichtiger als bisher, wie die Hilfsorganisation am 28. April in Köln mitteilte.

Befragt nach eigenen ehrenamtlichen Aktivitäten, erklärte rund ein Drittel (35 Prozent) der Befragten, sie wollten spontan über Mithilfe entscheiden, ohne sich langfristig an eine Organisation zu binden. Ein regelmäßiges Engagement bei einer Hilfsorganisation könnten sich den Angaben zufolge nur sieben Prozent vorstellen. Fünf Prozent sind bereits regelmäßig ehrenamtlich für eine Organisation im Einsatz.

Katastrophenschutz fehlt es an Unterstützung

Vor allem mit Blick auf den Katastrophenschutz sehen die Malteser Handlungsbedarf. „Die kurzfristige Hilfsbereitschaft reicht nicht aus“, erklärte der Leiter der Notfallvorsorge der Malteser, Markus Bensmann. „Daher müssen die auf langfristiges Engagement angelegten Strukturen im Bevölkerungsschutz gestärkt werden, damit diese im Notfall zur Verfügung stehen.“ Die Hilfsorganisation schlägt einen neuen, auf vier Jahre angelegten „Gesellschaftsdienst im Bevölkerungsschutz“ vor.

Für den Ehrenamtsmonitor befragte das Meinungsforschungsinstitut YouGov Mitte März in einer repräsentativen Online-Umfrage mehr als 2.000 Volljährige. Ein Thema der Umfrage war auch der Ukraine-Krieg. Knapp die Hälfte (47 Prozent) der Befragten gab an, bereits etwas für Betroffene getan zu haben. Am häufigsten waren demnach Geld- und Hilfsgüterspenden. Die Mehrheit der Bevölkerung habe zudem das Engagement der großen Hilfsorganisationen für die Menschen in der Ukraine deutlich wahrgenommen, hieß es.




Medien & Kultur

"Sie werden sich noch wundern"




Herlinde Koelbl vor einem Merkel-Porträt
epd-bild/Jürgen Blume
Von den mädchenhaften Zügen der Bundesministerin für Frauen und Jugend von 1991 bis zur gelassen in die Kamera blickenden Kanzlerin: Die Porträts von Herlinde Koelbl werfen einen intimen Blick auf die Entwicklung der Person Angela Merkel.

Berlin (epd). Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gehört vermutlich zu den meistfotografierten Personen der Welt. Die meisten Bilder zeigen sie als Person des öffentlichen Lebens. Merkel war eine von 15 Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Medien, die die Fotografin Herlinde Koelbl von 1991 an über Jahre hinweg wiederholt vor neutralem Hintergrund porträtierte. Das Deutsche Historische Museum in Berlin zeigt seit dem 29. April ihre Merkel-Porträts.

In der Schau sind 47 Schwarzweiß-Aufnahmen zu sehen, die Koelbl zwischen 1991 und 2021 von der CDU-Politikerin anfertigte. Sie habe kein Kameralächeln gewollt, sagte die Fotografin am 27. April bei der Präsentation der Ausstellung. Es sei ihr um „größtmögliche Objektivität“ gegangen. Deshalb habe sie Merkel „nach einem klaren Konzept fotografiert; Kopf, sitzend, stehend“. Sie habe keine Anweisungen gegeben. Einzige Ausnahme: Sie sollte möglichst offen in die Kamera schauen.

Merkel übte „keinerlei Kontrolle“ aus

Merkel habe dabei nie in die Auswahl der Porträts eingegriffen, sagte der Präsident der Stiftung Deutsches Historisches Museum, Raphael Gross. Dies sei „eines der erstaunlichsten Phänomene der Zusammenarbeit“ zwischen der Fotografin und der Porträtierten gewesen. Koelbl bezeichnete es als Zeichen der Souveränität, dass Merkel „keinerlei Kontrolle ausgeübt“ habe. Die Fotografin erlebte Merkel im Unterschied zu männlichen Politikern als uneitel.

Die Porträts werden ergänzt um Zitate Merkels, Audiostationen und eine Videocollage mit Ausschnitten aus Interviews, die Koelbl mit ihr führte. Die Antworten auf die jährliche Frage „Was haben Sie gelernt?” dokumentierten Merkels Entwicklungsprozess im männlich dominierten Politikbetrieb der 90er Jahre, hieß es. In einem der Interviews habe Merkel ihr 1996 von einer Episode erzählt, bei der der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) sie als Umweltministerin öffentlich bloßgestellt habe. Damals habe Merkel ihm geantwortet: “Sie werden sich noch wundern." Neun Jahre später löste sie ihn als erste Bundeskanzlerin ab.

Die erste Aufnahme entstand 1991, als Merkel Bundesministerin für Frauen und Jugend geworden war. Das letzte Porträt stammt von 2021, als ihre 16-jährige Amtszeit als Bundeskanzlerin endete. Unter einem großformatigen Porträt von 1994, auf dem sie unverstellt privat den Betrachter anschaut, steht ein Zitat, in dem Merkel über ihre Rolle als Frau in der Politik spricht: „Meine Karriere habe ich ja zum Teil auch nur deshalb gemacht, weil ich eine Frau bin und damals gerade eine Frau gebraucht wurde.“

Kanzlerin wurde „statischer“

Im Lauf der Jahre sei Merkel bei den Aufnahmen „statischer geworden“, während sie auf dem ersten Bild noch „eine andere Lebendigkeit“ gezeigt habe, erinnert sich Koelbl. Die Abfolge der Bilder demonstriere, wie das politische Amt eine psychische und physische Veränderung bewirke. „Man sieht, wie sich die Körpersprache verändert: Sie wird entspannter, hat Stand- und Spielbein.“ Eine Wand mit kleinformatigen lächelnden Porträts zeigt im Vergleich mit den ernsten Großformaten eine humorvolle Merkel. Die Ausstellung „Herlinde Koelbl. Angela Merkel Portraits 1991-2021“ ist bis zum 4. September zu sehen.

Von Bettina Gabbe (epd)


Bilder mit doppeltem Boden




Karin Kneffel im Max Ernst Museum
epd-bild/Meike Böschemeyer
Karin Kneffel gilt als eine der wichtigsten Vertreterinnen des Neo-Realismus. Das Max Ernst Museum in Brühl widmet der Malerin eine Werkschau. Zu sehen sind vor allem ihre fotorealistischen Interieurs.

Brühl (epd). Auf den ersten Blick scheint alles klar: Ein Dalmatiner liegt auf dem spiegelglatten Boden eines Wohnzimmers, in dem ein bunt geblümter Sessel zum Ausruhen einlädt. Doch bei genauer Betrachtung stimmt hier plötzlich gar nichts mehr. Wieso liegt der Hund mit der Schnauze flach auf dem Boden, während sein Spiegelbild mit erhobenem Kopf nach vorne schaut? Und wie kann der Blick von oben auf den Sessel fallen und sich zugleich auf einer Ebene mit dem liegenden Hund befinden? Die Malerin Karin Kneffel erklärt die Verwirrung, die ihre Bilder auslösen, so: „Die Malerei ist für mich wie ein Haltegriff, der im Moment des Zugreifens verschwindet.“

Das Max Ernst Museum in Brühl versammelt bis zum 28. August rund 80 von Kneffels irritierenden Bildern. Unter dem Titel „Karin Kneffel - Im Augenblick“ präsentiert das Museum Gemälde und Aquarelle aus der Zeit von 2004 bis in die Gegenwart. Kneffel gilt als eine der wichtigsten Vertreterinnen des Neo-Realismus. Die 1957 in Marl geborene Malerin ist bekannt für ihre Gemälde, die Realismus und surrealistische Verfremdung miteinander verbinden. Während ihre Darstellungen bis ins Detail naturgetreu ausgeführt sind, verfremden Spiegelungen, optische Brechungen und räumliche Verzerrungen den realistischen Eindruck.

Humorvolle Tierporträts und Früchtestillleben im Großformat

International bekannt wurde Kneffel, die in Düsseldorf und München lebt, unter anderem mit ihren humorvollen Tierporträts und großformatigen Früchtestillleben. Die Ausstellung in Brühl konzentriert sich auf ihre fotorealistischen Interieurs. „Es ist der Augenblick, der mich als Maler interessiert“, erklärt Kneffel. „Der kurze Zeitmoment, in dem Ruhe und Bewegung nicht existieren.“ Kneffel erschafft Momente, die oberflächlich betrachtet realistisch erscheinen, aber in Wirklichkeit unmöglich sind. Unter scheinbar vertrauten Fassaden tut sich ein zweiter Boden auf.

Die Malerin legt viele ihrer Bilder hinter den Filter einer aus Wassertropfen oder Schlieren bedeckten Fensterscheibe. So zeigt sie etwa den Blick durchs Fenster des Ausstellungsraums eines Kunstmuseums. In den Tropfen an der imaginären Scheibe spiegelt sich das Fenster, durch das der Betrachter eigentlich zu schauen glaubt - eine optische Unmöglichkeit. Ebenso unmöglich wäre es für den Betrachter, sowohl die Tropfen auf der Scheibe so nah zu fokussieren und zugleich den Hintergrund scharf zu sehen. Kneffels Malerei aber macht beides zeitgleich sichtbar.

