Kirchen

Evangelische Kirche berät über Frieden und eigene Zukunft


Eröffnungsgottesdienst der EKD-Synode in der Dresdner Kreuzkirche.
epd-bild/Matthias Rietschel
Friedensethik ist Schwerpunktthema bei der Synodentagung der Evangelischen Kirche in Deutschland. Zu Beginn der Beratungen in Dresden macht der EKD-Ratsvorsitzende deutlich, wo er äußeren Frieden und das gesellschaftliche Miteinander bedroht sieht.

Mit Aufrufen zu Frieden und gesellschaftlichem Zusammenhalt hat am 10. November in Dresden die Synodentagung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) begonnen. Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm kritisierte die Syrien-Politik der USA. Der AfD warf er vor, rechtsradikales Gedankengut in der Partei zu dulden. Von der Bundesregierung verlangte er Nachbesserungen beim Klimapaket. Die Pläne zur CO2-Bepreisung reichten nicht aus.

Zur Lage in Syrien sagte Bedford-Strohm: "Gegenwärtig erleben wir, dass ein Mitglied des Nato-Bündnisses, dem unser eigenes Land angehört, in ein Nachbarland einmarschiert und damit grundlegende Normen des Völkerrechts verletzt." Dass die Kurden im Norden Syriens, die maßgeblich zur wirksamen Bekämpfung der IS-Terrormilizen beigetragen hätten, von ihrem Partner USA fallengelassen würden, sei "eine Niederlage einer an Recht und an der Ethik orientierten internationalen Politik". Nordsyrien werde Russland, der Türkei und dem syrischen Machthaber Baschar al-Assad überlassen.

Kritik an AfD

Ohne die AfD namentlich zu nennen, übte der bayerische Landesbischof Bedford-Strohm scharfe Kritik an der rechtskonservativen Partei. "Wenn im Bundestag und in den Landtagen vertretene Parteien rechtsradikale Ideen in ihren Reihen dulden, dann disqualifizieren sie sich im demokratischen Diskurs", sagte der oberste Repräsentant der deutschen Protestanten.

Die Präses der Synode, Irmgard Schwaetzer, und der Ratsvorsitzende Bedford-Strohm forderten "Klarheit der eigenen Position" auch in der evangelischen Kirche selbst. In der sächsischen Landeskirche, dem Gastgeber der diesjährigen Synode, war kürzlich Landesbischof Carsten Rentzing zurückgetreten. Im Nachhinein bekanntgewordene Texte wertete die Landeskirche unter anderem als elitär und nationalistisch.

Schwaetzer forderte in ihrem Bericht an die Synodalen angesichts sinkender Mitgliederzahlen mehr Veränderungsbereitschaft. Sie kritisierte eine Tendenz, es sich bequem zu machen "in schönen Kirchengebäuden, mit den gewohnten Gottesdienstformen und den gewachsenen Verwaltungsstrukturen". Es werde Zeit, vieles davon infrage zu stellen und sich auf den Weg zu machen zu Menschen, die man erreichen wolle. Die Kirche werde in 20 oder 40 Jahren "auf keinen Fall eine kleinere Version der Kirche von heute sein", ergänzte sie. Vielmehr müssten Veränderung gestaltet und richtige Weichenstellungen vorgenommen werden.

Nach einer von der EKD beauftragten Prognose von Finanzwissenschaftlern der Universität Freiburg wird sich die Mitgliederzahl der Kirchen bis 2060 etwa halbieren. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) zählt derzeit rund 21,1 Millionen Mitglieder.

Pläne für Seenotrettung konkretisiert

Konkretisiert wurden in Dresden die Pläne für das Seenotrettungsschiff der EKD. Bedford-Strohm kündigte an, dass am 3. Dezember ein Aufruf des Bündnisses "United 4 Rescue" ("gemeinsam retten") gestartet werden soll. Unter dem Hashtag #WirschickeneinSchiff sei eine Online-Spendenkampagne geplant, sagte er. Bis dahin soll ein Verein gegründet werden, der das Schiff kauft. Bedford-Strohm zufolge soll möglichst im Januar genug Geld für den Erwerb eines Schiffes zusammen sein. Wegen der Spendenfinanzierung könne man das aber nicht genau sagen.

Im September hatte die EKD bekanntgegeben, dass sie mit einem Verein die Seenotrettungsorganisation "Sea-Watch" beauftragen will, ein Schiff ins Mittelmeer zu schicken. Der Beschluss geht auf eine Initiative des evangelischen Kirchentags im Juni zurück.

Das Schwerpunktthema der diesjährigen Synodentagung lautet "Auf dem Weg zu einer Kirche der Gerechtigkeit und des Friedens". Das EKD-Kirchenparlament mit Delegierten aus allen 20 Landeskirchen berät bis Mittwoch in Dresden.



Frieden suchen in schwieriger Zeit


Heinrich Bedford-Strohm
epd-bild/Heike Lyding
Die evangelische Kirche sucht in Dresden Antworten auf drängende Fragen der Gegenwart: Wie kann Frieden in der Welt werden? Wie lässt sich Hass in der Gesellschaft stoppen? Wie sollte die Kirche auf sinkende Mitgliedszahlen reagieren?

Es sind keine einfachen Zeiten, in denen die Vertreter der evangelischen Kirche in Dresden zusammenkommen. Der Krieg in Syrien, der Anschlag auf die Synagoge in Halle, der Rücktritt des sächsischen Landesbischofs Carsten Rentzing wegen nationalistischer Äußerungen in dessen Studentenzeit: Wo auch immer die Kirche im Äußeren und Inneren hinblickt, sieht sie Konflikte.

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, führt am 10. November in die diesjährige Jahrestagung der Protestanten in Deutschland zum Schwerpunktthema Friedensethik ein: In einer Zeit, in der zahlreiche kriegerische Konflikte weltweit die Hoffnung auf friedlichere Zeiten in die Ferne haben rücken lassen, trifft sich die Synode der EKD in einer Stadt, die selbst für Zerstörung und Wiederaufbau steht. Und sie kommt einen Tag nach dem 9. November zusammen - einem Tag des Gedenkens, nicht nur an die friedliche Revolution und den Mauerfall, sondern auch an die Ermordung von Millionen Juden.

"Ausstrahlungsstarke Kirche der Zukunft"

Vom Tagungszentrum ist es nicht weit bis zur evangelischen Frauenkirche, die nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg mit Hilfe privater Spenden wiederaufgebaut wurde. Gerade die ostdeutschen Landeskirchen hätten ihm in den vergangenen Monaten Hoffnung "für eine aus dem Vertrauen lebende, ausstrahlungsstarke Kirche der Zukunft" gegeben, sagt Bedford-Strohm vor der Synode in seinem Bericht. Sie sind schon jetzt stärker als andere Landeskirchen im Westen vom Strukturwandel betroffen, der die Kirche als Ganzes betrifft, und doch lassen sich laut Bedford-Strohm viele Beispiele dafür finden, wie sich Gemeinden nicht aus der Wahrnehmung der Öffentlichkeit verdrängen lassen.

Der Ratsvorsitzende lobt etwa das kirchliche Netzwerk nach dem Anschlag in Halle. Der Landesbischof der mitteldeutschen Kirche, Friedrich Kramer, hatte seine Bischofskollegen alarmiert und Menschenketten initiiert, die sich am Freitag nach dem Anschlag vor Synagogen in ganz Deutschland bildeten.

Kirche muss sichtbar sein, das ist die Überzeugung des Ratsvorsitzenden - und sie müsse sich positionieren, ob es um Klimawandel, Flucht und Migration, Seenotrettung oder das gesellschaftliche Miteinander geht. Nur dann sei Kirche auch attraktiv und möglicherweise wieder anschlussfähig für Menschen, die sich abgewandt haben. Für das geplante Rettungsschiff, das die EKD mit einem Verein der Seenotrettungsorganisation Sea-Watch zur Verfügung stellen will, habe die evangelische Kirche so viele Spenden- und Unterstützungsangebote erhalten wie noch bei keinem anderen Projekt, erzählt Bedford-Strohm. Er verschweigt aber auch die Kritik nicht, die es von jenen gibt, denen das konkrete Handeln der Kirche anstelle der Staaten der Europäischen Union zu weit geht.

Doch vergeblich habe man bislang immer wieder legale und sichere Zugangswege für Schutzsuchende gefordert. Deswegen sei das Seenotrettungsschiff ein Zeichen zur richtigen Zeit, dafür, dass die Kirche da ist und sich in Liebe für den Nächsten für Leben und Rechte der Schwächsten einsetzt.

Kretschmer wünscht sich engagierte Kirche

Eine Kirche, die lebendig ist und sich engagiert, wünscht sich auch der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). Trotz andauernder Koalitionsverhandlungen mit SPD und Grünen in Sachsen ist er am Sonntagmorgen im Eröffnungsgottesdienst der Synode in der Dresdener Kreuzkirche erschienen und spricht später ein Grußwort zu den Synodalen. Der Staat lebe von Voraussetzungen, die er alleine nicht schaffen könne, sagt Kretschmer. Er lebe eben nicht nur von Recht und Gesetz, sondern auch von Werten und Normen, für die gerade die Kirchen eintreten und die sie vorleben sollen.

Friedensbanner, gemalt von Kindern und Jugendlichen aus Chemnitz, hatten zuvor im Gottesdienst die Kirche geschmückt. Auf einem steht in großen Lettern "Hass kann man nur durch Liebe überwinden". Christen fühlen sich angesichts von Feindschaft und Gewalt nicht machtlos, das wird an diesem Tag, an diesem Ort deutlich. Aber auch, dass die Hoffnung auf Frieden unvollendet bleibt: "Verleih' uns Frieden gnädiglich!" Auch dieser Ruf ist an diesem Tag zu hören.

Franziska Hein (epd)


Hoffnung auf gemeinsames Abendmahl


Karl-Hinrich Manzke
epd-bild/Heike Lyding
Die ungelöste Frage einer gemeinsamen Abendmahlspraxis und der innerkatholische Reformprozess beschäftigen die Protestanten bei ihren jährlichen Beratungen. Eine wechselseitige Teilnahme am Abendmahl könnte 2021 möglich sein, hofft man.

Unter den Protestanten in Deutschland wächst die Hoffnung auf eine weitere Annährung zwischen evangelischer und katholischer Kirche. Der pfälzische Kirchenpräsident Christian Schad baut vor dem Ökumenischen Kirchentag 2021 auf ein deutliches Votum der katholischen Bischöfe für eine wechselseitige Teilnahme am Abendmahl, wie er am 9. November bei der Jahrestagung der evangelischen Kirchen in Dresden sagte.

Die Grundlage dafür ist das im September vorgestellte Dokument "Gemeinsam am Tisch des Herrn", das evangelische und katholische Theologen verfasst haben. Die Theologen schlagen darin eine wechselseitige Teilnahme an der Abendsmahlsfeier der jeweils anderen Konfession vor - ohne die Unterschiede in der Liturgie zu leugnen. Sie argumentieren, dass Jesus Christus die Gläubigen an seinen Tisch lädt und nicht ein Priester, Pfarrer oder gar eine Kirche. Damit nähern sie sich der Lösung einer der zentralen Fragen der Ökumene an - nämlich der Frage nach einer Mahlgemeinschaft. Der Vorschlag der Theologen beinhaltet keinesfalls ein gemeinsames Abendmahl in neuer Form. Das bleibt eine langfristige Perspektive.

"Ball liegt bei Bischofskonferenz"

"Der Ball liegt jetzt bei der Bischofskonferenz", sagte Schad. Sie müsse entscheiden, wie sie mit dem Papier umgehe. Darin werde aber theologisch so fundiert argumentiert, dass auch die Kritiker einer wechselseitigen Teilnahme am Abendmahl nicht daran vorbeikämen. Schad ist Mitglied im Ökumenischen Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen und hat das Papier mit erarbeitet.

In seiner Funktion als evangelischer Vorsitzender des Kontaktgesprächskreises der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz berichtete er den Mitgliedern der Generalssynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) und der Vollkonferenz der Union Evangelischer Kirchen (UEK) über Fortschritte in der Ökumene. Zuvor hatten die beiden Gremien auch den Bericht des Catholica-Beauftragten der VELKD, Karl-Hinrich Manzke, gehört.

Nicht nur bei der Frage einer gemeinsamen Abendmahlspraxis wird aber das Dilemma der deutschen Katholiken sichtbar: Denn in wesentlichen kirchenrechtlichen Fragen wie dem Abendmahl, dem Zölibat oder kirchlichen Leitungsämtern für Frauen muss der Papst im Vatikan mitentscheiden. Manzke dämpfte daher auch allzu hohe Erwartungen an den "synodalen Weg", der am 1. Dezember in Frankfurt beginnen soll. Bei dem katholischen Reformprozess wollen Bischöfe und katholische Laien in einer verabredeten Struktur die Folgen des Missbrauchsskandals, klerikalen Machtmissbrauch, Fragen der katholischen Sexualmoral und die Rolle der Frauen in der Kirche diskutieren.

"Mutiger Reformprozess"

Manzke nannte den angestrebten Reformprozess "mutig" und "neu". Er stelle auch ein Risiko dar, sagte er am Samstag in Dresden vor Journalisten. Er habe den Eindruck, dass Papst Franziskus seine Kirche umbaue und Beratungsformen etabliere, die es zwar schon länger gebe, aber die nicht ausgenutzt worden seien. Als Beispiel dafür nannte er auch die kürzlich im Vatikan abgehaltene Amazonas-Synode. Aus Deutschland könnten Anregungen kommen, die auch Einfluss auf die Diskussionen in der Weltkirche haben, sagte er in seinem Bericht.

Ihn stimme es zuversichtlich, dass der Papst die "Gewissensentscheidung des einzelnen Gläubigen" gestärkt habe - das gelte etwa für die Teilnahme evangelischer Ehepartner an der katholischen Eucharistie. Den "synodalen Weg" werde man von evangelischer Seite aus "mit großem Respekt" und mit Fürbitten aufmerksam verfolgen, sagte Manzke. "Da ist Musik drin."

Franziska Hein (epd)


Lutheraner beschließen Beteiligung von mehr jungen Leuten


Bibelarbeit von Jugenddelegierten bei der EKD-Synode im vergangenen Jahr in Würzburg.
epd-bild/Norbert Neetz

In den Gremien der lutherischen Kirchen in Deutschland werden in Zukunft mehr junge Menschen sitzen. Die Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) stimmte am 9. November bei ihrer Tagung in Dresden mit der erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit einer Verfassungsänderung zu. Die Änderung soll bereits in der nächsten Wahlperiode ab 2021 gelten.

Die Generalsynode der VELKD besteht nach der Verfassungsänderung aus 50 Mitgliedern, von denen 38 von ihren Gliedkirchen gewählt und zwölf vom Leitenden Bischof berufen werden. Unter den 50 Mitgliedern sollen in Zukunft mindestens acht sein, die am 1. Januar des Jahres, in dem die Amtszeit beginnt, das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.

"Soll keine Ausrede sein"

Vier der acht jungen Mitglieder sollen berufen werden, vier sollen unter den gewählten Mitgliedern der vier größten lutherischen Landeskirchen sein - der hannoverschen, der bayerischen, der norddeutschen und der sächsischen Landeskirche. Unter den von den Gliedkirchen gewählten Synodalen können natürlich weitere junge Menschen sein. "Die neue Regelung soll keine Ausrede sein, nicht noch mehr junge Menschen in die Gremien zu wählen", sagte der Präsident der Generalsynode, Wilfried Hartmann, am Samstag in Dresden vor Journalisten.

Alle Delegierten haben in Zukunft das Stimm- und Antragsrecht. Damit werden die Jungdelegierten allen anderen Delegierten rechtlich gleichgestellt. Die mindestens acht jüngeren Delegierten werden vorbehaltlich einer Änderung der Grundordnung der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) auch der EKD-Synode angehören.

Die VELKD ist ein Zusammenschluss von sieben evangelisch-lutherischen Landeskirchen innerhalb der EKD, der rund 8,6 Millionen Gläubige angehören. Seit 2018 steht der hannoversche Landesbischof Ralf Meister der VELKD als Leitender Bischof vor.



Westfälische Präses Kurschus steht bei Synode zur Wiederwahl


Annette Kurschus
epd-bild/Peter Jülich

Die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Annette Kurschus, steht bei der Synode der westfälischen Kirche zur Wiederwahl. Die Entscheidung trifft die Landessynode, die vom 17. bis 20. November in Bielefeld tagt, wie die westfälische Kirche mitteilte. Die 56-jährige Theologin wurde ohne Gegenkandidaten nominiert. Kurschus wurde im November 2011 als erste Frau zur leitenden Theologin der Landeskirche gewählt, sie trat ihr Amt im März 2012 an.

Die Landessynode der mehr als 2,2 Millionen Mitglieder zählenden westfälischen Kirche entscheidet auch über ein weiteres Kirchenleitungsamt: Die 63-jährige Personaldezernentin und Oberkirchenrätin Petra Wallmann tritt zum 1. April 2020 in den Ruhestand. Kandidaten für ihre Nachfolge sind die Recklinghäuser Superintendentin Katrin Göckenjan-Wessel (56) und der aus Oldenburg stammende Pfarrer Urs-Ullrich Muther (51).

NRW-Integrationsminister Stamp und Präses Rekowski als Gäste erwartet

In ihrem mündlichen Bericht vor der Synode werde Präses Kurschus anhand exemplarischer Themen eine aktuelle "Zeitansage" für die Kirche in der Gesellschaft machen, teilte die Landeskirche weiter mit. Das Kirchenparlament werde sich zudem mit Impulsen zum Diskussionspapier "Kirche und Migration" befassen. Das Papier wurde in einem breit angelegten Prozess seit einem Jahr auf allen Ebenen der westfälischen Kirche diskutiert.

Am Eröffnungstag stehen unter anderem Grußworte des NRW-Integrationsministers Joachim Stamp (FDP) und des rheinischen Präses Manfred Rekowski auf dem Programm. Eröffnet wird die Synode mit einem Gottesdienst in der Zionskirche in Bielefeld-Bethel.

Die Landessynode ist das oberste Organ der westfälischen Kirche und berät bei ihrem viertägigen Treffen über eine Reihe von theologischen, rechtlichen und kirchenpolitischen Themen und Vorlagen. Das "Kirchenparlament" beschließt außerdem den Haushaltsplan für das kommende Jahr. Erwartet werden auch Beschlüsse zum Thema "Ehe und Trauung" sowie zur Teilnahme von Kindern am Abendmahl. Die landeskirchliche Beauftragte für den Umgang mit Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung, Daniela Fricke, wird zudem ihren Bericht vorlegen.



Weltkirchenrat wählt neue Spitze im März 2020


Olav Fykse Tveit
epd-bild/Uli Deck/ARTIS

Der Weltkirchenrat wird im März 2020 die Nachfolge des im April abtretenden Generalsekretärs Olav Fykse Tveit regeln. Die Entscheidung werde zwischen einer Frau und einem Mann fallen, bestätigte die Sprecherin des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), Marianne Ejdersten, am 4. November dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Genf.

Für die Position kandidiert zum einen Elizabeth Joy von der Orthodox-Syrischen Kirche von Malankara, die ihren Hauptsitz in Indien hat. Die 1961 geborene britisch-indische Doppelbürgerin sei Direktorin des Kirchenverbandes Churches Together in England. Der andere Kandidat ist Jerry Pillay von der presbyterianischen Kirche in Südafrika. Der 1965 geborene Theologe lehrt Kirchengeschichte an der Universität Pretoria. Pillay war von 2010 bis 2017 Präsident der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen.

500 Millionen Gläubige

Der Zentralausschuss des ÖRK werde bei einer Sitzung in Genf über die Neubesetzung entscheiden, hieß es weiter. Der norwegische Lutheraner Tveit wurde 2009 zum Generalsekretär gewählt und trat das Amt 2010 an.

Der Generalsekretär leitet die Genfer Zentrale des ÖRK und gibt dem Dachverband ein Gesicht. Die wichtigste Entscheidungen für den ÖRK fällt die Vollversammlung, die etwa alle acht Jahre stattfindet. Der ÖRK-Zentralausschuss hatte sich im Juni 2018 für Karlsruhe als Austragungsort im Jahr 2021 entschieden. Zwischen den Vollversammlungen stellt der Zentralausschuss die Weichen.

Im ÖRK sind 350 protestantische, anglikanische und orthodoxe Kirchen zusammengeschlossen, die mehr als 500 Millionen Gläubige vertreten. Die römisch-katholische Kirche ist kein Mitglied, kooperiert aber mit dem ÖRK.



Pfalz: Kirchenpräsident Schad gibt Amt 2021 vorzeitig ab


Christian Schad
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Der pfälzische Kirchenpräsident Christian Schad (61) gibt im Februar 2021 sein Amt vorzeitig ab. Da sich im Frühjahr 2021 eine neue Landessynode konstituiere, wolle er seiner Nachfolgerin oder seinem Nachfolger die Chance eröffnen, mit Beginn der neuen Synodalperiode eigene Akzente zu setzen, sagte Schad am 5. November in Speyer. Schads Amtszeit wäre ursprünglich am 30. November 2022 abgelaufen. Die Nachfolge wird von der Landessynode auf der Frühjahrstagung 2020 bestimmt.

Hinzu komme, dass auch seine überregionalen Wahlämter in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Union Evangelischer Kirchen in der EKD (UEK) im Frühjahr 2021 endeten, sagte Schad. Auch hier wolle er rechtzeitig vor den Neuwahlen den Platz der Landeskirche für seine Nachfolgerin oder seinen Nachfolger frei machen. Über 2021 hinaus fortsetzen will Schad sein Engagement für die Ökumene im Ökumenischen Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen (ÖAK) und in der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (Geke). Außerdem will Schad einen Lehrauftrag an der Theologischen Fakultät der Universität Mainz übernehmen.

In der Evangelischen Kirche der Pfalz leben rund 515.000 Gemeindeglieder im ehemaligen Regierungsbezirk Pfalz und ehemals pfälzischen Teilen des Saarlandes.



Künftiger Berliner Bischof für flexible Kirchenmitgliedschaft


Christian Stäblein
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Für eine abgestufte Kirchenmitgliedschaft plädiert der designierte evangelische Bischof von Berlin, Christian Stäblein. "Die Menschen sollten schon mitmachen dürfen, auch wenn der Weg zur Taufe noch wachsen muss", sagte er am 6. November in Loccum (Niedersachsen). Stäblein, zurzeit Propst in Berlin, tritt dort am 16. November die Nachfolge von Bischof Markus Dröge in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz an.

Im Osten Deutschlands habe der Staat eine Tendenz beschleunigt, die sich zunehmend auch im Westen zeige, sagte der Theologe: Religionsfreiheit werde vor allem als "negative Religionsfreiheit" interpretiert. Man wolle "frei sein von Religion". Doch die Freiburger Studie, die eine Halbierung der Mitgliederzahlen bis 2060 prognostiziert, habe auch im mitgliederschwachen Brandenburg einen Schock ausgelöst. "Selten habe ich den Satz, ein Dorf ohne Kirche wollen wir uns nicht vorstellen, so oft gehört wie in den letzten Monaten", betonte Stäblein: "Gerade von Nichtmitgliedern."

Ruhende Mitgliedschaften

Der künftige Bischof hält ein klares Profil der Kirche bei gleichzeitiger Kreativität in den Mitgliedschaftsregeln für nötig. So sollte es auch Fördermitgliedschaften oder ruhende Mitgliedschaften geben. Wenn Menschen in der "Rushhour des Lebens" für den Hausbau oder das Studium der Kinder sparen, sollte die Kirche nicht noch nachtreten und Briefe verschicken, in denen steht, was Ausgetretene alles nicht mehr dürften. "Vom Beschimpfen kommen die Leute nicht zurück", sagte der leitende Theologe. Stattdessen könnte man vereinbaren, dass jemand einige Jahre keine Kirchensteuer zahlt, aber dennoch Mitglied bleibt.

Die Landeskirche, die Stäblein künftig leiten wird, hat gut 940.000 Mitglieder in knapp 1.250 Gemeinden in Berlin, Brandenburg und der sächsischen Region Görlitz. Der Anteil der Kirchenmitglieder an der Gesamtbevölkerung liegt dort im Schnitt bei 15 Prozent.



Pröpstin wechselt zum Neukirchener Erziehungsverein


Annegret Puttkammer
epd-bild/Andreas Fischer

Die hessen-nassauische Pröpstin Annegret Puttkammer (56) wird neue Direktorin des Neukirchener Erziehungsvereins in Neukirchen-Vluyn bei Düsseldorf. Die Theologin wird im Dezember 2020 Nachfolgerin von Hans-Wilhelm Fricke-Hein, der in den Ruhestand tritt. Das teilten der Aufsichtsrat des Neukirchener Erziehungsvereins und die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) am 5. November mit.

Puttkammer werde die Einrichtung im kommenden Jahr als theologischer Vorstand gemeinsam mit dem kaufmännischen Vorstand Mathias Türpitz leiten, hieß es. Der Neukirchener Erziehungsverein gehört nach eigenen Angaben zu den größten deutschen Kinder- und Jugendhilfeträgern mit insgesamt rund 2.000 Beschäftigten in zehn Bundesländern.

Puttkammer, die in Fulda geboren wurde und in Velbert aufwuchs, übernahm nach dem Studium an den Universitäten Münster und Bonn und dem Vikariat in Kleve eine halbe Pfarrstelle in Kleve und eine halbe Stelle in der Krankenhausseelsorge. Von 1991 bis 1994 war sie Pastorin beim Evangelischen Bibelwerk im Rheinland. Anschließend arbeitete sie in Stuttgart als Bildungsreferentin im Frauenwerk der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Zehn Jahre war sie als Gemeindepfarrerin in Wiesbaden und in Bad Soden-Neuenhain tätig. 2008 wurde sie Dekanin im mittelhessischen Dekanat Herborn. 2011 übernahm Puttkammer das Amt der Pröpstin mit Dienstsitz in Herborn.

Der 1845 von Pfarrer Andreas Bräm gegründete Neukirchener Erziehungsverein am Niederrhein betreut zusammen mit der Tochtergesellschaft Paul-Gerhardt-Werk rund 3.000 junge Menschen in stationären Einrichtungen, in Schulen und mit ambulanten Hilfeangeboten in zehn Bundesländern. In der Alten- und Behindertenhilfe ist der Erziehungsverein ebenfalls tätig, betreibt Senioreneinrichtungen und Wohnheime und bietet ambulante Betreuung an. Seine Bekanntheit verdankt der Erziehungsverein auch seinen Verlagsaktivitäten, vor allem dem Neukirchener Kalender, dem erfolgreichsten Andachts- und Meditationskalender im deutschen Sprachraum.



Protestanten werben für Religionsunterricht im Saarland

Der Schulreferent des Kirchenkreisverbandes An der Saar, Martin Vahrenhorst, hat für den konfessionsgebundenen Religionsunterricht geworben. Niemand könne das Recht auf Religionsfreiheit wahrnehmen, wenn er keine Ahnung von Religion habe, betonte er am 7. November in Saarbrücken. Es gehe darum, dass sich Schüler mit Themen auseinandersetzten und nach der Schule fähig seien, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Bei einer allgemeinen Religionskunde herrsche zudem weniger Transparenz, sagte Vahrenhorst. Denn dort könne sich die Lehrperson zurücknehmen, wohingegen im Religionsunterricht ganz klar sein, wofür der Lehrer stehe.

Im Saarland hatte die Landesschülervertretung eine Diskussion über den konfessionsgebundenen Religionsunterricht und seine Notwendigkeit in Gang gesetzt. Im kleinsten Flächenbundesland unterrichten laut Vahrenhorst 371 Lehrer insgesamt 10.293 evangelische Schüler.

"Religionslehrer sind keine Missionare"

Der evangelische Religionslehrer Dennis Kranz betonte, dass Religion nicht das wichtigste Fach an der Schule sei. Es sei aber für die Allgemeinbildung ebenso wichtig wie etwa Mathematik oder Politik. Er wolle seine Schüler zur Wahrhaftigkeit ausbilden und dazu befähigen, sich eine Meinung bilden und "Nein" sagen zu können. "Religionslehrer sind keine Missionare für den Glauben", sagte Kranz. Bis zur Oberstufe sei der Unterricht zudem so gestaltet, dass er schülerzentriert sei und so auf viele Fragen eingegangen werden könne.

Der Superintendent des Kirchenkreises Saar Ost, Markus Karsch, unterstrich die Bedeutung einer gewissen Staatsferne. Es sei wichtig, dass nicht der Staat alleine über Werte bestimme, die vermittelt würden. Sobald die politische Richtung wechsele, würden sich damit auch die Lehrpläne verändern. Im konfessionsgebundenen Unterricht gehe es darum, Wertschätzung und Dialog zu erleben, zu hinterfragen sowie konkrete Entscheidungen - auch gegen einen Glauben - treffen zu können, betonte er.



Theologin: Religion wird an Unis als Störung wahrgenommen

Hochschulgemeinden fühlen sich an deutschen Universitäten zunehmend ausgegrenzt. Es sei seit längerem zu spüren, "dass die Kirchen kein natürlicher Gesprächspartner für Hochschulleitungen mehr sind, weil die Hochschulen religiös-weltanschaulich neutral sein wollen", sagte die evangelische Bundesstudierendenpfarrerin Corinna Hirschberg in Hannover dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es komme auch vor, dass Hochschulleitungen auf die Bitten von Hochschulpfarrern, sich vorstellen zu dürfen, nicht mehr reagierten. Die Evangelische Studierendengemeinde (ESG) ist an 120 Orten in Deutschland vertreten.

Die evangelische Pfarrerin Hirschberg nennt als wichtigsten Grund für die Einschränkung der Religionsausübung an Hochschulen die Angst vor religiösem Fundamentalismus. Eine entsprechende Einstufung trauten sich Hochschulleitungen allerdings meist nicht zu. "Daher schränken sie die Religionsausübung unter Berufung auf die religiöse Neutralität für alle Gruppen ein. Wir hören dann oft hinter vorgehaltener Hand: 'Mit euch gerne, aber mit anderen nicht und deshalb mit niemandem.'"

Hinzu komme, dass Hochschulen nicht-religiöse Studierende vor öffentlicher Religionsausübung schützen wollten, weiß Hirschberg: "In dieser Logik gelten Gottesdienste als Störung." Einschränkungen für religiöse Gruppen gebe es etwa an großen technischen Hochschulen ohne theologische Fakultät, zum Beispiel der RWTH Aachen. Hinter dieser Haltung steht laut Hirschberg auch ein negativer Begriff von Glaubensfreiheit: "Religionsfreiheit wird von Hochschulen oft als Freiheit von Religion und nicht als Freiheit für Religion gedeutet. Wir halten diese Interpretation für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar."

Als Kooperationspartner geschätzt

Während die Religionsausübung mitunter nicht erwünscht sei, würden Hochschulgemeinden hingegen als Kooperationspartner überwiegend geschätzt - beispielsweise bei der Integration internationaler Studierender. Hirschberg sieht hier eine Chance für die Hochschulgemeinden, Bedenken gegenüber Religion zu zerstreuen. "Wo langjährige persönliche Kontakte bestehen, beispielsweise an Universitäten mit theologischer Fakultät oder an kleineren Universitäten oder Hochschulen ist das Verhältnis von Hochschulleitungen und -gemeinden oft unkompliziert."

