Die Bewertung von Migration in Deutschland ist nach Auffassung des Migrationsforschers Haci-Halil Uslucan in der Bevölkerung deutlich besser als die öffentliche Diskussion darüber. Seit 2015 hätten sich jeweils 60 bis 70 Prozent der Befragten aus allen Bevölkerungsgruppen in Umfragen positiv geäußert, sagte Uslucan am 4. November bei einer Tagung des Landessozialgerichts NRW in Essen. Der Leiter des Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung an der Universität Duisburg-Essen betonte: "Multikulti ist weder tot, noch ist die Integration glänzend bewältigt, insgesamt ist noch Luft nach oben."

Deutschland selten mit Heimatgefühl vebunden

Als negative Entwicklung nannte Uslucan eine seit 2010 wider Erwarten abnehmende Identifikation der jüngeren türkeistämmigen Zuwanderergeneration. "Das Gefühl, Deutschland als Heimat zu haben, nimmt ab und die emotionale Beheimatung mit der Türkei nimmt zu", erläuterte der Professor für moderne Türkeistudien. Als Grund dafür sieht er unterschiedliche Ansprüche der Generationen. Während die Älteren ihr Leben in Deutschland mit dem in der Türkei verglichen hätten, würden die Jüngeren sich nicht damit zufrieden geben, in Deutschland Bürger zweiter Klasse zu sein: "Sie rebellieren gegen Diskriminierung und Ausgrenzung."

Die Essener Fachanwältin für Migrationsrecht, Nizaqete Bislimi-Hoso, kritisierte die unsichere Bleiberechtsperspektive vieler Migranten. "Ich finde es sehr problematisch, Menschen zu kategorisieren", sagte Bislimi-Hoso, die selbst als 14-Jährige als Flüchtling aus dem Kosovo nach Deutschland kam und noch während des Studiums in einer Aufnahmeeinrichtung lebte. Wer nur geduldet sei, für den sei auch der Zugang zu Sprache, Bildung und dem Arbeitsmarkt erschwert oder unmöglich und damit auch zur Integration. Die Anwältin und Vorsitzende des Bundes Roma Verbandes forderte, vor allem für Roma aus Rumänien und Bulgarien eine Lösung zu finden.

Die Dortmunder Gesundheitsdezernentin Birgit Zoerner (SPD) wies darauf hin, dass viele Zuwanderer aus eben diesen Ländern aus prekären Verhältnissen kämen, oft nur mit geringer oder gar keiner Bildung. "Die bringen all ihre Probleme mit in die Kommunen", sagte Zoerner. So habe die Stadt ein dichtes Netzwerk von sozialen Hilfen geschaffen und in jüngster Zeit rund 1.500 Menschen neu in Arbeit gebracht. "Es gibt keine Alternative zur Integration", betonte die SPD-Politikerin. Der Sozialmissbrauch sei in Dortmund aufgrund des engmaschigen Hilfenetzes geringer als in anderen Städten.