Trotz dieser Verfremdungen ist der Künstlerin daran gelegen, naturgetreu zu malen. Sie arbeite grundsätzlich nach Fotografien, sagt Kneffel. „Ich will, dass die Bilder plausibel sind.“ So etwa beim Malen eines tristen Siedlungshauses aus den 60er Jahren, das sie fotografierte, weil es sie an ihr eigenes Elternhaus erinnert habe. Vor dem Haus in der Dämmerung ist wie ein Traumbild die auf einem Kissen ruhende Doris Day aus einem Hitchcock-Film eingeblendet, die sich wiederum in einer Fensterscheibe des Hauses spiegelt. Die unheimliche Atmosphäre aus Filmen Alfred Hitchcocks greift Kneffel auch in anderen Bildern auf, indem sie einzelne Szenen herausgreift und wiederum verfremdet.

Auseinandersetzung mit Ludwig Mies van der Rohe

Ein wichtiges Element ihrer Malerei ist die Auseinandersetzung mit den Entwürfen von Ludwig Mies van der Rohe, einer der bedeutendsten Architekten der Moderne. So setzte sie sich mit den Interieurs der 1927/28 von Mies van der Rohe entworfenen Privathäuser für die Familien Esters und Lange auseinander, die heute als Ausstellungsräume des Kunstmuseums Krefeld dienen. Dabei orientierte sich die Malerin an historischen Fotografien der ursprünglichen Inneneinrichtungen.

Ein dreiteiliges Gemälde gewährt einen Blick in ein sachlich modern eingerichtetes Wohnzimmer des Hauses Lange. Die Betrachter werden auf Distanz gehalten: Der voyeuristische Blick geht durch eine mit zahlreichen Tropfen benetzte Fensterscheibe. In ihnen spiegeln sich die gegenüber liegenden Häuser. „Deren Spitzdächer hätten Mies van der Rohe gar nicht gefallen,“ bemerkt Kneffel: Eine humorvolle Anspielung auf die Flachdach-Architektur der Moderne.

Der Prozess des Sehens und Gesehenwerdens ist Kneffels großes Thema. Auch die Betrachtung von Kunst spielt dabei immer wieder eine Rolle. In ihren Bildern zitiert sie Maler der klassischen Moderne wie Ernst Ludwig Kirchner, August Macke oder Pablo Picasso. Aber auch Werke Gerhard Richters, dessen Meisterschülerin sie war, spiegelt sie in ihren Arbeiten. Mittlerweile lehrt Kneffel selbst an der Akademie der Bildenden Künste in München. In einer vierteiligen Serie malte sie ihre eigenen Studenten bei der Betrachtung von Richters Gemälde „Betty“, eines der bekanntesten Werke des Meisters.

Von Claudia Rometsch (epd)


Ping-Pong, Corona und Ukraine-Krieg




Ein Großteil der 100 Kunstwerke entstand in Völklingen direkt vor Ort, so wie eine Arbeit von Icy & Sot..
epd-bild/Oliver Dietze
Mehrere Kilometer Kunst-Parcours - die sechste Urban-Art-Biennale der Völklinger Hütte nutzt dieses Mal nicht nur das Gelände des Weltkulturerbes, sondern auch die Innenstadt. Zugleich ist sie aktueller als jemals zuvor.

Völklingen (epd). Wer den Bahnhof in Völklingen verlässt, entdeckt schnell ein großes Porträt eines älteren Mannes am Saarstahlgebäude. Der Abgebildete ist Kaya Urhan, ehemaliger Hüttenarbeiter in der Völklinger Hütte. Der Künstler Hendrik Beikirch hat es als Denkmal für die Arbeiter des früheren Eisenwerks geschaffen, das heute ein Weltkulturerbe ist. Urhans Schwarz-Weiß-Porträt ist Teil der sechsten Urban-Art-Biennale der Völklinger Hütte, die bis zum 6. November sowohl in der Hütte als auch erstmals in der Völklinger Innenstadt zu sehen ist. Auch die ehemalige Röchling-Bank gehört zu den Ausstellungsorten.

Überall in der Stadt finden sich kleine Urban-Art-Logos mit Pfeilen auf den Bordsteinen - sie weisen den Weg durch die Stadt. Aber auch ein Mediaguide zum Runterladen auf das Smartphone bietet einen Lageplan samt Informationen zu den Kunstwerken. An unterschiedlichen Orten sind kleine Arbeiter mit oranger Warnweste zu entdecken, manche auch mit gelbem Schutzhelm. Eine andere Installation erinnert als Pyramide aus gelben Helmen in der Völklinger Hütte an die Arbeiter. Und an ihrem früheren Unterstand, wo in der Pause geraucht wurde, raucht demnächst ein Miniaturschornstein, der aber auch als Zigarettenablage fungiert.

Künstlerinnen und Künstler aus 22 Ländern beteiligt

Wegen der Corona-Pandemie wurde die seit 2011 alle zwei Jahre stattfindende Biennale von 2021 auf 2022 verschoben. Nun präsentieren insgesamt 76 Künstlerinnen und Künstler aus 22 Ländern rund 100 Werke der Street Art. Da ein Großteil der Kunst direkt vor Ort entstanden sei, sei die Schau aktueller und politischer als sonst, sagt Generaldirektor Ralf Beil. Die Künstlerinnen und Künstler hätten vor Ort diskutiert und gemeinsam ihre Ideen weiterentwickelt.

Der in Brasilien lebende Künstler Rero hat an die Staubwand in Großbuchstaben ein „Hell-O-World“ angebracht - welches sowohl als sinngemäße Höllenwelt oder als ein Hallo an die Welt gelesen werden kann. Konkreter wird es auf dem Dach der Möllerhalle. Dort steht dank des Kanadiers Roadsworth in Hieroglyphenschrift „Defund the War Machine“ (Entzieht der Kriegsmaschinerie die Finanzierung). Eine Botschaft, die sich eher an Außerirdische als an die Menschen vor Ort richtet.

Bezug auf die den Krieg in der Ukraine nimmt etwa eine Weltkarte des Künstlers Ampparito in der Möllerhalle. Die Karte faltet sich genau da, wo sich das ukrainische Kriegs- und Krisengebiet nach dem Überfall Russlands befindet. Das russische Duo Frukty Vrukty hat wiederum an einer Häuserwand in Völklingen einen Teil eines mehrsprachigen Bilder-Wörterbuchs abgebildet - nur auf den Farbteilen, die noch nicht abgeblättert sind. Es stammt ursprünglich aus der Völklinger Hütte und beinhaltet die Sprachen Deutsch, Russisch, Ukrainisch und Polnisch. In dem Werk „Perpetual Ending“ wird der hängende Schriftzug „The End“ mit Nachrichtenbildern bestrahlt. Das Werk des französischen Künstlers Zev fordert einen laut Kurator Frank Krämer heraus, sich mit der eigenen Haltung auseinanderzusetzen.

Bunte Steinkonstruktionen

Um die Gesellschaft und die Haltung dazu geht es auch der portugiesischen Künstlerin Wasted Rita. In einem ganzen Raum sind Werke von ihr mit teils philosophischen Sprüchen zu sehen. Einer heißt übersetzt: „Was für tolle 12.000 Jahre für heterosexuelle, weiße Männer zum Atmen und Lebendigsein.“ Andere Werke kritisieren die Konsumgesellschaft oder zeigen, über Schriftzüge, dass alles „zu viel ist“. Mit der Corona-Pandemie hat sich Pascal Boyart alias PBoy auseinandergesetzt. Angelehnt an die drei Grazien hat er drei nackte Frauen gemalt, die ihren medizinischen Mund-Nasenschutz ablegen - auch vor dem Bild stapeln sich die Masken.

Einen ganz anderen Ansatz verfolgt Jan Vormann. Mit Klemmbausteinen füllt er Löcher in Wänden. Überall in der Völklinger Hütte lassen sich die bunten Steinkonstruktionen finden. Während er in anderen Städten eher einen abstrakten Ansatz verfolge, wolle er in der Völklinger Hütte mit den Steinen auch kleine Räume kreieren, erklärt er. Beim Familiensonntag am 1. Mai können Kinder ihm bei der Arbeit helfen. Und wer Lust auf Tischtennis hat, kann in der Völklinger Innenstadt einen blauen über drei Autos gespannten Ping-Pong-Tisch aufsuchen, Schläger und Bälle liegen auch bereit.