Auch katholische Hochschulseelsorger beobachten, dass Hochschulgemeinden einen zunehmend schweren Stand an deutschen Universitäten haben. Rektoren oder Dekane müssten "in ihrer Leitungsfunktion dem säkularen Ansatz ihrer Hochschule folgen", heißt es in einem Beitrag des Leiters der Katholischen Hochschulgemeinde in Aachen, Matthias Fritz, in der "Herder Korrespondenz" (Oktober). Beispiel dafür seien die Erstsemestertage. An diesem Termin werde "das deutliche Auftreten hauptamtlicher Vertreter der Hochschulgemeinde nicht mehr akzeptiert". Fritz: "Dies gibt mir das Gefühl, an hochschulrelevanten Terminen nur noch gewissermaßen undercover teilnehmen zu dürfen."

epd-Gespräch: Jonas Krumbein


Münsteraner Religionswissenschaftler erhält Wissenschaftspreis

Der Münsteraner Religionswissenschaftler Perry Schmidt-Leukel ist Preisträger des mit 10.000 Euro dotierten Höffmann-Wissenschaftspreises der Universität Vechta. Der Theologe erhalte die Auszeichnung für seine Arbeit zur Förderung eines besseren Verstehens zwischen den Religionen, teilte die Universität Münster am 8. November mit. Die Universität Vechta vergibt den für interkulturelle Kompetenz stehenden Preis zum neunten Mal.

Schmidt-Leukel ist ein Vertreter der pluralistischen Religionstheologie, wie die Universität Münster mitteilte. Danach sei das Christentum nicht allen anderen Religionen überlegen. Nach dem Ansatz des Religionswissenschaftlers würden einige Religionen im Hinblick auf ihre Erkenntnis göttlicher Wirklichkeit und ihre heilsvermittelnde Kraft als einander gleichwertig gesehen.

"Ich fühle mich durch diesen Preis sehr geehrt und freue mich darüber, dass meine Arbeit nun auch in Deutschland Anerkennung findet", sagte Perry Schmidt-Leukel, der vor seinem Ruf nach Münster an den Universitäten München, Innsbruck, Salzburg und Glasgow lehrte. Die Schwerpunkte seiner Arbeit liegen im Bereich interreligiöser Theologie, der Theologie der Religionen, der pluralistischen Ansätze in den Religionen, der interreligiösen Beziehungen allgemein und des christlich-buddhistischen Dialogs im Besonderen.

Der von dem Vechtaer Reiseunternehmer Hans Höffmann gestiftete Preis wird seit 2010 jährlich für herausragende und wegweisende Arbeiten sowie für interkulturelle Kompetenz vergeben. Er wird jährlich weltweit an Universitäten und Forschungseinrichtungen ausgeschrieben.



Umfrage: Glaubenseinstellung entscheidet über Kirchenmitgliedschaft

Über den Verbleib in der Kirche oder einen Austritt entscheidet nach einer Online-Umfrage der Evangelischen Kirche von Westfalen in erster Linie die persönliche Glaubenseinstellung der Mitglieder. In der am 5. November in Bielefeld veröffentlichten Untersuchung erklärten fast 70 Prozent zu den Gründen für ihre Mitgliedschaft, dass ihnen der Glaube etwas bedeute. Zugleich vertraten zwei Drittel die Auffassung, sie brauchten die Kirche nicht, um ihren Glauben zu leben.

An der Online-Befragung im vergangenen Jahr nahmen rund 1.500 Menschen teil. Die Daten wurden von Wissenschaftlern der CVJM-Hochschule Kassel und des Religionspädagogischen Instituts der Universität Siegen ausgewertet. Die Umfrage baut auf einer Studie des Bistums Essen auf. Ziel der Untersuchung mit dem Titel "Bleiben oder gehen?" war es, die Motivation von Menschen zu erforschen, die weiter der Kirche angehören, aber auch die Gründe dafür, dass Menschen zu einem Austritt neigen.

Fast jeder Dritte fühlt sich Gott in Kirche näher

Mehr als die Hälfte der Teilnehmer gab die eigene Religiosität als Grund für die Kirchenmitgliedschaft an. Rund zwei Drittel engagieren sich unterschiedlich stark in der Kirche. Drei Viertel begrüßen es, dass die Kirche Kindergärten und Schulen unterhält. Etwas mehr als die Hälfte der Befragten sieht die von der Kirche vertretenen Werte als zeitgemäß an. Fast jeder Dritte fühlt sich Gott in der Kirche näher, gut jeder Vierte eher nicht.

Die Motive für einen Kirchenaustritt sind verschieden, der Entscheidung zum Verlassen der Kirche geht meist ein längerer Prozess voraus. Die Kirchensteuer motiviert gut jeden zweiten Austrittswilligen zu seinen Überlegungen. Deutlich mehr Teilnehmer der Befragung haben aber ein ganz anderes Motiv: 62 Prozent sagten, die Kirche lebe nicht mehr das, was "Jesus eigentlich wollte", weitere 20 Prozent stimmen dieser Aussage teilweise zu.

Ebenfalls häufig verbreitet ist die Einstellung, auch ohne Kirche religiös sein zu können. Zu möglichen Austrittsgründen wurden ausschließlich die rund 300 (20 Prozent) der insgesamt 1.500 Teilnehmer der Studie befragt, die nach eigenen Aussagen zu einem Kirchenaustritt neigten.



Rekowski gratuliert Goldberg zum Bundesverdienstorden

Der rheinische Präses Manfred Rekowski hat dem Geschäftsführer des jüdischen Wohlfahrtsverbands in Wuppertal, Leonid Goldberg, zur Verleihung des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland gratuliert. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hatte die Auszeichnung am 31. Oktober überreicht. Der Solinger Goldberg ist seit über 40 Jahren Mitglied der Jüdischen Kultusgemeinde in Wuppertal und leitet sie seit mehr als 25 Jahren, wie es hieß. In diesem Amt war er für den Bau der neuen Synagoge und die Anlage des neuen jüdischen Friedhofs in Wuppertal zuständig.

"Ich verstehe diese Auszeichnung nicht nur als Würdigung Ihres außerordentlich großen Einsatzes für die Entwicklung der jüdischen Kultusgemeinde in Wuppertal und im Bergischen Land", heißt es im Glückwunschschreiben des Präses. "Mit der Verleihung des Bundesverdienstordens wird zugleich auch Ihr hohes Engagement für das Miteinander der verschiedenen Religionen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Wuppertal und im Bergischen Land gewürdigt."

Die 2002 eingeweihte Bergische Synagoge steht neben der Gemarker Kirche in Wuppertal-Barmen. Der Neubau war durch die Unterstützung der Evangelischen Kirche im Rheinland möglich geworden. Sie hatte der Jüdischen Kultusgemeinde das Grundstück geschenkt.



Bischof der Herrnhuter Brüder-Unität gestorben

Der Bischof der Evangelischen Brüder-Unität im sächsischen Herrnhut, Theodor Heinrich Gill, ist tot. Er starb am 3. November im Alter von 91 Jahren, wie die Herrnhuter Brüdergemeine mitteilte. Die Evangelische Brüder-Unität - Herrnhuter Brüdergemeine ist eine kleine evangelische Freikirche. 1722 ließen sich Glaubensflüchtlinge aus Böhmen auf dem Gut des Grafen Zinzendorf nieder und gründeten die Siedlung Herrnhut. Bekannt ist die Brüdergemeine durch die Herausgabe der biblischen Losungen und durch den Herrnhuter Stern.

Wie die Glaubensgemeinschaft weiter mitteilte, wurde Gill am 11. November 1928 in Paramaribo in Surinam geboren. Er studierte Theologie in Berlin, Göttingen und Basel und verrichtete im Anschluss sein Vikariat in Herrnhut, wo er 1955 zu einem Diakonus der Brüder-Unität ordiniert wurde. 1973 zog Gill mit seiner Familie nach Herrnhut, wo er 1980 zu einem Bischof der Brüder-Unität eingesegnet wurde.



Logo des "synodalen Weges" vorgestellt


Kardinal Marx, ZdK-Vizepräsidentin Kortmann und ZdK-Präsident Sternberg mit dem neuen Logo.
epd-bild/Meike Böschemeyer

Gut drei Wochen vor Beginn des "synodalen Weges" ist das Logo des Reformprozesses vorgestellt worden. Präsentiert wurde die Wort-Bild-Marke von dem Vorsitzenden der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Marx, der Vizepräsidentin des Zentralkomitees deutscher Katholiken (ZdK), Karin Kortmann, und dem ZdK-Präsidenten Thomas Sternberg, wie die Bischofskonferenz am 8. November in Bonn mitteilte. Auf dem Logo ist der Umriss eines Kreuzes in Regenbogenfarben zu sehen.

Offiziell beginnt der Reformprozess am 1. Advent. In vier Synodalforen sollen Kleriker und Laien über Reformen bei den Themen Machtmissbrauch, priesterliche Lebensformen und Zölibat, Sexualmoral und Aufgaben von Frauen in der katholischen Kirche diskutieren.




Kreissynoden

Kirchenkreis Köln-Mitte bekräftigt Ja zu Flüchtlingshilfe

Bei der Herbstsynode des Evangelischen Kirchenkreises Köln-Mitte hat das Kirchenparlament seine eindeutige Haltung für die Flüchtlingshilfe und das Kirchenasyl unterstrichen. Superintendentin Susanne Beuth erklärte bei der Tagung am 9. November, es bleibe ein Lernweg, wie im Alltag konstruktiv und klar Stellung gegen menschenverachtende Worte und Taten beziehen werde könne. In ihrem ersten Bericht widmete sich die im September ins Amt eingeführte leitende Theologin unter anderem der Kirche der Zukunft und den dann veränderten Rahmenbedingungen, aktuellen Menschenrechtsfragen sowie Verwaltungs- und Finanzthemen.

Die Synode entschied zudem über die Vergabe der Pfarrer-Georg-Fritze-Gedächtnisgabe an zwei Projekte, wie es hieß. Gewürdigt werden die eritreisch-italienische Menschenrechtlerin Alganesc Fessah "für ihren mutigen und lebensgefährlichen Einsatz bei der Befreiung entführter Flüchtlinge" sowie der Religionslehrer Wolfgang Rall aus dem brandenburgischen Angermünde, der sich mit seinen Schülern gegen rechts engagiert.

Gewählt wurden den Angaben zufolge außerdem ein Nominierungsausschuss für die anstehenden Wahlen auf der nächsten Synode. Die Synode stimmte zudem für drei neue Synodalbeauftragungen: Pfarrerin Miriam Haseleu ist neue Beauftragte für Migration, die Synodalbeauftragung für Kindergottesdienst übernimmt Pfarrerin Katja Korf. Bernd Franzen ist neuer Synodalbeauftragter für den Bereich "Prädikanten".

Mit Blick auf den Haushalt konnte Kirchmeister Joachim Morawietz für 2018 ein positives Bilanzergebnis von rund 43.300 Euro vorlegen, wie der Kirchenverband Köln und Region mitteilte. Für 2020 und 2021 rechne er wieder mit einem positiven Ergebnis.

Das Kirchenparlament des Kirchenkreises Köln-Mitte tagt wieder am 5. Juni 2020. Die Synode besteht derzeit aus 69 Abgeordneten. Dem Kirchenkreis gehören die sechs Gemeinden Köln, Riehl, Nippes, Lindenthal, Klettenberg und Deutz/Poll an.



Kreissynode: Auch Bad Godesberg fördert weiter Flüchtlingsarbeit

Auf ihrer Herbssynode hat das Kirchenparlament des Evangelischen Kirchenkreises Bad Godesberg-Voreifel beschlossen, die hauptamtliche Flüchtlingsarbeit weiterhin zu fördern. 2020 und 2021 gibt der Kirchenkreis jeweils bis zu 50.000 Euro dafür, wie der Kirchenkreis in Bonn mitteilte. Schwerpunkt seien immer stärker integrative und bildende Maßnahmen. Bereits seit 2016 unterstützt der Kirchenkreis die Flüchtlingsarbeit.

Insgesamt umfasst der Doppelhaushalt für die Jahre 2020/21 ein Gesamtvolumen von 6,29 Millionen Euro, wie es hieß. Der größte Posten ist den Angaben zufolge die diakonische und soziale Arbeit mit 1,55 Millionen Euro. 1,5 Millionen Euro fließen in Erziehung und Bildung, gut 870.000 Euro in Gemeindearbeit und Seelsorge.

Antrag zur Zukunft der Büchereiarbeit

Für die anstehende Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland im Januar formulierte das Kirchenparlament einen Antrag zur Büchereiarbeit. Die Kreissynode bitte um eine langfristig gesicherte Alternative zur Fachstelle für das Büchereiwesen, die 2023 einem Dezernat angegliedert werden solle. Die fachgerechte Unterstützung der evangelischen Büchereien sei so sicherzustellen, dass sie den Anforderungen für die Beantragung öffentlicher Fördermittel genüge sowie die Ausbildung und Begleitung der ehrenamtlichen Mitarbeitenden weiterhin gewährleistet sei.

Superintendent Mathias Mölleken erklärte auf der Herbsttagung, sich 2020 zur Wiederwahl zur stellen. Zudem kündigte er an, die Frage der Hauptamtlichkeit des Leitungsamtes im neuen Jahr neu zur Diskussion zu stellen. Da er 2022 in Ruhestand gehen werde, könnten die zwei Jahre zwischen 2020 und 2022 genutzt werden, darüber zu beraten und zu entscheiden, schlug er vor.

Bei der Synode am 9. November im Gemeindezentrum der Evangelischen Johannes-Kirchengemeinde Bad Godesberg wurden den Angaben zufolge zudem zwei neue stellvertretende Mitglieder im Finanzausschuss gewählt: Wolfgang Bauer (Bad Godesberg) und Stephanie Münstermann (Flamersheim). Der Kirchenkreis umfasst 13 Gemeinden, in denen etwa 51.300 evangelische Christinnen und Christen leben.



Superintendent Majores fordert klare Haltung gegen Hass

Der Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg, Klaus Majoress, hat sich entschieden gegen rechtes Gedankengut sowie gegen jegliche Form von Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit ausgesprochen. Die Kirche müsse sich von dem Auftrag leiten lassen, Hoffnung zu spenden und die Menschenwürde zu schützen, erklärte Majoress auf der Herbst-Synode des Kirchenkreises in Plettenberg. Er verwies in dem Zusammenhang auf die Bibelstelle im ersten Petrusbrief "Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt" (1 Pet. 3,15). "Von der Hoffnung zu sprechen, die Christen erfüllt, nimmt sie auch in die Verantwortung, den Schatz von Freiheit und Demokratie mit allen Mitteln zu bewahren und zu schützen, damit die Zukunft für folgende Generationen lebenswert ist", betonte der Superintendent.

Kirchenkreis Lüdenscheid-Plettenberg mit defizitärem Haushalt

Die 78 anwesenden, stimmberechtigten Kreissynodalen berieten zudem über die Haushaltsplanung der kommenden Jahre. Majoress wies auf eine negative Entwicklung hin. "Wir fahren einen defizitären Haushalt", sagte der Superintendent. Nach Plan werde der Kirchenkreis im Jahr 2020 rund 4,9 Millionen Euro einnehmen. Denen stünden voraussichtliche Aufwendungen in Höhe von rund 5,2 Millionen Euro gegenüber. Dass dennoch eine ausgeglichene Liquiditätsplanung vorgelegt werden könne, werde durch eine entsprechende Entnahme aus der Ausgleichsrücklage sichergestellt.

Auf Dauer könne der Kirchenkreis solche Fehlbeträge jedoch nicht verkraften, erklärte der Superintendent und forderte strukturelle Veränderungen. Alle Aufgaben und Tätigkeitsfelder des Kirchenkreises sollten überprüft werden. Gleichzeitig müsse der Aufwand verringert werden, der dem Kirchenkreis durch die Übernahme eigentlich öffentlicher Aufgabe entstehe, sagte er. Als Beispiel nannte Majoress die Psychologischen Beratungsstellen in Lüdenscheid und Plettenberg oder Psychosoziale Zentren (PSZ) in Lüdenscheid. Das PSZ betreut traumatisierte Flüchtlinge. Zurzeit liefen Verhandlungen mit den Kooperationspartnern über ein neues Finanzierungsmodell.

Auch die Kindertageseinrichtungen im Kirchenkreis seien von Strukturveränderungen betroffen. Einige Kirchengemeinden hätten bereits die Entscheidung getroffen, dass sie die Finanzierung ihrer Tageseinrichtungen nicht mehr aufrechterhalten könnten, berichtete Majoress. Vor diesem Hintergrund müsse sich die Kreissynode perspektivisch mit der Frage einer Umwandlung des Trägerverbundes in einen Verband beschäftigen. Nur so könne bei Verhandlungen mit der Politik und den kommunalen Verwaltungen eine stärkere Position aufgebaut werden, unterstrich er.



Kirchenkreis Düsseldorf-Mettmann will mehr für Klimaschutz tun

Über Veränderungen und eine Neuausrichtung hat der Kirchenkreis Düsseldorf-Mettmann bei seiner Kreissynode beraten. Bei der Sitzung am 8. und 9. November sei unter anderem erörtert worden, wie die Gemeinden einen konkreten Beitrag zur Klimagerechtigkeit leisten können, teilte der Kirchenkreis mit. Entsprechende Maßnahmen sollen in den einzelnen Gemeinden sowie der Jugendlichen-Synoden erarbeitet und umgesetzt werden. Über die Entwicklungen sollen die Gemeinden bei der Herbstsynode 2020 berichten. Für die kommende Frühjahrssynode sollen zudem Kriterien für eine klimagerechte Tagung angewendet werden.

Bei der Tagung am Wochenende wurden zudem Felicitas Wagner (23) und Miriam Krause (25) aus der Jugendlichen-Synode zu Delegierten der Kreissynode gewählt. Der Kirchenkreis will die junge Generation nach eigenen Angaben in Entscheidungsprozessen stärker berücksichtigen.

Das Gremium will zudem die Zusammenarbeit der Verwaltungsämter der Kirchenkreise Mettmann und Niederberg verstärken und im Jahr 2021 zusammenlegen. So sollen Kosten gespart und Aufgaben effizienter erledigt werden können. Arbeitsplätze sollen dabei den Angaben zufolge nicht abgebaut werden.

Zum 1. August 2020 soll der Kirchenkreis zudem die Trägerschaft für die Kindertagesstätten der Kirchengemeinden übernehmen. So soll die Betriebsführung professionalisiert werden. Die Presbyterien der Kirchengemeinden in Hilden, Hochdahl, Erkrath, Linnep und Mettmann müssen das Vorhaben noch bestätigen.



Klimschutzfonds im Kirchenkreis Trier eingerichtet

Der evangelische Kirchenkreis Trier hat einen Klimaschutzfonds in Höhe von 180.000 Euro eingerichtet. "Wir haben es mit Folgen eines Klimawandels zu tun, der uns große Anstrengungen abfordert, wie wir unsere Umwelt auf Dauer lebenswert erhalten, wie wir uns für die Bewahrung der Schöpfung einsetzen können", sagte Superintendent Jörg Weber bei der Kreissynode in Wittlich. Kirchengemeinden und Einrichtungen könnten Gelder aus dem Klimaschutzfonds für die Anschaffung und Nutzung nachhaltiger Energie und Mobilität beantragen. Dazu könne etwa der Bau von Photovoltaikanlagen auf kircheneigenen Gebäuden gehören.

In seinem Jahresbericht nahm Weber zudem Bezug auf den Anschlag in Halle. "Angesichts des versuchten Anschlags auf die Synagoge von Halle und des immer wieder aufkeimenden Antisemitismus ist überdeutlich, dass wir die Errungenschaften des Friedens und der Freiheit ganz entschieden gegen alle Formen von Gewalt und Antisemitismus in Erinnerung bringen", betonte er. Jeder könne etwas tun. Es gelte, überall, wo man persönlich, am Arbeitsplatz, im Raum der Kirche, in Kitas oder Schulen mit Antisemitismus in Berührung käme, diesem deutlich und klar zu widersprechen.

Zudem beschloss die Kreissynode noch den Haushalt 2020. Das Volumen des kreiskirchlichen Haushalts beträgt den Angaben zufolge 1,87 Millionen Euro. Der Haushalt komme wie in den vergangenen Jahren ohne Entnahmen aus der Rücklage aus, hieß es.



Kirchenkreis Gladbeck-Bottrop-Dorsten bleibt auf Sparkurs

Der Kirchenkreis Gladbeck-Bottrop-Dorsten wird in den kommenden Jahren weiter sparen. Man rechne mit zurückgehenden Kirchensteuereinnahmen, teilte der Kirchenkreis nach seiner Synode am Wochenende mit. In der Finanzplanung erwartet der Kirchenkreis ein Minus von etwa drei Prozent bis 2023. Für die Folgejahre könne der Fehlbetrag sich in Richtung zehn Prozent bewegen.

Für den Jahresabschluss 2018 stellte der Krichenkreis den Angaben zufolge einen Überschuss von 600.000 Euro fest. Das Geld soll auf die Gemeinden verteilt werden. Der Haushaltsplan für das Jahr 2020 umfasst eine Gesamtsumme von 10,2 Millionen Euro.

Superintendentenwahl 2020

Superintendent Dietmar Chudaska bestätigte bei der Herbstsynode seine Ankündigung, keine zweite Amtszeit anzutreten. Bei einer Wahlsynode am 6. Februar 2020 soll die Nachfolge geregelt werden.

Zudem wurden weitere Schritte mit Blick auf die geplante Zusammenlegung mit dem Kirchenkreis Recklinghausen besprochen. Mit einem kirchenkreisübergreifenden Verband sollen die Pläne eine neue Verbindlichkeit bekommen.

Der Superintendent verwies auch auf die 200 geflüchteten Frauen, Männer und Kinder, die in den vergangenen Jahren in dem Kirchenkreis getauft wurden und das das Gemeindeleben bereicherten. Allerdings sei ihr Leben häufig noch von "Unsicherheit, Angst und an manchen Stellen von schwer nachvollziehbaren Entscheidungen der zuständigen Behörden" abhängig.

Der Kirchenkreis gehört zur Evangelischen Kirche von Westfalen und hat knapp 58.000 Mitglieder.



Kirchenkreis Krefeld-Viersen verabschiedet Gemeinde

Die Synode des Kirchenkreises Krefeld-Viersen hat die Gemeinde Straelen-Wachtendonk verabschiedet. Zum 1. Januar 2020 wechselt die Gemeinde in den Kirchenkreis Kleve, wie der Kirchenkreis in Krefeld mitteilte. Sie gehört kommunal zum Kreis Kleve, ein Zusammenwachsen mit den anderen Gemeinden aus Krefeld-Viersen verhindere die trennende Autobahn A40.

Die im September in ihr Amt eingeführte Superintendentin Barbara Schwahn warb bei der Synode dafür, die konzeptionelle Arbeit anzugehen und die Vergangenheitsbewältigung abzuschließen. Der Kirchenkreis zahle knapp eine Million Euro an die Gemeinden zurück: Die kreiskirchliche Umlage von 11,2 Prozent des bereinigten Kirchensteueraufkommens in 2019 werde einmalig auf sieben Prozent in 2020 gesenkt. Das entspreche dem Betrag, den die Gemeinden zwischen 2012 und 2017 mehr bezahlt hätten, da der Kirchenkreis über keine verlässlichen Zahlen verfügte. Ab 2021 soll die Umlage wieder auf 9,8 Prozent steigen, wie es hieß.

Die Synode wählte zudem Pfarrer Christoph Tebbe zum Skriba, dem zweiten Stellvertreter der Superintendentin. Er folgt auf Pfarrer Marc-Albrecht Harms aus Fischeln. Tebbe ist seit zehn Jahren Pfarrer der Kirchengemeinde Krefeld-Nord, an der Lukaskirche in Gartenstadt.

Zum Kirchenkreis Krefeld zählen 26 Gemeinden mit knapp 100.000 evangelischen Christinnen und Christen auf knapp 740 Quadratkilometern von Nettetal bis Krefeld und von Meerbusch bis Straelen. Die Synode besteht aus derzeit 138 Abgeordneten.



Simmern-Trarbach künftig mit hauptamtlichen Superintendenten

Der evangelische Kirchenkreis Simmern-Trarbach wird in Zukunft einen hauptamtlichen Superintendenten haben. Dafür sprach sich die Synode bei ihrer Tagung in Rheinböllen mit deutlicher Mehrheit aus, wie der Kirchenkreis mitteilte. Superintendent Hans-Joachim Hermes werde im nächsten Jahr in den Ruhestand gehen. "Ich bin seit 18 Monaten im Amt und merke, welche Belastungen eine solche Tätigkeit im Nebenamt bedeutet", erklärte er. Er habe Verpflichtungen im Kirchenkreis und der Landeskirche, sei aber auch weiter Pfarrer seiner Gemeinde, Mitglied im Presbyterium und bei Amtshandlungen gefragt.

Einstimmig verabschiedete die Kreissynode den Angaben zufolge den Haushalt für 2020 mit einem Gesamtvolumen von etwas mehr als zwölf Millionen Euro. Der Kirchenkreis rechne mit einem Kirchensteueraufkommen von etwa 8,1 Millionen Euro. Der Haushalt werde durch eine Entnahme von rund 127.000 Euro aus den Rücklagen ausgeglichen, hieß es.

Kirchen sollen Orte der Gastfreundschaft sein

Superintendent Hermes warb auf der Kreissynode dafür, dass die Kirche, allen Umbrüchen und Strukturveränderungen zum Trotz, für die Menschen Heimat sei, bleibe oder werden solle. "Wir müssen alles daran setzen, dass Kirchen nicht nur Orte für kulturelle Highlights oder Museen dörflicher Tradition sind", betonte er. Kirchen müssten zu Orten der Gastfreundschaft werden.

Kirche werde Heimat, wenn sie ein Kommunikationsort werde, ein Ort der Begegnung, ein Ort des Lebens. "Heimat ist nur, wenn sie nicht ausgrenzt, sondern zum Schutzraum wird, insbesondere für die Schwachen, die Hilflosen, die Außenseiter, die Zugezogenen, die Suchenden, die Zweifler, ja auch für die Gottlosen", unterstrich Hermes. Hier seien auch Kirchengemeinden gefordert. "Dazu kann gehören, dass wir unsere Liturgie, unsere Lieder, unsere traditionelle Sprache vom Glauben auch mal hinterfragen", betonte Hermes.

Kirche müsse aber auch Heimat für Fremde sein, auch gegen Widerstände, betonte der Superintendent und verwies auf die Diskussionen im Hunsrück um das Kirchenasyl. "Wir haben es alle mitverfolgt, wie es aus einem Rückzug auf die enge rechtliche Schiene bar aller Barmherzigkeit zu einem Strafverfahren gegen Pfarrerinnen und Pfarrer wie auch Flüchtlinge kommt", kritisierte Hermes. Für die Kirche bleibe es jedenfalls eine Aufgabe, sich weiterhin für Flüchtlinge einzusetzen.



Kreissynode An Nahe und Glan beschließt neues Leitbild

Die Synode des evangelischen Kirchenkreises An Nahe und Glan hat unter dem Titel "Lass und den Weg der Gerechtigkeit gehen" ein neues Leitbild beschlossen. Der Kirchenkreis verstehe sich als Weggemeinschaft der Kirchengemeinden und der Arbeitsgebiete, bei der alle auf dem Weg seien, Kirche des gerechten Friedens zu werden, teilte der Kirchenkreis mit. "Man will Kirche für andere sein und Impulse im Hinblick auf Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung nach innen wie nach außen setzen." Dabei sei im Blick, was stärke und herausfordere.

Mit Blick auf den Anschlag in Halle, unterstrich Superintendentin Astrid Peekhaus die Rolle der Kirche im Kampf gegen Hass. "Verstärkt muss die Kirche eintreten für Frieden in unserer Gesellschaft, für Demokratie und Meinungsfreiheit, für respektvollen Umgang miteinander und gegen jede Form von Entwürdigung und Herabsetzung anderer Menschen", sagte sie. Dass eine rechtsextreme Partei bei Landtagswahlen fast ein Viertel der Stimmten bekomme, könne nicht unterwähnt bleiben. "Das muss Widerspruch auslösen", betonte die Superintendentin.



Kirchenkreis Saar-Ost stimmt für evangelischen Kita-Verband

Die Synode des Kirchenkreises Saar-Ost hat für die Gründung eines Verbandes Evangelischer Kindertageseinrichtungen im Saarland gestimmt. "Damit rückt die Übernahme der Trägerschaft der Kindertageseinrichtungen durch den Kirchenkreisverband näher", sagte Superintendent Markus Karsch in Eppelborn. Stimmen die Kreissynodalen des Kirchenkreises Saar-West ebenfalls zu, ist den Angaben zufolge geplant, den Verband zum 1. Januar 2021 umzusetzen. Zurzeit betreuten 400 Mitarbeitende knapp 2.000 Kinder in 31 Kitas, davon 15 in Saar-Ost.

Karsch betonte in seinem Bericht, dass mehr Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden notwendig sei. "Wir müssen das mit den Menschen vor Ort besprechen", sagte er. "Wir können und wollen aus der Vergangenheit lernen, beispielsweise, dass Fusionen von Kirchengemeinden nicht Mittel der Wahl sind."

Der Kreissynodalvorstand habe zudem beschlossen, eine Fusion der Kirchenkreise Saar-Ost und Saar-West erst zu einem späteren Zeitpunkt anzustreben. Es müsse erst "Zeit für das Wesentliche" sein, betonte Karsch. Dazu gehöre, das Wesen der Kirchengemeinden und der Orte ernst zu nehmen. Sie sollten nur so viel wie nötig und gewünscht kooperieren und dabei so viel Eigenständigkeit wie möglich behalten. So könnten Kirchengemeinden durch Kooperationen Aufgabengebiete reduzieren und Schwerpunkte setzen, sagte der Superintendent.




Gesellschaft

Unter der "Freiheitswolke"


30 Jahre Mauerfall: Feier am Brandenburger Tor
epd-bild/Christian Ditsch
Sieben Tage lang ist in Berlin das 30-jährige Berstehen des Mauerfalls gefeiert worden. Eine große Bühnenschau als Höhepunkt der Festwoche zog Menschen aus ganz Deutschland und der Welt ans Brandenburger Tor.

Am Himmel eine "Freiheitswolke", darunter ein internationales fröhliches Publikum: Sieben Tage lang hat Berlin mit Gästen aus aller Welt den 30. Jahrestag des Mauerfalls und der friedlichen Revolution in Ostdeutschland gefeiert. Höhepunkt der Festivalwoche war am Abend des 9. November eine große Bühnenschau vor dem Brandenburger Tor.

Zehntausende Menschen strömten dafür zu dem Wahrzeichen der Bundeshauptstadt. Über ihnen schwebte die "Freiheitswolke", eine in mehreren Farben illuminierte Kunstinstallation aus rund 30.000 Bändern, auf denen Menschen ihre Wünsche und Hoffnungen für die Gesellschaft geschrieben hatten. Wie etwa die 45-jährige Yuliya aus Berlin, die erklärte: "Der Mauerfall steht für mich symbolisch dafür, dass es möglich ist, Kraft des persönlichen Engagements und selbstständigen Denkens das scheinbar Unmögliche zu erreichen - die Freiheit."

