Mit Vuvuzela und DDR-Fahne fordern sie ihren Lohn ein - wie jede Woche seit fast 30 Jahren. Die Gruppe gehört zu den Tausenden von Mosambikanern, die in der DDR über Jahre am Fließband standen. Ihre Hoffnung: In der Heimat mit dem Lohn eine neue Zukunft aufzubauen. Doch nach dem Ende der DDR wurden die mosambikanischen Arbeiterinnen und Arbeiter zurückgeschickt - ohne den ausstehenden Lohn. Seitdem demonstrieren die "Madgermanes", wie sie sich selbst nennen, jede Woche in der Hauptstadt Maputo gegen die Regierung, die sie ihrer Meinung nach um den Lohn geprellt hat.

Unter den Demonstranten ist Manuel Xavier Zameia. Der schmächtige 49-Jährige sagt, er habe Ende der 80er Jahre in einer Zigarettenfabrik in der DDR gearbeitet, bevor er zurückkehren musste. In der Heimat angekommen, hoffte er auf den noch ausstehenden Lohn, den die DDR der mosambikanischen Regierung überwiesen hatte. Doch Zameia ging leer aus, so wie rund 20.000 weitere Mosambikaner.

Vier Jahre in Dresdner Druckerei

Die DDR brauchte Arbeitskräfte, Mosambik benötigte Geld. Die "Madgermanes" wurden betrogen. So sieht es José Salvador Cossa (54), ihr Sprecher und Vorsitzender. Er kann als einer der wenigen beziffern, wie viel genau ihm nach seinen Berechnungen zusteht: Umgerechnet rund 45.000 Euro fordert er dafür, dass er im Auftrag Mosambiks vier Jahre lang in Dresden in einer Druckerei gearbeitet hat.

Cossa und sechs weitere Verhandler sind heute einbestellt worden ins Arbeitsministerium. Es gibt Streit unter den "Madgermanes": Sollen wir überhaupt noch mit denen reden, die uns 30 Jahre lang hingehalten und vertröstet haben? Die Wut richtet sich gegen die Frelimo, die Mosambikanische Befreiungsfront, die das Land seit 1975 regiert und im Februar 1979 das "Abkommen über die zeitweilige Beschäftigung mosambikanischer Werktätiger in sozialistischen Betrieben in der DDR" mit dem Bruderstaat schloss. Cossa folgt der Einladung ins Ministerium, kommt aber unverrichteter Dinge wieder zurück. Er solle mit dem Präsidenten sprechen, hieß es.

Auf zwischen 600 und 900 Millionen Euro belaufen sich die Forderungen der Vertragsarbeiter, sagt ein hochrangiger Frelimo-Insider, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Er glaubt, die Regierung müsse den Menschen irgendetwas anbieten, damit das Verhältnis der Regierung zu ihnen nicht über Generationen vergiftet werde. Schon heute nehmen Kinder und Enkel der "Madgermanes" an den Protesten teil. Sie wissen, dass auch ihr Leben anders verlaufen wäre, hätten Großvater oder Mutter das Geld bekommen, für das sie sich in die DDR aufgemacht hatten.

Hungerlohn

"Ich hätte ein kleines Restaurant eröffnet mit dem Geld", sagt Ernesto Chipanga. Stattdessen arbeitet er noch 30 Jahre später für einen Hungerlohn von 100 Euro monatlich als Kellner und verbringt jeden Tag vier bis fünf Stunden im Pendelverkehr, für den er sein ganzes Trinkgeld aufwenden muss. In einer Schuhfabrik bei Zittau habe er gearbeitet, von 1986 bis 1991. Chipanga spricht noch recht gut Deutsch. Er mag Schnitzel, liebt "das wunderschöne Dresden" und hasst die kalten Winter in Deutschland. Ob er nochmal zurückkehren würde? "Ist das nicht gefährlich für mich?", fragt er zurück. Dumme Sprüche gegenüber den Gästen habe es schon damals gegeben, nach dem Mauerfall nahmen die Anfeindungen zu.

1986 kam Arlindo Nhantumbo in Erfurt an. Dort und im damaligen Karl-Marx-Stadt habe er bis 1990 in der Bekleidungsindustrie im Akkord gearbeitet, in einem Wohnheim im Dreibettzimmer geschlafen und in der knappen Freizeit als rechter Verteidiger die Fußballmannschaft des Kombinats verstärkt. "Das Leben in der DDR war damals viel besser als in Mosambik", sagt er rückblickend. In der DDR habe er sogar eine Krankenversicherung gehabt. In Mosambik dagegen habe es während des Bürgerkriegs nicht einmal genug zu essen gegeben. Jetzt lebt er in Maputo von seinem Taxi, einem uralten Toyota Corolla, mit dem er 13 Stunden täglich unterwegs ist. Er kommt mit Frau und vier Kindern gerade so über die Runden.

Tochter seit 30 Jahren nicht gesehen

Dennoch nimmt Nhantumbo nie an den Demonstrationen der "Madgermanes" teil. "Was soll das noch bringen nach 30 Jahren?" Weder von der Bundesregierung noch von der eigenen erwarte er Entgegenkommen. Die Bundesregierung hat bei mehrfacher Gelegenheit bekundet, dass sie ihre Verpflichtungen mehr als erfüllt habe, die Verantwortung liege auf mosambikanischer Seite.

Nhantumbo hat sein Geld abgeschrieben. "Mir ist etwas ganz anderes viel wichtiger", sagt er, als er an seinem Stellplatz vor dem Zentralmarkt das verblichene Foto eines Babys auf die Kühlerhaube seines gelben Wagens legt. "Das ist Vanessa." Er habe sie seit 30 Jahren nicht mehr gesehen. Die Beziehung zu Mutter Annette in Erfurt sei kurz nach der Geburt in die Brüche gegangen. Seine Tochter müsse heute 32 Jahre alt sein, sagt Arlindo. Und er habe nur einen Wunsch: Zu wissen, wie es ihr gehe und sie einmal wiederzusehen: "Wissen sie", fügt er zum Abschied hinzu, " ich freue mich für die Deutschen, dass die Mauer weg ist, aber für uns ist es kein Grund zum Feiern."