Kirchen

Bedford-Strohm wirbt für Verbleib Großbritanniens in der EU


Heinrich Bedford-Strohm
epd-bild/Theo Klein
Er nennt das Vereinigte Königreich "ein zentrales Stück Europa": Wenn es nach dem EKD-Ratsvorsitzenden ginge, blieben die Briten in der EU. In besonderer Verantwortung für das Projekt Europa sieht der bayerische Landesbischof die Kirchen.

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, hat sich für einen Verbleib des Vereinigten Königsreichs in der EU ausgesprochen. "Die klare Botschaft an die Briten muss jetzt erst recht sein: Wir wollen auf euch als ein zentrales Stück Europa nicht verzichten", sagte Bedford-Strohm am 17. Januar in seinem Grußwort beim Jahresempfang der Evangelischen Akademie Tutzing. Angesichts der jüngsten Entwicklungen in Großbritannien scheine alles, was nach zwei Weltkriegen an Zusammenhalt zwischen den Völkern Europas entstanden ist, in Gefahr zu geraten.

Bedford-Strohm, der auch bayerischer Landesbischof ist, rief laut Redemanuskript dazu auf, anti-britischen und anti-europäischen Stimmen entschieden zu widersprechen. Besonders hob er die Rolle der Kirchen hervor: "Ich bin davon überzeugt, dass sich die Verantwortung für das Friedensprojekt Europa gerade auch den Kirchen stellt." Dort, wo Hass oder Nationalismus geschürt würden, seien die Kirchen zum Widerspruch aufgefordert. "Wir sind gerufen, für Solidarität und Kooperation über nationale Grenzen hinweg einzutreten, für die Versöhnung gerade zwischen Völkern, die eine lange und traurige Geschichte von Krieg und Gewalt hinter sich haben."

Brücken bauen

Besonders in der verfahrenen Brexit-Situation müssen die Kirchen laut Bedford-Strohm Brücken zwischen dem europäischen Kontinent und Großbritannien bauen. Es sei jetzt die Aufgabe der Kirchen und ihrer Netzwerke, Spaltungstendenzen in Europa und emotionalen Reaktionen, wie etwa Spott und Häme gegenüber England, entgegenzuwirken, sagte der Theologe im Münchner Presseclub.

Die Kirchen in England und Deutschland müssten nach allen Kräften verhindern, dass extreme Richtungen aus der Emotionalisierung der Debatte politischen Profit ziehen. Er habe deshalb eine Anzeige in der britischen Tageszeitung "The Times" mitunterzeichnet, die am 18. Januar erschien. Darin betonen Politiker und Prominente, dass England und Europa auch in Zukunft in einer engen Verbindung stehen sollten.

Nach den Turbulenzen um den Brexit rief der EKD-Ratsvorsitzende eindringlich zu einer regen Beteilung bei der anstehenden Europawahl Ende Mai auf. Denn bei dieser Wahl entscheide sich, welche Gruppierungen und Strömungen in Zukunft Europa prägen.

Zusammenhalt

Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn sagte in seiner Rede in Tutzing, die Europäische Union müsse heute mehr denn je zusammenhalten. Nur dann könne sie als "Faktor des Friedens und der Stabilität" bestehen. Der Brexit habe vielen Europaskeptikern vor Augen geführt, "was man an der EU hat", sagte Asselborn laut Redemanuskript. Ihn stimme traurig, dass die EU seit 2015 keine gemeinsame Migrationspolitik verfolge, weil einzelne Staaten eine Entscheidung blockierten. Dabei führe "kein Weg an einer automatischen Verteilung" von Migranten vorbei.

Bereits im November vergangenen Jahres hatten sich Bedford-Strohm und die Präses der EKD-Synode, Irmgard Schwaetzer, zusammen mit dem Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, für Europa starkgemacht: "Als Spitzen unserer Kirchen sind wir miteinander verbunden im Bekenntnis um ein starkes Europa, das dem gemeinsamen Wohl und dem Respekt gegenüber der Würde aller Menschen dient", hieß in einer anlässlich eines Treffens in London veröffentlichten gemeinsamen Erklärung.



Situation von Christen in China und Indien angeprangert

Nordkorea belegt weiterhin Platz eins auf dem "Weltverfolgungsindex" von Open Doors. Es folgen Afghanistan, Somalia und Libyen. Der jährlich veröffentlichte Index listet die 50 Staaten mit der laut Hilfswerk schlimmsten Christenverfolgung auf.

Das christliche Hilfswerk Open Doors prangert in seinem neuen "Weltverfolgungsindex" eine zunehmende Unterdrückung von Christen in China an. Das Land sei ein Paradebeispiel für die wachsende Unterdrückung der Glaubensfreiheit durch ein repressives Regime, erklärte die Organisation am 16. Januar im hessischen Kelkheim im Taunus. Im Berichtszeitraum waren dort laut Open Doors mehr Christen als in jedem anderen Land inhaftiert: 1.131 gegenüber 134 im Vorjahr - viele von ihnen ohne Gerichtsverfahren.

Im Zeitraum von Ende 2017 bis Ende 2018 wurde laut Open Doors die Situation von Christen in 150 Ländern untersucht. China liege auf Rang 27 der 50 Staaten mit der schlimmsten Christenverfolgung. Wie in den Vorjahren belegt Nordkorea den ersten Platz auf der Negativ-Rangliste, gefolgt von Afghanistan, Somalia und Libyen.

Der CDU-Politiker Volker Kauder erklärte, der jährliche "Weltverfolgungsindex" führe immer wieder vor Augen, "in welchen Ländern und Regionen der Welt unser Einsatz für die Einhaltung der Religionsfreiheit besonders gefordert ist". Im Dialog mit diesen Ländern müsse die Unterdrückung von Christen deutlich angesprochen werden. Die Einhaltung der Glaubens- und Gewissensfreiheit sei für den Frieden in der Welt zwingende Voraussetzung, unterstrich Kauder, der in der CDU/CSU-Bundestagfraktion für die Themen Werte, Religionsfreiheit und Einsatz gegen Christenverfolgung zuständig ist: "In der Außen- und Entwicklungspolitik werden wir daher weiter auf die Wahrung der Religionsfreiheit drängen."

Engagement der EKD

"Die gegenwärtige Situation der verfolgten Christen und anderer Minderheiten ist katastrophal und alarmierend", sagte Markus Rode, geschäftsführender Vorstandsvorsitzender von Open Doors Deutschland. "Die Religionsfreiheit wird massiv unterdrückt. Wenn Millionen Betroffene keine Chance haben, selbst auf ihre Situation aufmerksam zu machen, dann müssen Politiker und wir als Christen deutlich mehr tun als bisher", sagte Rode.

Zum Thema verfolgte Christen erklärte die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), die Religionsfreiheit sei "ein elementares und unveräußerliches Menschenrecht. In seinem Wort zum Tag der Menschenrechte 2018 hat der Rat der EKD unterstrichen: Religionsfreiheit umfasst das Recht, eine Religion zu haben oder nicht zu haben, oder seine Religion zu wechseln." Die EKD sehe sich in der Verantwortung, der Diskriminierung von religiösen Gemeinschaften und Gruppierungen entgegenzuwirken, sagte ein EKD-Sprecher dem Evangelischen Pressedienst (epd).

In ihren internationalen Bezügen setze sich die EKD weltweit für verfolgte und bedrängte Christen ein, hieß es weiter: "Ihr Engagement gilt allen Menschen, die wegen ihrer religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen verfolgt werden und umfasst konkrete Hilfe und politische Gespräche ebenso wie das Gebet." Für den 17. März ruft die EKD deutschlandweit zu Gebeten für verfolgte und bedrängte Christen auf. Ein Schwerpunkt der Fürbitte 2019 an diesem Sonntag sei die Menschenrechtslage in Nigeria. Im Dezember 2017 hatten die Deutsche Bischofskonferenz und die EKD gemeinsam den umfassenden "Ökumenischen Bericht zur Religionsfreiheit von Christen weltweit 2017" vorgelegt. Der nächste Bericht werde voraussichtlich 2020 erscheinen, kündigte die EKD an.

Sorge über Lage in Indien

Zur Situation im Nahen Osten erklärte Open Doors, nach Gebietsverlusten im Nahen Osten infiltrierten IS-Kämpfer und andere militante Islamisten weitere Länder der Region wie Libyen (Platz 4) und Ägypten (16). Hinzu kämen zunehmend Länder in Asien und südlich der Sahara. Im islamisch dominierten Norden von Nigeria (12) würden Christen bereits seit vielen Jahren verfassungsgemäße Rechte sowie Versorgung und Schutz verweigert. Auch in Indien, das erstmals unter den ersten zehn Ländern des "Weltverfolgungsindex" rangiere, sei die Situation besorgniserregend, erklärte Open Doors. In Indien lasse die hindunationalistische Regierungspartei BJP mit den Behörden extremistische Gruppen und Mobs in ihrer Gewalt gegen Kirchen und Christen gewähren.

Der jährlich veröffentlichte "Weltverfolgungsindex" soll seit mehr als 15 Jahren betroffenen Christen und Konvertiten zum christlichen Glauben eine Stimme geben. Open Doors ist nach eigenen Angaben in fast 80 Ländern aktiv. Der deutsche Zweig ist als Verein organisiert und wird vor allem von Freikirchen unterstützt.



Schwaetzer würdigt Kampf um Frauenwahlrecht in Kirche


Irmgard Schwaetzer
epd-bild/Norbert Neetz

Die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Irmgard Schwaetzer, hat an den intensiven Streit um das Frauenwahlrecht in der evangelischen Kirche erinnert. "Wie lang der Weg bis zur rechtlichen Gleichstellung in der Kirche war und wie stark die Widerstände waren, gegen die Frauen ankämpfen mussten, ist im kirchlichen Bewusstsein nicht hinreichend präsent", sagte sie am 16. Januar in Hannover. Das Frauenwahlrecht wurde seit 1919 in den evangelischen Landeskirchen eingeführt.

Heute gelte es als Merkmal der evangelischen Kirche, dass in ihr die Geschlechter gleichberechtigt seien, schreibt Schwaetzer im Vorwort des 2. Ergänzungsbandes zum "Atlas zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der evangelischen Kirche in Deutschland". In dem Buch werde unter anderem die Debatte um das kirchliche Frauenwahlrecht beleuchtet, wie es hieß. Diese sei sowohl von kirchlichen als auch weltlichen Frauenvereinen angestoßen worden. Das aktive und passive Wahlrecht für Frauen zu den Gemeindeleitungen und Synoden sei erst nach dem Ende der Monarchie mit der Trennung von Kirche und Staat eingeführt worden.



Bischof Hein: Besonnenheit statt Geschrei in Debatten


Martin Hein
epd-bild/Daniel Peter

Zu einer Kultur der Besonnenheit in öffentlichen Auseinandersetzungen hat der Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Martin Hein, am 16. Januar in Eschwege aufgerufen. Die Herabwürdigung von Einzelnen oder Institutionen, öffentliche Brandmarkung und Bloßstellung von Menschen, rassistische, nationalistische oder sexistische Äußerungen seien unchristlich, sagte Hein beim Neujahrsempfang des evangelischen Kirchenkreises Eschwege. "Wer schreit, muss nicht Unrecht haben, aber er setzt sich von vornherein ins Unrecht", mahnte er einen respektvollen Umgang miteinander an.

In der erweiterten Öffentlichkeit, die sich durch die moderne Kommunikation entwickelt habe, entstünden Räume der Selbstverstärkung von radikalen Einstellungen, Lügen, Falschaussagen, grotesken Verschwörungsmythen und politischen Hirngespinsten, die Menschen mobilisierten. "Es ist ein vertrackter Kreislauf des Aufschaukelns, den man mit gutem Recht einen Teufelskreis nennen kann, an dessen Ende Gewalt und Zivilisationsbrüche stehen", warnte Hein.

Zwar gebe es durchaus Gründe zur Empörung wie etwa das Verhalten der Automobilkonzerne in der Abgasfrage oder das der Banken in der Finanzkrise. Doch müsse diese Empörung durch behutsames, umsichtiges und kompetentes Nachforschen, Nachdenken und Überprüfen abgesichert und begründet sein.



Präses Rekowski: Mut und Hoffnung nicht verlieren


Manfred Rekowski
epd-bild / Stefan Arend

Der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski, hat dazu aufgerufen, auch bei Rückschlägen nicht mutlos zu werden und die Hoffnung nicht zu verlieren. Der Hoffnung drohe die Puste auszugehen, wenn "wir zum Beispiel erleben, dass keine Einigkeit beim Vorhaben, unsere Erde zu schonen, erreicht werden kann", sagte er laut Predigttext am 18. Januar im hessischen Hüttenberg im Festgottesdienst zum Start des neuen Kirchenkreises An Lahn und Dill. "Oder wenn wir miterleben, dass Lügen und einfache Antworten eher gehört werden als unbequeme Wahrheiten und mühsame Lösungsvorschläge." Dann sei es umso wichtiger, sich gegenseitig zu ermutigen und an die Hoffnung zu erinnern.

Denn die Hoffnung glaube der vermeintlichen Alternativlosigkeit an vielen Stellen nicht, betonte der oberste Theologe der zweitgrößten Landeskirche. Für ihn umschreibe "Hoffnung" die Wirkung des Wortes Gottes. Diese Hoffnung lasse nicht die Hände in den Schoß legen, sondern fahre in den Verstand, in Hände und Füße. "Wir geben den Einsatz für Frieden und Versöhnung nicht auf, wir fordern Solidarität und offene Türen für Menschen auf der Flucht", sagte Rekowski.

Mit Blick auf die Fusion der früheren Kirchenkreise Wetzlar und Braunfels zum Kirchenkreis an Lahn und Dill betonte der rheinische Präses, dass das Zusammenwachsen Zeit brauche. "Die nüchternen finanziellen und personellen Notwendigkeiten, die Kirchenkreise zu Fusionen drängen, können allein keine Einheit schaffen", sagte Rekowski laut Predigttext. Die Arbeit nach einer Fusion sei mindestens so herausfordernd wie die Vorbereitung einer solchen.

Zum 1. Januar hatten sich die Kirchenkreise Braunfels und Wetzlar zum Kirchenkreis an Lahn und Dill vereinigt. Zu ihm gehören 50 Kirchengemeinden mit etwa 74.000 evangelischen Christen. Mit der Fusion sank die Zahl der Kirchenkreise der Evangelischen Kirche im Rheinland von 38 auf 37.



Kirchen ehren Metropoliten Augoustinos


Metropolit Augoustinos
epd-bild / Meike Böschemeyer

Die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Deutschland ehrt den griechisch-orthodoxen Metropoliten Augoustinos (80) für sein ökumenisches Lebenswerk. Augoustinos habe als Priester, Bischof und höchster Vertreter der orthodoxen Kirche in Deutschland Großes für die Gemeinschaft der Kirchen geleistet, sagte der ACK-Bundesvorsitzende, der katholische Bischof von Speyer, Karl-Heinz Wiesemann, am 14. Januar. Die Ehrung durch die ACK finde nach dem zentralen Gottesdienst zur weltweiten Gebetswoche für die Einheit der Christen am 24. Januar im Berliner Dom statt. Die Laudatio hält der frühere Bundespräsident Christian Wulff.

Der aus Kreta stammende Augoustinos studierte Theologie auf der Insel Chalki, in Salzburg, Münster und an der Freien Universität Berlin. 1964 wurde er in Bonn zum Priester geweiht. 1972 wurde Augoustinos zum Vikarbischof der Bonner Metropolie von Deutschland gewählt, 1980 zum Metropoliten von Deutschland. Seit 2006 ist er Vorsitzender der Kommission der Orthodoxen Kirche in Deutschland. Er ist vielfältig für das ökumenische Miteinander der Kirchen aktiv.

Die Gebetswoche vom 18. bis 25. Januar wird mittlerweise seit mehr als 100 Jahren gefeiert. Die Texte, mit denen für die Einheit und Versöhnung der Christen gebetet wird, werden in diesem Jahr von Christen aus Indonesien erarbeitet. "Unsere Einheit in Christus ist es, durch die wir in die Lage versetzt werden, gegen Ungerechtigkeit zu kämpfen und ihren Opfern zur Seite zu stehen", heißt es nach ACK-Angaben im Vorwort zum Ablauf des Gottesdienstes, der gemeinsam mit dem Ökumenischen Rat Berlin-Brandenburg begangen wird.



Kirchentag sucht 8.000 Betten in Dortmund

Unter dem Motto "Noch Platz im Revier?" sucht der 37. Deutsche Evangelische Kirchentag in Dortmund ab sofort Privatquartiere für Besucher. Für 8.000 meist ältere Menschen, Familien mit Kindern oder Menschen mit Behinderung sucht der Kirchentag ein kostenloses Quartier in Privathaushalten, wie der Kirchentag am 18. Januar in Dortmund mitteilte. Dazu startet am 24. Januar eine Kampagne auf dem Dortmunder Rathausplatz. Mit dabei sind der Präsident des Kirchentages, Hans Leyendecker, der Dortmunder Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD), die westfälische Präses Annette Kurschus und die Generalsekretärin des Kirchentages, Julia Helmke.

Für den Kirchentag vom 19. bis 23. Juni in Dortmund erwarten die Veranstalter rund 100.000 Dauerteilnehmer. Der Großteil der Besucher werde bei Bekannten, in Hotels oder in Gemeinschaftsquartieren in Schulen übernachten, hieß es. Das Protestantentreffen ist alle zwei Jahre in einer anderen Stadt zu Gast. Der diesjährige Kirchentag steht unter der Losung "Was für ein Vertrauen".



Kirchenmitglieder aus Lippe fahren zum Kirchentag

Die Lippische Kirche bietet eine Fahrt zum diesjährigen Kirchentag vom 19. bis 23. Juni in Dortmund an. Das Angebot des Landesausschusses Lippe des Deutschen Evangelischen Kirchentags (DEKT) richtet sich an Jugendliche ab 16 Jahren, Erwachsene und Familien, wie die lipppische Kirche in Detmold mitteilte. Auch Gruppen aus allen Kirchengemeinden Lippes könnten sich der Fahrt gerne anschließen. Für Jugendliche ab 14 Jahren fährt den Angaben nach ein Betreuerteam mit.

Die Kosten betragen pro Person 125 Euro, ermäßigt für Schüler und Rentner 81 Euro. Es gibt auch die Möglichkeit, eine Familienkarte für 207 Euro oder eine Förderkarte etwa für Empfänger von Arbeitslosengeld II für 53 Euro zu erwerben. Im Preis sind eine Dauerkarte für den Kirchentag, ein Fahrausweis für den Öffentlichen Nahverkehr in Dortmund sowie Quartiervermittlung und Frühstück enthalten. Für die Hin- und Rückfahrt mit dem Bus werden pro Person 28 Euro extra berechnet, wie es hieß.

Weitere Infos und Anmeldung bis 1. April beim Bildungsreferat der Lippischen Landeskirche, Telefon 05231/976-742.



Lippischer Gemeindepreis würdigt beispielhafte Kirchenprojekte

Auch in diesem Jahr sollen wieder innovative Projekte von lippischen Kirchengemeinden mit einem Gemeindepreis ausgezeichnet werden. Die Evangelische Gemeindestiftung Lippe verleiht erneut drei Preise, die insgesamt mit 2.250 Euro dotiert sind, wie das Landeskirchenamt am 17. Januar in Detmold mitteilte. Gesucht werden Projekte oder Gruppen mit anregenden und richtungsweisenden Impulsen.

Die eingereichten Projekte könnten beispielsweise aus den Bereichen Gestaltung von Gottesdiensten, die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, Kirchenmusik oder Frauenarbeit sein. In diesem Jahr soll zusätzlich ein Sonderpreis gemeinwesenorientierte Projekte prämieren, bei denen es eine Zusammenarbeit mit Partnern oder Gruppen außerhalb der eigenen Kirchengemeinde gibt oder die einen besonderen Bedarf vor Ort aufgreifen.

Im vergangenen Jahr wurden das interreligiöse Projekt "Gotteshäuser in unserer Stadt" des evangelischen Kindergartens in Horn, ein offenes Meditationsangebot der Dorfkirche in Augustdorf und ein Musical der Kirchengemeinde Falkenhagen ausgezeichnet. Die Evangelische Gemeindestiftung Lippe unterstützt Kirchengemeinden in den Bereichen Kinder- und Jugendarbeit, Diakonie und Kirchenmusik. Vorschläge für den Gemeindepreis 2013 mit einer kurzen Vorstellung des Projekts sowie Benennung eines Ansprechpartners können noch bis 8. Februar bei der Evangelischen Gemeindestiftung Lippe abgegeben werden.



Sachsen-Anhalt prüft Mehrkosten nach Reformationsjubiläum

Mehr als ein Jahr nach den großen Feierlichkeiten zum 500. Reformationsjubiläum in Wittenberg gibt es noch offene Rechnungen der Stadt und des Landkreises. Es gibt Anträge vom Landkreis über 1,7 Millionen Euro und von der Stadt Wittenberg über 2,4 Millionen Euro, sagte ein Sprecher des Finanzministeriums von Sachsen-Anhalt am 17. Januar in Magdeburg und bestätigte damit einen Bericht der "Mitteldeutschen Zeitung". Die Anträge würden "eingehend geprüft". Voraussichtlich noch im Februar soll sich das Kabinett damit befassen. Der Sprecher sagte: "Wir wollen helfen." Es gebe aber Regularien, die geprüft werden müssten.

Bei den seit über einem Jahr vorliegenden Anträgen geht es unter anderem um Kosten im Zusammenhang mit der Errichtung einer Pontonbrücke über die Elbe zum Abschlussgottesdienst des Evangelischen Kirchentages auf den Wittenberger Elbwiesen am 28. Mai 2017. Die Brücke war zwar von der Bundeswehr auf eigene Kosten errichtet worden, aber für die Zugänge oder Anbindung war der Landkreis zuständig. Zudem geht es unter anderem um Aufwandsentschädigungen für Feuerwehrleute als freiwillige Helfer.

Obergrenze ausgeschöpft

Sachsen-Anhalt hatte sich eigentlich eine finanzielle Obergrenze für Ausgaben für das Reformationsjubiläum gesetzt. Diese belief sich laut dem Sprecher des Finanzministeriums auf 80,2 Millionen Euro und wurde auch ausgeschöpft. Das Land verfüge aber über einen 20 Millionen Euro umfassenden Ausgleichsstock für außergewöhnliche Belastungen, aus dem in Notfällen den Kommunen geholfen werden könnte, sofern die Regularien eingehalten werden. Um von diesem Geld zu profitieren, müssten die Ausgaben eigentlich fünf Prozent des Jahreshaushalts der Kommunen übersteigen.

An die Tür der Wittenberger Schlosskirche soll Martin Luther (1483-1546) am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen gegen die Missstände der Kirche seiner Zeit angeschlagen und damit die weltweite Reformation ausgelöst haben. Die Folge war die Spaltung in evangelische und katholische Kirche. Das 500. Reformationsjubiläum wurde in Wittenberg ganzjährig gefeiert. Höhepunkte waren unter anderem ein Festakt und der Kirchentagsabschlussgottesdienst.



Kirche plädiert für Tempolimit auf Autobahnen

Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) will mit einer Petition ein Tempolimit von 130 Kilometer pro Stunde auf Autobahnen durchsetzen. Ab voraussichtlich 6. März sollen dazu innerhalb von vier Wochen 50.000 Unterschriften gesammelt werden, damit eine Anhörung im Petitionsausschuss des Bundestages erfolgen könne, sagte EKM-Gemeindedezernent Christian Fuhrmann in Magdeburg.

Durch ein solches Tempolimit könnten mindestens zwei Millionen Tonnen Kohlendioxid (CO2) eingespart werden, so Fuhrmann. Zudem würden weniger Staus entstehen und das Lärmaufkommen und der Reifenabrieb würden verringert. Auch die Verkehrssicherheit soll damit erhöht werden. Fuhrmann verwies auf einen statistisch nachweisbaren Zusammenhang zwischen Tempolimit und weniger Verkehrstoten.

Deutschland sei das einzige Land in der EU ohne Tempolimit auf Autobahnen, hieß es weiter. Die Landesbischöfin Ilse Junkermann sprach von einem "Bekenntnis zur Schöpfung" und einer Verantwortung dafür, die die Kirche wahrnehmen müsse. Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland wurde 2009 als Zusammenschluss der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen gegründet. Die EKM hat rund 700.000 Mitglieder.



Duisburger Kirche testet digitale Kollekte


Spendenterminal in einer Kirche
epd-bild / Rolf Zöllner

In der Salvatorkirche in Duisburg ist das Spenden im Gottesdienst nun digital. In der Kirche kommt seit 20. Januar beim Gottesdienst um 10 Uhr ein mobiler Kollektenkorb zum Einsatz, an dem mit Bank- oder Kreditkarte gezahlt werden kann, wie die Bank für Kirche und Diakonie (KD-Bank) mitteilte. Zudem wurde am Kirchenausgang ein stationäres Spendenterminal errichtet, an dem ebenfalls mit "Plastikgeld" gezahlt werden kann. Der Einsatz des digitalen Kollektenkorbs ist der Auftakt zu einer Pilot- und Testphase, an der sich weitere Kirchengemeinden und auch der diesjährige Evangelische Kirchentag vom 19. bis 23. Juni in Dortmund beteiligen.

Stabiles W-LAN im Gotteshaus vorausgesetzt

Sowohl der digitale Kollektenkorb als auch das Spendenterminal sind nach Angaben der KD-Bank mit einem Display ausgestattet, das sechs verschiedene Beträge anbietet. Der Spender wählt den Wunschbetrag per Klick aus und hält seine Bank- oder Kreditkarte vor das Gerät. Die Spende wird anschließend auf dem Kontoauszug des Spenders dokumentiert und kann bei der Steuererklärung angegeben werden. Die Kirche erhält keine weiteren Informationen über den Spender.

Voraussetzung für den digitalen Kollektenkorb sei ein stabiles W-LAN in der Kirche, sagte der Experte für Zahlungsverkehr bei der KD-Bank, Eckhard Wilms. Dazu müssten die Bank- oder Kreditkarte oder das Smartphone des Spenders mit der sogenannten NFC-Technologie ausgestattet sein. "Diese Nahfeldkommunikation mit dem Wellensymbol kennen viele schon vom Einkaufen, wo kontaktlos und bis 25 Euro auch ohne PIN-Eingabe gezahlt werden kann. Genauso funktionieren die Geräte in der Kirche."

Pfarrer Martin Winterberg erklärte, dass es bereits "erste Nachfragen nach digitalen Spendenmöglichkeiten" in der Kirche gegeben habe - etwa für Tauffeiern. "Ich bin davon überzeugt, dass sich dieser Trend verstärken wird. Deshalb wollen wir zukünftig unseren Gemeindemitgliedern und Besuchern parallel anbieten, bar und bargeldlos zu spenden", sagte er. In der Duisburger Kirche wird das bargeldlose Zahlen für zunächst ein Jahr erprobt.



Kirchenkreis Aachen geht neue Wege

Der evangelische Kirchenkreis Aachen beschreitet neue Wege, um die Menschen zu erreichen. Superintendent Hans-Peter Bruckhoff stellte am 16. Januar vier innovative Projekte vor. Neben der Jungen Kirche "Juki" gehören dazu die neu gebaute Genezareth-Kirche der Gemeinde Aachen, die Lydia-Gemeinde in Herzogenrath und die Kulturkirche Gemünd.

In der "Juki" in der ehemaligen Aachener Dreifaltigkeitskirche haben seit September 2018 fünf Jugendliche ab 16 Jahren das Sagen und bilden das Leitungsteam. Mit jungen Angeboten wie Poetry Slam oder Speed Dating konnten inzwischen auch Kirchenferne erreicht werden, hieß es. Zielgruppe des Angebots sind den Angaben zufolge Jugendliche und junge Erwachsene von 13 bis 30 Jahren. Neben Thekenplausch oder Musikevents gibt es auch Spiritualität sowie geistliche Impulse.