Von Marc Patzwald (epd)


Raubkunst in neuem Licht: Kölner Museum zeigt Benin-Bronzen



Köln (epd). Mit der Sonderausstellungsreihe „I MISS YOU. Über das Vermissen, Zurückgeben und Erinnern“ präsentiert das Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum seine 96 Benin-Bronzen in neuem Licht präsentieren. Vor dem Hintergrund der geplanten Rückgabe der 1897 von britischen Soldaten aus dem Königreich Benin geraubten Hofkunstwerke an Nigeria würden die Werke nun einzeln „in ihrer Individualität inszeniert“, sagte Museumsdirektorin Nanette Snoep am 29. April. Es sei wichtig, den Werken ihre Würde zurückzugeben. Bei der Restitution gehe es nicht um eine bloße Rückgabe. Die Werke seien Symbole für eine schmerzhafte Geschichte, die es neu zu erzählen gelte.

Gezeigt werden die Jahrhunderte alten Kunstwerke aus unterschiedlichsten Materialien wie Messing, Elfenbein, Koralle und Holz. Sie stammen aus dem Königreich Benin, das im heutigen Edo State in Nigeria liegt. Benin gehört zu den wichtigsten Königreichen der afrikanischen Geschichte. Es besteht seit dem 12. Jahrhundert und war von 1897 bis 1960 Teil der britischen Kolonie Nigeria. Während der Hochphase der kolonialen Kriege auf dem afrikanischen Kontinent wurden Tausende Hofkunstwerke 1897 aus dem Palast des Königreichs Benin von britischen Soldaten geraubt und gelangten über britische Versteigerungshäuser in europäische und amerikanische Museen.

Museen werden zu Orten der „globalen Reparatur“

Nanette Snoep versteht die Museen in der Debatte über diese Folgen der Kolonialisierung als Orte der „globalen Reparatur“. Alle Objekte aus Benin, die das Museum bewahre, seien „Erinnerungsspeicher von individuellen und kollektiven Schicksalen“. Die Eigentumsübertragungen müsse man positiv sehen als Weg in eine postmigrantische Gesellschaft. Museen könnten dabei Wegweiser sein.

Gleichzeitig wolle man miteinander ins Gespräch kommen. Dafür habe das Museum ein digitales Benin-Journal eingerichtet. „Wir füllen die noch leeren Seiten aber nicht allein, wie wir das früher getan haben“, sagte die Museumsdirektorin. „Wir laden die Menschen aus Nigeria und die in der deutschen Diaspora ein, sich zu beteiligen.“ So gesehen sei die Ausstellung auch ein wichtiges digitales Projekt, da sich Menschen weltweit vernetzen könnten.

Nigerianische Botschafter lobt Zusammenarbeit

Der nigerianische Botschafter Yusuf Maitama Tuggar würdigte die Zusammenarbeit für ein Rückgabe-Konzept zwischen Nigeria und der Stadt Köln. „Natürlich sind sich alle einig, dass die Kolonisation falsch war. Wir lernen durch die Zusammenarbeit viel voneinander. Das Rautenstrauch-Joest-Museum spielt dabei eine sehr wichtige Rolle.“

Eine Vereinbarung zwischen dem Auswärtigen Amt und der National Commission for Migerian Museums and Monuments vom 13. Oktober 2021 sieht eine vollständige Eigentumsübertragung der Benin Hofkunstwerke an Nigeria im Laufe des Jahres 2022 vor. Derzeit wird in Benin-City das Edo Museum of West African Art gebaut, das zahlreiche Kunstwerke bis 2025 aufnehmen wird. Andere werden als Leihgaben von Nigeria weiterhin in deutschen Museen zu sehen sein.



Frankfurter Caricatura zeigt 300 Arbeiten von Klaus Stuttmann




Klaus Stuttmann vor der "Merkel-Wand"
epd-bild/Tim Wegner

Frankfurt a.M. (epd). Das Caricatura-Museum in Frankfurt am Main präsentiert herausragende politische Karikaturen von Klaus Stuttmann. Bis zum 3. Oktober seien mehr als 300 Arbeiten des Künstlers aus den vergangenen 30 Jahren ausgestellt, sagte Kuratorin Stefanie Rohde am 26. April. Im Mittelpunkt stünden Zeichnungen seiner Lieblingsfigur Angela Merkel. Zudem seien Illustrationen für den 2008 erschienenen Museumsführer „Fit fürs Museum“ sowie das Weinmagazin „enos“ zu sehen. Ergänzt werde die Schau durch eine Auswahl von Radierungen, Plastiken und „Making Offs“.

Klaus Stuttmann wurde 1949 in Frankfurt geboren und wuchs in Leinfelden-Echterdingen bei Stuttgart auf. Der in Berlin lebende Künstler gehöre zu den renommiertesten tagespolitischen Karikaturisten in Deutschland, hob der Leiter der Caricatura, Achim Frenz, hervor. Seine Arbeiten seien „kritische Kommentare, oftmals auch provokanter Gegenentwurf zum politischen Mainstream“. Mit „feinen Strichen und pointiertem Wortwitz“ decke er auf, stelle bloß, ecke an.

Stuttmann studierte Kunstgeschichte in Tübingen und an der Technischen Universität Berlin, wo er 1976 den Magister-Titel in Geschichte und Kunstgeschichte erwarb. Seitdem ist er autodidaktisch als freiberuflicher Karikaturist tätig. Aktuell erscheinen seine Arbeiten fast täglich im „Tagesspiegel“ sowie regelmäßig unter anderem im „Weser-Kurier“, der „Leipziger Volkszeitung, der “taz„ und der “Hannoverschen Allgemeinen Zeitung„. Der Künstler wurde vielfach ausgezeichnet, etwa 1997 mit dem “Deutschen Preis für politische Karikatur„ und 2016 mit dem “Deutschen Karikaturenpreis".



EuGH weist Klage gegen "Uploadfilter" im Urheberrechtsgesetz ab



Sie waren für Internetaktivisten ein rotes Tuch: Die "Uploadfilter" schafften es dennoch, wenn auch nicht unter diesem Begriff, in das 2019 reformierte EU-Urheberrecht. Jetzt hat der Europäische Gerichtshof dazu ein maßgebliches Urteil gefällt.

Brüssel, Luxemburg (epd). Die als „Uploadfilter“ bekannten Überwachungspflichten für Internetbetreiber sind rechtens. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) urteilte am 26. April in Luxemburg, dass die Bestimmungen aus dem EU-Urheberrecht zwar die Meinungsfreiheit der Nutzer einschränken. Dies verfolge aber das legitime Ziel des Schutzes der Rechte des geistigen Eigentums und sei verhältnismäßig. Der EuGH wies damit eine Klage Polens ab. (AZ: C-401/19)

Die 2019 verabschiedete EU-Richtlinie zum Urheberrecht legt die Haftung der Anbieter von Internetdiensten wie zum Beispiel Youtube mit Blick auf geschützte Werke wie Filme und Musikstücke fest. Die Dienste haften demnach beim Hochladen urheberrechtlich geschützter Werke durch Nutzer.

Nutzerinhalte „aktiv überwachen“

Sie können sich aber von der Haftung befreien, erläuterte der EuGH. Dafür müssen sie die hochgeladenen Nutzerinhalte de facto „aktiv überwachen“ und je nach Menge der Nutzerinhalte und Art der geschützten Werke auf „Instrumente zur automatischen Erkennung und Filterung“ zurückzugreifen. Dahinter stecken die sogenannten Uploadfilter. Polen klagte, weil diese Bestimmung aus Artikel 17 der Richtlinie die Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit verletze.

Der EuGH führte zur Abweisung der Klage aus, dass der Gesetzgeber Vorkehrungen gegen ein übermäßiges Filtern und Sperren getroffen habe. Dementsprechend sei „ein Filtersystem, bei dem die Gefahr bestünde, dass es nicht hinreichend zwischen einem unzulässigen Inhalt und einem zulässigen Inhalt unterscheidet“, mit der Meinungsfreiheit unvereinbar.

Das Gericht verwies ferner auf die Ausnahmen. So müssen die EU-Staaten zum Beispiel sicherstellen, dass die Nutzer geschützte Werke für Parodien weiter nutzen dürften. Ein weiterer Punkt, der aus Sicht des EuGH die Einschränkung der Meinungsfreiheit rechtfertigt, sind die Verfahrensgarantien für Nutzer, wenn Internetanbieter legale Inhalte irrtümlich oder ohne Grundlage sperrten.

Der Verband der Internetwirtschaft eco nannte das Urteil ein „schlechtes Signal für die Meinungsfreiheit im Netz“. Für die betroffenen Unternehmen bedeute es weiter Rechtsunsicherheit darüber, was sie tun müssten, um nicht von Rechteinhabern in Anspruch genommen zu werden.

Kritik vom Branchenverband

Der Branchenverband Bitkom urteilte: „Uploadfilter bleiben faktisch bestehen, was dem Grundgedanken des freien Internet diametral gegenübersteht.“ Zugleich erklärte der Verband, da die meisten Plattformen Lizenzverträge mit Verwertungsgesellschaften abgeschlossen hätten, seien automatische Blockierungen selten nötig.