Aber nicht nur Berliner feierten den Mauerfall und somit auch den Fall des Eisernen Vorhangs, der bis vor 30 Jahren ganz Deutschland in zwei Länder, zwei Systeme und zwei Welten zerteilte.

"Europäische Geschichte"

Vor der Kulisse des Brandenburger Tors lässt der Italiener Davide seine kleine Tochter ausgelassen durch die Luft kreisen: "Der Mauerfall ist nicht nur ein Berliner oder ein deutsches historisches Datum. Es ist europäische Geschichte", sagt der 31-Jährige. Und mit Blick auf seine zweijährige Tochter betont er: "In der Welt werden jetzt gerade wieder so viele neue Mauern errichtet. Es ist wichtig, von Anfang an zu verstehen, was das bedeutet."

Die rund zweistündige Bühnenschau wurde von Politikern, Zeitzeugen sowie zahlreichen Künstlern gestaltet, darunter Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD), Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Stardirigent Daniel Barenboim, der mit der Staatskapelle Berlin Beethovens 5. Symphonie, die Schicksalssinfonie, aufführte. Parallel dazu wurde auf mehreren Großbildschirmen historisches Filmmaterial in Schwarz-Weiß gezeigt vom Bau der Mauer über die Zeit der Teilung Deutschlands bis hin zum Mauerfall.

Müller räumt in seiner Rede ein: "Im Prozess der Wiedervereinigung ist nicht alles sofort und nicht alles gut gelungen." Trotzdem sei es eine beeindruckende Erfolgsgeschichte. Zugleich würdigt er alle Menschen, die am Zusammenwachsen Deutschlands mitgeholfen haben und sich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt engagieren. Für Berlin sei der Mauerfall das größte Glück gewesen.

Dem stimmt auch das Ehepaar Lindemann zu, die im West-Berliner Stadtteil Frohnau bis 1989 täglich die Mauer vor Augen hatten. Der andere Teil der Familie lebte auf der anderen Seite im Ostteil. "Manchmal konnten wir uns sehen. Zwischen uns die Grenzsoldaten. Aber wir haben unseren Verwandten in der DDR nicht zugewunken, weil wir sie nicht in Schwierigkeiten bringen wollte", sagt Herr Lindemann sichtlich bewegt.

"Mauern aus Frust"

Emotionen gibt es auch bei einem Ehepaar aus Dresden, das sich die Jubiläumsfeier am Brandenburger Tor anschaut. "Wenn ich die Bilder sehe, kommt schon die eine oder andere Träne", räumt der 60-jährige Mann ein. Am 9. November 1989 arbeitete er als Feuerwehrmann und hat den ganzen Abend im Fernsehen die Nachrichten verfolgt. Schon wenige Tage später ist er mit Kollegen nach West-Berlin gereist. "Ich wollte mir das mal anschauen."

Es sind aber nicht nur gute Erinnerungen, die das Jubiläum bei ihm auslöst. Der Dresdner erzählt, dass er auch als Grenzsoldat am sächsisch-bayerischen Todesstreifen gearbeitet hat. Weg hätte er damals nicht gekonnt, dann wäre er "im Knast gelandet". Seine 54-Jährige Frau erinnert sich an die angespannten Wochen in Dresden vor dem Mauerfall. Bei den Friedensdemonstrationen oder als die Flüchtlingszüge von Prag in die Bundesrepublik fuhren, wussten die Dresdner nicht, "ob es friedlich bleibt oder ob geschossen wird". Sie wünscht sich, dass nicht nur über den Freiheitskampf aus Leipzig oder Berlin berichtet wird. Auch an vielen anderen Orten im Osten habe es engagierte Menschen gegeben, die Mut bewiesen hätten "lange vor der großen Demo in Leipzig".

Staatspräsident Steinmeier ermutigt die Menschen in Deutschland unterdessen, sich gegenseitig mehr von ihren individuellen Geschichten zu erzählen: "Hören wir einander zu und nehmen wir uns gegenseitig ernst." Zugleich ruft er dazu auf, neu entstandene Mauern einzureißen. "Mauern aus Frust, Mauern aus Wut und Hass. Mauern der Sprachlosigkeit und der Entfremdung. Mauern, die unsichtbar sind, aber trotzdem spalten. Mauern, die unserem Zusammenhalt im Wege stehen."

Christine Xuân Müller (epd)


Laschet für mehr Schüleraustausch mit Ostdeutschland

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) wirbt für mehr Schüleraustausch zwischen Schulen in NRW und Ostdeutschland. "Auch 30 Jahre nach dem Mauerfall wissen wir zu wenig voneinander", sagte er dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (9. November). Viele Rheinländer oder Westfalen seien noch nie in Ostdeutschland gewesen. Das gelte gerade auch für junge Leute.

Klassenfahrten führten nach Paris, Barcelona oder Berlin. "Warum nicht auch nach Erfurt oder Greifswald?", fragte Laschet. Man müsse die Schüler mehr "rübermachen" lassen. Im Idealfall entstünden neue Freundschaften. "Das brauchen wir, um heute zusammenzubringen, was seit 30 Jahren zusammengehört", sagte der NRW-Ministerpräsident.

Schulministerin: Erinnerung an DDR-Geschichte droht zu verblassen

Dem stimmte NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) zu. "Gerade weil junge Menschen heute wie selbstverständlich in einem geeinten Deutschland aufwachsen und Erinnerungen verblassen, werden Schulfahrten und Begegnungen zur deutsch-deutschen Teilung und Wiedervereinigung immer bedeutender", erklärte sie. Die Auseinandersetzung mit DDR-Geschichte und SED-Diktatur seien "ein unverzichtbarer Bestandteil unserer historisch-politischen Bildung".

Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Christian Hirte (CDU), bewertete den Vorschlag positiv. "Wir erleben gerade, dass tatsächliche und scheinbare Gegensätze wieder stärker betont und in den Blick genommen werden", sagte er der Zeitung. Unkenntnis und Fremdheit nehme eher wieder zu.

Auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) befürwortet einem Sprecher zufolge Schüleraustausch, sowohl international als auch zwischen Ost und West, zum besseren Verständnis unterschiedlicher Lebensbedingungen und Auffassungen. Auch Treffen an markanten Punkten der Geschichte wie dem ehemaligen Grenzkontrollpunkt Marienborn seien wünschenswert, sagte der Sprecher dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Einen Zwang dazu lehne Haseloff aber ab.

Umfrage: Jeder sechste Westdeutsche war seit 1989 noch nicht im Osten

Menschen aus Ostdeutschland reisen weit häufiger in die alten Bundesländer als umgekehrt. Laut ARD-Deutschlandtrend sind seit dem Mauerfall vor 30 Jahren Menschen aus Westdeutschland im Schnitt 17 Mal privat in die neuen Bundesländer außer Berlin gereist, wie der Westdeutsche Rundfunk (WDR) in Köln am 7. November mitteilte. Ostdeutsche wählten den umgekehrten Weg im selben Zeitraum im Schnitt 68 Mal - also viermal so oft. Nur zwei Prozent der befragten Ostdeutschen waren noch nie privat in die alten Bundesländer gereist, bei den Westdeutschen waren es 17 Prozent, die noch nie privat in den neuen Bundesländern waren.

Eine Mehrheit der Deutschen hat insgesamt einen positiven Blick auf die Wiedervereinigung. In Westdeutschland sagten 56 Prozent der Befragten, die deutsche Vereinigung habe für sie persönlich eher Vorteile gebracht - das bedeutete eine Plus von fünf Punkten gegenüber dem September 2009. In Ostdeutschland sehen 60 Prozent der Befragten für sich persönlich eher Vorteile. Die Quote ging diesem Bereich allerdings nach unten - vor zehn Jahren hatte sie noch bei 67 Prozent gelegen.

Die heutigen Verhältnisse in Deutschland werden im Vergleich zur früheren DDR von den Befragten zumeist positiv gesehen. Insbesondere die Reisemöglichkeiten bewerteten 92 Prozent der Ost- und 94 Prozent der Westdeutschen heute als besser. Die heutige Wirtschaft halten 65 Prozent der Ostdeutschen und 80 Prozent der Westdeutschen für besser als die Wirtschaft in der DDR.

77 Prozent der Befragten im Osten kritisieren allerdings, dass die Lebensleistung der ehemaligen DDR-Bürger im wiedervereinigten Deutschland nicht ausreichend wertgeschätzt werde. Im Westen teilten 49 Prozent diese Ansicht, 43 Prozent stimmten der Aussage nicht zu.

Für die repräsentative Umfrage hatte Infratest Dimap im Auftrag der ARD am 4. und 5. November insgesamt 1.007 Menschen befragt. Per Telefon wurden je zur Hälfte Menschen interviewt, die in den alten oder den neuen Bundesländern leben.



Demokratiepreis Bonn für oberste polnische Richterin

Die polnische Richterin Malgorzata Gersdorf wehrt sich gegen Eingriffe der polnischen Regierung in die Unabhängigkeit der Justiz. Dafür hat sie jetzt einen Preis erhalten.

Die Präsidentin des Obersten Gerichts in Polen, Malgorzata Gersdorf, ist am 8. November mit dem siebten Internationalen Demokratiepreis Bonn ausgezeichnet worden. Die Arbeitsrechtlerin erhielt die mit 5.000 Euro dotierte Ehrung für ihr unermüdliches Engagement für eine unabhängige Justiz in ihrer Heimat. "Die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit ist die oberste Pflicht eines jeden Richters", sagte Gersdorf in ihrer Dankesrede bei der Preisverleihung auf dem Petersberg bei Königswinter.

Gersdorf ist seit 2008 Richterin am Obersten Gericht in Polen und seit 2014 dessen Präsidentin. Die 66-jährige Juristin und Professorin an der Universität Warschau protestierte entschieden gegen eine umstrittene Justizreform der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS).

Seit 2015 habe die Regierung zahlreiche Eingriffe in die Gewaltenteilung vorgenommen, berichtete sie beim Festakt. So habe etwa der Verfassungsgerichtshof seine Legitimität verloren, weil er mit Personen besetzt sei, die "mit der derzeitigen parlamentarischen Mehrheit verbunden oder von ihr abhängig sind". Das Amt des Justizministers sei mit dem des Generalstaatsanwaltes verschmolzen worden. Der Angriff auf die polnische Justiz sollte anderen als Warnung gelten, sagte Gersdorf. "Aus dieser Warnung sollten wir sowohl in Polen als auch in Europa Schlussfolgerungen ziehen."

Barley: EU steht an der Seite unabhängiger Justiz

Die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments und ehemalige Justizministerin Katarina Barley (SPD) sicherte der Preisträgerin in ihrer Laudatio Unterstützung zu: "Das Europäische Parlament steht an Ihrer Seite, an der Seite einer unabhängigen Justiz." Die Diskussion darüber, wie Rechtsstaat und Demokratie in den Mitgliedsstaaten der EU noch besser geschützt werden könnten, sei im Gange, sagte Barley.

Der Internationale Demokratiepreis Bonn wird an Personen oder Organisationen vergeben, die sich in herausragender Weise um die Demokratisierung und die Wahrung der Menschenrechte verdient gemacht haben. Bisherige Preisträger waren unter anderem der frühere tschechische Staatspräsident Václav Havel (2009), die iranische Menschenrechtlerin und Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi (2010), die Organisation Reporter ohne Grenzen (2014) und die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini (2016).



Regierung sieht Terrorpotenzial bei rechten Bürgerwehren

Der Übergang "zu einem eigenmächtigen Eintreten für Sicherheit und Ordnung abseits des staatlichen Gewaltmonopols oder gar hin zu einem gewalttätigen Handeln" sei fließend, warnt das Bundesinnenministerium.

Die Bundesregierung sieht bei selbst ernannten Bürgerwehren "Ansätze für rechtsterroristische Potenziale". Achtmal sei das Phänomen in den vergangenen zwei Jahren Thema im gemeinsamen Terrorabwehrzentrum der Sicherheitsbehörden gewesen, heißt es in der Antwort des Innenministeriums auf eine Anfrage der Links-Fraktion, die dem epd vorliegt. Bei allen bekannten Bürgerwehren "bestehen tatsächliche Anhaltspunkte für eine rechtsextreme Einflussnahme oder Dominanz".

Der Übergang von der Bürgerwehr "hin zu einem eigenmächtigen Eintreten für Sicherheit und Ordnung abseits des staatlichen Gewaltmonopols oder gar hin zu einem gewalttätigen Handeln" sei fließend, schreibt das Ministerium. In fast allen Bundesländern existierten mittlerweile entsprechende Gruppierungen. Über Mitgliederzahlen der Bürgerwehren oder Teilnehmer an Patrouillen gab es keine Angaben. Zuerst hatte die "Neue Osnabrücker Zeitung" darüber berichtet.

"Angstzonen für Andersdenkende"

Die einzige bundesweit agierende Bürgerwehr-Organisation "Soldiers of Odin Germany" verfügt den Angaben zufolge über Unterabteilungen in fast allen Bundesländern. Sie nähmen mit ihren Abordnungen an einer Vielzahl von Veranstaltungen der rechtsextremen Szene im ganzen Bundesgebiet teil, hieß es.

Die Rechtsextremisten gäben vor, der Staat sei außerstande, die Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten. Sie argumentierten, deswegen müssten Bürgerwehren diese Aufgabe übernehmen. Die Wehren sollen laut Ministerium demonstrieren, dass die Rechtsextremisten Teil der bürgerlich-demokratischen Mehrheitsgesellschaft seien. Sie sollen zudem Fremde und politische Gegner einschüchtern. Rechtsextreme Parteien wie die NPD oder "Die Rechte" seien ebenfalls involviert.

Die innenpolitische Sprecherin der Links-Fraktion im Bundestag, Ulla Jelpke, forderte die Sicherheitsbehörden auf, konsequent gegen die selbst ernannten Bürgerwehren vorzugehen. "Es darf nicht hingenommen werden, dass aufgrund der öffentlichen Präsenz solcher Schlägertrupps Angstzonen für Andersdenkende oder Migranten entstehen", sagte sie.



Spahn will "Konversionstherapie" verbieten - mit Ausnahmen

Gesundheitsminister Spahn hat ein Gesetz für ein teilweises Verbot sogenannter Konversionstherapien gegen Homosexualität vorgelegt. Besonders junge Menschen und solche, die leicht zu manipulieren sind, sollen geschützt werden. Es drohen hohe Strafen.

Ein Verbot der sogenannten Konversionstherapien gegen Homosexualität rückt näher. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat am 4. November in Berlin einen Gesetzentwurf vorgelegt, wonach Behandlern oder Vermittlern Freiheitsstrafen von bis zu einem Jahr drohen. Spahn erklärte, schon der Begriff Therapie sei irreführend: "Diese angebliche Therapie macht krank und nicht gesund."

Das "Redaktionsnetzwerk Deutschland" hatte zuerst über die Fertigstellung des Gesetzentwurfs berichtet. Danach sind Konversionstherapien künftig bei unter 18-Jährigen verboten. Das Verbot gilt auch, wenn eine volljährige Person durch Täuschung, Irrtum, Zwang oder Drohungen zu der Entscheidung gebracht wird, sich behandeln zu lassen. Bei 16- bis 18-Jährigen gibt es eine Ausnahme vom Verbot dann, wenn der Behandler nachweist, dass sein Kunde genau weiß, worauf er oder sie sich einlässt.

Folgen solcher Konversionstherapien seien oft schweres seelisches und körperliches Leid, erklärte Spahn. Homosexualität sei keine Krankheit. "Ein Verbot ist auch ein wichtiges gesellschaftliches Zeichen an alle, die mit ihrer Homosexualität hadern: Es ist ok, so wie du bist", sagte Spahn.

Bußgeld bis 30.000 Euro

Auch die Werbung für die sogenannten Therapien soll bestraft werden. Bei Personen unter 18 Jahren wird jegliches Bewerben, Anbieten oder Vermitteln solcher Behandlungen künftig verboten, bei Personen über 18 Jahre nur die öffentliche Reklame, das Anbieten und die Vermittlung. Hintergrund ist vermutlich, dass Minderjährige auch von Eltern oder Erziehern zu einer Konversionstherapie gedrängt werden können.

Seelsorger oder Psychotherapeuten dürfen in Gesprächen oder Therapien nicht Einfluss zu nehmen versuchen auf die sexuelle Orientierung oder die selbstempfundene geschlechtliche Identität ihrer Klienten. Bei Verstößen gegen das Werbeverbot drohen Bußgelder bis zu 30.000 Euro.

Das Bundesgesundheitsministerium teilte mit, der Entwurf sei bereits zwischen den Ministerien der Bundesregierung abgestimmt worden. Ein Sprecher sagte, er solle bis Ende des Jahres vom Kabinett beschlossen werden.

Konversionstherapien können schwere Schäden anrichten

Die FDP kritisierte, die Regierung habe viel Zeit verloren. Spahn müsse den ursprünglich für vor der Sommerpause angekündigten Gesetzentwurf nun endlich auch dem Parlament vorlegen, forderte der zuständige Sprecher der Bundestagsfraktion, Jens Brandenburg. Die menschenverachtenden Konversionstherapien seien ein schwerer Eingriff in die persönliche Selbstbestimmung. Die Grünen äußerten sich ähnlich und forderten außer einem strafrechtlichen Verbot Kampagnen, die über die Gefährlichkeit der Behandlungen aufklären. Sie hatten bereits vor sechs Jahren einen Gesetzentwurf zu Konversionstherapien vorgelegt.

Sogenannte Konversionstherapien zur angeblichen "Heilung" von Homosexualität, Bi-, Trans- oder Intersexualität können schwere Schäden anrichten. In der medizinischen Fachwelt ist man sich einig, dass die Unterdrückung der sexuellen Identität eines Menschen zu Depressionen, Angsterkrankungen oder einem erhöhten Suizidrisiko führen kann. Der nun vorgelegte Gesetzentwurf fußt nach Angaben des Gesundheitsministeriums auf den Erkenntnissen einer umfangreichen Bestandsaufnahme der sogenannten Konversionstherapien und ihrer Folgen, die das Ministerium gemeinsam mit der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld vorgenommen hatte.



Regierung beschließt Deutsch-Pflicht für Imame


Ausgaben des Koran in der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin-Moabit (Archivbild)
epd-bild/Jürgen Blume
Religiöses Personal aus dem Ausland soll nach Plänen der Bundesregierung genügend Sprachkenntnisse für die Arbeit in Deutschland nachweisen. Das Bundeskabinett beschloss die Deutsch-Pflicht auf dem Verordnungsweg. Die Länder müssen noch zustimmen.

Die Bundesregierung will dafür sorgen, dass Geistliche aus dem Ausland nur mit ausreichenden Deutschkenntnissen in Deutschland tätig sind. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums bestätigte am 6. November, dass das Bundeskabinett eine entsprechende Änderung der Aufenthalts- und Beschäftigungsverordnung beschlossen hat. Für eine Übergangszeit sollen dem Sprecher zufolge einfache Deutschkenntnisse für den Aufenthalt in Deutschland genügen.

Nach einem Bericht des "Redaktionsnetzwerks Deutschland" (RND), das unter Berufung auf die Vorlage für das Kabinett zuerst über den Entwurf berichtete, sollen bessere Sprachkenntnisse, die im Wesentlichen eine Verständigung im Alltag verlangen, innerhalb von weniger als einem Jahr nachgewiesen werden. Die Deutsch-Pflicht für Imame geht nach Worten des Sprechers auf eine Vereinbarung im Koalitionsvertrag zurück.

Begründet wird die Maßnahme integrationspolitisch. "Aus religiösen Gründen Beschäftigte übernehmen in ihren Gemeinden oft eine prägende Rolle", heißt es laut RND in dem Entwurf. Sie hätten "kraft Amtes eine Vorbild- und Beraterfunktion", die für ein friedliches Zusammenleben verschiedener Kulturen und Religionen sowie für erfolgreiche Integration neu Zugewanderter in Deutschland wichtig sei.

Viele Imame aus dem Ausland

Viele Imame in deutschen Moscheegemeinden stammen aus dem Ausland. Nach einer im März von der Konrad-Adenauer-Stiftung vorgelegten Studie sind es 80 bis 90 Prozent. Der größte deutsche Moschee-Verband Ditib beschäftigt beispielsweise vorwiegend Imame aus der Türkei.

Die Beschäftigungsverordnung sieht für ein Visum "vorwiegend aus karitativen oder religiösen Gründen" bislang keine Bedingungen vor. Das würde sich ändern und nicht nur muslimische Gemeinden, sondern alle Religionsgemeinschaften betreffen. Auch viele christliche Gemeinden - Auslandsgemeinden oder die katholische Kirche - beschäftigen Geistliche aus dem Ausland.

Sie reagierten im März skeptisch auf die geplante Deutsch-Pflicht. Von der katholischen Deutschen Bischofskonferenz hieß es damals, die Anforderungen dürften nicht dazu führen, dass die Einreise unmöglich gemacht wird. Die Beschäftigungsverordnung gilt für Ausländer aus Staaten außerhalb der EU. Verordnungen beschließt die Bundesregierung. Der Änderung muss der Bundesrat noch zustimmen, der Bundestag allerdings nicht.

Der Religionssoziologe Rauf Ceylan begrüßte die Pläne, hält sie aber für zu spät. Die Diskussion um eine Deutschpflicht hätte schon geführt werden müssen, als die ersten Imame in den 80er Jahren nach Deutschland kamen, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Inzwischen sei eine solche Pflicht eher eine "Minilösung". "Anstatt Ressourcen dafür zu verschwenden, über eine Deutschpflicht zu sprechen, sollte lieber darüber nachgedacht werden, wie die hier ausgebildeten Imame eingestellt werden können", sagt er.

Auch die migrationspolitische Sprecherin der Grünen, Filiz Polat, forderte, die Ankündigungen der Islamkonferenz in puncto Imam-Ausbildung in Deutschland "mit Leben zu füllen". "Die vom Bundesinnenministerium geplante Änderung der Einreisebestimmung für Geistliche wird den offensichtlichen Bedarf islamischer Geistlicher, der bisher nicht aus Deutschland heraus gedeckt werden kann, verschärfen", befürchtet die Bundestagsabgeordnete.



Migrationsforscher: Haltung zu Integration besser als ihr Ruf

Die Bewertung von Migration in Deutschland ist nach Auffassung des Migrationsforschers Haci-Halil Uslucan in der Bevölkerung deutlich besser als die öffentliche Diskussion darüber. Seit 2015 hätten sich jeweils 60 bis 70 Prozent der Befragten aus allen Bevölkerungsgruppen in Umfragen positiv geäußert, sagte Uslucan am 4. November bei einer Tagung des Landessozialgerichts NRW in Essen. Der Leiter des Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung an der Universität Duisburg-Essen betonte: "Multikulti ist weder tot, noch ist die Integration glänzend bewältigt, insgesamt ist noch Luft nach oben."

Deutschland selten mit Heimatgefühl vebunden

Als negative Entwicklung nannte Uslucan eine seit 2010 wider Erwarten abnehmende Identifikation der jüngeren türkeistämmigen Zuwanderergeneration. "Das Gefühl, Deutschland als Heimat zu haben, nimmt ab und die emotionale Beheimatung mit der Türkei nimmt zu", erläuterte der Professor für moderne Türkeistudien. Als Grund dafür sieht er unterschiedliche Ansprüche der Generationen. Während die Älteren ihr Leben in Deutschland mit dem in der Türkei verglichen hätten, würden die Jüngeren sich nicht damit zufrieden geben, in Deutschland Bürger zweiter Klasse zu sein: "Sie rebellieren gegen Diskriminierung und Ausgrenzung."

Die Essener Fachanwältin für Migrationsrecht, Nizaqete Bislimi-Hoso, kritisierte die unsichere Bleiberechtsperspektive vieler Migranten. "Ich finde es sehr problematisch, Menschen zu kategorisieren", sagte Bislimi-Hoso, die selbst als 14-Jährige als Flüchtling aus dem Kosovo nach Deutschland kam und noch während des Studiums in einer Aufnahmeeinrichtung lebte. Wer nur geduldet sei, für den sei auch der Zugang zu Sprache, Bildung und dem Arbeitsmarkt erschwert oder unmöglich und damit auch zur Integration. Die Anwältin und Vorsitzende des Bundes Roma Verbandes forderte, vor allem für Roma aus Rumänien und Bulgarien eine Lösung zu finden.

Die Dortmunder Gesundheitsdezernentin Birgit Zoerner (SPD) wies darauf hin, dass viele Zuwanderer aus eben diesen Ländern aus prekären Verhältnissen kämen, oft nur mit geringer oder gar keiner Bildung. "Die bringen all ihre Probleme mit in die Kommunen", sagte Zoerner. So habe die Stadt ein dichtes Netzwerk von sozialen Hilfen geschaffen und in jüngster Zeit rund 1.500 Menschen neu in Arbeit gebracht. "Es gibt keine Alternative zur Integration", betonte die SPD-Politikerin. Der Sozialmissbrauch sei in Dortmund aufgrund des engmaschigen Hilfenetzes geringer als in anderen Städten.



Verfassungsschutz lehnt oft Bootsflüchtlinge ab

Immer mehr Bootsflüchtlinge, die nach Deutschland wollen, werden vom Verfassungsschutz aus Sicherheitsgründen abgelehnt. Der Einsatz des Verfassungsschutzes in Aufnahmelagern in Malta und Italien stößt bei der Linkspartei auf Kritik.

Deutsche Sicherheitsbehörden legen immer häufiger Einspruch gegen die Aufnahme von Bootsflüchtlingen ein. Von Ende April bis Oktober machten sie bei 323 Kontrollen in 47 Fällen Sicherheitsbedenken geltend, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion hervorgeht, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt. Zwischen März 2018 und April 2019 waren es hingegen bei 324 Sicherheitsüberprüfungen gerade zehn Fälle gewesen. Die Einsprüche bis Oktober betrafen unter anderem Menschen aus dem Sudan, Tschad, Senegal, Ghana, Marokko und Libyen. Zuerst hatten die Zeitungen der "Funke Mediengruppe" (6. November) darüber berichtet.

Die Sicherheitsüberprüfung sei "obligatorisch und eine Voraussetzung für die Zusage der Übernahme zur Durchführung eines Asylverfahrens", heißt es in der Antwort des Bundesinnenministeriums. Federführend bei den Sicherheitskontrollen und Befragungen der Flüchtlinge in Malta und Italien sind das Bundesamt für Verfassungsschutz, die Bundespolizei und das Bundeskriminalamt. Die Befragungen finden in den Räumen der Aufnahmeeinrichtungen statt, in denen die Flüchtlinge untergebracht sind. Zu den konkreten Sicherheitsbedenken könne wegen des Schutzes der Persönlichkeit der betroffenen Personen keine Angabe gemacht werden, hieß es.

Bei den Seenotrettungsfällen würden Menschen aus Herkunftsstaaten mit hoher Schutzquote sowie Menschen mit familiären Verbindungen nach Deutschland bei der Aufnahme in Deutschland bevorzugt berücksichtigt, hieß es weiter. Das gleiche gelte für geschlossene Familienverbände und verletzte oder traumatisierte Menschen. Spätere Asylverfahren in Deutschland würden unabhängig von den Sicherheitsbefragungen durchgeführt, erklärte das Ministerium. Es gebe dort keinen Abgleich mit den Fragen und Antworten der vorherigen Überprüfung.

Die Linksfraktion kritisierte die Sicherheitsüberprüfungen durch den deutschen Geheimdienst von Flüchtlingen in Malta und Italien. Der Einsatz des Bundesamtes für Verfassungsschutz im Ausland sei systemfremd, sagte die Bundestagsabgeordnete Gökay Akbulut den "Funke-Zeitungen". Der Dienst dürfe nur in Deutschland tätig werden und nur in ganz bestimmten Ausnahmen im Ausland aktiv sein. Das sei dann der Fall, wenn die freiheitliche demokratische Grundordnung oder der Bestand oder die Sicherheit des Bundes betroffen seien, sagte Akbulut hervor. "Diese Voraussetzungen sind bei aus Seenot geretteten Schutzsuchenden jedoch nicht erfüllt".



Ministerium: 100 IS-Anhänger mit NRW-Bezug in Syrien

Laut dem nordrhein-westfälischen Innenministerium halten sich noch etwa 100 IS-Anhänger mit NRW-Bezug in Syrien auf. Insgesamt seien rund 1.050 Menschen aus Deutschland in die Gebiete der Terrormiliz ausgereist, 260 davon aus NRW, heißt es in dem Bericht von Innenminister Herbert Reul (CDU) für den Innenausschuss am 6. November, der bereits am 5. November veröffentlicht wurde. Bei der Situation in der Krisenregion sei es allerdings nicht möglich, genau festzustellen, wo sich die einzelnen Menschen aus NRW genau aufhalten.

Genaue Angaben zur Zahl der zu erwartenden Rückkehrer könne man allerdings nicht machen, heißt es in dem Bericht. Zwar gehe man "bei einem Großteil" der Anhänger der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) von Rückkehrabsichten aus. "Eine unkontrollierte Rückkehr von IS-Kämpfern und ihren Angehörigen nach Nordrhein-Westfalen gilt es zu verhindern", schreibt Reul. Mittelfristig könne man allerdings nicht gänzlich ausschließen, dass IS-Rückkehrer eine Registrierung an den EU-Außengrenzen umgehen werden.

Reul verweist in dem Bericht auf verschiedene Maßnahmen von Bund und Ländern, um die von den Rückkehrern ausgehenden Gefahren zu bewerten und entsprechende Maßnahmen einzuleiten. Neben repressiven Maßnahmen werde auch eine mögliche Deradikalisierung geprüft. Der Innenminister geht davon aus, dass vor allem männliche Rückkehrer im Umgang mit Waffen und anderen Kampfstoffen geschult sind und über Kampferfahrung verfügen. Mit einer eventuell bestehenden Ideologisierung bestehe deshalb ein "besonderes Gefahrenpotential". Der Bericht ist eine Reaktion auf einen Antrag der SPD-Fraktion zur Bewertung der von IS-Rückkehrern ausgehenden Gefährdung vor dem Hintergrund der türkischen Militäroffensive im Norden Syriens.



Konfliktforscher Schetter warnt vor Entgrenzung von Kriegen

Der Bonner Friedens- und Konfliktforscher Conrad Schetter hat vor einer Entgrenzung bewaffneter Konflikte gewarnt. "Ich glaube, dass wir an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter stehen, in dem Krieg ganz anders geführt wird", sagte der wissenschaftliche Direktor des Internationalen Konversionszentrums Bonn (BICC) dem Evangelischen Pressedienst (epd) anlässlich des 25. Jubiläums des Instituts. "Künftig wird Krieg längst nicht mehr räumlich und zeitlich so abgegrenzt sein wie in der Vergangenheit."

Derzeit würden militärische Innovationen in Gewaltkonflikten als rechtsfreie Räume ausprobiert, sagte Schetter. Dazu gehöre etwa der Einsatz von Drohnen oder künstlicher Intelligenz sowie Cyberattacken. Für diese Art der Kriegsführung gebe es bislang keine internationalen Regeln. "Wir haben gegenwärtig eine Situation, in der das Völkerrecht immer stärker den militärischen Handlungen hinterherhinkt und diese kaum noch einfangen kann. Darin liegt eine sehr große Gefahr."