"Juki"-Kirche, Meditieren und demenzsensible Gemeinde

Seit der Eröffnung der jüngsten neugebauten Kirche im Rheinland Pfingsten 2018 ist die Gemeinde der Genezareth-Kirche gewachsen, berichtete Pfarrerin Bettina Donath-Kreß: "Es boomt und es gibt eine unglaubliche Resonanz an allen Ecken." In dem neuen Gebäude erlebten Kindergottesdienste und Jugendarbeit einen neuen Aufschwung. Die Kirche ist nach ihren Worten an vier Tagen geöffnet und lädt Menschen zum Meditieren oder zu Gesprächen in den Kreuzgängen ein.

Die Ehrenamtlichen hätten während Öffnungszeiten gut zu tun, sagte Donath-Kreß. In den vier Gemeinderäumen, die sich wie in einem Klosterbau an die Kirche anschließen, finden kulturelle Veranstaltungen statt. Zuletzt gab es eine Ausstellung von Bildern einer Demenz erkrankten Frau. Die Gemeinde möchte sich auch zu einer demenzsensiblen Gemeinde entwickeln.

In der Lydia-Gemeinde in Herzogenrath hat die Umstellung von Gottesdiensten für Aufbruchsstimmung gesorgt. Der Samstagsabendgottesdienst wird besonders gut angenommen und es gibt wechselnde Formen mit Meditieren oder Tanzen. Spirituelle Gesänge oder besondere Erfahrungselemente, darunter Körperübungen und Salbung, lockten die Menschen wieder in die Kirche, hieß es.

In der Eifel hat sich die Evangelische Kulturkirche Gemünd etabliert. Damit die größte Kirche in der Region nicht geschlossen werden muss, will die Trinitatis-Kirchengemeinde Schleidener Tal mit einem bunten Veranstaltungspaket auch in diesem Jahr für erfolgreiche Besucherzahlen sorgen. Das Konzept hat den Angaben zufolge viele Gemeindemitglieder wieder aktiviert, sich zu engagieren im Gemeindeleben: Mütter helfen beim Catering, Kinder reißen die Eintrittskarten ab und andere helfen beim Auf- und Abbau der Konzertbühne.



Gedenken an Prediger und Dichter Gerhard Tersteegen

Die evangelische Kirche in Mülheim an der Ruhr gedenkt des pietistischen Predigers, Autors und Lieddichters Gerhard Tersteegen. Zum 250. Todestag werde in diesem Jahr mit Vorträgen, Konzerten und Tagungen an den gebürtigen Moerser erinnert, der in Mülheim lebte und dort seiner theologischen Tätigkeit nachging, wie der Kirchenkreis am 14. Januar ankündigte. Höhepunkt des Veranstaltungsprogramms werde der Festgottesdienst am 31. März in der Petrikirche mit dem rheinischen Präses Manfred Rekowski sein. Am 3. April werde dann im Rahmen einer Feierstunde ein Gedenkstein vor der Petrikirche enthüllt.

Festgottesdienst am 31. März

Tersteegen, geboren 1697 in Moers, erlangte als Prediger, Schriftsteller und Kirchenlieddichter Bekanntheit auch über den deutschsprachigen Raum hinaus. Tersteegen, der für eine Kaufmannslehre nach Mülheim gekommen war, gründete dort zunächst ein eigenes Geschäft, das er später wieder aufgab. Als Broterwerb arbeitete er unter anderem als Leineweber und später als Seidenbandweber. Nach 1728 gab er das Weben auf, um sich ganz seiner Tätigkeit als Prediger zu widmen. Für seine theologische Tätigkeit fand er persönliche Mäzene und war auf Spenden angewiesen. Predigtreisen führten ihn bis nach Holland. 1769 starb er.

Gerhard Tersteegen beeinflusste maßgeblich die junge protestantische Erweckungsbewegung und den radikalen Pietismus, wandte sich aber stets gegen eine Abkehr von der Staatskirche. Individuelle Frömmigkeit und tägliches Bibelstudium waren für Tersteegen grundlegend. Zu seinem Wohnsitz, dem heutigen Tersteegenhaus nahe der Petrikirche in der Altstadt, sollen zahlreiche Menschen gekommen sein, um dem Prediger zu lauschen. Das Liederbuch "Geistliches Blumengärtlein Inniger Seelen" ist Tersteegens am weitesten verbreitete Schrift. "Ich bete an die Macht der Liebe" ist ein Liedtext, der zum sogenannten Großen Zapfenstreichs der Bundeswehr gehört.



Früherer Superintendent Henkys gestorben

Der ehemalige Superintendent des evangelischen Kirchenkreises Düsseldorf-Mettmann, Gottfried Henkys, ist am 7. Januar im Alter von 82 Jahren gestorben. Der Theologe stand von 1988 bis 1998 an der Spitze des Kirchenkreises mit zehn Gemeinden und rund 70.000 Gemeindemitgliedern, wie die Evangelische Kirche im Rheinland am 16. Januar in Düsseldorf mitteilte. Der rheinische Präses Manfred Rekowski würdigte Henkys als "bescheidenen und zurückhaltenden Christen und Seelsorger".

Der aus Ostpreußen stammende Henkys begann den Angaben zufolge seinen kirchlichen Dienst 1967 als Vikar und später als Pfarrer in Mönchengladbach. 1974 wechselte er in eine Pfarrstelle in der Evangelischen Kirchengemeinde Erkrath. 1988 wurde er zum Superintendenten des Kirchenkreises Düsseldorf-Mettmann gewählt. Er hatte dieses Amt bis zu seiner Pensionierung 1998 inne.



Gütersloher Vesperkirche bietet viel Kultur

Die diesjährige Vesperkirche in der evangelischen Martin-Luther-Kirche in Gütersloh beinhaltet neben einem kostenlosen Mittagstisch auch wieder ein vielseitiges Kulturprogramm am Abend. Vom 27. Januar bis 10. Februar stehen zwei Kino-Abende, ein Saxophonkonzert, ein Preacher Slam mit Predigern sowie ein Abend mit Breakdance und Hip-Hop auf dem Programm, wie die Organisatoren am 17. Januar ankündigten. Auch ein Auftritt einer Band von Menschen mit Behinderungen ist geplant. Die täglichen Mittagskonzerte "20 um 2" runden das kulturelle Angebot ab. Die Besucher der Kulturabende dürfen einen Picknick-Korb mit Essen und Trinken mitbringen, wie es hieß. Der Eintritt ist frei.

Die Gütersloher Projekt Versperkirche wurde 2018 als erstes seiner Art in Nordrhein-Westfalen gestartet, um Menschen aus allen sozialen Schichten und Altersgruppen beim täglichen gemeinsamen Mittagessen zusammenzubringen. Im vergangenen Jahr wurden an den 15 Tagen insgesamt 6.000 Mahlzeiten ausgegeben. 2019 wird für Berufstätige an zwei Abenden eine zusätzliche Essensausgabe angeboten. Das Projekt wird allein aus Spenden finanziert, darunter Firmen aus der Region, die Mitwirkenden am Kulturprogramm verzichten auf eine Gage.

Die Idee stammt aus Süddeutschland. Die erste evangelische Vesperkirche Deutschlands wurde 1994 in Stuttgart eröffnet und zu einem jährlichen Winterprojekt zugunsten von Bedürftigen ausgebaut. Mittlerweile gibt es davon 30 in Baden-Württemberg und Bayern sowie ein Abendangebot in Hannover.

Spendenkonto der Vesperkirche Gütersloh: Evangelischer Kirchenkreis Gütersloh, KD-Bank, IBAN: DE66 3506 0190 2001 1180 32, BIC: GENODED1DKD, Verwendungszweck: Spende Vesperkirche Gütersloh, KS: 03010542.

Internet: www.vesperkirche-guetersloh.de




Gesellschaft

Beauftragter Klein: "Antisemitismus ist salonfähiger geworden"


Felix Klein
epd-bild/Christian Ditsch
"Ich glaube nicht, dass Juden bereits auf gepackten Koffern sitzen, aber einige schauen durchaus nach, wo die Koffer sind", sagt der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung im epd-Gespräch.

Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sorgt sich um die Situation der Juden in Deutschland. "Antisemitismus ist salonfähiger geworden und genau das müssen wir wieder drehen", sagte der Beauftragte für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen den Antisemitismus im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Ich glaube nicht, dass Juden bereits auf gepackten Koffern sitzen, aber einige schauen durchaus nach, wo die Koffer sind", sagte Klein. Das sei vor zehn Jahren nicht so gewesen.

Klein sagte, er sehe zwei Bilder bei der Stimmung der Juden in Deutschland. Einerseits hielten sich Juden immer noch gern in Deutschland auf, "ziehen sogar hierher". Besonders in Berlin entstünden Synagogen, jüdische Restaurants, Geschäfte, Kulturzentren. "Auf der anderen Seite gibt es aber wirklich große Beunruhigung", sagte er. Das habe mit der Verrohung der Gesellschaft zu tun. "Auch die AfD mit Vertretern, die die Einzigartigkeit der Verbrechen der Nazis relativieren, beunruhigt Juden", sagte der Diplomat, der seit dem vergangenen Jahr der erste Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung mit Sitz im Bundesinnenministerium ist.

"Auch in der Kirche immer mal wieder antisemitische Äußerungen"

Klein beklagte einen Judenhass, der bis in die Mitte der Gesellschaft reicht. "Nach belastbaren, seriösen Umfragen haben 15 bis 20 Prozent der Deutschen einen latenten Antisemitismus", erklärte er. Von allen Herausforderungen sei das vielleicht die größte, "denn dies ist der Bodensatz für Aggressionen, Anfeindungen und Straftaten". Er kritisierte, auch in der Kirche gebe es immer mal wieder antisemitische Äußerungen, obwohl die Kirchen als Institution "gute und wegweisende" Beschlüsse gefasst hätten.

Er forderte Kirchenleitungen dazu auf, sich auch in Einzelfällen deutlich zu distanzieren, wenn sich in Einzelfällen Pfarrer oder kirchliche Gruppen in problematischer Weise zu Wort meldeten. Der Berliner Landesbischof Markus Dröge habe beispielsweise gesagt: "Antisemitismus ist Gotteslästerung". "Das ist ein deutliches Statement, davon brauchen wir mehr", sagte Klein.

epd-Gespräch: Corinna Buschow und Markus Geiler


KZ-Gedenkstätten ziehen mehr als 2,5 Millionen Besucher an


Tor in KZ-Gedenkstätte Dachau
epd-bild/Lukas Barth
In ganz Deutschland erinnern KZ- und NS-Gedenkstätten an die Schreckensherrschaft der Nazis. Auch über 70 Jahre nach Kriegsende ziehen sie viele Interessierte an, mancherorts wurden im vergangenen Jahr Besucherrekorde verzeichnet.

Das Interesse an KZ-Gedenkstätten und anderen Mahnorten für NS-Opfer in Deutschland ist ungebrochen. Mehr als 2,5 Millionen Menschen haben im vergangenen Jahr die ehemaligen Konzentrationslager besucht. Fast alle Einrichtungen verzeichneten 2018 steigende oder gleichbleibende Besucherzahlen. Das ergab eine Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) zum bevorstehenden Holocaust-Gedenktag am 27. Januar.

Hochrechnungen gehen allein für die KZ-Gedenkstätte Dachau nordwestlich von München von mehr als 900.000 Besuchern aus. Das Interesse steige stetig, teilte eine Sprecherin mit. Die Gedenkstätte Sachsenhausen bei Berlin meldete einen Zuwachs auf über 700.000 Besucher. Derweil verzeichnete die Gedenkstätte Buchenwald so viele Besucher, dass die Einrichtung laut einem Sprecher inzwischen an den Rand ihrer Kapazitäten kommt: Geschätzt besuchten weit über 500.000 Menschen im vergangenen Jahr das ehemalige KZ bei Weimar.

Die Gedenkstätte Bergen-Belsen zog im vergangenen Jahr rund 250.000 Besucher an, ein Sprecher nannte dies "eine stabile Zahl". Besonders erfreulich sei die Resonanz auf die Sonderausstellung "Kinder im KZ Bergen-Belsen" gewesen. Stetig steigend sind die Besucherzahlen in Hamburg-Neuengamme: 2018 kamen etwa 140.000 Interessierte, mehr als doppelt so viele wie 2008.

Das NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln meldete mit rund 92.800 einen neuen Besucherrekord - inzwischen den 17. in Folge. Insgesamt nahm das öffentliche Interesse an den 28 nordrhein-westfälischen NS-Gedenkstätten weiter zu. Allein in den vergangenen vier Jahren ist die Zahl der Besucher nach Angaben der Landesregierung um mehr als ein Drittel auf knapp 400.000 in 2018 gestiegen.

Mehr Besucher in Berlin

Im brandenburgischen Frauen-KZ Ravensbrück wurde hingegen ein leichter Rückgang der Besucherzahlen auf 110.000 beobachtet. Die bayerische KZ-Gedenkstätte Flossenbürg verzeichnete einen leichten Besucherzuwachs auf 90.500 in 2018. Mit rund 25.000 Besuchern zählte die Gedenkstätte Esterwegen in Niedersachsen etwa so viele wie in den Jahren zuvor. Sie erinnert als zentraler Ort an alle 15 Emslandlager, einer Gruppe von Konzentrations-, Straf- und Kriegsgefangenenlager an der Grenze zu den Niederlanden.

Die sächsische NS-Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein verzeichnete für das vergangene Jahr einen Besucherrekord. Insgesamt kamen rund 13.800 Menschen in die Gedenkstätte zur Geschichte der nationalsozialistischen Krankenmorde. Besonders erfreulich ist den Angaben der Einrichtung nach der deutliche Anstieg von interessierten Schulgruppen.

Die Berliner Gedenkstätten konnten 2018 ebenfalls mehr Menschen anziehen als im Jahr davor. Die Gedenkstätte Deutscher Widerstand zählte mit ihren insgesamt vier Einrichtungen rund 240.000 Besucher, rund 25.000 mehr als im Vorjahr. Allein die Ausstellungen im Bendlerblock, dem Zentrum des Umsturzversuchs gegen das nationalsozialistische Regime am 20. Juli 1944, besuchten mehr als 118.000 Menschen. Etwas weniger Besucher, knapp 116.700, hatte die Berliner Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz.

Am 27. Januar 1945 wurde das Vernichtungslager Auschwitz in Polen befreit. Seit 1996 wird zu diesem Datum der Holocaust-Gedenktag begangen. In Deutschland gibt es Dutzende KZ-Gedenkstätten, hinzu kommen viele weitere Erinnerungsstätten für die Verbrechen der Nationalsozialisten. Rund sechs Millionen europäische Juden wurden von den Nationalsozialisten ermordet. Verfolgt und in großer Zahl getötet wurden auch Regimegegner, überzeugte Christen, Sinti und Roma und Homosexuelle.



NS-Gedenkstätten in NRW verzeichnen Besucherrekord

Die NS-Gedenkstätten in Nordrhein-Westfalen haben 2018 einen Besucherrekord erlebt: Insgesamt fast 400.000 Menschen kamen nach Angaben der Landesregierung in die 28 Gedenkorte im Land. Rund ein Drittel davon seien Schülergruppen, die bei Seminaren und Führungen sogar auf einen Anteil von 70 Prozent kommen. Der Evangelische Pressedienst (epd) fragte bei sechs Gedenkstätten in Köln, Düsseldorf, Münster, Büren, Herford und Schloss Holte-Stukenbrock nach der Entwicklung.

Das NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln verzeichnete binnen eines Jahres einen Besucheranstieg um vier Prozent: Mehr als 92.700 Menschen kamen 2018 in die Einrichtung, die zugleich Museum und Gedenkstätte ist. Damit werde bereits das 17. Jahr in Folge ein neuer Höchststand erreicht, sagte Sprecher Werner Jung dem epd. Das NS-Dokumentationszentrum befindet sich im EL-DE-Haus in der Kölner Innenstadt, das früher Zentrale der Gestapo war.

Die Düsseldorfer Mahn- und Gedenkstätte registrierte 2017 knapp 33.500 Besucher, das waren rund 3.700 mehr als im Vorjahr. Im Gegensatz zum Gesamttrend ging diese Zahl 2018 leicht zurück auf knapp 32.000 Besucher. Der Erinnerungsort Alter Schlachthof in der Landeshauptstadt zählte im vergangenen Jahr 3.200 Besucher bei Führungen und Veranstaltungen, 2017 waren es etwa 2.000.

Im Geschichtsort Villa ten Hompel in Münster wuchs die Besucherzahl seit 2015 pro Jahr durchschnittlich um rund 1.700 und betrug im vergangenen Jahr 33.155, wie Sprecher Peter Römer dem epd mitteilte. In einer Dauerausstellung in dem früheren Wohnhaus des Zementfabrikanten Rudolf ten Hompel (1878-1948) geht es unter anderem um die Verbrechen der Ordnungspolizei im Zweiten Weltkrieg und um die Entnazifizierung.

Die Wewelsburg in Büren besuchten im vorigen Jahr knapp 52.000 Menschen, etwa 14.300 nahmen an Veranstaltungen wie Vorträgen und Lesungen teil. Die jährliche Besucherzahl stieg im Vergleich zum Vorjahr leicht, 2017 betrug sie rund 50.500. Die Wewelsburg sollte während des Nationalsozialismus zu einem ideologischen Zentrum der SS ausgebaut werden.

Auch die Gedenkstätte Zellentrakt in Herford berichtete von einem steigenden Interesse. 2018 kamen nach Angaben des Stadtarchivs mehr als 3.500 Menschen in das ehemalige Gefängnis von Kriminalpolizei und Gestapo.

Die vergleichsweise kleine NS-Dokumentationsstätte Stalag 326 in Schloss Holte-Stukenbrock bei Bielefeld lag nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr mit 2.400 Besuchern auf dem Niveau der Vorjahre.

Land erhöht Förderetat

"Vor dem Hintergrund zunehmender antisemitischer Vorfälle ist es heute wichtiger denn je, über die Verbrechen des Nationalsozialismus aufzuklären", sagte der Parlamentarische Staatssekretär im Kultur- und Wissenschaftsministerium, Klaus Kaiser (CDU). Gedenkstätten und Erinnerungsorte seien auch von großer Bedeutung, weil die Generation der Zeitzeugen immer kleiner werde: "Gerade jüngeren Menschen fehlt der persönliche Bezug zu dieser Generation, der die Großeltern schon meist nicht mehr angehören." Wünschenswert sei daher eine stärkere Kooperation der Gedenkstätten mit Schulen und Jugendeinrichtungen.

Für die Förderung der Gedenkstättenarbeit stellt das Land im laufenden Jahr mehr Geld bereit. Der entsprechende Etat im Landeshaushalt wurde gegenüber 2018 um 20 Prozent auf 1,8 Millionen Euro erhöht. Unterstützt werden damit nach Angaben des Landes vor allem die Neukonzeption von Dauerausstellungen im Zuge des digitalen Wandels, aber auch Sonderschauen sowie die Weiterbildung der haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter. Hauptgeldgeber für den Erhalt der NS-Gedenkstätten sind die jeweiligen Kommunen.

"Wir dürfen den Schrecken des Nationalsozialismus nie vergessen. Es ist unsere Aufgabe, über den Zweiten Weltkrieg und den Völkermord an den Juden aufzuklären und eine wache Erinnerungskultur zu schaffen", machte Kaiser deutlich. Deshalb werde die Aufarbeitung der NS-Zeit fortgesetzt und weiterentwickelt. Entsprechend haben die NS-Gedenkstätten in NRW auch einen wissenschaftlichen Forschungsauftrag und sind international vernetzt. Sie arbeiten unter anderem mit der Gedenkstätte Yad Vashem im Jerusalem sowie dem United States Holocaust Museum in Washington zusammen.

Kaiser besucht noch das ganze Jahr über alle NS-Gedenkstätten in NRW, um sich über die Lage vor Ort zu informieren. Ende Oktober wird in Münster eine internationale Tagung zur NS-Täterforschung stattfinden. Mit dabei ist der US-Historiker und Holocaust-Forscher Christopher Browning, der mit seinem 1993 erschienenen Buch "Ganz normale Männer" ein Standardwerk zum Thema geschrieben hat. Veranstaltungsort ist die Gedenkstätte Villa Ten Hompel, die den Beitrag von Polizei und Verwaltung am Holocaust und anderen NS-Verbrechen untersucht. In der einstigen Fabrikantenvilla befand sich ab 1940 die Dienststelle des regionalen Befehlshabers der NS-Ordnungspolizei.



Laschet besucht zum Holocoaust-Gedenktag Auschwitz


Armin Laschet
epd-bild/Stefan Arend

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) wird zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau in Polen besuchen. Begleitet wird Laschet von Jugendlichen und junge Erwachsenen christlichen, jüdischen und muslimischen Glaubens, wie die Staatskanzlei am 18. Januar in Düsseldorf ankündigte. Außerdem nehme Laschet auf Einladung des polnischen Staatspräsidenten Andrzej Duda an der offiziellen Gedenkfeier zum 74. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau teil.

Die Jugendlichen besuchen auf Einladung der Union progressiver Juden die Gedenkstätte, wie die Staatskanzlei weiter mitteilte. Laschet werde nach einem gemeinsamen Rundgang auch zu einer Gesprächsrunde mit den jungen Menschen aus NRW zusammentreffen. Das Mahnen und Erinnern an das Menschheitsverbrechen der Shoa und die Förderung der damit verbundenen Erinnerungskultur seien Laschet und der Landesregierung ein zentrales Anliegen, hieß es weiter. Dazu gehöre auch das entschlossene Eintreten gegen Antisemitismus.

Der Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust am 27. Januar erinnert an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch Soldaten der Rote Armee im Jahr 1945. Er wird seit 1996 in Deutschland und seit 2005 international als Gedenktag begangen.



Jurist Rixecker erster Antisemitismusbeauftragter im Saarland

Der Präsident des saarländischen Verfassungsgerichtshofs, Roland Rixecker, ist erster Antisemitismusbeauftragter im Saarland. Der Landtag wählte ihn am 16. Januar in Saarbrücken einstimmig. Das Gesetz zur Bestellung eines Beauftragten für jüdisches Leben im Saarland und gegen Antisemitismus war am 21. Dezember in Kraft getreten.

Der Landtag wählt den ehrenamtlichen Beauftragten jeweils für die Dauer einer Legislaturperiode. Rixecker ist in seiner Funktion unabhängig und nicht an Weisungen gebunden. Zudem erhält er eine Geschäftsstelle beim Landtag und kann sich der zuständigen Stellen der Landesregierung bedienen.

Die evangelischen Kirchen im Saarland hatten im vergangenen Februar erstmals einen Antisemitismusbeauftragten gefordert. Hierzu hatte sich der Beauftragte der Evangelischen Kirchen im Saarland, Oberkirchenrat Frank-Matthias Hofmann, an die Regierungsfraktionen CDU und SPD gewandt. Hofmann hatte die Entscheidung für Rixecker bereits im November als "ausgesprochen glückliche Wahl" bezeichnet. Denn dieser sei seit längerem unter anderem an den Themen Erinnerungsarbeit sowie an der Beziehung zwischen Christen und Juden interessiert.



Bundestag erinnert an 100 Jahre Frauenwahlrecht

Mit einer Feierstunde hat der Bundestag an das vor 100 Jahren hart erkämpfte Frauenwahlrecht erinnert. Die Festrednerinnen forderten Schritte zu echter Gleichberechtigung heute. Sie verwiesen unter anderem auf den Frauenanteil in der Politik.

Mit Forderungen nach einer echten Gleichberechtigung von Frauen hat der Bundestag am 17. Januar an die Einführung des Frauenwahlrechtes vor 100 Jahren erinnert. Von einer geschlechtergerechten Gesellschaft sei man noch weit entfernt, sagte die frühere Bundesfamilienministerin Christine Bergmann (SPD) in ihrer Festrede. Sie verwies auf den geringer gewordenen Anteil von Frauen im Parlament, die ungleiche Bezahlung von Frauen und die "massive Unterbewertung" von frauentypischen Berufen in der Sorge um Menschen.

Die frühere Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) appellierte, keine weiteren 50 Jahre bis zum nächsten Schritt zu warten. Beide forderten in ihren Reden zudem mehr Anerkennung der Leistung der Frauen im Osten für die Gleichberechtigung.

Am 19. Januar 1919 hatten erstmals bei der Wahl zur verfassunggebenden Nationalversammlung auch Frauen das Recht, zu wählen und gewählt zu werden. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) sagte, mit dem Jahrestag werde heute etwas Selbstverständliches gefeiert. Frauen könnten sich wie Männer an der Gestaltung von Staat, Politik und Gesellschaft beteiligen.

"Menschenrechtstag"

Süssmuth sagte, eine Veranstaltung zu diesem Jahrestag sei für sie "gar nicht selbstverständlich" und hob den Tag als historische Errungenschaft hervor. "Für mich ist es ein Menschenrechtstag", sagte die frühere Frauenministerin. Ebenso wie Bergmann beklagte sie einen Rückgang der Frauen im Bundes- und in Landtagen. Auch auf kommunaler und regionaler Ebene habe man stark verloren, sagte Süssmuth. Bergmann schloss sich der Forderung an, durch gesetzliche Regelungen dafür zu sorgen, dass Frauen gleich stark in der Politik repräsentiert sind. "Es ist an der Zeit, sich endlich ernsthaft mit einem Paritätsgesetz zu befassen", sagte sie.

Der Frauenanteil im Bundestag ist nach der Bundestagswahl 2017 von 37,3 auf 30,7 Prozent gesunken. In den Parteien hat daraufhin eine Debatte über gesetzliche Änderungen im Wahlrecht oder im Parteienrecht eingesetzt, um den Frauenanteil zu erhöhen. Es sei Zeit für Parität in den Parlamenten, erklärte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) am Donnerstag.

Die frühere Bundesbauministerin Irmgard Schwaetzer (FDP) sprach sich für Quoten auf Wahllisten aus, um schlechtere Chancen für Frauen zu überwinden. "Ich glaube, anders geht es nicht", sagte sie dem epd.

Süßmuth und Bergmann forderten zudem eine stärkere Anerkennung dessen, was Frauen aus der ehemaligen DDR zur Gleichberechtigung beigetragen hätten. Ihre Leistung sei unterschätzt, sagte Süssmuth. Bergmann kritisierte, in nahezu allen Berichten über Frauen finde man ausschließlich den westdeutschen Blick. Der ostdeutsche sei ein anderer, komme aber nicht vor.

Weiße Blusen

Bei der Wiedervereinigung seien unterschiedliche Frauen- und Familienbilder zusammengekommen, sagte Bergmann. 1989 seien knapp 90 Prozent der Frauen im Osten erwerbstätig gewesen, meist in Vollzeit. Im Westen seien 1990 54 Prozent der Frauen, oftmals in Teilzeit, berufstätig gewesen. Im Osten hätten erwerbstätige Mütter nicht als "Rabenmütter" gegolten. Es habe einen "Gleichstellungsvorsprung" gegeben, sagte Bergmann.

Zur Feierstunde im Bundestag saßen männliche und weibliche Abgeordnete in den ersten Reihen abwechselnd nebeneinander. In Anspielung auf die erste Nationalversammlung mit weiblichen Abgeordneten, die damals knapp neun Prozent ausmachten und in weißen Blusen auf historischen Fotos einzeln deutlich herausragen, hatten die Frauen der SPD weiße Oberteile an.