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte nannte das Urteil hingegen „eine wichtige Weichenstellung für den Schutz der Meinungsfreiheit im Netz“. Denn der EuGH habe die EU-Staaten „zu einer grundrechtskonformen Umsetzung der Regelung“ verpflichtet. Sie müssten dafür sorgen, dass legale Uploads nicht gesperrt würden.

Der Europaabgeordnete der Piratenpartei Patrick Breyer erklärte, die bisherigen Uploadfilter-Verfahren von Konzernen wie Facebook oder Google genügten den hohen Anforderungen des EuGH nicht.



Medienverband: Existenz konfessioneller Medien besonders bedroht



Besonders konfessionelle Medien sind von einer existenziellen Krise bedroht, warnt der Medienverband der freien Presse. Ihre überwiegend ältere Leserschaft schrumpfe kontinuierlich, das Etablieren digitaler Angebote sei nur begrenzt möglich.

Berlin (epd). Besonders konfessionelle Medien in Deutschland sind dem Medienverband der freien Presse (MVFP) zufolge von einer existenziellen Krise in der Zeitschriftenbranche betroffen. „Wenn die aktuelle Entwicklung weiter anhält, werden bis 2024 30 Prozent der Fachmedien, bis zu 80 Prozent der konfessionellen Medien und 20 Prozent der Publikumszeitschriften in ihrer Existenz stark gefährdet sein“, sagte der Vizepräsident des Medienverbandes, Philipp Welte, auf der Jahrespressekonferenz am 26. April in Berlin.

Bis 2024 sei ein Großteil der durch den Verband vertretenen konfessionellen Zeitschriftentitel, unter ihnen Bistumsblätter und Kirchenzeitschriften, nicht mehr in der Lage, ihre bisherigen Geschäftsmodelle rentabel weiterzuführen, heißt es in einer 2021 durchgeführten repräsentativen Branchenanalyse der Unternehmensberatung Schickler. Ihre eher ältere Leserschaft schrumpfe besonders stark, darüber hinaus kämpften die Titel damit, dass das Interesse für Themen des Glaubens und der Kirche bei der jüngeren Zielgruppe abnehme.

Auch nicht-konfessionelle Zeitschriftentitel und deren Verlage seien „existenziell bedroht“, warnte Welte weiter. Grund dafür seien neben den Auswirkungen der Corona-Pandemie sowie den Auswirkungen des Angriffskrieges in der Ukraine auch die dramatisch steigenden Energie- und Papierpreise und die kontinuierlich zunehmenden Postzustellkosten.

„Gesunde Demokratie braucht gesunde Verlage“

„Wir sind in extremen Zeiten. Das Risiko irreparabler Schäden für die Pressefreiheit und die Pressevielfalt in diesem Land ist hoch“, sagte Stephan Scherzer, Bundesgeschäftsführer des Medienverbandes. Da die Branchenanalyse unter anderem die aktuell steigenden Energiekosten nicht berücksichtige, könne die Bedrohung einzelner Verlage deutlich akuter sein. Dies betreffe mindestens ein Drittel der insgesamt über 7.000 durch den Medienverband vertretenen Zeitschriftentitel.

Die schlechte Prognose für das Überleben deutscher Zeitschriftenverlage löst in Welte außerdem eine Sorge um die Stabilität der Demokratie in Deutschland und Europa aus. „Eine gesunde Demokratie braucht gesunde Verlage, denn die freie Presse ist unverzichtbar für die Stabilität und die Vielfalt unserer pluralistischen Gesellschaft“, sagte er. Weder die Freiheit an sich, noch das Überleben der freien Presse seien im 21. Jahrhundert jedoch eine Selbstverständlichkeit.

Der Verband vertritt seit April 2022 die Interessen deutscher Zeitschriftenverlage beim Bund, in den Bundesländern sowie bei der Europäischen Union. Nach einem grundlegenden Reformprozess ist er aus dem Verband Deutscher Zeitschriftenverleger entstanden.



Mehr Chefinnen in den Rundfunkanstalten




Die Deutsche Welle hat mit den höchsten Frauenanteil in Führungsetagen.
epd-bild/Meike Böschemeyer
An der Spitze des öffentlich-rechtlichen Rundfunks stehen häufiger Frauen als früher. Die privaten Sender setzen dagegen weiter auf Männer in den Chefetagen. Der Verein ProQuote hält das für einen Fehler.

Hamburg (epd). In den Führungsetagen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist der Frauenanteil in den vergangenen drei Jahren merklich gestiegen. Eine völlige Gleichstellung werde allerdings nur bei wenigen Sendern erreicht, erklärte der Verein ProQuote Medien am 27. April in Hamburg. Vor allem im privaten Rundfunk und in der Sportberichterstattung seien die Zahlen enttäuschend.

Bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und der Deutschen Welle waren 2021 laut ProQuote Medien im Durchschnitt 44,7 Prozent der Leitungsstellen für Programm und Redaktion von Frauen besetzt. Gewichtet nach Hierarchieebenen waren es 43,4 Prozent (ohne Arte). 2018 lag der Anteil noch bei 37,7 Prozent. Die Rundfunkräte sind zu 40,3 Prozent mit Frauen besetzt, die Verwaltungsräte mit 38,8 Prozent.

Zwei Sender mit Geschlechter-Parität

Der Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) mit 57,4 Prozent und die Deutsche Welle (DW) mit 50,8 Prozent hatten den höchsten Frauenanteil. Dass damit zwei Sender zur Geschlechter-Parität gekommen sind, sei „ein ermutigendes Signal“, sagte Edith Heitkämper, Vorsitzende von ProQuote Medien. Der Saarländische Rundfunk (SR) kommt auf einen Frauenanteil von 36,1 Prozent, der Hessische Rundfunk (HR) nur auf 29,4 Prozent.

Gabriele Holzner, stellvertretende HR-Intendantin, führt das schlechte Abschneiden auch auf den starken Stellenabbau zurück, der offensichtlich viele Frauen betroffen habe. Der HR bemühe sich um eine neue Führungskultur, nach der Programmentscheidungen häufiger auf unteren Hierarchie-Ebenen getroffen werden. Ein großes Hindernis für mehr Geschlechtergerechtigkeit ist aus ihrer Sicht, dass sich Frauen zu selten für Führungsposten bewerben.

Sportberichterstattung Männersache

Der private Rundfunk stellte dem Verein nach eigenen Angaben keine Organigramme zur Verfügung, so dass ein Vergleich mit den öffentlich-rechtlichen Anstalten schwierig sei. Nach vorliegenden Zahlen sei der Anteil an Frauenführung bei RTL im Zuge der Fusion mit Gruner+Jahr weiter gesunken, hieß es. Im Top-Management für das Programm seien mit 13,8 Prozent kaum Frauen vertreten. Gering ist der Einfluss von Frauen laut ProQuote auch in der Sportberichterstattung. In den Leitungspositionen der privaten und der öffentlich-rechtlichen Sender dominierten weiterhin Männer.

Grundlage der Zählung waren Organigramme und Selbstauskünfte der öffentlich-rechtlichen Sender sowie der Deutschen Welle. Je nach Hierarchieebene wird der Frauenanteil gewichtet. So wird etwa die Position der Intendantin vierfach gewertet. Erhoben wurden die obersten vier Hierarchieebenen im Bereich Redaktion und Programm. Der gemeinnützige Verein ProQuote Medien untersucht seit 2012 die Frauenanteile in journalistischen Führungspositionen ausgewählter deutscher Medien.



Arte wird 30 Jahre alt




Arte-Sitz in Straßburg
epd-bild/ARTE
Arte ist längst nicht mehr nur deutsch-französisch. Im Jahr des 30. Geburtstags kündigt der Sender weitere Kooperationen für eine europäische Öffentlichkeit an. Ein Jubiläumsprogramm ist auch geplant.

Straßburg, Baden-Baden (epd). Der deutsch-französische Sender Arte will noch stärker als bisher auf die europäische Verständigung setzen. „Wir arbeiten an einer europäischen Öffentlichkeit für unsere Inhalte, die es vielleicht so noch gar nicht gibt“, sagte der deutsche Vizepräsident Peter Weber am 27. April in einer digitalen Pressekonferenz zum 30. Geburtstag des Senders. „Nur wer sich versteht, nur wer im Dialog miteinander kommuniziert, kann sich verbinden und versuchen, Konflikte zu überwinden.“ Arte ging am 30. Mai 1992 an den Start.

Zusammen mit neun weiteren europäischen öffentlich-rechtlichen Sendern könnten zurzeit pro Jahr Hunderte Programme produziert werden, die ein Fenster auf den kulturellen Schatz Europas öffneten, betonte der französische Arte-Präsident Bruno Patino. Diese Rolle als Netzwerksender wolle Arte weiter ausbauen. Gespräche laufen den Angaben zufolge mit dem spanischen Fernsehen RTVE, dem litauischen Fernsehen LRT und weiteren baltischen Staaten.

