Auf der Kölner Domplatte mischt sich Augenzwinkern mit bitterem Ernst. "Wir sind schockiert", fasst Jörg Flöttl aus Nürnberg die Stimmung zusammen und spricht damit allen aus der Seele. Die "Lindenstraße" soll abgesetzt werden. Rund 500 Anhänger der ARD-Serie sind am 19. Januar nach Köln gekommen, um dagegen zu demonstrieren. Flöttl ist Mitorganisator der Demo, am Tag zuvor war sein Geburtstag. Ein Ständchen der "Lindenstraßen"-Fans ist ihm sicher.

Kalt ist es auf der zugigen Fläche vor dem Dom, als Flöttl die Demonstranten begrüßt. Natürlich läuft zum Auftakt die Erkennungsmelodie der Serie. Sie endet ein wenig abrupt, vielleicht ein Zeichen: Auch die Einstellung der Serie war nicht vorauszusehen. Und der Schock bei den Fans sitzt tief. "Ohne Mutter Beimer ist der Sonntag im Eimer", "Hansemann, Du bleibst hier", "Kult kennt keine Quote" und "Einer für alle, alle für Beimer" ist auf Schildern zu lesen.

Flöttl spricht auf der Bühne im Schatten des Doms von eine "absoluten Fehlentscheidung der Programmveranwortlichen" und bittet das Publikum um Wortmeldungen. André Weber aus Köln hat vor Jahren einen "Lindenstraßen"-Fanclub gegründet. Er ist erschüttert. "Ich habe mit 13 Jahren die Ausstrahlung der ersten Folge gesehen, ich war oft in den Kulissen in Bocklemünd", sagt er. "Und ich durfte sogar mal als Komparse mitspielen. Und noch nicht mal das hat mich entzaubert." Die Schauspieler seien für ihn wie Familienangehörige.

"Zensur"

Stummes Nicken in der Zuhörerschaft: Den meisten geht es ähnlich. Die "Lindenstraße" sei keine Hochglanzserie, aber ein Zeitdokument, sagt Weber. Immer wieder habe die Serie Tabuthemen aufgegriffen und sei dabei mit der Zeit gegangen: "Die 'Lindenstraße' ist und bleibt modern." Zwar sei die Serie für die Sender "keine Goldgrube", aber man müsse auch sozial denken: "Die 'Lindenstraße' macht Millionen Menschen glücklich. Kult kommt niemals aus der Mode."

Nach diesem flammenden Plädoyer ist Zeit für eine Pause. Musik, natürlich ein Lied über die Serie: "Alter Muff und doch immer neu. Lindenstraße, wir bleiben Dir treu." Für den Hoffnungsschimmer unter strahlend blauem Himmel zeichnet Frank Börner verantwortlich. Der SPD-Landtagsabgeordnete aus Duisburg ist "Lindenstraßen"-Fan und wie alle anderen total entsetzt. "Es ist unfassbar, was da beschlossen wurde", sagt er und verspricht: "Ich werde dafür sorgen, dass die Absetzung der Serie nochmal im Rundfunkrat diskutiert wird."

Börner war selbst mal Komparse und die Serie nahm auch sonst immer wieder Einfluss auf sein Leben: "Wenn es in der 'Lindenstraße' geregnet hat, habe ich in meiner Wohnung geguckt, ob alle Fenster zu sind." Börner hält die Absetzung für eine "Form von Zensur". Es gebe in der ARD wohl Leute, die beispielsweise Schwule, Lesben und Transgender nicht am Sonntagabend im Fernsehen sehen wollten. "Schreibt Facebook voll", rät der Politiker den anderen Demonstranten.

Als Gründe für die Einstellung der Serie im März 2020 nach fast 35 Jahren nannte die ARD sinkende Quoten und zu hohe Kosten. Barbara aus Köln ist "erst" vor 20 Jahren zur Fan-Gemeinde gestoßen. Sie erntet dafür ein nicht ernst gemeintes "Buh" von den Fans der ersten Stunde. "Ich habe mir dann die Folgen aus den ersten 15 Jahren auf DVD besorgt", berichtet sie unter dem Jubel der anderen.

"Ich bin Lindenstraße"

Immerhin schauten sich noch immer jeden Sonntag zwei Millionen Menschen die "Lindenstraße" an, sagt Barbara. "Die zahlen ja auch alle GEZ-Gebühren." Ihre Rede schließt sie mit: "Ja, ich bin Lindenstraße." Aus den Boxen dröhnt "Queen". Welches Lied könnte an diesem Tag besser passen als "The show must go on"?

Ein Demonstrantin arbeitet seit über zwei Jahrzehnten als Cutterin im Team des "Lindenstraße"-Produzenten Hans W. Geißendörfer. "Wir wurden im November mit den Schauspielern zu einer Teambesprechung gerufen", erzählt sie. "Dann wurde uns verkündet, dass Schluss ist. Es war für alle furchtbar. Niemand hatte das erwartet." Sie glaubt Gerüchten nicht, dass die Serie bei einem anderen Sender weitergehe: "Das passt doch nicht zu den Privaten."

Petra Mamissu aus Berlin hält die "Lindenstraße" noch immer für gesellschaftlich relevant: "Dort wurden über 30 Jahre lang Werte wie Mut, Toleranz und Solidarität verbreitet." Auch bei ihr nahm die Serie Einfluss auf das Privatleben: "Sogar meine Liebhaber mussten sich an die 'Lindenstraße' gewöhnen." Dann sind alle endgültig durchgefroren und Flöttl bittet zum Tanz. Gespielt wird der "Lindenstraßen"-Walzer, der immer in der Silvester-Folge getanzt wurde. Die Serienmelodie im Dreivierteltakt.