Der Weg zum Frauenwahlrecht

Seit 100 Jahren haben Frauen in Deutschland das Wahlrecht. Rund 70 Jahre lang hatten sie zuvor dafür gekämpft. Am 12. November 1918 veröffentlichte der Rat der Volksbeauftragten in Berlin einen Aufruf an das deutsche Volk, in dem das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht für alle Männer und Frauen über 20 Jahren im Deutschen Reich proklamiert wurde.

Es wurde am 30. November in die Verordnung über die Wahl zur verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung aufgenommen. In Artikel 109, Absatz 2, der Weimarer Verfassung hieß es später: "Alle Deutschen sind vor dem Gesetze gleich. Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten."

Erstmals zu den Urnen gerufen waren Frauen bei der Wahl zur verfassunggebenden Nationalversammlung am 19. Januar 1919. 82 Prozent der Wählerinnen beteiligten sich. Unter den gewählten 423 Abgeordneten waren 37 Frauen, ein Anteil von knapp neun Prozent. Vier weibliche Abgeordnete rückten später nach. Der Frauenanteil war der bis dahin höchste, der weltweit in einem Parlament erreicht worden war.

Während des Nationalsozialismus wurde Frauen das passive Wahlrecht wieder entzogen. Sie durften zwar noch wählen, aber nicht mehr kandidieren. In Europa waren Finnland, Norwegen und Dänemark mit der Einführung des Frauenwahlrechts 1906, 1913 und 1915 die Vorreiter. Die Schweiz und Liechtenstein waren 1971 und 1984 die letzten europäischen Staaten.



Rüstungsexporte gehen deutlich zurück


Ein Kämpfer der Kurdischen Peschmerga im Nordirak mit einem deutschen G36-Sturmgewehr (Archivbild)
epd-bild/Sebastian Backhaus

Die Bundesregierung hat im vergangenen Jahr deutlich weniger Rüstungsexporte genehmigt als ein Jahr zuvor. Das geht aus einer Antwort des Wirtschaftsministeriums auf eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Omid Nouripour hervor, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt. Demnach wurden im Jahr 2018 Rüstungsexporte im Wert von rund 4,8 Milliarden Euro gebilligt. 2017 wurden laut Rüstungsexportbericht hingegen Einzelgenehmigungen in Höhe von insgesamt 6,2 Milliarden Euro erteilt. Das waren wiederum 600 Millionen Euro weniger als 2016.

Mehr als die Hälfte der Ausfuhrgenehmigungen für Waffen und militärische Ausrüstung waren mit 2,5 Milliarden Euro für Drittländer vorgesehen - also Staaten, die nicht EU-Partner oder Nato-Verbündete sind. 2017 lag dieser Betrag bei etwa 3,8 Milliarden Euro.

Exportstopp nach Saudi-Arabien

Ein Grund für den Rückgang dürfte der Exportstopp für Rüstungsgüter nach Saudi-Arabien sein. Im Oktober hat die Bundesregierung als Konsequenz aus der Tötung des kritischen Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul angekündigt, keine Ausfuhrgenehmigungen mehr zu erteilen. Auch bereits genehmigte Lieferungen sollten nicht mehr in das arabische Königreich exportiert werden. Dieser Beschluss gilt bis heute. Davor gehörte Saudi-Arabien noch zu den Hauptabnehmern deutscher Rüstungsgüter.

Der Grünen-Parlamentarier Nouripour erklärte am 17. Januar: "Der überfällige Rückgang der Rüstungsexporte ist grundsätzlich erfreulich." Dennoch erhielten auch weiterhin autokratische Regime Waffen aus Deutschland. "Dass Deutschland die Exporte wegen des Falls Khashoggi jetzt aussetzt, aber zuvor trotz des Kriegs in Jemen weiter nach Saudi-Arabien geliefert hat, spricht Bände", kritisierte er.



De Maizière kritisiert zu viel Beachtung für AfD im Bundestag


Thomas de Maizière (2016)
epd-bild/Jürgen Blume

Der frühere Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) kritisiert eine in seinen Augen zu große Beachtung der AfD im Bundestag. "Ein Großteil der Reden ist sachlich schlecht", sagte der Bundestagsabgeordnete dem Evangelischen Pressedienst (epd). Auf Provokationen der Partei folge eine Empörungsspirale der anderen Parteien. Die Provokation finde so Beachtung, "und damit auch die AfD", kritisierte der CDU-Politiker und ergänzte: "Eine Beachtung, die sie - jedenfalls gemessen an ihrer inhaltlichen Substanz - überhaupt nicht verdient."

De Maizière, der vor knapp einem Jahr aus der Bundesregierung ausgeschieden ist und am kommenden Montag 65 Jahre alt wird, ist Mitglied im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentags, der beschlossen hat, AfD-Vertreter nicht auf Podien zuzulassen. Der langjährige Regierungspolitiker verteidigte den Beschluss. Selbstverständlich würden bei allen Veranstaltungen wie Empfängen oder Gottesdiensten, zu denen Abgeordnete oder Stadträte eingeladen werden, auch die von der AfD eingeladen, sagte er.

"Zudem wollen wir uns besonders an die Sympathisanten und Wähler wenden und auf dem Kirchentag mit ihnen diskutieren", betonte de Maizière und ergänzte: "Wir wollen dort aber nicht den Funktionären Raum geben." Der 37. Deutsche Evangelische Kirchentag findet vom 19. bis 23. Juni in Dortmund statt.

Moralische Empörung

De Maizière warf den Kirchen insgesamt allerdings vor, in der Auseinandersetzung mit Rechtspopulismus oft "den einfacheren Weg" zu gehen, indem sie sich moralisch über die AfD empörten. "Das ist oft richtig mit Blick auf die deutsche Erinnerungskultur oder das Vokabular gegenüber Flüchtlingen", sagte er. Aber es weiche Sachdebatten aus. "Eine frühe moralische Position ist unangreifbar und richtig - aber auch einfach und folgenlos", sagte de Maizière. Als Beispiel nannte er das Thema Abschiebung: "Es gibt in der evangelischen Kirche natürlich ab und zu mal den Satz, sicher müsse man auch Abschiebungen vornehmen. Um konkrete Fragen, wie die Abschiebung eines schweren Vergewaltigers nach Afghanistan zu bewerten ist, drückt sich die Kirche dann aber oft."

Zudem warnte er die Kirchen davor, den Anspruch einer Volkskirche aufzugeben. "Volkskirche ist unser Auftrag und sollte es bleiben." Als deren Aufgabe sieht er nach eigenen Worten auch eine stärkere Beschäftigung mit dem Islam. Die Hauptlast der Diskussion um die Integration des Islam liege derzeit bei den Muslimen einerseits und dem Staat andererseits. "Mir fehlt eine theologische Debatte über Gemeinsamkeiten und Unterschiede, über Toleranz und religiöse Grundlagen. Da wünsche ich mir mehr Beteiligung der beiden christlichen Kirchen", sagte de Maizière.

epd-Gespräch: Corinna Buschow


AfD wird Prüffall für den Verfassungsschutz


AfD-Demonstration
epd-bild/Steffen Schellhorn
Die AfD als Gesamtpartei ist im Visier des Verfassungsschutzes. Behördenchef Haldenwang hat die Partei zum Prüffall erklärt. Bei der Jugendorganisation und dem Flügel um Thüringens AfD-Landeschef Höcke will der Verfassungsschutz genauer hinschauen.

Die AfD wird als Gesamtpartei ein Fall für den Verfassungsschutz. Nach mehrmonatiger Prüfung sei entschieden worden, die Partei zum Prüffall zu erklären, teilte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, am 15. Januar in Berlin mit. Das bedeute, dass offen wahrnehmbare Äußerungen der Partei weiter kontinuierlich ausgewertet würden, personenbezogene Daten aber nicht gespeichert würden und keine nachrichtendienstlichen Mittel wie V-Männer zum Einsatz kämen, erklärte er. Die AfD kündigte an, gegen die Entscheidung des Verfassungsschutzes juristisch vorzugehen.

Die AfD-Jugendorganisation "Junge Alternative" sowie die parteiinterne Sammelbewegung "Der Flügel" um den Thüringer AfD-Politiker Björn Höcke werden zum Verdachtsfall erklärt, wie Haldenwang weiter ausführte. Dies ermöglicht nach seinen Angaben auch die Sammlung personenbezogener Daten und in Ausnahmefällen den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel. Die Schwelle zum Beobachtungsobjekt habe die Partei damit insgesamt nicht erreicht, erklärte Haldenwang. "Die Partei steht am Scheideweg", sagte er.

Hinweis auf extremistische Bestrebungen

Der Verfassungsschutzchef erläuterte, in den beiden Verdachtsfällen gebe es Hinweise auf extremistische Bestrebungen, die gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtet sind. Der "Jungen Alternative" wird demnach vorgeworfen, den Grundsatz der gleichen Würde eines jeden Menschen durch die Herabsetzung anderer Ethnien nicht zu respektieren. Die Bewegung "Der Flügel" stelle das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip infrage und relativiere den Nationalsozialismus, erklärte Haldenwang.

Er führte zudem aus, bekanntgewordene Kontakte zwischen Mitgliedern und Repräsentanten der AfD und Personen aus dem rechtsextremen Spektrum, die auch Beobachtungsobjekte des Verfassungsschutzes seien, rundeten die Gesamtschau auf die Partei ab. Für die Einstufung sei dies aber nicht maßgeblich gewesen.

Nach Ansicht der AfD-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel wäre die Entscheidung mit dem Vorgänger von Haldenwang, dem früheren Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen, nicht möglich gewesen. In der AfD wisse man jetzt, warum Maaßen gehen musste, sagte Weidel. Politisch bedeute der Prüffall "gar nichts". Der Verfassungsschutz habe nichts in der Hand, sagte Weidel.

Der Parteivorsitzende Alexander Gauland kündigte an, die AfD werde gegen die Entscheidung des Verfassungsschutzes juristisch vorgehen. Die Argumente seien nicht tragfähig. Vielmehr habe "ein gewisses gesellschaftliches Klima und ein gewisser politischer Druck natürlich zu so etwas geführt".

Positive Reaktionen

Politiker anderer Parteien zeigten sich überwiegend erfreut über die Entscheidung des Verfassungsschutzes, äußerten aber auch Vorbehalte. Die Partei- und Fraktionsvorsitzende der SPD, Andrea Nahles, begrüßte die Entscheidung als Zeichen einer wehrhaften Demokratie. Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Eva Högl erklärte, Teile der AfD wiesen direkte Verbindungen zur rechtsextremen Szene auf und seien klar verfassungsfeindlich.

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, nannte die Prüfung richtig und notwendig: "Wir müssen wissen, wer unsere Demokratie infrage stellen will", sagte Göring-Eckardt. Der Bundesverfassungsschutz sehe offenbar, dass von der Partei und ihren Vernetzungen ein Gefahrenpotenzial ausgehen könne.

Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke, hält eine Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz hingegen für nicht zweckdienlich. Sie erklärte, es brauche keine geheimdienstliche Aufklärung, um festzustellen, dass die AfD die Werte des Grundgesetzes mit Füßen trete. Das gehe schon aus den Äußerungen und Reden der Parteimitglieder hervor.

Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Lindner sagte, man müsse die Konzepte der AfD politisch auseinandernehmen. Die fachlichen Entscheidungen der Sicherheitsbehörden sollten nicht kommentiert, sondern lediglich zur Kenntnis genommen werden.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland sprach von einem Schritt in die richtige Richtung und forderte den Verfassungsschutz auf, Konsequenzen zu ziehen und die AfD unter Beobachtung zu stellen, sollte sich der Verdacht auf Verfassungsfeindlichkeit erhärten. Das Internationale Auschwitz Komitee zeigte sich erleichtert, dass der Verfassungsschutz der AfD die Gelbe Karte zeige.



OECD sieht Fortschritte bei Integration von Zuwanderern

Migranten sind laut einer Studie heute in Deutschland wirtschaftlich und sozial deutlich besser integriert als noch vor zehn Jahren.

Dies gilt für die Erwerbssituation, den Bildungserfolg und das Armutsrisiko wie auch für die Erfahrung von Diskriminierung, wie aus einer am 16. Januar in Berlin veröffentlichten Untersuchung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hervorgeht. Defizite bestünden noch beim Zugang zu qualifizierten Jobs, heißt es in dem Bericht der OECD. Aktuell seien in Deutschland mehr Menschen der Meinung, dass das Land von Zuwanderung profitiert als noch zu Beginn des Jahrhunderts.

OECD-Migrationsexperte Thomas Liebig, der die Studie "Integration von Zuwanderern: Indikatoren 2018" gemeinsam mit der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz (CDU), vorstellte, sagte: "Insgesamt ist der Trend bei der Integration von Zuwanderern in Deutschland positiv." Es bestehe aber weiterhin Handlungsbedarf vor allem bei Geringqualifizierten, Frauen sowie Kindern von niedrigqualifizierten Zuwanderern.

Widmann-Mauz will interkulturelle Öffnung des öffentlichen Dienstes

Weitere Anstrengungen seien besonders im Arbeits- und Bildungsbereich dringend erforderlich, sagte Widmann-Mauz. "Wir müssen bei der Anerkennung von Berufsabschlüssen besser werden und Frauen stärken, ihre Rechte besser wahrzunehmen", betonte sie. Wichtig sei außerdem Sprachförderung in Kitas und Schulen. Auch die interkulturelle Öffnung des öffentlichen Dienstes müsse vorangetrieben werden.

Der Studie zufolge sind knapp 13 Millionen Menschen, die in Deutschland leben, im Ausland geboren. Das entspricht rund 16 Prozent der Gesamtbevölkerung. Gut ein Fünftel der Zuwanderer (22 Prozent) lebt den Angaben zufolge weniger als fünf Jahre in Deutschland.

Seltener Ziel von Diskriminierung

Besonders positiv hat sich der Studie zufolge im vergangenen Jahrzehnt die Erwerbssituation für Zuwanderer entwickelt. So ist bei der Gruppe der im Ausland Geborenen die Beschäftigungsquote zwischen 2006 und 2017 von 59 Prozent auf über 67 Prozent gestiegen. Allerdings liege der Abstand zur im Inland geborenen Bevölkerung bei 8,7 Prozentpunkten.

Bei Frauen ist der Beschäftigungsabstand zur im Inland geborenen Bevölkerung größer als bei Männern, wie es heißt. Außerdem arbeite fast jede dritte erwerbstätige Migrantin in einem Job, der nur geringe Qualifikationen erfordert. Die Arbeitslosenquote aller im Ausland Geborenen hat sich in Deutschland zwischen 2006 und 2017 mehr als halbiert und lag 2017 bei 6,9 Prozent.

Zugewanderte sehen sich in Deutschland seltener als ein Ziel von Diskriminierung (elf Prozent), als dies EU-weit der Fall ist (14 Prozent) und auch seltener als noch vor zehn Jahren (minus vier Prozentpunkte). Ebenso sind die Einstellungen von in Deutschland Geborenen gegenüber Migranten positiver als noch vor zehn Jahren und positiver als im EU-Schnitt, wie die Erhebung zeigt.



Ditib-Vorstand will sich auf Kernaufgaben konzentrieren


Innenraum der Zentral-Moschee in Köln
epd-bild/Guido Schiefer
Nach anhaltender Kritik an der Ditib hat der türkisch-islamische Verband einen "Neuanfang" angekündigt und einen neuen Vorstand vorgestellt. Die Reaktionen aus der Politik sind überwiegend skeptisch.

Der neue Vorstand des türkischen Islamverbands Ditib will die Einführung von islamischem Religionsunterricht in weiteren Bundesländern erreichen. Der Verband wolle einen "Neuanfang" starten und sich wieder verstärkt seiner Hauptaufgabe widmen, der religiösen Erziehung von Kindern und Jugendlichen, sagte der neue Vorstandsvorsitzende Kazim Türkmen am 16. Januar in der Kölner Zentral-Moschee. Die Ditib hatte Anfang Januar einen neuen siebenköpfigen Vorstand mit drei neuen Mitgliedern gewählt und dies mit der anhaltenden öffentlichen Kritik an dem Verband begründet. Politiker bewerteten den "Neuanfang" skeptisch.

Auf die Nachfrage, ob der geplante Neuanfang der Ditib auch eine Loslösung von der Regierung in Ankara bedeute, antwortete Türkmen ausweichend: Die Ditib habe eine gewachsene Struktur, die sich nur langfristig von "innen heraus" entwickeln und verändern könne: "Und nicht durch Forderungen von außen." Bereits in der vergangenen Woche hatte der Verband erklärt, die staatliche türkische Religionsbehörde Diyanet werde der Ditib "als Quelle ihrer spirituellen, und religiösen Referenz auch weiterhin eine wichtige Stütze sein".

Türkmen löste als Vorsitzender Nevzat Yasar Asikoglu ab. Stellvertretender Vorsitzender bleibt der Theologe Ahmet Dilek, Buchhalter Irfan Saral. Die bisherige Generalsekretärin Emine Secmez tauschte mit ihrem Stellvertreter Abdurrahman Atasoy den Posten. Neu in den Vorstand gewählt wurden die Vize-Vorsitzende des Ditib-Landesverbandes NRW, Sümeyye Öztürk Mutlu, und der Vorsitzende des Landesverbandes Baden-Württemberg, Erdinc Altuntas.

Bund wil Gesprächsfaden "unbedingt erhalten"

Politiker sahen in dem neuen Vorstand keinen inhaltlichen Neustart der Ditib. "Von dem groß angekündigten Neuanfang bei Ditib kann keine Rede sein, wenn drei der sieben Vorstandsmitglieder - Ditib-Chef und Botschaftsrat Kazim Türkmen, dessen Stellvertreter Ahmet Dilek und Generalsekretär Abdurrahman Atasoy - Beamte der türkischen Religionsbehörde Diyanet in Ankara sind", sagte die stellvertretende Linken-Fraktionschefin Sevim Dagdelen.

Auch die Grünen-Politikerin Filiz Polat kritisierte, die Zusammensetzung des neuen Vorstands lasse keinen großen Willen erkennen, künftig unabhängige Strukturen aufzubauen. "Im Gegenteil: Die Beamten sind weisungsgebunden und können deshalb ein unabhängiges Vorgehen nicht garantieren." Der Grünen-Politiker Volker Beck, der Lehrbeauftragter am Centrum für Religionswissenschaftliche Studien in Bochum ist, kritisierte, weil der ehemalige Kölner Religionsattaché Dilek weiterhin als Vize im Vorstand sitze, sei "nicht einmal der überfällige Cut zur Spionageaffäre gelungen". 19 Ditib-Imamen war 2017 vorgeworfen worden, Anhänger des türkischen Oppositionellen Fethullah Gülen ausspioniert zu haben.

Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums erklärte in Berlin, man sehe es durchaus kritisch, dass Ditib strukturell, personell und finanziell an die türkische Religionsbehörde Diyanet angebunden sei. Dennoch stehe es der Ditib frei, ihren Vorstand selbst zu wählen. Der Gesprächsfaden zum Verband solle "unbedingt erhalten" werden, sagte die Sprecherin und verwies auf die hohe Zahl der Ditib-Moscheegemeinden in Deutschland. Die Bundesregierung fördert zurzeit keine Projekte in Ditib-Trägerschaft mehr, und auch das Land NRW hat die Kooperation ausgesetzt.

Türkmen kritisierte die negative Berichterstattung über die Ditib in den vergangenen Jahren. Man habe den Verband "zur Zielscheibe erklärt", so dass er sich nicht mehr um seine Kernaufgaben habe kümmern können, sagte der Ditib-Vorsitzende. Er kündigte an, die Ditib wolle unter anderem die Anerkennung des islamischen Religionsunterrichts als Unterrichtsfach in den verschiedenen Bundesländern erreichen und das Angebot ausbauen. Nordrhein-Westfalen war 2012 das erste Bundesland, das Islamunterricht eingeführt hatte. Die Ditib ist mit rund 860 Moscheegemeinden bundesweit die größte islamische Organisation.



Unwort des Jahres 2018 ist "Anti-Abschiebe-Industrie"


Unwort des Jahres 2018 ist "Anti-Abschiebe-Industrie"
epd-bild/Lukas Barth
Der vom CSU-Politiker Alexander Dobrindt benutzte Begriff "Anti-Abschiebe-Industrie" ist zum "Unwort des Jahres" gewählt worden.

Das Unwort des Jahres 2018 lautet "Anti-Abschiebe-Industrie". Der Ausdruck unterstelle denjenigen, die abgelehnte Asylbewerber rechtlich unterstützen und Abschiebungen auf dem Rechtsweg prüfen, die Absicht, auch kriminell gewordene Flüchtlinge schützen und damit in großem Maßstab Geld verdienen zu wollen, sagte die Jury-Sprecherin Nina Janich am 15. Januar in Darmstadt. Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt, hatte im vergangenen Mai gesagt, eine "aggressive Anti-Abschiebe-Industrie" gefährde die öffentliche Sicherheit.

Dobrindt habe den Ausdruck "als offensichtlichen Kampfbegriff in die politische Diskussion eingeführt", sagte Janich. Der Ausdruck "Industrie" suggeriere, "es würden dadurch überhaupt erst Asylberechtigte produziert". Die Jury stimme dem Einsender zu, der angab, mit dem Begriff werde "das geltende Gesetz verhöhnt". Die Tatsache, dass ein wichtiger Politiker einer Regierungspartei diesen Ausdruck prominent platziert habe, zeige, wie sich der politische Diskurs sprachlich und in der Sache nach rechts verschoben habe. Damit veränderten sich auch "die Sagbarkeitsregeln in unserer Demokratie in bedenklicher Weise". Der Begriff wurde zehnmal eingesandt.

Kritik an "Ankerzentrum"

Ferner kritisierte die Jury den Ausdruck "Menschenrechtsfundamentalismus" als zynisch. Der Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer (Grüne), habe ihn anlässlich einer Debatte um die Seenotrettung von Flüchtlingen aus dem Mittelmeer gebraucht. Der Ausdruck zeige in erschreckender Weise, dass man inzwischen diskutieren könne, ob ertrinkende Menschen gerettet werden sollen oder nicht. Der Begriff wurde zweimal eingesandt.

Außerdem bezeichnete die Jury den Begriff "Ankerzentrum" als Unwort. Der Begriff aus dem Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD im Bund bezeichne Aufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge, die dort eine "Bleibeverpflichtung" haben, bis sie auf Kommunen verteilt werden oder das Land verlassen haben. Der Ausdruck, der eigentlich eine Abkürzung für "Ankunft, Entscheidung, Rückführung beziehungsweise Verteilung" ist, verschleiere in unangemessen schönfärberischer Weise die komplizierten Prüfverfahren und die strikte Aufenthaltspflicht. Der Begriff wurde 13 mal eingesandt.

Die unabhängige Jury aus vier Sprachwissenschaftlern, einem Journalisten und einem Autor hat nach eigenen Angaben 902 Einsendungen mit 508 verschiedenen Vorschlägen erhalten. Knapp 70 davon hätten den Unwort-Kriterien entsprochen. Die häufigsten Zuschriften an die Jury, die allerdings nicht alle deren Kriterien entsprachen, waren "Asyltourismus" (122 mal), "Vogelschiss/Fliegenschiss" (22 mal), DSGVO/Datenschutzgrundverordnung (22 mal) und Hetzjagd (17 mal). Im Vorjahr waren 1.316 Einsendungen mit 684 Vorschlägen eingegangen.

Sprachsensibilität

Das "Unwort des Jahres" wird seit 1991 von einer unabhängigen sprachkritischen Initiative gekürt. "Unwörter" waren zuletzt "alternative Fakten" (2017) "Volksverräter" (2016), "Gutmensch" (2015), "Lügenpresse" (2014) und "Sozialtourismus" (2013"). Die Aktion will den Blick auf Wörter und Formulierungen lenken, "die gegen sachliche Angemessenheit oder Humanität verstoßen" und dadurch die Sprachsensibilität in der Bevölkerung fördern.

Die sprachkritische Aktion wurde 1991 von dem Frankfurter Germanistikprofessor Horst Dieter Schlosser initiiert. Seit 2011 ist Nina Janich (Technische Universität Darmstadt) Jury-Sprecherin. Weitere Mitglieder sind die Sprachwissenschaftler Jürgen Schiewe (Universität Greifswald), Kersten Sven Roth (Universität Düsseldorf), Martin Wengeler (Universität Trier) sowie der freie Publizist Stephan Hebel. In diesem Jahr gehört dem Gremium auch der Autor und Kabarettist Jess Jochimsen an.



NRW will Kosten für G9 übernehmen


Unterricht in einer Oberstufe
epd-bild / Susanne Petersen

Das Land Nordrhein-Westfalen plant, den Schulen die Kosten für die Rückkehr zum neunjährigen Bildungsgang zu erstatten. Das Landeskabinett beschloss am 15. Januar in Düsseldorf einen Gesetzentwurf für den sogenannten G9 Belastungsausgleich. Der Entwurf sieht eine Absicherung sowohl bei den Investitionen als auch bei den laufenden Kosten vor, wie die Landesregierung mitteilte. Das Gesetz soll nach der parlamentarischen Beratung am 1. August in Kraft treten.

"Belastungsausgleich"

Dem Entwurf zufolge sollen Schulträger Investitionen für die Unterrichtsumstellung zwischen 2022 und 2026 in mehreren Teilbeträgen erstattet bekommen. Einem Gutachten des Schulministeriums zufolge werden diese Kosten auf rund 518 Millionen Euro veranschlagt. Die dauerhaften Sachkosten für die kommunalen Schulträger sollen ab 2024 ausgeglichen werden. In den ersten drei Jahren würden sich diese Kosten auf jeweils 7,76 Millionen Euro belaufen, danach auf jährlich 27,94 Millionen Euro. Die zusätzlichen Personalkosten für die rund 2.200 zusätzlichen Lehrer die für den Ausbau für G9 benötigt würden, trage das Land als Arbeitgeber in voller Höhe.

Durch die vom Land beschlossene Umstellung auf G9 entstünden den kommunalen Schulträgern zusätzliche Kosten, erklärte Staatssekretär Mathias Richter (FDP). "Die Landesregierung hat von vorneherein keinen Zweifel daran gelassen, dass das Land zu seiner Verantwortung steht und die Kosten für die Umstellung auf G9 übernimmt."

Der nordrhein-westfälische Landtag hatte im Juli 2018 beschlossen, dass die Gymnasien ab dem Schuljahr 2019/2020 grundsätzlich von der achtjährigen Gymnasialzeit, genannt G8, zu G9 zurückkehren. Die Verkürzung der gymnasialen Schulzeit auf acht Jahre, das sogenannte Turbo-Abitur, war zum Schuljahr 2008/2009 von der damaligen schwarz-gelben Landesregierung unter Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) eingeführt und von allen Parteien im Landtag unterstützt worden. In der Schulpraxis hagelte es jedoch regelmäßig Kritik von Lehrern und Eltern.



Verspätete Züge machen Bahnhofsmission-Internet schnell


Der "Bahn-Verspätungsschal" in der Bahnhofsmission
epd-bild / Erol Gurian

Der "Bahn-Verspätungsschal" von Zugpendlerin Claudia Weber aus Moosburg hat international Berühmtheit erlangt - nun wurde er für 7.550 Euro zugunsten der Münchner Bahnhofsmission versteigert. Die 55-Jährige hatte vergangenes Jahr für jede Verspätung auf der Strecke zur Arbeit oder nach Hause abends zur Stricknadel gegriffen und jeweils zwei Reihen gestrickt: Graue Wolle für unter fünf Minuten Verspätung, rosa für fünf bis 30 Minuten und rote Wolle für über 30 Minuten oder Verspätungen auf der Hin- und Rückfahrt. Herausgekommen ist ein gut eineinhalb Meter langer Schal, der viel Aufmerksamkeit erregte.