Neues Nachrichtenangebot auf Englisch und Spanisch

Außerdem bildeten Angebote in der Muttersprache der Europäer eine der strategischen Achsen für die zukünftige Entwicklung des Senders, betonte Patino. Online könnten Untertitel auf Polnisch, Spanisch, Englisch und Italienisch abgerufen werden, sodass rund 70 Prozent der Menschen in Europa Inhalte in ihrer Muttersprache anschauen könnten. Seit kurzem bietet Arte auch eine Auswahl an Sendungen auf ukrainischer und russischer Sprache an. Für den Herbst kündigte der französische Arte-Präsident ein wöchentliches Nachrichtenangebot auf Englisch und Spanisch an.

Im vergangenen Jahr erzielte Arte den Angaben zufolge einen Marktanteil von 1,3 Prozent in Deutschland und 2,9 Prozent in Frankreich. Die Mediathek habe einen Reichweitenzuwachs zwischen 2019 und 2021 von 68 Prozent verzeichnet. Für seine digitalen Angebote auf arte.tv und Drittplattformen wie Youtube, Facebook oder Instagram zählte Arte 2021 mehr als 1,8 Milliarden Videoaufrufe. Diese Abrufe fielen vor allem auf die Gruppe der 25- bis 34-Jährigen, betonte Weber. Im Schnitt seien die Arte-Nutzer in den sozialen Netzwerken 25 Jahre jünger als das durchschnittliche Fernsehpublikum.

Laut Patino ist Arte gleichzeitig „ein linearer Fernsehsender, eine nicht-lineare Mediathek, aber auch ein Sender in den sozialen Medien“. „In einem krisenerschütterten Europa ist es wichtiger denn je, unseren Beitrag für die Kultur in Europa, für ihre Strahlkraft und ihr Wirken über nationale Grenzen hinaus, zu leisten.“ Heutzutage sei es essenziell, Arte als Referenzlabel für die europäische Kultur zu festigen.

Geburtstagswoche mit Konzerten, Serien und Spezialausgaben

Zu seinem Jubiläum veranstaltet der Sender vom 27. Mai bis zum 3. Juni eine Geburtstagswoche mit Konzerten, Serien, Filmen, Dokumentationen und Spezialausgaben der deutsch-französischen Erklärsendung Karambolage. Am Jubiläumstag (30. Mai) läuft der mehrfach ausgezeichnete animierte Dokumentarfilm „Flee“ von Jonas Poher Rasmussen. Einen Tag später startet die sechsteilige Reihe „Europa. Kontinent im Umbruch“ zur Zeitenwende in Europa, in der auch der Krieg in der Ukraine vorkommt.

Für Juni kündigte der Sender unter anderem das Projekt „Generation Africa“ an. 25 Filmemacherinnen und Filmemacher aus 16 afrikanischen Ländern blicken in Dokumentarfilmen auf das Thema Migration. 80 Prozent der afrikanischen Migration finde innerhalb des Kontinents statt. Das Projekt sei eine erstmalige Kooperation zwischen den englisch- und französischsprachigen Regionen.



Ruhrtriennale 2022 beschäftigt sich mit Tod und ökologischem Leben




Das Welterbe Zeche Zollverein ist einer von acht Spielorten des Festivals.
epd-bild/Ekkehart Reinsch
Tod und Sterben, Folgen des Kapitalismus und die Suche nach ökologisch verträglichem Leben sind Themen der diesjährigen Ruhrtriennale. Ziel des Festivals ist es laut der Intendantin, zu Dialogfähigkeit in schwierigen Zeiten beizutragen.

Bochum (epd). Die Ruhrtriennale 2022 beschäftigt sich in 107 Aufführungen von Musik, Tanz und Theater mit dem Thema Tod und Sterben sowie mit der Suche nach ökologisch verträglichem Leben. Zudem würden im diesjährigen Programm vom 11. August bis zum 18. September die Folgen des Kapitalismus für Gesellschaften beleuchtet, erklärte das Leitungsteam der Ruhrtriennale 2022 am 28. April in der Turbinenhalle in Bochum.

Eröffnet wird das „Festival der Künste“ mit den Mysteriensonaten des Barock-Komponisten Heinrich Ignaz Franz Biber. Er schildert das Leben Jesu aus der Perspektive der Mutter Maria. Die Musik wird zeitgleich am Abend des 11. August in der Jahrhunderthalle in Bochum, der Zeche Zollverein in Essen und dem Landschaftspark Duisburg-Nord aufgeführt.

Intendantin Barbara Frey bezeichnete das Festival als einen Beitrag dazu, dass Menschen in schwierigen Zeiten im Dialog bleiben müssten. Sie selbst werde bei dem Festival mit Schauspielerinnen und Schauspielern des Wiener Burgtheaters das Theaterstück „Das weite Land“ von Arthur Schnitzler inszenieren. Darin gehe es darum, wie Menschen in einer kapitalistischen Gesellschaft Sprache und unmittelbaren Kontakt miteinander verlören.

Festival nimmt auch die Ukraine in den Blick

Auch die Ukraine ist Thema des Festivals: Die beiden ukrainischen Musikerinnen Alla Zagaykevitch und Yana Shlybanskaya, die bei einer früheren Ruhrtriennale aufgetreten waren, veröffentlichen auf der Web-Seite des Festivals neue Arbeiten. So sei „ihre Präsenz im Festival gesichert, obwohl sie selbst nicht hier sein können“, sagte Intendantin Frey. Ein ein Film für das Stück „Euphoria“ wurde noch vor dem Krieg in Kiew gedreht.

Ausdrücklich mit Sterben und einem möglichen Weiterleben nach dem Tod beschäftigt sich nach Worten der Regisseurin Elisabeth Stöppler das Musikstück „Ich gehe unter lauter Schatten“. Vier Sängerinnen führen Stücke zu Texten des Schweizer Dichters Alexander Gwerder auf, die vom Übergang vom Leben zum Tod handeln. Die Faszination des Geldes und der Geldströme im digitalen Zeitalter thematisiert „Euphoria“ mit Tanz und Performances.

Eine Theaterkompanie aus Litauen hat sich für die Aufführung „Respublika“ wochenlang in Wälder zurückgezogen, um im Selbstversuch Möglichkeiten eines ökologisch und sozial-verträglichen Zusammenlebens zu probieren. Das Ergebnis zeigen sie am 17. September in einer sechsstündigen Vorstellung, in der in der Jahrhunderthalle Bochum kleine Häuser, der Wald sowie eine Sauna nachgebaut werden. Das Publikum könne, so Gerstenberg, mit den Darstellerinnen und Darstellern agieren oder sich von oben die Szenerie anschauen.

Auch Literatur soll bei der Ruhrtriennale 2022 ein Rolle spielen. Die Schauspielerin Corinna Harfouch und der Schauspieler Joachim Krol, der aus dem Ruhrgebiet stammt, lesen Werke von Wolfgang Hilbig (1941-2007). Hilbig, der als Heizer im Kohleabbau in Thüringen gearbeitet hatte, beschäftigte sich in seinem Werk mit Arbeit und Natur.



Codewort Einsiedler



Er ist der große Unbekannte: Der US-Amerikaner Thomas Pynchon ("Die Enden der Parabel") gilt als Kultautor der Moderne, tritt jedoch nie öffentlich auf. Interviews und Fotos verweigert er grundsätzlich. Nun wird er 85 Jahre alt.

Frankfurt a. M. (epd). Ob er noch einmal einen Roman veröffentlichen wird? Und wenn nicht, was hat er die letzten neun Jahre seit Erscheinen von „Bleeding Edge“ gemacht? - Zwischen Thomas Pynchon und seiner treuen Fangemeinde herrschen klare Verhältnisse: Dauert es etwa fünf Jahre zwischen dem letzten und dem neuen Buch, können sie sich auf etwa 500 Seiten freuen, dauert es acht Jahre oder länger, kommt wieder ein Tausender; und Thema oder Inhalt werden ohnehin erst ein paar Tage vor Erscheinen bekannt gegeben.

Der große Unbekannte, der am 8. Mai 85 wird, hat noch nie ein offizielles Interview gegeben und äußerst selten Erklärungen verbreiten lassen. Seine Helden sind Außenseiter und Freaks, seine Bücher voller mysteriöser Verschwörungen und intellektueller Anspielungen: Thomas Pynchon gilt als Kultautor der Moderne, zeigt sich aber nie öffentlich.

Solidarität mit Rushdie

Nur als über Salman Rushdie die Fatwa verhängt wurde, entschloss Pynchon sich zu einer politischen Stellungnahme und solidarisierte sich mit dem Autor. Rushdie wollte Jahre später nicht nur seinen Dank abstatten, sondern die Gelegenheit beim Schopf packen und das bei einem persönlichen Treffen tun.