Rückkehr zu autokratischer und nationalistischer Politik

Zugleich gebe es einen weltweiten Trend zur Rückkehr zu autokratischer und nationalistischer Politik. Als Folge würden immer weniger multilaterale Abmachungen eingehalten. Ein Beispiel sei der im August außer Kraft gesetzte russisch-amerikanische INF-Vertrag zur Abrüstung von Kurz- und Mittelstreckenraketen. "Und das ist vielleicht die allergrößte Gefahr, dass letztlich jeder Staat Krieg führen kann und durch das internationale Recht und internationale Normen nicht mehr daran gehindert werden kann." Es sei dringend notwendig, dass sich Staaten und nichtstaatliche Akteure zusammenfänden, um ein neues Regelwerk zu vereinbaren.

"Im Moment ist meine Befürchtung, dass wir den entgegengesetzten Trend haben", warnte Schetter. "Vielleicht - das wäre das schlimmste Szenario - bedarf es dazu erst einmal wieder einer humanitären Katastrophe, die die Menschen zur Besinnung bringt."

Zahl der Kriegsopfer rückläufig

Positiv zu verzeichnen sei, dass die Zahl der Opfer von Kriegen in den vergangenen Jahren zurückgegangen sei. Zudem gebe es nur noch wenige zwischenstaatliche Kriege. Meist handele es sich um innerstaatliche Konflikte.

Schetter appellierte an die Staaten des Westens, bei der Analyse weltweiter Konflikte, die westliche Brille abzusetzen. "Die meisten Konflikt-Lösungsmechanismen werden irgendwo in Washington oder Brüssel gemacht und beziehen zu wenig die lokalen Realitäten mit ein", kritisierte der Forscher.

Ein Beispiel dafür sei Mali, wo aus der Perspektive der Europäischen Union überwiegend Islamisten zur Destabilisierung des Landes beitrügen. Die Lage in dem westafrikanischen Land sei aber wesentlich komplexer. So gebe es etwa ethnische und pastorale Gruppierungen, die zwar in Opposition zum malischen Staat stünden, zugleich aber an ihm Teil haben wollten. "Diese werden heute alle als Gegner des Staates gesehen und mit den Terroristen in einen Topf geworfen, anstatt ihnen eine eigene Stimme zu geben," kritisierte Schetter. "Und diese Konflikte werden in der Konfliktanalyse des Westens ausgeklammert. Sie passen eben nicht in dieses Schema hinein, dass man in Mali nur den Terror bekämpfen muss."

Das BICC (Bonn International Center of Conversion) wurde 1994 auf Initiative des damaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan und des früheren nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Johannes Rau (SPD) initiiert. Es wird vom Land Nordrhein-Westfalen gefördert. Das BICC gilt als eines der führenden deutschen Friedens- und Konfliktforschungsinstitute.

epd-Gespräch: Claudia Rometsch


Verkehrswende braucht Vernetzung


In den Städten fehlen immer noch genügend Radfahrstreifen für Radfahrer.
epd-bild / Jens Schulze
Mobilität für alle, ohne die Umwelt zu zerstören - das ist die Herausforderung, vor der heute die Politik steht. Der Verkehrsclub Deutschland und die grünennahe Heinrich-Böll-Stiftung haben dazu einen "Mobilitätsatlas" mit Vorschlägen vorgelegt.

Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) und die Heinrich-Böll-Stiftung haben von der Politik mehr Anreize für eine rasche Verkehrswende gefordert. Kapazität und Qualität der öffentlichen Verkehrsangebote müsse verbessert werden. Bus, Bahn, Sharing-Angebote und Fahrrad müssten nutzerfreundlich kombinierbar gemacht werden, sagte Stiftungsvorstand Ellen Ueberschär am 5. November in Berlin bei der Vorstellung des "Mobilitätsatlas". Gemeinsam mit dem VCD entwickelt, erhält die 50 Seiten umfassende Publikation Beiträge zum Thema Verkehrswende und Klimaschutz.

Insbesondere im ländlichen Raum müsse ein "gut vernetzter und flexibler ÖPNV" politisch gefördert werden, sagte Ueberschär weiter. Als Vorbild für eine "regionale Mobilitätsgarantie" wird auf die Schweiz verwiesen. "Mobilität ist ein Freiheitsgut", unterstrich die Stiftungschefin. Wer individuelle Mobilität weiter ermöglichen wolle, müsse für weniger Verkehrsaufkommen sorgen: "Die Massenmobilität gefährdet unsere Freiheit", sagte Ueberschär.

Kerstin Haarmann, Bundesvorsitzende des VCD, plädierte unter anderem für Handy-Apps, die unterschiedliche Mobilitätsangebote für eine Wegstrecke anzeigen, die digital gebucht und auch abgerechnet werden können. Als Beispiele für eine gelingende Vernetzung von Verkehrsträgern in Städten nannte sie etwa Augsburg und Hannover. Großes Vorbild sei auch die Entwicklung in Finnland. So biete etwa die Hauptstadt Helsinki eine Smartphone-App an, die vom Mietfahrrad über das Taxi bis zur Metro alle verfügbaren Transportmittel zusammenführe.

Lärmbelästigung

"Wir brauchen mehr und sichere Rad- und Fußwege, den Umstieg auf kleine Elektroautos, am besten im Sharing-Betrieb, und einen starken ÖPNV", sagte Haarmann. Ein Fünftel der Treibhausgasemissionen in Deutschland komme aus dem Verkehrssektor, davon 96 Prozent aus dem Straßenverkehr, unterstrich Ueberschär. Sie verwies auch auf den unverhältnismäßig großen Flächenbedarf von parkenden und fahrenden Autos in Städten im Vergleich zu Straßenbahn, Rad oder Fußgänger.

Haarmann betonte zudem die Folgekosten des Verkehrs für Mensch und Umwelt. Diese tauchten in keiner Rechnung auf und würden von der Allgemeinheit getragen: "Drei Viertel aller Bürger fühlen sich in ihrem Wohnumfeld von Lärm belästigt." Lärm und Abgase könnten krank machen und führten zu Tausenden von vorzeitigen Todesfällen. Die Zahl sei ein Vielfaches von den tatsächlichen Verkehrsunfalltoten. Mit Blick auf die Diesel-Pkw heißt es im Mobilitätsatlas: fast drei Viertel der Stickoxide im Stadtverkehr stammten von Diesel-Pkw (2015: 72,5 Prozent).

Haarmann rief die Bundesregierung auf, umweltschädliche Subventionen abzuschaffen. Allein im Verkehrsbereich handele es sich um insgesamt 28,6 Milliarden Euro jährlich. Sie verwies dabei auf subventionierte Biokraftstoffe, Steuervorteile bei privat genutzten Dienstwagen, die Entfernungspauschale, die niedrige Besteuerung von Diesel, die fehlende Mehrwertsteuer auf internationale Flüge und die fehlende Energiesteuer auf Kerosin.



Zufriedenheitsrekord in Deutschland


Strand von Büsum: In Schleswig-Holstein leben die glücklichsten Deutschen (Archivbild)
epd-bild / Frank Drechsler
30 Jahre nach dem Mauerfall liegt das Glücksniveau in Deutschland auf einem Rekordwert. Zu diesem Ergebnis kommt der neue "Glücksatlas". Treibender Faktor ist demnach die steigende Lebenszufriedenheit in Ostdeutschland.

Die Deutschen sind laut "Glücksatlas 2019" so zufrieden wie noch nie. 30 Jahre nach dem Mauerfall liege die Lebenszufriedenheit der Menschen in Deutschland auf einem Allzeithoch, heißt es im "Deutsche Post Glücksatlas 2019", der am 5. November in Berlin vorgestellt wurde. Die wissenschaftliche Studie untersucht seit neun Jahren in Folge das Glücksniveau der Bundesbürger.

Demnach stieg die individuelle Lebenszufriedenheit in Deutschland aktuell auf den Wert von 7,14 Punkten auf einer Skala bis zehn. Das sei der höchste Wert seit 1989, betonte der Leiter des Forschungszentrums Generationenverträge der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg (FZG), Bernd Raffelhüschen.

Grund für den neuen Rekordwert sei die überdurchschnittlich gestiegene Lebenszufriedenheit in Ostdeutschland. Demnach erhöhte sich das ostdeutsche Glücksniveau um 0,11 auf 7,0 Punkte - dem höchsten Wert seit dem Mauerfall. Der aktuelle Glücksabstand zwischen West- und Ostdeutschland habe sich damit auf 0,17 Punkte verringert.

Schleswig-Holstein vorn

Der Glücksatlas, der von der Deutschen Post in Auftrag gegeben wird, misst die individuelle Lebenszufriedenheit anhand von Faktoren wie Arbeit und Einkommen, Gesundheit und Alter, Familie, Sicherheit, Freizeit und Medien und Wirtschaftswachstum. Zusätzlich wurde in diesem Jahr das Thema Geschlechtergerechtigkeit als Schwerpunkt in die Untersuchung miteinbezogen.

Mit Blick auf die einzelnen Bundesländer leben laut "Glücksatlas" die glücklichsten Deutschen wie schon in den Vorjahren in Schleswig-Holstein. Mit einem Wert von 7,44 Punkte liege hier die Lebenszufriedenheit auf Vorjahresniveau. Platz zwei belegt erstmals Hessen mit 7,31 Punkten. Danach folgt Hamburg mit 7,27 Punkten. Schlusslicht im sogenannten Glücksranking bildet erneut Brandenburg mit 6,76 Punkten.

Das Mittelfeld bilden westdeutsche Regionen mit geringem Abstand voneinander. Das südliche Bayern belegt Platz fünf. In Ostdeutschland leben die glücklichsten Menschen demnach in Thüringen (7,09) Am stärksten gestiegen sei hier allerdings die Zufriedenheit in Sachsen um 0,07 auf 6,98 Punkte. Mecklenburg-Vorpommern (6,87) sei wieder auf den 18. Platz abgerutscht.

Geschlechtergerechtigkeit

Beim diesjährigen Schwerpunktthema Geschlechtergerechtigkeit kommt der "Glücksatlas" überdies zu dem Schluss, dass das Arbeiten in geschlechtergemischten Teams die Arbeitszufriedenheit erhöht. So wirke sich das Arbeiten in gemischten Teams für zwei Drittel der Beschäftigen positiv aus. Dies gelte für Frauen und Männer gleichermaßen.

Die Vorteile würden in einem "besseren Arbeitsklima" (42 Prozent) und in "mehr Kreativität" (31 Prozent) gesehen. "Geschlechtergerechtigkeit ist nicht nur ein softer Faktor. Geschlechtergerechtigkeit ist ein Erfolgsfaktor für unsere wirtschaftlichen Ziele", sagte der Personalvorstand und Arbeitsdirektor Deutsche Post DHL Group, Thomas Ogilvie.

Die Daten für den "Glücksatlas 2019" stammen den Angaben zufolge aus dem Sozio-ökonomischen Panel (SOEP) sowie einer Allensbach-Umfage mit mehr als 5.000 repräsentativ ausgesuchten Teilnehmern ab 16 Jahren. Zudem befragte das Berliner Meinungsforschungsinstitut Ipsos 2.000 Bundesbürger zwischen 18 und 65 Jahren online zum Thema Geschlechtergerechtigkeit.



Glücksatlas: Westfalen unglücklicher als Rheinländer

Die Rheinländer sind laut "Glücksatlas 2019" zufriedener als die Westfalen. Westfalen bleibt mit dem 13. Platz im regionalen Vergleich westdeutsches Schlusslicht, wie es im "Deutsche Post Glücksatlas 2019" heißt, der am 5. November in Berlin vorgestellt wurde.

Das Rheinland unterteilten die "Glücksforscher" in einzelne Regionen. Für Westfalen fand eine regionale Aufteilung hingegen nicht statt. Direkt vor Westfalen in seiner Gesamtheit schaffte es auf Platz zwölf die Region um Düsseldorf und den Niederrhein.

Zufriedene Kölner

Die zufriedensten Menschen in Nordrhein-Westfalen leben laut "Glücksatlas" in Köln, dem nördlichen Rheinland und der Voreifel: diese Gebiete schafften es als zusammengefasste Region auf Platz sechs.

Die wissenschaftliche Studie untersucht seit neun Jahren in Folge das Glücksniveau der Bundesbürger. Für Nordrhein-Westfalen zeigten sich verschiedene Zufriedenheitspunkte. Die Düsseldorfer kamen mit einer Lebenszufriedenheit von 7,12 Punkten dem gesamtdeutschen Durchschnitt am nächsten. Überdurchschnittlich zufrieden sind die Menschen im Nordrhein und im Düsseldorfer Raum mit ihrem Haushaltseinkommen (6,9 Punkte) und ihrer Arbeit (7,2). Weniger zufrieden sind sie mit ihrer Gesundheit (6,5 Punkte).

Anders die Menschen in der Kölner Region: Sie sind die mit ihrer Gesundheit zufriedensten Deutschen (6,9 Prozent). Zudem gibt es dort laut Studie bundesweit den geringsten Anteil gesundheitlich beeinträchtiger Menschen (15,7 Prozent).

Meisten zusammenlebenden Paare in Westfalen

Die Westfalen zeigten sich mit ihrer Wohn- und Freizeitsituation (7,5), der Arbeit (7,1) und ihrer Gesundheit (6,5) leicht unterdurchschnittlich zufrieden. Innerhalb Nordrhein-Westfalens leben die meisten Menschen in Westfalen mit ihrem Partner zusammen: Der Anteil Verheirateter oder mit einem Partner zusammenlebender Menschen ist mit 72 Prozent deutschlandweit der vierthöchste.

Die Daten für den "Glücksatlas 2019" stammen den Angaben zufolge aus dem Sozio-ökonomischen Panel sowie einer Allensbach-Umfage mit mehr als 5.000 repräsentativ ausgesuchten Teilnehmern.



Land NRW gibt Startschuss für Projekte der Ruhr-Konferenz


Das ehemalige Bergwerk Prosper-Haniel in Bottrop
epd-bild/Udo Gottschalk

Das Ruhrgebiet als der größte europäische Ballungsraum soll in den nächsten Jahren deutlich an Attraktivität gewinnen. Das ist das Ziel der vor zwei Jahren von der NRW-Landesregierung ins Leben gerufenen Ruhr-Konferenz, deren Ideen jetzt schrittweise umgesetzt werden sollen. Das Landeskabinett beschloss dazu einen Etat von zunächst 60 Millionen Euro für den kommenden Haushalt, um die Pläne voranzubringen, wie Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) am 6. November berichtete. Vorangegangen waren Themenforen mit Ministerien, Kommunen, Kammern und Verbänden sowie Bürgerversammlungen.

In fünf Themenfeldern soll es für das Revier mit seinen rund fünf Millionen Menschen in den nächsten Jahren vorangehen. Das sind die Bereiche Mobilität und Verkehr, Wirtschaft und Arbeit, gelebte Vielfalt und Zusammenhalt, Energie, Klima und Umwelt sowie Bildung und Forschung. Die Impulse dazu sollen insgesamt 74 Projekte liefern, die unter dem Leitmotiv "Chancenregion Ruhr" zusammengefasst sind.

Arbeitslosigkeit im Revier liegt über Bundesdurchschnitt

"Ein Ruhrgebiet, das wieder zum Motor für Innovation und wirtschaftlichen Erfolg wird, ist gut für ganz NRW und für Deutschland", betonte Laschet. Aktuell liegt die Arbeitslosigkeit im Revier mit rund neun Prozent deutlich höher als im gesamten Bundesland mit einem Durchschnittswert von 6,3 Prozent. Nach dem Ende der Steinkohleförderung und jahrzehntelangen Rückgängen auch bei der Stahlproduktion befindet sich die Region noch immer im Strukturwandel.

Auch die Verkehrsinfrastruktur soll modernisiert werden. Vorgesehen ist unter anderem die Sanierung von Stadt- und U-Bahn-Netzen, für die das Land bereits eine Kostenübernahme in Höhe von einer Milliarde Euro zugesagt hat. Neue Arbeitsplätze sollen über mehr technologische Innovationen kommen. Ideen dafür soll unter anderem die engere Zusammenarbeit der drei Universitäten Bochum, Dortmund und Duisburg-Essen liefern, die ihre Forschungsaktivitäten etwa in den Feldern Computer, Umwelt-, Pharma und Materialien bündeln wollen.

Mehr Lebensqualität ist das Ziel von Umweltprojekten wie der Schaffung eines Netzes aus Grün- und Freiräumen, mehr Dachbegrünungen und die Förderung erneuerbarer Energien. Dabei kann sich Laschet vorstellen, dass die Region zum Zentrum der Wasserstoff-Technik aufsteigen könnte. Mit Blick auf die innere Sicherheit ist ein stärkeres Vorgehen gegen Clankriminalität geplant.

"Nie zuvor wurde und wird so intensiv an der Zukunft des Ruhrgebiets gearbeitet wie jetzt. Die fünf Handlungsfelder ermöglichen eine langfristige und nachhaltige Entwicklung", sagte Laschet. Dazu zählt der Ministerpräsident auch eine mögliche Bewerbung der Region für die Olympischen Sommerspiele 2032 und eine bessere Vernetzung des Duisburger Hafens mit dem Nordseehafen Rotterdam.



Tourismuswirtschaft in NRW wächst

Die Tourismusbranche in Nordrhein-Westfalen wächst. Die Zahl der Erwerbstätigen erhöhte sich zwischen 2013 und 2017 um zehn Prozent auf 468.000, wie aus einer am 4. November veröffentlichten Studie im Auftrag des Dachverbands Tourismus NRW hervorgeht. Jeder 20. Erwerbstätige ist damit in NRW im Tourismus-Bereich tätig. Rechnet man indirekte Effekte wie Lieferungen von Bäckereien an Gaststätten oder Renovierungsarbeiten durch Handwerker hinzu, wurden weitere 182.000 Beschäftigte gezählt.

2017 wurden den Angaben zufolge mehr als 18 Milliarden Euro mit Tourismus-Ausgaben wie etwa Restaurantbesuchen und Hotelübernachtungen erwirtschaftet. Das waren knapp 13 Prozent mehr als bei der ersten Erhebung im Jahr 2013. Der touristische Konsum belief sich den Angaben zufolge auf knapp 46 Milliarden Euro (plus zehn Prozent). Durch indirekte Effekte wurden weitere 11,3 Milliarden Euro erwirtschaftet. NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) bezeichnete den Tourismus als "Querschnittsbranche mit einem enormen wirtschaftlichem Gewicht".

Vor allem die Zahl der Auslandsgäste ist den Angaben zufolge deutlich gestiegen. 2017 gaben sie 2,8 Milliarden Euro in NRW aus. Das sind 46 Prozent mehr als noch 2013. Die größte Gruppe der Gäste kommt aus Deutschland selbst: Rund zwei Drittel der Gäste (68 Prozent) waren Binnentouristen. Die Studie "Wirtschaftsfaktor Tourismus in NRW" wurde im Auftrag des Tourismus NRW von DIW Econ in Zusammenarbeit mit der FH Westküste und der Tourismusberatung dwif-Consulting erstellt.



Neue Karlspreis-Europa-Akademie startet

Der Internationale Karlspreis zu Aachen bekommt Zuwachs: am 14. November geht die neu gegründete Karlspreis-Europa-Akademie an den Start. Sie vergibt Stipendien an junge Nachwuchsforscher, die sich mit europäischen Zukunftsfragen beschäftigen werden, wie die Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf bekanntgab. Das Land NRW fördert das Projekt gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt, der Robert-Bosch-Stiftung und der belgischen König-Baudouin-Stiftung.

Die Akademie will die Beschäftigung mit für Europa zukünftig bedeutsamen Themen fördern, um die Politik mit Blick auf neue Herausforderungen handlungsfähiger zu machen. Auf diese Weise könne die Akademie auch einen Beitrag für Europas Zusammenhalt leisten, sagte die Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, Michelle Müntefering (SPD), bei Vorstellung des Projekts.

Laschet warnt vor zerstörenden Kräften in Parlamenten

Ob sich die europäische Politik möglicherweise zu lange in institutionelle Debatten verstrickt und damit immer weiter von der Bevölkerung entfernt hat, ist eines der Themen, mit denen sich die neue Akademie beschäftigen will. "Das Problem sind Eliten, die in den Parlamenten sitzen und das europäische Projekt von innen zu zerstören versuchen", mahnte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU). Es sei eine Gefahr für die europäische Idee, wenn aus den Parlamenten der EU-Länder antieuropäische Töne immer lauter würden.

Der Vorsitzende des Direktoriums zur Karlspreis-Verleihung, Aachens früherer Oberbürgermeister Jürgen Linden (SPD), betonte die Wichtigkeit für Europa, Zukunftsprobleme rechtzeitig zu erkennen und entsprechende Lösungsvorschläge frühzeitig zu finden. Rückblickend habe sich etwa die Flüchtlingskrise schon in den 1990er Jahren abgezeichnet. Auch der Konflikt zwischen den USA und China und mögliche Folgen für Europa habe sich schon vor Jahren angedeutet.

Pro Jahr vergibt die Karlspreis-Europa-Akademie mit je 25.000 Euro dotierte Stipendien an fünf herausragende Hochschulabsolventen oder Mitarbeiter von wissenschaftlichen oder politischen Einrichtungen. Den Stipendiaten, die ein Kuratorium mit Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Kultur auswählt, steht ein wissenschaftlicher Mentor zu Seite. Zum Abschluss eines jeden Forschungsjahres werden Resultate und offene Fragen im Gespräch mit europäischen Akteuren und Entscheidungsträgern auf einem Gipfel debattiert.

Der Aachener Karlspreis wird seit 1950 jährlich an Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens verliehen, die sich um Europa und die europäische Einigung verdient gemacht haben. Er gilt als herausragende politische Auszeichnung in Europa. Zu den Preisträgern zählen unter anderem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (2018), Bundeskanzlerin Angela Merkel (2008) und der frühere US-Präsident Bill Clinton (2000).




Antisemitismus

Warnungen vor wachsendem Judenhass


Mann mit Kippa
epd-bild / Norbert Neetz
Mit den Novemberpogromen gingen die Nazis zur offenen Gewalt gegen Juden in Deutschland über. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Halle sieht Parallelen zwischen dem Anschlag auf seine Synagoge und den mörderischen Ereignissen von 1938.

81 Jahre nach der Reichspogromnacht haben Vertreter des Judentums am Wochenende vor einem erstarkenden Antisemitismus in Deutschland gewarnt. Die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, bezeichnete den Judenhass als «wachsende Gefahr für die ganze Gesellschaft». «Er bedroht die Freiheit jedes Einzelnen in unserem Land - und er kann nur von der Gesamtgesellschaft überwunden werden», sagte Knobloch am 9. November in München bei einer Gedenkveranstaltung zum 9. November 1938.

Der aktuelle Zentralratspräsident Josef Schuster mahnte angesichts zunehmender antisemitischer Vorfälle, einen kühlen Kopf zu bewahren. "Es ist nicht so, dass man sich als Jude in Deutschland verstecken muss", sagte er der Oldenburger "Nordwest-Zeitung". Jedoch gebe es Brennpunkte, insbesondere in den Metropolen. "Ich denke hier zum Beispiel an Berlin oder Dortmund, wo wir Schwerpunkte haben, die man mit Intensität bekämpfen muss."

Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Halle, Max Privorozki, fühlt sich durch Anschlag auf die Synagoge in Halle vor einem Monat an die Zeit vor acht Jahrzehnten erinnert. «Ich sehe Parallelen zwischen dem 9. November 1938 und dem 9. Oktober 2019, dem Tag des Anschlags in Halle auf unsere Synagoge», sagte Privorozki der «Süddeutschen Zeitung».

Denkt an Auswandern

«Wenn wir jetzt keine Maßnahmen ergreifen gegen Antisemitismus und Judenhass, weiß ich nicht, ob die jüdische Gemeinschaft in Deutschland überhaupt noch eine Zukunft hat», erklärte Privorozki. Er selbst denke darüber nach, nach Israel auszuwandern, und das nicht erst seit dem Anschlag. «Ich fühle mich schon seit ein paar Jahren nicht mehr so wohl in meiner Stadt, in meinem Land», sagte er.

Bei dem Anschlag von Halle am 9. Oktober hatte ein schwer bewaffneter Mann zwei Menschen erschossen und auf der Flucht zwei weitere schwer verletzt. Der Täter hatte zuvor erfolglos versucht, in die Synagoge einzudringen. Der 27-Jährige handelte nach eigener Aussage aus antisemitischen und rechtsextremistischen Motiven.

Mit der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 gingen die Nationalsozialisten zur offenen Gewalt gegen die jüdische Minderheit in Deutschland über. Es brannten Synagogen und jüdische Geschäfte, Wohnungen wurden verwüstet und jüdische Bürger misshandelt. Drei Jahre vor Beginn der systematischen Massendeportationen und nach zahlreichen rechtlichen Diskriminierungen erhielt die Verfolgung der Juden mit den Ausschreitungen einen neuen Charakter.

Der Zentralratspräsident Schuster sagte, er könne nachvollziehen, dass in diesem Jahr am 9. November der 30. Jahrestag des Mauerfalls einen besonderen Stellenwert einnehme. Deshalb dürfe man aber nicht die Geschehnisse des 9. November 1938 vergessen, erklärte er. Die Pogromnacht habe jedem deutlich gemacht, in welche Richtung sich der Nationalsozialismus entwickelt.

Düsseldorfer Landtag gedenkt der Opfer der Novemberpogrome

Auch in Nordrhein-Westfalen fanden zum Jahrestag der Reichpogromnacht am 9. November Mahnveranstaltungen statt. Politiker und Gewerkschafter in NRW riefen zu mehr Einsatz gegen Rechtsextremismus auf. "Wir allem müssen dem Antisemitismus die Stirn bieten, ganz gleich, wo er uns begegnet", sagte der Düsseldorfer Oberbürgermeister Thomas Geisel (SPD) bei der gemeinsamen Gedenkfeier von Landtag und Landeshauptstadt im Düsseldorfer Rathaus. Er warnte, vom Rechtspopulismus und vom Hass auf alles scheinbar Fremde seien es nur wenige Schritte zum Angriff auf Synagogen.

Landtagsvizepräsidentin Carina Gödecke (SPD) erinnerte an die Opfer der Reichspogromnacht vor 81 Jahren. Die Ausschreitungen in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 seien zum "Auftakt der dann folgenden beispiellosen Vernichtung von jüdischem Leben unvorstellbaren Ausmaßes" geworden. Die Vergangenheit könne nicht verändert werden. "Aber wir können und müssen aus ihr lernen", mahnte Gödecke. Vor der Gedenkveranstaltung hatten Vertreter von Land, Stadt und jüdischer Gemeinde am ehemaligen Standort der Düsseldorfer Synagoge einen Kranz niedergelegt.

SPD-Fraktionschef fordert Lagebild Antisemitismus

Der Schatten der Reichspogromnacht reiche bis heute, sagte der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Thomas Kutschaty, und verwies auf den Anschlag auf eine Synagoge in Halle vor einem Monat. "Seit Jahren steigt die Anzahl der Gewaltdelikte durch rechtsradikale Tatverdächtige kontinuierlich an", erklärte der SPD-Politiker. Auch die Zahl antisemitischer Straftaten nehme stetig zu. "Wir müssen uns endlich bewusstwerden, dass unsere offene und freie Gesellschaft von Rechts bedroht wird." Kutschaty forderte ein Lagebild Antisemitismus und Diskriminierung.

Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) in NRW rief zu einer "klaren Haltung der ganzen Gesellschaft gegen Antisemitismus" auf. "Wir alle sind gefragt, wenn etwa 'Jude' als Schimpfwort verwendet wird", erklärte der VBE-Landesvorsitzende Stefan Behlau am Freitag in Dortmund. Er forderte eine Stärkung der Bildungsarbeit an den Schulen zu diesem Thema.



14.000 Bielefelder protestieren gegen Rechtsextremismus



epd-bild/Christian Ditsch
"Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen" - unter diesem Motto protestieren Tausende Menschen in Bielefeld gegen Rechtsextremismus. An der Kundgebung der Partei "Die Rechte" nahmen nur 230 Menschen teil.

Mehr als 10.000 Menschen haben am 9. November in Bielefeld gegen Rechtsextremismus demonstriert. Laut Bielefelds Oberbürgermeister Pit Clausen (SPD) nahmen 15.000 Menschen an den Protesten des Bielefelder Bündnisses gegen Rechts teil, die Polizei zählte 14.000. Ein Polizeisprecher erklärte, er sei positiv überrascht, wie viele Menschen mobilisiert worden seien. Während der Demonstration ist es laut Polizei nur zu wenigen Zwischenfällen gekommen. Sie war mit über 1.000 Beamten aus ganz NRW vor Ort.

Das Bielefelder Bündnis gegen Rechts hatte unter dem Motto "Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen" zu den Protesten gegen eine Kundgebung der Partei "Die Rechte" für die verurteilte Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck aufgerufen. Dort zählte die Polizei den Angaben zufolge ungefähr 230 Teilnehmer. Bei einer Zwischenkundgebung "Der Rechten" habe es einzelne Beschwerden über Redeinhalte der Redner gegeben, teilte die Polizei mit. Sie gehe den Hinweisen derzeit nach und prüfe, ob strafbare Inhalte vorlägen.

Das Bielefelder Bündnis gegen Rechts ist ein Zusammenschluss von Gruppen aus Politik, Kirchen und Vereinen. So hatte sich auch der Fußballverein Arminia Bielefeld angeschlossen und erklärt, die Protestveranstaltungen seien eine "ausgezeichnete Gelegenheit", um die Werte des Vereins zu verteidigen.

Drei Demonstrationszüge, Mahnwachen, Fahrradkorso

Die Gegendemonstranten versammelten sich an verschiedenen Orte in der Stadt und zogen durch die Innenstadt zum Landgericht. Die Proteste beinhalteten unter anderem eine Menschenkette und einen Fahrradkorso. Zudem gab es noch eine Mahnwache am Ort der ehemaligen Synagoge, die Nationalsozialisten bei den Novemberpogromen 1938 niederbrannten.

Bielefelds Oberbürgermeister Clausen erklärte, dass Populisten wieder Mauern bauen wollten. "Doch wir setzen nach der Erfahrung des Krieges auf Miteinander und Mitgefühl", sagte er bei einer der Kundgebungen des Bielefelder Bündnisses gegen Rechts. Jeder Mensch verdiene Respekt und habe Würde. "Das ist unsere DNA und macht uns aus", betonte Clausen. Zudem bedankte er sich bei der Polizei für den Schutz der Demonstrationen.

NRW-Landtagspräsident André Kuper: Protest wichtig

NRW-Landtagspräsident André Kuper nahm ebenfalls an den Demonstrationen teil. Auf dem Bielefelder Jahnplatz unterstrich er die Bedeutung der Proteste: "Die große Mehrheit unserer Gesellschaft und die Mehrheit der Vertreter der Parteien und Verbände in unserem Land, und alle, die heute hier sind, wissen: Der 9. November ist der Tag der Wiedervereinigung und der Tag, an dem unser ganzes Land fassungslos und beschämt an die Verbrechen der Nazis erinnert", sagte er laut Redemanuskript.