Denn Claudia Webers Tochter Sara fotografierte die Handwerkskunst ihrer Mutter und machte sie in sozialen Medien publik. Der Schal wurde zum Klick-Hit: Der auf Twitter veröffentlichte Post wurde in kurzer Zeit 4.500 Mal geteilt. Auch medial war der "Verspätungsschal" präsent: In den "Tagesthemen" war er zu sehen, der englische "Guardian" schrieb über "The German train-delay scarf" - und das Frühstücksfernsehen in Argentinien berichtete über den Schal gewordenen Pendlerfrust der treuen Bahnfahrerin Claudia Weber, wie die Innere Mission München als Träger der dortigen Bahnhofsmission am Wochenende mitteilte.

Claudia Webers Tochter Sara brachte den Schal am 19. Januar für ein Foto mit zur Spendenübergabe bei der Bahnhofsmission. Mit dem Geld will die Einrichtung nun ihre langsame Internetleitung aufmöbeln - auch, um ihren Klienten künftig kostenloses WLAN anbieten zu können, etwa zur Kommunikation mit Behörden oder mit Verwandten. Vom Rest sollen Babynahrung, Hygieneartikel sowie Lebensmittel für die Hilfebedürftigen angeschafft werden. Ersteigert wurde der Schal vom Geschäftsführer einer DB-Tochter, die mit Risikokapital unter anderem Start-up-Unternehmen unterstützt.



Stickstoffdioxid-Belastung an elf NRW-Messpunkten über EU-Grenzwert

An elf der zwölf am stärksten belasteten Straßen in Nordrhein-Westfalen liegen die Stickstoffdioxid-Werte immer noch über dem EU-Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Das zeigt eine erste vorläufige Auswertung der Stickstoffdioxid-Belastung für 2018, die das NRW-Umweltministerium am 16. Januar vorgelegt hat. Festgestellt wurden die Jahresmittelwerte an den insgesamt 59 automatisierten Messcontainern. Als Verursacher des giftigen Schadstoffes gelten vor allem Diesel-Autos.

Spitzenreiter waren wie im Vorjahr der Clevische Ring in Köln mit 59 Mikrogramm, die Düsseldorfer Corneliusstraße mit 53 Mikrogramm und die Brackeler Straße in Dortmund mit 51 Mikrogramm des giftigen Gases. Auch weitere Messpunkte in Aachen, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Hagen, Köln, Leverkusen, Oberhausen und Wuppertal wiesen Werte zwischen 42 und 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft auf. Lediglich an der Konrad-Adenauer-Straße in Solingen sank der Wert gegenüber 2017 von 41 auf 35 Mikrogramm.

Um den Grenzwert für Stickstoffdioxid einzuhalten, fordert die Deutsche Umwelthilfe Fahrverbote für ältere Dieselautos. Die Organisation war mit entsprechenden Klagen in etlichen deutschen Städten erfolgreich. In NRW verhängten Verwaltungsgerichte Fahrverbote unter anderem für Essen, Gelsenkirchen, Köln und Bonn. Dagegen hat die Landesregierung Berufung eingelegt.



Neuer Luftreinhalteplan für Düsseldorf verzichtet auf Fahrverbote

Die Bezirksregierung Düsseldorf hat den überarbeiteten Luftreinhalteplan zur Verbesserung der Luftqualität in Düsseldorf vorgelegt. Der Plan sehe mehr als 60 neue oder weiterentwickelte Maßnahmen im Stadtgebiet vor, Fahrverbote seien aber nicht geplant, teilte die Bezirksregierung am 18. Januar mit. Der Luftreinhalteplan soll am 1. Februar in Kraft treten, davor liegt er zur Einsicht offen. Ziel sei es, den vorgeschriebenen Stickstoffdioxidgrenzwert von durchschnittlich 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft so schnell wie möglich zu erreichen, um die Gesundheit der Anwohner der belasteten Straßen zu schützen, ohne dabei die Mobilität in der Stadt "unverhältnismäßig einzuschränken", hieß es.

Mit der zweiten Fortschreibung des Plans reagiert die Bezirksregierung auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom September 2016 (AZ.: 3 K 7695/16), in dem festgestellt wurde, dass die Bezirksregierung den Luftreinhalteplan von 2013 nachbessern muss. Die Richter hatten dabei erklärt, dass "auch Fahrverbote für Dieselfahrzeuge ernstlich geprüft und abgewogen werden" müssten. In dem Fall hatte die Deutsche Umwelthilfe (DUH) geklagt und dabei ausdrücklich Fahrverbote für ältere Dieselfahrzeuge gefordert. Zuletzt forcierte der Verband seine Forderung mit einem Antrag auf Zwangsvollstreckung.

Laut dem jetzt überarbeiteten Luftreinhalteplan für die Landeshauptstadt sind an vielbefahrenen Straßen nun "Umweltspuren" vorgesehen, die von Linienbussen, Elektrofahrzeugen oder Radfahrern genutzt werden können. Damit solle für die Verkehrsteilnehmer ein "Anreiz" gesetzt werden, auf andere Transportmittel als das Auto umzusteigen, hieß es. Geprüft werden soll auch, ob solche Spuren von Autos befahren werden dürfen, die mit drei oder mehr Personen besetzt sind. Auch die städtische Fahrzeugflotte solle modernisiert oder entsprechende Fahrzeuge ausgetauscht werden.



In NRW über 630 Anträge auf Ausgleich von Dürreschäden


Vertrocknetes Maisfeld im Jahrhundertsommer 2018
epd-bild/Jens Schulze

In Nordrhein-Westfalen haben landwirtschaftliche Betriebe insgesamt sind 637 Anträge zum Ausgleich von Dürreschäden in der Landwirtschaft bei der Landwirtschaftskammer gestellt. Das Antragsvolumen aller prüffähigen Aufträge beträgt rund 15,5 Millionen Euro, wie die Düsseldorfer Landwirtschaftsministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) am 15. Januar mitteilte. Dies entspricht einer durchschnittlichen Antragshöhe von rund 24.300 Euro pro Antrag. Die im Rahmen der geschlossenen Bund-Länder-Vereinbarung für NRW vorgesehenen Bundes- und Landesmittel in Höhe von bis zu 17,8 Millionen reichten aus.

Die langanhaltende Trockenheit im vergangenen Sommer und Spätsommer, verbunden mit erheblichen Ernteausfällen, wurde als außergewöhnliches Witterungsereignis von nationalem Ausmaß eingestuft, wie es hieß. Von November bis 20. Dezember konnten in ihrer Existenz gefährdete Landwirtschaftsbetriebe bei der Landwirtschaftskammer Anträge auf finanzielle Unterstützung stellen. Die meisten Anträge wurden den Angaben nach bei den Kreisstellen Kleve (134 Anträge), Borken (103 Anträge) und Steinfurt (74 Anträge) eingereicht.

Ob die Schäden tatsächlich existenzgefährdend sind, werde in jedem Einzelfall geprüft, hieß es. Unter anderem müssen Schäden in Höhe von mehr als 30 Prozent der durchschnittlichen Jahreserzeugung aus der Bodenproduktion nachgewiesen werden. Schäden in den Betrieben können dann zu maximal 50 Prozent ausgeglichen werden. Auch für Futterzukäufe konnte eine Hilfe von 50 Prozent beantragt werden.

"Die Dürrebeihilfe in dieser Höhe kann sicher nicht alle Schäden ausgleichen, damit leisten wir jedoch für die hart betroffenen Betriebe einen wichtigen Beitrag zur Sicherung der Existenz", erklärte die Ministerin. Erste Zahlungen könnten voraussichtlich bereits im ersten Quartal 2019 erfolgen. Die Dürrehilfe werde als nicht rückzahlbarer Zuschuss ausgezahlt.




Justiz

Loveparade-Prozess möglicherweise vor dem Ende


Trauer nach Tragödie bei Loveparade in Duisburg (Archivbild)
epd-bild / Friedrich Stark
Im Prozess um die Loveparade-Katastrophe 2010 in Duisburg wird über eine Verfahrens-Einstellung nachgedacht.

Der Loveparade-Prozess vor dem Landgericht Duisburg wird am 30. Januar zunächst fortgesetzt. Das Gericht hält aber nach knapp 100 Verhandlungstagen die Einstellung des Verfahrens gegen zehn Angeklagte für möglich, wie der Vorsitzende Richter Mario Plein am 17. Januar in Düsseldorf erläuterte. Bis zum 5. Februar haben Staatsanwaltschaft und Angeklagte nun Zeit zu erklären, unter welchen Bedingungen sie einer Verfahrenseinstellung zustimmen würden.

Bei einem Rechtsgespräch mit den Prozessbeteiligten am 16. Januar war noch keine Einigkeit erzielt worden, ob es eine Einstellung ohne oder mit Auflagen für einzelne Angeklagte geben könne. Am 17. Januar kündigte die Staatsanwaltschaft Duisburg nun an, sie wolle prüfen, ob eine Einstellung des Verfahrens ohne Auflagen möglich sei.

Vor Gericht stehen vier Mitarbeiter der Veranstalterfirma Lopavent und sechs Bedienstete der Stadt Duisburg, darunter der ehemalige Baudezernent. Sie müssen sich unter anderem wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung verantworten. Bei einer Massenpanik auf dem Techno-Festival starben am 24. Juli 2010 in Duisburg 21 Menschen, mehr als 600 wurden verletzt.

"Komplexes Geschehen"

Die insgesamt 96 Prozesstage mit der Anhörung von zahlreichen Zeugen und Gutachtern hätten gezeigt, dass die Vorgänge um die Loveparade in Duisburg ein "vielschichtiges und sehr komplexes Geschehen" gewesen sei, sagte Richter Plein am. Dennoch sei es "vertretbar, das Verfahren gegen die zehn Angeklagten einzustellen".

Zwar bestehe immer noch eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, das den Angeklagten ein Teil der ihnen zur Last gelegten Taten nachgewiesen werden könnte. Es habe sich aber auch herausgestellt, dass die Einschätzung zur Tauglichkeit des Veranstaltungsortes und der Besucherströme fehlerhaft gewesen sei. Auch dies sei wohl für den Tod von 21 Menschen und die Verletzungen einiger hundert Personen ursächlich gewesen.

Von daher müsse das Gericht prüfen, wie groß das Ausmaß der individuellen Schuld der Angeklagten sei, erläuterte der Jurist. Auch wenn den Angeklagten die vorgeworfene Taten im Prozess nachgewiesen werden könnten, würde die Schwere der Schuld laut Plein "allenfalls im mittleren Bereich" liegen. Schuldmindernd wäre zu berücksichtigen, das das Konzept für die Großveranstaltung ebenso wenig geeignet gewesen sei wie der Ort selbst. Die heute für Großveranstaltungen geltenden Vorschriften in Sachen Sicherheit hätten damals noch nicht existiert. Auch die Polizei, die Ordner und die Feuerwehr hätten Fehler gemacht, so Plein.

"Kollektives Versagen"

Die Angeklagten seien damals weitgehend gezwungen gewesen, eigene Regelungen zu erstellen, sagte der Richter weiter. "Der Blick auf das große Ganze dürfte dabei oftmals zu kurz gekommen sein." Weil bei der Planung und Durchführung der Loveparade damals viele Organisationen und Personen beteiligt waren, sei die Katastrophe wohl auf ein "kollektives Versagen in der Durchführungsphase" zurückzuführen.

Auch die Staatsanwaltschaft habe im Rechtsgespräch erklärt, den Angeklagten sei "kein vorsätzliches Verhalten" vorzuwerfen, hieß es. Die Nebenkläger-Anwälte sähen ebenfalls eine "eher geringe Schuld" der Angeklagten. Die Verteidiger der Angeklagten hätten von einer "fahrlässigen Nebentäterschaft" ihrer Mandanten gesprochen.



Pfarrer: Mögliche Einstellung des Prozesses absehbar


Jürgen Widera bei einer Gedenkfeier am Unglücksort in Duisburg (Archivbild)
epd-bild/Friedrich Stark

Der evangelische Pfarrer und Vorstand der Stiftung "Duisburg 24.7.2010", Jürgen Widera, äußert Verständnis für ein mögliches Ende des Loveparade-Prozesses ohne eine Verurteilung der zehn Angeklagten. Die Begründung des Vorsitzenden Richters des Landgerichts Duisburg sei "nachvollziehbar" gewesen, sagte der Theologe dem Evangelischen Pressedienst (epd). Er habe das im Dezember 2017 begonnene Verfahren "intensiv verfolgt" und sei oft vor Ort gewesen.

Im bisherigen Verlauf des Prozesses sei abzusehen gewesen, dass den zehn Angeklagten - vier Mitarbeitern des Veranstalters Lopavent und sechs Mitarbeitern der Stadt - eine individuelle Schuld an dem Unglück nur schwer nachzuweisen sein dürfte. Insofern sei die am 17. Januar offiziell verkündete Entscheidung des Gerichts nicht überraschend gekommen, betonte Widera. Das Landgericht schlägt eine Einstellung des Verfahrens - zum Teil gegen Zahlung einer Geldauflage - vor.

Stiftungsvorstand: Verständnis und Unverständnis bei Angehörigen

Für manche Opfer oder Angehörige sei es nicht leicht gewesen, das zu hören. Es habe die ganze "Bandbreite" an Emotionen gegeben, sagte Widera, der über die Stiftung die seelsorgerische Begleitung für die Opfer, Angehörigen und Zeugen in dem Mammutprozess anbietet. Vor allem eine Familie aus Spanien und eine Mutter aus Italien hätten mit erkennbarem Unverständnis auf den Vorschlag des Gerichts reagiert. "Es gab aber auch Verständnis", betonte Widera. Manche hätten auch das Gefühl, dass es gut ist, wenn das Verfahren jetzt bald zu Ende geht. Eben auch deshalb, weil der Prozess "immer wieder Wunden" aufreißt.

Stiftung hält weiterhin Kontakt

Widera geht davon aus, dass auch nach einem Ende des Strafverfahrens die aus dem Ausland kommenden Opfer und Angehörigen weiterhin ein Interesse daran hätten, sich am 23. und 24. Juli zum Gedenken an die Toten und Verletzten des Loveparade-Unglücks in Duisburg zu treffen. Über die Stiftung solle auch weiterhin Kontakt zu allen Betroffenen und Familien gehalten werden. "Das läuft nicht auseinander", zeigte sich der Pfarrer zuversichtlich.

Vor allem mit Blick auf den zehnten Jahrestag des Unglücks im kommenden Jahr soll die bisherige Form des jährlichen Gedenkens fortgesetzt werden. Danach müsse man prüfen, inwieweit diese Art von Treffen auch künftig noch Sinn machen oder ob es ratsamer sei, "neue Formen" des Gedenkens zu finden.

Grundsätzlich positiv bewertete Widera die seelsorgerische Betreuung, die über die Stiftung im Loveparade-Prozess vermittelt wurde. Es habe einen "hohen Bedarf an Begleitung" gegeben, sagte er. Auch das Gericht habe die Arbeit der Seelsorger ausdrücklich gewürdigt. Dabei habe sich aber erwiesen, dass es sich bei den Ratsuchenden weniger um Betroffene gehandelt habe als vielmehr um Zeugen - etwa von Einsatzkräften der Polizei. In dem Congress Center Düsseldorf, in dem der Strafprozess stattfindet, ist an jedem Prozesstag ein Seelsorger oder Psychologe vor Ort, zudem hält sich ein weiterer Experte in Rufbereitschaft.

epd-Gespräch: Michael Bosse


Bundesverfassungsgericht: Hartz-IV-Kürzungen auf Prüfstand


Dürfen Hartz-IV-Leistungen gekürzt werden? Das muss das Verfassungsgericht klären.
epd-bild/Jens Schulze
Das Bundesverfassungsgericht überprüft Sanktionen für Hartz-IV-Bezieher. In Karlsruhe ging es um die Frage, ob das Kürzen der Sozialleistungen mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

Das Bundesverfassungsgericht hat am 15. Januar in Karlsruhe darüber verhandelt, ob Jobcenter das Arbeitslosengeld II kürzen dürfen. Dabei geht es um die Frage, ob Sanktionen gegen Hartz-IV-Bezieher gegen das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum verstoßen. Geprüft wird zudem, ob die Strafmaßnahmen der Jobcenter die Berufsfreiheit verletzen. Dazu hatte das Sozialgericht Gotha den Fall eines Lageristen aus Erfurt vorgelegt, der einen Lagerjob ablehnte. Daraufhin wurde ihm Hartz IV zunächst um 30 Prozent und später um 60 Prozent gestrichen. (AZ: 1 BvL 7/16)

Das Bundesverfassungsgericht werde prüfen, ob die Sanktionen, die der Gesetzgeber festgeschrieben hat, grundgesetzlich zulässig seien, sagte der Vizepräsident des Gerichts, Stephan Harbarth. Es gehe darum, ob die vom Gesetzgeber verfolgten Ziele geeignet und zumutbar für die Betroffenen seien. Es gehe aber nicht um die Frage, ob das Sanktionssystem politisch sinnvoll sei. Das sei Sache des Gesetzgebers.

Anwältin: Sanktionen bewirken keine Verhaltensänderung

Für den Kläger sagte Rechtsanwältin Susanne Böhme, starre Sanktionen, die für drei Monate gelten, bewirkten keine Verhaltensänderung beim Leistungsbezieher. Besonders Personen mit "multiplen Vermittlungshindernissen" seien von den Kürzungen betroffen. Häufig wirke sich das außerdem auf weitere Personen aus, die mit dem Empfänger in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dies seien häufig Kinder.

Für die Bundesregierung sagte Sozialminister Hubertus Heil (SPD), mit der Einführung der Regelungen im Jahr 2005 habe sich der Gesetzgeber für "aktivierende Hilfen" entschieden. Es solle "soviel Ermutigung geben wie möglich und soviel Ermahnung wie nötig". Der Sozialstaat müsse Mittel haben, die Mitwirkung verbindlich einzufordern. Das Existenzminimum bleibe gesichert.

"Zur Menschenwürde gehört auch, dass Menschen sich anstrengen", sagte Heil. Sonst wäre das Arbeitslosengeld ein bedingungsloses Grundeinkommen. "Das will ich nicht", sagte Heil. 2018 seien nur bei 3,1 Prozent aller Hartz-IV-Bezieher Sanktionen ausgesprochen worden.

Allein die Existenz von Sanktionen führe zur Verbesserung der Wiedereingliederung von Hilfeempfängern. Daher sei die Bundesregierung von der Verfassungsmäßigkeit und der "grundlegenden Notwendigkeit" des bestehenden Systems überzeugt, sagte deren Bevollmächtigter Rechtsanwalt Matthias Kottmann.

Komplette Streichung von Arbeitslosengeld II möglich

Nach den rechtlichen Bestimmungen im Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) müssen die rund vier Millionen erwerbsfähigen Hartz-IV-Bezieher jede zumutbare Arbeit annehmen oder andere Eingliederungsmaßnahmen in den Arbeitsmarkt nutzen, sonst drohen Kürzungen. Bei wiederholten Pflichtverstößen darf das Jobcenter das Arbeitslosengeld II sogar komplett streichen.

Die Diakonie Deutschland erklärte, wenn Betroffene nicht mitwirkten, sei dies oft nicht auf Verweigerung, sondern auf Überforderung zurückzuführen. "Sanktionen treffen in der Praxis häufig Menschen, die sich nicht ausdrücken können, und nicht diejenigen, die sich drücken", sagte Friederike Mussgnug von der Diakonie. Überforderung entstehe etwa durch Krankheiten, Depressionen, familiäre Konflikte oder auch Verständnisprobleme.

Hilfen statt Leistungskürzungen

Direktorin Katrin Gerdsmeier vom Deutschen Caritasverband erklärte, Sanktionen sollten eine Ermessensentscheidung sein. Hartz IV-Empfänger müssten als eigenverantwortliche Personen ernst genommen werden. "Wir möchten, dass auf den Einzelfall reagiert werden kann", sagte sie.

Joachim Rock vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands forderte, statt Leistungskürzungen Hilfen in den Vordergrund zu stellen. Sanktionen seien schwerwiegend, sinnvoller seien weitere Fördermaßnahmen.



Gewalt gegen Frauen: NRW lässt Schutz- und Hilfesysteme untersuchen

Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat eine Studie über Schutz- und Hilfesysteme für von Gewalt betroffene Frauen in Auftrag gegeben. Ziel sei es, das bestehende Hilfesystem zu verbessern und mögliche Angebotslücken zu schließen, teilte das Gleichstellungsministerium am 14. Januar in Düsseldorf mit. Das sozialwissenschaftliche Institut "zoom - Gesellschaft für prospektive Entwicklungen e.V." werde die Untersuchung im Februar starten. Erste Ergebnisse sollen den Angaben zufolge im Frühjahr 2020 vorliegen.

Die Studie solle unter anderem das Leistungsspektrum, die Kapazität der Hilfeangebote, ihre Inanspruchnahme sowie die Zugänglichkeit erfassen, hieß es. Demnach befragt das Institut mit Hilfe einer Online-Erhebung Frauenhilfeeinrichtungen, Gleichstellungsbeauftragte sowie die Sozialdezernenten aller Kreise und kreisfreien Städte in Nordrhein-Westfalen.



Dortmund stattet Ordnungsdienst mit Schlagstöcken aus

Ordnungskräfte der Stadt Dortmund können sich künftig mit Schlagstöcken gegen Angriffe von Bürgern wehren. Alle 46 Mitarbeiter, die auf der Straße im Einsatz sind, erhalten künftig den auch von der Polizei genutzten "Einsatzmehrzweckstock", wie Ordnungsdezernent Norbert Dahmen der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" (WAZ, 19. Januar) sagte. Diese Maßnahme habe sich in einer Testphase bewährt.

Der Schlagstock sei "ähnlich wie die Stichschutzweste ein wichtiger Bestandteil der persönlichen Schutzausstattung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des kommunalen Ordnungsdienstes", sagte Dahmen. In der Testphase waren zunächst 24 Ordnungsdienst-Mitarbeiter entsprechend ausgestattet worden. Die Stadt begründet die Maßnahme mit zunehmenden Übergriffen aggressiver Bürger, die nicht vor Gewalt zurückschreckten. Der Stock gebe "mehr Sicherheitsempfinden".




Soziales

Stimmung in der Pflege schlecht - Ausgaben weiter steigend


Zwei Auszubildende im Pflegebereich
epd-bild/Jürgen Blume
Die Stimmung in der Pflegebranche hat sich weiter verschlechtert, obwohl die Politik die Pflege zu einem ihrer Top-Themen erklärt hat. Die Bevölkerung ist allerdings bereit, mehr für die Pflege zu zahlen. Das wird auch nötig sein, sagt eine Studie.

Die Stimmung in der Pflegebranche hat sich weiter verschlechtert, und die Ausgaben für die Pflege alter Menschen werden schon bald höhere Beiträge erfordern. Das sind die Ergebnisse zweier Studien, die am 16. Januar veröffentlicht wurden. Dem "Care-Klima-Index 2018" zufolge, der in Berlin vorgestellt wurde, hat sich das Klima in der Branche messbar abgekühlt. Die Befragten vergaben fast überall mehr Minuspunkte als im Vorjahr. Auch die Politik kommt nicht gut weg.

In der Umfrage von Ende 2018 unter Pflegekräften, Ärzten, Pflegebedürftigen, Angehörigen sowie Vertretern von Kassen und Verbänden stufen 74 Prozent der Befragten den Stellenwert des Themas Pflege bei der Politik als niedrig ein, fünf Prozent mehr als 2017. Fast ein Drittel der Befragten beurteilten die Qualität der Pflege nur als "mangelhaft" (29 Prozent).

Stimmungs-Index sank

Die Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte hielten 60 Prozent der Befragten für "schlecht", gegenüber 2017 ist das ein Zuwachs um neun Prozentpunkte. Die personelle Ausstattung wird mit rund 70 Prozent unverändert als schlecht eingestuft - unter Pflegekräften vergeben 77 Prozent das Urteil "schlecht".

Der aus den Antworten auf alle Fragen errechnete Stimmungs-Index sank insgesamt von 100 auf 95,3 Punkte ab. Der im Auftrag des Deutschen Pflegetags vom Befragungsinstitut Psyma erstellte "Care-Klima-Index" im Auftrag misst die Stimmung in der Pflege, ähnlich der Messungen des Konsum- oder Wirtschaftsklimas. Der diesjährige Index beruht auf den Antworten von 2.226 Befragten, darunter 800 Pflegekräften. Die Erhebung kommt auch zu dem Ergebnis, dass mehr als drei Viertel der Bevölkerung (77 Prozent) bereit sind, für bessere Leistungen einen höheren Pflegebeitrag zu zahlen.

Beitragssatz werde steigen

Eine in Gütersloh veröffentlichte Studie der Bertelsmann-Stiftung ergab, dass der Beitragssatz von derzeit 3,05 Prozent des Einkommens auf 4,25 Prozent klettern wird. Das bedeute bei einem Durchschnittseinkommen fast 550 Euro pro Jahr. Von 2025 an würden die Ausgaben weiter steigen, so dass die jüngste Beitragserhöhung um 0,5 Prozentpunkte nicht ausreiche. Die Studie geht davon aus, dass 2045 fünf Millionen Menschen Pflegeleistungen beziehen werden. Heute sind es 3,3 Millionen.

Gleichzeitig sinke die Zahl der pflegenden Angehörigen, so dass mehr Menschen ganz auf professionelle Pflege angewiesen sein werden. Die Prognose ist Teilergebnis einer Untersuchung zur Aufwertung der Altenpflegeberufe. Die Studie wird vom Wirtschaftsforschungsinstitut Prognos in Auftrag der Bertelsmann Stiftung erstellt.

Zeit für ein Umdenken

Der Spitzenverband der Kranken- und Pflegekassen (GKV-Spitzenverband) forderte einen steuerfinanzierten Bundeszuschuss für die Pflege. Vorstand Gernot Kiefer sagte, es sei Zeit für ein Umdenken, statt nur über höhere Beiträge zu sprechen. Die Pflegeversicherung finanziere zu viele gesellschaftliche Aufgaben wie etwa Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige.

Die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Verena Bentele, machte sich ebenfalls für einen Bundeszuschuss stark und erneuerte ihre Forderung, die Pflegeversicherung zu einer Vollversicherung zu machen. Die steigenden Kosten dürften nicht zu höheren Belastungen der Menschen führen. Für viele sei Pflege schon heute ein Armutsrisiko, sagte sie dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland".

"Mehr kann die Bundesregierung kaum tun"

Der Präsident des Deutschen Pflegerats, Franz Wagner, bestätigte die schlechte Stimmung. Der Personalmangel führe zu chronisch überhöhter Arbeitsbelastung. Der Dachverband der Pflegenden geht davon aus, dass 100.000 zusätzliche Kräfte gebraucht würden. Der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, wertete den "Care-Klima-Index" als Bestätigung für den anhaltenden Pflegenotstand.

Der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, zeigte sich hingegen verwundert über weitere Verschlechterung der Stimmung in der Pflege. Das Thema stehe ganz oben auf der politischen Agenda. "Mehr kann die Bundesregierung kaum tun", sagte Westerfellhaus. Er nannte insbesondere die zusätzlichen 13.000 Stellen für Pflegeheime, Personaluntergrenzen und die Vollfinanzierung aller Pflegestellen in Kliniken.



Immer mehr Senioren spielen an der Konsole


Bowling-Spiel an einer Konsole
epd-bild/Jan Ehlers
Videospiele sind nicht nur Zeitvertreib. Sie können im Alter auch helfen, Fähigkeiten zu erhalten, sagen Forscher. Eine speziell für Ältere entwickelte Konsole steht derzeit in rund 100 Senioreneinrichtungen.