Was man weiß: Pynchon ist mit seiner Literaturagentin Melanie Jackson verheiratet und beide haben einen Sohn. Über den Verlag wurde also Jackson kontaktiert, Pynchon stimmte einem Treffen in New York zu und so konnte Rushdie in seiner Autobiografie „Joseph Anton“ folgendes Porträt des Autors liefern: „Er sah genauso aus, wie Thomas Pynchon aussehen musste: groß, rotweiß kariertes Holzfällerhemd und Jeans, weiße Albert-Einstein-Frisur und Bugs-Bunny-Zähne.“

Was an Informationen bleibt, sind Lebensdaten, ein paar Fotos aus jungen Tagen in den 50ern, ein paar dürre Informationen und vor allem die Bücher: Acht Romane, ein Band Kurzgeschichten, ein paar wenige Gelegenheitstexte. Thomas Pynchon wurde 1937 auf Long Island, New York, geboren, war Student der Physik und der englischen Literatur. „Später schrieb er für Boeing technische Handbücher und verschwand“, so steht es auf der Homepage seines deutschen Verlages Rowohlt.

Verschwörung und Entropie

1963 erschien dann mit dem Roman „V“ nicht nur der Beleg, dass Pynchon sein Metier meisterlich beherrscht. „V“ und der drei Jahre später erscheinende Roman „Die Versteigerung von No. 49“ wiesen bereits alle Eigenschaften und Hauptmotive seines literarischen Schaffens aus: Eine verschlungene Handlung, zahlreiche Haupt- und Nebenfiguren, eine umfassende naturwissenschaftliche Bildung, die immer wieder auftauchenden und endlos variierten Motive Verschwörung und Entropie.

1973 folgt der literarische Durchbruch mit „Gravity's Rainbow“ („Die Enden der Parabel“), einem gut tausendseitigen Romanwerk. Es spielt Ende des Zweiten Weltkriegs in Westeuropa - unter anderem in Peenemünde, wo unter den Nazis an neuen Waffen geforscht worden war, etwa an der V2-Rakete, deren parabelhafte Flugkurve bereits im Titel auftaucht.

Die Vielzahl von Handlungssträngen, geheimdienstlichen Verschwörungen der Nazis wie der Alliierten, ein kaum überschaubares Personal - ist „Gravity's Rainbow“ ein neuer „Ulysses“ und der große postmoderne Roman, oder vielleicht doch überkandidelte Hochstapelei? - Wahrscheinlich ersteres, von William Gaddis über David Foster Wallace bis zu jüngeren Autoren wie Joshua Cohen haben sich Generationen von nachfolgenden Autoren auf Pynchon und sein Hauptwerk bezogen.

Mit „Mason & Dixon“ (1997) und „Gegen den Tag“ (2006) folgten zwei weitere Großwerke, daneben mit „Vineland“ (1990), „Natürliche Mängel (2009) und “Bleeding Edge" (2013) eher überschaubare und leichter zugängliche Romane. Gemeinsam ist ihnen allen eine ungeheure Fülle von Anspielungen, die Heerscharen von Exegeten auf den Plan gerufen hat, und ein souveränes Beherrschen alles Genres und Stile. Ob historischer Roman, Gesellschafts- oder Großstadtroman - Pynchons Werke sind immer eine Mischung aus Hoch- und Popkultur, Gedichten, Comic-haften Szenen, surrealen Episoden, Witzen, theologischen oder naturwissenschaftlichen Exkursen.

Will keine öffentliche Figur sein

Seine Bedeutung als einer der einflussreichsten und wichtigsten Autoren der US-amerikanischen und Weltliteratur ist unstrittig, doch was ist das nun für ein Mensch, der als erfolgreichster Einsiedler aller Zeiten gilt? Ein Fernsehteam des US-Senders CNN stöberte ihn nach langer Recherche Ende der 90er Jahre tatsächlich in New York auf. Pynchon gestattete jedoch nicht die Verwendung von Bildern, lediglich ein Statement von ihm wurde überliefert: „Ich glaube, Einsiedler ist ein Code-Wort von Journalisten, das bedeutet: Möchte nicht mit Reportern reden.“

Auf den Punkt gebracht hat es auch der Kritiker Arthur Salm: „Der Mann hat sich entschieden, keine öffentliche Figur zu sein. Nun, wenn Pynchon und Paris Hilton sich jemals treffen würden - die Umstände allerdings, fürchte ich, liegen jenseits unserer Vorstellungskraft - wäre das Ergebnis wohl eine Materie-Antimaterie-Explosion, die von hier bis Tau Ceti IV alles verdampfen lässt.“ Aber diese Explosion hat nicht stattgefunden, und so sitzt er vielleicht in New York mit seinem Holzfällerhemd am Schreibtisch und hat noch ein dickes Werk für seine Fans bereit. Müsste dann wohl ein Tausender werden.

Von Mario Scalla (epd)


Rheinische Kirchen bieten Raum für Kunstprojekt zu Pfingsten




Kirchenfenster mit Taube als Symbol für den Heiligen Geist
epd-bild/Rolf Zöllner

Düsseldorf (epd). Mit Gottes Geist und dem menschlichen Atem setzen sich Künstler in einem dezentralen kirchlichen Projekt zu Pfingsten auseinander. Fünf Kirchen der Evangelischen Kirche im Rheinland bieten fünf Künstlerinnen und Künstlern Raum, den hebräischen Begriff „Ruach“ zu interpretieren, wie die zweitgrößte Landeskirche am 25. April in Düsseldorf ankündigte. Ruach stehe für den fließenden Atem des Menschen, den wehenden Wind in der Natur und für den alles durchströmenden Geist Gottes.

In der Kölner Christuskirche wird sich Aurel Dahlgrün betätigen, in der Johanneskirche Düsseldorf der Künstler Aljoscha, wie die rheinische Kirche ankündigte. Johanna Reich erhält eine Ausstellungsfläche im Kunstraum Notkirche Essen, Holger Hagedorn zeigt seine Interpretation in der Trierer Konstantinbasilika, der evangelischen Kirche zum Erlöser. In der Johanneskirche Saarbrücken erhält Dorothee Bielfeld Raum für ihre Auseinandersetzung mit dem hebräischen Begriff Ruach. Einzelheiten zum Projekt will die Landeskirche am 9. Mai in Düsseldorf vorstellen.

Pfingsten ist nach Ostern und Weihnachten das dritte große Fest im Kirchenjahr. Es wird dieses Jahr am 5. Juni gefeiert. Der Name Pfingsten geht auf das griechische Wort „pentekoste“ (der Fünfzigste) zurück, weil das Pfingstfest seit etwa Ende des vierten Jahrhunderts 50 Tage nach Ostern gefeiert wird. Es ist auch ein Symbol für Kreativität und Neuanfang. Den biblischen Berichten zufolge schenkt Gott seit Pfingsten seinen Geist nicht mehr einzelnen Auserwählten, sondern allen Christen.



Sonderausstellung in Münster über 500 Jahre Lutherbibel



Münster (epd). Das Bibelmuseum der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster präsentiert vom 3. Mai bis 13. November die Sonderausstellung „dass man Deutsch mit ihnen redet - 500 Jahre Lutherbibel“. Anlass ist die Veröffentlichung der Bibel-Übersetzung von Martin Luther, die sich im September zum 500. Mal jährt, wie die Universität am 26. April in Münster mitteilte.

Unter den Exponaten befinden sich den Angaben zufolge unter anderem deutsche Handschriften aus dem 15. Jahrhundert, eine Bibel von 1475 und die Grafik „Junker Jörg“, die den Reformator in einfacher Kleidung darstellt. Außerdem sind Haushaltsobjekte von Martin Luther sowie ein Reiselöffel aus Silber zu sehen.



Museum unter Tage zeigt Ausstellung "Die Kraft des Staunens"



Bochum (epd). Das Museum unter Tage in Bochum zeigt vom 4. Mai bis 9. Oktober die Ausstellung „Die Kraft des Staunens“. Sie widme sich einer neuen Auffassung in der Bildenden Kunst und den Wissenschaften, die Materialien nicht mehr als leblose, passive Dinge betrachte, sondern ihre aktive Gestaltungsmacht hervorhebe, kündigte das Museum an. Zu sehen seien 26 Skulpturen, Installationen, Aquarelle, Textilarbeiten, Digital- und 3D-Drucke sowie ein Film.

Die Arbeiten von Ilana Halperin, Agata Ingarden, David Jablonowski, Markus Karstieß und dem dänischen Künstlerkollektiv Superflex aus Materialien wie Gesteinen, Ton, Gewürzen oder Pilzen seien teilweise extra für die Schau entwickelt worden, hieß es. Ilana Halperin habe etwa alte Terrakotten von der schottischen Isle of Bute geborgen und von kalkhaltigem Quellwasser der Fontaines Pétrifiantes in der französischen Auvergne mit einer festen weißen Kruste überziehen lassen. David Jablonowski habe aus einem Steinbruch in der Nähe von Bochum Jahrmillionen alten Sandstein ausgewählt und mit 3D-Drucken aus der Hochtechnologie verschnitten.