Die Bielefelder Polizei zeigte sich insgesamt zufrieden mit dem Verlauf der Demonstrationen. Insgesamt seien elf Menschen in Gewahrsam genommen und 14 Strafverfahren eingeleitet worden - in mehreren Fällen wegen Verstoßes gegen das Vermummungsgebot. "Das Konzept der Polizei, ein Aufeinandertreffen gegnerischer Gruppierungen zu verhindern, um einen störungsfreien Verlauf der Versammlungen zur gewährleisten, ging auf", teilte sie mit.

Die Demonstration der "Rechten" fand einen Tag nach dem 91. Geburtstag der mehrfach verurteilten Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck statt. Sie sitzt wegen Volksverhetzung eine Haftstrafe in der Justizvollzugsanstalt Bielefeld ab. Das Motto lautete "Mit 91 Jahren in den Knast! Freiheit für Ursula Haverbeck! Für echte Meinungsfreiheit".

Die Polizei in Bielefeld hatte zwar grundsätzlich eine Demonstration erlaubt, aber aufgrund des Gedenkens an die Novemberpogrome ursprünglich als Auflage gefordert, dass die Partei einen anderen Veranstaltungstag wählen solle. Das Verwaltungsgericht Minden hatte dagegen am 30. September in einem Eilverfahren die rechte Kundgebung für den 9. November erlaubt (AZ: 11 L 886/19).



Saar-Antisemitismusbeauftragter: Hass ist keine Meinung

Prävention, aktive Gegenrede, mehr Sensibilisierung. Der Kampf gegen Antisemitismus ist für den Beauftragten für jüdisches Leben im Saarland, Roland Rixecker, eine zentrale Aufgabe. Genauso wie die Erinnerungsarbeit.

Der Kantor der Synagogengemeinde Saar, Benjamin Chait, hat neben Reaktionen auf Antisemitismus auch parallel stattfindende Prävention gefordert. "Diejenigen, die sich antisemitisch verhalten, haben wahrscheinlich oft keinen Juden getroffen", sagte er am 6. November beim Treffen des Arbeitskreises "Kirche und Judentum" der pfälzischen Landeskirche in Saarbrücken. Es sei beispielsweise wichtig, an Schulen Juden aus der Region einzuladen und nicht nur aus Israel. "Das Judentum ist nicht 2.000 Kilometer weg", betonte er. Die jüdischen Menschen seien Nachbarn.

Dem stimmte der Beauftragte des saarländischen Landtags für jüdisches Leben im Saarland und gegen Antisemitismus, Roland Rixecker, zu. "Mir ist wichtig, wenn es geht, einen Beitrag zur Wiederbelebung oder zur Stärkung des jüdischen Lebens auch im Saarland zu leisten", sagte er.

Rixecker ruft zum "aktiven Widerspruch" auf

Es gebe immer wieder Menschen, die fragten, warum man überhaupt noch über die Shoa spreche. "Erinnern ist eine ganz zentrale Aufgabe", betonte Rixecker. "Nicht, um irgendwie Vergangenheitsbewältigung zu betreiben, sondern um uns zukunftsfähig zu machen." Wenn die aktuellen Entwicklungen in Deutschland so weitergingen, dann ständen allen Menschen schwierige Zeiten bevor und nicht nur jüdischen, muslimischen oder homosexuellen.

Zudem warb der Saar-Antisemitismusbeauftragte für Intoleranz gegenüber Hetzern. "Wir müssen auch manche Debatten aushalten, um zu erreichen, dass sie nicht mehr stattfinden", sagte er. "Aushalten heißt nicht über sich ergehen lassen." Es gehe vielmehr darum, aktiv Meinungen zu widersprechen und diese nicht nur zu sanktionieren. Menschen müssten wieder zu dem zurückfinden, was sagbar sei. Dabei machte Rixecker deutlich: "Hass ist keine Meinung."

Wichtig sei auch, die Kenntnisse und Sensibilität unterschiedlicher Professionen über Antisemitismus und die Geschichte zu verbessern. Das gelte sowohl für Juristen als auch Mediziner, Journalisten oder Lehrer - aber auch für die Strafbehörden.

So habe beispielsweise der zerstörte Kranz an der Gedenkstätte des ehemaligen Gestapo-Lagers "Neue Bremm" als einfache Sachbeschädigung gegolten. "Dadurch ist mir bewusstgeworden, dass wir die Sensibilität auch der Sicherheitsbehörden wecken müssen dafür, dass solche Dinge etwas anderes sind, weil sie auch gerade von den Verletzten anders empfunden werden", betonte Rixecker.

Israelkritik mischt sich mit Judenfeindlichkeit

Der Historiker Alexander Friedmann berichtete wiederum von dem Umgang mit ihm als Wissenschaftler, wenn er Vorträge hält. Ihm werde beispielsweise unterstellt, dass er israelische Propaganda betreibe, nur weil er auch für die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem arbeite. "Ich bin ein Forscher, kein Propagandist", sagte der Lehrbeauftragte an der Universität des Saarlandes und an der Duisburger Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW. Die Situation in Deutschland sei aber besser als in Großbritannien oder Frankreich. Ein Yad Vashem-Kollege und Holocaustforscher habe in Großbritannien drei Vorträge an Universitäten wegen heftiger Proteste absagen müssen.

"Ich reagiere auf den Antisemitismus, den ich regelmäßig in Deutschland erlebe, ziemlich gelassen, weil ich eine weißrussische Sozialisation habe", betonte Friedmann. "Ich bin in einer Gesellschaft geboren und aufgewachsen, die antisemitisch ist." Beschimpfungen und Prügeleien auf dem Schulhof seien selbstverständlich gewesen. Er wisse aber nicht, wie er reagieren würde, wenn seine in Deutschland geborene Tochter das erlebe. "Meine Tochter hat diese Schutzmechanismen nicht", sagte er.



Ausbau der Arbeit gegen Antisemitismus an NRW-Schulen


Sticker mit beschmierter Israelflagge
epd-bild/Peter Jülich

Die Antidiskriminierungsarbeit an den Schulen in Nordrhein-Westfalen wird verstärkt. Dies vereinbarten am 8. November in Düsseldorf Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP), die Jüdische Gemeinde Düsseldorf und die Antisemitismusbeauftragte der Landesregierung, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Die Kooperationsvereinbarung sieht eine neue vom Land voll finanzierte Planstelle sowie 15.000 Euro jährlich als Sachkostenzuschuss vor.

Die neue, bei der bereits bestehenden Servicestelle für Antidiskriminierungsarbeit - Beratung bei Rassismus und Antisemitismus" (Sabra) angesiedelte Fachkraft wird laut Gebauer landesweit für die Schulen bei der Arbeit gegen Antisemitismus zuständig sein. Sie werde die Schulen verstärkt beraten sowie unterstützen und auch in der Prävention sowie bei der Intervention von Diskriminierung tätig werden, erklärte die Ministerin.

Der Verwaltungsdirektor der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, Michael Szentei-Heise wies darauf hin, dass bereits vor zweieinhalb Jahren festgestellt worden sei, dass "antisemitisches Mobbing an den öffentlichen Schulen stärker geworden ist". Bislang wurden vom Land zwei halbe Planstellen für die Antidiskriminierungsarbeit bei der Jüdischen Gemeinde in der NRW-Landeshauptstadt finanziert. Die Stadt Düsseldorf hatte im September beschlossen, 40.000 Euro jährlich für die Sachkosten der Beratungsstelle zu zahlen.

Gespräche für eine weitere Planstelle würden angesichts der antisemitischen Vorfälle in den vergangenen Monaten bereits laufen, sagte Szentei-Heise. Nach seinen Worten werden Sabra "inzwischen Aufgaben zugeschustert, die mit dem bisherigen Personal nicht machbar sind". In NRW leben laut Szentei-Heise knapp 30.000 Menschen jüdischen Glaubens, etwa ein Viertel davon seien im Schulalter. Landesweit gibt es bislang zwei jüdische Grundschulen, eine in Düsseldorf und eine in Köln. Eine weitere ist in Dortmund im Entstehen.

Leutheusser-Schnarrenberger erklärte, in ihrem Arbeitsfeld auf zwei Vollzeitkräfte sowie ein jährliches Budget in Höhe von 300.000 Euro zurückgreifen zu können. Sie kündigte an, im ersten Quartal des kommenden Jahres einen ersten Bericht über ihre Tätigkeit vorzulegen. Leutheusser-Schnarrenberger und Gebauer wiesen darauf hin, dass in NRW seit 2018 rund eine Million Euro für Besuche von Schülerinnen und Schülern in Erinnerungsstätten aufgewandt wurden



Dortmund erinnert mit "Mehmet-Kubasik-Platz" an NSU-Opfer

An den von der rechtsextremistischen Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) ermordeten Dortmunder Mehmet Kubasik erinnert seit 8. November ein Platz in der Ruhrgebietsstadt. "Wir verstehen diese Platzbenennung als dauerhafte Erinnerung an das entsetzliche Verbrechen", sagte der Dortmunder Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD). "Gleichzeitig verstehen wir sie als stete Mahnung, dass wir alle in Dortmund uns stets wachsam, konsequent und mit allen Kräften gegen alle rechtsextremen Strömungen stellen müssen und auch werden."

Die Bezirksvertretung Innenstadt-Nord hatte die Umbenennung des Platzes im Februar beschlossen. Der Stadt sei es ein Anliegen, die Taten des NSU zu verurteilen, Kubasik sowie der anderen neun Opfer zu gedenken und Stellung gegen Rechtsextremismus zu beziehen.

Die neonazistische Gruppierung "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) wurde 2011 öffentlich bekannt, als die Mitglieder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhart tot aufgefunden wurden, Beate Zschäpe ihre Zwickauer Wohnung abbrannte und Bekennervideos verschickte. Die drei Rechtsextremisten ermordeten zwischen 2000 und 2007 neun Migranten, unter ihnen der Dortmunder Mehmet Kubasik, der am 4. April 2006 in seinem Kiosk getötet wurde, und eine Polizistin. Sie verübten auch drei Sprengstoffanschläge in Nürnberg und Köln.

Die Zahl der Tatbeteiligten und ihrer Unterstützer ist umstritten. Am 11. Juli 2018 wurde Zschäpe als Mittäterin der Morde und Sprengstoffanschläge wegen Mitgliedschaft im NSU und wegen schwerer Brandstiftung zu lebenslanger Haft verurteilt.



Runder Tisch gegen Rechts in Dortmunder Nordstadt

In der Dortmunder Nordstadt hat sich ein Runder Tisch gegen Rechtsextremismus gebildet. Dem Verbund gehören Kirchengemeinden, Schulen, Beratungsstellen und die Auslandsgesellschaft mit Sitz in Dortmund an. In einem weiteren Schritt sollen jetzt Migrantenorganisationen hinzukommen. Die Gründung ist eine Reaktion auf die fortwährenden Nazi-Demonstrationen in der Nordstadt, wie Friedrich Stiller, Sprecher des Arbeitskreises gegen Rechtsextremismus, dem Evangelischen Pressedienst (epd) auf Nachfrage erläuterte. Damit erweiterten sich die Aktivitäten gegen Rechts und die Vernetzung in der Stadt und ihren Stadtteilen.

Auch wenn die Rechtsextremen ankündigten, ihre Aufmärsche vorerst auszusetzen, solle mit dem Runden Tisch ein klares Signal gegen Fremdenhass und Hetze gesetzt werden, sagt Stiller. Insbesondere in der Nordstadt würden Menschen unterschiedlicher Nationalitäten, Kulturen und Religionen leben. Der gesamten Bevölkerung gegenüber trage man Verantwortung. Es sei wichtig zu vermitteln, dass man sich um alle Gruppen kümmere, die die Vielfalt des gesellschaftlichen Lebens prägen.

Der Runde Tisch will nun in den nächsten Wochen einen Aktionsplan erstellen und im Dezember zu ersten Veranstaltungen und Initiativen aufrufen. Das Programm solle verdeutlichten, dass "in der Stadt kein Platz für Rechtsextremismus ist", betonte Friedrich Stiller, der als Pfarrer im Referat Gesellschaftliche Verantwortung im Kirchenkreis Dortmund arbeitet.

Rechtsextremismus ist seit Jahren ein Problem in Dortmund und in der Region. 2005 gründete die evangelische Kirche in der Stadt unter anderem mit dem DGB und Parteien den Dortmunder Arbeitskreis gegen Rechtsextremismus. Seit 2012 gibt es einen eigenen Arbeitskreis Christen gegen Rechtsextremismus.



Bundesweite Kampagne "Du Jude! #sowhat?"

Unter dem Motto "Du Jude! #sowhat?" sind die bundesweiten Bildungs- und Aktionswochen gegen Antisemitismus gestartet. Dabei solle der Slogan eine Debatte um "Jude" als Schimpfwort anregen und ein Zeichen gegen Antisemitismus im Kontext von Jugend und Schule setzen, wie die Berliner Amadeu Antonio Stiftung und das Anne Frank Zentrum als Veranstalter am 8. November in Berlin erklärten. Die Kampagnenmotive würden auf Großplakaten in Berlin und mehreren Städten Nordrhein-Westfalens gezeigt.

Das diesjährige Motto greife die als Beleidigung beabsichtigte Ansprache "Du Jude!" provokant auf und hinterfrage mit dem Zusatz "so what?", was überhaupt schlimm daran sei, jüdisch zu sein. Um deutlich zu machen, dass "Jude" kein Schimpfwort sei, würden dem Wort auf vier verschiedenen Motiven alltägliche Gegenstände gegenübergestellt, die ebenfalls als Beleidigung verwendet werden wie Vogel, Lappen, Pfosten oder Lauch.

"Jüdische Initiativen und Interessenvertretungen sind zunehmend besorgt über die Verwendung des Wortes ‚Jude‘ als Beleidigung auf deutschen Schulhöfen", sagte die Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, Anetta Kahane. Wer das Wort "Jude" als Abwertung verwende, benutze eine antisemitische Äußerung. "Wir wollen nicht mit erhobenem Zeigefinger auftreten, sondern bewusst Aufmerksamkeit erregen und zur Diskussion anregen", so Kahane.

Den Angaben zufolge stehen bis Mitte Dezember bundesweit mehr als 170 Veranstaltungen auf dem Programm. In Kassel, Köln und Bergisch Gladbach würden Auszüge aus der Chronik antisemitischer Straftaten an öffentliche Gebäude projiziert.



Nach Halle: Polizei in NRW erhöht Schutz für Synagogen

Die Polizei in Nordrhein-Westfalen schützt derzeit 29 jüdische Einrichtungen rund um die Uhr. Nach dem Anschlag in Halle wurden die Schutzmaßnahmen insbesondere an Synagogen und Gemeindezentren landeweit auf ein einheitliches Niveau rund um die Uhr erhöht, wie aus einem Bericht von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) an den Innenausschuss des Landtags hervorgeht. Der vorliegende Bericht des Düsseldorfer Innenministers stand für den 7. November auf der Tagesordnung des Ausschusses. Das Ministerium beauftragte die für die Schutzmaßnahmen zuständigen Kreispolizeibehörden zudem, die Gefährdung der jeweiligen Einrichtungen neu zu beurteilen.

In NRW befinden sich die Schutzmaßnahmen auf einem hohen Niveau, wie es in dem Bericht heißt. Auch die die baulich-technischen Sicherungseinrichtungen werden so bewertet. Wie eine einzelne Synagoge oder ein Gemeindezentrum geschützt wird, unterliege der Geheimhaltung, hieß es.

Die Kreispolizei beurteilt dem Bericht zufolge, wie hoch das Risiko für Angriffe auf die jüdischen Einrichtungen in ihrer Gegend ist. Mindestens halbjährlich überprüfen die Beamten vor Ort ihre Einschätzung und passen gegebenenfalls die Sicherheitsmaßnahmen an. Auch Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden der Länder und des Bundes fließen in diese Entscheidungen ein.

Bei dem Anschlag von Halle am 9. Oktober hatte ein schwer bewaffneter Mann zwei Menschen erschossen und auf der Flucht zwei weitere schwer verletzt. Der Täter hatte zuvor erfolglos versucht, in die Synagoge einzudringen. Der 27-Jährige handelte nach eigener Aussage aus antisemitischen und rechtsextremistischen Motiven. Nach Einschätzung der Behörden wollte er in der Synagoge ein Blutbad anrichten.




Soziales

Durchbruch bei der Grundrente


Die Grundrente soll Altersarmut bekämpfen.
epd-bild/Rainer Oettel
Ein Dreivierteljahr hat die Koalition um die Grundrente gestritten, nun gibt es einen Kompromiss. Die Mindestrente soll zum 1. Januar 2021 kommen - mit automatisierter Einkommensprüfung.

Nach monatelangem Ringen hat sich die große Koalition auf ein Konzept zur Grundrente verständigt. Am Abend des 10. November verkündeten die Parteichefs von CDU, SPD und CSU die Einigung nach einem Treffen in Berlin. Demnach soll es für die Grundrente eine Einkommensprüfung geben. Der Einkommensabgleich soll automatisiert zwischen der Rentenversicherung und den Finanzbehörden ablaufen, so dass eine persönliche Prüfung beim Amt nicht notwendig wird. Eingeführt werden soll die Grundrente zum 1. Januar 2021.

Union und SPD äußerten sich gleichermaßen erfreut über den Kompromiss. Es sei ein "dicker Knoten" durchschlagen worden, sagte die CDU-Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer. Die kommissarische SPD-Vorsitzende Malu Dreyer sprach von einem "sozialpolitischen Meilenstein". CSU-Chef Markus Söder sagte, damit sei die Halbzeitbilanz der Koalition "perfekt".

Keine Vermögensprüfung

Die Grundrente soll Menschen zugutekommen, die 35 Jahre lang in die staatliche Altersvorsorge eingezahlt haben und dennoch kaum von den Bezügen leben können. Sie sollen eine Rente erhalten, die zehn Prozent über der Grundsicherung liegt. Strittig war bis zuletzt, ob eine Bedürftigkeitsprüfung Bedingung für die Auszahlung der Grundrente sein soll. Darauf hatte die Union beharrt, die SPD favorisierte eine bedingungslose Auszahlung.

Vereinbart wurde nun laut einem Papier, das dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt, eine "umfassende Einkommensprüfung". Dabei soll ein Freibetrag in Höhe von 1.250 Euro für Alleinstehende und 1.950 Euro für Paare gelten. Zudem soll auch ein Freibetrag für Einkommen aus der gesetzlichen Rente in der Grundsicherung eingeführt werden.

Einen Zuschlag mit der Grundrente soll derjenige bekommen, dessen Beitragsleistung in den 35 Jahren unter 80, aber über 30 Prozent des Durchschnittseinkommens liegt. Sehr niedrige Einkommen wie aus Minijobs würden damit nicht berücksichtigt. Als Beitragszeiten werden neben Arbeitsjahren auch Erziehungszeiten, Pflichtbeitragsjahre für Pflege und Krankheitszeiten anerkannt.

Dreyer betonte, Menschen würden leicht an die Leistung kommen und müssten dafür nicht aufs Amt gehen. Söder unterstrich, dass mit der Einkommensprüfung sichergestellt werde, dass die Grundrente denjenigen zugutekomme, die sie brauchten.

Beitragssenkung zur Arbeitslosenversicherung

Die Einigung der Koalition enthält eine weitere Reihe detaillierter Regelungen über Freibeträge beispielsweise beim Wohngeld. Zudem vereinbarten die Koalitionsspitzen eine Absenkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung von Anfang 2021 befristet bis Ende 2022 auf 2,4 Prozent, also um 0,1 Prozentpunkte.

Die Grundrente ist im Koalitionsvertrag vereinbart. Es ist der dritte Anlauf für eine solche Mindestrente in drei Legislaturperioden. Einen ersten Vorschlag hatte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bereits im Februar vorgelegt. Seitdem wurde innerhalb der Koalition heftig um die Details der Regelung gerungen.

Dreyer zufolge werden schätzungsweise 1,2 bis 1,5 Millionen Menschen von der Grundrente profitieren. Nach Heils im Mai vorgelegten Finanzierungskonzept war noch davon die Rede, dass bis zu drei Millionen Rentner profitieren könnten, 80 Prozent von ihnen Frauen. Söder bezifferte die Kosten für die Grundrente am Sonntag in Berlin auf 1 bis 1,5 Milliarden Euro jährlich.



Diakonie hält Einkommensprüfung bei Grundrente für legitim


Ulrich Lilie (Archivbild)
epd-bild/Norbert Neetz

"Die Grundrente war überfällig", sagt Diakoniepräsident Ulrich Lilie. Dass sich die große Koalition auf eine umfassende Einkommensprüfung geeinigt hat, hält der Präsident des evangelischen Wohlfahrtsverbandes für legitim. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) kritisiert Lilie aber das "Parteiengezänk" auf dem Weg zur Einigung zwischen Union und SPD.

epd: Die große Koalition hat sich auf die Grundrente verständigt. Wie beurteilt die Diakonie die Einigung?

Ulrich Lilie: Die Grundrente war überfällig. Sie ist ein wichtiger Schritt, um Menschen vor der Altersarmut zu schützen und ihre Lebensleistung zu würdigen. Wie bei allen rentenpolitischen Maßnahmen ist auch diese Regelung komplex. Ich hoffe aber, dass möglichst viele Menschen sie in Anspruch nehmen.

epd: Heißt das, dass Sie sich eine einfachere Regelung gewünscht hätten?

Lilie: Vor allem bin ich froh, dass die Koalitionsparteien CDU/CSU und SPD die Kurve gekriegt haben. Das über Monate ausgelebte, kleinteilige und bisweilen eitle Parteiengezänk war nicht dazu angetan, Vertrauen in die Politik zu steigern. Die Menschen im Land brauchen Lösungen für ihre drängenden Probleme. Die Sicherung im Alter ist eines der wichtigsten.

epd: Teil der Einigung ist die Feststellung des Bedarfs über eine umfassende Einkommensprüfung. Halten Sie das für gerechtfertigt?

Lilie: Die Grundrente ist eine solidarische Leistung der Gesellschaft. Ich halte es für legitim, dass diejenigen, die letztlich für das Geld aufkommen müssen, wissen, dass damit ein wirklicher Bedarf gedeckt und kein Steuergeld mit der Gießkanne ausgegeben wird.

epd-Gespräch: Karsten Frerichs


Lebenserwartung für Mädchen 83,3 Jahre, für Jungen 78,5 Jahre


Neugeborenes auf einer Säuglingsstation
epd-bild/Stefan Arend

Mädchen, die derzeit in Deutschland zur Welt kommen, werden im Schnitt 83,3 Jahre alt. Die niedrigste Lebenserwartung haben neugeborene Mädchen im Saarland, wie das Statistische Bundesamt am 5. November in Wiesbaden mitteilte. Dort werden weibliche Neugeborene im Schnitt 82,1 Jahre alt. In Nordrhein-Westfalen haben Mädchen laut Zahlen aus der sogenannten Sterbetafel 2016/2018 eine Lebenserwartung von 82,8 Jahren.

Jungen werden der Statistik zufolge in Deutschland im Schnitt 78,5 Jahre alt. Damit stieg die Lebenserwartung bei Jungen und Mädchen gegenüber der letzten Berechnung 2015/2017 um etwa 0,1 Jahre. Das entspricht der durchschnittlichen jährlichen Veränderung in den vergangenen zehn Jahre.

Damit ist inzwischen ein Trend hin zu einem langsameren Anstieg der Lebenserwartung zu beobachten, wie die Statistiker erklärten. Bis zur Sterbetafel 2006/2008 hatte die Lebenserwartung Neugeborener jahrzehntelang im jährlichen Durchschnitt noch um rund 0,2 Jahre bei den Mädchen und um etwa 0,3 Jahre bei den Jungen zugenommen.

4,8 Jahre Differenz

Im Zuge dieser Entwicklung geht den Angaben zufolge auch die Differenz in der Lebenserwartung zwischen Frauen und Männern nicht mehr so stark zurück wie in den vorangegangenen Jahrzehnten: Um die Jahrtausendwende belief sie sich noch auf sechs Jahre zugunsten der Frauen. In den zehn Jahren danach verringerte sich der Unterschied dann um ein Jahr auf fünf Jahre und nahm danach nur noch leicht ab. Er beträgt nach den Ergebnissen der aktuellen Sterbetafel 2016/2018 noch 4,8 Jahre.

Das höchste Alter können Mädchen und Jungen nach wie vor in Baden-Württemberg erwarten, wie es weiter hieß. Dort liegt der Schnitt bei 84,1 Jahren beziehungsweise 79,7 Jahren. Schlusslicht bei den männlichen Neugeborenen ist weiter Sachsen-Anhalt mit 76,3 Jahren. Im Saarland werden Jungen im Schnitt 77,6 Jahre alt, in NRW 78,2 Jahre alt. Die Differenz in der Lebenserwartung zwischen den Geschlechtern zugunsten der Frauen ist mit 6,4 Jahren in Mecklenburg-Vorpommern am größten und in Hessen mit 4,3 Jahren am geringsten.



Bundesverfassungsgericht kippt Hartz-IV-Sanktionen


Die Hartz-IV-Sanktionen sind teilweise verfassungswidrig (Symbolfoto).
epd-bild/Jens Schulze
Fast 15 Jahre lang mussten Hartz-IV-Empfänger bei Pflichtverletzungen mit Sanktionen rechnen, die nun vom Bundesverfassungsgericht teilweise gekippt worden sind. Jetzt müssen die Gesetze geändert werden. Bis dahin gelten Übergangsregelungen.

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat am 4. November die Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger teilweise gekippt. Leistungskürzungen von 60 oder 100 Prozent seien unverhältnismäßig und verletzten das vom Staat zu gewährende menschenwürdige Existenzminimum, entschied das höchste deutsche Gericht in einem Grundsatzurteil. (AZ: 1 BvL 7/16) Bis zur erforderlichen Gesetzesänderung gilt eine Übergangsregelung. Die Jobcenter dürfen das Arbeitslosengeld II ab sofort um nicht mehr als 30 Prozent kürzen. Das Urteil wurde durchweg begrüßt. Befürworter und Gegner der Sanktionen zogen aber unterschiedliche Schlüsse.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bezeichnete die Gerichtsentscheidung als ein "weises, ausgewogenes Urteil". Es biete eine Chance auf gesellschaftliche Befriedung und gebe Rechtssicherheit in der 15-jährigen Debatte, sagte Heil nach der Verkündigung in Karlsruhe. Er kündigte auch Änderungen bei den Sanktionen für junge Erwachsene an, über die das Gericht nicht entschieden hatte. Unter 25-Jährige werden bisher am schärfsten sanktioniert.

"Politisch kontrovers und juristisch schwierig"

Die Frage, ob Sozialleistungen gekürzt werden dürften, sei "politisch hoch kontrovers und juristisch schwierig", erklärte der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, bei der Urteilsverkündung. "Gesichert werden muss die physische und soziokulturelle Existenz", sagte Harbarth weiter. Zugleich stellte das Gericht aber fest, dass Langzeitarbeitslose zur Mitwirkung verpflichtet sind, damit ihre Hilfebedürftigkeit insbesondere durch Erwerbsarbeit überwunden werden kann.

Bisher konnten die Jobcenter das Arbeitslosengeld II um 60 Prozent kürzen, wenn jemand zweimal einen Job ablehnte, beim dritten Mal vollständig. Das Gericht urteilte nun, eine 30-prozentige Kürzung sei wegen der Abschreckungswirkung noch plausibel und zumutbar, mehr aber nicht. Es verpflichtete die Jobcenter, Härtefälle zu prüfen und gegebenenfalls künftig auf die Kürzung ganz zu verzichten. Außerdem sei die Regelung zu starr, wonach die Leistung stets drei Monate lang verringert wird. Die Betroffenen müssten die Möglichkeit haben, ihr Verhalten zu ändern und schneller wieder höhere Geldleistungen zu bekommen.

Die im Grundgesetz definierte Menschenwürde stehe allen zu und gehe selbst durch vermeintlich unwürdiges Verhalten oder schwerste Verfehlungen nicht verloren, argumentierte der Erste Senat des höchsten deutschen Gerichts. Das Sozialstaatsprinzip verlange staatliche Vor- und Fürsorge auch für jene, "die aufgrund persönlicher Schwäche oder Schuld, Unfähigkeit oder gesellschaftlicher Benachteiligung in ihrer persönlichen und sozialen Entfaltung behindert sind", heißt es in dem Urteil weiter.

"Historisches Urteil"

Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit kürzen die Jobcenter jährlich acht Prozent der Langzeitarbeitslosen die Hartz-IV-Leistungen. Die Richter in Karlsruhe verlangten auch, dass der Gesetzgeber mehr tun muss, um die Wirkung der Sanktionen präzise einschätzen zu können.

Die Arbeitgeber werteten das Urteil aus Karlsruhe als Bestätigung des Prinzips des Förderns und Forderns und betonten, notwendige und praktikable Sanktionsmöglichkeiten seien mit dem Grundgesetz vereinbar. Gewerkschaften und Sozialverbände verlangten in einer gemeinsamen Erklärung hingegen die vollständige Abschaffung der Sanktionen und forderten ein "menschenwürdiges System der Förderung und Unterstützung". Bei den Parteien stieß der Richterspruch erwartungsgemäß auf geteilte Reaktionen.

Die Parteivorsitzende der Linken, Katja Kipping, bezeichnete die Karlsruher Entscheidung als ein "historisches Urteil" und als "echten Quantensprung zu sozialen Garantien". Danach seien Sanktionen, die 30 Prozent überschreiten, unvereinbar mit der Menschenwürde. Gemeinsam mit den Grünen werde die Linke weiter im Bundestag für eine vollständige Sanktionsfreiheit kämpfen, kündigte Kipping an.

Gegen die Sanktionen hatte ein Hartz-IV-Bezieher aus Thüringen geklagt. Er hatte eine vom Jobcenter Erfurt vorgeschlagene Stelle als Lagerarbeiter abgelehnt und einen Vermittlungsgutschein für eine Probearbeit verfallen lassen, woraufhin ihm die Leistungen um 60 Prozent gekürzt worden waren. Das Sozialgericht Gotha hielt die Sanktionsregelungen für verfassungswidrig.



Verbände in NRW begrüßen Urteil zu Hartz-IV-Sanktionen

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die hohen Sanktionen gegen Hartz-IV-Bezieher als unverhältnismäßig einzustufen, erhält Zustimmung von nordrhein-westfälischen Verbänden. Der Sozialverband VdK Nordrhein-Westfalen zeigte sich nach dem Grundsatzurteil der Karlsruher Richter am 5. November erleichtert. Die Kürzung des Arbeitslosengeldes II stehe in keinem Verhältnis zu den Regelverstößen, erklärte der Landesvorsitzende des Verbandes, Horst Vöge, in Düsseldorf. Auch die Caritasverbände in Essen und Paderborn begrüßten das Urteil.

Bei wiederholtem Fehlverhalten müssen Hartz-IV-Bezieher ab sofort nicht mehr mit einer Kürzung ihres Arbeitslosengeldes II um mehr als 30 Prozent rechnen. Die starren dreimonatigen Sanktionen in Höhe einer Leistungskürzung von 60 oder 100 Prozent seien unverhältnismäßig und verletzten das vom Staat zu gewährende menschenwürdige Existenzminimum, urteilte das Bundesverfassungsgericht. (AZ: 1 BvL 7/16)

Sozialverband fordert Runden Tisch in NRW

Der VdK NRW plädierte für Maßnahmen, Grundsicherungsempfänger zurück ins Berufsleben zu bringen. Vöge forderte auf Landesebene einen runden Tisch, um Angebote etwa für ältere Langzeitarbeitslose besser zu koordinieren.

