Brühl (epd). Auf den ersten Blick scheint alles klar: Ein Dalmatiner liegt auf dem spiegelglatten Boden eines Wohnzimmers, in dem ein bunt geblümter Sessel zum Ausruhen einlädt. Doch bei genauer Betrachtung stimmt hier plötzlich gar nichts mehr. Wieso liegt der Hund mit der Schnauze flach auf dem Boden, während sein Spiegelbild mit erhobenem Kopf nach vorne schaut? Und wie kann der Blick von oben auf den Sessel fallen und sich zugleich auf einer Ebene mit dem liegenden Hund befinden? Die Malerin Karin Kneffel erklärt die Verwirrung, die ihre Bilder auslösen, so: „Die Malerei ist für mich wie ein Haltegriff, der im Moment des Zugreifens verschwindet.“
Das Max Ernst Museum in Brühl versammelt bis zum 28. August rund 80 von Kneffels irritierenden Bildern. Unter dem Titel „Karin Kneffel - Im Augenblick“ präsentiert das Museum Gemälde und Aquarelle aus der Zeit von 2004 bis in die Gegenwart. Kneffel gilt als eine der wichtigsten Vertreterinnen des Neo-Realismus. Die 1957 in Marl geborene Malerin ist bekannt für ihre Gemälde, die Realismus und surrealistische Verfremdung miteinander verbinden. Während ihre Darstellungen bis ins Detail naturgetreu ausgeführt sind, verfremden Spiegelungen, optische Brechungen und räumliche Verzerrungen den realistischen Eindruck.
Humorvolle Tierporträts und Früchtestillleben im Großformat
International bekannt wurde Kneffel, die in Düsseldorf und München lebt, unter anderem mit ihren humorvollen Tierporträts und großformatigen Früchtestillleben. Die Ausstellung in Brühl konzentriert sich auf ihre fotorealistischen Interieurs. „Es ist der Augenblick, der mich als Maler interessiert“, erklärt Kneffel. „Der kurze Zeitmoment, in dem Ruhe und Bewegung nicht existieren.“ Kneffel erschafft Momente, die oberflächlich betrachtet realistisch erscheinen, aber in Wirklichkeit unmöglich sind. Unter scheinbar vertrauten Fassaden tut sich ein zweiter Boden auf.
Die Malerin legt viele ihrer Bilder hinter den Filter einer aus Wassertropfen oder Schlieren bedeckten Fensterscheibe. So zeigt sie etwa den Blick durchs Fenster des Ausstellungsraums eines Kunstmuseums. In den Tropfen an der imaginären Scheibe spiegelt sich das Fenster, durch das der Betrachter eigentlich zu schauen glaubt - eine optische Unmöglichkeit. Ebenso unmöglich wäre es für den Betrachter, sowohl die Tropfen auf der Scheibe so nah zu fokussieren und zugleich den Hintergrund scharf zu sehen. Kneffels Malerei aber macht beides zeitgleich sichtbar.
Trotz dieser Verfremdungen ist der Künstlerin daran gelegen, naturgetreu zu malen. Sie arbeite grundsätzlich nach Fotografien, sagt Kneffel. „Ich will, dass die Bilder plausibel sind.“ So etwa beim Malen eines tristen Siedlungshauses aus den 60er Jahren, das sie fotografierte, weil es sie an ihr eigenes Elternhaus erinnert habe. Vor dem Haus in der Dämmerung ist wie ein Traumbild die auf einem Kissen ruhende Doris Day aus einem Hitchcock-Film eingeblendet, die sich wiederum in einer Fensterscheibe des Hauses spiegelt. Die unheimliche Atmosphäre aus Filmen Alfred Hitchcocks greift Kneffel auch in anderen Bildern auf, indem sie einzelne Szenen herausgreift und wiederum verfremdet.
Auseinandersetzung mit Ludwig Mies van der Rohe
Ein wichtiges Element ihrer Malerei ist die Auseinandersetzung mit den Entwürfen von Ludwig Mies van der Rohe, einer der bedeutendsten Architekten der Moderne. So setzte sie sich mit den Interieurs der 1927/28 von Mies van der Rohe entworfenen Privathäuser für die Familien Esters und Lange auseinander, die heute als Ausstellungsräume des Kunstmuseums Krefeld dienen. Dabei orientierte sich die Malerin an historischen Fotografien der ursprünglichen Inneneinrichtungen.
Ein dreiteiliges Gemälde gewährt einen Blick in ein sachlich modern eingerichtetes Wohnzimmer des Hauses Lange. Die Betrachter werden auf Distanz gehalten: Der voyeuristische Blick geht durch eine mit zahlreichen Tropfen benetzte Fensterscheibe. In ihnen spiegeln sich die gegenüber liegenden Häuser. „Deren Spitzdächer hätten Mies van der Rohe gar nicht gefallen,“ bemerkt Kneffel: Eine humorvolle Anspielung auf die Flachdach-Architektur der Moderne.
Der Prozess des Sehens und Gesehenwerdens ist Kneffels großes Thema. Auch die Betrachtung von Kunst spielt dabei immer wieder eine Rolle. In ihren Bildern zitiert sie Maler der klassischen Moderne wie Ernst Ludwig Kirchner, August Macke oder Pablo Picasso. Aber auch Werke Gerhard Richters, dessen Meisterschülerin sie war, spiegelt sie in ihren Arbeiten. Mittlerweile lehrt Kneffel selbst an der Akademie der Bildenden Künste in München. In einer vierteiligen Serie malte sie ihre eigenen Studenten bei der Betrachtung von Richters Gemälde „Betty“, eines der bekanntesten Werke des Meisters.