Gleichzeitig rekonstruiere die Ausstellung das Werk von Robert Smithson (1938-1973), das dieser in den Jahren 1968/69 im Rheinland und im Ruhrgebiet aus Kompost, abgestorbenen Bäumen und Spiegeln geschaffen habe, hieß es weiter. Im Mittelpunkt stehe dabei die ikonische Arbeit „Indoor Mirror Displacement (Tree from Langenfeld, Germany)“ aus dem Jahr 1969. Smithsons Verständnis für Geologie und Naturgeschichte als Partner von Kunst und Kultur habe die Kunstgeschichte verändert und die Künstler dieser Ausstellung stark beeinflusst.




Entwicklung

Schulze: Auch in Afrika sind Folgen des Ukraine-Krieges spürbar




Svenja Schulze (erste Reihe 4.v.r.) nach einem Treffen mit der stellvertretenden Vorsitzenden der AU-Kommission, Monique Nsanzabaganwa (erste Reihe 3.v.r.) und anderen AU-Vertretern.
epd-bild/Mey Dudin
Heuschreckenplagen, die Corona-Pandemie, der Klimawandel und nun auch der Ukraine-Konflikt bringen viele afrikanische Länder an ihre Grenzen. Bei einem Besuch der Afrikanischen Union wirbt Entwicklungsministerin Schulze für Zusammenarbeit.

Addis Abeba (epd). Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze hat bei der Afrikanischen Union (AU) für eine Zusammenarbeit im Kampf gegen Hungersnöte geworben und warnt vor Brot-Unruhen. „Auch in Afrika sind die dramatischen Folgen des Angriffskriegs Russlands spürbar und schmerzhaft“, sagte sie am 26. April in Addis Abeba mit Blick auf den Ukraine-Krieg. „Wenn Lebensmittel und Energie teurer werden, verschärft das bestehende Hungerkrisen.“ Die Nahrungsmittelkrise dürfe nicht zu einer Destabilisierung weiter Regionen Afrikas führen, betonte sie.

Schulze hatte in der vergangenen Woche bei der Weltbank-Frühjahrstagung ein Bündnis für globale Ernährungssicherung vorgeschlagen, um die drohende Krise zu mildern. Am Sonntag und Montag hat sie den krisengebeutelten Libanon besucht. Wie der Libanon und andere arabische Staaten sind auch viele Länder Afrikas auf Getreideimporte aus der Ukraine und Russland angewiesen. Deshalb warb die Ministerin bei der AU für eine Mitarbeit in dem Bündnis. Dafür kam sie mit der Vize-Vorsitzenden der AU-Kommission, Monique Nsanzabaganwa, sowie mit weiteren Kommissaren zusammen. Schulze sagte, die Initiative sei auf große Zustimmung gestoßen.

Verteuerung von ein Prozent stürzt Millionen in Armut

Wenn infolge des Ukraine-Krieges Preise weiter steigen und Liefermengen schrumpfen, könnten deutlich mehr Menschen in Hunger gestürzt werden. Experten gehen davon aus, dass jedes Prozent mehr bei den Lebensmittelpreisen dazu führt, dass weitere zehn Millionen Menschen auf der Welt in Armut und Hunger abrutschen.

Laut Schulze befürchtet die Afrikanische Union, dass steigende Brotpreise zu Unruhen führen könnten. Viele Staaten auf dem Kontinent subventionierten Brot, doch angesichts der Überschuldung kämen sie damit an ihre Grenzen, erläuterte die Ministerin. Wenn Brot aber für viele Teile der Bevölkerung nicht mehr erreichbar sei, drohten soziale Proteste. Daher sei es der Union wichtig, dass der Kontinent unabhängiger von Importen wird.

In Somalia, Äthiopien und Kenia sind dem Entwicklungsministerium zufolge schon jetzt bereits 13 Millionen Menschen von einer Hungersnot bedroht, denn das Horn von Afrika leide unter der schlimmsten Dürre seit fast vierzig Jahren. Diese Zahl könnte auf bis zu 26 Millionen steigen, wenn nicht bald ausreichend Regen fällt. In den Vorjahren hat bereits die schlimmste Heuschrecken-Krise seit Jahrzehnten ganze Landstriche verwüstet. Hinzu kamen lokale Konflikte und die Corona-Pandemie.

Lebensmittel von Russland-Sanktionen ausgenommen

Zu den Hintergründen der Preissteigerungen machten falsche Informationen die Runde, sagte Schulze. So gebe es Gerüchte, dass die Sanktionen gegen Russland der Grund für den Preisanstieg bei Lebensmitteln sei. Dabei seien Lebensmittel und medizinische Produkte bei den Sanktionen ausdrücklich ausgenommen, betonte sie.

Beim Äthiopien-Besuch sprach Schulze auch den Tigray-Konflikt an und forderte die „schonungslose“ Aufklärung der Menschenrechtsverletzungen. Sie appellierte an die äthiopische Regierung, „alles zu unternehmen“, damit ausreichende Hilfe die Menschen im Norden erreiche und eine „tragfähige politische Lösung“ verhandelt werden könne. Am Morgen war die Ministerin zunächst zum Gespräch mit Ministerpräsident Abiy Ahmed zusammengekommen und hatte mit ihm über den Konflikt gesprochen. Der Regierungschef habe gesagte, er sei den gewillt, den Konflikt beizulegen, aber auch betont, wie schwierig das sei.

Menschenrechtsorganisationen werfen regionalen Sicherheitskräften in Nordäthiopien vor, Hunderttausende Angehörige der Tigray-Volksgruppe vertrieben und Tausende Frauen und Mädchen vergewaltigt zu haben. Der Tigray-Konflikt hatte sich im November 2020 an einem Machtkampf zwischen der in der Tigray-Region herrschenden Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) und der äthiopischen Zentralregierung entzündet. Tausende Menschen sind getötet worden, Millionen Frauen, Männer und Kinder mussten fliehen.



Angst vor Hunger und Unruhen




Marktviertel in Bamako
epd-bild/Bettina Rühl
Nach zwei Militärputschen haben die Nachbarländer Sanktionen gegen Mali verhängt. Seitdem leidet die ohnehin arme Bevölkerung unter massiven Preissteigerungen. Hinzu kommen Dürre, Gewalt - und der Ukraine-Krieg.

Bamako (epd). Ein Kunde wuchtet Zementsäcke in den Kofferraum seines Autos. An diesem Morgen ist es ungewöhnlich ruhig in diesem Viertel der malischen Hauptstadt Bamako, in dem vor allem Baubedarf verkauft wird. „Alles ist sehr teuer geworden, auch Zement“, erklärt der Kunde. Früher habe der Sack höchstens 4.500 CFA-Francs (knapp 6,90 Euro) gekostet, jetzt seien es 6.500. Er möchte sein Haus fertig bauen, aber ob er dafür noch genug Geld hat, ist fraglich.

Die wirtschaftliche Lage in Mali ist verheerend. Die Menschen leiden unter den Auswirkungen von Dürren, Konflikten, den Folgen der Corona-Pandemie und Wirtschaftssanktionen der Nachbarländer gegen die militärische Übergangsregierung. Preissteigerungen um gut 40 Prozent sind die Folge, was die ohnehin schwierige Lage der Bevölkerung massiv verschlechtert. „Hier bei uns läuft nichts mehr“, klagt der Zementkäufer, der eigentlich Zollbeamter ist und aus Angst vor Repressalien durch das Militär seinen Namen nicht nennen möchte.

Grenzen geschlossen, Vermögenswerte eingefroren

Die westafrikanische Staatengemeinschaft Ecowas hat wirtschaftliche und diplomatische Sanktionen gegen Mali verhängt, nachdem die Übergangsregierung Anfang des Jahres angekündigt hat, bis zu fünf Jahren an der Macht bleiben zu wollen. Seitdem sind unter anderem die Grenzen zu den Ecowas-Staaten geschlossen und die malischen Vermögenswerte eingefroren. Auch die EU belegte einzelne Regierungsmitglieder mit Sanktionen. Das Militär hatte im August 2020 nach monatelangen Protesten der Bevölkerung die korrupte Regierung abgesetzt und wenige Monate später erneut geputscht.

Von den Handelsbeschränkungen ausgenommen sind nur Lebensmittel und Medikamente. Aber auch die wurden wegen der erhöhten Treibstoffpreise weltweit teurer, nur eine von vielen Auswirkungen des Ukraine-Krieges. Und das sei noch nicht alles, beklagt der Zementkäufer. Seinen Beruf als Zollbeamter könne er wegen der Grenzschließungen nicht ausüben. Die Regierung habe ihn freigestellt. Seitdem lebt er mit seiner Familie von ihren Ersparnissen, doch davon ist schon fast nichts mehr übrig.

