Völklingen (epd). Wer den Bahnhof in Völklingen verlässt, entdeckt schnell ein großes Porträt eines älteren Mannes am Saarstahlgebäude. Der Abgebildete ist Kaya Urhan, ehemaliger Hüttenarbeiter in der Völklinger Hütte. Der Künstler Hendrik Beikirch hat es als Denkmal für die Arbeiter des früheren Eisenwerks geschaffen, das heute ein Weltkulturerbe ist. Urhans Schwarz-Weiß-Porträt ist Teil der sechsten Urban-Art-Biennale der Völklinger Hütte, die bis zum 6. November sowohl in der Hütte als auch erstmals in der Völklinger Innenstadt zu sehen ist. Auch die ehemalige Röchling-Bank gehört zu den Ausstellungsorten.
Überall in der Stadt finden sich kleine Urban-Art-Logos mit Pfeilen auf den Bordsteinen - sie weisen den Weg durch die Stadt. Aber auch ein Mediaguide zum Runterladen auf das Smartphone bietet einen Lageplan samt Informationen zu den Kunstwerken. An unterschiedlichen Orten sind kleine Arbeiter mit oranger Warnweste zu entdecken, manche auch mit gelbem Schutzhelm. Eine andere Installation erinnert als Pyramide aus gelben Helmen in der Völklinger Hütte an die Arbeiter. Und an ihrem früheren Unterstand, wo in der Pause geraucht wurde, raucht demnächst ein Miniaturschornstein, der aber auch als Zigarettenablage fungiert.
Künstlerinnen und Künstler aus 22 Ländern beteiligt
Wegen der Corona-Pandemie wurde die seit 2011 alle zwei Jahre stattfindende Biennale von 2021 auf 2022 verschoben. Nun präsentieren insgesamt 76 Künstlerinnen und Künstler aus 22 Ländern rund 100 Werke der Street Art. Da ein Großteil der Kunst direkt vor Ort entstanden sei, sei die Schau aktueller und politischer als sonst, sagt Generaldirektor Ralf Beil. Die Künstlerinnen und Künstler hätten vor Ort diskutiert und gemeinsam ihre Ideen weiterentwickelt.
Der in Brasilien lebende Künstler Rero hat an die Staubwand in Großbuchstaben ein „Hell-O-World“ angebracht - welches sowohl als sinngemäße Höllenwelt oder als ein Hallo an die Welt gelesen werden kann. Konkreter wird es auf dem Dach der Möllerhalle. Dort steht dank des Kanadiers Roadsworth in Hieroglyphenschrift „Defund the War Machine“ (Entzieht der Kriegsmaschinerie die Finanzierung). Eine Botschaft, die sich eher an Außerirdische als an die Menschen vor Ort richtet.
Bezug auf die den Krieg in der Ukraine nimmt etwa eine Weltkarte des Künstlers Ampparito in der Möllerhalle. Die Karte faltet sich genau da, wo sich das ukrainische Kriegs- und Krisengebiet nach dem Überfall Russlands befindet. Das russische Duo Frukty Vrukty hat wiederum an einer Häuserwand in Völklingen einen Teil eines mehrsprachigen Bilder-Wörterbuchs abgebildet - nur auf den Farbteilen, die noch nicht abgeblättert sind. Es stammt ursprünglich aus der Völklinger Hütte und beinhaltet die Sprachen Deutsch, Russisch, Ukrainisch und Polnisch. In dem Werk „Perpetual Ending“ wird der hängende Schriftzug „The End“ mit Nachrichtenbildern bestrahlt. Das Werk des französischen Künstlers Zev fordert einen laut Kurator Frank Krämer heraus, sich mit der eigenen Haltung auseinanderzusetzen.
Bunte Steinkonstruktionen
Um die Gesellschaft und die Haltung dazu geht es auch der portugiesischen Künstlerin Wasted Rita. In einem ganzen Raum sind Werke von ihr mit teils philosophischen Sprüchen zu sehen. Einer heißt übersetzt: „Was für tolle 12.000 Jahre für heterosexuelle, weiße Männer zum Atmen und Lebendigsein.“ Andere Werke kritisieren die Konsumgesellschaft oder zeigen, über Schriftzüge, dass alles „zu viel ist“. Mit der Corona-Pandemie hat sich Pascal Boyart alias PBoy auseinandergesetzt. Angelehnt an die drei Grazien hat er drei nackte Frauen gemalt, die ihren medizinischen Mund-Nasenschutz ablegen - auch vor dem Bild stapeln sich die Masken.
Einen ganz anderen Ansatz verfolgt Jan Vormann. Mit Klemmbausteinen füllt er Löcher in Wänden. Überall in der Völklinger Hütte lassen sich die bunten Steinkonstruktionen finden. Während er in anderen Städten eher einen abstrakten Ansatz verfolge, wolle er in der Völklinger Hütte mit den Steinen auch kleine Räume kreieren, erklärt er. Beim Familiensonntag am 1. Mai können Kinder ihm bei der Arbeit helfen. Und wer Lust auf Tischtennis hat, kann in der Völklinger Innenstadt einen blauen über drei Autos gespannten Ping-Pong-Tisch aufsuchen, Schläger und Bälle liegen auch bereit.