Die Essener Diözesan-Caritasdirektorin Sabine Depew sprach sich für Investitionen in die Qualität der Beratung und Vermittlung aus. Zudem müssten die Sanktionsmöglichkeiten für Jugendliche in den Blick genommen werden. Über die noch strengeren Sanktionsvorschriften für bis zu 25 Jahre alte Hartz-IV-Bezieher hatten die Verfassungsrichter nicht zu entscheiden.

Christoph Eikenbusch vom Paderborner Caritasverband bedauerte ebenfalls, dass die Entscheidung nicht für die jüngeren Hartz-IV-Empfänger gelte. Für sie seien Korrekturen dringend notwendig. Zudem forderte er pädagogische Förderangebote für jüngere Leistungsbezieher.

Das Bundesverfassungsgericht urteilte, dass das bisherige Sanktionssystem in Teilen verfassungswidrig ist und gegen die im Grundgesetz verankerte Menschenwürde und das Sozialstaatsprinzip verstößt. Der Staat müsse das menschenwürdige Existenzminimum eines jeden Einzelnen sicherstellen.

Bis zu einer erforderlichen Gesetzesänderung gelte daher eine Übergangsregelung. Danach dürfen ab sofort keine Sanktionen von mehr als 30 Prozent verhängt werden. Jobcenter müssen auch Härtefälle berücksichtigen und gegebenenfalls auf eine Sanktion verzichten.



Weihnachtsgeld für rund 87 Prozent der Tarifbeschäftigten

Fast neun von zehn Tarifbeschäftigten in Deutschland (86,9 Prozent) erhalten im laufenden Jahr Weihnachtsgeld. Wie das Statistische Bundesamt am 4. November in Wiesbaden mitteilte, beträgt das durchschnittliche Weihnachtsgeld 2.632 Euro brutto. Das sind 1,9 Prozent mehr als im Vorjahr. Im Schnitt liege das Weihnachtsgeld der Tarifbeschäftigten in Westdeutschland mit 2.644 Euro um 3,8 Prozent höher als in Ostdeutschland mit 2.547 Euro.

Unter allen Branchen erhalten Tarifbeschäftigte im Bereich "Gewinnung von Erdöl und Erdgas" das höchste durchschnittliche Weihnachtsgeld, nämlich 5.780 Euro. Ebenfalls deutlich über dem Durchschnitt liegt das tarifliche Weihnachtsgeld bei den Rundfunkanstalten mit 5.274 Euro sowie im Bereich "Energieversorgung" mit 4.923 Euro.

Das niedrigste Weihnachtsgeld erhalten nach den Angaben die Tarifbeschäftigten im Bereich "Vermittlung und Überlassung von Arbeitskräften" mit durchschnittlich 318 Euro, gefolgt von den Bereichen "Landwirtschaft, Jagd und damit verbundene Tätigkeiten" mit 492 Euro sowie "Wach- und Sicherheitsdienste sowie Detekteien" mit 510 Euro.



Bundestag beschließt bessere Entschädigungen für Gewaltopfer

Die Entschädigungen für Opfer von Gewalttaten oder Terrorakten werden erhöht und verbessert. Der Bundestag beschloss am 7. November in Berlin mit breiter Mehrheit eine Modernisierung des sozialen Entschädigungsrechts. Traumatisierten und durch Gewaltakte geschädigten Menschen soll künftig schneller und gezielter geholfen werden.

Fallmanager sollen Betroffene bei der Antragstellung und im Verfahren begleiten. Auch Menschen, die sexuellen Missbrauch erlitten haben, haben künftig Anspruch auf Entschädigungsleistungen. Alle Opfer sollen sich an Trauma-Ambulanzen wenden können, die künftig flächendeckend zur Verfügung stehen sollen.

Das Gesetz von Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD) sieht auch höhere Geldleistungen für Hinterbliebene wie Waisen, Witwen und Witwer sowie die Geschädigten selbst vor. Der Zugang zu beruflichen Wiedereingliederungsmaßnahmen und Hilfen im Alltag wird erleichtert.

Rörig: Hohe Hürden

Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, erklärte, es sei gut, dass nun auch Betroffene von Missbrauch Anspruch auf Entschädigungsleistungen hätten. Allerdings blieben die Beweisanforderungen so hoch, dass viele Betroffene auch weiterhin von Leistungen ausgeschlossen blieben, bemängelte Rörig.

Der Runde Tisch zu Sexuellem Missbrauch hatte bereits 2011 nach dem Bekanntwerden der Missbrauchsskandale in den Kirchen auf eine schnelle Reform des Opferentschädigungsrechts gedrängt. Weil diese auf sich warten ließ, wurden Hilfefonds eingerichtet. Diese müssten nun dauerhaft abgesichert werden, erklärte Rörig, weil die Hürden für Leistungen dort niedriger seien.

Die meisten Regelungen der Entschädigungs-Reform werden erst 2024 wirksam. Einige Änderungen sollen rückwirkend zum 1. Juli 2018 in Kraft treten, darunter die Gleichbehandlung aller Opfer unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit. Die Opferhilfe-Organisation Weißer Ring appellierte an die Bundesländer, dem Gesetz zuzustimmen. Es enthalte sehr viele Verbesserungen, erklärte der Bundesvorsitzende Jörg Ziercke.



Studie: Überflüssige medizinische Leistungen können schaden


Chirurgische Instrumente in einem Krankenhaus
epd-bild/Heike Lyding
Patienten in Deutschland werden einer Studie zufolge oft unnötig operiert oder behandelt. Die Autoren machen dafür nicht allein das Gesundheitssystem verantwortlich. Auch die Patienten sollten umdenken und Ärzte nicht zu mehr Behandlungen drängen.

In Deutschland erhalten Patienten einer aktuellen Studie zufolge oft unnötige Behandlungen und überflüssige Medikamente. So komme es etwa jährlich zu rund 70.000 Schilddrüsenoperationen, obwohl bei etwa 90 Prozent der Eingriffe keine bösartigen Veränderungen vorliegen würden, heißt es in einer am 5. November in Gütersloh veröffentlichten Studie der Bertelsmann Stiftung.

Die Analysen führten das Berliner Institut für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) und das Kölner Marktforschungsinstitut Rheingold im Auftrag der Stiftung durch. Neben einer Literaturrecherche zu dem Thema wurden 24 Patienten und 15 Ärzte in ausführlichen Interviews befragt. Zudem nahm das Bielefelder Marktforschungsinstitut Kantar im September 2019 eine repräsentative Bevölkerungsbefragung vor.

Mit einer besseren Diagnostik könnten viele dieser Operationen vermieden werden. Auch bei Eierstockoperationen liege lediglich bei zehn Prozent der operierten Frauen eine bösartige Erkrankung vor. Zu unnötigen Eingriffen komme es, weil vielen Frauen ohne Risiko ein Screening empfohlen werde, kritisierte die Bertelsmann Stiftung.

Klinikärzte im Arbeitsalltag unter Druck

Als Ursachen von medizinischer Überversorgung nennt die Studie Planungs-, Vergütungs- und Steuerungsdefizite im Gesundheitssystem. Klinikärzte stünden im Arbeitsalltag unter Druck, Unternehmensziele mit dem Patientenwohl in Einklang zu bringen.

Eine weitere Ursache für eine Überversorgung sind nach Einschätzung der Autoren auch die Erwartungen der Patienten. Zwar seien rund die Hälfte der befragten Bürger der Meinung, dass oft medizinisch nicht notwendige Leistungen erbracht würden. Viele Patienten forderten jedoch eher viele Leistungen ein und hielten diese für wichtig. Vor allem bei der Diagnostik fehle das Bewusstsein für mögliche Risiken durch falsch-positive Befunde oder unnötige Fehlbehandlungen, heißt in der Studie. 56 Prozent der Befragten hielten jede Therapie besser als Abwarten.

Bertelsmann Stiftung kritisiert unnötige Operationen

Im ambulanten Bereich beeinflussten individuelle Einkommens- oder Renditeziele die selbstständigen oder angestellten Ärzte in ihren Entscheidungen. Auch bei den Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL), die nicht von den Krankenkassen erstattet werden, deute vieles auf ein "zu viel" hin, hieß es. Jährlich würden rund 15 Millionen solcher Leistungen erbracht, für die Patienten rund eine Milliarde Euro zahlten.

Überflüssige und in ihrem Nutzen fragwürdige Untersuchungen, Operationen, Therapien und Arzneimittelverschreibungen würden den Patienten schaden, kritisierte die Bertelsmann Stiftung. Sie könnten zu Verunsicherung, Komplikationen und Folgeeingriffen führen. Außerdem würden sie medizinisches Personal binden, die für andere Behandlungen dringender benötigt würden.

Die Studie mahnte mehr Transparenz bei Nutzen und Risiken medizinischer Leistungen an. Die Honorierung von Leistungen müsse sich zudem stärker an der Qualität orientieren. Patienten sollten für mögliche Risiken und Schäden von Behandlungen sensibilisiert werden. Ihnen müsse bewusst werden, dass es besser sein könne, wenn eine medizinische Maßnahme unterlassen werden, schreiben die Autoren.



Gesundheits-Apps künftig auf Rezept

Ärzte können künftig Gesundheits-Apps verschreiben. Der Bundestag machte am 7. November den Weg frei für digitale Anwendungen am Computer, auf Smartphones oder Tablets als Kassenleistung. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sprach von einer "Weltneuheit". Deutschland sei das erste Land, das Apps in die Kassenleistung aufnehme. Apps könnten den Alltag von Patienten konkret verbessern, sagte der Minister.

Die Auswahl der Apps auf Kassenleistung gebe Orientierung, welche Anwendung tatsächlich einen Mehrwert für die Patienten habe und beende damit den Wildwuchs bei den Gesundheits-Apps. Beispiele sind laut Spahn digitale Tagebücher für Diabetiker, Apps zur Unterstützung bei einer Physiotherapie oder Psychotherapie oder bei Krankheiten wie Bluthochdruck.

"Wirkung nicht nachgewiesen"

Die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Maria Klein-Schmeink, kritisierte dagegen, Kassen könnten neue Apps für ein Jahr verschreiben, selbst wenn deren Wirkung noch nicht nachgewiesen sei. "Es kann nicht sein, dass wir Verfahren in Umlauf bringen, ohne dass der Nutzen erwiesen ist", sagte die Oppositionspolitikerin im Bundestag.

Die Regelung ist Bestandteil des Digitale-Versorgung-Gesetzes, mit dem Gesundheitsminister Spahn die Digitalisierung im Gesundheitswesen vorantreiben will. Unter anderem soll es die Telemedizin stärken, Verwaltungsprozesse vereinfachen und die Verwertung von Gesundheitsdaten für Forschungszwecke erleichtern.



Neue Drogenbeauftragte will über Cannabis-Verbot sprechen


Cannabis (Archivbild)
epd-bild/Jürgen Blume
Kaum im Amt, weckt Ludwig bei den Gegnern der "Prohibitions-Politik" Hoffnung. Sie kritisieren seit langem, dass Drogen-Verbote die Sucht nicht einschränken, sondern höhere Risiken für die Konsumenten bedeuten.

Die neue Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Daniela Ludwig (CSU), strebt ein breite Debatte über die Teilfreigabe von Cannabis an. Das Thema treibe viele Menschen um, sagte Ludwig am 4. November bei der Präsentation des Drogen- und Suchtberichts 2019 in Berlin. Deswegen werde sie mit Befürwortern und Gegnern den offenen Dialog suchen. Dabei müsse der Gesundheitsschutz von Jugendlichen eine zentrale Rolle spielen. Zugleich bekräftigte Ludwig ihr "Nein" zur Freigabe von Kleinstmengen an harten Drogen wie Kokain oder Heroin. Eine solche Forderung sei "schlicht und ergreifend Blödsinn".

Cannabis ist weiterhin die am häufigsten konsumierte Droge in Deutschland. Bei jungen Erwachsenen (18-25 Jahre) und Erwachsenen weist der Bericht einen neuerlichen Anstieg aus. Zudem hat sich der THC-Gehalt, der die psychotrope Wirkung von Cannabis anzeigt, weltweit fast verdreifacht. So lag der Medianwert des THC-Gehalts des polizeilich sichergestellten Haschisch 1996 bei 4,9 Prozent, 2018 bereits bei 16,7 Prozent.

Vollständiges Werbeverbot

Haschisch und Marihuana, die aus Bestandteilen der Cannabis-Pflanze Hanf gewonnen werden, sind in Deutschland per Gesetz verboten. Seit März 2017 dürfen sie als Arzneimittel auf ärztliche Verschreibung kontrolliert ausgegeben werden, etwa um Schmerzen oder Nebenwirkungen von Medikamenten zu lindern.

So schnell wie möglich will Ludwig auch ein vollständiges Werbeverbot für Tabak und E-Zigaretten durchsetzen. Zwar sinkt dem neuen Drogen- und Suchtbericht zufolge die Raucherquote bei Erwachsenen weiter. Aktuell liegt sie bei 28 Prozent. Dennoch sterben pro Jahr geschätzt über 120.000 Menschen in Deutschland an den Folgen des Tabakkonsums. Dagegen rauchen vor allem mehr Jugendliche Wasserpfeife und E-Zigaretten. "Wir merken, dass die E-Zigarette bei jungen Menschen sehr gut ankommt", sagte Ludwig. Bislang sei aber noch nicht bekannt, wie schädlich E-Zigaretten auf lange Sicht seien.

Beim Thema Alkohol zählt Deutschland im internationalen Vergleich nach wie vor zu den Ländern mit dem höchsten Konsum: Rund 18 Prozent der Männer und 14 Prozent der Frauen hätten einen "riskanten Alkoholkonsum". 8,7 Prozent der Jugendlichen von zwölf bis 17 Jahren trinken mindestens einmal die Woche Alkohol - ein historisch niedriger Wert. 2004 griffen noch 21,2 Prozent mindestens einmal die Woche zur Flasche. Als "relativ konstant" weist der Bericht Jugendliche aus, die sich in den vergangenen vier Wochen einen Rausch antranken. Deren Quote beträgt aktuell 13,6 Prozent.

"Trippelschritte"

Bei Substitutionstherapien etwa von Heroinabhängigen sprach sich Ludwig für "deutlich mehr flächendeckende" Angebote in den Bundesländern aus. Patienten, die beispielsweise mit Methadon oder Diamorphin behandelt würden, seien schwerstkrank. Die Substitution sei ein wichtiger Baukasten auf dem Weg zur Bekämpfung harter Drogen.

Die drogenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag, Kirsten Kappert-Gonther, begrüßte das Gesprächsangebot. Wer süchtig ist brauche Hilfe und keine Strafverfolgung, erklärte sie und plädierte unter anderem aus Gründen des Jugendschutzes für eine kontrollierte Cannabis-Abgabe. Beim Werbeverbot für Tabak und E-Zigaretten verlangte sie mehr Tempo. Die Koalition nähere sich bislang "mit Trippelschritten" dem Verbot.

Die drogenpolitische Sprecherin der Links-Fraktion, Niema Movassat, unterstrich, Verbote und Einordnungen in legal oder illegal entbehrten jeder wissenschaftlichen Erkenntnis. Nach wie vor sei Werbung für Alkohol und Tabak erlaubt, während weniger schädliche Drogen wie Cannabis verboten seien. "Diese absurde Drogenpolitik muss endlich beendet werden", sagte sie.



Hoeneß ermutigt psychisch kranke Sportler zu Offenheit

Bayern-Präsident Uli Hoeneß hat Sportler mit psychischen Erkrankungen wie einer Depression ermutigt, sich gegenüber ihren Vereinen zu öffnen. "Mit einem Bekenntnis zu dieser Krankheit und mit einer Therapie ist die Krankheit heilbar", sagte Hoeneß am 4. November in Hannover bei einer Veranstaltung der Robert-Enke-Stiftung. "Wenn man weiß, dass man sich öffnen darf, ist schon viel gewonnen." Die Arbeit der 2010 gegründeten Robert-Enke-Stiftung sei für psychisch erkrankte Sportler eine große Hilfe.

Der frühere Fußball-Nationaltorwart Robert Enke von Hannover 96 hatte sich vor zehn Jahren, am 10. November 2009, im Alter von 32 Jahren das Leben genommen. Er litt unter Depressionen und versteckte seine Krankheit vor der Öffentlichkeit, weil er fürchtete, stigmatisiert zu werden.

Hoeneß, Präsident des FC Bayern München, berichtete von zahlreichen intensiven Gesprächen mit dem früheren Bayern-Profi und Fußball-Nationalspieler Sebastian Deisler, der ebenfalls unter Depressionen litt. Deisler hatte Hoeneß ins Vertrauen gezogen. Er erklärte 2007 im Alter von 27 Jahren das Ende seiner Karriere. Deisler erhielt vom FC Bayern einen Vertrag, nach dem er jederzeit wieder zu den alten Konditionen hätte zurückkehren können. "Leider hat er das nicht geschafft", sagte Hoeneß. Deisler lebt heute in Freiburg.

Scharfe Kritik äußerte der Bayern-Präsident an abfälligen und beleidigenden Kommentaren im Internet, die auch Leistungssportlern zu schaffen machten. "Wenn wir es in unserer Gesetzgebung nicht schaffen, dass auch im Internet Leute verfolgt werden, die beleidigen, die mobben, die unter Druck setzen, dann wird unsere Gesellschaft noch viel größere Schwierigkeiten bekommen, als sie jetzt schon hat", sagte Hoeneß.

"Nicht mit Wattebällchen beschmeißen"

Robert Enkes Witwe Teresa betonte, der Profifußball trage keine Schuld am Entstehen von Depressionen: "Nicht der Fußball macht krank, sondern die Krankheit, die Disposition." Der Fußball werde immer bleiben, wie er ist: "Die werden sich nicht mit Wattebällchen beschmeißen." Wichtig sei jedoch, dass erkrankte Spieler im Verein und bei ihren Mitspielern auf ein Klima der Akzeptanz stießen.

Nach dem Tod ihres Mannes sei das Thema Depression im Leistungssport kein Tabu mehr, sagte Teresa Enke. "Eine Depression ist behandelbar, man muss keine Scheu haben, sich zu öffnen. Je früher das beginnt, desto größer sind die Heilungschancen." Teresa Enke ist Vorsitzende der Robert-Enke-Stiftung, die psychisch erkrankte Sportler unterstützen will. Die Stiftung hat unter anderem ein bundesweites Netz von etwa 70 Sportpsychiatern aufgebaut.

Bei der Veranstaltung im Theater am Aegi verlieh die Stiftung erstmals den mit insgesamt 17.500 Euro dotierten "Förderpreis Seelische Gesundheit im Nachwuchsleistungssport". Der erste Preis mit 10.000 Euro ging an den Olympiastützpunkt Berlin, wo Sportpsychologinnen den Athleten zur Seite stehen. Prämiert wurden auch der Fußballclub TSG 1899 Hoffenheim und das Sportinternat Knechtsteden im nordrhein-westfälischen Dormagen.



Verstecktes Leiden


Trauerandacht für Robert Enke am 11. November 2009 in der Marktkirche Hannover
epd-bild / Jens Schulze
Im Herbst 2009 erschütterte der Suizid von Robert Enke die Fußballwelt. Der Torwart nahm sich wegen einer Depression das Leben. Heute sagen Psychiater: Seither hat sich einiges verbessert, doch es muss noch viel mehr passieren.

Am Abend des 11. November 2009 ist die Marktkirche in Hannover total überfüllt. Rund tausend Besucher sitzen oder stehen schweigend in den Reihen und Gängen, viele tragen Schals des Fußball-Bundesliga-Clubs Hannover 96. Einige kommen nach vorn, zünden Kerzen an. Michael Ballack ist darunter, Kapitän der Fußball-Nationalelf, und Bundestrainer Joachim Löw. Sie alle trauern um Robert Enke, und vielen steht noch der Schock ins Gesicht geschrieben: Denn am Abend zuvor hat sich der Torwart der Nationalmannschaft und Publikumsliebling von Hannover 96 im Alter von 32 Jahren das Leben genommen.

Enke litt weitgehend unbemerkt unter Depressionen, war in ambulanter Behandlung bei einem Kölner Psychiater. Seine Krankheit verbarg er jahrelang vor der Öffentlichkeit, auch einen Klinik-Aufenthalt lehnte er ab. So hat es Enkes Witwe Teresa nur wenige Stunden vor der Andacht öffentlich erzählt. In der Marktkirche bringt Margot Käßmann auf den Punkt, was viele bewegt: "Hinter Glück, Erfolg und Beliebtheit können abgrundtiefe Einsamkeit und Verzweiflung liegen, die Menschen an ihre Grenzen führen", sagt die damalige evangelische Bischöfin. Tausende lauschen draußen an Lautsprechern der Übertragung. Mehr als 20.000 Menschen ziehen schließlich gemeinsam durch die Nacht zum Stadion.

Viele Menschen aufgerüttelt

Der Suizid von Robert Enke vor zehn Jahren habe viele Menschen aufgerüttelt und beim Tabu-Thema Depression einiges in Bewegung gebracht, bilanziert der Sportpsychiater Marc Ziegenbein heute im Rückblick. Fußballclubs wüssten inzwischen um die Gefahr psychischer Krankheiten und hätten geschulte Fachleute eingestellt. Und in der Öffentlichkeit sei das Thema Depression präsenter als zuvor. Der Professor und Ärztliche Direktor des Klinikums Wahrendorff in Ilten bei Hannover schränkt jedoch ein: "Ich würde mir wünschen, dass die gesellschaftliche Akzeptanz so weit ist, dass keiner befürchten muss, stigmatisiert zu werden. Aber so weit sind wir noch nicht. Es muss sich noch viel mehr tun."

Dazu will die Robert-Enke-Stiftung in Barsinghausen bei Hannover beitragen. Sie hat gemeinsam mit dem Uni-Klinikum Aachen eine Telefon-Hotline geschaltet, bei der Fachärzte Sportler und andere Anrufer beraten, die Fragen zu seelischen Erkrankungen haben. Meistens stellen sie dabei den Kontakt zu einem von bundesweit mehr als 70 Sportpsychiatern her, bei denen die Anrufer Hilfe finden können. Das Netz ist so gut wie flächendeckend, betont Stiftungsmitarbeiter Tilman Zychlinski. "Es gibt niemanden, der länger als eine Stunde irgendwo hinfahren müsste."

Die Stiftung war schon im Januar 2010 von den deutschen Fußballverbänden und Hannover 96 gegründet worden, nur wenige Wochen nach Enkes Tod. Den Vorsitz übernahm Teresa Enke. "Die Stiftung ist einzigartig in Europa", sagt Zychlinski. Er verweist auf viele Athleten in aller Welt, die sich inzwischen öffentlich zu einer psychischen Erkrankung bekannt haben. Spaniens Fußball-Weltmeister Andres Iniesta etwa kämpfte ebenso mit Depressionen wie der italienische Torwart Gianluigi Buffon, US-Schwimmstar Michael Phelps oder die US-Skifahrerin Lindsey Vonn.

"Jeder kann sie bekommen"

In Deutschland äußerten sich der Torwart Markus Miller von Hannover 96 und der Abwehrspieler Martin Amedick zu ihrer Depression. Insgesamt sind nach Angaben eines Fachverbandes bundesweit jedes Jahr rund 5,3 Millionen Menschen von einer Depression betroffen - sie gilt als Volkskrankheit. "Jeder kann sie bekommen", sagt Marc Ziegenbein, der zum Netz der Sportpsychiater gehört. "Sportidole genauso wie der Mensch um die Ecke." Allerdings falle es Leistungssportlern oft schwerer, sich einzugestehen, dass sie Hilfe brauchen.

In der Behandlung von Spitzensportlern haben die Psychiater laut Ziegenbein in den vergangenen zehn Jahren dazugelernt. "Depression und Leistung schließen sich nicht immer aus, wenn die Krankheit gut behandelt wird", sagt der Mediziner. Die Therapie lasse sich so einstellen, dass sie die Leistung nicht mindert und die sportlichen Ziele erreichbar bleiben. Natürlich müssten Medikamente mit den Doping-Richtlinien konform sein.

Teresa Enke hat mit ihrer Stiftung gerade erst wieder eine Kampagne gestartet, um mit Hilfe von Virtual-Reality-Brillen über Depressionen aufzuklären. "Depression ist keine Schwäche", betont sie. "Es ist eine Krankheit, die heilbar ist."

Michael Grau (epd)


Kopf hoch, Knie anziehen


Therapeutische Schwimmgruppe für Migrantinnen
epd-bild/Jutta Olschewski
Sonntags gehen in Hersbruck Flüchtlingsfrauen gemeinsam ins Hallenbad. Sie lernen schwimmen und mehr Selbstbewusstsein. "Wasser macht den Körper und die Seele leicht", sagt die Gruppenleiterin Marianne Ermann.

Sie hat sich einen schwarz-weiß gemusterten Badeanzug geliehen und läuft nun lachend durch die Umkleidekabine des Schwimmbads, spielt ein Model auf dem Laufsteg. Dalal, die 30-jährige Frau aus dem Irak, ist zum ersten Mal mit einer Gruppe Migrantinnen aus der Region um Nürnberg im Hallenbad in Hersbruck. Ihren staunenden Söhnen, 10 und 18 Jahre alt, hat sie erzählt: "Eure Mama lernt jetzt schwimmen."

Die Gelegenheit dazu gibt ihr Marianne Ermann: eine Frau, die in den vergangenen Jahrzehnten schon viele Ideen hatte, wie sie Flüchtlingsfamilien helfen kann, ihre neue Heimat besser kennenzulernen und sich einzugewöhnen. Für ihre Gruppe "Therapeutisches Schwimmen für geflüchtete Frauen" hat sie am Montag einen der drei Integrationspreise des Bezirks Mittelfranken erhalten. "Wasser macht den Körper und die Seele leicht", sagt Ermann, Sozialpädagogin im Ruhestand. Die Teilnehmerinnen sollen Körpergefühl, Zutrauen zu sich und zum Wasser bekommen.

Burkini und Bikini

"Ich habe schon in Syrien immer das Meer geliebt", sagt Batoul, Mutter von fünf kleinen Mädchen. Sie hat in der Frauengruppe des Ökumenischen Vereins für Flüchtlinge, Asylsuchende und Migranten bereits das Schwimmen gelernt. Weil sie Nesril, einer anderen jungen Frau aus Syrien, im Schwimmbad die Kinder anvertrauen kann, kann sie allein eine Bahn schwimmen und sich auf Arm- und Beinbewegungen konzentrieren.

Die Schwimmbewegungen sind gar nicht so schwer, wenn Marianne Ermann einer Frau die Hand hält. "Was aber oft Panik auslöst, ist nicht zu wissen, wie man aus der Schwimmlage wieder mit den Füßen auf den Boden des Beckens kommt", sagt Ermann. "Kopf hoch, Knie anziehen", das müsse eine Frau verinnerlichen, dann gehe der Rest von selbst.

Nesril, Batoul, Dasin, Gülenc, Jude, Hanan und Dalin sind alle geflohen, aus Syrien, der Türkei, Äthiopien oder aus Pakistan - aber jede der Frauen ist anderes. Zwei von ihnen steigen immer nur mit dem Burkini ins Becken - die Arme, die Beine und der Kopf sind so von Stoff bedeckt. Andere tragen einen Badeanzug, wieder eine andere einen gewagten Bikini, der aus nur wenig Stoff besteht. "Das ist das schönste Bild vor meinen Augen", sagt Marianne Ermann, dass die Frauen so verschieden seien und sich ohne Vorbehalte untereinander akzeptierten.

Erinnerung an Flucht

Sie quietschen, halten sich an den Händen und hüpfen ins Wasser, kichern und machen Quatsch. Es kann aber auch sein, dass mitten in der lichtdurchfluteten Fackelmann-Therme einer Frau die Erinnerung an die Flucht über die Wellen des Meers in den Kopf schießt. "Wir stellen uns dann eng zusammen und machen Atemübungen", erklärt Ermann, die Hanan als Übersetzerin an ihrer Seite hat. Auch ihr vertrauen die Frauen, wenn sie die Angst überfällt.

Die Frauengruppe macht sich meist am Sonntagvormittag ins Schwimmbad auf. Ermann ruft eine von ihnen an, sagt, dass sie Zeit hat, und per Telefonkette verabreden sich die Teilnehmerinnen. Den Eintritt finanziert die Gruppenleiterin aus Spenden.

Nach dem Drehkreuz zum Bad erklärt sie den Frauen, die neu sind, wie Aufbewahrungsschrank, Schlüssel-Armband und der Eintritts-Chip zu benutzen sind. Es fällt auch eingeborenen Hersbruckern nicht immer leicht, in das Außenschwimmbecken zu finden. Wer sich hier nicht auskennt, hat gerade bei schlechten Deutschkenntnissen Angst, in unangenehme Situationen zu kommen. Wo sind die Toiletten, und wie sage ich dem Bademeister, dass ich den Chip nicht mehr finde? Was tun, wenn mich einer anquatscht und fragt woher ich komme? "Dann sagst du Berlin", schlägt Marianne Ermann pragmatisch vor.

Einmal, als die resolute kleine Frau mit dem grauen Kurzhaarschnitt dachte, jetzt müsse sie ihre Frauen schützen, hat ein junger Mann am Beckenrand die Migrantinnen intensiv beobachtet. Ermann sprach ihn an, und er sagte, "dass er der Sohn von einer Frau aus unserer Gruppe ist", erzählt Ermann lächelnd. Er habe nur wissen wollen, ob das stimmt, was die Mutter erzählt hat, "nämlich, dass sie jetzt schwimmen kann".

Von Jutta Olschewski (epd)


NRW will mehr Integrationsbegleiterinnen in Kitas

Die Landesregierung will an den Kindertageseinrichtungen in NRW künftig flächendeckend Integrationsbegleiterinnen einsetzen. Das Land weitet deshalb ein in Bielefeld erprobtes Modellprojekt auf ganz Nordrhein-Westfalen aus, wie das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration am 8. November in Düsseldorf mitteilte. Staatssekretär Andreas Bothe würdigte die Integrationsbegleiterinnen bei einem Besuch einer Kita in Bielefeld als eine große Bereicherung: "Sie entlasten und unterstützen die pädagogischen Fachkräfte und sind wichtige Identifikationsfiguren für die Kinder."

Die Integrationsbegleiterinnen seien eine wichtige Voraussetzungen für eine erfolgreiche Bildungsbiografie, hieß es weiter. Um Kinder und Familien mit Einwanderungsgeschichte oder Fluchterfahrung in Kitas zu unterstützen, vermittelten die Frauen zwischen den Kindern, ihren Familien und den pädagogischen Fachkräften - insbesondere im sprachlichen und kulturellen Bereich. Die Schulung zur Integrationsbegleiterin kann durch die Jobcenter gefördert werden.