Carl Hitzke ist 88 Jahre alt. Am Vormittag war er schon mit dem Motorroller unterwegs und Kegeln. Die 54 Punkte sind ganz schön gut dafür, dass er nur vier Versuche hatte. Dabei ist Hitzke nicht mal aus dem Haus gegangen, sondern nur in einen Gemeinschaftsraum des Hospitals zum Heiligen Geist in Hamburg. Dort hat er sich zum Videospielen mit einem guten Dutzend anderer Senioren getroffen. "Ich versuche, mich viel zu bewegen. Denn wenn man das in meinem Alter sein lässt, dann versteift man schnell. Da hilft mir das Spielen sehr", sagt Hitzke.

Die Spielekonsole, an der sich die Gruppe einmal in der Woche trifft, trägt den Namen "RetroBrain". Sie funktioniert wie all die anderen Playstations, Xboxes und Wiis auf dem Markt - nur eben mit dem Unterschied, dass Bedienung und Spiele auf die Bedürfnisse der Senioren zugeschnitten sind. Neudeutsch gibt es für solche Systeme den Begriff "Serious Games", man könnte aber auch sagen: "therapeutisches Videospielen". Derzeit wird die Konsole in einem Pilotprojekt in rund 100 Senioreneinrichtungen in Deutschland getestet.

Rollerfahren und Fragen beantworten

Denn genau darum geht es: Immer, wenn Hitzke auf der Autobahn unterwegs ist, muss er den Roller mit dem ganzen Körper steuern - eine Kamera hält seine Bewegungen fest und integriert sie in das Spiel. Gleichzeitig bekommt er aber Fragen gestellt. Etwa: "In welcher deutschen Stadt ist die größte deutsche Karnevalsveranstaltung?" Dann kann er sich entscheiden, ob er nach Köln oder nach Berlin abbiegt. Verlieren kann er nicht, aber je besser er sich anstellt, desto anspruchsvoller werden die Aufgaben. Er muss zum Beispiel mehr Hindernissen ausweichen.

"Das Spiel hat eine gewisse Toleranz. Es merkt, wie geschickt jemand ist und bestimmt danach den Schwierigkeitsgrad", sagt Mandy Jerdes vom Hersteller RetroBrain. So ließen sich Fertigkeiten besser erhalten.

Im Grunde enthält eine Konsole wie die im Hamburger Hospital nicht revolutionär Neues: All die Übungen, die in die Spiele integriert sind, könnten die Senioren auch auf andere Weise ausführen. Es gibt genügend Konzepte zum Erhalt mentaler und körperlicher Fähigkeiten. Vergleichsweise neu ist allerdings die Idee, Geschicklichkeits- und Konzentrationstraining mit einem angenehmen, spielerischen Erlebnis zu verbinden.

"Im Spiel finde ich Entspannung und Ausgleich. Das senkt das Maß an Entzündungsprozessen im Körper", sagt die Psychologin Iris Kolassa, die gemeinsam mit ihrem Kollegen Patrick Fissler an der Universität Ulm die Wirkung des Spielens im Alter untersucht hat. Die Wirkung von negativem Stress auf das menschlich Gehirn sei damit weniger mächtig. Anders gesagt: Der Spaß, den das Spiel mit sich bringe, verstärkt den Effekt der Übungen.

Mehr soziale Kontakte

Das gelte nicht ausschließlich für Videospiele, erklärt Kolassa - auch Karten- oder Brettspiele könnten vergleichbare Vorteile mit sich bringen: "Wenn ich regelmäßig spiele und damit geistig aktiv bin und stressreduzierenden Ausgleich finde, ist das in sich protektiv." Zudem bringe das Spielen in der Gruppe zusätzliche positive Effekte mit sich - nämlich durch das Mehr an sozialen Kontakten.

Allerdings sollte man all dies nicht überschätzen: "Durch ein paar Mal spielen werde ich nicht gleich geistig viel besser. Aber wenn ich wiederholt spiele als Teil einer guten Work-Life-Balance, dann werde ich wahrscheinlich positive geistige und psychische Effekte erzielen." Insofern sei es eine günstige Erweiterung des Angebots, wenn in Seniorenheimen in Zukunft eine Videokonsole stehe.

Im Hospital zum Heiligen Geist in Hamburg ist es derzeit nicht nur eine - gleich zehn Spielekonsolen sind über das weitläufige Gelände verteilt. Projektleiterin Ilona Lamm ist an jedem Werktag bei mindestens einer Gruppe zu Gast, um die Menschen zum Spielen zu animieren. Was oft nicht leicht ist - aber nur am Anfang: "Viele sagen ja: 'Bleib mir weg mit Videospielen, das ist nichts für mich.' Aber wenn die nur ein einziges Mal tatsächlich dabei sind - dann habe ich die meisten im Sack."

Sebastian Stoll (epd)


Kritik an Spahns Vorstoß zu PID-Gentest als Kassenleistung


Jens Spahn
epd-bild/Maximilian König

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will die Krankenkassen für die in Ausnahmefällen erlaubte genetische Untersuchung von Embryonen aufkommen lassen. Das geht aus einem Änderungsantrag hervor, der sich im Bundestag in der Beratung befindet und dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt. Dagegen gibt es Widerstand, wie zuerst der in Berlin erscheinende "Tagesspiegel" berichtete.

Die genetische Untersuchung von Embryonen nach künstlicher Befruchtung ist in Deutschland nur erlaubt, wenn die Gefahr schwerer Erbkrankheiten oder von Fehl- und Totgeburten besteht. Paare, die entsprechende Genanlagen haben und eine Präimplantationsdiagnostik (PID) wollen, müssen sie selbst bezahlen, was mehrere Tausend Euro kosten kann. Die Regelung ist eine Folge davon, dass die PID in Deutschland ethisch hoch umstritten ist. In anderen Ländern ist die Untersuchung vor dem Einsetzen von Embryonen in die Gebärmutter durchaus üblich.

Der Änderungsantrag sieht nun vor, dass Ehepaare Anspruch auf eine PID auf Kosten der Krankenkasse haben, wenn dazu alle Voraussetzungen vorliegen, die im Embryonenschutzgesetz geregelt sind. Damit werde das Leistungsrecht der Krankenversicherung mit den gesetzlichen Bestimmungen zu künstlicher Befruchtung und PID in Einklang gebracht, heißt es in dem Antrag. Aus Regierungskreisen hieß es zur Begründung, wenn die PID erlaubt sei, dann dürfe sie nicht das Privileg von wenigen sein, die sich das leisten könnten.

Kritik von den Grünen

Die Grünen-Gesundheitspolitikerin Kirsten Kappert-Gonther kritisierte den Vorstoß. Es sei nicht Aufgabe der Solidargemeinschaft, das Selektieren von Embryonen zu finanzieren, erklärte sie auf ihrer Internet-Seite. Der Gesetzgeber habe bei der Zulassung der PID bewusst keine Kostenübernahme durch die Kassen beschlossen. Es werde der Bedeutung des Themas nicht gerecht, so Kappert-Gonther, dies "mal eben schnell per Änderungsantrag" zu kippen. "Und warum dann auch nur heterosexuelle Ehepaare diesen Anspruch erhalten sollen, versteht kein Mensch mehr", kritisierte sie weiter.

Aus Spahns eigener Partei, der CDU, meldete sich der Bundestagsabgeordnete Michael Brand mit Kritik. Er sagte dem "Tagesspiegel", es gebe "überhaupt keinen Anlass für eine solch eher heimlich vorgenommene Änderung", wie sie Spahn jetzt plane. Das Thema der Gentests an Embryonen gehöre vielmehr in einen Zusammenhang mit den Bluttests an Ungeborenen auf Down-Syndrom, über die der Bundestag im Frühjahr debattieren wolle.

Spahn hat die Kassenfinanzierung der PID als Änderungsantrag zum sogenannten Terminservice- und Versorgungsgesetz eingebracht, das sich mit ganz anderen Fragen beschäftigt. Es soll helfen, die Wartezeiten auf Arzttermine zu verkürzen und die Ärzte verpflichten, mehr Sprechstunden anzubieten.



Bethel: Keine "Euthanasie" bei Kinderkrankenhaus


Ulrich Pohl
epd-bild/Paul Schulz/Bethel

Die v. Bodelschwinghschen Stiftungen weisen Vorwürfe zurück, es habe im Bethel-Kinderkrankenhaus "Sonnenschein" in der Zeit des Nationalsozialismus "Kinder-Euthanasie" gegeben habe. Entsprechende Behauptungen in einigen Medien entbehrten jeder sachlichen Grundlage, erklärte Bethel-Chef Ulrich Pohl am 15. Januar in Bielefeld.

Hintergrund ist eine am 14. Januar eröffnete Ausstellung der Fachhochschule Bielefeld zu dem Thema. Am 16. Januar veranstaltet die Fachhochschule eine Tagung unter dem Titel "Die offene Frage der vielen verstorbenen Kinder im Kinderkrankenhaus 'Sonnenschein' in Bethel in der Zeit des Nationalsozialismus".

Forschungen des Bielefelder Historikers Karsten Wilke vor drei Jahren hätten keine Anzeichen ergeben, die auf "Euthanasie" oder unterlassene Hilfe im Kinderkrankenhaus hindeuteten, erklärte Bethel. Auch ließen sich keine Aussagen machen, ob die Sterbezahlen aus dem Kinderkrankhaus erhöht oder durchschnittlich gewesen seien. Für diese Zahlen fehle jede Vergleichsmöglichkeit. Bundesweit gebe es keine entsprechende historische Überlieferung aus Kinderkliniken.

Das 1929 gegründete Krankenhaus sei eine Akutklinik für Patienten aus ganz Westfalen gewesen, die mit besonders schweren Erkrankungen eingeliefert wurden, erklärte Bethel. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs, dem Kriegsverlauf und der angespannten Nachkriegssituation hätten den Forschungen Wilkes zufolge die jungen Patienten unter entsprechend schlechteren Versorgungs- und Therapiebedingungen gelitten. Mangelernährung, fehlende Isolierungsmöglichkeiten für ansteckende Patienten und Mangel an Medikamenten seien damals in allen Kliniken an der Tagesordnung gewesen.

Die "Euthanasie"-Vorwürfe seien bereits vor einigen Jahren geäußert worden, sagte Bethel-Sprecher Jens Garlichs dem Evangelischen Pressedienst (epd). Bethel liege viel daran, dieses Kapitel aufzuarbeiten. Deshalb sei das Forschungsprojekt des Historikers Wilke angestoßen worden, dessen Ergebnisse im Jahr 2016 unter dem Titel "Das Betheler Kinderkrankenhaus 'Sonnenschein' 1929 - 1950" veröffentlicht wurden.



Aktion Mensch ändert Förderkonditionen

Die Aktion Mensch will noch mehr soziale Projekte für Menschen mit und ohne Behinderung unterstützen. Zu diesem Zweck soll neuen Projekt-Partnern der Einstieg in die Förderung erleichtert werden, wie die gemeinnützige Organisation am 15. Januar in Bonn mitteilte.

Künftig werden den Angaben zufolge die Förderprogramme der Aktion Mensch in die fünf Lebensbereiche Arbeit, Bildung und Persönlichkeitsstärkung, Mobilität, Freizeit sowie Wohnen unterteilt. Dies soll neuen Partnern helfen, die eigene Projektidee thematisch leichter zuzuordnen und ein passendes Förderprogramm zu finden.

Außerdem hat die Aktion Mensch die maximale Fördersumme von 300.000 Euro auf 350.000 Euro erhöht. Bei Projekten und Anschubfinanzierungen gibt es ab diesem Jahr einen 90-Prozent-Zuschuss. Bisher waren maximal 70 Prozent möglich. Bei der Suche nach einem Förderangebot hilft ein verbessertes Online-Instrument, wie es heißt.

Die Aktion Mensch ist nach eigenen Angaben die größte private Förderorganisation im sozialen Bereich in Deutschland. Seit ihrer Gründung im Jahr 1964 hat sie mehr als vier Milliarden Euro an soziale Projekte vergeben. Ziel der Aktion Mensch ist, die Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderung, Kindern und Jugendlichen zu verbessern und das selbstverständliche Miteinander in der Gesellschaft zu fördern.



Samuel Koch: Umgang mit Leid und Sterben sollte Schulfach werden


Samuel Koch (Archivbild)
epd-bild / Friedrich Stark

Der Schauspieler Samuel Koch hat sich für ein Pflichtfach "Vorbereitung auf Leid, Krankheit und Sterben" an Schulen ausgesprochen. "Würde das einen nicht besser auf das wahre Leben vorbereiten, als die Binomischen Formeln oder das Periodensystem auswendig zu lernen?", schreibt er in seinem neuen Buch "Steh auf Mensch! Was macht uns stark?".

Rein statistisch gesehen müsse sich jeder Mensch mindestens einmal in seinen Leben mit Leid, Krankheit und dem Tod naher Angehöriger auseinandersetzen. Für alles gebe es heutzutage Kurse, Scheine oder Seminare, aber "Füllerführerscheine, Freischwimmer, Englisch und Chinesisch" könnten einem nicht helfen, sich Schicksalsschlägen entgegenzustemmen, schrieb Koch.

Der Schauspieler, der aus einer in der evangelischen Kirche engagierten Familie stammt, hatte sich im Dezember 2010 bei einer Wette in der ZDF-Sendung "Wetten, dass..?" schwer verletzt. Seitdem ist er vom Hals abwärts gelähmt, lediglich Schulter und Arme kann er etwas bewegen. Koch ist Ensemblemitglied am Nationaltheater Mannheim, 2016 heiratete er die Schauspielerin Sarah Elena Timpe.



Oxfam kritisiert Ungleichheit bei steigenden Vermögen


Die Einkommensentwicklung zwischen Gering- und Topverdienern geht immer weiter auseinander.
epd-bild/Steffen Schellhorn
Die Zahl der Milliardäre wächst - und der Weg aus der Armut wird immer schwerer. Oxfam kritisiert eine wachsende soziale Ungleichheit weltweit. Deutschland steht unter den Industrienationen besonders schlecht da.

Milliardäre haben ihren Reichtum laut einem Bericht der Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam weltweit deutlich steigern können - auf Kosten der Armen. Wie aus einer am 21. Januar veröffentlichten Studie hervorgeht, sind die Vermögen der Milliardäre im vergangenen Jahr um zwölf Prozent gestiegen. Durchschnittlich seien das 2,2 Milliarden Euro pro Tag. Zu den Gründen gehörten umfangreiche Steuergeschenke für Konzerne und Vermögende. Die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung hingegen habe Einbußen von elf Prozent hinnehmen müssen.

Oxfam stellte den Bericht anlässlich des am Dienstag beginnenden Jahrestreffens des Weltwirtschaftsforums in Davos vor. Die Organisation hob hervor, dass öffentliche Angebote in den Bereichen Bildung, Gesundheit und soziale Sicherung wesentlich dazu beitragen könnten, Armut und Ungleichheit zu verringern. Doch diese Angebote seien weltweit dramatisch unterfinanziert.

Der Leiter Entwicklungspolitik und Kampagnen von Oxfam Deutschland, Jörn Kalinski, bezeichnete die soziale Ungleichheit als "eine der größten Herausforderungen unserer Zeit". Denn sie spalte die Gesellschaft. Nach Analyse der Organisation beteiligt sich, wer arm ist, weniger politisch und werde daher mit den eigenen Anliegen weniger gehört. Arme bekämen zugleich das Gefühl vermittelt, sie hätten individuell versagt. Daher sähen sie sich gesellschaftlich nicht repräsentiert und wendeten sich gänzlich ab oder populistischen Parteien zu.

Kritik an Studie

In Deutschland konnten die Milliardäre den Angaben nach ihr Vermögen im vergangenen Jahr um 20 Prozent steigern. Das reichste Prozent der Deutschen verfüge über ebenso viel Vermögen wie die ärmeren 87 Prozent der Bevölkerung. Deutschland zähle damit zu den Industrienationen mit der größten Vermögensungleichheit. So seien 2017 etwa 15,8 Prozent der Bevölkerung von Einkommensarmut betroffen gewesen - jedes fünfte Kind habe als arm gegolten. In der Europäischen Union stünden nur Estland und Tschechien hinsichtlich der sozialen Ungleichheit schlechter da.

Weltweit habe sich in den zehn Jahren seit der Finanzkrise die Zahl der Milliardäre indes nahezu verdoppelt, hieß es weiter. Zugleich könnten sich immer weniger Menschen aus extremer Armut befreien. In Teilen Afrikas steige die extreme Armut derzeit sogar wieder an. Als extrem arm gelten Menschen, die pro Person und Tag weniger als umgerechnet etwa 1,70 Euro zur Verfügung haben. Deren Zahl habe sich von 1990 bis 2010 zwar halbiert. Im Jahr 2015 lebten weltweit aber immer noch 736 Millionen Menschen in extremer Armut. Frauen und Mädchen seien von Armut besonders betroffen. Im weltweiten Durchschnitt besitzen den Angaben nach Männer 50 Prozent mehr Vermögen als Frauen. Die Auswirkungen von bewaffneten Konflikten und Kriegen auf die soziale Ungleichheit wurde im Bericht nicht gesondert untersucht.

Oxfam forderte die Bundesregierung auf, Konzerne und Vermögende "angemessen" zu besteuern und Investitionen in öffentliche Bildung, Gesundheit und soziale Sicherungssysteme zu erhöhen. Der Plan einer Finanztransaktionssteuer sei sträflich vernachlässigt worden, kritisierte die Organisation. Eine Finanztransaktionssteuer galt als politische Antwort auf die Weltfinanzkrise 2008. Mit ihr sollten die Lasten der Krise gerechter verteilt, aber auch hochspekulative Finanzgeschäfte unattraktiver werden.

Der Ökonom Andreas Peichl kritisierte den Oxfam-Bericht. Er könne die Zahlen zur Verarmung nicht nachvollziehen, sagte der Leiter des Münchner Ifo-Zentrums für Makroökonomik der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Vielmehr wachse die Weltwirtschaft und die Armut sinke insgesamt auf der Welt deutlich.



Neues Bündnis fordert mehr bezahlbaren Wohnraum


Baustelle in Düsseldorf (Archivbild)
epd-bild / Stefan Arend
Unter dem Titel "Wir wollen wohnen!" haben sich acht Organisationen in Nordrhein-Westfalen zusammengeschlossen. Sie dringen auf bezahlbaren Wohnraum - denn der wird immer knapper, warnt das Bündnis.

Mieterbund und Sozialverbände in Nordrhein-Westfalen haben vor einer dramatischen Lage auf dem Wohnungsmarkt gewarnt. Sie fordern die Landesregierung auf, mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und für mehr Mieterschutz zu sorgen. "Das Land muss seine Anstrengungen beim Neubau bezahlbarer Wohnungen verdoppeln", sagte der Vorsitzende des Deutschen Mieterbundes NRW, Hans-Jochem Witzke, am 14. Januar in Düsseldorf.

Witzke ist zugleich Sprecher des neu gegründeten Aktionsbündnisses "Wir wollen wohnen!", zu dem sich acht Organisationen zusammengeschlossen haben. Dazu gehören neben dem Deutschen Mieterbund NRW außerdem Wohlfahrts- und Sozialverbände sowie die Diakonie Rheinland Westfalen Lippe (RWL) und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) NRW. Das Bündnis kritisiert, dass 2017 im bevölkerungsreichsten Bundesland nur 48.000 neue und bezahlbare Wohnungen entstanden seien, obwohl der jährlich Bedarf bei 80.000 neuen Wohnungen liege. Auch gelinge es nicht, den anhaltenden Wegfall von Sozialwohnungen zu kompensieren.

"Großstädte Oasen für Besserverdienende"

Viele Beschäftigte müssten inzwischen einen zu hohen Anteil ihres monatlichen Einkommens für die Miete ausgeben, warnte die stellvertretende Vorsitzende des DGB NRW, Sabine Graf. Immer mehr Arbeitnehmer seien daher gezwungen, von den Städten aufs Umland auszuweichen. "Wir dürfen nicht zulassen, dass bestimmte Großstädte Oasen für Besserverdienende werden", betonte Graf.

Der Landesgeschäftsführer des Paritätischen NRW, Christian Woltering, erklärte: "Immer mehr Menschen werden durch steigende Wohnkosten an den Rand der Existenz getrieben." Nicht nur für Alleinerziehende, Flüchtlinge, Suchtkranke oder ehemalige Strafgefangene werde die Wohnungssuche zur existenziellen Krise. Betroffen seien auch Normalverdiener-Familien.

Diakonie sieht viele Mieter in einer existenziellen Krise

Diakonie-Vorstand Christian Heine-Göttelmann warnte vor einer Gefährdung des gesellschaftlichen Zusammenhalts: "In unsere Beratungsstellen kommen immer mehr Menschen, die nicht wissen, wie sie ihre Miete zahlen sollen und von Wohnungslosigkeit bedroht sind." Davon betroffen seien in NRW rund 32.000 Menschen.

Vor diesem Hintergrund fordert das Bündnis die Schaffung von mehr öffentlich gefördertem Wohnraum mit sozialer Zweckbindung. Neben dem Land seien dabei auch die kommunalen Wohnungsunternehmen in der Pflicht. Die Kommunen müssten darauf achten, dass städtische Grundstücke nicht zu Höchstpreisen angeboten würden, denn auch das sei ein Auslöser für zu hohe Mieten.

Schutz der Mieterrechte angemahnt

Eine weitere Forderung des Bündnisses ist der Schutz der Mieterrechte. Kritisiert wird, dass die Landesregierung im Koalitionsvertrag das Aus für zahlreiche rechtliche Regelungen zum Schutz von Mietern angekündigt hätten. Dazu zählten der Schutz vor überzogenen Mieten und vor Verlust von Mietwohnungen durch Umwandlung in Eigentumswohnungen sowie vor Eigenbedarfskündigungen nach Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. Auch der Schutz vor Zweckentfremdung von Wohnraum durch gezielten Leerstand oder gewerbliche Nutzung solle entfallen. "Das können und wollen wir nicht hinnehmen", sagte Witzke.

Unterstützung bekommt das Aktionsbündnis von der SPD-Opposition. Sie fordert eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft und eine verstärkte Förderung von kommunalen Wohnungsbaugenossenschaften. Schwarz-Gelb falle den mehr als 10,1 Millionen Menschen in Mieterhaushalten mit einem "Kahlschlag" beim Mieterschutz in den Rücken und erleide beim öffentlich geförderten Wohnungsbau "Schiffbruch", rügte Landtags-Fraktionsvize Jochen Ott.



Sozialverband kritisiert fehlende barrierefreie Wohnungen in NRW

Der Sozialverband VdK in Nordrhein-Westfalen wirft dem Land Untätigkeit bei der Schaffung von barrierefreiem Wohnraum vor. "Die Landesregierung untergräbt das Menschenrecht von rund 350.000 Rollstuhlfahrern auf angemessenes Wohnen", erklärte der VdK-Landesvorsitzende Horst Vöge am 18. Januar in Düsseldorf. Von einer "bedarfsgerechten" Errichtung entsprechender Unterkünfte, wie sie die schwarz-gelbe Koalition bei der Verabschiedung ihres Baurechtsmodernisierungsgesetzes angekündigt hatte, könne keine Rede sein.

Stattdessen habe das Bauministerium im vergangenen Jahr lediglich Zielvereinbarungen mit vier ausgewählten Städten abgeschlossen, die sich darin verpflichten, "geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um insgesamt mehr geförderte und somit bezahlbare Wohnungen zu schaffen", erklärte Vöge weiter. Er verwies auf die Antwort des Ministeriums auf eine Kleine Anfrage der SPD zur Entwicklung von rollstuhlgerechtem Wohnraum. Konkrete Zahlen, wie viele barrierefreie Wohnungen dadurch entstünden, nenne das Ministerium darin nicht.

"Angesichts dieser vagen Aussagen müssen wir befürchten, dass bislang keine oder zumindest kaum Wohnungen entstanden sind, die Rollstuhlfahrern ein selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden ermöglichen", kritisierte der VdK-Vorsitzende. Wenn die Landesregierung die noch von der rot-grünen Koalition 2016 verabschiedete Bauordnung mit einer festen Quote rolligerechter Wohnungen nicht gekippt hätte, hätten nach seiner Einschätzung allein von Januar bis Oktober 2018 landesweit schon 600 neue Mietwohnungen für Rollstuhlfahrer genehmigt werden können.



Aktivist für Flüchtlingskinder versteigert sein Begleitfahrzeug

Der Hamburger Aktivist Grigorij Richters, der im vergangenen Herbst von Paris aus durch 27 europäische Städte wanderte, um auf das Schicksal von Flüchtlingskindern aufmerksam zu machen, versteigert nun sein Begleitfahrzeug. Der 40 Jahre alte VW Bulli, der von einem französischen Künstlerteam gestaltet worden war und als "Petition auf Rädern" fungierte, stehe nun bis zum 27. Januar auf der Auktionsplattform E-Bay zum Verkauf, erklärte Richters am 21. Januar in Berlin. Der Erlös gehe an die in Bonn ansässige UNO-Flüchtlingshilfe.

Richters, der am 9. Dezember Berlin erreicht hatte, war auf seinem mehrwöchigen Fußmarsch seit vergangenem Oktober auch durch zahlreiche Städte in Nordrhein-Westfalen gekommen. Mit der Aktion wollte der Hamburger Filmemacher auf das Schicksal von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen aufmerksam machen. Viele dieser Kinder würden in Lagern wie etwa dem Camp Moria in Griechenland festgehalten und teilweise misshandelt und vergewaltigt, erklärte er.

Prominente Unterstützung

Mit einer Resolution ruft Richters die europäischen Regierungen auf, diesen Kindern Asyl zu gewähren. Auch an die deutsche Regierung appellierte er, elternlose Kinder aus griechischen Flüchtlingslagern nach Deutschland zu holen. Bei seinen Stopps in den jeweiligen Städten hatten Passanten und Gäste von lokalen Flüchtlingsorganisationen die Möglichkeit, die Resolution zu unterschreiben. Die Oberbürgermeister mehrerer Städte in NRW wie Aachen, Bonn, Köln oder Düsseldorf hatten den Angaben nach bereits im November zugesagt, jeweils 400 Kinder aufzunehmen.

Unterstützung erhielt der Aktivist nach eigenen Angaben auch von Prominenten wie der britischen Band Queen, dem Astronauten Chris Hadfield und der Schauspielerin Judi Dench. Hilfe vor Ort versuche er über Kontakte übers Internet herzustellen. Auch der Kabarettist und Musiker Helge Schneider zählt zu den Unterzeichnern der Petition



Armutsforscher: Kindergrundsicherung nützt Gutverdienern


Christoph Butterwegge
epd-bild / Jürgen Blume

Der Armutsforscher Christoph Butterwegge lehnt eine Kindergrundsicherung ab, wie sie unter anderem von SPD, Grünen und Linkspartei gefordert wird. Dies wäre "Familien- und Sozialpolitik nach dem Gießkannenprinzip", von der insbesondere gut verdienende Mittelschichtfamilien profitieren würden, schreibt der Politikwissenschaftler in einem Beitrag für den "Kölner Stadt-Anzeiger" (21. Januar). "Kinder sind arm, wenn und weil ihre Eltern arm sind", erklärte er. Deshalb dürfe man die Kinder nicht aus dem Familienverbund herauslösen, sondern müsse auch ihren Eltern bedarfsdeckende Leistungen zugestehen.

Statt "Umverteilung von den Kinderlosen zu den Eltern" müsse die Devise "Umverteilung von oben nach unten" lauten, schreibt der Sozialforscher. Besonders ungerecht und schlecht für Arme sei eine Pauschalierung von Leistungen, weil dadurch alle Minderjährigen über einen Kamm geschoren würden. Um Kinderarmut gezielt zu bekämpfen, müssten staatliche Gelder bedarfsgerecht auf jene Menschen konzentriert werden, die Unterstützung benötigten, um in Würde leben zu können.

