Das Unwort des Jahres 2018 lautet "Anti-Abschiebe-Industrie". Der Ausdruck unterstelle denjenigen, die abgelehnte Asylbewerber rechtlich unterstützen und Abschiebungen auf dem Rechtsweg prüfen, die Absicht, auch kriminell gewordene Flüchtlinge schützen und damit in großem Maßstab Geld verdienen zu wollen, sagte die Jury-Sprecherin Nina Janich am 15. Januar in Darmstadt. Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt, hatte im vergangenen Mai gesagt, eine "aggressive Anti-Abschiebe-Industrie" gefährde die öffentliche Sicherheit.

Dobrindt habe den Ausdruck "als offensichtlichen Kampfbegriff in die politische Diskussion eingeführt", sagte Janich. Der Ausdruck "Industrie" suggeriere, "es würden dadurch überhaupt erst Asylberechtigte produziert". Die Jury stimme dem Einsender zu, der angab, mit dem Begriff werde "das geltende Gesetz verhöhnt". Die Tatsache, dass ein wichtiger Politiker einer Regierungspartei diesen Ausdruck prominent platziert habe, zeige, wie sich der politische Diskurs sprachlich und in der Sache nach rechts verschoben habe. Damit veränderten sich auch "die Sagbarkeitsregeln in unserer Demokratie in bedenklicher Weise". Der Begriff wurde zehnmal eingesandt.

Kritik an "Ankerzentrum"

Ferner kritisierte die Jury den Ausdruck "Menschenrechtsfundamentalismus" als zynisch. Der Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer (Grüne), habe ihn anlässlich einer Debatte um die Seenotrettung von Flüchtlingen aus dem Mittelmeer gebraucht. Der Ausdruck zeige in erschreckender Weise, dass man inzwischen diskutieren könne, ob ertrinkende Menschen gerettet werden sollen oder nicht. Der Begriff wurde zweimal eingesandt.

Außerdem bezeichnete die Jury den Begriff "Ankerzentrum" als Unwort. Der Begriff aus dem Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD im Bund bezeichne Aufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge, die dort eine "Bleibeverpflichtung" haben, bis sie auf Kommunen verteilt werden oder das Land verlassen haben. Der Ausdruck, der eigentlich eine Abkürzung für "Ankunft, Entscheidung, Rückführung beziehungsweise Verteilung" ist, verschleiere in unangemessen schönfärberischer Weise die komplizierten Prüfverfahren und die strikte Aufenthaltspflicht. Der Begriff wurde 13 mal eingesandt.

Die unabhängige Jury aus vier Sprachwissenschaftlern, einem Journalisten und einem Autor hat nach eigenen Angaben 902 Einsendungen mit 508 verschiedenen Vorschlägen erhalten. Knapp 70 davon hätten den Unwort-Kriterien entsprochen. Die häufigsten Zuschriften an die Jury, die allerdings nicht alle deren Kriterien entsprachen, waren "Asyltourismus" (122 mal), "Vogelschiss/Fliegenschiss" (22 mal), DSGVO/Datenschutzgrundverordnung (22 mal) und Hetzjagd (17 mal). Im Vorjahr waren 1.316 Einsendungen mit 684 Vorschlägen eingegangen.

Sprachsensibilität

Das "Unwort des Jahres" wird seit 1991 von einer unabhängigen sprachkritischen Initiative gekürt. "Unwörter" waren zuletzt "alternative Fakten" (2017) "Volksverräter" (2016), "Gutmensch" (2015), "Lügenpresse" (2014) und "Sozialtourismus" (2013"). Die Aktion will den Blick auf Wörter und Formulierungen lenken, "die gegen sachliche Angemessenheit oder Humanität verstoßen" und dadurch die Sprachsensibilität in der Bevölkerung fördern.

Die sprachkritische Aktion wurde 1991 von dem Frankfurter Germanistikprofessor Horst Dieter Schlosser initiiert. Seit 2011 ist Nina Janich (Technische Universität Darmstadt) Jury-Sprecherin. Weitere Mitglieder sind die Sprachwissenschaftler Jürgen Schiewe (Universität Greifswald), Kersten Sven Roth (Universität Düsseldorf), Martin Wengeler (Universität Trier) sowie der freie Publizist Stephan Hebel. In diesem Jahr gehört dem Gremium auch der Autor und Kabarettist Jess Jochimsen an.