Bei dem Modellprojekt in Bielefeld wurden in der Kita bislang 43 Frauen aus Familien mit Flucht- oder Migrationshintergrund zu Integrationsbegleiterinnen qualifiziert. Die siebenmonatige Schulung wurde vom Familienministerium sowie der Auridis-Stiftung gefördert und von der Arbeiterwohlfahrt Ostwestfalen-Lippe durchgeführt. Das Projekt war im Jahr 2016 vor dem Hintergrund des zunehmenden Zuzugs von Flüchtlingsfamilien mit Kindern im Kindergartenalter entstanden.



Väter im Saarland beziehen am seltensten Elterngeld

Saarländische Väter nehmen sich seltener eine berufliche Auszeit als Männer in anderen Teilen Deutschlands. Nur 17 Prozent der Väter im Saarland bezogen 2018 Elterngeld, wie das Statistische Bundesamt am 7. November. Damit ist das Saarland das Schlusslicht in der Statistik. Deutschlandweit stieg der Anteil männlicher Elterngeldbezieher zwischen 2015 und 2018 von 21 auf 24 Prozent. Spitzenreiter ist Sachsen (28 Prozent), gefolgt von Bayern (26 Prozent).



In NRW-Gefängnissen sollen Familienzentren entstehen

Um die Kontaktmöglichkeiten von Inhaftierten zu ihren Kindern zu verbessern, plant die nordrhein-westfälische Landesregierung die Einrichtung von "Familien-Schwerpunktzentren" in mehreren Gefängnissen. Dort sollen unter anderem besondere Angebote wie Familienstärkungsgruppen entstehen oder "Familienbeauftragte" eingesetzt werden, die für eine familiensensible Besuchs- und Vollzugsgestaltung zuständig sind, wie das Justizministerium am 8. November in Düsseldorf mitteilte.

Die Schwerpunktzentren entstehen den Angaben zufolge im Männervollzug in den Justizvollzugsanstalten Bielefeld-Brackwede, Remscheid, Rheinbach und Willich I, ein Schwerpunktzentrum wird darüber hinaus im Frauenvollzug der JVA Willich II eingerichtet. Mit Hilfe der Familienzentren sollten Behandlungserfahrungen über eine familiensensible Vollzugsgestaltung gewonnen werden, die für die Arbeit der übrigen Justizvollzugsanstalten von Nutzen sein könnten. Das Konzept werde den betroffenen Justizvollzugsanstalten Ende November vorgestellt.

"Eine Inhaftierung darf nicht diejenigen treffen, die hieran schuldlos sind", sagte Justizstaatssekretär Dirk Wedel. "Es ist mir daher ein dringendes Anliegen, die Folgen einer Inhaftierung von Eltern für Kinder aufzufangen."

Die "Familien-Schwerpunktzentren" sind demnach Teil eines dreistufigen Maßnahmenpakets, mit dem die familiäre Bindung der Gefangenen zu ihren Kindern vertieft werden soll. "Wenn es uns gelingt, die Betroffenen nach ihrer Haftzeit in ein stabiles Umfeld zu entlassen, so ist dies ein wichtiger Baustein für eine erfolgreiche Wiedereingliederung in die Gesellschaft", betonte Wedel. Weitere Punkte betreffen laut Ministerium Mindeststandards für eine familiensensible Vollzugsgestaltung in allen Gefängnissen des Landes NRW und die Umsetzung der Handlungsempfehlungen des Europarates zu Kindern inhaftierter Eltern.




Medien & Kultur

Der Maler des Lichts


Turner-Gemälde "Grenoble seen from River Drac with Mont Blanc in the Distance" von 1802
epd-bild/Angelika Osthues
Natur und Stimmungen: Die Bilder des Malers William Turner bewegen sich oft zwischen furchteinflößend und erhaben. Jetzt widmet ihm das LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster eine Ausstellung.

Joseph Mallord William Turner (1775-1851) gilt als der bedeutendste Maler der englischen Romantik und wird aufgrund seines innovativen Umgangs mit Licht und Farbe auch als Wegbereiter für den Impressionismus gesehen. Ein großer Teil seines umfangreichen Werkes hängt in der Londoner Tate Galery. Mit dieser hat das LWL-Museum für Kunst und Kultur bei der Konzeption seiner Ausstellung "Turner. Horror and Delight" eng zusammengearbeitet. Das Museum in Münster zeigt nun 80 Gemälde und Aquarelle des britischen Künstlers.

Hinzu kommen 30 Leihgaben von europäischen Museen, darunter Werke von Caspar Wolf (1735-1783), John Constable (1776-1837) und John Martin (1789-1854). "Damit wollen wir zeigen, welche Künstler Turner geprägt haben und wie er sich von seinen Zeitgenossen abhebt", sagt Museumsdirektor Hermann Arnhold. Turner, der als Sohn eines Barbiers aus einfachen Verhältnissen stammte, war ein äußerst produktiver Maler. Als er mit 76 Jahren starb, hinterließ er dem englischen Staat mehr als 20.000 Werke.

Urgewalt und Schönheit

Die Schau in Münster stellt die Reisen Turners in die Schweiz und nach Italien in den Fokus. "Seine Begegnung mit der Schweizer Bergwelt war für den Künstler eine grundlegend neue Erfahrung", erklärt Kuratorin Judith Claus. Die dabei entstandenen Bilder zeigen eine Natur, bei der das Erhabene und das Furchteinflößende eng beieinanderliegen. Das findet sich beispielsweise bei der Darstellungen von Stürmen und anderen Naturkatastrophen - "Horror" und "Delight" als widerstreitende Aspekte ein und desselben Motivs.

Der Urgewalt der Natur steht in der Ausstellung das Malerische gegenüber: die Ruhe und Schönheit klassischer Landschaften, die Turner bei seinen Reisen nach Italien entdeckte. Dort inspirierte ihn das Licht zu stimmungsvollen Aquarellen. In dem um 1828 entstandenen Gemälde "Südliche Landschaft mit Aquädukt und Wasserfall" geht es weniger um die Farben selbst als vielmehr um die Erscheinung von Farben. Also um das, was beim Betrachter eine bestimmte Stimmung erzeugt.

Stimmung statt Realismus gilt auch für das Bild "Frieden - Bestattung auf See" von 1842. Angeregt wurde es durch den Tod eines Freundes während einer Seereise. Turner malt die Segel des Schiffes in einem unwirklich schwarzen Ton, um seine Trauer auszudrücken und gleichzeitig einen wirksamen Kontrast zur Helligkeit des Himmels und des Horizonts zu setzen. Überhaupt gilt des Einfangen bestimmter, teils malerisch ruhiger, teils hochdramatischer Lichtstimmungen als Charakteristikum für Turners späteres Werk.

An Schiffmast gebunden

Ein Teil der Ausstellung ist dem Thema Meer gewidmet. Für das 1842 entstandene Bild mit dem ausführlichen Titel "Schneesturm - ein Dampfschiff im flachen Wasser vor einer Hafeneinfahrt gibt Leuchtsignale ab" soll sich Turner vier Stunden an den Schiffsmast haben binden lassen, um den Sturm am eigenen Leib zu erfahren und ihn adäquat abbilden zu können, erzählt Kuratorin Claus. Das Ergebnis sind schwindelerregende Strudelbewegungen, die den Betrachter in das Gemälde hineinziehen und ein Gefühl des Ausgeliefertseins erzeugen.

Im letzten der sechs Ausstellungsräume stellt die Kuratorin zwei mit "Sintflut" betitelte Bilder gegenüber. Das 1834 von John Martin gemalte zeigt das biblische Ereignis als eine alle Dimensionen sprengende Menschheitskatastrophe, während Turner in seinem früheren Werk von 1805 eine große Welle malt, die eine Landschaft überflutet, in der die Menschen eher wie Staffage wirken. Aus der Menschheitskatastrophe wird hier eine Naturkatastrophe. Das LWL-Museum für Kunst und Kultur präsentiert Turners Werke bis zum 26. Januar.

Helmut Jasny (epd)


Neues Internetportal zur Suche nach Trauerversen

Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern und das Internetportal "evangelisch.de" haben das Angebot "trauervers.de" gestartet. Das Portal soll Trauernden und Tröstenden dabei helfen, Bibelverse zu finden, die zu ihnen und ihrer Situation passen, wie das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) am 7. November in Frankfurt am Main mitteilte. Die Nutzer beantworten dazu online Fragen zur verstorbenen Person, zum Umstand des Todes und was der biblische Vers ausdrücken soll. Das Portal sucht dann nach passenden Bibelversen.

Zusätzlich erläutern Theologen den Angaben nach den Vers in seinem biblischen Zusammenhang und würdigen Sterben, Tod und Weiterleben in christlicher Perspektive. Jeder Bibelvers lasse sich dabei zum besseren Verständnis in vier verschiedenen Übersetzungen anzeigen. Zudem könnten die Nutzer die Bibelstellen in den sozialen Medien teilen und über weiterführende Links zusätzliche Informationen über die Themen Tod, Trauer und kirchliche Beerdigung erhalten.

Das GEP ist mit seinen angeschlossenen Unternehmen die zentrale Medieneinrichtung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und trägt unter anderem die Zentralredaktion des "Evangelischen Pressedienstes" (epd), das Onlineportal "evangelisch.de", das Monatsmagazin "chrismon", die Rundfunkarbeit der EKD und die Fastenaktion "7 Wochen Ohne".



Indonesischer Kirchenmusiker hält Vorlesungen in NRW

Der indonesische Kirchenmusiker und Chorleiter Roynaldo H. Saragih hat eine Vorlesungsreihe in Nordrhein-Westfalen gestartet. Während seines sechswöchigen Aufenthaltes berichte Saragih über die Entwicklung der Kirchenmusik in seiner Heimat, die durch unterschiedliche Einflüsse geprägt worden sei, teilte die Evangelische Pop-Akademie in Witten am 8. November mit. Dazu zählten neben der eigenen Folklore auch die Zeit der Kolonialisierung und die aktuelle indonesische Popmusik. Er werde sowohl Audio- und Video-Clips präsentieren als auch mit den Zuhörern indonesische Songs einüben.

Der 34-jährige Musiker ist den Angaben zufolge Kirchenmusiker und Leiter verschiedener Chöre auf Sumatra. Während seines Aufenthaltes wird er an der Pop-Akademie, an der Hochschule für Kirchenmusik der Evangelischen Kirche von Westfalen in Herford und an der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum unterrichten. Geplant sind zudem multikulturelle Chor-Workshops in Bochum und Wuppertal mit lokalen Kirchenmusikern.

Das Projekt ist Teil des Programms "Internationale Kirchenmusik", mit dem die Vereinte Evangelische Mission (VEM) die Musik in den Gemeinden ihrer Mitgliedskirchen in Afrika, Asien und Deutschland bekanntmachen möchte.



Evangelischer Publizist Hans-Dieter Mattmüller gestorben


Hans-Dieter Mattmüller (2010)
epd-bild / Rolf Zöllner

Der evangelische Publizist Hans-Dieter Mattmüller ist tot. Der ehemalige stellvertretende Geschäftsführer und Personalchef des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik (GEP) starb am 1. November im Alter von 78 Jahren in Frankfurt am Main, wie das GEP am 4. November mitteilte. Der GEP-Aufsichtsratsvorsitzende Volker Jung würdigte den Verstorbenen als eine herausragende Persönlichkeit der evangelischen Publizistik.

"Sein Engagement und seine klugen Kommentare und Ratschläge waren anregend und wegweisend", sagte der hessen-nassauische Kirchenpräsident Jung: "Sie haben sehr geholfen, die evangelische Medienarbeit weiterzuentwickeln."

Mattmüller war Pfarrer der badischen Landeskirche und begann 1975 im GEP als Referent für den Fachbereich Hörfunk und Fernsehen noch an der Seite des GEP-Gründungsdirektors Robert Geisendörfer (1910-1976). Ende 1978 übernahm der promovierte Theologe die Leitung des Bereichs, 1982 wurde er Grundsatzreferent und war seitdem stets in leitenden Positionen im GEP tätig.

Vorsitzender der Konferenz Kirchliche Werke und Verbände

Mit der Umgründung des GEP vom eingetragenen Verein in eine gemeinnützige GmbH im Januar 2000 stieg Mattmüller zum stellvertretenden Geschäftsführer und Personalchef auf und arbeitete in diesen Positionen bis zu seinem Eintritt in den Altersruhestand im Juli 2006. Für die evangelische Kirche blieb er auch darüber hinaus aktiv: als Berater der GEP-Geschäftsführung und seit 2011 als Vorsitzender der Konferenz Kirchliche Werke und Verbände.

GEP-Direktor Jörg Bollmann sagte: "Wir trauern um einen Leistungsträger des Gemeinschaftswerks und einen engen persönlichen Freund." Den Kolleginnen und Kollegen werde Mattmüllers persönliche, stets an den Belangen der Mitarbeiterschaft orientierte Arbeit unvergessen bleiben.

Das GEP ist die zentrale Medieneinrichtung der EKD, ihrer Landeskirchen und Werke sowie der evangelischen Freikirchen. Zum GEP gehört unter anderem die Zentralredaktion des Evangelischen Pressedienstes (epd).



Reschke mit Siebenpfeiffer-Preis ausgezeichnet

"Lügenpresse"-Vorwürfe seien Gift für die Demokratie, sagt Journalistin Anja Reschke. Am Sonntag hat sie den mit 10.000 Euro dotierten Siebenpfeiffer-Preis erhalten. Sie fordert mehr Medienkompetenz für alle.

Die Journalistin und ARD-Moderatorin Anja Reschke warnt vor den Gefahren durch den immer wieder erhobenen "Lügenpresse"-Vorwurf für die Demokratie. "Wenn Sie nur ein Körnchen davon glauben, machen Sie sich zum Gehilfen derjenigen, die ein anderes Land wollen", sagte Reschke am 10. November im saarländischen Homburg. Dort erhielt sie den mit 10.000 Euro dotierten Siebenpfeiffer-Preis. Der "Lügenpresse"-Vorwurf sei ein "Gift", das in kleinen Dosen eingeträufelt werde, betonte Reschke.

Gleichzeitig forderte Reschke die Medienkompetenz nicht nur der Schüler, sondern aller in der Gesellschaft zu stärken. Wenn jemand eine Reise buche oder ein technisches Gerät kaufen wolle, gehe er oft nicht mehr einfach ins Reisebüro oder Geschäft, sondern beschäftige sich erst stundenlang damit im Internet. Dies müsse auch für politische Nachrichten gelten. "Journalisten sind dabei ihre Rolle als 'Gatekeeper' zu verlieren", sagte Reschke.

Plädoyer für Pressefreiheit

Als Laudatorin kritisierte die frühere Fernseh-Chefredakteurin beim WDR, Sonia Seymour Mikich, dass rechte AfD-Politiker nicht nur im Netz sondern auch in Fernseh-Talkshows eine Plattform bekämen, Lügen zu verbreiten. "Objektiv heißt nicht neutral", sagte sie. "Meine Zeit der Dialogbereitschaft ist vorbei."

Sie verwies auf eine Studie des US-amerikanischen Massachusetts Institute of Technology (MIT), wonach die Wahrscheinlichkeit für die Verbreitung von Fake News um 70 Prozent höher sei als für weniger spektakuläre aber wahre Geschichten. Alle Behauptungen müssten immer wieder hinterfragt werden. "Man geht immer dahin, wo die eigene Meinung bestätigt wird", betonte sie. Das gelte auch für Journalisten. Es sei wichtig alle Geschichten immer aus einer anderen Perspektive zu beleuchten, auch wenn das unbequem sei.

Der Juryvorsitzende und Intendant des Saarländischen Rundfunks (SR), Thomas Kleist, erklärte, Reschke sei eine Kämpferin gegen die moderne Form der Zensur, die Bedrohung der Pressefreiheit durch "Hater" und Trolle im Internet. Reschke hatte inmitten der aufgewühlten Stimmung im Zusammenhang mit der Flüchtlingspolitik 2015 in einem Kommentar einen "Aufstand der Anständigen" gegen die Anfeindungen Rechtsextremer gefordert. Daraufhin erhielt sie Hasskommentare im Netz.

Den Preis der Siebenpfeiffer-Stiftung gibt es seit 1989. Mit ihm werden alle zwei Jahre Journalisten ausgezeichnet, die sich "für die freiheitlichen Grundrechte und die demokratischen Grundwerte in herausragender Weise engagieren" ohne auf ihre Karriere Rücksicht zu nehmen. Zu den bisherigen Preisträgern gehören unter anderem Can Dündar, Peter Scholl-Latour, Glenn Greenwald und Günter Wallraff.

Philipp Jakob Siebenpfeiffer (1789-1845) war der erste Landcommissär des ehemaligen Landkreises Homburg. Als seine politischen Reformvorschläge bei Regierung und bayerischem König kein Gehör fanden, prangerte er die Defizite in der Presse an. Dieses journalistische Engagement kostete ihn sein Amt, seine soziale Sicherheit und später seine Freiheit.



Medien werden meist von Männern geführt

Frauen sind in Führungsetagen der Medien immer noch rar, wie der Verein ProQuote ermittelt hat. Eine Gleichstellung vermelden lediglich die Publikumszeitschriften - und die "taz".

In den meisten deutschen Medienhäusern haben immer noch Männer das Sagen. So betrage der Frauenanteil in den Chefredaktionen der größeren Lokalzeitungen lediglich 10,2 Prozent, heißt es in einer Studie, die der Verein ProQuote am 7. November in Hamburg vorstellte. Ausgewogene Machtverhältnisse wurden lediglich bei den Publikumszeitschriften ermittelt. Auch bei den 100 reichweitenstärksten Onlinemedien beträgt der Frauenanteil in den Führungspositionen lediglich 30 Prozent. Für eine kreative und innovative Firmenkultur seien gemischte Führungsteams unerlässlich, sagte Julia Jäkel, Verlagsvorstand von Gruner+Jahr.

Bei den zehn größten überregionalen Tageszeitungen ermittelte die Studie einen Frauenmachtanteil in den Redaktionen von 25,1 Prozent. Dabei wurden die Führungspersonen in den Chefredaktionen anhand ihrer Position unterschiedlich gewichtet. So kommt die "taz" auf einen gewichteten Frauenanteil von 50,8 Prozent und die "Süddeutsche Zeitung" auf 32,1 Prozent. "Frankfurter Allgemeine Zeitung", "Handelsblatt" und "Welt" liegen zwischen 16,1 und 18,1 Prozent.

Große Streuung

Bei den 66 untersuchten Publikumszeitschriften ist mit einem Frauenanteil von 48,9 Prozent die Parität fast erreicht. Die Streuung ist allerdings groß und reicht von 9,1 Prozent bei den drei Springer-Titeln "Auto Bild", "Computer Bild" und "Sport Bild" bis zu 100 Prozent bei den Klambt-Heften "Für Sie" und "vital".

Bei den 100 reichweitenstärksten Onlinemedien beträgt der Frauenanteil in den Führungspositionen 30 Prozent. Betrachtet man nur die reinen Onlinemedien, so liegt er bei 36,1 Prozent. In den Onlineredaktionen der traditionellen Medien fällt er mit 27 Prozent deutlich geringer aus. Auch hier ist die Spannbreite groß. Websites, die sich vornehmlich an Frauen wenden, werden mehrheitlich von Chefredakteurinnen geleitet.

Bei den Nachrichtenagenturen kommt der Marktführer Deutsche Presse-Agentur (dpa) auf einen gewichteten Frauenanteil von 41,7 Prozent in der Führungsebene. Für Agence France-Press (AFP) und Thomson Reuters wurden 33,3 Prozent ermittelt. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) kommt auf 17,6 Prozent, der Evangelische Pressedienst (epd) auf 16,1 Prozent.

"Aufgaben aus unterschiedlichen Richtungen betrachten"

Jäkel sagte, für die aktuelle Umstrukturierung der Medienhäuser seien Teams mit Vielfalt notwendig, die die Aufgaben aus unterschiedlichen Richtungen betrachten. Die Atmosphäre, die Sprache und selbst die Weihnachtsfeier seien wichtig, damit Frauen sich einbringen. Das komme am Ende auch Männern zugute. Ohne Druck würden Männer keine Macht abgeben, sagte Marion Horn, Chefredakteurin der "Bild am Sonntag". Heute könne sich "kein Unternehmen von Verstand" noch eine Monokultur leisten.

Der 2012 gegründete Verein ProQuote untersucht das Geschlechterverhältnis in den Schaltstellen der Medienbranche. Vor einem Jahr wurde eine erste Studie mit Frauenquoten in den Rundfunkhäusern vorgestellt. Dabei wurde für den öffentlich-rechtlichen Bereich ein durchschnittlicher Frauenmachtanteil von 37,7 Prozent ermittelt. Für den privaten Rundfunk wurde der Anteil auf 20 bis 30 Prozent geschätzt. Dem Erhebungen liegen die Auswertung von Impressumsangaben sowie teils weitere Recherchen und Nachfragen in den Medienhäusern zugrunde.



Rosa von Praunheim erhält Ophüls-Ehrenpreis

Der Regisseur Rosa von Praunheim erhält den Ehrenpreis des Filmfestivals Max Ophüls Preis. "Zahllose Beiträge in den vergangenen 40 Jahren unseres Nachwuchsfilmfestivals wären ohne den Einfluss und das Wirken Rosa von Praunheims nie entstanden", sagte Festivalleiterin Svenja Böttger am 5. November in Saarbrücken. "Für die jungen Talente, aber auch für unsere Gesellschaft stellt er in seinem vielschichtigen Schaffen ein unbedingtes Vorbild dar." Rosa von Praunheim erhält die undotierte Auszeichnung bei der Festivaleröffnung am 20. Januar 2020.

Seit 1967 hat Rosa von Praunheim den Angaben zufolge rund 150 Kurz- und Langfilme gedreht, zudem inszeniert er an Oper und Theater, schreibt Bücher sowie Gedichte, malt, zeichnet, fotografiert und engagiert sich als Aktivist. Seine Anfang der 70er Jahre entstandenen Filme "Die Bettwurst" und "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" hätten den Regisseur zum Wegbereiter der Schwulenbewegung in Westdeutschland werden lassen, teilte das Festival mit. Bis heute thematisierten seine Filme auf vielfältigste Art Aspekte queeren Lebens in Deutschland "in formal stets virtuosen Variationen filmischer Erzählformen".

Rosa von Praunheim werde mit dem Preis für Verdienste um den jungen deutschsprachigen Film geehrt. Er sei eine Ikone des deutschen Independentfilms, dessen filmisches und gesellschaftliches Wirken Generationen von Künstlerinnen und Künstlerin geprägt sowie inspiriert habe, teilte das Festival mit.

Der Max Ophüls Preis gilt als eines der bedeutendsten Filmfestivals für Nachwuchsfilmer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Benannt ist es nach dem in Saarbrücken geborenen Regisseur Max Ophüls (1902-1957). In den Kategorien Spiel-, Dokumentar-, Kurz- sowie mittellanger Film werden Preise mit einem Gesamtwert von über 100.000 Euro vergeben. Die nächste Ausgabe des Treffens junger deutschsprachiger Filmemacher findet vom 20. bis 26. Januar 2020 in Saarbrücken statt.



Dortmunder Verlag gewinnt Klage gegen Nachrichtenportal der Stadt

Die Stadt Dortmund verstößt mit presseähnlichen Beiträgen auf ihrem Nachrichtenportal gegen das Gebot der Staatsferne. Das Urteil des Landgerichts Dortmund ist allerdings noch nicht rechtskräftig.

Die Stadt Dortmund darf auf ihrer Internetseite keine presseähnlichen Beiträge einstellen. Mit ihrem Nachrichtenportal verstoße die Stadt gegen das Gebot der Staatsferne, urteilte das Landgericht Dortmund am 8. November. Der Berichterstattung einer Kommune seien enge Grenzen gesetzt. Die Richter gaben damit einer Unterlassungsklage des Dortmunder Verlagshauses Lensing-Wolff statt (AZ: 3 O 262/17). Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig. Der stellvertretende Leiter des Rechtsamtes der Stadt Dortmund, Dirk Arndts, bedauerte die Entscheidung des Landgerichts. Ruhr-Nachrichten-Herausgeber Lambert Lensing-Wolff sieht mit der Entscheidung Demokratie und Pressefreiheit gestärkt.

Die in der Verfassung garantierte Meinungsfreiheit funktioniert laut Lensing-Wolff nur, wenn sie frei ist von jeglicher staatlicher Manipulation. Es werde sich nun zeigen, ob die Stadt Dortmund sich an die rechtlich vorgegebenen engen Grenzen halte, erklärte er. Es müsse klar sein, dass eine Kommune "kein selbst geschaffenes presserechtliches Korrektiv aufbauen" dürfe, "weil ihr die sonstige Pressearbeit zu kritisch oder lückenhaft erscheint".

Gericht moniert "pressesubstituierenden Gesamtcharakter"

Der Verlag, der die in Dortmund erscheinenden Ruhr Nachrichten herausgibt, hatte gegen den Internetauftritt der Stadt Dortmund vom 15. Mai 2017 geklagt, der Zugang zu rund 60.000 Artikeln verschaffte. Die Richter erklärten, dass von einzelnen Beiträgen abgesehen die Gesamtschau sich "nicht wesentlich von dem Angebot eines privaten, digitalen Nachrichtenportals" unterscheide. Damit erhalte das Portal einen "pressesubstituierenden Gesamtcharakter".

Das sei aber nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht zulässig, erklärte die 3. Zivilkammer des Landgerichts und verwies auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) aus dem vorigen Jahr. Der BGH habe 2018 den Rahmen für die Veröffentlichungen von Kommunen sowohl inhaltlich als auch in der Form der Aufmachung genau abgesteckt.

Die Stadt Dortmund teilte mit, über Rechtsmittel zu entscheiden, wenn das Urteil schriftlich vorliege. Die Verwaltung habe aber schon Entgegenkommen gezeigt und sowohl Werbeanzeigen vom Portal genommen als auch die Sportberichterstattung beendet.

DJV fordert bessere Ausstattung von Lokalredaktionen

Der nordrhein-westfälische Landesverband des Deutschen Journalistenverbands (DJV) betonte, dass staatliche Berichterstattung "nicht die Lücke der lokalen Berichterstattung der Verlage füllen darf". Der Verband begrüße die Grenzziehung zwischen Journalismus und staatlichen Publikationen durch das Gericht, sagte der Landesvorsitzende Frank Stach. Gleichzeitig forderte er die Verlage in NRW auf, die Lokalredaktionen so auszustatten, dass die durch Personalabbau entstandene Lücke in der Lokalberichterstattung geschlossen werde. Gelinge dies nicht, sei die Politik gefordert, die Voraussetzungen für einen finanzierbaren Lokaljournalismus zu schaffen.

Die Entscheidung zeigt dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) zufolge, dass die Stadt mit der Internet-Plattform dortmund.de gegen das Grundgesetz verstößt. Hauptgeschäftsführer Dietmar Wolff wertete das Urteil als ein "klares Signal an alle Kommunen, sich aus verlegerischen Tätigkeiten herauszuhalten". Rund 300 Tageszeitungen und mehr als 600 digitale Angebote würden die Bürger täglich mit örtlichen Informationen versorgen. "Es gilt das Gebot der Staatsfreiheit der Medien", unterstrich Wolff.



Digitalradiopflicht in Neuwagen ab Dezember 2020

Radios in Neuwagen und stationäre Radiogeräte mit Display müssen ab Mitte Dezember 2020 den digital-terrestrischen Standard DABplus unterstützen. Der Bundesrat billigte am 8. November in Berlin die entsprechende Änderung des Telekommunikationsgesetzes, die der Bundestag im Oktober beschlossen hatte. Bund und Länder setzen damit EU-Regelungen zur sogenannten Interoperabilität beim Radioempfang in nationales Recht um. In Frankreich und Italien sind vergleichbare Bestimmungen bereits in Kraft.

Die rheinland-pfälzische Medienstaatssekretärin Heike Raab (SPD) erklärte, die Qualität und die flächendeckende Verbreitung von DABplus sei überall in Deutschland überzeugend, auch in den ländlichen Regionen. Die Gesetzesänderung werde nun eine bessere Verbreitung von Endgeräten mit DABplus-Standard fördern. "Mit der jetzt bundesweit einheitlichen Regelung profitieren Hörerinnen und Hörer in ganz Deutschland von mehr Programmauswahl und besseren Klang", sagte Raab.

260 Programme

DABplus ist der Nachfolger von UKW und ermöglicht einen klassischen Radioempfang ohne Internetkosten. In Deutschland sind derzeit mehr als 260 unterschiedliche regionale und überregionale Programme über DABplus verfügbar. Die Abdeckung des Gesamtnetzes erreicht nach Angaben des Digitalradio Büros Deutschland bundesweit 98 Prozent der Fläche.

Die Marktdurchdringung mit entsprechenden Endgeräten gilt allerdings bisher als mangelhaft, was auch auf unterschiedliche politische Bewertungen in den Ländern zurückgeführt wird. Während Bayern DABplus seit Jahren fördert, herrscht in den nördlichen Bundesländern eher Skepsis.



Literatürk-Festival im Ruhrgebiet gestartet

Das 15. Internationale Literaturfestival Literatürk lädt zu Lesungen und Diskussionen in das Ruhrgebiet ein. Unter dem Thema "Heimat" stehen bis zum 23. November 28 Termine in Essen, Gelsenkirchen und Mülheim auf dem Programm, wie die Organisatoren mitteilten. Bei den Veranstaltungen gehe es darum, die Bedeutung und Verwendung des Begriffs "Heimat" aus unterschiedlichen Perspektiven kritisch zu begleiten.

Am 12. November lesen Autorinnen und Autoren in der Casa des Grillo-Theaters Essen aus dem Erzählband "Eure Heimat ist unser Alptraum". Das Buch sei ein schonungsloses Manifest gegen Heimat als völkisch verklärtes Konzept, hieß es. In persönlichen Essays geben die Autoren Einblick in ihren Alltag und halten Deutschland den Spiegel vor.

Die Spiegel-Online-Kolumnistin Ferda Ataman und der Journalist Marvin Oppong berichten am 16. November im Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen darüber, wie sie aufgrund ihrer Herkunft fortwährend als Exoten betrachtet werden, obwohl sie Deutsche sind und die Bundesrepublik ihre Heimat ist. Zum Abschluss gibt es am 23. November Lesungen in der Zentralbibliothek Essen, bei der die Autorin Feridun Zaimoglu und der Lyriker und Schriftsteller Zafer Senocak über ihre Deutschland-Essays "Ich gehe durch das Deutschland meiner Tage" und "Das Fremde, das in uns wohnt" sprechen.



"Stadtbär" von Katja Gehrmann erhält NRW-Kinderbuchpreis

Die Illustratorin Katja Gehrmann ist am 8. November mit dem Kinderbuchpreis des Landes Nordrhein-Westfalen ausgezeichnet worden. Die Hamburgerin erhielt den mit 5.000 Euro dotierten Preis am Nachmittag in der Stadtbibliothek Hattingen nach Angaben des NRW-Kulturministeriums für ihr Buch "Stadtbär". Das 2019 im Moritz Verlag erschienene Kinderbuch handelt von einem Bären, der nach seinem Winterschlaf feststellen muss, dass seine tierischen Freunde zu den Menschen in die Stadt gezogen sind. Er folgt ihnen und versucht, sich möglichst gut anzupassen. Doch seine Freunde haben Angst, dass der Bär Jäger auf den Plan ruft, und versuchen, ihn in einen Zoo zu bringen.