"Wohlhabende, Reiche und Hyperreiche" müssten keine zusätzlichen Gelder erhalten, sondern im Gegenteil finanziell stärker in die Pflicht genommen werden, fordert Butterwegge. Dies könne erreicht werden durch einen höheren Spitzensteuersatz, die Wiedereinführung der Vermögensteuer, eine progressive Ausgestaltung der Kapitalertragsteuer sowie eine konsequentere Besteuerung großer Erbschaften und Schenkungen.

Bei der Kindergrundsicherung geht es um eine Absicherung von Kindern unabhängig vom Einkommen der Eltern. Die finanzielle Förderung und steuerliche Entlastung von Familien soll reformiert werden mit dem Ziel, alle Leistungen zu einer einzigen zusammenzufassen, die den Grundbedarf eines Kindes abdeckt.

Pläne für eine Kindergrundsicherung gibt es bei SPD, Grünen und Linkspartei, entsprechende Forderungen kommen zudem von Sozialverbänden und Gewerkschaften. Auch die Arbeits- und Sozialminister der Bundesländer lassen ein Konzept für eine Kindergrundsicherung erarbeiten. Die Vorstellungen sind aber bei den Akteuren unterschiedlich.



NRW unterstützt Kältehilfen für Wohnungslose

Die nordrhein-westfälische Landesregierung unterstützt die Wohnungslosenhilfe bei der Anschaffung von Schlafsäcken, Isomatten oder Decken für obdachlose Menschen. "In der kalten Jahreszeit sind Menschen, die auf der Straße leben, besonders gefährdet", erklärte Minister Karl-Josef Laumann (CDU) am 17. Januar in Düsseldorf. "Ihnen muss unkompliziert geholfen werden, damit sie nicht erfrieren." Das Sozialministerium habe deshalb in diesem Winter erstmalig 100.000 Euro für Kältehilfen zur Verfügung gestellt.

Das Geld sei an rund 40 freie Träger der Wohnungslosenhilfe vor allem aus den Städten des Ruhrgebiets und der Rheinschiene geflossen, hieß es. Niemand müsse in Deutschland unter freiem Himmel leben, betonte Laumann weiter. Die Kommunen und Kreise seien verpflichtet, wohnungslosen Menschen eine Unterkunft anzubieten. "Dennoch dürfen wir nicht die Augen davor verschließen, dass manche wohnungslose Menschen diese Angebote nicht annehmen", sagte der Minister.




Medien & Kultur

100 Jahre Bauhaus: Festival eröffnet Jubiläumsfeiern 2019


Bauhaus und Bundespräsident: Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender in der Akademie der Künste in Berlin
epd-bild/Christian Ditsch
Schnörkellos, funktional und mit sozialreformerischem Impuls: Das vor 100 Jahren gegründete Bauhaus inspiriert mit seiner Designphilosophie bis heute Kreative weltweit. Nun sind die bundesweiten Feierlichkeiten zum Bauhaus-Jubiläum 2019 gestartet.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 16. Januar die bundesweiten Feierlichkeiten zum Bauhaus-Jubiläum 2019 eröffnet. Bei der Auftaktveranstaltung unter dem Titel "100 jahre bauhaus" in der Akademie der Künste in Berlin würdigte der Bundespräsident das Bauhaus als eine der "bedeutendsten und weltweit wirkungsvollsten kulturellen Hervorbringungen unseres Landes". Von 1919 bis 1933 habe eine Gruppe "inspirierter Köpfe großartige Dinge in Architektur, Kunst, Tanz, Gestaltung, Typographie, auch Fotografie und Film geschaffen", sagte Steinmeier laut Redemanuskript.

Dabei seien bleibende Impulse gesetzt worden, die bis in die Gegenwart nachwirkten. Zugleich seien die Bauhaus-Künstler mehrheitlich Demokraten gewesen "und begriffen die Weimarer Republik als die große Chance zur Freiheit - zur politischen Freiheit und auch zur Freiheit der künstlerischen Gestaltung", betonte der Bundespräsident. Sie hätten zudem den Austausch mit der internationalen Moderne gesucht und sich von Entwicklungen auch jenseits der Grenzen beeinflussen lassen.

"Die Welt neu denken"

Die Feierlichkeiten zum Bauhaus-Jubiläum 2019 stehen unter dem Motto "Die Welt neu denken". Dazu sind in den kommenden Monaten rund 700 Veranstaltungen in elf Bundesländern geplant. Im Fokus stehen unter anderen die zentralen Wirkungsstätten in Weimar, Dessau und Berlin. In allen drei Städten werden derzeit Bauhaus-Museen neu errichtet oder umgebaut.

Gegründet wurde das Bauhaus 1919 in Weimar von dem Architekten Walter Gropius (1883-1969). Später zog die Schule nach Dessau und danach nach Berlin um, bevor sie sich 1933 auf Druck der Nationalsozialisten selbst auflöste. Bis heute gilt das Bauhaus als weltweit prägende Stilepoche in den Bereichen Architektur, Kunst und Design.

Vor der Eröffnungsfeier hatte Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) das Bauhaus als prägende Ideenschmiede gewürdigt. Dabei sei es den Künstlern und Kreativen nicht nur um eine neue Philosophie der Gestaltung gegangen. "Das Bauhaus folgte dem Anspruch, kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs gesellschaftlich einen Aufbruch zu wagen", sagte Grütters. "So war das Bauhaus eine politisch wirkmächtige Schule der Moderne, die Künstlergenerationen bis heute inspiriert." Das Jubiläumsjahr 2019 biete die große Chance, viele Menschen für die Ideen des Bauhauses zu begeistern und zu zeigen, "welche Relevanz die Ideen der 'Bauhäusler' für eine weltoffene und freiheitliche Gesellschaft bis heute haben".

Politische Bedeutung

Das Berliner Eröffnungsfestival will unter der Überschrift "100 jahre bauhaus" bis zum 24. Januar unter anderem mit Kunst, Konzerten, Installationen, Theater und Diskussionen einen Bogen von historischen Zeugnissen des Bauhauses bis zur heutigen Avantgarde schlagen. Gezeigt werden mehr als 25 Produktionen, vom Triadischen Ballett über Theater von Samuel Beckett bis hin zur Virtual Reality Installation "Das Totale Tanz Theater". Geplant sind zehn Uraufführungen und zwei deutsche Erstaufführungen. Mehr als 100 internationale Künstlerinnen und Künstler beteiligen sich an dem Eröffnungsfestival, darunter Robert Wilson, Richard Siegal, Michael Wollny, Sandra Hüller, Trajal Harrell, Mykki Blanco und Cesc Gelabert.

Auch die politische Bedeutung soll in Berlin zur Sprache kommen. Unter dem Titel "Wie politisch ist das Bauhaus?" wollten sich etwa in einer Podiumsdiskussion am 19. Januar Vertreter aus Politik, Kunst und Wissenschaft mit dieser Frage auseinandersetzen. Das Publikum ist aufgerufen mitzudiskutieren. "Das Bauhaus ist aus einer Zeit hervorgegangen, die in ihrer Krisenhaftigkeit Parallelen zur gegenwärtigen Situation aufweist", hieß es in der Ankündigung. Unter anderem solle diskutiert werden, was politische und kulturelle Institutionen, die heute unter Beschuss von rechts stehen, daraus lernen können.



Bauhaus-Schau: Museum Folkwang präsentiert Feininger


Museumsleiter Peter Gorschlüter und Nadine Engel, Leiterin der Sammlung 19./20. Jahrhundert, vor dem Gemälde "Gelmeroda IX" (192) in der Ausstellung
epd-bild / Stefan Arend

Das Museum Folkwang in Essen ist am 18. Januar in das Jubiläumsjahr "100 Jahre Bauhaus" mit einer Kabinettausstellung mit Werken des ersten Bauhausmeisters Lyonel Feininger gestartet. Bis zum 14. April sind die Arbeiten des Künstlers und Mitglieds der Berliner Secession in einer monografischen Präsentation zu sehen. Schwerpunkt der 33 ausgestellten Werke von Feininger (1871-1956) sind Ansichten von Orten, Städten und Landschaften.

Für Museumsdirektor Peter Gorschlüter ist die Ausstellung ein besonderes Anliegen, auch um die historisch gewachsenen Beziehungen zwischen Nordrhein-Westfalen und dem Bauhaus im Jubiläumsjahr zu zeigen. Zwischen dem Museumsgründer Karl Ernst Osthaus und dem späteren Direktor des Bauhauses, Walter Gropius, habe es enge Kontakte gegeben. Feininger wiederum wurde 1919 zum ersten Mal im Museum Folkwang am alten Standort in Hagen ausgestellt und kurz danach als erster Meister ans Bauhaus berufen.

Von frühen Arbeiten bis zum umfassendem grafischen Werk

"Das einzigartige an unsere Ausstellung ist, dass wir mit unseren umfassenden Sammlungsbeständen die Vorgeschichte des Bauhauses aufgreifen und darüber hinaus die Sammlungsgeschichte des Folkwang Museums über Jahrzehnte hinweg darstellen können", erläuterte Gorschlüter. "So ist unsere Werkauswahl ein wichtiger Baustein in der Reflexion der Geschichte des Bauhauses."

Die Ausstellung spannt den Bogen vom Frühwerk des Künstlers über berühmte Motive wie das Dorf Alt-Salenthin bis zu Feiningers umfassendem grafischen Werk. Ein Höhepunkt der Ausstellung ist das Werk "Gelmeroda IX" von 1926, das eine abstrahierte Dorfkirche zeigt, die malerisch zu einer Kathedrale überhöht ist. Feininger setzte sich über 30 Jahre lang in unzähligen Zeichnungen, Karikaturen und Holzschnitten mit diesem Motiv auseinander. Das Bild ist das einzige aus dieser Werkreihe in deutschem Besitz. Es symbolisiert mit der langgezogenen Spitze der Kirche das Streben nach dem Geistigen, die für Feininger wichtig war: "Menschen mit Sehnsucht verstehen mich."

Gleichklang von Mensch, Natur und Technik

Das Ausstellungskonzept greift den zunehmenden Einfluss des Konstruktivismus auf die Bauhausmeister auf. Die Bildauswahl zeigt, dass Feininger in seinen Motiven anders als die Romantiker nicht nur das Streben nach dem Geistigen, sondern auch den Gleichklang von Mensch, Natur und Technik darstellt. Ein Holzschnitt von Lyonel Feininger auf dem Titelbild des Bauhaus-Gründungsmanifestes von Gropius hebt symbolisch die Trennung von Malerei, Skulptur und Architektur auf.

Kuratorin Nadine Engel hat neben vier Ölgemälden eine Mappe mit zwölf handabgezogenen Originalholzschnitten, die einen Überblick über Feiningers Schaffen von 1918 bis 1920 zeigt, als herausragendes Stück in die Ausstellung eingebunden. Sie war 1920 als erste Veröffentlichung des Bauhauses erschienen.

Pädagogischer Ansatz

Auch eine handgeschnitzte Spielzeugstadt ist etwas Besonderes im Feininger-Werk und verweist auf das starke Interesse des Bauhausmeisters an pädagogischen Konzepten. "Erinnerung - wurzeln in den Kindheitsjahren, durchs ganze Leben! - die Zukunft - Sehnen, Sehnsucht! - und die Gegenwart - Arbeit!" schreibt Feininger in einem Brief an Gropius.

Eine Radierung, die das Stadttor von Ribnitz zeigt, steht symbolisch für Übergang und Wandel. Dieses Bild spiegelt Feiningers künstlerische Entwicklung vom Illustrator und Karikaturisten zum ersten Bauhausmeister hervorragend wider.

Die Feininger-Schau ist die erste von drei Kabinettausstellungen des Museums Folkwang zum Bauhausjubiläum in diesem Jahr. Während Feininger überwiegend noch den klassischen Bildmedien verpflichtet war, widmen sich die beiden folgenden Präsentationen neuen Ausdrucksformen am Bauhaus. Ab 28. April stellt das Museum die "Bühnenwelten" am Bauhaus vor, der dritte Teil zeichnet ab 20. September am Beispiel von "László Moholy-Nagy" die Hinwendung zu Fotografie und Film nach.

Ulrike Märkel (epd)


Ausstellung zeigt die "Moderne am Main 1919-1933"


Walter Dexel: Helle Scheibe und rotes J, Plexiglasdruck, Reedition eines Entwurfs von 1926
epd-bild / Thomas Rohnke

Modernes Design wurde nicht nur am Bauhaus erfunden: Anlässlich dessen 100. Jubiläum macht das Museum Angewandte Kunst in Frankfurt auf den wesentlichen Beitrag des "Neuen Frankfurt" aufmerksam. "Wenn das Bauhaus die Akademie der Moderne war, war das Neue Frankfurt die Werkstatt", sagte Direktor Matthias Wagner K am 17. Januar. Die Ausstellung "Moderne am Main 1919-1933" zeigt vom 19. Januar bis 14. April die vielfältigen Aufbrüche in Kunst, Design, Produktentwicklung, Rundfunk, Architektur und Städtebau in Frankfurt in der Zeit der Weimarer Republik.

Das von Oberbürgermeister Ludwig Landmann (1868-1945) so benannte "Neue Frankfurt" habe nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs und der Gründung der Republik den Anspruch erhoben, eine neue urbane Zukunft zu bauen, sagte Wagner K. Dieser Anspruch habe sich auf die angewandten und die freien Künste, auf Rundfunk und Architektur bezogen. Ein Netzwerk von Erneuerern in Kunst, Wirtschaft und Stadtverwaltung habe die Einheit von moderner Gestaltung der Lebenswelt und sozialem Engagement angestrebt. "Das Ziel war eine bessere Gesellschaft."

Moderner Städtebau und Frankfurter Küche

Die Ausstellung präsentiert mehr als 500 Objekte, Fotografien, Zeichnungen, Gemälde, Film- und Tonaufnahmen auf 1.200 Quadratmetern. "Wir wollen die Fülle abbilden", sagte Kuratorin Grit Weber. Ob ein Ölgemälde mit dem Motiv "Frau mit erhobenem Arm" von Willi Baumeister (1889-1955) oder Fotokunst von Marta Hoepffner (1912-2000), ob eine Schreibtischlampe mit Gelenk oder Damenstiefeletten aus schwarzem Samt mit hohen Plexiglasabsätzen, ob eine Stuhlserie oder der Kühlergrill eines Adler-Autos - die neue Formensprache fand vielfältige Anwendung.

Maßgeblichen Einfluss übte die 1923 gegründete Kunstschule Frankfurt aus, die Direktor Fritz Wichert (1878-1951) nach dem Vorbild des Weimarer Bauhauses formte, wie Kurator Klaus Klemp erläuterte. Freie und angewandte Künste sollten gleichrangig behandelt werden, die Architektur stand anders als am Bauhaus von Anfang an auf dem Lehrplan. Lehrer wie Willi Baumeister (Typographie und Werbegrafik) und Max Beckmann (Malerei) prägten die Schülergeneration.

Vorreiter im deutschen Wohnungsbau wurde der Frankfurter Baudezernent Ernst May (1886-1979), der nicht nur Reihenhaussiedlungen im Stil der Bauhaus-Zeit errichten ließ, sondern auch die Gestaltung des öffentlichen Raums plante. Der Nationalsozialismus bereitete dem "Neuen Frankfurt" den Garaus, wie Direktor Wagner K erläuterte. Ernst May und seine Mitarbeiter gingen in die Sowjetunion, wo mit der Fortsetzung ihrer Moderne bald Schluss war. Bleibenden Einfluss über die Epoche hinaus hatte etwa die Gestaltung der "Frankfurter Küche" von Margarete Schütte-Lihotzky (1897-2000). Beispiele in 360-Grad-Panorama-Aufnahmen bilden den Schluss der Schau.



EKD-Kulturbeauftragter entschuldigt sich bei Menasse


Johann Hinrich Claussen
epd-bild/Norbert Neetz

Wegen seiner scharfen Kritik an Robert Menasse hat sich der evangelische Kulturbeauftragte Johann Hinrich Claussen bei dem Schriftsteller und dessen Familie entschuldigt. Er habe sich über Menasses Erklärungen in der Zeitung "Die Welt" geärgert und zu schnell und zu scharf reagiert, sagte Claussen am 15. Januar dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Eva Menasse, die Schwester des österreichischen Autors, hatte ihren Bruder in der "Süddeutschen Zeitung" verteidigt und dabei auch Claussens Vorwurf des "Holo-Kitsch" zurückgewiesen. Claussen nahm nach eigenen Angaben daraufhin Kontakt zu ihr auf. Seine Entschuldigung sei angenommen worden, sagte Claussen.

Hallstein-Zitate

Auf seinem Blog "Kulturbeutel" bei "chrismon.de" schreibt der Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), er habe mit seiner Kritik an Menasse eigentlich deutlich machen wollen, dass Vertreter der liberalen und europäischen Idee, zu denen er sich selbst zähle, sich gerade angesichts von Rechtspopulismus und -extremismus um größtmögliche Präzision in ihren geschichts- und ideenpolitischen Argumentationen bemühen sollten. Das sei ihm offenkundig selbst nicht gelungen, räumte Claussen ein.

Robert Menasse war Anfang Januar öffentlich in die Kritik geraten, weil er fälschlicherweise behauptet hatte, Walter Hallstein (1901-1982) habe seine Antrittsrede als erster europäischer Kommissionschef in Auschwitz gehalten. In Reden und Diskussionen hatte Menasse Hallstein zudem Zitate in den Mund gelegt, die so nicht gesagt worden waren. Menasse ist Autor des Brüssel-Romans "Die Hauptstadt" und engagiert sich in politischen Essays für die europapolitische Idee.

Einige Kulturbeauftragte evangelischer Landeskirchen widersprachen Claussens Äußerungen zu Menasse in einem Offenen Brief. Sie argumentieren allerdings ausschließlich mit dem Brüssel-Roman, in dem es ebenfalls um Auschwitz und die Gründung der EU-Kommission geht, und nennen das Werk das "Gegenteil von 'Holo-Kitsch'", sondern "eine erschütternd wahre Erfahrung, die Menasse verdichtet". Claussen und seine Kollegen wollen sich über den Fall Menasse und über weitere Fragen wie die nach dem Verhältnis nationaler und europäischer Idee oder nach der zukünftigen Erinnerungskultur bei einem Treffen voraussichtlich im Mai austauschen.



Magische Ausnahmekünstlerin: Angela Winkler wird 75

Gestalt von unendlichem Zauber, irrlichternd magisch, souverän und frei: Die Kritiker schwärmen von Angela Winkler, die am 22. Januar 75 wird. Sie ist ein gefeierter Theaterstar, aber berühmt machte sie das Kino.

Mit zwei Filmen von Volker Schlöndorff wurde Angela Winkler in den 70er Jahren zum Star: "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" und "Die Blechtrommel". Doch wer die Schauspielerin in den vergangenen zehn, zwanzig Jahren kennengelernt hat, für den ist sie vor allem eine große Bühnendarstellerin - obwohl sie weiterhin TV-Filme und gelegentlich einen "Tatort" dreht.

Im Theater berühmt und populär gemacht hat sie ihr Auftritt als Spelunken-Jenny in der "Dreigroschenoper" im Berliner Ensemble, die Premiere war 2007. Die 300. Aufführung der Inszenierung des amerikanischen Bühnenzauberers Robert Wilson fand am 28. Dezember 2018 statt. Auch wenn Theater bei so langen Laufzeiten eine Zweitbesetzung haben, ließ sich Angela Winkler diesen Jubiläumsabend kurz vor ihrem 75. Geburtstag am 22. Januar natürlich nicht entgehen.

Die "Dreigroschenoper" in der Wilson-Inszenierung bekam 2007 nicht nur Lob, die Kritiken schwankten in ihrem Urteil zwischen Künstlichkeit und Kunst. Einig waren sich die Rezensenten aber über Angela Winkler: Sie zeige, "wie Jenny von Liebe und Hass auf Macheath förmlich zerrissen wird" (Nachtkritik). "Allein Winklers Auftritt ist genial", urteilte die "Die Welt". "Der Standard" (Wien) schrieb: "Sie erhebt sich über die formalen Wilson'schen Konturen und formt eine Gestalt von unendlichem Zauber."

"Kraftzentrum der Inszenierung"

Eine zweite bedeutende Rolle hat die Schauspielerin, die 1944 in Templin in der Uckermark geboren wurde, zurzeit als Irina in Tschechows "Drei Schwestern" am Deutschen Theater in Berlin. Die Premiere war im November 2018. "Diese irrlichternd magische, unzähmbar eigensinnige, souverän freie Ausnahmekünstlerin … ist das Kraftzentrum dieser Inszenierung", urteilte die "Frankfurter Allgemeine Zeitung".

Dass die junge Angela Winkler 1975 die Hauptrolle in Schlöndorffs Böll-Verfilmung "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" bekam, war nicht selbstverständlich. Heinrich Böll selbst hatte den Regisseur auf sie aufmerksam gemacht. Nach den Probeaufnahmen sagte Schlöndorff: "Ihr leiser Tonfall, ihr kindlicher Ernst wirkten überzeugend. Kein Satz würde bei ihr ideologisch klingen, die Tat selbst würde nicht vorsätzlich wirken." So hat sie die heikle Rolle gespielt: Sie erschießt den Skandaljournalisten einer Boulevardzeitung, der sie als Terroristenbraut diffamiert hatte. 1976 erhielt Winkler dafür den Deutschen Filmpreis.

1979 spielte sie - wieder bei Schlöndorff - in "Die Blechtrommel" Agnes, die Mutter des kleinen Oscar Matzerath, dargestellt von David Bennent. Agnes liebt den Polen Jan Bronski. Die große Liebesszene zwischen ihnen nannte der französische Regisseur Louis Malle "die so ziemlich sinnlichste Bettszene, die ich je gesehen habe". In diesen Jahren liefen Winklers Film- und Theaterkarrieren nebeneinander her. Sie drehte "Jagdszenen aus Niederbayern", "Danton" von Andrzej Wajda oder "Benny's Video" von Michael Haneke.

Orangen ins Publikum

Aber das Theater dominierte, zuerst bis 1978 an der Schaubühne, danach freiberuflich - so konnte sie Theater und Familie vereinen. Angela Winkler lebt bis heute mit dem Bildhauer Wigand Witting zusammen, meist auf dem Land. Sie ist Mutter von vier Kindern. Ihre Tochter Nele wurde mit dem Down-Syndrom geboren, ist theaterbesessen wie ihre Mutter, spielt im Theater RambaZamba, in dem Behinderte und Nichtbehinderte zusammen auftreten.

Angela Winkler hat ab den 80er Jahren mit großen Regisseuren zusammengearbeitet, vor allem mit Klaus Michael Grüber und Peter Zadek. Bei ihm hat sie vor allem Tschechow-Rollen gespielt ("Iwanow", "Kirschgarten").

Unvergesslich war ihr Auftritt 1981 an der Freien Volksbühne in Berlin in Pirandellos "Sechs Personen suchen einen Autor", Regie führte Grüber. Sie war die Stieftochter der Familie, die für ihr Schicksal einen Autor sucht. Aber die Berliner Premierenbesucher ertrugen die manchmal anstrengende Inszenierung schwer, wurden unruhig. Angela Winkler wollte die Ruhestörung nicht dulden: Kurzerhand griff sie einige Orangen, die als Requisiten auf dem Tisch lagen, und schleuderte sie ins Publikum.

Wilhelm Roth (epd)


"Das melancholische Mädchen" gewinnt Ophüls-Filmpreis

Mehr Vielfalt, kein Neid und den Film neu erfinden: Das 40. Filmfestival Max Ophüls Preis drängt junge Filmemacher zu Veränderungen. Der Hauptpreis geht an "Das melancholische Mädchen" von Susanne Heinrich.

Zwei Preise für eine bewegte Gewinnerin und leise Kritik am jungen Film: Die Regisseurin Susanne Heinrich hat mit ihrem ersten abendfüllenden Spielfilm "Das melancholische Mädchen" den mit 36.000 Euro dotierten Max Ophüls Preis gewonnen. Beim 40. Filmfestival Max Ophüls Preis bekam die 33-Jährige am 19. Januar in Saarbrücken auch den mit 2.500 Euro dotierten Preis der ökumenischen Jury. Der Abend gehe ihr nah, sagte Heinrich: Am Tag ihrer Ehrung musste sie zuvor eine gute Freundin beerdigen.

"Das melancholische Mädchen" erzähle in elegantem Ton sowie präzisen Worten die Odyssee einer jungen Frau im postmodernen Kultur- und Identitätsüberfluss, begründete Jurymitglied Mechthild Holter die Entscheidung. "Mit ironischer Genauigkeit und humoriger Schlagfertigkeit trifft der Film in seiner Übersetzung feministischer Theorien pausenlos den Nagel auf den Kopf." Insgesamt traten 62 Filme seit 15. Januar in den Wettbewerben an, davon konkurrierten 16 in der Kategorie Spielfilm.

Appell für mehr Vielfalt bei Figuren und Machern

Zum Ökumene-Preis sagte Heinrich, sie sei eine evangelische Pfarrerstochter und habe "lange versucht, mich davon zu emanzipieren". Offenbar habe sich aber ihr Prediger-Gen durchgesetzt, auch wenn sie eher feministische Kapitalismuskritik predige. An ihre Nachwuchskollegen appellierte Heinrich, den Film neu zu erfinden. Noch gebe es zu viele weiße und privilegierte Menschen im Filmgeschäft.

Ähnlich äußerte sich Schauspieler Jerry Hoffmann: Es brauche mehr Diversität bei Figuren und Filmteams. Es sei ein Problem, wenn nicht einmal mehr beim Nachwuchs Vielfalt vorhanden sei, sagte das Mitglied der Jury für den Kurzfilm und den mittellangen Film.

Til Schweiger ruft zu mehr Geschlossenheit auf

Ex-Preisträger Til Schweiger warnte die jungen Filmemacher vor Neid gegenüber anderen, alle sollten einander unterstützen. Die jetzige Schauspielergeneration sei breitgefächert und deswegen gebe es große Konkurrenz. "Wenn ihr anderen Menschen helft, helfen sie euch", betonte er.

Schweiger half bei der Vergabe der mit jeweils 3.000 Euro dotierten Preise für den Schauspielnachwuchs. Sie gingen an Simon Frühwirth für seine Rolle in "Nevrland" und Joy Alphonsus für ihre Schauspielkunst in "Joy". Frühwirth spiele sehr überlegt und mit Ruhe, er lasse den Zuschauer am persönlichen Schicksal der Figur teilhaben, sagte Juror Friedrich Mücke. Alphonsus schaffe es, in ihrer Rolle als junge nigerianische Prostituierte mit resolutem, aber unaufgeregtem Spiel die Abgründe ihres Konflikts darzustellen.

Neuer Publikumpreis Dokumentarfilm für "Congo Calling"

Erstmals wurde der Publikumpreis Dokumentarfilm vergeben. Regisseur und Ophüls-Preisträger Arash T. Riahi überreichte die mit 5.000 Euro dotierte Auszeichnung an Stephan Hilpert für seinen Film "Congo Calling", der sich kritisch mit der westlichen Entwicklungspolitik auseinandersetzt. Riahi betonte, in Zeiten von Fake-News seien unabhängig Dokumentarfilmer besonders wichtig: "Es gibt so viele Realitäten, aber trotzdem Fakten und Wahrheit."

Den mit 7.500 Euro versehenen Dokumentarfilmpreis erhielt Regisseurin Illa Willinger für "Hi, A.I." über die aktuellen Entwicklungen der künstlichen Intelligenz bei Robotern. "Gleichermaßen distanziert wie traumhaft erzählt der Film in klaren, tableauhaft komponierten Bildern", sagte Jurorin Natascha Cartolaro. "Der Film zeichnet ambivalente Visionen, lädt aber dennoch zu einem spielerisch empathischen Blick ein, der einen auch immer wieder schmunzeln lässt."

