Frankfurt a. M. (epd). Ob er noch einmal einen Roman veröffentlichen wird? Und wenn nicht, was hat er die letzten neun Jahre seit Erscheinen von „Bleeding Edge“ gemacht? - Zwischen Thomas Pynchon und seiner treuen Fangemeinde herrschen klare Verhältnisse: Dauert es etwa fünf Jahre zwischen dem letzten und dem neuen Buch, können sie sich auf etwa 500 Seiten freuen, dauert es acht Jahre oder länger, kommt wieder ein Tausender; und Thema oder Inhalt werden ohnehin erst ein paar Tage vor Erscheinen bekannt gegeben.
Der große Unbekannte, der am 8. Mai 85 wird, hat noch nie ein offizielles Interview gegeben und äußerst selten Erklärungen verbreiten lassen. Seine Helden sind Außenseiter und Freaks, seine Bücher voller mysteriöser Verschwörungen und intellektueller Anspielungen: Thomas Pynchon gilt als Kultautor der Moderne, zeigt sich aber nie öffentlich.
Solidarität mit Rushdie
Nur als über Salman Rushdie die Fatwa verhängt wurde, entschloss Pynchon sich zu einer politischen Stellungnahme und solidarisierte sich mit dem Autor. Rushdie wollte Jahre später nicht nur seinen Dank abstatten, sondern die Gelegenheit beim Schopf packen und das bei einem persönlichen Treffen tun.
Was man weiß: Pynchon ist mit seiner Literaturagentin Melanie Jackson verheiratet und beide haben einen Sohn. Über den Verlag wurde also Jackson kontaktiert, Pynchon stimmte einem Treffen in New York zu und so konnte Rushdie in seiner Autobiografie „Joseph Anton“ folgendes Porträt des Autors liefern: „Er sah genauso aus, wie Thomas Pynchon aussehen musste: groß, rotweiß kariertes Holzfällerhemd und Jeans, weiße Albert-Einstein-Frisur und Bugs-Bunny-Zähne.“
Was an Informationen bleibt, sind Lebensdaten, ein paar Fotos aus jungen Tagen in den 50ern, ein paar dürre Informationen und vor allem die Bücher: Acht Romane, ein Band Kurzgeschichten, ein paar wenige Gelegenheitstexte. Thomas Pynchon wurde 1937 auf Long Island, New York, geboren, war Student der Physik und der englischen Literatur. „Später schrieb er für Boeing technische Handbücher und verschwand“, so steht es auf der Homepage seines deutschen Verlages Rowohlt.
Verschwörung und Entropie
1963 erschien dann mit dem Roman „V“ nicht nur der Beleg, dass Pynchon sein Metier meisterlich beherrscht. „V“ und der drei Jahre später erscheinende Roman „Die Versteigerung von No. 49“ wiesen bereits alle Eigenschaften und Hauptmotive seines literarischen Schaffens aus: Eine verschlungene Handlung, zahlreiche Haupt- und Nebenfiguren, eine umfassende naturwissenschaftliche Bildung, die immer wieder auftauchenden und endlos variierten Motive Verschwörung und Entropie.
1973 folgt der literarische Durchbruch mit „Gravity's Rainbow“ („Die Enden der Parabel“), einem gut tausendseitigen Romanwerk. Es spielt Ende des Zweiten Weltkriegs in Westeuropa - unter anderem in Peenemünde, wo unter den Nazis an neuen Waffen geforscht worden war, etwa an der V2-Rakete, deren parabelhafte Flugkurve bereits im Titel auftaucht.
Die Vielzahl von Handlungssträngen, geheimdienstlichen Verschwörungen der Nazis wie der Alliierten, ein kaum überschaubares Personal - ist „Gravity's Rainbow“ ein neuer „Ulysses“ und der große postmoderne Roman, oder vielleicht doch überkandidelte Hochstapelei? - Wahrscheinlich ersteres, von William Gaddis über David Foster Wallace bis zu jüngeren Autoren wie Joshua Cohen haben sich Generationen von nachfolgenden Autoren auf Pynchon und sein Hauptwerk bezogen.
Mit „Mason & Dixon“ (1997) und „Gegen den Tag“ (2006) folgten zwei weitere Großwerke, daneben mit „Vineland“ (1990), „Natürliche Mängel (2009) und “Bleeding Edge" (2013) eher überschaubare und leichter zugängliche Romane. Gemeinsam ist ihnen allen eine ungeheure Fülle von Anspielungen, die Heerscharen von Exegeten auf den Plan gerufen hat, und ein souveränes Beherrschen alles Genres und Stile. Ob historischer Roman, Gesellschafts- oder Großstadtroman - Pynchons Werke sind immer eine Mischung aus Hoch- und Popkultur, Gedichten, Comic-haften Szenen, surrealen Episoden, Witzen, theologischen oder naturwissenschaftlichen Exkursen.
Will keine öffentliche Figur sein
Seine Bedeutung als einer der einflussreichsten und wichtigsten Autoren der US-amerikanischen und Weltliteratur ist unstrittig, doch was ist das nun für ein Mensch, der als erfolgreichster Einsiedler aller Zeiten gilt? Ein Fernsehteam des US-Senders CNN stöberte ihn nach langer Recherche Ende der 90er Jahre tatsächlich in New York auf. Pynchon gestattete jedoch nicht die Verwendung von Bildern, lediglich ein Statement von ihm wurde überliefert: „Ich glaube, Einsiedler ist ein Code-Wort von Journalisten, das bedeutet: Möchte nicht mit Reportern reden.“
Auf den Punkt gebracht hat es auch der Kritiker Arthur Salm: „Der Mann hat sich entschieden, keine öffentliche Figur zu sein. Nun, wenn Pynchon und Paris Hilton sich jemals treffen würden - die Umstände allerdings, fürchte ich, liegen jenseits unserer Vorstellungskraft - wäre das Ergebnis wohl eine Materie-Antimaterie-Explosion, die von hier bis Tau Ceti IV alles verdampfen lässt.“ Aber diese Explosion hat nicht stattgefunden, und so sitzt er vielleicht in New York mit seinem Holzfällerhemd am Schreibtisch und hat noch ein dickes Werk für seine Fans bereit. Müsste dann wohl ein Tausender werden.