Katja Gehrmann wurde 1968 geboren und studierte Illustration in Mexiko, Spanien und Hamburg. Für ihre Illustrationen gewann sie bislang unter anderem den "Goldenen Apfel" der Biennale in Bratislava und das Troisdorfer Bilderbuch-Stipendium. Gehrmann lebt in Hamburg. Das Land NRW vergibt den Kinderbuchpreis seit 1989 jährlich an ein herausragendes Buch für Erstleser.




Entwicklung

Morales kündigt Rücktritt an


Evo Morales (Archivbild)
epd-bild/Erika Harzer
Nach 13 Jahren im Amt beugt sich Evo Morales dem Druck der Straße und erklärt seinen Rückzug als bolivianischer Präsident. Zahlreiche Polizisten hatten sich zuvor Regierungsgegnern angeschlossen, darunter auch die Wache des Präsidentenpalastes.

Boliviens Präsident Evo Morales hat nach mehr als 13 Jahren an der Macht seinen Rücktritt angekündigt. Er trete zurück, damit wieder Frieden im Land einkehre, erklärte Morales am 10. November in einer Fernsehansprache laut bolivianischen Medien. Auch Vizepräsident Álvaro García Linera und Senatspräsidentin Adriana Salvatierra legten ihre Ämter nieder.

Der Rücktritt nach mehrwöchigen Protesten der Bevölkerung erfolgte offenbar auf Druck von Polizei und Militär. Die Stabilität des Landes sei gefährdet, erklärten der Polizei- sowie der Armeechef. Zahlreiche Polizisten hatten sich zuvor Regierungsgegnern angeschlossen, darunter auch die Wache des Präsidentenpalastes.

Morales warf der Opposition vor, einen Putsch gegen ihn angezettelt zu haben. Er wolle nicht, dass es neue gewaltsame Zusammenstöße gebe und weitere seiner Anhänger angegriffen und gequält würden, sagte der 60-Jährige. Wenige Stunden vor seinem Rücktritt hatte Morales Neuwahlen ausgerufen. Doch diese Ankündigung konnte die Situation auch nicht beruhigen. Es kam erneut zu schweren Ausschreitungen.

Proteste seit Präsidentschaftswahl

Mexiko bot Morales Asyl an. Außenminister Marcelo Ebrard schrieb auf Twitter, sein Land habe in seiner Vertretung in La Paz bereits 20 Angehörige der bolivianischen Regierung und des Parlaments aufgenommen.

Seit den Präsidentschaftswahlen vom 20. Oktober war es in Bolivien täglich zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Regierungsanhängern und Opposition gekommen. Die staatliche Wahlkommission hatte Morales zum Sieger in der ersten Abstimmungsrunde erklärt. Die Opposition sprach von Wahlbetrug und erkannte das Ergebnis nicht an. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) nahm mit Zustimmung der Regierung eine Prüfung der Wahlergebnisse vor. In ihrem Votum, das die OAS am Sonntag bekanntgab, sprach sie von schweren Manipulationen des Computersystems und forderte eine Annullierung des Wahlergebnisses. Inzwischen wurden auch Mitglieder der Wahlkommission festgenommen.

Oppositionsführer Carlos Mesa dankte auf Twitter den Demonstranten für ihren "heroischen und friedlichen Widerstand". Er sprach von dem "Ende einer Tyrannei" und einer "historischen Lektion" für Bolivien. Mesa, der Kandidat der oppositionellen Allianz "Comunidad Ciudadana" war, kam bei den Präsidentschaftswahlen auf Platz zwei. Der Oberbefehlshaber der Streitkräfte, Williams Kaliman, hatte Morales vor dessen Erklärung in einem Schreiben zum Rücktritt aufgefordert, um "den Frieden wiederherzustellen und größere Konflikte" zu vermeiden. Ähnlich äußerte sich Polizeichef Yuri Calderón.

Referendum ignoriert

Morales regierte das Andenland seit 13 Jahren. In einem Referendum hatte sich 2016 eine knappe Mehrheit der Bevölkerung gegen eine vierte Amtszeit ausgesprochen. Das Urteil des Referendums erkannte der Sozialist nicht an. Das Verfassungsgericht, besetzt mit regierungstreuen Richtern, urteilte 2017, es sei sein "Menschenrecht", erneut kandidieren zu können.

Morales war der erste Präsident mit indigener Herkunft in Lateinamerika. Während seiner Präsidentschaft hat sich die Armut in Bolivien fast halbiert und das Pro-Kopf-Einkommen der Menschen verdoppelt. Gleichzeitig grassierten unter seiner Präsidentschaft auch Korruption, Vetternwirtschaft und ein zunehmend repressiver Kurs gegen Andersdenkende.



Lula aus Haft entlassen


Luiz Inacio Lula da Silva (2018)
epd-bild/Alberto Veiga
Nach eineinhalb Jahren Haft ist Brasiliens Ex-Präsident Lula wieder in Freiheit. Nun plant er ein politisches Comeback. Gegen ihn laufen jedoch weiter Korruptionsermittlungen.

Nach seiner Entlassung aus der Haft will Brasiliens Ex-Präsident Luíz Inácio Lula da Silva sich wieder politisch einmischen und die Opposition anführen. "Mir geht es gut, und ich werde für dieses Land kämpfen", sagte Lula am 9. November in seiner Heimatstadt São Bernardo do Campo vor Tausenden Anhängern. Er kündigte an, durch ganz Brasilien zu reisen und die linke Opposition gegen die Regierung des ultrarechten Präsidenten Jair Bolsonaro zu vereinen. Der linke Politiker war am Vorabend nach mehr als eineinhalb Jahren Haft aus dem Gefängnis entlassen worden.

Zuvor hatte das Oberste Bundesgericht entschieden, dass erst nach Ausschöpfung aller Rechtsmittel eine Haftstrafe vollstreckt werden kann. Lula, der Brasilien von 2003 bis 2010 regierte, war wegen Korruption und Geldwäsche zu mehr als zwölf Jahren Gefängnis verurteilt worden. Er kam nach einem Urteil in zweiter Instanz in Haft. Ein weiteres Berufungsverfahren wurde ihm verwehrt.

Vor seinen Anhängern zeigte sich Lula bereit, wieder Brasilien zu regieren, weil es nicht sein könne, "dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer" werden. Vor allem kritisierte er die Politik von Wirtschaftsminister Paulo Guedes, den er einen "Zerstörer von Hoffnungen, Jobs und Unternehmen" nannte. Bolsonaro bezeichnete er als Schurken, der Brasilien ruiniert habe. Brasilien befindet sich weiter in einer Wirtschaftskrise mit rund zwölf Prozent Arbeitslosigkeit und steigender Armut. Bolsonaro reagierte via Twitter und schrieb: "Lula ist zwar frei, trägt aber noch all seine Verbrechen auf dem Rücken."

Telefonate abgehört

Lula ist der prominenteste Häftling, der von der Entscheidung des Obersten Bundesgerichts profitiert. Laut dem Nationalen Rat der Justiz sind insgesamt 4.895 Gefangene betroffen, davon auch zahlreiche Politiker und Manager, die in den Korruptionsskandal um den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras involviert sind. Justizminister Sérgio Moro warnte vor einem Rückschritt bei der Aufklärung von Korruptionsverbrechen.

Brasiliens Justiz hatte es als erwiesen angesehen, dass Lula dem Baukonzern OAS Aufträge bei Petrobras verschafft hat. Als Gegenleistung soll er eine dreistöckige Luxuswohnung im Küstenort Guarujá bekommen haben. Das Urteil gründet sich lediglich auf abgehörte Telefonate und SMS-Wechsel. Lula bestreitet die Vorwürfe und sprach von einer politischen Verfolgung.

Der Ex-Präsident hofft jetzt auf einer Wiederaufnahme des Prozesses und einen Freispruch. Gegen Lula laufen jedoch noch weitere Korruptionsermittlungen. Der Linkspolitiker war im Wahlkampf des vergangenen Jahres als aussichtsreicher Kandidat angetreten. Nach seiner Verurteilung wurde seine Kandidatur für nicht rechtskräftig erklärt.



Nach Protesten: Chilenische Regierung erhöht Mindestlohn

Nach dem Druck der wochenlangen Proteste hat der chilenische Präsident Sebastián Piñera eine Erhöhung des staatlichen Mindestlohnes angekündigt. Laut einer Gesetzesvorlage soll der Mindestlohn auf 350.000 Pesos (rund 467 Dollar) steigen, wie die Tageszeitung "La Nación" am 6. November meldete. Wer weniger in einem Vollzeitjob verdient, soll einen staatlichen Zuschuss erhalten. Rund 540.000 Menschen würden profitieren, sagte Piñera. Die Erhöhung des staatlichen Mindestlohns ist Teil eines Reformpaketes, das der Präsident als Reaktion auf die sozialen Proteste angekündigt hat.

Seit mehr als zwei Wochen gehen in Chile Menschen auf die Straße. Immer wieder kam es zu schweren Ausschreitungen, bei denen nach offiziellen Angaben 20 Menschen getötet wurden. Menschenrechtsorganisationen kritisieren eine ausufernde Polizeigewalt gegen die Demonstranten. Piñera sagte, die chilenische Regierung werde nichts verschleiern und eine "totale Transparenz" herstellen. Jeder Anzeige wegen Polizeigewalt werde mit der gleichen Härte nachgegangen wie Anzeigen aufgrund von Plünderungen, Vandalismus und Gewalt von Demonstranten. Nach Angaben der Polizei wurden seit Beginn der Proteste landesweit mehr als 10.000 Menschen festgenommen.

181 Verfahren gegen Sicherheitskräfte

Das Nationale Institut für Menschenrechte (Indh) hat bereits 181 Verfahren gegen Sicherheitskräfte wegen Totschlags, Folter und sexueller Gewalt eingeleitet. Die UN-Menschenrechtsbeauftragte Michelle Bachelet hat ein Expertenteam nach Chile entsandt, um Vorwürfen von Polizeigewalt nachzugehen. Die Gutachter werden bis zum 22. November Augenzeugenberichte einholen.

Ursprünglich hatten sich die Proteste an einer Erhöhung der Fahrpreise für die Metro in Santiago entzündet, die aber inzwischen zurückgenommen wurde. Der Unmut der Bevölkerung wegen der steigenden Lebenshaltungskosten schwelt aber schon lange. Die Demonstranten fordern insbesondere eine Renten- und Verfassungsreform sowie Verbesserungen im Gesundheits- und Bildungswesen.



Dutzende Ärzte in Simbabwe nach Streik entlassen

In Simbabwe sorgt die Entlassung Dutzender Ärzte für Spannungen im Gesundheitswesen. 77 Ärzte seien bereits entlassen worden, weil sie die Arbeit niedergelegt hatten, um höhere Löhne zu fordern, berichtete die staatliche Zeitung "The Herald" am 6. November. Hunderten weiteren Ärzten droht Medienberichten ebenfalls die Entlassung. Vor allem in der Hauptstadt Harare ist die Gesundheitsversorgung demnach stark eingeschränkt.

Ärzte und Krankenschwestern demonstrieren seit rund zwei Monaten für eine bessere Bezahlung, obwohl ein Gericht im Oktober eine Fortsetzung des Streiks verboten hatte. Durch die Wirtschaftskrise liegt der Monatslohn eines Arztes laut dem Sender BBC bei weniger als 100 Euro. Simbabwe kämpft mit hoher Inflation und steckt seit Jahren in einer schweren Wirtschaftskrise, die vor allem durch Misswirtschaft des langjährigen Präsidenten Robert Mugabe ausgelöst wurde.



Mauerfall: "Kein Grund zum Feiern"


Demo mit Vuvuzela und DDR-Fahne
epd-bild/Stefan Ehlert
Tausende Mosambikaner waren in Fabriken in der DDR beschäftigt. Die Wende setzte dem ein jähes Ende. Ihr Lohn verschwand - bis heute.

Mit Vuvuzela und DDR-Fahne fordern sie ihren Lohn ein - wie jede Woche seit fast 30 Jahren. Die Gruppe gehört zu den Tausenden von Mosambikanern, die in der DDR über Jahre am Fließband standen. Ihre Hoffnung: In der Heimat mit dem Lohn eine neue Zukunft aufzubauen. Doch nach dem Ende der DDR wurden die mosambikanischen Arbeiterinnen und Arbeiter zurückgeschickt - ohne den ausstehenden Lohn. Seitdem demonstrieren die "Madgermanes", wie sie sich selbst nennen, jede Woche in der Hauptstadt Maputo gegen die Regierung, die sie ihrer Meinung nach um den Lohn geprellt hat.

Unter den Demonstranten ist Manuel Xavier Zameia. Der schmächtige 49-Jährige sagt, er habe Ende der 80er Jahre in einer Zigarettenfabrik in der DDR gearbeitet, bevor er zurückkehren musste. In der Heimat angekommen, hoffte er auf den noch ausstehenden Lohn, den die DDR der mosambikanischen Regierung überwiesen hatte. Doch Zameia ging leer aus, so wie rund 20.000 weitere Mosambikaner.

Vier Jahre in Dresdner Druckerei

Die DDR brauchte Arbeitskräfte, Mosambik benötigte Geld. Die "Madgermanes" wurden betrogen. So sieht es José Salvador Cossa (54), ihr Sprecher und Vorsitzender. Er kann als einer der wenigen beziffern, wie viel genau ihm nach seinen Berechnungen zusteht: Umgerechnet rund 45.000 Euro fordert er dafür, dass er im Auftrag Mosambiks vier Jahre lang in Dresden in einer Druckerei gearbeitet hat.

Cossa und sechs weitere Verhandler sind heute einbestellt worden ins Arbeitsministerium. Es gibt Streit unter den "Madgermanes": Sollen wir überhaupt noch mit denen reden, die uns 30 Jahre lang hingehalten und vertröstet haben? Die Wut richtet sich gegen die Frelimo, die Mosambikanische Befreiungsfront, die das Land seit 1975 regiert und im Februar 1979 das "Abkommen über die zeitweilige Beschäftigung mosambikanischer Werktätiger in sozialistischen Betrieben in der DDR" mit dem Bruderstaat schloss. Cossa folgt der Einladung ins Ministerium, kommt aber unverrichteter Dinge wieder zurück. Er solle mit dem Präsidenten sprechen, hieß es.

Auf zwischen 600 und 900 Millionen Euro belaufen sich die Forderungen der Vertragsarbeiter, sagt ein hochrangiger Frelimo-Insider, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Er glaubt, die Regierung müsse den Menschen irgendetwas anbieten, damit das Verhältnis der Regierung zu ihnen nicht über Generationen vergiftet werde. Schon heute nehmen Kinder und Enkel der "Madgermanes" an den Protesten teil. Sie wissen, dass auch ihr Leben anders verlaufen wäre, hätten Großvater oder Mutter das Geld bekommen, für das sie sich in die DDR aufgemacht hatten.

Hungerlohn

"Ich hätte ein kleines Restaurant eröffnet mit dem Geld", sagt Ernesto Chipanga. Stattdessen arbeitet er noch 30 Jahre später für einen Hungerlohn von 100 Euro monatlich als Kellner und verbringt jeden Tag vier bis fünf Stunden im Pendelverkehr, für den er sein ganzes Trinkgeld aufwenden muss. In einer Schuhfabrik bei Zittau habe er gearbeitet, von 1986 bis 1991. Chipanga spricht noch recht gut Deutsch. Er mag Schnitzel, liebt "das wunderschöne Dresden" und hasst die kalten Winter in Deutschland. Ob er nochmal zurückkehren würde? "Ist das nicht gefährlich für mich?", fragt er zurück. Dumme Sprüche gegenüber den Gästen habe es schon damals gegeben, nach dem Mauerfall nahmen die Anfeindungen zu.

1986 kam Arlindo Nhantumbo in Erfurt an. Dort und im damaligen Karl-Marx-Stadt habe er bis 1990 in der Bekleidungsindustrie im Akkord gearbeitet, in einem Wohnheim im Dreibettzimmer geschlafen und in der knappen Freizeit als rechter Verteidiger die Fußballmannschaft des Kombinats verstärkt. "Das Leben in der DDR war damals viel besser als in Mosambik", sagt er rückblickend. In der DDR habe er sogar eine Krankenversicherung gehabt. In Mosambik dagegen habe es während des Bürgerkriegs nicht einmal genug zu essen gegeben. Jetzt lebt er in Maputo von seinem Taxi, einem uralten Toyota Corolla, mit dem er 13 Stunden täglich unterwegs ist. Er kommt mit Frau und vier Kindern gerade so über die Runden.

Tochter seit 30 Jahren nicht gesehen

Dennoch nimmt Nhantumbo nie an den Demonstrationen der "Madgermanes" teil. "Was soll das noch bringen nach 30 Jahren?" Weder von der Bundesregierung noch von der eigenen erwarte er Entgegenkommen. Die Bundesregierung hat bei mehrfacher Gelegenheit bekundet, dass sie ihre Verpflichtungen mehr als erfüllt habe, die Verantwortung liege auf mosambikanischer Seite.

Nhantumbo hat sein Geld abgeschrieben. "Mir ist etwas ganz anderes viel wichtiger", sagt er, als er an seinem Stellplatz vor dem Zentralmarkt das verblichene Foto eines Babys auf die Kühlerhaube seines gelben Wagens legt. "Das ist Vanessa." Er habe sie seit 30 Jahren nicht mehr gesehen. Die Beziehung zu Mutter Annette in Erfurt sei kurz nach der Geburt in die Brüche gegangen. Seine Tochter müsse heute 32 Jahre alt sein, sagt Arlindo. Und er habe nur einen Wunsch: Zu wissen, wie es ihr gehe und sie einmal wiederzusehen: "Wissen sie", fügt er zum Abschied hinzu, " ich freue mich für die Deutschen, dass die Mauer weg ist, aber für uns ist es kein Grund zum Feiern."

Stefan Ehlert (epd)


Hoffnungsort Internierungslager


Flüchtlinge in einem wilden Flüchtlingslager in der libyschen Hauptstadt Tripolis
epd-bild/Bettina Rühl
Sie sind folternden Milizen, Hunger und Elend ausgeliefert. Tausende Flüchtlinge in Libyen leben auf der Straße. Selbst der Schrecken der Internierungslager erscheint dadurch geringer.

Mounir Abdallah setzte seine Hoffnung auf das Gefängnis. In einem der libyschen Internierungslager würde es ihm und seiner Familie vielleicht besser gehen. Natürlich hatte der Eritreer, der 2018 nach Libyen geflohen war, von Misshandlung und Folter dort gehört. "Aber ich habe keine andere Möglichkeit mehr gesehen, als mich mit meiner Familie freiwillig dort zu melden." Die Wangen des 27-jährigen Familienvaters sind eingefallen, seine Haare werden bereits grau.

Mounir ist einer von knapp 48.000 Flüchtlingen, die das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR in Libyen registriert hat. Die meisten schlagen sich irgendwie durch. Rund 5.000 Geflohene werden von der international anerkannten libyschen Regierung unter Ministerpräsident Fayez Al-Sarradsch in etwa 20 Internierungslagern festgehalten. Dort herrschten "KZ-ähnliche Verhältnisse", schrieb die deutsche Botschaft in Niger laut der "Welt am Sonntag" bereits 2017 an das Bundeskanzleramt und mehrere Ministerien.

In eins dieser Lager ging Mounir freiwillig im Februar oder März dieses Jahres. An den genauen Zeitpunkt könne er sich nicht mehr erinnern, erzählt er. Das Gefühl für Zeit ist ihm offenbar abhandengekommen in den Monaten, in denen er auf seinem Weg durch Libyen an unterschiedlichen Orten, auf unterschiedliche Weise und von unterschiedlichen Peinigern gequält wurde.

Fast zwei Jahre Haft

Mounirs Qualen begannen mit 21 Monaten Haft in Eritrea als Strafe für den ersten Fluchtversuch wegen des lebenslangen Militärdienstes. Schließlich gelang ihm die Flucht in den Sudan, und von dort aus 2018 inzwischen mit Frau und Kind weiter nach Libyen. Aber schon kurz hinter der Grenze "wurden wir von unserem Schlepper verkauft". Eine kriminelle Gang verschleppt die Familie nach Norden, in die Oase Zella. "Da fingen sie an, uns zu foltern und die Frauen zu vergewaltigen." Ihre Peiniger verlangen 3.700 US-Dollar Lösegeld für die Familie. Ihre Angehörigen in Eritrea brauchen fünf Monate, um wenigstens 3.000 Dollar aufzutreiben, mit denen sie die drei freikaufen können.

Die Freiheit endete bereits in Bani Walid, wo die junge Familie wieder von Kriminellen verschleppt wurde, wie der Eritreer schildert. Die Stadt knapp 200 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Tripolis ist mittlerweile für besonders grausame Foltercamps bekannt. Nach drei Monaten voller "unmenschlicher und grausamer Erfahrungen" kommen sie erneut frei, gegen die Zahlung von 6.000 Dollar. Mounirs Frau ist hochschwanger. Das UNHCR registriert sie erst beim Anblick ihres Zustands - und schickt sie dann mit leeren Händen weg.

"Unsere Mittel sind begrenzt", sagt UNHCR-Sprecherin Paula Esteban. Besonders wenig bleibe für Flüchtlinge, die nicht in Internierungslagern festgehalten würden, "weil dahin die ganze Aufmerksamkeit geht". Und damit ein Großteil des Geldes.

Das Hilfswerk hat für 2019 nur die Hälfte der für Libyen beantragten Gelder bekommen, rund 40 Millionen Dollar. Nur gut 1.600 Flüchtlinge bekamen finanzielle Hilfe, manche in Form monatlicher Zuwendungen, andre eine einmalige Zahlung. Von allem hat das UNHCR zu wenig: zu wenig Geld, zu wenig Plätze für ein Resettlement, der Umsiedlung in sichere Länder, zu wenig andere Lösungen. Und viele Landesteile sind wegen der Kämpfe und der Macht der Milizen für die Helfer unzugänglich.

Letzter Ausweg Internierungslager

Mounir erhält schließlich Geld nach der Geburt des Kindes, das nur dank der Hilfe wildfremder Libyer im Krankenhaus zur Welt kommen konnte. Allerdings reichen die umgerechnet etwa 180 Dollar vom UNHCR nicht für Unterkunft und Essen. Der junge Mann weiß keinen anderen Ausweg mehr, als mit seiner Familie in das Internierungslager von Kasr bin Gashir zu gehen, in der Nähe des internationalen Flughafens von Tripolis. Von den etwa 700 Gefangenen hätten viele Krätze gehabt, sagt Mounir. "Das Wasser war salzig, das Essen viel zu wenig und schlecht. Das Leben dort war unerträglich."

"Wir fordern immer wieder, dass die Internierungslager geschlossen werden, weil die Verhältnisse unmenschlich sind", sagt UNHCR-Sprecherin Esteban. "Wir fordern mehr Resettlementplätze, mehr Geld für die Flüchtlinge, die auf sich selbst gestellt in den Städten leben."

Zu denen gehören auch Mounir und seine Familie wieder, in die Freiheit gezwungen durch den eskalierenden Bürgerkrieg. Am 23. April wurde ihr Lager von Kämpfern der "Libysch-Nationalen Armee" (LNA) des sogenannten Generals Khalifa Haftar überrannt, der von Osten aus eine Offensive gegen die Regierung startete. "Die Kämpfer schossen wahllos um sich." Mounir zeigt auf seinem Handy ein Video, das seine Worte untermauert. Die Wärter flohen bei den ersten Schüssen. Laut Ärzte ohne Grenzen gab es mehrere Tote, mindestens ein Dutzend Menschen wurden verletzt.

Seitdem schlagen sich Mounir und seine Frau in Tripolis durch, angewiesen auf Lebensmittel- und Kleidungsspenden von Libyern, die dem Elend der Flüchtlinge nicht tatenlos zusehen können. Das UNHCR findet weiter kaum Gehör.

Bettina Rühl


Oxfam: Extreme Wetterlagen verursachen Hungerkrise in Afrika

Dürre im Süden, Überschwemmungen im Osten: In Afrika leiden Millionen Menschen unter extremem Wetter. Sie brauchen dringend Hilfe, sind aber oftmals kaum zu erreichen.

Stürme, massive Niederschläge, Überschwemmungen und Dürren: Die extremen Wetterlagen stürzen laut einem Bericht der Hilfsorganisation Oxfam Menschen in 18 Ländern Afrikas in tiefe Not. Mehr als 52 Millionen Kinder, Frauen und Männer hungerten, heißt es in einem am 7. November veröffentlichten Bericht.

Die Hungerkrise werde durch die bittere Armut und bewaffnete Konflikte wie im Südsudan verschärft, hieß es in der Untersuchung. In Simbabwe seien die niedrigsten Regenmengen seit 1981 gemessen worden. Dort hungerten mehr als 5,5 Millionen Menschen. Die Ernährungslage verschlimmere sich auch in anderen Ländern des südlichen Afrikas: Oxfam nannte Angola, Malawi, Mosambik, Madagaskar, Namibia und Sambia.

Im Osten des Kontinents leiden laut den UN Millionen Menschen unter starken Regenfällen und Überschwemmungen. Dutzende Bewohner der Region seien in den vergangenen Tagen in Folge der Wassermassen gestorben, erklärte das UN-Büro zur Koordinierung humanitärer Hilfe.

Weitere Regenfälle erwartet

Im Südsudan bräuchten 755.000 Menschen Lebensmittelhilfe, sagte der Sprecher des Welternährungsprogramms, Herve Verhoosel, dem epd. Bislang habe das WFP erst 265.000 Hungernde erreichen können. Die Helfer setzten mehrere Hubschrauber ein, um abgeschnittene Gegenden zu erreichen. Viele Bewohner harrten auf Dächern aus und warteten auf Hilfe.

Die Meteorologen hätten weitere Regenfälle für den Südsudan in den kommenden vier bis sechs Wochen vorausgesagt, sagte WFP-Sprecher Verhoosel. Allein für die Nothilfe im Südsudan in den nächsten drei Monaten brauche das WFP mehr als 36 Millionen Euro.

In Kenia sind nach UN-Angaben 144.000 Kinder, Frauen und Männer betroffen, 48 Menschen sind demnach umgekommen. Erdrutsche und Wassermassen hätten Straßen und andere wichtige Infrastruktureinrichtungen zerstört. In Somalia sind laut Ärzte ohne Grenzen 270.000 Menschen vor den Fluten geflohen. Viele Teile des Landes seien nach den schweren Regenfällen überschwemmt. Menschen und Tiere seien gestorben, hieß es.

Den Menschen fehle es an allem, erklärte die medizinische Hilfsorganisation. Am dringendsten benötigen sie Trinkwasser, Nahrungsmittel und Latrinen. Sie litten an Durchfallerkrankungen und Atemwegsinfektionen. Es sei zu befürchten, dass die Zahl der mangelernährten Kinder steigen werde.

Nach Angaben der UN litten in Ländern Ostafrikas zu Beginn der Woche mindestens 2,5 Millionen Menschen unter den Auswirkungen der massiven Niederschläge. Betroffen war den Angaben nach auch die Bevölkerung im Sudan und in Äthiopien.



Geograf: Weltraumbasierte Techniken können in Afrika Leben retten

Weltraumbasierte Techniken können das Katastrophenmanagement in Afrika nach Ansicht des Bonner Geografen Klaus Greve deutlich verbessern. "Das kann unmittelbar Menschenleben retten", sagte Greve dem Evangelischen Pressedienst (epd) anlässlich der UN-Konferenz "Weltraumbasierte Lösungen für das Katastrophenmanagement in Afrika" in Bonn. Mit Hilfe von Satelliten-Daten könnten bessere Vorkehrungen gegen Erdbeben, Stürme oder Dürre getroffen werden. Bis Freitag tagen Experten darüber, wie Entwicklungsstaaten einen besseren Zugang zu weltraumgestützter Technik und zu entsprechenden Daten erhalten können.

"Wir glauben, dass wir vor allem bei der Dürre-Vorhersage demnächst noch größere Erfolge haben können, weil die Auflösung der Bilder und die Möglichkeit, sie zu interpretieren immer besser wird", erklärte Greve, der am Zentrum für Fernerkundung der Landoberfläche (ZFL) der Universität Bonn arbeitet. Anhand von satellitengestützten Erntevorausschau-Systemen könnten Experten die Gefahr einer Dürre frühzeitig erkennen. Dadurch ließen sich die Folgen zumindest mildern. "Man kann Hilfskapazitäten rechtzeitig aufbauen und möglicherweise auch die Bauern beraten."

Mit Hilfe von Satellitenbildern könnten auch besiedelte Bereiche in Erdbeben-Regionen identifiziert werden, die im Falle von Erdstößen akut gefährdet wären, erklärte Greve. Heraufziehende Stürme ließen sich mit Hilfe von Satellitendaten rechtzeitig erkennen. "Dadurch kann man Evakuierungen einleiten und die Hilfsorganisationen so aufstellen, dass sie in der Lage sind, auf die Situation zu reagieren."

Voraussetzung sei jedoch, dass es in den betroffenen Ländern Experten gebe, die weltraumgestützte Daten erheben und interpretieren könnten. "Sehr häufig haben diese Länder aber gar nicht die Kapazitäten, um solche Untersuchungen durchzuführen." Das ZFL berät deshalb in Kooperation mit der Plattform der Vereinten Nationen für raumfahrtgestützte Informationen für Katastrophenmanagement und Notfallmaßnahmen (UN-Spider) in Bonn regelmäßig Entwicklungsländer zum Thema weltraumbasierter Katastrophenschutz.

epd-Gespräch: Claudia Rometsch


Feier zum 60. Geburtstag von "Brot für die Welt" in Münster

Das 60-jährige Bestehen des evangelischen Hilfswerks "Brot für die Welt" wird in Nordrhein-Westfalen mit einer Jubiläumsveranstaltung in Münster gefeiert. Am 29. November werde der Kabarettist und TV-Journalist Martin Buchholz in der Erlöserkirche durch ein Programm mit Interviews, Musik und Tanz führen, erklärte der Kirchenkreis Münster. Daran schließe sich Abend der Begegnung mit philippinischen, afrikanischen und arabischen Köstlichkeiten im Paul-Gerhardt-Haus an.

Zu dem Geburtstag des Hilfswerks verkaufe der Kirchenkreis unter dem Motto "Münster Brot für die Welt" in der Zeit vom 10. November bis zum 1. Dezember kleine Brote. Der Reinerlös der Aktion soll als Spende an "Brot für die Welt" gehen.

Das 60-jährige Bestehen von "Brot für die Welt" bedeute sechs Jahrzehnte Kampf gegen Hunger, Armut und Ungerechtigkeit, Einsatz für bessere Ernten, Zugang zu sauberem Wasser, Bildung von Kindern, Gleichberechtigung der Frauen, erklärte der Münsteraner Synodalbeauftragter für Mission - Eine Welt, Martin Mustroph.

"Brot für die Welt" ist das Hilfswerk der evangelischen Landes- und Freikirchen. Im vergangenen Jahr förderte das Hilfswerk nach eigenen Angaben mehr als 1.500 Projekte in 90 Ländern. "Brot für die Welt" fördert unter anderem Projekte zur Ernährung und ländlichen Entwicklung.