Der Max Ophüls Preis zählt zu den bedeutendsten Auszeichnungen für Nachwuchsfilmer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Benannt ist das Festival nach dem in Saarbrücken geborenen Regisseur Max Ophüls (1902-1957). Von Montag bis Sonntag waren über 150 Filme zu sehen. Festivalleiterin Svenja Böttger rief die Filmemacher auf, auch für die kommenden Ausgaben für Überraschungen zu sorgen. Das nächste Filmfestival findet vom 20. bis 26. Januar 2020 statt.

Marc Patzwald (epd)


Youtube-Produktionen erstmals für Grimme-Preis nominiert

Erstmals können sich in diesem Jahr zwei Youtube-Produktionen Hoffnungen auf den Grimme-Preis machen. Nicht nominiert wurden hingegen Serien von Amazon und Netflix. Wie gewohnt wurde auch Satiriker Jan Böhmermann für den Fernsehpreis vorgeschlagen.

Für den Grimme-Preis sind in diesem Jahr 70 Produktionen und Eigenleistungen nominiert. Zum ersten Mal finden sich Produktionen des Bezahlangebots Youtube Premium auf der Liste, wie das Grimme-Institut am 17. Januar in Marl mitteilte. In der Kategorie "Kinder & Jugend" wurde "LeFloid vs. The World" (Studio71 für Youtube) ausgewählt, die Kommission "Unterhaltung" erachtete die Produktion "Neuland" (Brainpool für Youtube) für preiswürdig.

Unter den in der Kategorie "Fiktion" nominierten fünf Serien finden sich gleich drei Produktionen von Pay-TV-Sendern: "Arthurs Gesetz" (Goodfriends Filmproduktion für TNT Comedy), "Hackerville" (Ufa Fiction/Mobra Films für TNT Serie) sowie "Das Boot" (Bavaria Fiction, Sky/Sonar Entertainment für Sky). Ebenfalls nominiert wurden die ZDF-Serien "Bad Banks" (Letterbox Filmproduktion/Iris Productions) sowie "Die Protokollantin" (Moovie). Zu den nominierten Fernsehfilmen gehört etwa der Zweiteiler "Gladbeck".

Serien der Streamingdienste Amazon Prime Video und Netflix wurden nicht nominiert - sie hatten im vergangenen Jahr mit "Beat" und "Dogs of Berlin" ihre jeweils zweite deutsche Eigenproduktion vorgelegt.

Die Kunst des Serienendes

Für die Kunst, eine Serie zu beenden, nominierte die Kommission Drehbuchautorin Mizzi Meyer, Regisseur Arne Feldhusen und Hauptdarsteller Bjarne Mädel für die finale Folge des "Tatortreinigers" (NDR). Die Kultreihe war Ende vergangenen Jahres überraschend eingestellt worden.

Ein bereits 2017 festgestellter "negativer Trend" im Unterhaltungsfernsehen setzte sich nach Angaben des Grimme-Instituts fort und zeigte sich daran, dass es statt der 19 möglichen Nominierungen in diesem Jahr nur elf auf die Vorschlagsliste geschafft hätten. Zu den Nominierten in dieser Kategorie zählen etwa die NDR-Satire-Show "Extra 3" und das Team der Spezialsendung "Lass dich überwachen! Die Prism is a Dancer Show" von Jan Böhmermann (btf für ZDFneo).

Eine Spezialnominierung ging an das Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld "und dessen Maestro Böhmermann" aus dem "Neo Magazin Royale" (btf für ZDFneo) für "ihren besonderen Beitrag zur musikalischen Fernsehkultur". Satiriker Böhmermann zählte bei den vergangenen drei Preisverleihungen stets zu den Gewinnern.

Für besondere journalistische Leistung in der Kategorie "Information & Kultur" wählte die zuständige Kommission die Journalistinnen und Journalisten von "Tagesthemen", "Weltspiegel" und "Monitor" aus. Eine Spezialnominierung erhielt das Team von "Docupy" für den Dreiteiler "Die Story: Ungleichland - Reichtum, Chancen, Macht" und das dazugehörige Online-Konzept (btf für WDR). Zu den nominierten Dokumentarfilmen gehört "Kulenkampffs Schuhe" (Zero One Film für SWR und HR). Der Film über die Nachkriegszeit wurde vom SWR wenige Wochen nach seiner Erstausstrahlung wegen des großen Zuschauerinteresses noch einmal gezeigt.

Verleihung am 5. April

In der Kategorie "Kinder & Jugend" gab es zehn Nominierungen - davon allein fünf für Funk, das junge Online-Angebot von ARD und ZDF. Auch in diesem Bereich schöpfte die zuständige Kommission die Höchstzahl an möglichen Nominierungen nicht aus und forderte von den Verantwortlichen eine bessere "Zielgruppenansprache" sowie "mehr Authentizität und Gelassenheit".

Mit der Auswahl von zehn Formaten von Privatsendern habe es für diese eine Nominierung mehr gegeben als im vergangenen Jahr, erklärte das Grimme-Institut. Insgesamt sichteten die vier Auswahl-Kommissionen mehr als 850 Einreichungen.

Nun tagen die Grimme-Jurys, die Preisträger werden am 26. Februar bekanntgegeben. Die Auszeichnungen werden am 5. April im Theater Marl verliehen. Der undotierte Preis wird in diesem Jahr zum 55. Mal vergeben und gilt als wichtigster deutscher Fernsehpreis. Gesellschafter des Grimme-Instituts sind der Deutsche Volkshochschul-Verband, der WDR, das ZDF, die Film- und Medienstiftung NRW, die Landesanstalt für Medien NRW, die Stadt Marl und das Land Nordrhein-Westfalen.



"Ohne Mutter Beimer ist der Sonntag im Eimer"

Schock, Frust, Trotz und am Ende ein Tanz: Fans aus ganz Deutschland protestieren in Köln gegen das geplante Aus für die ARD-Kultserie "Lindenstraße" - seit Jahrzehnten ein Spiegelbild der deutschen Gesellschaft und vieler Biografien.

Auf der Kölner Domplatte mischt sich Augenzwinkern mit bitterem Ernst. "Wir sind schockiert", fasst Jörg Flöttl aus Nürnberg die Stimmung zusammen und spricht damit allen aus der Seele. Die "Lindenstraße" soll abgesetzt werden. Rund 500 Anhänger der ARD-Serie sind am 19. Januar nach Köln gekommen, um dagegen zu demonstrieren. Flöttl ist Mitorganisator der Demo, am Tag zuvor war sein Geburtstag. Ein Ständchen der "Lindenstraßen"-Fans ist ihm sicher.

Kalt ist es auf der zugigen Fläche vor dem Dom, als Flöttl die Demonstranten begrüßt. Natürlich läuft zum Auftakt die Erkennungsmelodie der Serie. Sie endet ein wenig abrupt, vielleicht ein Zeichen: Auch die Einstellung der Serie war nicht vorauszusehen. Und der Schock bei den Fans sitzt tief. "Ohne Mutter Beimer ist der Sonntag im Eimer", "Hansemann, Du bleibst hier", "Kult kennt keine Quote" und "Einer für alle, alle für Beimer" ist auf Schildern zu lesen.

Flöttl spricht auf der Bühne im Schatten des Doms von eine "absoluten Fehlentscheidung der Programmveranwortlichen" und bittet das Publikum um Wortmeldungen. André Weber aus Köln hat vor Jahren einen "Lindenstraßen"-Fanclub gegründet. Er ist erschüttert. "Ich habe mit 13 Jahren die Ausstrahlung der ersten Folge gesehen, ich war oft in den Kulissen in Bocklemünd", sagt er. "Und ich durfte sogar mal als Komparse mitspielen. Und noch nicht mal das hat mich entzaubert." Die Schauspieler seien für ihn wie Familienangehörige.

"Zensur"

Stummes Nicken in der Zuhörerschaft: Den meisten geht es ähnlich. Die "Lindenstraße" sei keine Hochglanzserie, aber ein Zeitdokument, sagt Weber. Immer wieder habe die Serie Tabuthemen aufgegriffen und sei dabei mit der Zeit gegangen: "Die 'Lindenstraße' ist und bleibt modern." Zwar sei die Serie für die Sender "keine Goldgrube", aber man müsse auch sozial denken: "Die 'Lindenstraße' macht Millionen Menschen glücklich. Kult kommt niemals aus der Mode."

Nach diesem flammenden Plädoyer ist Zeit für eine Pause. Musik, natürlich ein Lied über die Serie: "Alter Muff und doch immer neu. Lindenstraße, wir bleiben Dir treu." Für den Hoffnungsschimmer unter strahlend blauem Himmel zeichnet Frank Börner verantwortlich. Der SPD-Landtagsabgeordnete aus Duisburg ist "Lindenstraßen"-Fan und wie alle anderen total entsetzt. "Es ist unfassbar, was da beschlossen wurde", sagt er und verspricht: "Ich werde dafür sorgen, dass die Absetzung der Serie nochmal im Rundfunkrat diskutiert wird."

Börner war selbst mal Komparse und die Serie nahm auch sonst immer wieder Einfluss auf sein Leben: "Wenn es in der 'Lindenstraße' geregnet hat, habe ich in meiner Wohnung geguckt, ob alle Fenster zu sind." Börner hält die Absetzung für eine "Form von Zensur". Es gebe in der ARD wohl Leute, die beispielsweise Schwule, Lesben und Transgender nicht am Sonntagabend im Fernsehen sehen wollten. "Schreibt Facebook voll", rät der Politiker den anderen Demonstranten.

Als Gründe für die Einstellung der Serie im März 2020 nach fast 35 Jahren nannte die ARD sinkende Quoten und zu hohe Kosten. Barbara aus Köln ist "erst" vor 20 Jahren zur Fan-Gemeinde gestoßen. Sie erntet dafür ein nicht ernst gemeintes "Buh" von den Fans der ersten Stunde. "Ich habe mir dann die Folgen aus den ersten 15 Jahren auf DVD besorgt", berichtet sie unter dem Jubel der anderen.

"Ich bin Lindenstraße"

Immerhin schauten sich noch immer jeden Sonntag zwei Millionen Menschen die "Lindenstraße" an, sagt Barbara. "Die zahlen ja auch alle GEZ-Gebühren." Ihre Rede schließt sie mit: "Ja, ich bin Lindenstraße." Aus den Boxen dröhnt "Queen". Welches Lied könnte an diesem Tag besser passen als "The show must go on"?

Ein Demonstrantin arbeitet seit über zwei Jahrzehnten als Cutterin im Team des "Lindenstraße"-Produzenten Hans W. Geißendörfer. "Wir wurden im November mit den Schauspielern zu einer Teambesprechung gerufen", erzählt sie. "Dann wurde uns verkündet, dass Schluss ist. Es war für alle furchtbar. Niemand hatte das erwartet." Sie glaubt Gerüchten nicht, dass die Serie bei einem anderen Sender weitergehe: "Das passt doch nicht zu den Privaten."

Petra Mamissu aus Berlin hält die "Lindenstraße" noch immer für gesellschaftlich relevant: "Dort wurden über 30 Jahre lang Werte wie Mut, Toleranz und Solidarität verbreitet." Auch bei ihr nahm die Serie Einfluss auf das Privatleben: "Sogar meine Liebhaber mussten sich an die 'Lindenstraße' gewöhnen." Dann sind alle endgültig durchgefroren und Flöttl bittet zum Tanz. Gespielt wird der "Lindenstraßen"-Walzer, der immer in der Silvester-Folge getanzt wurde. Die Serienmelodie im Dreivierteltakt.

Von Stefan Rahmann (epd)


Auf eine Stulle ins Museum


Mittagsführung in der Bundeskunsthalle Bonn
epd-bild/Barbara Frommann
Berufstätigen fehlen oft Zeit und Muße für Ausstellungsbesuche. Immer mehr Museen bieten deshalb Speed-Führungen zu ungewöhnlichen Tageszeiten - dazu gibt es Snacks, Cocktails oder Clubmusik.

Ihre Mittagspause verbringt Sibylle Bliemel im Bonner Bundesversicherungsamt - oder aber im Museum. Denn hin und wieder legt die Beamtin mittags den zehnminütigen Fußweg von ihrem Büro zur Bundeskunsthalle zurück und gönnt sich eine "Kunstpause". Das ist eine halbstündige Mittags-Führung durch eine der Ausstellungen, die zweimal monatlich stattfindet. Dazu gibt es auf Wunsch ein Lunchpaket mit Sandwich und Kaffee. "Für mich ist das eine Erholung im Arbeitsalltag", sagt Bliemel. An diesem Mittwochmittag führt die Kunsthistorikerin Uschi Baetz durch die Ausstellung "Malerfürsten".

An wenigen ausgewählten Bildern verdeutlicht Baetz die Arbeitsweise und Vermarktungsstrategie von sieben Künstlern wie Franz von Lenbach, Hans Makart oder Franz von Stuck, die Ende des 19. Jahrhunderts gefeiert wurden. "Auch wenn es sehr kurz ist. Es ist ein gutes Kontrastprogramm zu meinem Job", sagt Bliemel, bevor sie sich wieder auf den Weg ins Büro macht.

Das sehen offenbar viele Mitarbeiter der Behörden und Unternehmen im Umkreis der Bundeskunsthalle ähnlich. Seit dem Start der "Kunstpause" vor vier Jahren hätten mehr als 2.700 Kunstinteressierte an den Schnellführungen teilgenommen, sagt Bundeskunsthallen-Sprecher Sven Bergmann.

"Knappe Ressource Zeit"

Die Bundeskunsthalle liegt mit ihrem Angebot im Trend. Immer mehr Museen werben mit speziellen Angeboten um die Gruppe der Berufstätigen. Der Grund: Menschen im Alter zwischen 35 und 45 seien im Museum unterrepräsentiert, sagt Simone Mergen, Sprecherin des Arbeitskreises Bildung und Vermittlung im Deutschen Museumsbund. "Die Museen reagieren mit Angeboten für Berufstätige vor allem auf deren knappe Ressource Zeit." Manche Häuser bieten deshalb auch kurze Betrachtungen eines einzigen Werkes an. So zum Beispiel die Hamburger Kunsthalle, die jeden Mittwoch zur halbstündigen "Mittagspause" lädt.

Noch öfter bemühen sich Museen, Berufstätigen nach Feierabend einen Ausstellungsbesuch schmackhaft zu machen. Die Museumsleute wissen: Wer aus dem Büro kommt, will Entspannung und hat Durst oder Hunger. Immer mehr Kunsttempel stellen sich darauf ein und bieten lockere Unterhaltung sowie Essen und Getränke. Die Kunsthalle Hamburg lockt zum Beispiel einmal im Monat Berufstätige nach Feierabend mit kostenlosen Butterbroten auf die Hand. "Die hole ich selbst bei einem kleinen Kiosk am Jungfernstieg ab - sehr lecker", wirbt die Kunsthistorikerin Rena Wiekhorst. Sie bietet "kurze, knackige Führungen" unter dem Motto "Kunst & Stulle".

Im Kunstmuseum Wolfsburg sollen den Besuchern hingegen Süßigkeiten über das abendliche Konditions-Tief hinweghelfen. "Unsere Candy-Bar hat sich als absoluter Renner entwickelt", sagt Museums-Sprecherin Christiane Heuwinkel. Bei "Art after Work" bekommen die Besucher einen Prosecco und dürfen sich Süßigkeiten und Salzgebäck in einem Tütchen zusammenstellen. "Viele unserer Besucher sind VW-Mitarbeiter. Wir wissen, dass die oft schon einen langen Tag hinter sich haben", sagt Heuwinkel. Deshalb bietet das Haus unter dem Motto "Eat&Art" auch Abendführungen mit anschließendem Drei-Gänge-Menü im Museumsrestaurant an.

Cocktails und Matisse

In der Staatsgalerie Stuttgart werden stattdessen Cocktails serviert. Bei "Staatsgalerie after work" gibt es alle zwei Monate eine Feierabend-Führung durch die Sammlung, zu deren Highlights Werke von Künstlern wie Pablo Picasso, Henri Matisse oder Oskar Schlemmer zählen. Dabei gehe es bewusst unkonventionell zu, sagt Anette Frankenberger von der Staatsgalerie. "Die Besucher sollen Gelegenheit haben, sich bei einem Cocktail mit den Kunstvermittlern zu unterhalten." Auf Drinks und eine lockere Atmosphäre mit Musik setzt auch die Kunsthalle München, die einmal im Monat spezielle "Afterwork-Führungen" anbietet.

Eine begehrte Zielgruppe sind für die Museen vor allem jüngere Berufstätige, von denen viele schwer zu einem Ausstellungsbesuch zu animieren sind. "Da muss schon der Genuss-Faktor dazu kommen", weiß Bundeskunsthallen-Sprecher Bergmann. Einmal im Monat macht die Bundeskunsthalle ihr Foyer deshalb zur Lounge. Bei der "Wednesday Late Art" lassen 250 bis 1.000 Besucher den Tag bei Musik von einem DJ und Drinks ausklingen. Dazu gibt es Speed-Führungen durch die Ausstellungen des Hauses.

Zur Party-Location wird auch die Kunsthalle München anlässlich jeder großen Wechselausstellung. Bei der regelmäßigen Veranstaltung "Re-Act! Harry Klein goes Kunsthalle" können die Besucher bis 23 Uhr Kunst anschauen und bis Mitternacht tanzen. Auch Frankfurter Museen bieten regelmäßig Veranstaltungen für Nachtschwärmer. Bei "Schirn at Night" orientieren sich die Partys thematisch an den jeweiligen Ausstellungen. Das Konzept der "Städel Nächte" ist ganz ähnlich. Hier können sich die Besucher bis tief in die Nacht an DJ-Sounds und Kunst berauschen.

Claudia Rometsch (epd)


Rheinische Kirche präsentiert Wanderausstellung "und...Licht"

Die Evangelische Kirche im Rheinland hat am 18. Januar in Saarbrücken eine Wanderausstellung unter dem Titel "und...Licht" gestartet. Licht sei essenziell und existenziell für jeden Künstler, aber ohne Licht sei auch Leben, Glauben und Kirche nicht denkbar, erläuterte Kirchenrat Volker König die Motive der Schau. Erster Standort ist die Johanneskirche Saarbrücken. Dort ist die Ausstellung bis zum 17. März zu sehen. Danach wandert sie nach Trier, Mönchengladbach, Troisdorf, Essen, Krefeld und Düsseldorf.

Die Ausstellung ist den Angaben zufolge in Anlehnung an Bibelverse wie etwa "Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht" entstanden. Die ausstellenden Künstler sind Konstantinos Angelos Gavrias, Simone Prothmann, Siegfried Krüger, Diana Ramaekers, Christoph Dahlhausen, Vladimir Kuzmin und Ursula Molitor. Um ihre Installationen zu realisieren standen sie im ständigen Austausch und hatten zuvor auch einen Großteil der Räume besichtigt.

Austausch auf Instagram-Kanal

Krüger und Prothmann zeigen beispielsweise eine 30-minütige verlangsamte Projektion von Lichtreflexionen auf Wasserbewegungen an der Kirchendecke in Saarbrücken. Dahlhausen nutzt wiederum Fotofilter um mit einem Lichtprojektor "Stellare Verbindungen" an die Kirchenwand zu projizieren. Das sich leicht drehende Objekt könne für den Betrachter je nach Position auch wie eine Tänzerin oder auch mal wie eine Amöbe aussehen, erklärte er. Für ihn sei die Frage, ob das Objekt oder die Projektion gültig sei, in seinem Schaffen interessant.

Auf dem eigenen Instagram-Kanal @und_Licht werden den Angaben zufolge Momente der Wanderausstellung festgehalten. Der Kanal diene auch als Austauschplattform mit den Besuchern. Der jeweilige Standort bietet zudem ein Begleitprogramm wie etwa Konzerte an.

Kurator Holger Hagedorn betonte, dass ein Kirchenraum bereits ein Gesamtkunstwerk sei. Für die Künstler sei es eine besondere Aufgabe gewesen, sich aufeinander und auf die jeweils unterschiedlichen Räume zu beziehen. So spielten etwa die Lichtverhältnisse an den jeweiligen Standorten eine wichtige Rolle.



Neues Kunstforum Hermann Stenner in Bielefeld eröffnet

In Bielefeld ist am 20. Januar das neue Kunstforum Hermann Stenner eröffnet worden. Namengeber ist der Bielefelder Maler Stenner (1891-1914), ein Vertreter der klassischen Moderne, der im Alter von nur 23 Jahren als Soldat im Ersten Weltkrieg starb. Die Eröffnungsausstellung "Das Streben nach dem ganz großen Etwas in der Kunst" präsentiert bis 10. Juni einen Ausschnitt aus dem Werk des Künstlers, der fast 300 Gemälde und 1.700 Arbeiten auf Papier hinterlassen hat. Die Bandbreite Stenners reicht nach Museumsangaben vom späten Impressionismus über den farbgewaltigen Expressionismus bis hin zur Abstraktion.

Künstlerfreunde Willi Baumeister und Oskar Schlemmer

Stenners Bilder werden in Zusammenhang mit Zeitgenossen wie Conrad Felixmüller (1897-1977) sowie mit seinen Künstlerfreunden Willi Baumeister (1899-1955) und Oskar Schlemmer (1888-1943) präsentiert, um die überregionale Bedeutung des Malers zu verdeutlichen, wie es hieß. Auch Werke des Stuttgarter Kunstprofessors Adolf Hölzel (1853-1934), der Stenners Lehrer war, sind zu sehen.

Insgesamt werden rund 200 Exponate ausgestellt, vorwiegend Gemälde, aber auch Kunsthandwerk und historische Dokumente. Den "Grundstock" für das des neuen Museums bildet den Angaben zufolge die Sammlung Bunte, die unter anderem 450 Arbeiten von Stenner enthält. Der Hamburger Rechtswissenschaftler Hermann-Josef Bunte stellt sie dauerhaft dem Kunstforum zur Verfügung.

Im Gegensatz zu August Macke (1887-1914), der auch im Ersten Weltkrieg gestorben ist, gehört Hermann Stenner heute zu den wenig bekannten Künstlern der deutschen Moderne. Der Sohn eines Malermeisters studierte nach dem Besuch der Malschulen Knirr in München und von Hayek in Dachau ab 1910 an der Stuttgarter Kunstakademie. Der junge Maler beteiligte sich an zahlreichen Ausstellungen etwa in München, Wien, Berlin und Dresden.

Für die Haupthalle der Kölner Werkbund-Ausstellung gestaltete Stenner mit Schlemmer und Baumeister 1914 monumentale Bilder mit Szenen aus Sagen und Heiligenlegenden. Nach Beginn des Ersten Weltkriegs meldete sich der Künstler im August 1914 zum Kriegsdienst und starb im Dezember darauf an der Ostfront bei Warschau.

Das Kunstforum Stenner am Rande der Bielefelder Altstadt ist in einer ehemaligen Direktoren-Villa untergebracht, zuvor hatte dort die Handwerkskammer Ostwestfalen-Lippe ihren Sitz. Die Goldbeck Stiftung erwarb das Gebäude und ließ es zum Kunsthaus mit einer Ausstellungsfläche von rund 530 Quadratmetern erweitern. Die Gesamtkosten belaufen sich den Angaben zufolge auf über zwölf Millionen Euro. Geschäftführerin der Betriebsgesellschaft Kunstforum Hermann Stenner wird zum 1. April Christiane Heuwinkel, frühere Pressesprecherin der Kunsthalle Bielefeld.



Kirchliches Filmfestival Recklinghausen feiert zehnten Geburtstag

Das Kirchliche Filmfestival Recklinghausen feiert in diesem Jahr sein zehnjähriges Bestehen und präsentiert deshalb einige Neuerungen. So wird erstmals ein Sonderpreis für das Lebenswerk eines Filmschaffenden verliehen, der einen besonderen Beitrag für Menschlichkeit, Mitleiden, Ethik, Gerechtigkeit und Solidarität geleistet hat, wie das Bistum Münster am 18. Januar mitteilte. Weitere Premieren sind ein ökumenischer Filmgottesdienst zum Auftakt des Festivals und die Kooperation mit einem Jugendtreff sowie zwei Schulen. Zudem präsentiert sich das Festival in einem neuen Outfit. Anfang März wird das Programm bekanntgegeben.

Auch in diesem Jahr kürt das Festival überdies einen Film mit dem Ökumenischen Preis des Kirchlichen Filmfestivals Recklinghausen. Der Preis ist mit 2.000 Euro und einem Olivenbäumchen dotiert und wird vom Bistum Münster sowie der Stiftung "Protestantismus, Bildung und Kultur" des Evangelischen Erwachsenenbildungswerkes Westfalen und Lippe gestiftet und vergeben. Außerdem wird ein Film mit einem Kinder- und Jugendfilmpreis gewürdigt.

Das Filmfestival ist den Angaben zufolge europaweit einzigartig und findet in diesem Jahr vom 20. bis 24. März statt. Ins Leben gerufen wurde es vom ökumenischen Arbeitskreis "Kirche und Kino" des katholischen Kreisdekanats Recklinghausen und des evangelischen Kirchenkreises Recklinghausen.

Seit seinem Start hat das Festival den Angaben zufolge rund 30.000 Besucher angelockt, die mehr als 100 Filme sehen konnten. Präsentiert wurden und werden dabei "Filme, die dazu herausfordern, sich mit ihnen und ihren Themen auseinanderzusetzen", sagte Julia Borries vom evangelischen Erwachsenenbildungswerk des Kirchenkreises. Dazu zählten Themen wie Zukunft der Arbeit, Migration oder Dialog der Kulturen und Religionen.



Programmbeschwerdeportal verzeichnet 2.122 Fälle

Das Portal Programmbeschwerde.de der Landesmedienanstalten hat im vergangenen Jahr mit 2.122 Beschwerden und Fragen zu Medieninhalten rund 1.000 mehr als im Vorjahr erhalten. Die Entwicklung des Portals spiegele die Wahrnehmung des Medienwandels aus der Sicht des Publikums, sagte der Direktor der zuständigen saarländischen Landesmedienanstalt, Uwe Conradt, am 15. Januar in Saarbrücken. Nutzer äußerten sich sowohl zu privaten Sendern und den öffentlich-rechtlichen Anstalten als auch zu Youtube oder Instagram.

Ein inhaltlicher Schwerpunkt lag den Angaben zufolge wie im Vorjahr beim Jugendschutz, insbesondere Erotik-Werbung und für Kinder überlastende Trailer im Tagesprogramm. Zudem hätten sich Fernsehzuschauer über zu lange Werbeblöcke und als aufdringlich empfundene Platzierungen beschwert.

Bei den Online-Inhalten sei es vor allem um nicht gekennzeichnete Werbung in Instagram-Profilen und Youtube-Kanälen gegangen, hieß es. "Hier ist teilweise ein erheblicher Rechercheaufwand notwendig, um die Anbieter zu identifizieren, damit in der Folge die zuständige Aufsicht informiert werden kann", sagte Conradt. Die saarländische Landesmedienanstalt werde weiter bei Plattformbetreibern Informations- und Auskunftspflichten einfordern und gegenüber Akteuren öffentlicher Kommunikation die Impressumspflicht durchsetzen.

Das Beschwerdeteam erhielt den Angaben zufolge insgesamt 500 Rückmeldungen zum Programm privater Fernsehsender und zum Privatradio, 196 zu Online-Inhalten bei Instagram und Youtube sowie 146 übergreifende Fragen. Beschwerden zu möglichen medienrechtlichen Verstößen seien an die zuständigen Landesmedienanstalten, Programmkritik an die Redaktionen der Sender gegangen.

Zur deutschen Rundfunksystem oder zu Programminhalten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks seien 1.101 Beschwerden eingegangen, hieß es. Letztere seien zu den Rundfunkanstalten weitergeleitet worden, da die Landesmedienanstalten nur für die Aufsicht über den privaten Rundfunk zuständig sind.