Auch viele junge Leute wüssten nicht, wie es weitergehen soll. „Man sieht sie nur rumsitzen und Tee trinken“, sagt der Mann. Er habe Angst vor dem, was geschehen werde, wenn die Ecowas die Sanktionen nicht bald aufhebe. „Dann wird es hier Unruhen geben, aber das traut sich ja niemand zu sagen.“ Tatsächlich ist in Bamako zurzeit kaum Kritik an den Machthabern unter Präsident Assimi Goïta zu hören. Der Wind ist rauer geworden: Arbeitsgenehmigungen für ausländische Journalistinnen und Journalisten sind ausgesetzt, die französischen Sender RFI und France 24 wurden verboten.

Jeder dritte Mensch auf Hilfe angewiesen

Mali ist eines der ärmsten Länder der Welt. Es befindet sich zudem seit 2012 in einer schweren politischen Krise, die Sicherheitslage ist extrem instabil. Auch herrscht eine lang anhaltende Dürre. „Die Situation ist furchtbar, wahrscheinlich die schlimmste seit fünf oder sechs Jahren“, sagt Francesco de Pasquale, der das Büro der deutschen Welthungerhilfe in Mali leitet. 7,5 Millionen der knapp 21 Millionen Malierinnen und Malier seien bereits auf Hilfe angewiesen. Für etwa zwei Millionen von ihnen sei die Lage so kritisch, dass sie bald nicht mehr genug zu essen haben könnten.

De Pasquale rechnet mit einer weiteren Verschlimmerung auch infolge des Ukraine-Kriegs: Schon im vergangenen Jahr reichten die Mittel nur für 40 Prozent des Bedarfs an humanitärer Hilfe. In Zukunft könnte das Geld noch knapper werden, weil die Not in der Ukraine alle Aufmerksamkeit auf sich zieht, befürchtet der Helfer. Zugleich reicht das Geld der Organisationen wegen der Preissteigerungen für immer weniger. Um die lokale Produktion zu unterstützen, versuche die Welthungerhilfe zwar, möglichst viel vor Ort zu beschaffen, sagt de Pasquale. Aber es sei nicht einfach, die beste Lösung zu finden: „Wenn große Abnehmer wie die Regierung, das UN-Welternährungsprogramm oder Hilfsorganisationen vor Ort einkaufen, treibt das natürlich die Preise weiter in die Höhe.“

Dazu kommt noch die Gewalt - besonders im eigentlich sehr fruchtbaren Zentrum des Landes. Verschiedene Konflikte überlagern sich dort, darunter Machtkämpfe islamistischer Gruppen, die die Bevölkerung angreifen. „Im vergangenen Herbst haben sie unsere Reisfelder angezündet“, erzählt der Bauer Mamadou Koulibaly. Er lebt im Dorf Kourouma, etwa 320 Kilometer von Bamako entfernt. „Sie haben gewartet, bis die Ernte reif war. Dann haben sie ein Feld nach dem anderen mit Hilfe von Benzin in Brand gesetzt.“ Als Grund vermutet der alte Mann: „Sie wollen die Bevölkerung aushungern, damit die Menschen gezwungen sind, sich ihnen anzuschließen.“ Der Hunger ist in Mali wohl auch eine Waffe des Krieges.

Von Bettina Rühl (epd)


Oikocredit erreicht nach Corona-Verlusten positives Geschäftsergebnis




Oikocredit unterstützt kleinbäuerliche Betriebe wie zum Beispiel Kaffeeplantagen.
epd-bild/Michael Wolfsteiner

Bonn (epd). Die internationale Genossenschaft Oikocredit hat nach pandemiebedingten Verlusten wieder ein positives Geschäftsergebnis erreicht. Das Ergebnis von 15,3 Millionen Euro 2021 markiere eine Trendwende gegenüber dem 2020 verzeichneten pandemiebedingten Nettoverlust von 22,2 Millionen Euro, heißt es in dem in Bonn veröffentlichten Jahresbericht der Genossenschaft.

Die Bilanzsumme stieg den Angaben zufolge auf 1,26 Milliarden Euro (2020: 1,24 Milliarden Euro), das Mitgliederkapital um 2,3 Prozent auf 1,13 Milliarden Euro. Oikocredit engagiert sich seit Jahrzehnten in der Entwicklungszusammenarbeit.

Die Anlegerinnen und Anleger des Westdeutschen Förderkreises investierten 2021 insgesamt 4,1 Millionen Euro zusätzliches Kapital bei Oikocredit. Das sei ein Wachstum von rund 2,5 Prozent auf 166,9 Millionen Euro Anteilskapital. Die Zahl der Mitglieder habe sich um 47 verringert. So seien aktuell 7.081 Menschen und Organisationen Mitglieder im Förderkreis, darunter Privatleute, Gemeinden und Kirchenkreise, Bistümer, Landeskirchen und andere Organisationen. Die Loyalität der Anlegerinnen und Anleger sowie das große Interesse an Geldanlagen mit sozialer Wirkung „lassen uns zuversichtlich in die Zukunft schauen“, erklärte der Geschäftsführer des Förderkreises, Helmut Pojunke.

Das aus Darlehen und Kapitalbeteiligungen bestehende Portfolio von Oikocredit International sei um 17,8 Prozent auf 995,9 Millionen Euro gestiegen, hieß es. Dieser Zuwachs sei vor allem auf die steigende Kreditvergabe an bestehende und neue Partnerorganisationen zurückzuführen. Die Genossenschaft vergibt Kredite an Organisationen, die die Situation benachteiligter Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern verbessern wollen.

Der Anteil unfallgefährdeter Projekte lag laut Bericht zum Jahresende bei 5,5 Prozent (2020: 5,8 Prozent). Zwei Partnerorganisationen beantragten demnach im Berichtsjahr eine Zahlungspause (2020: 136). Dies sei eine vorübergehende Maßnahme, die im Zuge der Pandemie 2020 eingeführt wurde.



Myanmar: Suu Kyi wegen Korruption zu fünf Jahren Haft verurteilt




Aung San Suu Kyi (Archivbild von 2014)
epd-bild / Rolf Zöllner

Frankfurt a.M./Naypyidaw (epd). Ein Gericht in Myanmar hat die gestürzte De-Facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi wegen Korruption zu fünf Jahren Haft verurteilt. Das berichteten am 27. April örtliche Medien, darunter das Nachrichtenportal „Khit Thit Media“. Demnach befanden die vom Militärregime kontrollierten Richter Suu Kyi für schuldig, vom früheren Regierungschef der Region Yangon, Phyo Min Thein, umgerechnet etwa 560.000 Euro an Schmiergeldern sowie mehr als elf Kilogramm Gold angenommen zu haben. Suu Kyi hat die Vorwürfe zurückgewiesen.

Das Verfahren fand hinter verschlossenen Türen statt. Phyo Min Thein hatte im Oktober als Hauptbelastungszeuge gegen die Friedensnobelpreisträgerin ausgesagt. Einst galt er als enger politischer Verbündeter Suu Kyis und wurde zeitweilig sogar als deren Nachfolger gehandelt. Es war das erste Urteil in einer Reihe von Korruptionsklagen gegen die 76-Jährige. Die Höchststrafe hätte bei 15 Jahren Haft gelegen.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kritisierte den Gerichtsprozess als abstrus und politisch motiviert, um Myanmars Opposition kaltzustellen. Für Suu Kyi häuften sich die Jahre hinter Gittern mit dieser Verurteilung, die auf fingierten Vorwürfen basiere, monierte der Vize-Asienchef der Organisation, Phil Robertson.

17 Anklagen auf den Weg gebracht

Insgesamt hat Myanmars Militärjunta 17 Anklagen gegen die gestürzte Politikerin auf den Weg gebracht, die sie für mehr als 150 Jahre ins Gefängnis bringen könnten. Neben Bestechlichkeit wirft ihr die Justiz Wahlbetrug sowie den Verrat von Staatsgeheimnissen vor. Wegen illegalen Imports und Besitzes von Funkgeräten, Verstößen gegen Corona-Auflagen sowie „Anstiftung zum Aufruhr“ war Suu Kyi bereits im Dezember und Januar zu sechs Jahren Haft verurteilt worden.

Am 1. Februar vergangenen Jahres hatte das Militär gegen Suu Kyis regierende „Nationale Liga für Demokratie“ (NLD) geputscht. Bereits am Morgen des Staatsstreiches waren Suu Kyi, Präsident Win Myint sowie zahlreiche weitere NLD-Mitglieder festgenommen worden. Die Armee begründete den Putsch mit Wahlbetrug, ohne Beweise vorzulegen. Die NLD hatte die Parlamentswahlen vom November 2020 klar gewonnen, die Partei der Militärs war unterlegen. Laut der Gefangenen-Hilfsorganisation AAPP wurden seitdem fast 1.800 Menschen bei Protesten getötet und über 13.300 Personen festgenommen.