Düsseldorf (epd). Angesichts der unbürokratischen Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine fordert die Traumatherapeutin Esther Mujawayo-Keiner eine Angleichung der Bedingungen für Asylsuchende aus anderen Kriegsgebieten etwa in Afrika oder dem Nahen Osten. „Unsere Arbeit wäre viel einfacher, wenn auch unsere Klienten ruhig schlafen könnten, ohne Angst vor Abschiebung, und wenn sie arbeiten dürften, um in Würde selbst für ihren Lebensunterhalt aufzukommen“, sagte die Expertin des Psychosozialen Zentrums für Flüchtlinge (PSZ) in Düsseldorf dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Es darf kein Zweiklassensystem geben, die Ukrainer first class und alle anderen sind zweite oder sogar dritte Klasse.“
Die 63-jährige Soziologin und Buchautorin aus Ruanda ist Überlebende des Völkermords in dem ostafrikanischen Land, in dem 1994 binnen 100 Tagen etwa eine Million Menschen getötet wurden. Sie selbst verlor einen Großteil ihrer Familie und erlebte auf der Flucht mit ihren drei Töchtern, wie wichtig Unterstützung ist. Angesichts des Ukraine-Krieges sei es großartig, dass viele Deutsche ihre Herzen und Häuser geöffnet hätten, betonte Mujawayo-Keiner. Zugleich kritisierte sie: „Viele Deutsche identifizieren sich mit ukrainischen Flüchtlingen, weil sie blond und blauäugig und sogar Christen sind.“ Aber darum dürfe es nicht gehen: „Ein Mensch ist ein Mensch, egal welcher Hautfarbe.“
„Bei Trauma-Heilung spielt auch eigene Spiritualität eine Rolle“
Nicht nur bei sich selbst, sondern auch bei vielen Deutschen hat die zweifach mit einer Ehrendoktorwürde ausgezeichnete Psychotherapeutin durch den Ukraine-Krieg zudem einen Triggereffekt beobachtet: „Wir haben in der Illusion gelebt, dass es nie wieder Krieg gibt, und doch passiert all das gerade gar nicht weit von uns“, sagte Mujawayo-Keiner, die seit 1999 in Deutschland lebt. „Wenn man im Fernsehen die Sirenen hört, die Bunker sieht, den Geruch und die Geräusche assoziiert, sind die alten Traumata wieder da.“ Das gelte nicht nur für Ältere, sondern durch die intergenerationelle Weitergabe auch für die Nachkriegsgeneration. Um den „Teufelskreis der Traumatisierung“ zu durchbrechen, arbeitet Mujawayo-Keiner deshalb in ihrer Heimat Ruanda in einem Projekt für junge Mütter mit, die während des Genozids Kinder waren.
Zu den traumatischen Erlebnissen zählt nach den Erfahrungen der Therapeutin der Schock, innerhalb kürzester Zeit das vertraute Leben zu verlieren und andere neben sich sterben zu sehen, ohne helfen zu können. Mujawayo-Keiner unterscheidet verschiedene Formen von Gewalt: „Es macht einen Unterschied, ob du dem Gewalttäter in die Augen sehen musst, wenn du gefoltert und vergewaltigt wirst, weil du persönlich vernichtet werden sollst, oder ob die Bomben fallen, einfach weil Krieg ist.“ Bei der Trauma-Heilung spiele auch die eigene Spiritualität eine Rolle, egal ob jemand Christ, Hindu oder Muslim sei: „Wenn du an ein höheres Wesen glaubst, dann ist dieses Wesen auch größer als dein Feind, und dieser Glaube hilft dir, mit deinen Erfahrungen umzugehen.“