Initiative "Verfolgen statt nur Löschen" zieht positive Bilanz

Die nordrhein-westfälische Initiative gegen Hassreden im Internet, "Verfolgen statt nur Löschen", hat für das erste Jahr ihrer Arbeit eine positive Bilanz gezogen. Von Februar vergangenen Jahres bis heute seien 280 Anzeigen erstattet und 110 Strafverfahren eingeleitet worden, teilten das Düsseldorfer Justizministerium, die Landesanstalt für Medien NRW und die Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime (ZAC) am 16. Januar mit. Zudem hätten mit dem "Kölner Stadt-Anzeiger", dem "Express", dem Auslandssender Deutsche Welle und dem Verband der Internetwirtschaft, eco, weitere Mitglieder gewonnen werden können.

Die Landesanstalt für Medien hatte die Initiative 2017 mit ZAC, dem Landeskriminalamt NRW, der Polizei Köln und den Medienhäusern Mediengruppe RTL, "Rheinische Post" und WDR gegründet. Im Februar 2018 ging die Initiative an den operativen Start und soll auch in diesem Jahr fortgesetzt werden. Die beteiligten Medienhäuser können Hasskommentare direkt bei der ZAC NRW anzeigen, bei denen sie einen Verstoß gegen das Strafrecht vermuten.

Oberstaatsanwalt Markus Hartmann, Leiter der ZAC NRW, erklärte, die Bilanz zeige eindrucksvoll, dass durch die Vernetzung relevanter Ansprechpartner und die Etablierung effizienter Anzeigen-Prozesse die richtigen Werkzeuge entwickelt wurden, um dem Recht auch im Netz Geltung zu verschaffen. Mit der Initiative "Verfolgen statt nur Löschen" würden Mittel der Demokratie gegen Hass konsequent genutzt, erklärte der Direktor der Landesmedienanstalt, Tobias Schmid. Die Initiative leiste einen wichtigen Beitrag zur Rechtsdurchsetzung im Internet.



NRW will kulturelle Infrastruktur im ländlichen Raum stärken

Das Land Nordrhein-Westfalen will mit dem neuen Förderprogramm "Dritte Orte" die kulturelle Infrastruktur im ländlichen Raum stärken. Bestehende Kultur- und Bildungsangebote, die sich mit anderen Partnern vernetzen, weiterentwickeln und zu regionalen Anlaufpunkten werden wollen, können sich bis 30. April für die erste Förderphase bewerben, teilte das Düsseldorfer Kulturministerium am 15. Januar mit. Ingesamt 750.000 Euro stehen in Phase eins für die Konzeptentwicklung zur Verfügung. Die Umsetzung der ausgewählten Konzepte findet dann in einer zweiten Phase von 2021 bis 23 statt.

Es werde bewusst ein Fokus auf den ländlichen Raum gelegt, erläuterte der Parlamentarische Staatssekretär im Ministerium für Kultur und Wissenschaft, Klaus Kaiser. "Entscheidender Punkt der Dritten Orte ist die kluge Vernetzung der Einrichtungen, denn dank der Synergien kann das Potenzial der Kultur in den Regionen noch besser genutzt werden." Mit dem Begriff des Dritten Ortes seien nach dem Zuhause und dem Arbeitsort öffentliche Orte für Begegnung und Austausch gemeint.

Das neue Förderprogramm hat den Angaben nach eine Gesamtlaufzeit von 2019 bis 2023 und fördert kulturelle Einrichtungen in kommunaler oder freier Trägerschaft. Voraussetzung ist die Kooperation mit weiteren Einrichtungen, Vereinen oder Initiativen, um gemeinsam die Entwicklung eines Dritten Ortes für die Region voranzubringen. Die Förderphase zwei wird im weiteren Verlauf gesondert ausgeschrieben.




Entwicklung

Ein Stück Pressefreiheit


Äthiopiens Premierminister Abiy Ahmed (Archivbild)
epd-bild/Thomas Lohnes
Inhaftierte Journalisten werden freigelassen, Internetblockaden aufgehoben - nach jahrelanger Gängelung genießt die Presse in Äthiopien seit Monaten ungekannte Freiheiten. Doch kritischen Fragen stellt sich die Regierung immer noch nicht gern.

Wenn Joachim Hempel in den Straßen von Addis Abeba unterwegs ist, hört der Pfarrer der deutschen lutherischen Gemeinde immer häufiger einen Satz: Hast Du schon die Zeitung gelesen? "Das gab es früher nicht", sagt der emeritierte Domprediger, der Äthiopien und seine Hauptstadt seit 45 Jahren kennt. Unter Kaiser Haile Selassie, der Diktatur Mengistus und auch noch unter der bis heute regierenden EPRDF waren Zeitungen vor allem Verlautbarungsorgane der Herrschenden.

Unter einem 2009 beschlossenen Anti-Terrorgesetz wurden auch die letzten kritischen Zeitungen geschlossen, mehr als 250 Webseiten und Blogs gesperrt. Kritische Informationen gab es nur aus der Diaspora. Und wer sie hatte, behielt sie aus Angst vor Spitzeln oft für sich. "Heute sind die Menschen wieder offen im Gespräch, weil sie nicht das Gefühl haben, dass da noch einer mithört", beobachtet Hempel. "Und die Meinungsäußerungen sind längst zu vielfältig geworden, als dass ein Geheimdienst das alles aufnehmen könnte."

Kritische Medien kehren zurück

Das liegt an Abiy Ahmed. Der einstige Mitbegründer des Internetgeheimdienstes ist seit April Ministerpräsident. Seither hat er inhaftierte Journalisten freigelassen, Internetblockaden aufgehoben und kritische Medien zur Rückkehr nach Äthiopien bewegt.

"Wenn ich die Berichterstattung beobachte, dann sehe ich offene Kritik an jedermann, selbst am Ministerpräsidenten", stellt Muluneh Tolesa fest. Der 40-Jährige hat lange Zeit als Journalist gearbeitet, zuletzt als stellvertretender Chefredakteur der Regierungszeitung "Addis Zemen". "Das Kommunikationsministerium gab uns die Richtung vor, welche Themen wir behandeln sollten und welche nicht", sagt er. Spätestens als gut 30 prominente Journalisten nach einer Verhaftungswelle 2014 ins Ausland flohen, hätten sich die verbleibenden auf Selbstzensur verlegt. Tolesa hielt das schließlich nicht mehr aus. Er hing seinen sicheren Job an den Nagel und wurde Sprecher der Nichtregierungsorganisation "Menschen für Menschen" in Äthiopien.

Schneller Wandel in Äthiopiens Medienlandschaft

Dass die neuen Freiheiten seiner alten Kollegen jetzt noch einmal rückgängig gemacht werden können, glaubt er nicht. "Nehmen wir das äthiopische Staatsfernsehen: Das wurde von der Opposition immer besonders kritisiert, weil es absolut auf Seite der Regierung stand", erklärt Tolesa. Selbst wenn Oppositionelle dort einmal zu Wort gekommen seien, habe man ihre Äußerungen im Sinne der Regierung zurechtgeschnitten. "Heute sitzt Merera Gudina im Aufsichtsrat des Senders, ein Oppositioneller, der als Terrorist in Haft saß und erst im Januar freigelassen wurde."

Der Wandel in Äthiopiens Medienlandschaft geht so schnell, dass Organisationen wie "Reporter ohne Grenzen" gar nicht mitkommen. Auf ihrem Index für die Pressefreiheit steht Äthiopien noch auf Platz 150. Dennoch sei die Veränderung unübersehbar, sagen auch die Presseschützer. "Die neue äthiopische Regierung scheint entschlossen zu sein, nach Jahren der Verfolgung von Journalisten den Kurs zu wechseln", erklärte der Afrika-Experte Arnaud Froger bereits Ende Juni.

Falschmeldungen und Hetze ungestört empfangbar

Lange blockierte Fernsehsender wie das äthiopische Satellitenfernsehen ESAT oder die Programme des Oromo Mediennetzwerks (OMN) sind ungestört empfangbar, auch wenn Kritiker OMN-Chef Dschawar Mohammed Falschmeldungen und Hetze vorwerfen. "Man kann sagen: Dschawar und seine Netzwerke arbeiten proaktiv daran, dass alles, was mit dem Staat zu tun hat, geschwächt wird", urteilt Constantin Grund, der Chef der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Äthiopien. "Dagegen wird alles, was mit den Oromo als Ethnie oder Region zu tun hat, verstärkt." An einem konstruktiven Dialog sei der Separatistenfürsprecher nicht interessiert.

Das kann nach hinten ausschlagen: "So etwas kann man dulden, solange die Zustimmungswerte für Abiy sehr hoch sind, aber wenn sich das ändert und nach Verantwortlichen dafür gesucht wird, ist Dschawar die erste Adresse", sagt Grund.

Keine volle Pressefreiheit

Zudem ist Äthiopien trotz allem von voller Pressefreiheit noch weit entfernt. Abiys Regierung verkündet am liebsten frohe Botschaften, Spindoctor auf Twitter ist Stabschef Fitsum Arega. Direkt stellt Abiy sich seinen Kritikern dagegen ungern. Seit April hat er nur eine einzige Pressekonferenz gegeben.

Lackmustest für die neue Pressefreiheit dürften die Wahlen 2020 sein. "Ich habe von drei Wahlen berichtet, und keine davon war demokratisch", erinnert sich Tolesa. Wenn die Berichterstattung diesmal wirklich frei sei, werde sich das ändern, hofft der frühere Journalist.

Marc Engelhardt (epd)


Strafgerichtshof spricht Ex-Präsidenten der Elfenbeinküste frei

Der frühere Präsident der Elfenbeinküste, Laurent Gbagbo, kommt frei: Der Internationale Strafgerichtshof sprach den 73-Jährigen und einen Vertrauten nach der Hälfte des Prozesses frei. Ein Rückschlag für das Gericht.

Der Internationale Strafgerichtshof hat den früheren Präsidenten der Elfenbeinküste, Laurent Gbagbo, in allen Anklagepunkten freigesprochen. Die Richter in Den Haag entschieden am 15. Januar, dass die Beweise für eine Fortsetzung des Prozesses nicht ausreichten. Der 73-Jährige wurde wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit während der Gewalt nach den Wahlen 2010 angeklagt. Er saß seit 2011 in Untersuchungshaft. Menschenrechtler äußerten sich enttäuscht.

Die Richter ordneten an, Gbagbo freizulassen. Über den Zeitpunkt der Freilassung sollte am Mittwoch beraten werden. Unter außergewöhnlichen Umständen kann das Gericht entscheiden, Gbagbo nicht sofort freizulassen. Die Bekanntgabe des Freispruchs löste unter den Anhängern Gbagbos im Zuschauerraum Jubelrufe aus.

Nicht genügend Beweise

Die Richter betonten jedoch, der Freispruch bedeute nicht, dass die Verbrechen in der Elfenbeinküste nicht stattgefunden hätten. Es gebe lediglich nicht genügend Beweise, um Gbagbo mit den Verbrechen in den Straßen der Großstadt Abidjan in Verbindung zu bringen. Der Vorsitzende Richter, der Italiener Cuno Tarfusser, sagte, die Anklage habe nicht beweisen können, dass Gbagbo zu den Taten aufgerufen habe. Gbagbo hatte damals seine Abwahl nicht akzeptiert. Über 3.000 Menschen wurden bei Protesten gegen ihn getötet.

Gbagbo war vorgeworfen worden, unter anderem für Mord, Vergewaltigung und Verfolgung von politischen Gegnern verantwortlich gewesen zu sein. Der Prozess gegen ihn begann im Januar 2016. Die Verteidigung hatte jedoch argumentiert, die Beweise seien zu schwach, und einen Antrag auf Freispruch und frühzeitige Freilassung gestellt. Gbagbos Verteidiger, Gert-Jan Knoops, sagte nach der Verkündung, die Entscheidung sei ein Sieg für den Strafgerichtshof, dessen Richter ihre Unabhängigkeit bewiesen hätten.

Ehefrau im August begnadigt

Die Westafrika-Direktorin von Amnesty International, Marie-Evelyne Petrus Barry, äußerte hingegen Kritik. "Der Freispruch ist eine krachende Enttäuschung für die Opfer der Gewalt in der Elfenbeinküste." Die Opfer warteten noch immer auf Gerechtigkeit und Entschädigung für das Leid, das sie erfahren haben.

Der 73-Jährige war zusammen mit seiner Frau, Simone Gbagbo, und seinem Vertrauten, Charles Blé Goudé angeklagt worden. Die frühere First Lady wurde allerdings nicht nach Den Haag überstellt, sondern musste sich vor einem Gericht in der Elfenbeinküste verantworten. Sie wurde 2015 zu 20 Jahren Haft verurteilt, im August jedoch begnadigt. Das Verfahren gegen Blé Goudé wurde mit dem Gbagbo-Fall zusammengelegt, auch er wurde freigesprochen. Die Anklage kann gegen die Entscheidung vom Dienstag in Berufung gehen.

Einer der bisher mächtigsten Angeklagten

Die Freisprüche von Gbagbo und Blé Goudé gelten als schwerer Rückschlag für den Strafgerichtshof. Gbagbo war einer der bisher mächtigsten Angeklagten. 2014 musste das Gericht in Den Haag bereits die Anklage gegen den früheren kenianischen Präsidenten Uhuru Kenyatta fallenlassen. Im Juni wurde der frühere Vizepräsident des Kongo, Jean-Pierre Bemba, im Berufungsverfahren freigesprochen.

Das Gericht verfolgt Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und das Verbrechen der Aggression. Seit der Eröffnung des Gerichts 2002 wurden drei Personen wegen dieser Verbrechen verurteilt.



Kolumbianische ELN-Guerilla bekennt sich zu Anschlag

Die linksgerichtete ELN-Guerilla hat sich zu dem tödlichen Bombenanschlag auf eine Polizeischule in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá bekannt. In einer im Internet verbreiteten Nachricht sprach die Rebellengruppe von einem Akt der "legitimen Verteidigung", wie das Magazin "Semana" am 20. Januar online berichtete.

Gleichzeitig forderte die ELN eine Waffenruhe, um in Dialog mit der Regierung zu treten. Kolumbiens Präsident Iván Duque hatte nach dem Anschlag die Friedensverhandlungen mit den Rebellen offiziell für beendet erklärt. Bei der Bombendetonation waren 21 Menschen getötet worden, rund 70 wurden verletzt.

Am 20. Januar versammelten sich in Bogotá und anderen Großstädten Tausende Menschen zu einem Friedensmarsch. Auch Präsident Duque sowie sein Vorgänger, Friedensnobelpreisträger Juan Manuel Santos, nahmen an dem Marsch teil. "Kolumbien ist stark genug und wird sich niemals von Kriminellen einschüchtern lassen", sagte Duque auf der Veranstaltung.

Letzte Guerilla Lateinamerikas

Anfang 2017 hatten Regierung und ELN Verhandlungen über ein Ende der Gewalt aufgenommen. Die Gespräche wurden mehrfach unterbrochen. Seit Ende des Jahres soll sich eine Delegation von Rebellen in Havanna zu einem erneuten Versuch von Friedensgesprächen aufhalten. Duque forderte Kubas Regierung auf, Haftbefehle gegen ELN-Unterhändler umzusetzen, die er nach dem Anschlag wieder in Kraft gesetzt hatte.

Die Autobombe war am 17. Januar auf dem Gelände einer Polizeischule im Süden der kolumbianischen Hauptstadt explodiert. Die Ermittler identifizierten ein langjähriges ELN-Mitglied als den Attentäter. Er wurde bei dem Anschlag ebenfalls getötet.

Der Angriff war der schwerste Anschlag in Bogotá seit 16 Jahren. 2003 verübte die inzwischen zur politischen Partei umgewandelte Farc ein Bombenattentat auf einen Klub, bei dem 36 Menschen getötet wurden.

Die 1964 gegründete ELN (Ejército de Liberación Nacional - Nationale Befreiungsarmee) gilt als die letzte aktive Guerilla in Lateinamerika. Insgesamt soll sie etwa 1.500 Kämpfer haben. Mit der größeren Farc-Guerilla hatte Santos nach vierjährigen Verhandlungen im November 2016 ein Friedensabkommen geschlossen.



Indien: Frau nach historischem Tempelbesuch misshandelt

Nach dem historischen Besuch eines indischen Tempels, der Frauen zwischen 10 und 50 Jahren verboten ist, ist eine Inderin von ihrer Familie misshandelt worden. Kanaka Durga sei bei ihrer Rückkehr von ihrer Schwiegermutter mit einer Holzlatte so heftig geschlagen worden, dass sie im Krankenhaus behandelt werden musste, berichtete die Tageszeitung "Times of India" am 15. Januar unter Berufung auf die Polizei. Durgas Besuch des Sabarimala-Tempels im südindischen Bundesstaat Kerala Anfang des Jahres mit einer anderen Frau sorgt in Indien für heftigen Streit. Die beiden hatten mit Polizeischutz gebetet.

Im September hatte Indiens Oberstes Gericht erklärt, das Frauenverbot des Tempels verstoße gegen die in der Verfassung festgeschriebene Gleichstellung von Frauen und Männern. Radikale Hindus erkennen diese Rechtsprechung nicht an und haben gedroht, die Besucherinnen zu töten. Der Tempel verbietet Frauen im gebärfähigem Alter den Zutritt, weil der dort verehrte Gott unverheiratet ist und von den Besucherinnen verführt werden könnte. Zudem gelten menstruierende Frauen laut hinduistischer Tradition als unrein.

Tagelange Unruhen

Dem Besuch der beiden Frauen in dem Heiligtum folgten tagelange Unruhen in Kerala. Sie mussten untertauchen. Durga kehrte erst Montagnacht zu ihrer Familie zurück. Die Familie der 39-Jährigen wusste laut "Times" im Vorfeld nichts von dem Tempelbesuch. Durga arbeitet als Regierungsangestellte.

Nach dem Gerichturteil verwandelten extremistischer Hindus den Sabarimala-Tempel in eine Festung. Sie hinderten Dutzende Frauen daran, bis zum Tempel zu gelangen, der auf einem Hügel in einem Wald liegt. Die meisten Tempel in Indien erlauben den Besuch von Frauen und setzen keine strikten Altersregeln wie der Sabarimala Tempel. Allerdings gibt es mehrere berühmte Tempel, die ein absolutes Frauenverbot aufrecht erhalten.



Inderin erklimmt bislang verbotenen Berg

Im südindischen Kerala hat eine 38-Jährige erstmals einen für Frauen bislang verbotenen Berg bestiegen. Wie indische Medien am 16. Januar berichteten, gelang es Dhanya Sanal, die Spitze des 1.868 Meter hohen Agasthyakoodam zu erklimmen. Sanal, die als Sprecherin für das indische Verteidigungsministerium arbeitet, unternahm die Tour, nachdem im November 2018 das Oberste Gericht des Bundesstaates Kerala Frauen den Aufstieg auf den Berg im Neyyar-Naturschutzpark erlaubt hatte. Die Pionierin erklärte, sie sei auf ihrem Weg zur Bergspitze weder gestört noch behindert worden.

Bislang war Frauen das Besteigen des Berges aus religiösen Gründen verwehrt worden. Dem Glauben nach befindet sich auf der Bergspitze der Sitz des hinduistischen Weisen Agasthya, der ledig ist und durch die Gegenwart von Frauen gestört werden könnte. Frauen durften daher bislang lediglich bis zum Basislager in Athirimala, sechs Kilometer unterhalb der Spitze, wandern. In den kommenden Tagen wollen auch andere Frauen den vormals verbotenen Berg besteigen. Mehr als 100 Frauen haben in diesem Jahr eine Lizenz dafür bei der Verwaltung von Kerala beantragt, die für die Besuchserlaubnis des Naturparks zuständig ist.

Anfang Januar hatten ebenfalls in Kerala zwei Frauen das traditionelle Verbot gebrochen, den dortigen Sabarimala-Tempel zu betreten. Ihr Besuch führte zu tagelangen Unruhen im Bundesstaat. Das Oberste Gericht Indiens hatte allerdings zuvor erklärt, des Frauenverbot des Tempels verstoße gegen die von der Verfassung garantierte Gleichbehandlung von Männern und Frauen.




Ausland

Trauer virtuell - per Livestream zur Beerdigung


Bestatter Scott Watters
epd-bild/Bestattungsinstitut Cornwall
Die Familie ist über die Welt verstreut, ein Trauernder ist zu krank, um an einer Beerdigung teilzunehmen: In Großbritannien bieten viele Bestattungsunternehmer für solche Fälle Live-Übertragungen von Trauerfeiern für Freunde und Verwandte an.

Scott Watters ist Chef des Bestattungsinstituts "Cornwall Funeral Services" im äußersten Südwesten Englands. Die Region, bekannt aus vielen Rosamunde-Pilcher-Verfilmungen, ist malerisch schön, aber auch nicht immer ganz einfach zu erreichen. Seit ein paar Jahren bietet Watters deshalb für die, die nicht anreisen können, Live-Übertragungen von Beerdigungen an - wenn die Hinterbliebenen das wünschen. "Es geht nicht nur darum, zu sehen, was passiert, sondern sich als Teil des Ganzen zu fühlen", sagt er.

Deshalb fange er nicht erst mit der Übertragung an, wenn die Feierlichkeiten beginnen, sondern schon bei der Ankunft der Gäste. "Wir wollen die Beerdigung so inklusiv wir möglich gestalten. Deshalb wollen wir den Menschen das Gefühl geben, von Anfang an dabei zu sein." Außerdem sei es für die Angehörigen wichtig zu wissen, dass mit der Verbindung alles in Ordnung sei, bevor die eigentliche Beerdigung beginne. "Das ist für sie am Anfang beruhigend."

Link mit Passwort

Hunderte britische Bestatter und Krematorien bieten solche Live-Übertragungen von Bestattungen. "Die Menschen, die diesen Service nutzen, leben entweder im Ausland oder viele Hunderte Meilen entfernt vom Ort der Beerdigung", sagt Watters. "Wir hatten jemanden in Australien, also genau am anderen Ende der Welt, der so der Beerdigung beigewohnt hat." Um die Beisetzung im heimischen Wohnzimmer zu verfolgen, bekommen die Trauernden einen Link mit Passwort zur Übertragung.

Aufgezeichnet wurden die Trauerfeiern, die Scott Watters organisiert, aber bislang noch nie. "Das könnte man sicherlich machen, wenn das erwünscht ist, aber bislang wurde das nie nachgefragt." Die Menschen verfolgen die Beerdigung live am Bildschirm, wollten sie aber nicht noch einmal sehen - anders als bei Hochzeiten. Es gehe den Angehörigen bislang immer nur darum, dabei zu sein.

Natürlich müssten einige Grundvoraussetzungen erfüllt sein, eine gute und stabile Internetverbindung zum Beispiel. Gerade in ländlichen Gegenden sei das aber nicht immer gegeben: "Wir haben auch schon das ein oder andere Kabel verlegt, als das sein musste."

Mehr Akzeptanz bei Jüngeren

Doch nicht alle Trauernden sehen eine Live-Übertragung als einen gleichwertigen Ersatz für den Besuch einer Beerdigung. In einer Studie der britischen Versicherungsgesellschaft Royal London aus dem Jahr 2017 gaben fast die Hälfte der Befragten an, eher auf die Beerdigung ganz zu verzichten als diese im Internet live zu verfolgen. Aber deutlich wurde auch: Je jünger die Befragten, desto offener waren sie für die Art von Trauerfeier.

"Es wird nicht sehr oft nachgefragt", sagt auch Watters. "Es ist auch nicht wichtig, wie oft wir das machen, aber wenn wir es machen, ist es für die Menschen, die sich das anschauen, immens wichtig." Diese schauten sich nach seinem Wissen die Beerdigung so gut wie nie alleine an, sondern hätten meist jemanden an ihrer Seite, der mit ihnen gemeinsam manchmal sogar eine kleine eigene Beerdigungsfeier zelebriere.

Die Gäste der Bestattung wüssten natürlich, dass gefilmt werde. Oft mache auch der Pfarrer noch einmal darauf aufmerksam. "Wir hatten mal einen Priester, der die Zuschauer online direkt in die Kamera angesprochen und sie so eingebunden hat", erinnert sich Watters. Das sei großartig gewesen und habe den Menschen sicherlich das Gefühl gegeben, nicht nur Zaungäste zu sein, sondern wirklich ein Teil der Trauerfeier.

Auch könnten sich die Zuschauer direkt an der Beerdigung beteiligen, Worte für das Grab schicken, wenn das gewünscht sei, sagt Scott Watters. Es sei sogar möglich, jemanden live ein paar Worte an die Trauergemeinde richten zu lassen.

Persönlicher Kontakt

Allerdings könne keine Technik den persönlichen Kontakt ersetzen, sagte Bestatter Paul Allcock dem britischen "Telegraph". Einige freundliche Worte an die Hinterbliebenen, Gespräche unter den Trauergästen nach der Trauerfeier seien nicht vergleichbar mit einer virtuellen Teilnahme, erklärte der ehemalige Präsident einer Vereinigung von fast 900 britischen Bestattungsunternehmen.

Watters glaubt nicht, dass die Nachfrage nach Live-Streamings von Beerdigungen rasant steigen wird. Aber es steige das Bewusstsein dafür, dass so etwas möglich ist: "Es hat eigentlich schon immer einen Bedarf dafür gegeben. Es gab schon immer Menschen, die nicht zu einer Beerdigung reisen konnten, warum auch immer, aber jetzt gibt es wenigstens ein Angebot für diese Trauernden."

Christiane Link (epd)


Reformation: "Zwingli" läuft in Schweizer Kinos an

Der aufwendig inszenierte Film "Zwingli" über den evangelischen Reformator ist in den Schweizer Kinos angelaufen. Die Produktion sei ein Beitrag zum Zwingli-Jahr 2019 und konzentriere sich auf die Zürcher Jahre des wortgewaltigen Predigers, heißt es in dem Begleitmaterial. In der Schweiz wird in diesem Jahr an den Reformator erinnert, der vor 500 Jahren sein Wirken in Zürich begann. Ulrich Zwingli (1484-1531) predigte ab Januar 1519 von der Kanzel des Großmünsters seine christliche Freiheitsidee.

Der Kino-Start von "Zwingli" in Deutschland sei für den Oktober dieses Jahres im Umfeld des Reformationstages vorgesehen, erklärte Ko-Produzent Mario Krebs von der deutschen Produktionsfirma Eikon dem Evangelischen Pressedienst. Im Juni soll auf dem evangelischen Kirchentag in Dortmund im Rahmen der "Blue Church"- Veranstaltungen des Reformierten Bundes und der Evangelisch-Reformierten Kirche des Kanton Zürich der Film zum ersten Mal einer interessierten deutschen Öffentlichkeit vorgestellt werden. Nach der Sommerpause sollen sich dann kleinere Preview-Vorführungen in verschiedenen Landeskirchen anschließen, so Krebs.

Aktueller Stoff

Die durch Zwingli "mit ausgelöste Erneuerungsbewegung strahlte nach Europa und in die Welt aus", erklärte der Schweizerische Evangelische Kirchenbund. Die Reformierten bilden heute die größte Tradition innerhalb des Protestantismus.

Regisseur Stefan Haupt hebt die Aktualität des Stoffes hervor: Zwingli habe die Werte des Christentums als klaren Kompass für das politische Handeln verstanden, sagte Haupt der "Schweiz am Sonntag". Zwingli ist neben Martin Luther (1483-1546) und Johannes Calvin (1509-1564) einer der führenden Reformatoren im 16. Jahrhundert. Der Reformation schloss sich eine breite gesellschaftliche Bewegung an, in der sich Vertreter aller Stände - vom Adel bis zu den Bauern - gegen die Papstkirche zusammentaten.